Neue Weltordnung – ein Dialog mit Lutz Dammbeck…



Lutz Dammbeck
© Lutz Dammbeck Filmproduktion


…über seinen Film Overgames als nicht abgeschlossene Ermittlung und die Tücken der Fernsehkoproduktion.


Die Rolle des Ermittlers

F: Für Alle, die es noch nicht wissen: Worum geht es eigentlich in Overgames?

A: Mein Film versucht wie sein Vorgänger Das Netz die Entstehung einer neuen Weltordnung zu beschreiben. Deren Fundamente werden mit Hilfe einer Wissenschaft errichtet, die interdisziplinär und anti-metaphysisch ist. Systemtheorie, Kybernetik, Mathematik, Medienkunst, Logik, Psychiatrie und die neuen Sozialwissenschaften sind die Werkzeuge für den Bau einer Welt als offenem System. Einem System ohne Grenzen als eine mit Hilfe von technischen und wissenschaftlichen Werkzeugen gebaute „schlechte“ Unendlichkeit.
Sprache wird hier zirkulär, aus Wahrheit wird Wahrscheinlichkeit und Realität zur Konstruktion. Körper werden Teile von Maschinen und das künstlerische Werk wird Ereignis. Das Ergebnis ist die totale Verkunstung, besser: Verkünstlichung der Welt. Eine neue Evolution.

F: Was hier sehr theoretisch klingt, wirkt im fertigen Film doch sehr plastisch, vor allem durch Ihre labyrinthische Inszenierung, die mich beinahe an einen Krimi erinnert: hier wird ganz klar einer Art Ermittlung oder laufenden Ermittlung beigewohnt.

A: Eine nicht abgeschlossene Ermittlung. Zu den Akten gelegt und wiederaufgenommen. Wiedervorlage. Ja, das sind die richtigen Begriffe. So ist es ja auch entstanden. Es wird zu den Akten gelegt und dann gibt’s eine Wiedervorlage und man nimmt den Faden einfach wieder auf. So arbeite ich eigentlich. Da gibt’s manchmal jahrelange Pausen. Aber eigentlich interessiert mich eine Laborsimulation: wie man einen Gedanken zum Körper bringt.

01 OVERGAMES
© Lutz Dammbeck Filmproduktion

F: Das ist ja auch im Film sichtbar, wie sie sich selbst einbringen. Man sieht ja auch einer Investigation zu. Übrigens wie bei Francofonia, der mehr oder weniger zeitgleich mit Ihrem Film erschienen ist. Da ist es recht ähnlich. Da sieht man erst Regisseur Alexander Sokurow in seinem Büro, wie er skypt und Kontakte herstellt, monologisiert, und dann geht’s irgendwann in den Louvre. Damit schafft man auch einen gewissen Zugang zum Film.

A: Sich zu zeigen, das ist heikel, das gebe ich gerne zu. Da hab ich auch lange überlegt, wie oft man sich da zeigt im Film und mit welchen Ausschnitten. Manchmal ist es ja anonymisiert und der Kopf und das Gesicht abgeschnitten. Manchmal braucht man so eine Einstellung einfach als Zwischenschnitt, damit man nicht ständig in der Naheinstellung auf den Büchern verharren muss. Die Frage ist, wann kippt das und wird eitel und selbstgefällig? Es sollte ja keine Selbstinszenierung vor der Kamera sein.

F: Es ist nicht unbedingt eine Selbstinszenierung. Es ist ja auch ein Verweis auf den Macher oder den Regisseur, dass dieser genauso auf der Suche ist und sich in diesem Labyrinth zurechtfinden muss wie der Zuschauer. Nur gibt er dabei die Richtung vor.

A: Ja, das muss man ja auch machen. Und ich will da schon autoritär sein und die Leute dazu bringen hinzuschauen und sich das so anzusehen und anzuhören wie ich es ihnen erzählen möchte, um eine feste Beziehung mit diesem Publikum zu haben. Vielleicht gehört es da auch manchmal dazu sich zu zeigen, damit die Zuschauer wissen, wer das ist, der ihnen da was erzählt. Das Interessante ist, dass ich zwar diese Absicht habe, beim Publikum aber so viele unkontrollierbare Reaktionen entstehen, und sich dessen Synapsen auf die unvorhergesehenste Art und Weise verschalten. Das ist faszinierend, deshalb sind mir die Gespräche nach dem Film, nach dem Aufwachen aus der Hypnose oder Narkose, so wichtig. Aber beim Machen, beim Drehen, denkt man über so was nicht nach, da überlegt man bloß, ob’s reicht, ob man zu oft im Bild ist, da sagt die Cutterin zum Beispiel: „Jetzt reicht’s mal, du bist ja schon wieder im Bild!“

04 OVERGAMES
© Lutz Dammbeck Filmproduktion

Das Fernsehen und sein Anteil

F: Zwischen Ihrem letzten und vorletzten Film liegt ja eine nicht unerhebliche zeitliche Lücke. Was hat sich in dieser Zeit in der Zusammenarbeit mit dem Fernsehen verändert? Overgames musste beispielsweise für den WDR auf 90 Minuten zusammengekürzt werden. Und der SWR, der seinerzeit Das Netz koproduziert hat, kann oder will sich offensichtlich ein solch „kompliziertes“ Projekt wie Overgames nicht mehr erlauben. Das war mal anders. Der SWR (der damals noch der SDR war) hat ja sogar mal die Kurzfilme von Samuel Beckett finanziert.

A: Und der WDR hat Black Gate Cologne gemacht, mit Otto Piene. Aber das ist so Muskel spannen, Muskel entspannen. Hamburg hatte damals eine selbstverwaltete Filmförderung, und ich platzte in die Phase herein, wo sie gerade abgewickelt wurde und zu einer wirtschaftlichen Filmförderung umgebaut wurde. Dieter Kosslick, wie fast alle anderen Filmbürochefs auch, kam aus der Senatskanzlei, aus irgendwelchen Büros der SPD. Und damals gab es den Trend, diese Euroschiene zu etablieren. Ich machte damals noch Animationsfilme und auf einmal sollte man mit europäischen Kleinstfirmen zusammen so eine Art Cluster bilden, obwohl das vom ökonomischen und vor allem vom künstlerischen Gesichtspunkt her totaler Blödsinn war. Aber es wurde eine Idee, die Europa-Idee, gespielt. Das ist ja das, wofür Overgames die Blaupause vorzulegen versucht. Es wurde also aus der ursprünglichen Spielwiese einer selbstverwalteten Filmförderung eine wirtschaftliche Filmförderung gemacht. Bei den Sendern ist es ähnlich. Das muss man jetzt nicht beweinen, das läuft halt parallel zur politischen Entwicklung, es ist einfach bloß konsequent. Und dann hat man da noch ein paar Highlights, ein, zwei Orchideen, die lässt man sich noch irgendwie angedeihen…

05 OVERGAMES
© Lutz Dammbeck Filmproduktion

F: Sie meinen, dass auch ein Film wie Overgames das System quasi nochmal bekräftigt, weil man immer sagen kann: „Das System funktioniert! Wir haben doch einen Film wie Overgames!“

A: Genauso ist es. Wir waren in Leipzig, da war eine ARTE-Veranstaltung. Zwei Filme wurden gezeigt, Francofonia und Overgames. Ich war sozusagen der arme Bruder, und der andere war der reiche Bruder. Für Francofonia saßen mehrere Produzenten auf dem Panel und als der Trailer vorgeführt wurde, da knallte und rummste es in den Boxen, da wurden alle Register gezogen. Beim Gespräch kam eine Frage zu meinem Film auf, weil ich sagte, am Anfang wüsste ich ja gar nicht, wo das alles hinläuft. Und einer fragte den ARTE-Chef vom RBB: „Wie gehen sie denn damit um, wenn da ein Regisseur ist, der am Anfang gar nicht weiß, wo sich der Stoff hin entwickeln wird?“ und der sagte ganz jovial: „Wir lassen die Künstler arbeiten, wir lassen sie in Ruhe!“ Diese Chuzpe musst du erst mal haben! Was soll ich in so einer Situation machen auf dem Podium? Soll ich ihm etwa an die Gurgel gehen? So als politisches Theater?


Overgames ist als DVD bei absolut Medien erhältlich.

Ein wesentlich umfangreicheres Interview, das ich mit Lutz Dammbeck geführt habe, ist in der aktuellen kolik.film-Ausgabe 26 unter dem Titel „Momente des Authentischen“ erschienen.



Safarow schreibt

Dieser Beitrag wurde am Freitag, Januar 13th, 2017 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Interviews, Sven Safarow veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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