STB Robert 2024 I
„The bourgeois world was haunted by sex, but not necessarily sexual promiscuity: the characteristic nemesis of the bourgeois folk-myth […] followed a single fall from grace, like the tertiary syphilis of the composer Adrian Leverkuehn in Dr. Faustus.“ (The Age of Capital)
„If Krupp commanded his armies of workers, Richard Wagner expected total subservience from his audience.“ (The Age of Capital)
„Er hatte von allem gekostet, und er hatte sich nicht satt gegessen, da er, wie er glaubte, weder Gelegenheit noch Zeit gehabt hatte, tief genug in die Menschen und in die Dinge hineinzubeißen. […] Und sie fand auch Gefallen an den vom Geld geschlagenen Wunden, an den Bankrotten, an den Feuersbrünsten, bei denen man geschmolzenen Schmuck stehlen kann.“ (Das Geld)
„This tropic of cancer answered: Drink the quicksand.“ (Lopsided)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 15 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (16 bis 60 Minuten) kennzeichnet.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II | 2023/I | 2023/II
to be continued … und zwar hier
Juni
21.06.-30.06.: Il cinema ritrovato
Sonnabend 29.06.
ok +
Ein Halbstarkenfilm, wie damals so viele. Hier verlieren die Hauptfiguren den Stierkampf mit der Gesellschaft, wobei das Schönste ist, wie brutal sie erniedrigt werden und ihnen das Einzige genommen wird, von dem sie sicher waren.
großartig –
Eine Schnulze in Tüll, die von einer sadomasochistischen Liebe erzählt, während sie so tut, als ginge es um Identität. Yul Brunner zwingt Ingrid Bergman so zu sein, wie er es möchte und sie geht darin auf. Und der Film steht und fällt vll. mit der Frage, ob Foltermeister Yul Brunner geliebt werden kann.
großartig –
Klamotten und Parfüm tragen eine Frau in eine schönere Welt, zu Luxus unter blauem Himmel.
großartig –
Exzessive Momente deren Sinn in ihrer Sinnlichkeit liegt. Farben, Ornamente und Männer, die ihren verschleierten Pimmel in Zeitlupe schwingen.
großartig –
Ein Dreier. Die Verfallserscheinungen des Films legen sich von den Seiten über das Geschehen und verschwinden wieder. Wie ein wolkiger Vorhang.
gut –
Die Versuche eine Kirsche mit Löffel und Gabel zu essen und der Vandalismus mit weißer Farbe: Hier und da ist dieser Laurel und Hardy-Film sehr inspiriert. Hier und da ist er es nicht so sehr.
großartig
Auf einen monumentalen Boxkampf zwischen einem Biest und Stan Laurel folgt die noch viel monumentalere Tortenschlacht, die durch eine Bananenschale ausgelöst wird. Eine Tortenschlacht to end all Tortenschlachten.
großartig
Zu Beginn zeigt sich Yoshimura expressiv wie nie – zumindest im Vergleich mit den anderen sechs Filmen des Programms in Bologna. Das Cinemascope wird für ein Bajonett genutzt, dass über die ganze Leinwand prangt, oder für die Zeichnung einer Geisha auf einer Wand, hinter der unsere Hauptfigur (Machiko Kyō) gerade ihren Körper einsetzt, um voranzukommen, wobei ihre Füße das Gemälde fortsetzen, das an den Unterschenkeln abbricht. Im Krieg führt eine Explosion dazu, dass eine zuvor sehr weiße Leinwand plötzlich mit Dreckbrocken gefüllt ist – Michael Bay wäre neidisch gewesen. Zweimal geht der Sex der Hauptfigur in Motorenlärm unter – bzw. beim zweiten Mal löst der Motorenlärm die Lust erst aus, während die Bomber beim ersten Mal die Liebenden mit Erde, Wurzeln und Schutt bedecken. Danach schläft es langsam ein, statt das es wie bisher herausbricht. Weil wieder eine moderne Frau an der Liebe scheitert, nur wird dieses Mal ihr unaufhaltsamer Aufstieg aufgehalten, weil sie der Liebe nachgibt und zu einer fatalen Ehe zustimmt.
fantastisch –
Mit Tränen in den Augen und Kloß im Hals durch die genießende Menge zu flüchten, weil der nächste Film in einem entfernten Kino gleich anfängt, hat ungemein dazu gepasst, wie ich mich am liebsten eingeigelt hätte.
gut +
Um auf DEEP THROAT noch einen drauf zu setzen, lutscht Justine Jones (Georgina Spelvin) im Nachleben, wo sie der Teufel auf den Geschmack der fleischlichen Sünde bringt, damit er sie quälen kann, indem er sie ihr danach vorenthält, an einer lebenden Python. Kopf voran. Ein schillerndes, polymorphes Bild von Aufregung, Schrecken, Misogynie und (hier männlicher) Lust an Selbstverachtung. Hinzukommt Miss Jones‘ Selbstbefriedigung in einer super siffigen Badewanne, die durch den Einsatz – Spoiler – des Themas aus FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR MEHR episch aufgeladen wird. Nur erreicht der Rest leider nie die Intensität dieser beiden Momente.
Freitag 28.06.
gut
Erinnerungen an eine Syrien, das trotz aller Marker der Gegenwart noch in archaischen Familienstrukturen verfangen ist. Eine tragische Komödie über Wahnsinn und Idiotie von Männlichkeit. Am bedenkenswertesten dabei ist, dass die Szene sexueller Gewalt am poetischsten und witzigsten ist.
Allgegenwärtig sind Spiegel – einmal wird ein Spiegel gesenkt, nur um dadurch den Blick auf den nächsten freizugeben – und Fernseher, in denen die simultan gemachten Videoaufnahmen des Hier und Jetzt zu sehen sind. Nur Selbstreflektion bleibt abwesend.
ok
Nach ca. zehn Minuten dachte ich bei mir, dass die Geschichte ja diesem Terrence Davis-Film glich. Wie hieß er noch? … THE DEEP B… Ach so.
In Litvaks Version stehen Leute in Räumen und erzählen dem Publikum von ihren Gefühlen – a.k.a. Dialoge. Gegen Ende erhebt sich Vivien Leighs Nervenzusammenbruchsshow, ein Irren durch Bars und ein Ende mit Salzsäule: Litvaks Filme schienen mir immer eine gewisse Anlaufzeit zu brauchen. Hier war sie am längsten.
Das Production Design von Vincent Korda ist aber sagenhaft. Vor allem die eine Bar, die aufwendig aufgebaut worden sein muss, die groß eingeführt wird … und dann sofort wieder auf nimmer Wiedersehen verschwindet.
*****
Zu Beginn habe ich überlegt, ob – entgegen der Angabe im Programm – eine 35mm-Kopie gezeigt wurde. Wie später bei BLUES IN THE NIGHT schien es mir aber, dass es sich um einen kaum bearbeiteten Positivscan handelte. Die Rollenwechsel und die Übergänge der Fehlstellen waren zu flüssig, der Bildstand zu stabil und überhaupt wurde imho nie an der Schärfe rumgestellt. Aber nach der RATE OF CHANGE-Blamage bin ich mir nicht mehr sicher.
tba.
Drei Clowns besuchen Kinder im Krankenhaus und versuchen sie mit Musik und Sketchen von ihrem Leid abzulenken. Da es keinen originalen Ton dazugibt, ist das Ergebnis ziemlich gespenstisch.
großartig –
Manchmal reichen zwei Glasscheiben, die, übereinandergelegt, einen verzerrenden Bereich entstehen lassen. Dazu ein paar Straßenpassanten und Mitarbeiter, die ihr Gesicht entstellen lassen und Fratzen schneiden. Fertig.
gut
Ein frühes DUCK AMUCK, bei dem ein Zeichner mit seiner Zeichnung einer Frau, deren realer Widerpart in seinem Atelier anwesend ist, macht, was ihn begehrt. Und sie versucht sich gegen die Neurosen und Lüste ihres Zeichners zu wehren.
fantastisch –
Die Welt dreht sich, ein irrsinniger lachender Clown hält sie in seiner Hand. Es ist das Leitmotiv, das Sjöström immer wieder zwischen den Szenen zeigt. Weil die Welt irre ist und einen verlacht. Aber auch weil ein Wissenschaftler sich an dem Mann rächt, der sein Leben zerstörte, und nun zum Terrorclown wird, der die Welt in seine Hand bringt. Zwischen diesem Motiv setzt Sjöström auch alles daran, Psychoclownterror auf Psychoclownterror folgen zu lassen. Eine Szene endet mit der Panoramaaufnahme eines leeren Zirkuszelts, lediglich unsere Hauptfigur steht darin. Das Licht geht aus und nur der kleine Kopf leuchtet weiter in der sonstigen Schwärze. So schwarz ist dieser Film, dass einem nur Lachen und Staunen bleibt.
gut –
Bei vielen Filmen Litvaks beim diesjährigen Il cinema ritrovato liefen vorher Kurzfilme mit Musik von Duke Ellington. Hier nicht, obwohl es wie die Faust aufs Auge gepasst hätte. Erzählt wird von Jazzmusikern. Vier der sechs Protagonisten gründen im Knast eine Band. In den Zellen neben ihnen singt ein afro-amerikanischer Insasse, und sie unterstreichen nochmal, dass das dies die Musik ist, die sie machen wollen. Die Musik der Straße, des Schmerzes, der Seele. Unausgesprochen schwingt mit: Die Musik der Schwarzen. Der Sänger mit der originären Seele wird aber nicht weiter beachtet, sondern die Jazzer werden verfolgt, die gerne so wie er sein wollen. Und so passt es auch wieder, dass Duke Ellington erst gar nicht gezeigt wurde.
Die Geschichte, in der sich die Band vom Hoboleben zum Erfolg hocharbeiten, kündigt sich lange an. Sie verwirklicht sich aber nicht. Die Protagonisten machen eben Zwischenstation in einem Noir mit psychosexuellen Abhängigkeiten und sitzen dort fest. In dieser Konstellation ist jedoch nichts es selbst: Die Band steht für die Familie, die obsessive Liebe für eine Drogensucht. Im Grunde ist nur die Psychiatrie sie selbst. Als gebrochener und schlingernder Film ist er ganz interessant, aber leider nie mehr, weil es sich in allgegenwärtiger Indirektheit und imitierten Tropen verliert.
fantastisch –
Eine moderne Frau im sich modernisierenden Kyoto – in der Stadt also, die im Zweiten Weltkrieg kaum Schaden genommen hat und von Yoshimura Film um Film als Stadt im Widerstreit zwischen Tradition und Moderne genutzt wird – in einem sich modernisierenden Film – eine Einstellung kippt bspweise um 90°; im zunehmender Fragmentierung endet eine Liebe im Schweigen; die zuweilen experimentelle Musik; die Subplots, die groß aufgebaut werden und doch ohne weitere Erwähnung verschwinden. Die Frau (Okada Mariko) erbt eine Süßigkeitenmanufaktur, entdeckt die Tradition (der Süßigkeiten) für sich, modernisiert sie aber auch. Nur in der Liebe scheitert sie an ihrem Traditionalismus: sie will keine Ehebrecherin sein und wird so hypermodern, eine Karrierefrau … wobei Yoshimuras Film stilistisch mit einem Fuß in der Shochiku New Wave steht, aber die alten Shomingeki nicht abschütteln kann.
Es gibt den Running Gag, dass fast alle zentralen Männer des Films gesagt bekommen, dass sie kurz zuvor bei den ANPO-Protesten Rebellen waren und nun angepasste Feiglinge seien…
fantastisch –
Wieder eine moderne Frau (Yamamoto Fujiko), die an der Liebe scheitert. Die von allen geliebt wird, deren Flucht vor der Heirat aber von niemand beendet werden kann. Abermals sind die Männer feige. Und wieder diese sensationellen Farben … wenn bspweise die Kamera zwischen einer gelben und einer violetten Blume hin und her schwenkt, statt die redenden Liebenden zu zeigen.
Eine der Nebenfigurn ist Künstler, der mit seinen Gemälden sein Innerstes nach außen kehren möchte. Bei einer Vernissage sehen wir diese. Er ist Kubist, dessen Stil mit etwas Pop-Art aufgefrischt ist. Heißt: Das Portrait einer Frau ist minimal abstrakt, dafür zwinkert sie dem Betrachter zu. Statt leidenschaftlicher, origineller Kunst gibt es nur Nachahmen und Aufwärmen westlicher Einflüsse. Erzählt wird über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr – wobei zwischen den Szenen Minuten oder Monate liegen könnten, nie ist es klar – aber von einer Kimonodesignerin, die das Alte mit neuen Mustern und Farben in die Moderne führt und gesellschaftlich relevant bleiben lässt. Begleitet von einem Soundtrack der zwischen Avantgarde und Herkömmlichen, zwischen Jazz und Klassik oszilliert.
Die Filme Yoshimuras gleichen sich eher in den Details als in den großen Bogen, sie probieren sich jedes Mal in neuen Ausdrücken des Gleichen, der obsessiven Auseinandersetzung von Tradition und Moderne. Aber nicht nur aus einer speziell japanischen Sicht, sondern universell als Patchwork aus Sinnangeboten, in denen nach einer eigenen Identität gesucht wird. Nicht nur in den Geschichten, sondern in ihrer Form.
Donnerstag 27.06.
gut
Der bürgerliche Symbolist Paradschanow hat sichtlich kein Interesse an der Geschichte der Läuterung eines arroganten Kolchosejüngling durch Liebe und Fußball. Diese ist ihm Pflicht und Arbeit, die mit Seltsamkeiten und entrückter Fröhlichkeit angereichert werden. Das bunte Tuch, das durch eine geschlossene Tür gezogen wird; die Äpfel, die wieder ins Hemd rollen; die Farben; das Lächeln beim Schmollen: es ist das Gold im Brachland des Plots.
großartig –
Der Sohn eines legendären Revolverhelden hat keine Lust auf Waffengewalt – und die gelegentliche Kugel in den Rücken. Es bringe nichts. Also versucht er (James Stewart) die Westernstadt mit Strategie, Charme und Geduld aus der Hand der Gangster zu befreien. Nur verliert der Film selbst die Geduld und kürzt die langwierigen Entwicklungen ab. Ein Freund stirbt, woraufhin unser Held nicht nur die Pistolen sofort umschnallt, sondern gleich zwei Mobs gegen seine Widersacher anführt, um ohne Recht und Ordnung für Recht und Ordnung zu sorgen. … in einem Film, in dem beständig durch Mengen gerannt oder jemand von diesen Davongetragen wird.
Darin als Sahnehaube: Marlene Dietrich, die sich u.a. in einem Cat Fight über den Saloonboden wälzt.
tba.
Familie Jarisch 1940 (Herr Jarisch, A 1940)
Buddhas Liebesfeier (Friedrich Kuplen, A 1945)
In terrazza a Napoli (Salvatore Cilento, I 1940)
2 Novembre: Venise (John Kinsmen, I 1937)
Wien Umsturz 1938 (Harry Jirschik, A 1938)
Saline di Trapani (Fondo Caverretta, I 1948)
*****
Rate of Change (Bill Brand, USA 1972) – nichtssagend
Rode Molen (Esther Urlus, NL 2013) – gut +
Printer Light Play (Arthur & Corinne Cantrill, AUS 1978) – gut
Holon (Christian Lebrat, F 1982) – gut –
*****
Die erste Abteilung bestand aus Heimvideos und Amateuraufnahmen – sämtlich als DCP gezeigt. Dabei am erschreckendsten: Wien kurz vor dem Anschluss, an den zu sehenden repräsentativen Stellen in Hakenkreuzfahnen und in Rot-Schwarz-Weiß getaucht. Zudem Hitler auf einem riesigen Plakat.
Die zweite Abteilung bestand aus Experimentalfilmen. Farbige Windmühlenflügel drehen sich über die Leinwand, ein Mann hält einen Farbvergleichstreifen hoch und in der Postproduktion werden alle paar Sekunden die Farbeinstellungen geändert. Uswusf.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass sich mir das Konzept von RATE OF CHANGE erst erschloss, als ich später darüber las. Statt eines Bildinhalts gibt es nur eine sich langsam ändernde Farbigkeit. In der gezeigten 16mm-Kopie war dieser zeitliche Farbverlauf viel schwächer als in der hier einsehbaren Version. Die Farbe war aber noch da, nur habe ich sie nicht als solche wahrgenommen. Für mich gab es nur ein weißes Bild. Meine Wertung sagt also mehr über mich als über den Film. Alles wie immer also.
verstrahlt
Das Drehbuch stammt von Trude Pabst, die ihre Ehekrise und ihr Traumtage-buch verarbeitet. G.W. Pabst wird zum Chemiker/Höhlenforscher (Paul Hub-schmid), der von seiner Verlobten (Ilse Werner) verlassen wird. Sie gibt die frisch bezogene Wohnhöhle mit nassem, kaltem Boden und Urtieraustellung auf und wechselt zu Industriemagnat Roy (Stefan Skodler) in den goldenen Käfig, in eine Wohnung mit Brunnen, unzähligen Pflanzen, Wasser unter einem Glasboden und blinkenden Dingen (Schmuck u.a.). Nur vermisst sie im hellen Luxus die Tiefe, die Höhlen, die ungezähmte Natur. Wenig überraschend wird daraus ein Art Blick in ein Unterbewusstsein – in dem lieber der Tod gesucht wird, als sich eine selbstständige Existenz aufzubauen.
fantastisch –
Wieder werden Leute von der langsamen, unaufhaltsamen Umwälzung Japans erfasst. Wieder stehen die Marker des Umbruchs groß und breit im Bild – zum Beispiel der lange Schaufelradbagger, der das Land ganz buchstäblich umgräbt. Wieder wird jemand mit einem Schwert durch die Straßen, weil der Druck und das Scheitern zu stark geworden sind gejagt – bzw.: dieses Mal ist es sich nur ein Messer, die Inszenierung ist dafür noch so nachdrücklicher.
Der Film handelt von zwei Schwestern. Die eine (Machiko Kyō) ist Geisha und steht offenbar für das alte Japan – nur dass sie sich der Ratio der neuen Zeit völlig verschrieben hat und ihre Entscheidungen aus harten kapitalistischen Gründen trifft. Nicht nur aus Egoismus, sondern für die Familie, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Wie sehr es in ihr arbeitet, zeigt eine lange Einstellung ihres Hinterkopfs, in der wir ihr Mitgefühl nur erahnen können, und die so umso schmerzhaftere Träne, die sich zeigt, als sie sich umdreht.
Die andere (Yasuko Fujita) sieht modern und eigenständig aus – und doch liegt sie in einer Liebesszene am Ende von Bahngleisen, in einer Sackgasse, wo der Zug (Precodesex) nicht fahren kann, wo die Beziehung entgleist ist. Sie bekommt als Happy End den Jungen aus dieser Szene zum Ehemann, der nur an seine Befriedigung zu denken scheint und nicht an sein Gegenüber.
Es ist alles nicht so einfach.
großartig
Werbung für den Marshallplan, bzw. für die Inkludierung der Kriegsgegner in diesen. Gewissermaßen handelt es sich nämlich um die Beweisführung, dass es nicht nur Krauts in Deutschland gibt. Oscar Werners traurige Augen erleben eine Odyssee durch ein zertrümmertes Land, in dem immer noch SS, Gestapo und Wehrmacht die Macht in der Hand halten und die Menschen in den Abgrund stoßen. Er trifft auch auf einen hohen Offizier, der es besser weiß, der weiß, dass der Krieg verloren ist und doch seine Soldaten weiter verfeuert. Er durchstreift ein Land, das von einem Krebs befallen ist, in dem gelitten wird und Kinder die erlernte Propaganda und das, was sie sehen, nicht mehr unter einen Hut bekommen und verzweifeln. Er spioniert für die USA, hingebungsvoll. Und doch durchzieht den Film der Zweifel: kann jemand, selbst wenn er all das sieht, Vaterland und Volk abstreifen und verraten? Oder muss er nicht zwangsläufig Verräter an seinen jetzigen Auftragsgebern werden? Der Film kommt zu einer einfachen Lösung. Die Beschissenheit der Dinge fängt dieser Thriller, der einer tickenden Zeitbombe gleicht, trotzdem eindrucksvoll ein.
Mittwoch 26.06.
großartig –
Nicht der freundliche, hilfsbereite Junge, dessen Abenteuer wir verfolgen, bewirkt den finalen Sieg, sondern der eingesessene Held am Rand der Geschichte, der unversöhnlich mit Armee und unbesiegbaren Waffen gegen das Böse vorgeht. Auf den letzten Metern wird das Märchen voller zauberhafter optischer Einfälle – der alte Mann, der den Sturm wie eine Marionette steuert; die Pferde und Schafe, die durch die Luft reiten; die Farben, die Horizontlinie, die selten in der Mitte des Bildes zu finden ist – ein nicht ganz so schöner Film über den Kalten Krieg.
nichtssagend
Gerade im Vergleich zu den verschiedenen Filmen zur Musik von Duke Ellington fällt auf wie statisch diese Musikvideos sind, wie sie nach Erhabenheit und Repräsentation einer nationalen Kultur streben, wie leblos die erreichte Schönheit ist.
fantastisch –
Der unmittelbare Auftakt zeigt einen großen Mann, der ein Schiff verlässt – wir werden lernen, dass es sich dabei um Ringer Iwan Poddubny (Stanislav Chekan) handelt. Aufgeputschte Musik begleitet sein von Bord Gehen und sein Schlendern am Hafen, als sähen wir etwas Episches. Er läuft am Kai entlang und trifft einen alten Freund, unterhält sich. Als ein falsches Wort fällt, verstummt die Musik. Die Handlung geht weiter, aber das Schweigen im Hintergrund macht intensiv spürbar, was sonst nur eine Randnotiz gewesen wäre: die Stimmung ist versaut.
Später wird Poddubny mit dem Zirkusdirektor Truzzi (Boris Petker) streiten. Der Ringer verteidigt den Clown Anatoli Durow (Alexander Mikhailov), der vor die Tür gesetzt werden soll. Einen Kameraschwenk weiter, ohne Schnitt, bricht die Stimmung, und Iwan, gerade noch streitend, tröstet die geliebte, nervöse Hochseiltänzerin Mimi (Iya Arepina) vor ihrem Auftritt.
Noch später wird sich Poddubny in seinem Heimatdorf in eine weitere Frau verlieben. In einem Moment der Annäherung wird hinter ihm ein Plakat aufgerollt, das Mimi zeigt, die bei ihrem Auftritt starb. Es gibt keine neuen Anfänge, nur ein endloses Weiter voller Echos der Vergangenheit.
Iwan und Anatoli helfen während ihrer gemeinsamen Zeit im Zirkus der Tochter des Direktors zum Durchbrennen. Am Ende des Filmes taucht diese in Paris wieder auf. Ihr Verlobter von damals ist nicht mehr an ihrer Seite. Er bleibt entschwunden, in einem der etlichen toten Winkel der Geschichte.
THE WRESTLER AND THE CLOWN nimmt zwar Namen und die groben Lebensdaten zweier russischer Berühmtheiten, an ihren Persönlich-keiten, ihren Lebensweg oder an historischer Genauigkeit ist Barnet aber nicht interessiert. Stattdessen lässt er einen Strom der Momente fließen, die ohne Hatz vorbeiziehen, die einem aber doch keine Zeit zum Verweilen und zur Verarbeitung zu lassen. Selbst der Tod, und ist er noch so brutal, bleibt stets nur schnell ersetzte Episode. Nur ist eine klare Trennung in diesem Zerfließen nicht möglich, obwohl teilweise Jahre zwischen den Augenblicken von Tragik, Spaß und Leben liegen. Der Fluss reißt die beiden Protagonisten, die darum kämpfen, sie selbst zu sein, weg, lässt sie ständig auf Widerstand treffen, schmiert ihnen Salz in ihre Wunden. Doch der Film lässt sie triumphieren, ein Wunder in diesem Milieu. Es ist der irreale Zauber dieses Films.
gut
Brasilien bedeutet Regenwald und Tanz, so legt zumindest der Titel nahe. Beides bleibt aber kategorisch abwesend. Die Landschaft ist struppige Einöde, die Menschen sind lethargisch. Auf der Suche nach Arbeit zieht eine Familie aus dem Nirgendwo Richtung Sao Paolo. Langsam zieht die Moderne um sie auf, während nichts geschieht außer wandern, sitzen und warten. Die Moderne ist für sie kein Produkt der Teilhabe und auch kein Sehnsuchtsort, sondern etwas Fremdes, das über einen kommt – mit falschen Versprechungen.
Dieses Nichts wir regelmäßig von Samba und dokumentarischen Informationen über Brasilien unterbrochen … oder davon, wie der Hauptdarsteller die Zeitung vorliest, als seien wir bei Godard. Sobald die bisher regelmäßigen Unterbrechungen ausbleiben und die Tristesse, die schöne Tristesse, allgegenwärtig wird, steigt die Sehnsucht nach Tanz und Regenwald immens.
verstrahlt +
In Reinls Gothic-Heimat-Kolchose-Western ist alles kaputt. Ein Mann starb und erst wenn die eigene Schuld bekannt ist, kann sich der Schleier aus schlechtem Gewissen und Verfolgung lösen. Franz (Franz Eichberger – sein einnehmendes Grinsen und wie es ihm einfach nicht helfen möchte, ein Highlight) ist Wilderer, dem es wie eine Sucht ist im fremden Revieren zu schießen – die sexuelle Konnotation ist deutlich, aber nicht zentral. Ein Jäger, der ihn stellte, stirbt also, und Franz ist sich nicht sicher, ob er ihn tötete oder ein Unfall. Sicher ist: sein Leben zersplittert unter seiner moralischen Last. Ob er sich nun in seine Arbeit stürzt und reich wird, um zu verdrängen, oder sich dem Suff hingibt, die Verdammnis bleibt sein Schicksal – seines und das der deutschen Staaten. Seine Mitmenschen sind die düsteren Engel seines Gewissens oder eine hängende Schallplatte, die mit ewigen Predigten doch zu Gott führt. Seine Umwelt sind weiße Kristallwelten und dunklen Nächte, die Schönheit von unberührter Natur und vom Wind in den Feldern sowie karge häusliche Klausen. Deutschland nach dem Krieg durch die verzerrende, aber sicher nicht entstellende Linse eines Traums betrachtet … in dem Kinder mit goldenen Locken von ihrer Oma auf eines Todesquest zum Christkind geschickt werden. Ein Film, so nachvollziehbar wie unfassbar.
großartig –
Durchaus handelt es sich auch um einen steifen Thesenfilm, der nostalgische Jugenderinnerungen über Probleme mit Eltern und Lehrern und sich verhindernden Sex zur Erzählung über das Abdriften des Zwischenkriegsjapans in den Faschismus macht. Die damit einhergehende Formelhaftigkeit bricht aber immer wieder auf und damit die Tristesse einer Zeit der Enge. Allein wie die Augen von Nozoe Hitomi leuchten und zum Leuchten gebracht werden; oder die Romantik fallenden Laubs einer entrückten Wiese, deren Farben irreal zum Rest des Films stehen; die Einschübe des Reißerischen, von Sex und Gewalt, von einer neuen, sich abzeichnenden Zeit der Filmlandschaft: immer wieder drängt eine dringliche Lebhaftigkeit aus der Formel.
gut
Der Titel sagt es ja. Gezeigt wurden kürzlich restaurierte Filme aus dem riesigen Fundus der von den Lumières gedrehten und beauftragten Filme. Es war zu sehen, nur leider kann ich weder Jahr noch Titel bestimmen:
– Algier, aus dem Rückblick einer Straßenbahn
– Montreux vorne raus aus einer Straßenbahn
– Frauen, die in Trümmern arbeiten
– Straßenarbeiter und jemand, der sich nur an einer Laterne zu schaffen macht, damit er vor der Kamera ist
– der Hafen von Marseille
– Reisfelder
– die Lumière Familie auf einer Badeinsel, ins Wasser springend
– Paris
– Istanbul
– einen Sketch, über einen Trickbetrüger, der ohne Beine bettelt, aber wegrennt sobald die Polizei auftaucht
gut +
Pina (Sandra Milo) lebt in einem kunterbunten Haus, in einem interessanten, selbsterfüllten Leben. Nur die ungeteilte Liebe fehlt, weshalb sie sich einem bitteren Tag aussetzt und diesen bis zum Ende durchzieht … in realitätsnegierender Hoffnung auf Zärtlichkeit. Sie hat ein Blinddate mit Ekel Alfred, mit Adolfo (François Périer), der nach wenigen Briefen für einen Tag zu Besuch kommt. Er entpuppt sich als kleiner rassistischer Geizkragen, der in Pinas Anwesenheit jüngeren Frauen nachgiert und ihr Leben sichtlich verachtet, der mit Verbiesterung und Heuchelei seine Traurigkeit übertüncht. LA VISITA kommt einer langgezogenen Pointe gleich, die lange in expressiv verhärmte Gesichter eines verbrannten Lebens blickt und die am Ende aus aller Entwürdigung doch noch etwas Bittersüßes gewinnt.
Dienstag 25.06.
großartig –
Es beginnt mit steif erzählten Witzen, in denen zwei vor der russischen Revolution nach Paris geflohene Adlige (Charles Boyer & Claudette Colbert) vor den Insignien und Portraits ihrer noblen Vergangenheit in Armut leben und mit Stiff Upper Lipp den Wellen von extremer Bescheidenheit, Hunger und Diebstahl trotzen. Es wird sogar noch steifer, wenn sie Butler und Dienstmädchen einer reichen, dekadenten Familie werden wollen. Sobald sie es sind und vollkommen umarmt wird, dass es sich bei TOVARICH um einen Cartoon handelt, ist es unmöglich, es nicht zu lieben … wie es zunehmend unmöglich wird, zu glauben, dass das alles wirklich vor einem passiert … in einem Hollywoodfilm. Erst wird es kunterbunt. Das Haus wird zum Fechtplatz. Alle verlieben sich in die adligen Proletarier, die bestmöglichen Dienstboten. Ein babylonisches Wirrwarr ohne Punkt und Komma entsteht. Dann taucht aber noch ein charmanter, eloquenter bolschewistischer Kommissar (Basil Rathbone) auf, der sich für die Brutalität der Revolution entschuldigt – sie steckte noch in den Kinderschuhen –, für ihre Notwendigkeit aber erfolgreich wirbt … sodass dem Zuschauer schließlich nur der Schluss bleibt, dass er dies geträumt haben muss.
großartig –
Während Duke Ellingtons Musik einen Zug emuliert, fliegen aus einer Bahn gefilmte Aufnahmen New Yorks vorbei. Aber nicht die rasante Bewegung ist das Lebhafteste des Films, sondern die Farben und besonders das allgegenwärtige Orange des Sonnenaufgangs.
gut
Der unbesiegbare Boxer Young Samson (James Cagney) verliert durch die Untreue seiner geliebten Peggy (Ann Sheridan) einen Kampf und erblindet. Tänzer Burns (Anthony Quinn) verbrennt wiederrum Peggy, die sich von ihm Ruhm verspricht, aber nur Schuld, sexuelle Gewalt und eine Welt der Arschlöcher erhält. In den Mythen (New Yorks) geschieht, was jedem bestimmt ist. Die sprechenden Namen sind dem erklärbärigen Film aber doch nicht genug.
Das zu erobernde New York besteht dabei aus nassen Gassen, Nacht, Boxhallen und Tanzlokalen. Der bekannte Sündenpfuhl wird jedoch von vertrauenswürdigen Personen bevölkert – nur ein paar faule Eier trüben das Bild. Wie die ausgebreitete Symphonie von Samsons Bruder (Arthur Kennedy), in der eine sentimentale Melodie mit routiniertem Orchesterpomp aufgepimpt wird, ist CITY FOR CONQUEST eine Schnulze, die sich mit seinen Stadtbild- und Gangsterroutinen seiner kitschigen Kraft beraubt.
großartig +
Die Detailaufnahme eines Stück Leders bildet den Hintergrund des Vorspanns. In dessen Struktur erkannt ich (relativ deutlich) eine nackte, vorgebeugte Frau, die ihren Arsch dem Zuschauer entgegenstreckt sowie einen eher abstrakten Phallus mit zwei Kugeln neben sich. Es ließ mich hoffen, dass nie ein Rorschachtest mit mir gemacht wird. Es folgte ein Film symbolischen Schweinkrams – Wie kann ein Film, in dem ein Junge im Grunde nur wiederholt Eis holt, nur so lüstern sein? – und ich war mir nicht mehr so sicher, ob ich zu Beginn nicht nur gesehen hatte, was ich sehen sollte.
gut +
Eine Seltsamkeit, in der ein Hund brutal, eiskalt und völlig absurd in den (erzählerischen) Tod gestürzt wird, in der mitleidlos die Figuren über die Klinge gehen, weil das Leben nach dem Tod so verlockend ist, in der der Himmel eine Alm mit halbnackten Kindern/Engeln ist, in der mit dem Tod nicht Schach gespielt, sondern gesoffen wird. Am Ende steht aber auch die Vision, dass Georg Thomalla im Jenseits wartet und den Eingang der Toten verwaltet. Eiskalt steckt die stahlhumorige Ratio dem Film in den Gliedern.
großartig
Wenige Pinselstrichen zeichnen, dass der Adel im japanischen Spätmittelalter an Einfluss verliert und die rationalisierten Kaufleute an Einfluss gewinnen. Auf dieser Grundlage wird ausgiebig ausgebreitet, wie Scrooge McDuck (Onkel Dagobert) wirkte, würde er nicht in Entenhausen leben. Oder eben: A one-note film about a guy turned one-note by society and unable to shake off the one-noteness once it is no longer functional. Durch Geiz wird ein Bauer reich. Selbst die prallgefüllten Truhen im Keller ändern nichts daran, dass er jeden Pfennig umdreht. Am Schönsten ist die Szene, in der er bei einer elitären Gesellschaft seine erreichte gesellschaftliche Stellung zementieren könnte, aber nur ans kostenlose Essen denkt und die ihm präsentierte Geisha als kommenden Kostenfaktor links liegen lässt. In seiner Freude über die Einsparungen bekommt er gar nicht mit, wie er allen vor den Kopf stößt. Getragen wird es von der irrsinnigen Performance von Nakamura Ganjirō und diverse Symbolen, wie den dicken Eiern des Sohns, die er bekommt, als er seinem Vater doch noch die Stirn bietet, da er in Beuteln zwischen den Beinen dessen Gold aus dem Haus schmuggelt … während sein Vater seine Angestellten einen Fluss durchkämmen lässt, weil ihm eine Silbermünze hereingefallen war.
ok –
In THE HOLLYWOOD STUDIOS stellt Ethan Mordden Fox als Studio der Landbevölkerung dar. Dieses Bild unterstreicht sich, sobald dieser quasi Warner-Gangsterfilm zwischendurch die Straßen und Bars der Großstadt verlässt und Zwischenstopp bei einem Ehepaar in der Provinz macht. Sängerin Joan (Dorothy Mackaill) verbringt dort ein beschauliches Weihnachtsfest, dass ihr zeigt, was ihr im Leben fehlt. Die Einfachheit der Dinge wird gefeiert und der Leitsatz in den Raum gestellt: It’s nice to be nice. Gleichzeitig müssen Joan und ihr Begleiter aber so tun, als seien sie verheiratet, damit die engen moralischen Grenzen der Hausherren nicht verletzt werden. Bedingung der Behaglichkeit ist eben, dass man nicht man selbst sein darf, weil sonst Harmonie nicht möglich sei.
Darüber hinaus hätte der sagenhafte Nebel am Hafen und James Bradburys Darstellung eines kruden Barpianisten aber einen besseren Film verdient, als diese erhaltene Arbeitskopie, in der mindestens eine Probeaufnahme enthalten ist, in der die beiden Hauptdarsteller wiederholt neben die Kamera schauen und sichtlich auf Anweisung warten.
Montag 24.06.
ok +
Disclaimer: Jeden Tag in Bologna JUDEX zu schauen, schien mir zu viel Verzicht in andere Richtungen. Folglich wollte ich es auslassen. Den Blick auf die ersten beiden Episoden (abzüglich des am vorherigen Tag gezeigten Prologs) habe ich aber doch mitgenommen, weil sich nichts Anderes aufdrängte. So habe ich in dieser Episode die Überleitung vom Prolog zur später folgenden Handlung erlebt. Etwas Verwaltung am Vormittag.
großartig –
Die Serie nimmt Fahrt auf. Die Highlights: Ein eingekerkerter Bankdirektor, der in seiner Zelle von einem automatisierten Spiegel verfolgt wird, der ihm zu jeder Zeit sein Spiegelbild vorhält; ein Kinderschauspieler, der in seinen riesigen Erwachsenenschuhen und seiner enigmatischen Großspurigkeit dem entspricht, wie ich mir Jean-Pierre Léaud mit sechs Jahren vorstellen würde; Judex, der mit einer Hundemeute im Schlepptau durch eine Ruine reitet.
tba.
Die Massenfeier bei der Ausrufung der griechischen Republik sieht aus wie der Beginn von Lino Brockas BONA, nur weniger pelzig.
tba.
Ein alter bärtiger Mann in orientalischer Kleidung steht auf einem Balkon – Zwischentitel – ein jüngerer Mann mit Familie in westlicher Kleidung steht auf dem gleichen Balkon. Der osmanische Kalif im Pariser Exil und sein Sohn waren zu sehen. Die Ausbreitung des (westlichen) Fortschritts, den auch die Filme Yoshimuras kommunizieren, zeigt sich hier auf ganz kleinem Platz.
gut +
Wolken – von oben und im Zeitraffer gezeigt – ziehen durch die Berge. Es sieht schlicht sensationell aus. Besonders wenn Gegenwind aufkommt und es kleinere Schichten nach oben und vor die Kamera weht. Wenn der Film im Tal endet und uns Wolken von unten zeigt, ist das deutlich weniger aufregend.
ok –
Der Film wurde im Zuge der Olympischen Winterspiele gedreht und zumindest für die Berge und die Skipisten hat der Film ein glänzendes Auge. Das Drama um Mord und Schwerenöter bleibt hingegen eine höhepunktlose Talfahrt. (Faszinierend fand ich, dass ich am Ende der einen Woche Skikurs in der Schule besser die Berge runtergekommen bin, als die Schauspieler hier, die es ständig umhaut. Fahrttechnik und Skier müssen sich seitdem erstaunlich verbessert haben.)
tba.
The Press Illustrated (Lewin Fitzhamon, UK 1904) – ok
Assassinat du ministre Plehve (Lucien Nonguet, F 1904) – gut –
[Lancement du cuirassé regina Elena] (Filoteo Alberini, F 1904) – tba.
Incendie du Théâtre Iroquois à Chicago (Lucien Nonguet, F 1904) – ok +
Dévaliseurs nocturnes (Gaston Velle, F 1904) – gut –
A Wife’s Revenge (???, UK 1904) – ok
[Mariage d’Armand de Guiche et Élaine Grefulhe, Église de la Madeleine, 14.11.1904] (???, F 1904) – tba.
La danse des apaches (Gaston Velle, F 1904) – gut –
La Grève (Ferdinand Zecca, F 1904) – gut
Scottish Antarctic Expedition (???, UK 1904) – tba.
Évènements russojaponais. Combat naval (Lucien Nonguet, F 1904) – nichtssagend
Japonaiseries (Gaston Velle, F 1904) – ok
*****
Das Grundproblem der Nachrichten ist bis heute, dass sich die Neuigkeit nicht unbedingt ankündigt und Kameras zu spät kommen können. Die Filme des Programms, hinter denen tba. steht, zeigen, wenn nicht die tatsächliche Begebenheit, so doch etwas, was sich kaum von dieser unterscheidet – bei der Heirat soll übrigens Marcel Proust auf der Treppe zu sehen sein. Die anderen zeigen filmische Nachstellungen und damit, wie sich das örtlich und zeitlich entfernte Geschehnis ohne ausreichende Quellen vorgestellt wurde. (Oder es wird eine Varieteenummer als feuilletonistischer Teil der Nachrichten gezeigt.) Von relativ nüchternen Spielszenen (A WIFE’S REVENGE) geht es über Räuberpistolen mit Explosionen und von Méliès abgeschauten Schnitteffekten (ASSASSINAT DU MINISTRE PLEHVE), Schattenrisserzählungen, in denen Einbrecher sich die Zeit damit vertreiben, dass sie die Mäuse in den Wänden essen (DÉVALISEURS NOCTURNES), in denen Justitia zwischen Fabrikbesitzern und streikenden Arbeitern vermittelt (LA GRÈVE) bis hin zu kleinen legoartigen Booten, die in einem Becken vor kleinen Kulissen im Kreis fahren und den russisch-japanischen Krieg darstellen sollen. Erstaunliche Fake News (die spätestens im Ersten Weltkrieg fatal wurden, weil die Nachstellungen der Front beileibe nicht die Schrecken zeigten, die da warteten).
nichtssagend
Der (widerwillige) Kameramann wird zuweilen durch aus dem Bild laufende Pferde zu Kameraschwenks gezwungen – was in frühen Filmen immer ein Erlebnis ist. Noch faszinierender ist aber die Einstellung, die einen Saal voller Leute überblickt. Am anderen Ende des Raums – weit entfernt – hängt ein Spiegel, der so schräg angebracht ist, dass er Einsicht auf die vor ihm liegende Treppe gewährt und damit auf Hochkommende oder Runtergehende. Es ist lediglich ein Ornament und doch das Spannendste des Films.
großartig –
Keinen Sex für Mitläufer! Der des Films (Otto Wögerer) hält mit seinem Diensteifer nicht nur Nazis an der Macht, denen egal ist, wen sie (außer Juden und Linken noch alles) schikanieren, foltern und töten – Hauptsache ihre sadistische Lust ist befriedigt. Er verhindert auch den ersehnten Hawaiiurlaub seiner Frau (Brigitte Horney), ihren Traum von Glamour und Freiheit. Christine und Rupp wohnen nahe der Schweizer Grenze. Ihre Ehe desintegriert, als sie einen Flüchtling versteckt, der von einem Zug gen KZ sprang und er, der Grenzpolizist ihn jagt. Sie desintegriert, weil beide erkennen müssen, mit wem sie zusammenleben. Das dunkle, einer Höhle gleichende Haus ist der dunkelromantische Ort für ein Melodrama, in dem zwei Welten und ein Nervenkostüm zusammenbrechen … und in dem mit einem Satz gesagt wird, dass alle es wussten. Vor allem desintegriert die Ehe dergestalt, dass die von der Kamera zuweilen angelechzte Christine ihrem kauzigen Ehemann zunehmend den Sex vorenthält. Scheinen es zu Beginn noch Zeit und Ort zu seien, die Rupps grabschende Avancen ins Leere laufen lassen, sitzt er später impotent mit seinem Gewehr fuchtelnd vor der massiven Holztür, die ihn von Frau und Bett trennt. Der normale psychosexuelle Heimatfilm eben.
ok
Bei diesem netten Film, in dem es scheint als spiele Macaulay Culkin Jesus, wusste niemand, ob dies eine Komödie werden solle oder ein (religiöses) Drama. Es taugt weder als das eine, noch als das andere … ohne interessante Früchte zu tragen. Vor der Groteske wird zurückgeschreckt, während die Religion nur zu Schatten an den Wänden führt.
großartig +
Mantraartig wird wiederholt, dass die Zeit der Kimonos vorbei ist, dass das Weben der dazugehörigen Stoffe (mit herkömmlichen Webstühlen) keine Zukunft hat. Nach dem Selbstmord des Vorstands einer alteingesessenen Weberfamilie, bleiben drei Schwestern und ihre Mutter mit Schulden, zu bezahlenden Angestellten und wenig rosigen Zukunftsaussichten zurück. Also krempeln sie die Ärmel hoch … und machen weiter wie bisher. Sie ignorieren alle offensichtlichen Zeichen des Umbruchs. Sie ignorieren, dass eine der Schwestern in moderner (d.i. westlicher) Kleidung zur Beerdigung erscheint, dass ihr Zimmer in einem traditionellen Haus modern eingerichtet ist und eine moderne Fensterfront besitzt, dass ihr Verlobter in einem hypermodern eingerichteten Haus wohnt. Sie ignorieren, die Fahrräder, Autos und Maschinen, die wie zum Hohn direkt vor der Kamera stehen und mit Ausrufezeichen markieren, dass das traditionelle Japan unaufhaltsam verschwindet. Sie ignorieren, dass sie mit den verhökerten Kunstschätzen ihre Identität nicht nur symbolisch aufgeben, sondern in einem leeren Haus zurückbleiben. Dass die Pfandleiher und Kredithaie im florierenden Kapitalismus noch mächtiger sind als eh schon.
Während der Exposition fällt von der Kamera lyrisch bestaunter Schnee. Er bleibt nicht liegen, die Kälte hält aber an und begleitet das langsame Ausbluten aufrichtiger, engagierter Leute, die blind für die Zeichen der Zeit sind … die leugnen, feilschen und verzweifeln bis sich die Wut mit dem sinnlosen, verständlichen, brachialen Griff zum Katana kurz vor der Akzeptanz doch noch ihre Bahn schlägt. Das glorreiche Arrangieren mit Niederlagen in den Shomingeki eines Ozu wendet Yoshimura in eine todtraurige Komödie.
Sonntag 23.06.
großartig
Die Studentin Bona (Nora Aunor) zieht bei Schauspieler Gardo (Phillip Salvador) ein. Ihr bisheriges Leben lässt sie hinter sich und wird seine Dienstmagd, seine Ersatzmutter, sein eifersüchtiges Anhängsel, für das er kaum Augen hat, während er sich mit Frauen rumtreibt und diese auch nach Hause abschleppt. Die Beziehung der beiden schreit nach Konflikt, so widersprüchlich sind die Bedürfnisse, so asynchron die gegenseitige Wertschätzung, so verwickelt und ungleich die Machtverhältnisse. Doch Brocka, statt die Leidenschaft in einen Tornado über sie kommen zu lassen, lässt die Spannung glimmen und schafft eine klaustrophobische Atmosphäre des Schweigens – selbst wenn mal geplap-pert wird – und ungenutzter Potentiale.
Die Potentiale liegen in den naheliegenden Auflösungen der Geschichte. Mehrmals ist Bona an den Filmsets oder im Filmstudio. Sie könnte selbst als Starlet entdeckt werden, den Glamour, den sie sich aus zweiter Hand erkauft, also direkt erleben und Gardo hinter sich lassen. Die eine Nacht, in der der notgeile und einsame Gardo sich doch Bona zum sexuellen Werkzeug macht, könnte eine Schwangerschaft nach sich ziehen und das Melodrama eskalieren. Sowohl Gardo könnte den Wert seines Parasiten erkennen, als auch Bona im bodenständigen Nachbarn Nilo (Nanding Josef) eine einfache Liebe finden könnte – oder sie könnte eine Erfüllung in der sichtlichen Wertschätzung ihres Viertels finden –, der Film würde so in moralisch klare Bahnen gelenkt sein. Doch nach Auswegen sucht Brocka gar nicht. Der Dampfkochtop soll vor sich hin köcheln.
Die Frage ist, was die beiden zusammenhält. Cardo nimmt Bonas Anwesenheit nur hin und positioniert sich nicht zu ihr, während Bona schweigt, wenn ihre Eltern und ihr Bruder ihr endlos Vorhaltungen machen oder ihren Lebensweg mit Schlägen und Tritten kommentieren. Unklar ist, ob sie vor der Tristesse und Aggressivität des Elternhauses flieht oder doch viel mehr vom Glamour des Schauspielers angezogen ist – perfider Weise wird nach und nach offenlegt, was der scheinbare Star Gardo in Wirklichkeit für eine kleine Nummer ist.
BONA beginnt mit einer Menschenmasse. Mit einem Platz dichtgedrängter Leute. Ein Meer aus Köpfen wird uns gezeigt, deren Gesichter im Gewühl verschwinden. Ein Meer aus Haaren also. Wellen durchziehen diesen Ozean, wegen eines Ringens um etwas. In einer Art megalomanem Tauziehen geht es hin und her. Die Ausbrüche des Films sind rar gesät. Unter der Oberfläche des Schweigens brodelt eine Welt eine des Zerrens und Reißens. Der Auftakt etabliert es umgehend.
gut
Frühe Musikvideos zu drei Songs von Duke Ellington. Eine Sängerin beklagt in STORMY WEATHER das schlechten Wetter, das herrscht seit ihr Partner sie verlassen hat. Dazu wird beispielsweise eine Axt abgebildet, die im Nieselregen bedrohlich und zugbereit in einem Holzklotz steckt. Danach folgen zwei Tänzerinnen, die u.a. in einen Spagat hüpfen. Der Kampf zwischen Text und Bild sowie Attraktionen also. Das Kino.
gut
Zu Beginn werden Soldaten in den Ersten Weltkrieg verabschiedet. Wischblenden reihen weinende Mutter an trauernden Großvater an weitere Untröstliche. Kurz darauf saufen, spaßen und raufen sich Soldaten in einer Bar. Vll. weniger um den Krieg zu vergessen, im dem ein tödlicher Schuss eine Seltenheit ist, sondern um diese Zurückgelassen nicht ständig vor sich zu sehen. Charles Vanel spielt in einer zentralen Nebenrolle einen Offizier, der von allen verachtet wird und der vom Schicksal/Drehbuch vorgeführt wird, weil er, als er endlich jemanden kennenlernt, der ihn wertzuschätzen weiß, auch den Liebhaber seiner Frau kennenlernt, der statt die Situation offen klären zu wollen, mit Schweigen und Distanz das Leben seines Freundes aus Ehrgefühl noch schrecklicher macht als zuvor. Vanels geschlagene Präsenz ist so eindrücklich, dass er nicht viel braucht, um den Film zu bestimmen und spürbar zu machen, dass dem Rest eine ähnliche Präsenz abgeht.
tba.
Balli e passeggiate in montagna (Giuseppe Denti, I 1935)
Spaghetti, Topi e Altri Animali (Edoardo Scott, I 1932)
Ruce v úterý (Čeněk Zahradníček, Vladimír Šmejkal, CS 1934)
La Fontaine lumineuse du Parc Lafontaine / Feu d’artifice (Maurice Gagnon, CA 1934)
*****
Der erste Film zeigt ein filmisches Heimvideo, dass in Anlehnung an Andreas Beilharz‘ TANZEN TUN WIR NICHT eben TANZEN TUN WIR GERN heißen könnte. Später kämpften Spielzeugmäuse per Stop-Motion mit Zinnsoldaten, Hände grabschten nach Schenkeln, oder Feuerwerk wurde mit Farbe und Pinsel per Hand nachkoloriert. Amateurfilme mit einem zunehmenden Grad von Professionalität.
tba.
Mothlight (Stan Brakhage, USA 1963) – gut
Abstract film en couleurs (Cécile Fontaine, F 1991) – großartig –
Abstraction 1 (Marcelle Thirache, F 1999) – gut
All Over (Emmanuel Lefrant, F 2001) – großartig –
Landfill 16 (Jennifer Reeves, F 2001) – großartig
Film sans caméra stst (Giovanni Martedi, F 1995) – nichtssagend
*****
Mottenflügel, Farbwolken, Farbpunkte, wabernde Strukturen, Tiere und ein Stairway to Heaven flogen im rasend schnellen Wechsel vor dem Auge vorbei – bei ALL OVER bin ich nicht sicher, ob in den 24 Bildern in der Sekunde Bilder auf einander folgten, auf denen gleichzeitig rote, blaue, orangene usw. Punkten zu sehen waren, oder ob die Bilder abwechselnd nur rote Punkte, nur blaue Punkte, nur orangene Punkte usw. zeigten, es durch die Trägheit des Auges aber so aussahen, als wären sie gleichzeitig anwesend. Es war mal anstrengend, von atavistischer Behaglichkeit, witzig und manchmal auch nichtssagend.
verstrahlt
Die Liebe Menas (Elisabeth Höbarth) zu Martin (Willy Danek) wird in einer Rückblende mit Blumen, Licht und Innigkeit eingeführt. Ihres Ehemanns Stefan (Wolfgang Hebenstreit), Jahre nach dem Krieg noch verschollen, erinnert sie sich über einen Händedruck und wie er ihr freudig einen Pflug in die Hand drückt. Mit der Rückkehr Stefans nach der ersten Hälfte des Films ändert sich die Stimmung des Films entsprechend. Aus dem verträumten Liebesfilm, der von Toten und der Niedertracht der Mitmenschen belagert dahinschlendert, wird zum nebligen, von Krankheit besessenen Thriller, in dem die Stimmen im Kopf/Dorf wirkmächtig aufsteigen. Das Happy End findet Mena aber nicht mit Martin, sondern mit Stefan, weil es in der Zeit von Ambivalenz und Identitätsverlust auf pragmatische Entschlüsse wertzulegen gilt. Am Ende ist sowohl die helle, als auch die dunkle Romantik negiert. Ein Manifest von Tristesse und Bitternis.
ok
Führt George Cukor Joan Crawford im Remake in Versuchung ein Kind zu töten, ist Ingrid Bergman nach der ersten Umarmung des Kinds von ihrer vernarbten Seele, von ihrer Vergangenheit geheilt. Die Schlittenfahrt des Todes gegen Ende, nach der noch viel zu viel Film folgt, ist schön, ebenso wie die verschiedenen Masken Ingrid Bergmans. Ansonsten aber arbeitet Molander ein Drehbuch auf, das etwas über die soziale Bedingtheit des Bewusstseins erzählen möchte, aber – zumindest in dieser Version – die heilende Kraft von Idylle und Familie beschwört. Gerade im Vergleich mit den expressiven, von Dopplungen durchzogenen Grandeurs of Madness bei Cukor sieht es dann aus, als filme die Kamera zu oft Leute, die in beliebigen Räumen rumstehen und brav ihren engagierten Text aufsagen.
gut +
Barbara Stanwyck sitzt im Zentrum des Films in einem Bett – mit einer womöglich nur eingebildeten Lähmung. Luxus umgibt sie, die Kamera durchmisst den Raum um sie, Mörder und/oder die Erkenntnis der eigenen Psychosen und/oder Neurosen schließen sie zunehmend ein. Sie ist allein und auf sich zurückgeworfen. Sie ist eine fabulously dressed irrational bitch with depression, die im eigenen Saft schmort und per Telefon alle Welt kontaktieren kann, mit diesem aber doch nur ihre Impotenz vergrößert.
Leider warten am anderen Ende der Leitung Rückblenden – in denen auch mal Rückblenden lauern können –, die den Film auffüllen. Mal mit kafkaesken Strandhäusern, in denen zwielichtige Deals abgeschlossen werden, bei denen die Überwacher überwacht werden, wo ganz eigene Regeln der Realität zu herrschen scheinen, oft aber mit Plot, Plot, Plot, der das Bild eines Arbeiters (Burt Lancester) zeichnet, den die Reichen kontrollieren wollen, der sich dagegen wehrend auf sie aber wie das Schreckgespenst einer brutalen Rache wirkt, Plot, Plot, Plot, der Erklärungen an das Zentrum anpappt und dessen Daseinsberechtigung ist, dass er zumindest die Gefühle im Bett fluten lässt.
Sonnabend 22.06.
gut –
Willi Frost, der vor seinem Haarausfall noch deftige, schmierige Womanizer spielen durfte, ist das Highlight dieses Sittenspiels, das etwas steif auf die Punkte hinarbeitet, die es machen soll, und sich zu wenig dem Tanz in der angedeuteten Vorhölle des Café Elektrics hingibt. Ebenso wie der Gesichtsausdruck von Nina Vanna, die als Hansi traurig in die Kamera schaut, als sie ihrem Geliebten sagt, dass sie nie wieder ins Café Elektric gehen würde, wenn er sie nur liebt, … und dabei aussieht, als müsse sie gleich loslachen.
großartig –
Dieser Noir hat keine Komödienanteile, sondern transformiert das Genre zur Komödie. Ein Wissenschaftler (Edward G. Robinson) untersucht im Selbstversuch die klinischen Merkmale von Verbrechern. Er begeht Delikte und schließt sich einer Gang an, die er ärztlich streng überwacht. Nebenher, ohne dass es Dr. Clitterhouse bewusstwerden würde, findet er aber nur psychologische und vor allem soziale Gegebenheiten, die den Verbrecher formen. Mehr noch wird ihm nicht bewusst, wie weit sein going native voranschreitet und dass er bei der Untersuchung der anderen zwar scharfe Ergebnisse erhält, sich selbst dabei aber nicht scharf im Blick haben kann (entsprechend der Heisenbergschen Unschärferelation quasi).
Der Thriller besteht so aus einem Ruhepol (Robinson), den kein Nervenkitzel aufscheucht, der nur wissenschaftlich untersucht und an dem das wilden Treiben und das von ihm hervorgerufene Chaos abperlt – gerade der von Humphrey Bogart gespielte psychotische Gangster verzweifelt daran, weil sein hard boiled Charakter am gegenüber wirkungslos bleibt. Die Mise en Scène arbeitet mit verschiedenen Perspektiven auf einander, auf ein und das Selbe, mit Perspektivverschiebungen und mit in Verhältnissetzungen. Weshalb sich bald die Frage aufdrängt, ob nun dieser Mann verrückt ist oder ob es die Welt um ihn ist. Eine Frage, die unmöglich zu lösen ist, weil es kein Außen gibt, weil auch der Zuschauer nicht überblicken kann, sondern sich mitten im Getümmel befindet. Und Litvak macht daraus keine Abhandlung, sondern einen absurden, versatilen Spaß.
gut
Ein langsamer Schwenk über die Panoramaansicht eines Schlosses zwischen Bäumen in den Bergen. Ein analoger Film, der im 21. Jahrhundert getintet wurde. Mehr ist es nicht … und doch schön und erstaunlich.
großartig –
Der ultratriste Blick Monte Blues (als Stephen Winship), als sich ihm Norma Shearer (als Mimi) um den Hals wirft, weil sie denkt, dass er sie heiraten möchte, während er sich nur nicht traut, ihr zu sagen, dass er sie nicht liebt; der fröhlich verspielte Ton des Films, als Mimi im Waldurlaub zwischen den Baumstämmen rumballert und aus Versehen ihren Adoptivvater erschießt – als subtiler Ausdruck ihres Frusts; der Wolf, der bei einem Waldbrand – überhaupt die ganze Tiere zwischen Bäumen und Flammen – auf die Veranda einer Hütte springt, um die darin Schlafenden mit seinem Geheul zu wecken; die Panoramaansicht auf die hölzerne Eisenbahnbrücke, über die Lucretia (Irene Rich) und Mimi laufen und die von einer Flut weggespült wird, weil selbstredend ein Sprengstofflager neben den Damm gebaut wurde; der völlig unmotivierte, hoch dramatische Tod Mimis, damit die Dreiecksliebesgeschichte keine Probleme mehr macht und aufgelöst ist und es dieses bizarre Happy End geben kann; dass die Erzählung wie eine Triptychon dreier Einzelteile wirkt, weil ein Drama einfach zu wenig ist: So viele schöne Dinge.
ok +
Das weibliche Prinzip des Films: eine Frau erlebt eine sinnliche Nacht, in der an der entscheidenden Stelle ein Fluss um eine Stange fließt. Ihr Liebhaber kommt für eine Nacht von der Front zurück und sie versucht ihn verzweifelt zu halten, da das Erschießungskommando auf ihn wartet. Bilder von Uhren, Warten, Schlaf und Widerstand gegen die Realität kennzeichnen ihre Nacht.
Das männliche Prinzip des Films: ein Idealist, möchte Geliebte und Familie hinter sich lassen, erst um in Russland für die Revolution zu kämpfen, dann, weil er versprochen hat, dass er zu seiner Erschießung wieder da ist und ihm sein Wort alles bedeutet. Bis zum Wahnsinn setzt er alles in Bewegung, dass der Besuch zu Hause nur eine kurze Zwischenstation ist. Rasende Augen und rasantes Reiten sind die Ausnahme im rationalisierten Todestrieb sachlicher Bilder patriotischer Aufrichtigkeit.
So gesehen könnte in EN NATT ein Film von Leben und Tod, von Frau und Mann sein. Aber er ist ein Film von (weiblichen) Personen, die mit Idioten leben müssen. Würde der Film nicht mit einem fröhlichen Sterben-fürs-Vaterland-Marsch enden, der den Idioten recht gibt, es hätte durchaus was.
fantastisch
In der Einführung erwähnte Alexander Payne, dass THE SEARCHERS einige Parallelen mit dem zwei Jahre jüngeren VERTIGO aufweise. Vor allem die obsessive Hauptfigur, die eine totgeglaubte Frauenfigur nach den eigenen Vorstellungen wieder zum Leben erwecken möchte. Anders als Hitchcock hält Ford jedoch die Stimmung nicht. Auf das infernalische Glimmen unausgesprochener Leiden- und Liebschaften, auf Hass, Trauma und tief eingegrabenen Schmerz, dem sich nicht gestellt wird und der auf eine weitreichende, aber dunkel bleibende Vergangenheit weist, lässt er Prügelkomödien, anzügliche Schwänke und Albernheiten folgen. Mitunter scheinen die dunklen Seiten der Monster vergessen und verschwunden, nur um doch wieder genauso potent aufzufahren. Während sich VERTIGO also in Scotties Besessenheit vertieft, zeigt sich an Ethan (John Wayne), wie Abgründe im Alltag verschwinden können, aber trotzdem vorhanden bleiben.
Freitag 21.06.
großartig –
Hier Salieri (F. Murray Abraham), ein Mann der sozialen, ränkeschmiedenden Talente, der sich zu vermarkten versteht, … nur das herbeigesehnte Talent für die Musik lässt ihn im Stich. Jede Note muss er sich abkämpfen und am Ende wartet doch nur ein steifes, nettes Etwas. Süßigkeiten nascht er gern. Seine Mitmenschen sind für ihn Trottel und Marionetten, mit denen er spielen kann. Seine Umwelt ist prunkvoller, lichtdurchfluteter Barock, das Heim der Macht. Mozarts Lachen ist in dieser Welt grotesk.
Dort Mozart (Tom Hulce), dem die inspirierte Musik nur so aus den Fingern fließt, der aber kaum soziale Kompetenzen besitzt. Dadurch stirbt er – der Legende entsprechend – verarmt und zu früh. Er nascht nichts mit einem Deminutiv als Bezeichnung, er nascht die ganze Süße: Sex und Frauen. Seine Mitmenschen müssen ihm wie das Gemälde seines Vaters scheinen: strenge Blicke, die ihm vermitteln, dass er wieder einen Fehler gemacht hat. Äußerlicher Prunk ist bei ihm etwas Fragiles, das zwischen seinen Fingern zerrinnt. Der Film endet folglich weit weg vom Kaiser in einer dunklen, (von Geistern) zerfressenen Welt … wobei ihm – wie in einer Geschichte Edgar Allen Poes – sein Requiem das Leben aussaugt. Sein Lachen verstummt.
In der bitteren Welt von AMADEUS scheitert noch der Talentierteste, weil jedes Talent auf seinen Bereich beschränkt bleibt. (Oder es gehen einem gleich alle Talente ab wie Jeffrey Jones‘ Joseph II.) Nur: Wie jedes Werk auch ein Werk über seine Schöpfer ist, ist AMADEUS durchaus ein Film über den Filmemacher Miloš Forman. Nicht nur weil die grelle Groteske von Sex, Naschen und Parallelwelten erzählt, sondern auch weil sich der durchsetzungsfähige Regisseur und der seltsame Künstler in den zwei Hauptfiguren spiegelt.
(In den Biografien Gustav Mahlers, die ich gerade lese, wird durchegehnd erwähnt, wie ärmlich die Opernkulissen waren, bevor er mit Alfred Roller die Bühne als zu gestaltenden Raum erschließt. Da die Qualität eines DON GIOVANNI rein musikalisch schwer zu vermitteln sein dürfte, zeigt AMADEUS Bühnenbilder, die von George Méliès entworfen sein könnten. Der Zauber der Musik wird über die Fantastik der Bühne dargestellt.)
Mittwoch 19.06.
großartig –
Wie bei Matsumoto geht es um Steine, weshalb beide gemeinsam im Arsenal gezeigt werden und ich einen Text im Perlentaucher schreiben durfte.
Dienstag 18.06.
großartig –
Lotti Z. (8. Jahre) setzte sich nach wenigen Minuten auf meinen Schoss und wollte dann wissen, was das sei. Ich erklärte, dass es Filme gibt, die witzig sind, Filme, die spannend sind, und dann gibt es Filme, auf die sich eingelassen werden muss. Bevor ich weiterreden konnte, gab sie trocken zu Protokoll, dass es auch Filme gibt, die einfach langweilig sind … ohne Ironie oder Hohn in der Stimme. Es war nur ihre klare Einschätzung zum Film, der versucht aus dem Felsen einiger Fotografien, etwas Bewegtes, Lebendiges zu schaffen.
Montag 17.06.
gut +
Der Witz des Films liegt darin, dass sich Buster Keatons Figur bei einer Südstaatenfamilie wiederfindet, die ihm wegen einer Familienfehde nach dem Leben trachtet. Als gute Gastgeber können sie ihn aber nicht im eigenen Haus umbringen. Der Bedrohte tut also den Teufel, dieses zu verlassen. Eine Romeo-und-Julia-Liebesgeschichte wird ebenso eingeflochten, wie wilde Wasserfallstunts. Das Beste ist aber, was Keaton mit der Eisenbahn seiner Anreise anstellt. In der Zeit des Films eine neue Erfindung entwickelt diese ihre Komik nicht wie in THE GENERAL durch ihre stählerne, unaufhaltsame Kinetik, sondern als provisorisches Bastellding, mit dem Unfug gemacht werden kann.
Sonntag 16.06.
gut
Roscoe Arbuckle kann vorgeworfen werden, dass er deutlich weniger Gespür für (optische und running) Gags hat als sein Mitspieler Buster Keaton, der ihn bald weit hinter sich lassen wird. Aber jedes Mal, wenn Arbuckle in die Kamera lächelt ist ziemlich klar, dass er genau weiß, wie ein Publikum gefangengenommen werden kann, wie Film funktioniert.
Sonnabend 15.06.
fantastisch –
Bei der ersten Sichtung vor vier Jahren hat mich eigentlich nur die (schlimme) englische Synchronisation gestört. Dass die Stimmen nicht zu den Schauspielern passen wollen, dass monoton und emotionslos gesprochen wird, dass das Gesagte nicht zu den sich teilweise gar nicht bewegenden Lippen passen will, es verstärkt zumindest den Effekt, dass Raum und Handlung nicht sonderlich solide wirken, sondern wie ein Traum von Begierden, Ängsten, Zwängen, Bananen, Inzest und (körperlichen) Gefängnissen.
Freitag 14.06.
großartig –
Manchmal reichen etwas Kleber, Geld, Leute, die sich Bettlaken überstreifen, und eine Treppe, deren Stufen eingefahren werden können, und schon liegt ausreichend Stoff für 25 Minuten Wonne bereit.
gut
Die fehlschlagenden Selbstmordversuche, der Brücken bedingte Wechsel vom Pferde- zum Ochsenrücken oder der Sprung neben den Pool sind sensationell. Dazwischen liegt eine – es ist nicht anders zu erwarten – dünne, improvisierte Handlung, fatalerweise aber auch wenig inspirierte Slapstickmomente. Das härteste Urteil fällte Lotti Z. (8 Jahre), die nach THE HAUNTED HOUSE unbedingt noch einen Buster Keat-Film sehen wollte, gegen Ende von HARD LUCK aber zu einem Buch griff und lieber etwas las.
Donnerstag 13.06.
gut
Selbst Richard Ng kann nicht darüber hinwegtrösten, dass die hüpfenden Vampire fehlen und dass dem Kampf zwischen Tao-Priestern und einer Hexe, die über willenlose Kämpfer befehligt, im Vergleich zum zweiten Teil geregelter abläuft. Der Klamauk hält durchaus das Niveau, die Setpieces und der allgemeine Wahnsinn fallen jedoch ab.
Dienstag 11.06.
gut +
Ich hätte ihn gern mehr gemocht, das Corona-Klimbim fand ich dann aber doch etwas contraproduktiv. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 08.06.
gut
Dramaturgisch ist diese Version runder und glatter als sein Vorgänger. Nie hängt es durch, nie wirkt es bemüht. Dafür fehlen Highlights wie die Verfolgungsjagd oder die unangebrachten Anzüglichkeiten zwischen Tochter und einem unwissenden Vater. Den entscheidenden Unterschied machen aber Lindsay Lohan und Jamie Lee Curtis, die als altkluger Teenager respektive zwangsjugendlicher Midlifecrisler den Film locker tragen.
großartig –
CAT ON A HOT TIN ROOF gekreuzt mit THE MISFITS, wobei der Beweis erbracht werden soll, dass Tennessee Williams‘ überdeutlichen, symbolreichen Dialoge in überdeutliche, symbolreiche Bilder übersetzbar ist. Wie bei Willliams ist es aber nicht unbedingt ein Nachteil, sondern Teil der Kunst.
großartig –
Trotz des neorealistischen Einschlags wird ein Traum und nicht die Wirklichkeit abgebildet, klar. Er dient als süß(lich)er, witziger Hinweis, dass es mehr Verbindendes als Trennendes zwischen uns gibt, dass Ideologien und Sprache nicht so viel zählen wie Taten. Es wird darin geschwelgt, dass es menschlich ist, Fehler zu machen und an den eigenen Utopien zu scheitern. Etwas ROMEO UND JULIA, gemeinschaftlichem Kuhmelken und eine renitente, steinalte Schullehrerin, auf die immer noch alle hören, gibt es als Dreingabe. Wenn Don Camillo hier und da mit den alten Faschisten/dem alten Faschismus kokettiert, ist diese niemand ist böse Attitüde nicht ganz einfach, aber das muss ja kein Nachteil sein – unter dem Einfluss seines Gewissens/Jesu bleibt er zudem halbwegs stabil. Ein heutiges Remake, in dem sich in ein AFD-Bürgermeister und ein linker Zeitungsherausgeber in Thüringen zusammenschlagen, bloßstellen und sabotieren, stelle ich mir trotzdem schrecklich vor. Vor allem weil ich nicht glaube, dass sie jemand hinbekommt.
ok +
Die Ehe Priscilla Presleys als Variation des Endes von 2001 – ODYSEE IM WELTRAUM: Sie sitzt alleingelassen in leeren Räumen und wartet, dass die übergriffige Realität des Pillen schluckenden Ehemanns nach Hause kommt.
Freitag 07.06.
großartig +
Wissenschaftler entwickeln ein Gerät, das die Sinnes- und Erinnerungseindrücke anderer Menschen überträgt. Diese lassen sich auch gleich auf Bändern abspeichern und für den Massengebrauch nutzbar machen. Die Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich wie von selbst:
1. Die Perspektive des Gegenübers wird erfahrbar.
2. Militärisch kann es bspweise für Gehirnwäschen eingesetzt werden.
3. Sex als Mann oder als Frau und ohne Aufwand immer wieder erleben, bzw. lässt sich ein Orgasmus zur Endlosschleife montieren, wodurch eine neue Droge geschaffen ist.
4. Die Erfahrungen eines Sterbenden machen, ohne selbst zu sterben.
BRAINSTORM beschränkt sich nicht auf eine der Optionen, sondern wirft sie ineinander, was ein Ehedrama plus Paranoiathriller mit Komödie-, Horror- und Religionsfilm-Anteilen ergibt. Einen kruden Mix, an dessen Ende Christopher Walken grinsend in der Gegend steht – ähnlich wie der sabbernde Kollege, der nach einem Nacht langen Dauerorgasmus auch erst wieder Mensch werden musste – und sieht wie die Engel zu Gott fliegen. Die Technik führt uns ins Paradies, in die Hölle, in uns und wieder zurück. Diese Zukunft ist grauenhaft, utopisch, seltsam, normal, menschlich. Alles auf einmal. Ein Cronenberg-Body-Horror zum Geist-Seelen-Horror umfunktioniert.
gut +
In einer Englischstunde – die Hauptfiguren sind eine Lehrerin und ein Grundschüler – geht es darum, dass Märchen und Mythen gegenwärtige Probleme fiktionalisieren und verarbeitbar machen. So oder so ähnlich. Sichtlich geht es um die Opioidkrise, um Missbrauch, um Kinder von Junkies, um eine Gesellschaft von Zurückgelassenen und Überlebenden. Erzählerisch drückt es uns dies grob und etwas träge aufs Auge. Aber das Erzählerische ist nicht der Aufhänger des Films, sondern seine niederschmetternde, schwarze Optik, die uns unentwegt Schatten und Dunkelheit erfahren lässt, die sich langsam um einen schließen und einen entweder auslöschen oder traumatisiert ausspucken. Auf den gesamten Film ist es etwas eintönig, aber auch erschreckend wirkungsvoll.
Donnerstag 06.06.
großartig
Für Lotti Z. (8 Jahre) habe ich Rot-Cyan-3D-Brillen besorgt, und ich dachte, dass ich den Fernseher richtig eingestellt hatte, aber das Rot war nicht richtig abgestimmt. Der Effekt funktionierte zwar, mir wurde mit der Zeit aber auch schwindelig, weil alles doppelt da war. Ich muss nochmal nachjustieren.
gut +
Ein Film unserer Zeit, oder: Das Leben vorm Weltuntergang als Haihorror. Mehr dazu bei critic.de.
Montag 03.06.
ok –
Wie Hara die Hässlichkeit der Welt über uns gießt und seine Figuren verständlich macht, ist effektiv, aber noch keinen guten Film. Erkläre ich auf critic.de.
Sonntag 02.06.
großartig
Billigstes CGI erhebt Rodriguez zur großen Kunst. Ein Film wie aus Softeis modelliert und der sich wie Hirnfrost anfühlt. Ein Meisterwerk.
Mai
Freitag 31.05.
nichtssagend
Das Verhältnis zwischen Virtue Signaling, Computerspiel inspiriertem Actionfilm, einem interessanten Drama und Schönheit/Attraktion ist abstrus. Bzw.: Dieser Film über Batman Hood, der sich aus den Gräben des 1. Weltkreuzzugkrieges erhebt und – unter der Anleitung eines tugendhaften Fremden, der alles ist, was man selbst gern wäre – für immer Kriege mittels eines Krieges beenden möchte, taugt zum großen Camp-Abenteuer, ist in Realität aber vollkommen lustbefreit, öde und hässliches Grau-in-Grau an allen Fronten.
Donnerstag 30.05.
fantastisch
NIGHTMARES COME AT NIGHT, so der englische Titel, war einer meiner ersten Filme von Franco, vor allem aber der erste Film, den ich bei einem außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos sah. Ich hatte nur noch schummrige Erinnerungen an Vogelhäuser, eine gegaslightete Frau, die ihren Verstand zu verlieren meint, und eine unwirkliche Atmosphäre. Wahrscheinlich hatte ich kaum noch plastische Erinnerungen an Bild und Ton, weil sie mit meiner Erfahrung meiner ersten drei Nächte in Nürnberg verschmolzen. Die oft im Bild stehenden weit aufgerissener Augen; der Unglaube der Hauptfigur, dass das Geschehen um sie wahr sein kann, dass das, was gerade noch da war, schon wieder verschwunden sein kann und nur dumpfe Erinnerungen bleiben; der Widerstreit aus ewig ausgehaltenen Einstellungen (einer nachdrücklichen Realität) und den geschluckten klaren Zusammenhängen durch Schlaf(-entzug); kreischende Vögel, die eingesperrt sind (sie im Käfig, ich im Körper), die die Panik aber doch aufscheucht; die atonal entgrenzte Musik einer Welt, die auseinanderfällt: Es war kein fiktives Werk, das ich sah, sondern meine Realität expressiv ausgedrückt. Was LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT (Alpträume gebiert die Nacht) nicht einfach nur zum perfekten Ausdruck einer Erfahrung machte, sondern zum Ausdruck von Kino.
Mittwoch 29.05.
fantastisch –
Der zentrale Film aus Demys Filmographie ist mit ca. 80 Minuten nicht sehr lang. Die erste Sichtung fühlte sich für mich nach endloser bleierner Zeit an. Als die weinerliche Eintönigkeit vorbei war, war ich erlöst. Drei Dinge haben sich seitdem geändert:
1. Seit knapp zwei Monaten versuche ich Französisch zu lernen. Das gesungene Wort war mir folglich präsenter. Mitunter habe ich auch etwas ohne Untertitel verstanden. Mir schien, dass die Lieder/Dialoge dadurch eine Facette gewannen, die die Musik/die Dialoge dynamischer machte. Was mir wiederum die Augen dafür öffnete, dass dies kein überschäumendes Melodrama ist, sondern ganz im Gegenteil eines, dass von unterdrückten Gefühlen lebt. Von einem sich ziehenden Alltag, der der Romantik ihre Bedeutung raubt und Platz für rationelle, das Leben absichernde Entscheidungen lässt … was einem später das Herz bricht. Die Chansons plärren einem also nicht die Gefühle entgegen, sondern tröpfeln kraftlos und melancholisch vor sich hin.
2. Meine Abspielmöglichkeiten von Bildträgern müssen sich deutlich verbessert haben. Dass der Film sagenhafte Farben hat, hatte ich schon mitbekommen, aber wie sehr hatte mich nicht erreicht. Vll. war ich damals auch noch blinder als jetzt. Jetzt jedenfalls hat mich der irrsinnige Tapetenschangel voll erwischt. Es sind aber nicht nur die Farben, die gegen den gedämpften Emotionsausdruck der Figuren ankämpfen, sondern auch die immer wieder einbrechende Wahl expressiver, eigenwilliger, seltsamer vor allem aber wunderschöner Einstellungen, die Ausbrüche aus den Puppenhauskulissen und damit aus der Enge bieten. Was für eine Schönheit.
3. Ich bin inzwischen Vater. Eine Frage gegen Ende trieb mir die Tränen in die Augen. Bzw. die Antwort, die gar nicht erst ausgesprochen werden musste, weil sie bei der Fragenstellung schon klar war. Sie schwappte mir schmerzhaft ins Herz. Alles davor, all das Weggesperrte bricht kurz an diesem einen Moment heraus und ließ etwas Lava aus diesem Vulkan durch mich fließen … und vll. kann ich es durch die Liebe zu meiner Tochter jetzt besser nachfühlen.
Sonntag 26.05.
gut
Die Actionklopperei im modernen Gewand eines expressiven Fließbands übersteuerter Einschläge von Füßen (und ähnlichem) auf Brustkörbe (und ähnlichem) war ein klein wenig eintönig, und der Komödienteil war leider nur stets bemüht. Sobald die Komödie aber größtenteils über Bord geworfen wird und der geradlinige Actionfilm sich durchsetzt, entwickelt TURBO doch einen Sog, der die Fixierung Hollywoods aufs Drehbuch schmerzlich spürbar macht.
Sonnabend 25.05.
nichtssagend
Mitten im Film kam Lotti Z. (8 Jahre) ins Wohnzimmer und als sie erfuhr, dass der Film von ihrem geliebten Robin Hood handelte, schaute sie mit … und ich in Deutsch weiter. Vorher war ich enttäuscht, weil ich keine aus allen Nähten platzende Geschmacklosigkeit von Ridley Scott bekam. Das Drehbuch scheitert am Spagat zwischen bekannten Robin Hood-Tropen, Innovation und einem deutlichen Mehr an historischer Genauigkeit, und Scott und Co. filmen den mit Leuten sinnlos überfüllten Kram leidenschaftslos runter. Nach der Umstellung fiel mir dazu noch auf, dass der Film zudem als Robin Hood-Abenteuerfilm nichts taugt – Lotti schweifte zunehmend ab, weil nur Politik und Kram geschahen – aber auch nicht als Gorebauervehikel für die Vorlieben Scotts – ich hatte Mitleid mit Lotti, weil ich sie in diese Ödnis gebracht hatte, nicht aber, weil als in eine drastische Erfahrung gewesen wäre.
großartig –
Vll. hätte erwähnt werden können, dass Moshe Dayan und Ariel Sharon dem Politthriller schon einen gewissen Hauch von Camp mitgeben, aber naja. Text gibt es beim Perlentaucher.
Freitag 24.05.
ok
Am schönsten ist, wenn Annabel (Jodie Foster) im Körper ihrer Mutter (Barbara Harris) feststellt, dass ihr geliebter Vater ein male chauvinist pig ist, das alles auf seiner Frau ablädt und ein (für die Tochter) erschreckendes Leuchten in den Augen bekommt, wenn sie ihn aus Gewohnheit Daddy nennt.
großartig –
Die bundesdeutschen Tristesse-Höllen von JOHNNY FLASH, Christoph Schlingensief und Helge Schneider werden für KEIN PARDON entschärft und goutierbar gemacht … und trotzdem ist dieses Film einer bundesdeutschen Realität, die im Trott einsperrt und zermalmt, dieser Film der Leute, die in ihren Gedankenschleifen festhängen und bis weit über jede Schmerzgrenze hinaus nur ihre ein, zwei Sätze hinausplöken, zu denen sie in der Lage sind, dieser Film ist immer noch ein schrecklich-fröhliches Fest über das Grauen Samstagabend-Varietee-Show für eine ganze Nation.
Donnerstag 23.05.
großartig –
Vll. hätte ich hier erwähnen können, dass Dementus ein populistischer Clown ist und der Film albern. Ich ging aber davon aus, dass die Albernheit sich andeutet, wenn ich FURIOSA zum Sandalenfilm erkläre.
Montag 20.05.
verstrahlt –
Was passiert nach dem Happy End einer RomCom? Bzw.: Was passiert, nachdem die Hochzeit des Genres vorbei ist. Willa Davis (Meg Ryan) und Bill Davis (David Duchovny) stranden während eines Schneesturms an einem Flughafen. W. Davis (♀) befindet sich auf einer Journey (der Weg ist das Ziel) von Austin nach New York, wo sie ein Gespenst aus ihrer Vergangenheit treffen möchte. W. Davis (♂) befindet sich auf einem Trip (Weg ist das, was zwischen einem und dem Ziel liegt) von New York nach Austin, wo er einen Termin mit seinem Chef hat … wodurch er einen Auftritt und die Aussprache mit seiner Tochter verpasst. Vor Jahrzehnten waren die beiden ein Paar, aber ihr Happy End überdauerte nicht. Sie scheiterten an ihren Ängsten. Nun treffen sie erstmals wieder aufeinander und rollen ihre Vergangenheit neu auf.
Diesem Danach unseres Films steckt Unsicherheit tief in den Knochen … unter einer dicken Schicht aus Routine. Steuert die klassische RomCom auf eine gemeinsame Zukunft zu, ist Meg Ryans PostRomCom durch Vergangen-heit, durch verschiedene Perspektiven darauf, durch eine unbestimmte Zukunft gebrochen und belastet – zudem bedingt die Danach-Position des Films, dass dem Genre kein frischer Anstrich gegeben wird, sondern etwas nekrophil mit dessen Gebeinen gespielt wird. Formell handelt es sich um einen ein-Paar-läuft-und-redet-über-seine-Beziehung-Film, doch Unsicherheit, Selbsthass und Hoffnung, Ratio und Wunschdenken durchziehen die Zerrüttung und halten das Ganze zusammen.
Zu Willa passt der Film einer zauberhaften Nacht in einem magischen Flughafen – z.B. leistet Ausrufer (Eddie Vedder) den Verlorenen wiederholt Hilfestellung. Ein Film, an dessen Ende alle schmerzhaften Probleme gelöst sind und die Protagonisten gereinigt. Der leicht und unkonzentriert ist und mit einem in den Himmel gemalten Herz endet. Zu Bill passt der Film, der seine Protagonisten an einen Nichtort sperrt und sie mit Fahrstuhlmusik Versionen der Hits ihrer Jugend quält. In dem der Kitsch und die Romantik nur Teil einer Vorhölle sind, die sich nur mit größter Anstrengung schönreden lässt. Der Film, der WILDE ERDBEEREN die Lebenslügen der Protagonisten nicht in traumhafter Schönheit präsentiert, sondern in ätzender Nichtigkeit.
Weil Willa und Bill auch die gleichen sind (W. Davis) und zusammengehören, lässt sich das eine von dem anderen nicht trennen. WHAT HAPPENS LATER ist ein melancholischer Yin-und-Yang-Film, der Alter, Scheitern und Hoffnung umarmt, weil so wie früher nie wieder werden kann.
Sonntag 19.05.
großartig
Muhammad Ali lehnt sich in die Seile des Boxrings in Kinshasa und lässt Weltmeister George Foreman auf sich einschlagen … bis Foreman, der bisher alle Schwergewichte nach wenigen Runden aus dem Ring prügelte, langsam erschöpft. Immer wieder fragt Ali seinen Gegner, ob das alles sei. Als Forman physisch und psychisch zu wanken beginnt, schlägt Ali zu. Gegen alle Erwartungen gewinnt der ehemalige, abgeschriebene Weltmeister den Rumble in the Jungle. Nicht mal seine Trainer wussten, was los war oder erahnten das Ali einen Plan folgen könnte. Durch die Mischung aus riesiger Überraschung und ungewöhnlicher, wie effektiver Taktik wird der Kampf schnell zur Legende. (Mein erster Kontakt mit dieser ist, wie mir mein Vater, wahrlich kein großer Boxfan, mit fast schon leuchtenden Augen davon erzählt.)
Michael Mann erzählt die Geschichte Alis von seinem ersten Weltmeisterschaftskampf gegen Sonny Liston bis zum besagten Triumph über Foreman, dem mutmaßlichen Höhepunkt seiner Karriere – die irrsinnige Abnutzungsschlacht des Thrilla in Manila gegen Joe Frazier zwei Jahre später bietet bei all seiner Qualitäten nicht den erzählerischen Bogen. Mann erzählt wie aus Cassius Clay Muhammad Ali wurde, wie Ali von den Vertretern seines Heimatlandes/dem FBI durch ein abgekarteten Plan für dreieinhalb Jahre vom Boxen ausgeschlossen wird, wie er sich zurückkämpft. Er zeigt, wie er seine Frauen kennenlernt und sie durch die nächste ersetzt, wie ihn die Nation of Islam solange als Aushängeschild benutzt, wie er Geld und Popularität einbringt, und wie sie ihn in seinen schweren Jahren fallen lässt, nur um zum Comeback wieder auf der Matte zu stehen. Er baut ein dichtes Zeitbild – die den Film eröffnende Montage aus Sam Cooke-Konzert, Splittern der Bürgerrechtsbewegung und Vorbereitung auf den Liston-Kampf, setzt den Ton – und verkürzt alles auf das Nötigste. (Die drei Jahre, in denen Ali vor seiner Sperre Weltmeister ist, werden ausgelassen, als wäre nach dem Rückkampf gegen Liston direkt Schluss gewesen.)
Vor allem zeigt er aber einen in sich gekehrten Erfolgsmenschen, der nur in der Öffentlichkeit zum sprachgewitzten Großmaul mutiert. Jemanden, der Frauen schweigend aus seinem Leben verschwinden lässt, nachdem sie für ihn schon lange nicht mehr von Interesse scheinen. Dem die Machenschaften der Nation of Islam bewusst sind, der sich aber trotzdem von ihnen vor den Karren spannen lässt, weil er so am sichersten profitiert. Jemanden, der sein Leben schweigsam in den Seilen lehnt, auf sich einschlagen lässt, bis er am längeren Hebel sitzt. Die Erfolgsgeschichte des charmant-eingebildeten Sprücheklopfers, der die Herzen der Menschen zu gewinnen weiß, bekommt eine seltsame, nie ausgesprochene Schlagseite, weil in seinem Schweigen auch ein kaltblütiger Opportunist erkennbar wird, der Frauen und Freunde (Mario Van Peebles als Malcolm X) hinter sich lässt, wenn sie seinem Erfolg im Weg stehen.
Will Smith passt als Muhammad Ali deshalb wie die Faust aufs Auge, obwohl er trotz aller aufgepumpter Muskeln nie ganz der Schrank ist. (Was der Film zu nutzen weiß, weil Smith in den entscheidenden Kämpfen stets nach Underdog aussieht, wie der Schmetterling, der wie eine Biene zu stechen weiß, der gegen urgewaltige Kanten und Goliaths antritt.) Das Zwielicht eines offenbaren Charismas und Charmes in denen aber etwas Düsteres lauert, verkörpert er schlicht wie kein anderer. Schon in seiner ersten Hauptrolle (SIX DEGREES OF SEPERATION) hatte er eben keinen Prinzen von Bel-Air gespielt, sondern einen Trickbetrüger, der sich ins Leben einer Kunsthändlerfamilie einschmeichelt … die ihn dafür lieben.
Sonnabend 18.05.
großartig –
Eine junge Frau (Sarah Jeffery als Daphne), die bisher von extremen Helikoptereltern von jeder Form von Realität beschützt wurde, und eine junge Frau (Sarah Gilman als Velma), die allein auf sich gestellt, den Niederlagen der Realität nichts als Einigelung entgegenzusetzen weiß, bilden ein unschlagbares Team, dass den Schrecken eines blinden Fortschrittsglaubens die Maske vom Gesicht reißt … bzw. einem Elon-Musk-Villain, der Ideen aus den Hirnen anderer Menschen saugt. Und ja, das ist ein Scooby-Doo-Prequel, dass durch Cast und Stil sowas wie Nickelodeon-(der Kindersender, nicht die frühen Stummfilme)-Kino darstellt … und trotzdem oder gerade, weil es das in Vollendung mit vergnügten Ideenreichtum ist, toll ist.
ok
Auf eine sehr lange Exposition – Boudica (Olga Kurylenko) wird von einem Schwert/Phallus zu ihrem Schicksal gezogen und von den unterdrückenden und indigene Bevölkerung Englands abschlachtenden römischen Besatzern zu diesem gedrängt – folgt etwas arg konturloses – dramaturgisch und inszenatorisch – Schlachtegtümmel, an dessen Ende ein überhasteter Märtyrertod wartet. Die Tugenden Johnsons blitzen auf, ein guter Film deutet sich an, aber am Ende wartet doch eher die Frage: Quo vadis, Jesse V. Johnson?
Freitag 17.05.
gut
Quasi die Fortsetzung und das Remake von LA DOLCE VITA. Ersteres weil Jep Gambardella (Toni Servillo) die alt gewordene Version von Marcello (Marcello Mastroianni) sein könnte, Zweiteres weil es sichtlich der gleiche aphoristische Film über die Verlorenheit in eitler Nichtigkeit ist wie bei Fellini. Nur fliegt zu Beginn keine Jesusstatue mehr durch die Luft. Stattdessen werden ein touristischer Tag in der Hitze der ewigen Stadt wird einer nächtlichen Megaparty inhaltlich wie ästhetisch zu zwei Seiten einer Medaille stilisiert. Bzw. macht Sorrentino eben mehr Quatsch mit uralten Nonnen und Vögeln. Im Großen und Ganzen ein ganz schöner, gefälliger Film.
ok
Ein High Concept-Film, der einen den saftigen (filmischen) Cheeseburger vorenthält, der im Film selbst doch die Rettung vor der High Concept-Küche ist. Zumindest der Cast, vor allem Anya Taylor-Joy, machen und haben Spaß.
Donnerstag 16.05.
fantastisch –
Vier diabolisch-bornierte Wissenschaftler (Howard Vernon, Jess Franco, Paul Muller & Ewa Strömberg) zerschlagen das Labor eines verrückten(?), mit Embryos experimentierenden Wissenschaftlers (Fred Williams), drängen ihn so aus seiner Karriere und damit in den Tod. Dessen Frau (Soledad Miranda), ihres paradiesischen Glücks beraubt, schwört Rache. Sie tötet die Vier nach und nach, die sie mit Sex und Perücken in Fallen lockt. Der Aufhänger ist supersimpel und erzählerisch bietet der Film kaum etwas, das über dieses Skelett hinausgeht – nur sowas wie Derrick (Horst Tappert), der unter falschem Namen in Spanien ermittelt und etwas dubiose Wertvorstellungen oder kaum Durchblick hat. Geschichten und Aufhänger sind aber Schall und Rauch, wenn die größte Qualität des Films darin besteht, sich Schall und Rauch zu widmen.
Statt also eine reale Welt zu durchschreiten, werden Fetzen aus Orten, Leuten, Gegenwärtigem, Gesagtem, Erlebtem, Geschehendem, Erinnertem und Traumata gesammelt. Der Film läuft größtenteils chronologisch ab. Nur an passenden Stellen werden Vergangenes und Erinnertes eingeworfen. Und doch wird unsere Wahrnehmung mit Eindrücken geflutet, die nicht am Bau einer greifbaren Wirklichkeit interessiert sind, sondern der Abbildung eines Bewusstseins erfüllt von Farben, poppigen Orten, Sex, Blut, Grauen und Obsessionen. (Muller und Francos wissen, wer ihnen wie nach dem Leben trachtet, und doch werden sie sich nicht wehren können, weil sie Mirandas Körper, ihren Augen, ihrem Willen verfallen sind.) Die Musik pendelt dabei zwischen psychedelischem Groove und atmosphärischen Stücken innerer Unfreiheit. Sie untermalt nicht das Gegebene, sondern bestimmt es, verschiebt es.
*****
1 Das Aufpoppen surrealer sozialer, auch sexueller Beklemmung in einer davor normal empfundenen Realität.
2 Ein Bewusstseinsstrom mit einer tiefsitzenden Obsession für nackte Körper, wobei Franco einen weiteren Blick hat als Joyce mit seinem Arsch-Fetisch.
Dienstag 14.05.
verstrahlt +
Größtenteils wird uns ein Ballett geboten, in dem Grabräuber, Journalisten (Yuen Biao) und taoistische Priester akrobatisch, wie grenzdebil versuchen, nicht von einem Ehepaar hüpfender Vampierzombies gebissen zu werden. Die Attraktion des ersten Teils wird also verengt und intensiviert – Yuen Biao spielt mit. Die beste Sequenz entsteht dadurch, dass eine Flasche mit einer zurückhaltenden Flüssigkeit umgestoßen wird und die hektische Slapstickverfolgungsjagd nun im Nebel der verdampfenden Lösung und in Zeitlupe abläuft. Es bleibt aber nicht bei der reinen Slapstickkomödie, schließlich kommt es aus Hongkong. Statt eines romantischen Einsprengsels gibt es auch das hüpfende Vampierzombiekind des Ehepaars, das menschenfreundlich sein Blut nur aus der Blutbank trinkt, das als E.T.-Variation im Kleiderschrank eines kleinen Mädchens landet und das den Film mit seiner glühenden, Leben bereichernden Freundschaft mit den Geschwistern und Freunden des Mädchens gen Kernschmelze treibt. Das Kino Steven Spielbergs wird gnadenlos kopiert, aber von Geschmack und Umsicht befreit. Und das Beste daran ist, dass die Mischung der beiden Stränge dramaturgisch nicht durchdacht ist, weshalb eine simple, aber sehr bizarre Komödie auf einen moralisch unauflösbaren Punkt hinausläuft – die alberne, keine Konsequenzen bedenkende Zerstörung vampirischen Lebens und die herzergreifende Freundschaft zu einem solchen Vampir treffen schließlich aufeinander. Der Schock ist förmlich zu spüren, der die Macher ergriffen haben muss, als sie erkannten, worauf ihr Film hinausläuft.
Sonntag 12.05.
großartig –
Die Schlachten, die Gefängnisse – Entgegen der Implikationen der Titel ist der Unterschied zwischen den beiden Teilen marginal. Beide könnten einfach Das Warten heißen. Jeanne (Sandrine Bonnaire) wartet darauf vorgelassen zu werden, ein Heer zu bekommen, auf die Schlachten, auf die Entscheidungen der Politik, auf ihre Auslieferung, auf ihren Prozess, auf ihre Hinrichtung. Von Beginn an sitzt sie so gesehen in einem Gefängnis. Handlungsunfähig kann sie nicht leisten, wozu sie sich berufen fühlt. Die zentrale Schlacht ist es für sie, dieses Warten auszuhalten.
Der doch vorhandene Unterschied liegt darin, dass Jeanne im ersten Teil in sich ruht – sie weiß, dass sie von Gott bestimmt ist –, während sie nach der Krönung ihres Königs (André Marcon) unsicher ist – Gott schweigt, wodurch sie nicht weiß, was sie machen soll, was für sie vorgesehen ist, worauf sie wartet. Hier das selige Warten in einer klaren Realität, dort der nagende Zweifel in einer Realität, die nicht mehr nur optisch karg ist. Beide Teile gleichen sich in Stil, Tempo und Dargestelltem, und doch zeigen sie etwas völlig anderes.
Zwei Linien folgen die Filme. Der Bogen: Der Anstieg zum verwirklichten Traum Jeannes (die Krönung, Macht) und der Abfall von diesem Höhepunkt. Der Anstieg: die beständige Bewegung Richtung Märtyrer Tod, dem eigentlichen, Gott gewollten(?) Ziel Jeannes – von dem sie nichts weiß, das ihr nicht offenbart wurde, das sie zu spät realisiert. Die 5 Stunden und 40 Minuten kulminieren in den letzten Sekunden, als Jeanne realisiert, wie es endet. Wenn das Warten schlussendlich doch noch zum herzzerreißenden Drama einer bitteren Erkenntnis wird. Rette sich wer kann, das Leben.
großartig –
Nach etwas mehr als einer halben Stunde beginnt die Krönung Karls VII. Ausladend sehen wir unzähligen symbolischen Handgriffe des Ritus. Zeremoniell werden Mützen abgenommen, zusammengefaltet und übergeben, sich hingekniet, sich hingelegt, die Finger getunkt, die Tunke auf Karls Stirn gestrichen, die Krone aufgesetzt, Zepter und Reichsapfel übergeben. Ellipsen geben dem Geschehen einen Rhythmus, da die Zwischenschritte ausgeblendet werden. Die Handlung schreitet langsam und gleichmäßig voran, doch durch die Auslassungen und mit ihnen durch die auftretenden Verschiebungen (wenn bspweise die Mütze plötzlich wieder das Haupt des Bischofs ziert, der sie doch gerade abgesetzt hatte) entsteht das Gefühl unablässiger Beginne. Der Hauch von Transzendenz macht aus dem Ernst des Spärlichem etwas Feierliches.
Nach der Zeremonie entschuldigt sich ein Organisator, dass diese wenig eindrucksvoll, weil nur auf die Schnelle zusammengeschustert war. Dabei wirkte es, als wäre jeder Griff Teil eines streng eingehaltenen, klar definierten Vorgehens. Ein entscheidender Schritt in der Geschichte Frankreichs ist bei Rivette einfach nur der Versuch, etwas Bedeutendes nicht banal aussehen zu lassen. Noch der kleinste Griff soll symbolisch ausgeführt mit Bedeutung gefüllt werden. Nur tut Rivette den Teufel dies inszenatorisch zu unterstützen. Er lässt die Krönung auflaufen und zeigt lediglich sehr weltliche Menschen, die zufällige Dinge tun. Schmucklos, in langen Einstellungen passiert nichts glorioses, sondern pompös vollzogene Nichtigkeit.
Die Antriebsfeder der Filme Rivette ist der Widerspruch zwischen einer banalen, unnachgiebigen, Wirklichkeit – lange Einstellungen, arbiträres Geschehen – und Verschwörungen, Paranoia, Grusel, Schicksal und Spiel, die dieses widerständige, karge Sein mit Sinn erfüllen. Einem Sinn, der stets prekär bleibt, wenn er nicht krachend zusammenbricht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen – zwei Ritter wollen sich nachts an dem größenwahnsinnigen Bauern-mädchen verlustieren, trauen sich aber schlussendlich nicht und glauben danach umso inniger an ihren Auftrag, während Jeanne später in englischer Gefangenschaft gezwungen wird, erstmals im Film die feminine Kleidung zu tragen, worauf umgehend sexuelle Gewalt auf sie einbricht – wird vermieden uns Sinn zu bieten. Weder gibt es Beweise für göttliche Aufträge, noch irgendeinen Versuch zu erklären, wie eine Frau in einer sexistischen Welt es schafft die entscheidende Wende im Hundertjährigen Krieg zu bringen oder ob sie überhaupt Einfluss hatte. (Vor den Stadtmauern von Paris wirkt sie als wäre sie in einer kruden, pointenfreien Version von MONTY PYTHON AND THE HOLY GRAIL gelandet.) Sinn bleibt durchgängig nur Behauptung. Etwas woran die Leute im Film zwar glauben, das aber keinen Widerhall im Gezeigten erfährt. Der Zuschauer wird zum Saulus gemacht, der Paulus von seinen heiligen Taten künden hört, diese aber nicht als solche erkennen kann.
JEANNE LA PUCELLE ist so der knäckebrotigste, am wenigsten verspielte Film Rivettes, aber vll. sein bitterster. Sandrine Bonnaire lächelt zuweilen ihr strahlendes, einnehmendes Lächeln. Die Ahnung, wie schön es wäre, an etwas zu glauben und/oder sich freuen zu können, steckt darin. Grund zur Freude und Hoffnung sind aber Eingriffe des Zuschauers, der Sinn auf ein sinnvoll sinnloses Geschehen oktroyiert.
Sonnabend 11.05.
uff
Eine Doppelfolge der Paw Patrol – keine der vier enthaltenen Geschichten hat etwas mit Ostern zu tun – in einem leeren Kino. Ein Mittag, der wenig erfreulich hätte sein können, aber ich saß auf einem Kuschelsitz mit einer kuschligen Lotti Z. (8 Jahre, die weniger Paw Patrol sehen, als ins Kino gehen wollte), weshalb alles schön war.
großartig
Im Gegensatz zu THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER ist dieser Robin Hood-Film ein ziemlich einfaches Vergnügen. Ein Hauch von Tragik zwischen kurzen Episoden voller Streiche und Barschläge-reien, die in einer phantastischen Vergangenheit verortet sind. Dieser Abenteuerfilm funktioniert über seine sensationellen Figuren – dieser Bruder Tuck (James Hayter) ist auf ewig der Beste – und kleinen effektiven Einfällen, wie Pfeile mit Pfeifen, die ihren Flug akustisch unterstreichen. Am liebsten würde ich einen größeren Kommentar schreiben wie zu Greenaways Film. Hier war ich aber vor allem am Genießen, statt dass ich mit mir debattiere. Argumente müsste ich also erst einmal suchen, statt sie schon parat zu haben.
großartig –
In der Mitte verliert sich der Drive des ans Durchgeknallte grenzende Blockbusterkino etwas. Mit der Figur von Azeem (Morgan Freeman) wird etwas viel ernste Toleranzbemühungen betrieben, statt den mittelalterlichen Engländern weiterhin fröhlich unter die Nase zu reiben, was für rückständige Barbaren sie sind. Oder wenn Robins (Kevin Costner) Verhältnisse zu Marien (Mary Elizabeth Mastrantonio) sowie Will Scarlett (Christian Slater) sich etwas steif um Edelmut und Drama bemühen. Sobald der Film aber seinen adynamischen Tendenzen zu sehr nachgibt, taucht doch wieder der Sheriff von Nottingham auf … und damit Hexen, Sex und die große Show Alan Rickmans, der seinen wilden, frustrierten, düster-schalkhaften Missetäter ausgiebig genießt.
Freitag 10.05.
großartig –
Bietet Kevin Reynolds Robin Hood-Film aus dem gleichen Jahr einen kontemporären epischen Abenteuerfilm mit einem gewissen Maß an Seltsamkeit, versucht sich John Irvin an einer Aktualisierung klassischer Swashbuckler … mit diversen Seltsamkeiten. Hauptdarsteller Patrick Bergin hat dabei ständig ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, wenn er seinen Widersachern Schnippchen schlägt und sich durch das grobe Gestrüpp einer Erzählung schlägt, die ihn an die zentralen Orte eines Robin-Hood-Films bringt – die Auseinandersetzung bzgl. einer Flussüberquerung, bei der er Little John (David Morrissey) kennenlernt bspweise – und mit seinen bekannten Mitstreitern vereint – Bruder Tuck (Jeff Nuttall) bspweise. Gerahmt wird es von einer nebligen Natur, in die die Zivilisation per Treibjagd auf einen Menschen einbricht, und einer sonnigen Natur, die schlagartig die Trübnis ersetzt, sobald der normannische Adel (Jürgen Prochnow) und dessen Verbündete geschlagen sind. Dazwischen ein Hofnarr, der sich über alle Tragik einen Ast lacht.
Donnerstag 09.05.
großartig –
Auf moviepilot wurde meinem Text zu THE FALL GUY vorgeworfen, dass er das Werk eines semiprofessionellen Filmkritikers sei, der unkritisch ins Kino locken wöllte. Ich nehme dieses Lob an und mache hier gleich weiter.
Mittwoch 08.05.
großartig
Die Gemälde, die Details, die Snobs & das Vulgäre.
1. In REMBRANDT’S J’ACCUSE* arbeitet Greenaway eine Verschwörungs-theorie heraus, wonach Rembrandts DIE NACHTWACHE eine verklausulierte Anklageschrift sei. Die im Vordergrund abgebildeten Frans Banninck Cocq und Willem van Ruytenburch seien Mörder. Detail für Detail – der kindliche Engel, der dunkle Junge/kleiner Mann links von Cocq, der im Schatten kaum sichtlich, aber Mitten im Bild eine Muskete abfeuert, Kleidung, Ausrüstung uswusf. – geht der im Bild eingefügter Talking Head Greenaway das Gemälde durch und zeigt, was dies alles bedeuten könnte. Kunstgeschichte macht er zum Paranoiathriller.
In THE COOK, THE THIEF, HIS WIFE AND HER LOVER hängt ein anderes Gemälde prominent an der Wand des Handlungsorts, eines Restaurants: FESTMAHL DER OFFIZIERE DER SANKT-GEORGS-SCHÜTZENGILDE vvon Frans Hals dem Älteren aus dem Jahr 1616. Also wieder das Bild eines niederländischen Meisters, der eine Schutterij porträtiert. Der Abspann läuft ebenfalls über dieses Gemälde, nur dass es bis auf drei Köpfe, die von Hugo Mattheusz Steyn, Pieter Adriaensz Verbeek und dem Kellner hinter ihnen, abgedunkelt ist.
2. Google und Wiki liefern zu den Namen dieser so Herausgestellten nur allgemeine Informationen. Wären sie nicht von Frans Hals porträtiert worden, wäre wahrscheinlich gar nichts mehr über sie zu erfahren. (Auch Cocq und Ruytenburch sind bei Google und Wiki auch nicht mehr als reiche Milizionäre aus grauer Vorzeit. Von Mord keine Rede.) Greenaways Film selbst erzählt von einem Gangsterboss, der mit seinen Offizieren jeden Tag in demselben Nobelrestaurant speist, Leute schikaniert und lauthals über Speisen und Kultur blökt, womit er nur unterstreicht, wie kulturlos und vulgär er ist. Ein Gleichnis über die 1989 zu Ende gehenden Amtszeit von Margaret Thatcher wurde u.a. in Greenaways Film gelesen. Wer waren aber diese Miliz-Offiziere? Was verbindet sie mit Spica (oder mit Thatcher)? Fragen, die mich durchaus interessieren, nur fehlen mir die Details. Historisch wie kunstgeschichtlich. Sicherlich könnte ich Bibliotheken durchforsten und rote Fäden über eine Wand voll Notizen und Bildern ziehen, aber leider bin ich nicht obsessiv genug.
3. Thatcher beiseitegelassen herrscht eine eklatante, niederträchtige Gegenüberstellung vor. Auf der einen Seite die noblen Menschen, die Bücher lesen, die sich ruhig und gesittet verhalten, die feine Geschmacksknospen haben – an ihrer Seite befinden sich die Leute, die ihnen dienen und die eben darin ihre Kunst sehen. Auf der anderen Seite steht alles, was unter und neben diesen edlen Gästen des Restaurants kreucht und fleucht, für Barbarei und gehört zur Welt Albert Spicas. Der Snobismus des Films ist nicht unterschwellig, sondern fest in diesem eingewoben.
Passend dazu kam eine ältere Dame nach dem Film zu einem der Veranstalter und meinte mit glasigen Augen, dass er bei der Einführung mehr über den Regisseur hätte erzählen sollen. Denn dieser sei ein großer Künstler, und viel gäbe es über ihn zusagen, was den Film bereichert hätte. Der Film hätte als Kunstwerk noch mehr glänzen können. Ob sie in einem Film wie AMERICAN FLYERS (der auch Teil der Filmreihe war) das große Kunstwerk und in einem Regisseur wie John Badham den großen Künstler erkennen wöllte, mag ich zu bezweifeln. Ich mutmaße, vll. auch niederträchtiger Weise, dass sie dafür zu nobel ist, gibt es dort ja keine Gemälde, keine Bücher, sondern Kevin Costners Hintern (aka der DAVID Michelangelos des kleinen Mannes).
4. Aber naja. Zu den Kostümen von Jean Paul Gaultier und der rauschhaften Farbdramaturgie kann ich ebenso wenig nein sagen, wie zu Büchern und Kunstgeschichte. Der Film sieht teilweise aus, als fahre die Kamera durch eine Theaterbühne, in der Motive von Gemälden des niederländischen Goldenen Zeitalters oder der Renaissance surreal ineinandergreifen … als wäre es ein bewegtes symbolistisches Gemälde. Darin finden sich: verrottende LKW-Ladungen Fleisch und Fisch; nackte Männer und Frauen, die in einem dieser LKWs vor Spica fliehen müssen; Kannibalismus; exotisches Essen; dicke, schweißige Körper; Sex in Toiletten; vulgäres Gekläffe; gorige Gewalt; auf nackte Haut geschmierte Hundekacke; Griffe an Körper, gewollt und ungewollt; uswusf. Der Film ist also äußerst sinnlich, schön … und auf seine Weise ist er drastischem Horrorkino nicht ganz unähnlich. So ist es eben auch schön, wenn sich Snobs in diesem Save Space kultureller Wertigkeit dann doch ins Gekröse und die (eigene) Fäulnis werfen können.
*****
* Es handelt sich um den Bonus zu NIGHTWATCHING, in dem Greenaway die Entstehung des Gemäldes fiktionalisiert und den ich noch nicht kenne.
Dienstag 07.05.
gut +
Junge Frau und junger Mann verlieben sich. Zumindest sie will es sich aber nicht sofort eingestehen – damit der Film Unsinn mit ihnen anstellen kann … mit Fight Clubs, in denen noch die härtesten Schläge die schönen Körper nicht beflecken, mit Poker, Vegas und Gangstern … und mit jungen Leuten, die so sehr nach der perfekten Oberfläche trachten, dass sie zu Karikaturen werden. Und Kumble schafft es, nur aus Klischees, gelecktem Äußeren, Klamauk und Lust einen aufrichtigen, menschlichen Film zu machen.
Montag 06.05.
großartig
Mit den Interviewsequenzen zu Beginn und Ende rekurriert Kumble sichtlich auf WHEN HARRY MET SALLY. Nur gleicht die RomCom dazwischen hier einer grellen Variety-Show mit selbstbestimmten, sexuell aktiven Frauen, die sich nur unter größten Widerstand dem Primat der Liebe beugen. Mit Gross-out abgeschmeckt und auf das Diktat scheißend, objektive Realität widerspiegeln zu müssen, entsteht der schöne Film.
Sonnabend 04.05.
großartig
Der schön schräge, expressive Traum über Fabulierkunst gegen eine graue Realität. Kunst als gepimpte Wirklichkeit.
fantastisch –
Wie der Titel sagt, haben die Kinder von Marx und Coca-Cola bei Godard eine klare geschlechtliche Ausprägung. Die jungen Männer (u.a. Jean-Pierre Léaud als Paul) sind kommunistische Revolutionäre, die sich flippig und aufmüpfig durch eine zu überwindende Gegenwart kämpfen und um weibliche Zuneigung ringen. Die Frauen hingegen stehen im Jetzt, nehmen das ihnen Gegebene hin und machen das Beste daraus. Das Aufeinandertreffen der Geschlechter ist deshalb auch nicht immer angenehm. Am brutalsten im Kapitel Dialog mit einem Konsumprodukt, einer langen Einstellung, in der eine junge Frau zu Politik und ihren Werten ausgefragt bis in die Enge getrieben wird. Sie soll eben als Produkt der Konsumgesellschaft überführt werden. Gegen Ende des Films lässt Godard sein Double Paul (Léaud), der das Interview für ein Meinungsforschungsinstitut durchführte, zwar anmerken, dass seine Methoden keine aufrichtigen Antworten nach sich ziehen würden und dass sein Blick (auf die Frauen) verstellt war. Er lässt ihn aber auch sterben, weil er als tragischer Held, als Ausdruck von Selbsthass und als melancholisches Ende Godard scheinbar mehr bringt, als wenn er sich sich stellen und mit sich ansatzweise so kritisch verfahren würde, wie mit dem sogenannten Konsumprodukt.
Ob Godard es wusste oder nicht, dies ist aber gerade keine Heldengeschichte, sondern ein sich überschlagendes, schelmisches Essay über Männer, die attraktiv sein wollen und sich dafür der damals herumliegenden Slogans bedienen, um tieferen Sinn in sich zu behaupten. Ein Essay über die Dysfunktionalität eines solchen Kommunikationsansatzes. In JLG/JLG wird sich Godard selbst als kauzigen Eigenbrötler inszenieren, der von Zeit und der Welt vergessen am See steht, aber schon hier setzt er sich ein Denkmal, das wie eine zu nah am Meer gebauten Strandburg immer wieder zusammenfällt. Woran es liegt, er kann den Finger nicht genau darauflegen, er ringt damit. Das Schöne daran ist, wie wenig selbstmitleidig er es macht, sondern alle Brüche missachtend weitermacht und die Burg mit immer einzigartigen, seltsamen, verspielten und verräterischen Zügen versucht, zum Halten zu bringen
Und die Frauen wehren sich vor allem in Form der sensationellen Chansons von Chantal Goya gegen die Abschreibung von Seiten des Films, von Seiten der Männer. Laisse-moi.
großartig +
Es folgt die Revision des STB-Eintrags von vor acht Jahren:
Mit diesem Film begann ein kurzer Boom von Jiangshi-Filmen. Jiangshi sind Verstorbene, die mit so viel Hass im Bauch starben, dass sie untot weiterleben, sich hüpfend fortbewegen und wie Vampire Menschen mit ihrem Biss zu Jiangshi machen. Da wir uns mitten in der Hochphase des Hongkongkinos befinden, gibt es Albernheiten en gros. Jede Peinlichkeit wird mit Wonne mitgenommen. Die Gehilfen eines taoistischen Mönchs – am ehesten die Hauptfiguren – sind selbstredend trottelig. Damen verwechseln sie mit einer Prostituierten. Tote werden unter Bann wie Puppen verwendet. Genüsslich piken spitze Dinge in den Podex der Leute. Nonstop Nonsens eben. Voll Schleim und atemberaubendem Kung Fu. MR. VAMPIRE ist aber nicht deshalb ein Paradebeispiel dafür, was die Filme aus Hongkong ausmacht, sondern weil nichts am Schnürchen läuft. Jeder Umweg wird mitgenommen, egal wieviel Sinn er in Bezug auf den Plot ergibt. Und so findet sich hier zwischen unrundem Klamauk und abstrusen Kämpfen eine hineingehauchte Liebesgeschichte. Die Geschichte eines weiblichen Geistes, der (aus Liebe) einen der Gehilfen verführt, der aber von dessen Lehrer bekämpft wird. Es bricht einem das Herz, dass er nur das böse Phantom erkennen kann. Es ist tragisch, emotional und lediglich eine Skizze, die das Chaos bereichern soll.
Freitag 03.05.
ok +
Dass der geschmacklose Anarchismus final dann doch einen zwischenmenschlichen Grund bekommt und moralisch und für das Gute im Menschen legitimiert wird, ist nicht so störend wie der Umstand, dass sich das Geschmacklose von Beginn weg nicht sehr anarchistisch anfühlt, sondern wie eine kalkulierte und wenig phantasievolle Aneinanderreihung von Gross-out-Momenten, die sehr viel über Verklemmtheit – vor und hinter der Kamera und der Leinwand – erzählen kann. Nur Lust an Geschmacklosem herrscht kaum.
ok +
Teil der Affäre eines unerfahrenen Siebzehnjährigen (Timothée Chalamet) und dem weltgewandten Forschungsassistenten (Armie Hammer) seines Vaters ist ein Pfirsich. Der wird liebkost, gefickt, ausgesaugt und ist ein polymorphes Ding zwischen Lust, Abgeklärtheit und Scham. Kurz vereint der Film mit ihm Coming-of-Age, Tragik und Flutschigkeit. Ansonsten herrscht Sonnenschein. Bücher werden im entspannten Ambiente eines traumhaften Sommers gelesen. Alle sprechen mehrere Sprachen, sind gebildet und schön. Geschmackvoll läuft eine tragische Liebesgeschichte ab … deren emotionaler Kern vll. gar nicht so sehr zwischen den Liebenden liegt, sondern zwischen dem Jungen und seinen Eltern bzw. seinem Vater, der ihm hochemotional Absolution für sein Schwulsein erteilt. Es ist schon sehr schön anzusehen, aber auch wenig mehr als schön.
Donnerstag 02.05.
großartig –
Wie Leitch irgendwann seine Hudson Hawk-Hommage vergisst und Colt Seavers‘ vergeblichen Wunsch nach einer Tasse Kaffee nicht mehr aufgreift, habe ich das im Text bei critic.de vergessen zu erwähnen, obwohl es eigentlich ganz stimmig ist, wie ich finde.
Mittwoch 01.05.
ok –
Ein trister Auktionator, ein Mann mit einer riesigen Spieldosensammlung, ein Kind alleine mit einer skrupellosen Person, mehrfaches Eindringen in Holmes Wohnung: aus diversen dieser Einzelteile hätte etwas gemacht werden können. Stattdessen eben Holmes, der angestrengt Rätsel löst und alles andere an den Rand drängt. Ein passender Abschluss der Reihe, leider.
April
Dienstag 30.04.
großartig –
Einerseits das Melodrama eines It-Girls, das an den ewigen Partys zugrunde geht, das erst kurz vor ihrem Tod zur Ruhe kommt und ihren Frieden mit sich und der Welt macht. Andererseits ein Film, bei dem es scheint, dass sich gleich begraben werden kann, wenn nur noch in Liebe und Weltverständnis aufgegangen wird – so sehr bricht der Rausch der Gefühle immer wieder in verstrahlte Biederkeit ein. Auf jeden Fall ein Werk, das von einigen Schattenspielen und expressiv eingesetzten Räumen und Kostümen abgesehen – am Höhepunkt ihrer Selbstzerstörung trägt Bette Davis ein enges Kleid, dass die Größe ihrer Brüste betont, weil Sex selbstredend Teil des Abgrundes ist – seinen Schauspielern und vor allem seiner Hauptdarstellerin die Bühne gibt, um so richtig in Wortkaskaden, Selbstgerechtigkeit und Manie aufzugehen und ihre Version einer zufriedenen Sterbenden zu performen – was für Davis heißt, dass sie zu schielen beginnt.
Montag 29.04.
gut –
Ein Zug gefüllt mit unterschiedlichsten Verdächtigen, das Ableben eines Sohnes, das die Mutter nicht tangiert, weil: der Diebstahl eines riesigen Diamanten, der eine Blutspur hinter sich herzieht, die tapsige Unbeholfenheit des tiefbegabten Dr. Watson, die Überheblichkeit eines Detektives, der alles durchschaut, aber nichts versteht, ein erster Offizier Moriartys, der gejagt werden muss, aber eigentlich nur auftaucht, um Fallhöhe und Bedeutsamkeit vorzutäuschen. Viel Schönes gibt es, aber sobald sich Holmes fokussiert und der Film seinem Blick folgt, verschwinden die Nebenschauplätze, das Beste.
Sonntag 28.04.
großartig –
Irgendwas ist immer. Der eine ist hochbegabt und muss sich dafür mit Ängsten herumschlagen. Der andere ist tiefbegabt und braucht diverse volldiktierte Kassetten, die ihm sich gerade so zurechtfinden lassen. Der Film zeigt die Rettung des Verkopften durch die Naivität des anderen aus dem dunklen Keller seiner Gedanken/eines Entführers in Form eines quirligen Kinderabenteuerthrillers, der immer wieder darin endet, dass ich meiner Tochter schwierige Fragen – über Brustimplantate oder die Logik von Entführungen bsp-weise – beantworten musste. Ergo: ein moderner Klassiker.
großartig +
Mit Mike Faist und Josh O’Connor bekommt selbst Luca Guadagnino etwas hin. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 27.04.
gut +
Die Mehrzahl des Titels ergibt sich nicht, weil neben Dillinger auch Baby Face Nelson (Stephen Graham) und Pretty Boy Floyd (Channing Tatum – wie Carey Mulligan mit einem Miniauftritt) eine Rolle spielen, sondern die Gegenseite ebenso wie ein Volksfeind erscheint. J. Edgar Hoover räumt nicht nur mit dem korrupten, ineffizienten FBI auf, sondern baut seine unabhängige Macht auf … mit Melvin Purvis (Christian Bale), dem Jäger Dillingers, als Erfüllungsgehilfen. Das Volk steht zwischen schießwütigen Möchtegern Robin Hoods und einer sich rationalisierenden Staatsmacht, die für das Geld und die eigene Herrschaft arbeitet, aber nicht für den Bürger.
So gesehen erhalten wir quasi Manns Peckinpah-Film, in dem ein romantischer Held erkennen muss, dass seine Zeit vorbei ist und dass er nicht mehr für seine Frau da sein kann – es ist seine schlimmste Demütigung. Anders als bei Peckinpah ist es aber keine eruptive, emotionale Erkenntnis, sondern ein kaltes, überdrüssiges Gleiten zum Abgrund, ständig um Erfolg und das eigene Überleben besorgt, voller Strategien und Pläne, nur um sich nicht sich selbst stellen zu müssen. John Dillinger (Johnny Depp) sieht zuweilen in den verwischenden Digitalbildern aus, als wäre er eine fremde Entität in der Wirklichkeit. Und vll. muss ich ihn nochmal gucken, aber im Gegensatz zum ähnlich gelagerten MIAMI VICE empfand ich das etwas selbstgefällig und schleppend in dieser melancholischen Kälte.
Freitag 26.04.
gut –
Quasi das Gegenstück zum später am Tag folgenden MEN: ein aus der Hüfte geschossenes kleines Stück Date-Rape-Komödie, in der Frauen mit Chloroform betäubt werden, damit sie geküsst werden können, der Schwiegervater auch, damit er es nicht mitbekommt, oder vermeintliche Frauen entführt werden, damit sie gegen ihren Willen geheiratet werden können. Mindestens witziger und unangenehmer als Garlands Film.
gut
In der Inhaltsangabe des Wikipedia-Artikels zu diesem Film über Diebe, illegale Wetten, Ruin und untreue Ehemänner steht u.a.: She asks what he specializes in and he gestures the poking of holes. Und damit ist eigentlich alles zu diesem Qualitätsprodukt gesagt.
nichtssagend
Ein paar optische Einfälle und Bodyhorrorideen sind schon ganz toll, aber die Liebe zum eigenen Konzept raubt dem Film die Luft. Eine Frau (Jessie Buck-ley) geht nach dem Selbstmord ihres besitzergreifenden Mannes, der sie mit der Androhung dieser Tat zum Bleiben in der Ehe erpressen wollte, in ein abgelegenes Dorf, um Abstand zu gewinnen. Dort findet sie aber Männer. Alle Dorfbewohner werden von ein und demselben Schauspieler (Rory Kinnear) in verschiedenen Verkleidungen und CGI-Verfremdungen dargestellt, und ebenso sind alle auf ihre Weise übergriffig und toxisch. Männer sind also ihr Problem, die sich sowieso alle gleichen. Schnell ist klar, was los ist, vorauf es hinausläuft und was das alles soll. Es hat wie gesagt seine Momente, ist auch schön zu gucken, aber die Selbstverliebtheit in ein pflichtschuldig aufgebautes Konzept macht aus dem Film schon eine Parodie des Elevated Horror.
Donnerstag 25.04.
gut –
Ishii hat sichtlich Spaß daran, kleine Gore- und Sadomaso-Miniaturen zu ent-werfen, seine Schauspieler kunstvoll durch bunte Kulissen laufen und Frauen mit Don Ed Hardy-Tattoos verzieren zu lassen. Dazu noch etwas Drag-Klamauk. Nur sah er sich leider gezwungen, eine Geschichte zu erzählen. Das Melodrama um Männer, die ihr Territorium auf der Haut von Frauen markieren und die in diesen nach Sex und, sobald sie unreine Haut haben, nur noch Wegwerfprodukte sehen, ist ohne Lust an den eigenen Fetisch gepappt.
Mittwoch 24.04.
großartig +
Lindas Psychologe empfiehlt ihr, sich einen neuen Freund zu suchen. Der aktuelle befriedige sie ja nicht. Es folgt das Tauchen des großen Zehs in den Brunnen der lesbischen Liebe … in Form von Bram Stokers DRACULA als bunten wie spröd-psychedelischen Tagtraum von blutsaugenden Grafinnen in türkischen Inselvillen und von Irrenanstaltinhabern, die sich um die Opfer der lesbischen Liebe kümmern, weil sie am liebsten auch ein Vampir (eine Regelblut schlürfende Frau?) sein wollen. Guter Sex macht verrückt, lässt einen aber auch in eine schöne, irreale Welt gleiten. Ein Drachen steigt immer wieder am blauen Himmel, Impressionen von Badestränden, exotischen Orten, wunderschöne Wohnräume, die nicht vom ebenso immer wieder gezeigten Skorpion bedroht sind, der eher als Versprechen eines süßen Gifts auftritt, sondern von den biederen Anstalts- und Arbeitsräumen.
Dienstag 23.04.
verstrahlt +
Tschaikowskys Musik träumt … von intensiven Gefühlen und einer schönen, harmonischen Welt. So legt Russells Film mehrmals nahe. Beispielsweise wenn Nadedja von Meck (Izabella Telezynska) ihr leeres, Libido loses Leben mit dieser Musik füllt, um wieder etwas zu spüren. Oder wenn die Musik, wie so oft bei Russell, zu musikvideoartigen Traumsequenzen führt. Mehr denn je sind es die Träume der Hörenden im Film und nicht die des Films bzw. Filmemachers. Diese, Film wie Filmemacher, führen stattdessen einen makabren, gemeinen, geschmacklosen Großangriff auf diese propagierte elysische Natur von Tschaikowskys Musik. Als wolle Russell dem Traum die Maske vom Gesicht reißen, um dort Dreck, Maden, Niedertracht, Wahnsinn und Verzweiflung an den inneren Wiedersprüchen zu finden.
Es beginnt mit simpler, uneingeschränkter Harmonie. Tschaikowsky (Richard Chamberlain) fährt mit seinem Liebhaber Graf Chiluvsky (Christopher Gable) Schlitten in einem russischen Märchenland. Lachen und Glück. Es folgt die Uraufführung seines 1. Klavierkonzertes. Das Orchester spielt Verträumtes, Tschaikowsky hackt die Emotionen breit in sein Klavier. Romantik und Punkrock treffen aufeinander, der frühe Bruch im Film. Darauf folgen Parallelwelten, House Invasions, die Träume einer normalen Liebe, deren freudsches, fiebriges Zerplatzen und eine von George Grosz entworfene Realität aus käuflichen Sex, Krankheit und Niedergang.
Tschaikowsky wünscht sich, eine heterosexuelle Ehe führen zu können, damit die Gerüchte verstummen, die Karriere vorangeht und alles einfach schön ist. Mit Nina (Glenda Jackson) erträumt er sich eine glühende Zukunft, aber Sex mit der fordernden Frau haben zu müssen, treibt ihn in den Wahnsinn … und der Film hat größte Lust, dieses Verrücktwerden an der nackten Frau zum Rausch der Verzweiflung zu machen. Nina hingegen ist ein fragiler Trampel, der keine Unze Elysium in sich trägt. Sie ist das Produkt von konstanter Vernachlässigung, Ausbeutung, Missbrauch und fehlgeleiteten Träumen. Während Tschaikowsky sich in seinen Traum/Wahn einer neuen Mutter-Sohn-Beziehung mit Nadedja von Meck aus der Ehe zurückzieht, verzweifelt sie und wird von ihrer Mutter solange prostituiert, bis sie – parallel zu Tschaikowskys verbrennen in seinem Traum – ihre brutale Realität/Realitätsflucht im Irrenhaus endet.
Herrscht ab Russells Mahler-Film die aufgesetzte Maske des Pop-Art-Bürger-schrecks vor, ist THE MUSIC LOVERS noch ein bitteres, verleumderisches, wunderschönes und derbes Stück Musikerbiographie. Eins der Highlights seiner Karriere, dass vll. schwer zu mögen ist, aber sehr intensiv zu erleben.
Montag 22.04.
gut –
Während eines Vortrags zeigt Godard dem Publikum zwei Bilder aus HIS GIRL FRIDAY. Das eine zeigt Cary Grant, das andere Rosalind Russell. Beide telefonieren miteinander. Sie sind gespiegelte Versionen voneinander. Grant guckt nach rechts, Russell nach links. Er ist Mann, sie Frau. Er hat ein altes Telefon, sie ein neueres. Uswusf. Ohne Schuss und Gegenschuss sei das Hollywoodkino nicht denkbar. Mit diesen Bildern also, die Aktion und Reaktion, aber auch das Gleiche zeigen.
Schuss und Gegenschuss also. Mit diesem Konzept lassen sich zuallererst auch die Filme Godards selbst beschreiben. Die Brosamen von Zeugs, mit denen er um sich wirft, statt sie auf einer roten Linie aufzureihen, sind anregend – nicht umsonst wird dieser Text hier etwas länger als die Norm werden. Und meist sind sie wunderschön anzusehen und anzuhören. Gleichzeitig schleppen sie sich aber, und bei allen faszinierenden Gedanken und Ideen sind sie oft auch ziemlich doof und hanebüchen. Beides sind sie aber gleichzeitig. Nicht das Eine trotz des Anderen, sondern: die sehr eigene Schönheit bedingt die Doofheit, wie die sehr eigene Doofheit auch die Schönheit bedingt.
Schuss und Gegenschuss jedenfalls. NOTRE MUSICQUE ist von Dichotomien bestimmt: Vergangenheit vs. Zukunft; die Opfer vs. die Täter; die Schreibenden/Poeten, die nichts davon verstehen, worüber sie schreiben, vs. die Handelnden, die nicht ausdrücken können, was sie da machen; die Menschlichen, die Bibliotheken bauen, statt Revolutionen zu starten und auf Friedhöfen enden, vs. die Unmenschen, die Revolutionäre – die nicht nur auf Friedhöfen enden, sondern diese auch befüllen.
Den Leuten im Film selbst lassen sich diesen Begrifflichkeiten kaum zuordnen. Sie sind Gefangene zwischen den Polen. Am deutlichsten bei Godard: Mit Blick auf ihn erhalten wir den schmerzvollen Film eines Filmemachers, der sein 1968 noch nicht überwunden hat. Eines Filmemachers, der gerne wirken möchte, der gerne zu den Handelnden gehören möchte, der aber mit den Mitteln der Poesie arbeitet. Spürbar versucht er die Dichotomien aufzuheben, vermeidet die Verwendung von Schuss und Gegenschuss – und wenn er doch darauf zurückgreift, dann nicht so wie Howard Hawks es machen würde. Gerne wäre er ein revolutionärer Poet, was aber – die Erfahrung zeigte es ihm immer wieder – ins Leere läuft. Scheiternd und fröhlich, trotzig und verletzt inszeniert er sich mit und in seinen Filmen also als Faktotum der Filmwelt.
Statt Schuss und Gegenschuss, statt einer Montage von Bildern des zerstörten Sarajevos und von Indianern befinden sich also beide in einem Bild, weil:
– nach dem Bürgerkrieg Strukturen geschaffen werden müssen, die das Land in die Zukunft führen – denn sonst macht einen die Zeit zur Vergangenheit.
– die Welt grausam ist und Blumengärten und Bibliotheken sie zwar schöner machen, einem aber nur bedingt helfen.
– palästinensische Araber wie Indianer und Vietnam Opfer von Aggressoren sind, die sie auslöschen wollen.
– weil Godard keine Scham in seinem tiefsinnigen Klamauk kennt und alles ineinanderschiebt, was es ihm wert erscheint, selbst wenn es im Grunde der Werbung gleicht, in der ein Indianer am Straßenrand steht und ihm eine Träne die Wange herunterläuft, weil jemand Müll aus dem Autofenster warf.
Das für Godard wohl zentrale Schuss-Gegenschuss-Duo, dass er bei seinem Vortag in die Kamera hält, zeigt einmal Juden, die 1947 in Palästina an Land gehen, um Teil der Gründung von Israel zu sein, und dann Araber, die ins Wasser getrieben werden, weil sie, die Ureinwohner, von den Neuankömmlingen vertrieben werden … oder so ähnlich. Auf jeden Fall sei die Gründung Israels nach seiner Schuss-Gegenschuss-Theorie gleichbedeutend mit der beginnenden Auslöschung arabischen Lebens in Palästina. Ein fragwürdiger Kurzschluss. Wohl leider unbeabsichtigt, zeigt sich bei einem Interview im Dunstkreis dieses Paares etwas Zentrales über den Nahostkonflikt. In dem Interview spricht Mahmoud Darwish vom glücklichen Umstand, dass Israel der Widersacher der Palästinenser sei, weil sich die ganze Welt für Israel interessiere – wodurch erst möglich wird, dass sich überhaupt jemand für Palästina interessiert. Das Perverse der Situation, dass Israel mit einem Brennglas beobachtet und von allen Seiten – innen und außen – kritisiert wird, während die andere eben nur so mitläuft, wird ausgesprochen, ohne sich klar zu machen, was da gesagt wird. Bei Godard wird daraus, dass Israel einen Gründungsmythos habe – den Holocaust und die Folge – und es deshalb einfach habe, weil sie sich im Reich der Fiktion bewegen, wo alles klar ist. Während Gaza und die West Bank nichts haben, weshalb ihr Leid bloß dokumentiert werde. Bei Darwish heißt es dazu, dass Israel die Unterstützung der Welt habe – wie wenig das stimmt, sehen wir ja gerade sehr anschaulich. Die Wahrheit und die Poesie, Schuss und Gegenschuss, es ist ja ganz fruchtbar, aber hier ist es eben auch Werkzeug ideologisch aufgeladener, antisemitischer Propaganda.
Relativ zu Beginn gibt es eine Spitze gegen den Maoismus, dem Godard mal anhing. Und am Ende steht er eben in seinem Garten und nicht auf einer Barrikade. Der Poet weiß eben nicht, wovon er redet. Soviel weiß er. Und ich gehe jetzt auch erstmal Blumen gießen.
Sonntag 21.04.
ok
Zwischenzeitlich sieht es aus, als folgten wir Dr. Watson auf Atlantikkreuz-fahrt, während Sherlock Holmes sich woanders – in unserem Totenwinkel – herumtreibt. Allein mit Nigel Bruces Tapsigkeit, es war zu schön, um wahr zu sein. Großkotz Holmes taucht schnell wieder auf und hat die minimalen Intrigen an Bord im Griff. Auf den besten Film der Reihe folgt ein schnarchiger Eintrag. Einzig Messerwurfassassin Mirko, dem per Bullauge die Hand gebrochen wird, ist so etwas wie herausragend.
Sonnabend 20.04.
ok +
Für meine Tochter und ihren Übernachtungsgast habe ich abends den Beamer angeworfen und dies mit ihnen zum Tagesabschluss geschaut – und selbst als überzeugter Brony muss ich gestehen, dass in groß richtig auffällt, wie hässlich die Animation aussieht.
großartig
Es beginnt als großer Spaß. Eric Fenby (Christopher Gable – der echte Fenby hat mit Russell das Drehbuch erarbeitet) orgelt im Kino tiefsinnig über Laurel & Hardy-Stummfilme. Als er erfährt, dass Komponist Frederick Delius (Max Adrian), den er wegen seiner erhabenen Musik verehrt, einen Assistenten sucht, meldet er sich und bekommt den Job. In der französischen Provinz trifft er aber nicht auf einen ätherischen Menschen, sondern einen elaborierten Monty-Python-Sketch mit stark kafkaeskem Einschlag. Der durch seine Syphilis blinde und gelähmte Delius ist herrisch und bärbeißig. Edgar Wallace lässt er sich in Deutsch vorlesen, weil er sich schon bei der Erwähnung des Wortes Englisch erzürnt von seinem deutschen Diener über die Schulter geworfen aus dem Raum tragen lässt. Tagelang wird ihm von seiner Frau, dem Diener und Fenby vorgelesen – beispielsweise den kompletten Mark Twain. Wenn Fenby Musik notieren soll, summt … nein krächzt er Unbestimmbares vor sich hin … und wird patzig, wenn Fenby statt der intendierten Zaubermelodie nicht eine Note aufs Papier bekommt. Und überhaupt ist der naiv ins Abenteuer gestürzte Assistent auf sich zurückgeworfen … oder auf Leute, zu denen das Verhältnis absurd dyskunftional ist … in einem französischen Landhaus im Nirgendwo voller expressionistischer Gemälde … in einer Gegend Frankreichs, wo der gläubige Fenby zum Beichten geht, nur um den Pfarrer in der leeren Kirche beim Rummachen zu überraschen. Die idyllische Natur, die wunderschöne Fotografie des Ganzen sind wie ein Hohn für das Zusammenleben von Menschen deren Verhältnis zueinander und deren Emotionalität … irgendwas wie kubistisch ist.
Selbstredend bessert sich die Verbindung – sobald Fenby aufhört sich unterzuordnen und Delius musikalisch fordert. Die bittere Komödie wird aber nicht wohlfühlig, sondern ein noch seltsamerer Film über Leute, die nur sich haben und die – egal wie kaputt, unbefriedigend und unangenehm die Gemeinschaft ist – sich brauchen, in dem Russell das Absurde nicht abwerfen kann. Ihm gelingt einfach kein nur aufrichtiges und emotionales Werk … was beim aufrichtigen Krampf zwischen diesen Leuten wie die Faust aufs Auge passt.
Freitag 19.04.
gut
Eine Verschärfung der zweitteiligen Struktur, vielweniger Sex: Nicht alle getroffenen Entscheidungen sind erfreulich, argumentiere ich bei critic.de.
Donnerstag 18.04.
großartig –
Zu Beginn ein Fruchtbarkeitsfest. Der Dorfvorsteher bittet seine Gemeinde es ordentlich in den Betten krachen zu lassen … für eine gute Ernte. Sex ist gesund und schön. Sobald die Space-Nazis kommen bzw. der Film das Dorf verlässt und nach außen tritt, herrschen nur noch Perversion und sexuelle Gewalt. U.a. ist der Körper eines SS-Offiziers von Anschlüssen – mutmaßlich für die Drogenzufuhr – überzogen und verbringt seine Zeit nackt mit Oktopusarmen, dessen Träger nicht zu sehen sind. Was da los ist, kann ein unbedarfter Landjunge allerhöchstens erahnen. Das Bemerkenswerte ist aber weniger diese Gut-Böse-Struktur, sondern wieviel Platz der Kink in einem aktuellen (quasi-)Blockbuster bekommen kann.
Dienstag 16.04.
großartig –
Stevenson hat SMILE gesehen und FIRESTARTER und POSSESSION usw. Zuweilen liefert sie eine Ansammlung von Zitaten. Am spürbarsten ist es, wenn sie sich erst gar nicht an einem dramaturgischen oder atmosphärischen Aufbau versucht und stattdessen Gruselmoment an Standardgruselmoment reiht – in einem Kloster, das von Beginn weg teuflisch erscheint und nie erst eine Normalität bietet, die dann zerstört wird. Das Hinarbeiten auf Donners THE OMEN steht eher pflichtschuldig im Raum. Und der Umstand, dass Hauptdarstellerin Nell Tiger Free mich ungut an Tanja Mairhofer erinnerte, sowie die nur bedingt gelungene Synchronisation tun ihr Übriges. Aber wer will sich nachhaltig daran stören, wenn wir gezeigt bekommen, wie eine junge gläubige Frau ihr sexuelles Erwachen als Verdammnis und teuflischen Abgrund versteht, Sex als rituelle, animalische Folter, dessen Folgen – also die Schwangerschaft – als Austragen des Teufels … wobei des Satans Kralle statt eines Babys aus dem Unterleib einer schmerzhaft Entbindenden kommt. Die Kirche, die sie retten soll, es aber nicht macht, versteht sie als hinterhältige Verschwörung, gegen die nur heruntergekommene Subjekte helfen. Und überhaupt ist Stevensons Emulation des (italienischen) Horrorkinos der 1970er glücklicherweise an eindrücklichen Momente und Bildern interessiert, die sie immer und immer wieder liefert, statt an einer abgesicherter Dramaturgie und Selbstschutz gegen die Logiklöcherfraktion.
Montag 15.04.
großartig –
Nach zehn Filmen erwartete ich im Voraus kaum noch etwas … und plötzlich folgte der beste Film der Reihe. Ein Film der Blicke, in dem beobachtet wird, wie jemand beobachtet. Ein Film, in dem mit der Kamera viel zu nah an die Leute herangetreten wird, die aufgelöst um Beistand suchen … und die beunruhigt wie beunruhigend dabei angeschaut werden. In dem Spiegelbilder im Wasser eines großen, blumenumgebenen Topfes nicht auf den Kopf stehen, wie sie sollten … wodurch dieser Film voll Hypnose und Zweifeln an der Realität traumhaft (schön) aussieht. Das Rätsel war nun, wo das plötzlich alles herkam.
Sonnabend 13.04.
großartig +
Wie im zwei Jahre später erschienen GEHEIMSACHE scheint etwas zusammenzuwachsen. Drei Frauen, die nichts verbindet, laufen sich zufällig über den Weg und ihre Schicksale wirken zunehmend verbunden. Ninon (Nathalie Richard) flieht vor ihrer jüngeren Vergangenheit, einem Diebstahl und ihrem Selbst in die Arme des verschlossenen Restaurateurs (oder so) Roland (André Marcon). Eine hakende Liebesgeschichte um Schuld und Sühne entsteht. Louise (Marianne Denicourt) wird nach fünf Jahren Koma von drei Männern verfolgt. Lucien (Bruno Todeschini) stolpert ihr auf Schritt und Tritt hinterher. Roland will ihr etwas Wichtiges sagen. Gleichzeitig will er es aber nicht sagen. Grob und voll Rätsel macht er sich in ihrem Leben breit. Und Louises Vater ruft ständig an, um sicher zu gehen, dass es ihr gut geht, und um sie zu ermahnen, dass sie ihn endlich besucht. Sie landet in einem Krimi, der wie die Liebesgeschichte um Identität kreist und um die Fragilität heiler Welten. Ida (Laurence Côte) schließlich arbeitet in der Abteilung einer Bibliothek, in der sich alte Karten befinden. Sie ist Waise und würde gern wissen, wo sie herkommt – und damit, wer sie ist. Und so wenig Ida über ihre Herkunft weiß, so wenig ordnet der Film ihr ein Genre zu. Für sie und bei ihr ist alles Suche. Ein stilles Drama über Hot Dogs und Ohrwürmer umgibt sie.
Das Rivette-Typische – ein altes Haus voller Geheimnisse; Spiele, Spielfelder und Landkarten; Banalität, Zufälliges und das Finden von Fährten und Sinn – umgibt dieses Mal ein Musikfilm, ein Musical. Ein alter Chanson muss gefunden werden. Tanzlokale, in denen moderne Chansons (in einer Mischung aus französischem 80er Jahre Pop, Jazz und Reggae gehalten) vorgetragen werden oder einfach Pop, sind die Treffpunkte, an denen das Meiste zusammenläuft. Und auch wenn Rivette nicht plötzlich zu Busby Berkeley oder Bob Fosse mutiert, drücken die Figuren sich und ihre Verhältnisse zueinander wie-derholt in Tanz- und Gesangsnummern aus.
Sein Film ist folglich von der leichten Muse geküsst, auch wenn Zweifel und Schmerz verhandelt werden – ein Selbstmordversuch ist bspweise ziemlich entrückt. Diese Leichtigkeit passt aber nicht zu den Knebeln einer handfesten Paranoia. Das scheinbare Zusammenwachsen der Schicksale der drei Frauen realisiert sich folglich nicht. Im entscheidenden Moment schreckt der Film vor einer durchdringenden Struktur zurück und lässt die Schlingen der Erklärung fallen. Dass wir schlussendlich nicht wissen können, wer wir sind, wird zum ewigen Tanz, zum Summen im Hintergrund unseres Bewusstseins. Wir, Ninon, Louise und Ida werden ohne emotionalen Pay Off im sonnig grünen Paris zurückgelassen und können uns glücklich und traurig um uns drehen.
ok +
Vor Jahren hatte ich mir die englische VHS aus der Uni-Bibliothek ausgeliehen. Mein Englisch reichte für die Untertitel noch nicht aus. Das Bild war durch Abnutzung völlig verwaschen. Und überhaupt kannte ich bis dahin nur seine Filme bis WEEK-END, musste mich in seine neue Phase vll. auch erst noch reinfuchsen. In der Hochphase meiner Godardverehrung geschaut, führt ich mein Missfallen auf diese Umstände zurück. Jetzt mit deutschen Untertiteln, klarem Bild und etwas mehr Kenntnis sehen ich ein anderes Problem.
TOUT VA BIEN ist davon beseelt, dass normale Filme – also auch alles von Godard vor 1968 – verachtenswerte bürgerliche Belanglosigkeit und Opium für die Massen seien. Eine neue Sprache müsse gefunden werden … woran der Film aber gnadenlos scheitert. Godard und seine exekutive Hand am Set (Jean-Pierre Gorin) – Godard selbst war nach einem schweren Motoradunfall kaum in der Lage zu gehen – haben schlicht keine andere Idee für eine neue Art von Film, als mit der Kamera auf Distanz zu gehen oder Führungskräfte, Intellektuelle wie Arbeiter die gleiche Form von hochtrabender Rede halten zu lassen, die politisch agitieren sollen, aber absolut keine Zielgruppe mehr erreicht als die verachtete bürgerlich-intellektuelle. Die Kassenszene ist witzig, wenn sie auch nur eine Kopie der Stau-Sequenz aus WEEK-END ist, und auch das gnadenlose Verbraten der Stars (Jane Fonda & Yves Montand) – am Set muss das Verhältnis zwischen den Schauspielern und den Regisseuren mehr als dysfunktional gewesen sein – bereitete mir diebische Freude. Ansonsten ist dies der Film eines Filmemachers, der nicht mehr er selber sein möchte, aber nur Filme er selbst machen kann … weshalb diese intellektuelle wie ästhetische Fingerübung, anders und politisch-agitatorisch zu sein, ein wenig verzweifelt wirkt. Zumindest darin wirkt er nach.
Freitag 12.04.
gut –
Die Zukunft: Profikiller lassen sich in die Köpfe von Leuten versetzen, die sich im Umfeld der anvisierten Opfer befinden, und können ihre Wirte für eine gewisse Zeit wie eine Puppe steuern. Da sich das andere Bewusstsein aber zurückkämpfen kann, ist irgendwann selbstredend nicht mehr klar, wer da nun aus den Augen eines Körpers schaut. Inszenatorisch herrscht die gleitende Kontrolliertheit der Filme von Brandon Cronenbergs Vaters. Auch hier wirkt es, als sähen wir etwas mit den Augen von jemanden, der von einem Vampir hypnotisiert ist, oder so. Hinzukommt, dass der Plot wie eine Version von EXISTENZ wirkt, die – was doppelte Böden angeht – auf die Größe von BEIING JOHN MALKOVICH gestutzt wurde. Oder anders: Brandon Cronenbergs zweiter Film handelt nicht nur erzählerisch von einer Besessenheit, sondern auch stilistisch. POSSESSOR ist sichtlich der Film von jemanden, der von David Cronenberg gebannt ist, der von seinem Vorbild nur minimal abweicht – der Gore ist etwas genüsslicher, die Stil-und-Twist-Mimikry ist etwas steriler und sitzt nicht passgenau – wie auch ein Wirt (Christopher Abbott) im Machtkampf im geteilten Unterbewusstsein das Gesicht des Eindringlings (Andrea Riseborough) abschält und es sich aufsetzt, mit einer Fratze endet und nicht mit einer überzeugenden Maske. Womit sich die Frage, welcher Cronenberg hier gerade Kontrolle hat, sich über einen mitunter tollen, oft aber auch in seiner Mimikry erstarrten Film legt und das nicht gerade sprießende Leben unproduktiv aus dem Geschehen saugt.
Donnerstag 11.04.
gut –
Auch der Zwischenlösungsrouter streikte, weshalb ich den Stream erst zum Kinostart gucken konnte und sich der Text auf critic.de verspätete.
Montag 08.04.
fantastisch –
Unser Router ist kaputtgegangen, weshalb mit den Jugendlichen nicht mehr viel los war. Ben Z. (16 Jahre) fragte, ob er eine DVD schauen könne, und ich schlug ihm vor, dass wir gemeinsam einen Film gucken könnten, in dem deutsche Terroristen Dinge wie Mach los! Bewege er! oder Schieße den Fenster! sagen. Ob es ihm gefallen hat, weiß ich nicht. Er entschwand still während des Abspanns. Ich wurde jedenfalls daran erinnert, wie unglaublich gut dieser von Jan de Bont fotografierte Film aussieht. Das hatte ich nicht mehr vor Augen.
Sonntag 07.04.
gut –
Die Mitglieder eines Männerclubs bekommen Orangenkerne zugesandt, die ihren nahenden Tod ankündigen. Nach und nach sterben sie bei Explosionen und werden anders zerstückelt. Fall und Opfer sind exzentrisch, nur bleibt es seltsam entspannt und ohne größere Hysterie/Klaustrophobie. Und: Basil Rathbone als Sherlock Holmes … ich werde, glaube ich, nicht mehr sehr warm mit der Filmreihe und ihrem Protagonisten.
Sonnabend 06.04.
fantastisch –
Vor wenigen Tagen habe es angefangen, mit einer App Französisch zu lernen. Nun wollte ich mir einen kurzen, französischsprachigen Film zu Gemüte führen, um zu gucken, ob ich schon etwas verstehe. Die Wahl eines Films Godards war durchaus deppert. Hier und da habe ich Abweichungen zwischen dem Gesprochenem und den Untertiteln wahrgenommen, ich denke aber im Großen und Ganzen reichten meine Kenntnisse (Tiere, Farben und Essen) noch nicht aus, mehr als minimale Brocken aufzuschnappen. Darüber hinaus: Diese alberne Farce über eine fatale, schnell schal werdende Liebe, wunderschön fotografiert von Raoul Coutard, ist bestimmt Godards bester Film.
Freitag 05.04.
großartig +
Ich habe Yonebayashis Film vor allem geschaut, da seine ARRIETTY Lotti Z.s (8 Jahre) Lieblingsfilm ist, ich mir aber nicht sicher war, ob dies auch schon etwas für sie sein könnte. Vll. wäre es ganz interessant zu sehen, wie sie auf eine melodramatische Geistergeschichte reagiert, in der ein junges Mädchen nur das Phantom einer jungen Dame der Belle Époque als Freundin akzeptiert, die ein paradiesisches Leben in einer Villa im Moor zu führen scheint, tatsächlich aber eine Eingesperrte und Gequälte ist. Wahrscheinlich dauert es noch, bis ich es mal vorschlage … schon allein, weil sie am Ende des Filmes ins Wohnzimmer kam und ich Tränen in den Augen hatte, sie damit verstanden haben dürfte, dass dies kein einfacher Abenteuerfilm ist, und sie wahrscheinlich eh ablehnen würde. Mal sehen.
gut +
Ein Musical über drei Männer – ein auf Rache sinnender Barbier (Johnny Depp), ein korrupter Richter, Spanner und Kerkermeister (Alan Rickman) und ein junger, romantischer Seemann (Jamie Campbell Bower), die junge Version des Barbiers –, die blonden, ätherischen Schönheiten nachrennen. Ihre Libido nimmt nämlich nur diese wahr, während die Traumfrau und Seelengefährtin (Helena Bonham Carter) zumindest dem Barbier direkt vor der Nase steht. Die Welt wird durch alle drei eine düstere. Bezeichnender Weise ist die tragische erste Stunde, die viel treibendere, während die zweite – von rhythmischen Gore abgesehen – größtenteils auf die Auflösung des aufgebauten griechischen Dramas wartet.
Donnerstag 04.04.
großartig –
In dieser Variation CASABLANCAs scheitert die Liebe nicht tragisch-romantisch, sondern zynisch-überdrüssig. Paris kurz vor dem Einmarsch der Nazis: Der sich Dr. Ravic nennende Emigrant aus Österreich (Charles Boyer) rettet die verzweifelte Joan Madou (Ingrid Bergman) vorm Sprung in die Seine. Er, der sich seine lebensnotwendige Unabhängigkeit mit Abgeklärtheit erkauft, und sie, die gerne umsorgt sein und lieben möchte, verlieben sich. Romantische Momente – die zukünftigen Erinnerungen einer großen Liebe: vor dem Regen wird sich in ein Restaurant gerettet, Urlaub an der Riviera – dringen in den Kampf von Leute ohne Pass, die mit einer Stiff Upper Lipp am Rand der Gesellschaft überleben wollen, in Tragik, Angst und Zusammenbruch. Boyer spielt eiskalt, ein Starren, dass vor der Ahnung von Gefühlen zittert. Ingrid Bergmann spielt eine labile Frau, die sich durchgängig mindestens an Rand zu Überschwang, Tränen oder Hysterie befindet. Die Liebe entsteht also zwischen zwei Leuten, die immer bereit sind abzuspringen, und nichtsdestotrotz dem anderen jeden Hauch von Verrat (passiv-)aggressiv vorhalten.
Folternde Nazis im Rücken, den Zusammenbruch Frankreichs voraus: TRIUMPHBOGEN täuscht immer wieder diesen kurzen, zärtlichen Moment in einem Schattenreich an, doch die Brüche, Vorbehalte und Enttäuschungen sind übermächtig. Die Liebe ist keine wärmende Kraft, sondern etwas, das den emotionalen Panzer in elenden Zeiten unnötig öffnet und verwundbar macht. Passend dazu sehen wir Dr. Ravic zu Beginn bei einer illegalen Notoperation. Die Falten seines Mundschutzes zaubern ihm ein makabres, comichaftüberzogenes Grinsen ins Gesicht. Der Patient wird sterben. Grimmig.
großartig
Ein Prokrastinator (Jamie Foxx), der seit 12 Jahren Taxi fährt, weil er seinen Traum erst umsetzen möchte, wenn die Voraussetzungen perfekt sind, verliebt sich und hat umgehend den äußerst zynischen Hauch des Todes (Tom Cruise) im Fahrerraum, einen Auftragskiller, der sich auf einer Killing Spree befindet. Festgehalten wird diese Erweckung durch Zwang mittels wunderschöner (digitaler) Bilder, die es oft schaffen Banalität mit Flüchtigkeit zu verbinden: Zugreifen, bevor es zwischen den Fingern/Pupillen zerrinnt.
Mittwoch 03.04.
nichtssagend
Zwischenzeitlich sehen wir ein Ehedrama: Rudolf Höß (Christian Friedel) wird versetzt, seine Frau Hedwig möchte aber das irdische Paradies (Haus und Garten) nicht verlassen, dass sie sich geschaffen hat. Diese Idylle und der Konflikt darin sind aber der Hohn, da hinter dem Gartenzaun das KZ Auschwitz liegt. Am besten ist Glazers Film also, wenn er himmelschreiende Verdrängungsprozesse einfängt … und wenn diese dann doch zusammenbrechen: wenn Hedwig im Frust immer wieder den polnischen Hausmädchen mit dem droht, was sie sonst nicht als Realität anerkennt, dem verbrecherischen, bestialischen, unmenschlich-bürokratischen Morden ihres Mannes; oder wenn Hedwigs Mutter (Imogen Kogge), die zu Besuch kommt, eines morgens einfach verschwunden ist, weil sie nicht verdrängen konnte.
Die Frage, wie die Verdrängung sein kann, bleibt aber eine Randerscheinung. Stattdessen betont die Inszenierung unablässig das Verdrängte. Auschwitz, der Massenmord, die Shoah. Die Schüsse und Schreie im Off, das Rauchen der Schornsteine hinter der Mauer, die Züge mit ihrem Rauch, der sich wiederholt symmetrisch hinter Mauer oder Baumkronen entlangzieht, die Verbrennungsanlagen werden besprochen und nachts die Negativaufnahmen eines Mädchens gezeigt werden, die Äpfel und Birnen für die Zwangsarbeiter versteckt: es zu übersehen ist unmöglich. Glazer geht es damit um eine klare moralische Einordnung: Wegsehen durfte und darf nicht sein. Sein Film ist so nach wenigen Minuten auserzählt und wiederholt immer wieder das Gleiche – und gibt Glazer die Möglichkeit für fragwürdige Statements bei Filmverleihungen.
Und selbst das wäre noch ein interessanter Film. Sobald der Film aber Auschwitz und damit den zentralen Widerspruch hinter sich lässt – Höß arbeitet in Oranienburg im Ministerium und organisiert den systematischen Mord jüdischen Lebens –, dann geht es nur noch um einen schlimmen Mann der Schlimmes tut und nachts in den dunklen Gängen eines prunkvollen Bürogebäudes vll. sogar sein Gewissen niederkämpfen muss. THE ZONE OF INTEREST wird zur Ödnis, die das Offensichtliche ohne Fortüne widerkäut.
gut
Das Drehbuch wirkt wie ein Projekt, mal was Feministisches zu machen und bedingt einen grobschlächtigen, trägen Film. Ein Projekt, das heutzutage noch altbackener wirkt als damals schon. Scott und diverse eher unerklärliche Einfälle retten den Film aber, da sie alles Richtung Groteske wenden und damit zu dem zu machen, was es ist. Beispielsweise: die Besetzung von Geena Davis als kleinem, wehrlosen Dummchen (zumindest in der ersten Hälfte), obwohl ihre Physiognomie so überhaupt nicht passen möchte; die mal exzessiv (Brad Pitt), mal im Hintergrund eingebundenen muskulösen, nackten Männerkörper, die (als Lustobjekte) angegafft werden; die ständig hereinbrechenden Witze (der Kiffer, der sich lustvoll am Hinterwäldlerpolizisten rächt; der trocken kommentierte Tritt in die Pizza uswusf.), die artfremd scheinen, obwohl der Film als Komödie wahrscheinlich am besten funktioniert hätte; der Umstand, dass Harvey Keitels Polizist es lange so wirken lässt, als würden Thelma & Louise sich den Sexismus in der Strafverfolgung nur einbilden, nur um ihn am Ende zum hilflosen Strohhalm in einem Meer aus schießwütigen Machos zu machen. Und natürlich sieht der Film einfach nur toll aus.
Dienstag 02.04.
gut +
Der aus den USA heimgekehrte Gustav Mahler (Robert Powell) fährt im Zug nach Wien. Passiv-aggressiv lassen er und seine Frau Alma (Georgina Hale) ihren ehelichen Frust aneinander aus. Und wir bekommen mit ihren Erinnerungen gezeigt, wie es so weit kommen konnte. Oder Mahlers Träume, die den Umstand surreal überhöhen, dass er für seine Karriere seine Seele verkaufte und seine Frau zur Nebendarstellerin dieser. Im Grunde findet das Konzept von WILDE ERDBEEREN bei einem Komponisten Anwendung, und mit seiner Musik wird es unterlegt, wobei sich dieses biographische Pandämonium der Musik Mahlers sehr schön annähert.
Das einzige Problem ist, dass Russell nur das Groteske interessiert, während das zweiflerisch Überspannte, der intensive Wahnsinn, die überschwängliche Schönheit (von Leben und besonders Tod) sowie das Kontemplative höchstens Randerscheinungen bleiben, die nur von Wert scheinen, wenn es oberflächlich seltsam und schräg wirken kann. Beispielsweise die Konversion Mahlers zum Katholizismus, um erster Kapellmeister und Direktor des Wiener Opernhauses werden können: Russell macht es zur wilden Sause, die pänälerhumorig Nazisymbolik und den Ritt der Walküren einsetzt, um einen Mahler zu zeigen, dem Religion und Antisemitismus nichts Ernstzunehmendes sind. Es ist ein bollriges Musikvideo, für das Mahler die Rechnung erhält, als er im Anschluss seinen freiwillig aus dem Leben geschiedenen Bruder findet. Aber nicht die Schuld interessiert Russell, sondern nur der provokative Hümor.
Montag 01.04.
gut
Ein dubieuxer Film. Haha. Naja. Bestenfalls ist dies ja Dupieuxs Niveau. Nun hat er auch mal einen entspannten Film ohne Sperenzchen gemacht. Mehr dazu auf critic.de.
März
Sonntag 31.03.
ok –
Ein moralines Ende, ein dröger Fall, behäbiger Humor, ein interessanter Bösewicht, hier und da schöne Bilder: Zwar bleibt alles beim Alten, aber die Grenze wird langsam überschritten, hinter der wirklich kein Spaß mehr wartet.
Freitag 29.03.
großartig
War der EUGENIE-Film aus dem Jahr davor noch tief im Kunstkino der 1960er Jahre verankert, ist diese EUGENIE spröder, viel weniger expressiv und weniger klar strukturiert. Eugenie (Soledad Miranda) und ihr Vater/Liebhaber (Paul Müller) wollen nichtmehr nur von der Lust der Gewalt lesen und werden Serienmörder … wobei sie von Autor Tanner (Franco) beobach-tet werden, der sich eben diesen Schritt nicht traut. Zu Beginn schaut Tanner einen Snuff-Film, den Eugenie und ihr Vater drehten. Es startet mit lesbischen Softsex … bis Paul Müller dazukommt, dessen Figur das Opfer erwürgt. Bruno Nicolais Musik säuselt ätherisch zu Beginn und lässt sich auch nicht beirren, wenn diese Szenerie in Gewalt umschlägt. Und das ist vll. das Erstaunlichste des Films: Wie wenig Schrecken er inszeniert. Die Opfer sterben zwar nun nicht fröhlich, aber ihre Pein wird kalt hingenommen. Doppelte Böden und eine unklare Position zum Gedrehten machen die Strategie aus. Einziger Wehrmutstropfen ist das angepappte, moralische Ende, in dem die Liebe zu einem Trompeter Eugenie rettet. Es ist seltsam lustlos verschenkt.
gut –
Für den Perlentaucher habe ich einen Text zu dieser Nettigkeit geschrieben. Sollte er wenig inspiriert sein, kreide ich es hundertprozentig dem Film an.
Donnerstag 28.03.
gut +
Es ist durchaus faszinierend, dass ein Film, in dem einfach zwei diametral entgegengesetzte Klischeefiguren auf kleinem Raum eingesperrt werden, so berührend sein kann.
großartig –
Leberkäse, Simon Schwarz, ein seltsamer Kreisverkehr, ein alpiner Krimi mit einem mehr als unmotivierten Ermittler: Es ist schon erstaunlich, wie sehr die Eberhofer-Krimis von den Brenner-Krimis inspiriert sind. Aber dieser Auftakt ist sichtlich Kind der Neunziger … und von Amphetaminen.
Mittwoch 27.03.
gut +
Dass Chantal mit Nachnahmen Akerman heißt, ist ein Jahrhundertgag. Noch besser wäre aber, wenn Chantal Akerman, die wirkliche, ein Remake von diesem Film machen würde. Mehr zu Dagtekins Film bei critic.de.
Dienstag 26.03.
gut
Dieser unzulängliche Spaß über den Zauber des Unzulänglichen war schon sehr schön, aber lief sicherlich zum falschen Sendeplatz … Einen Tag nach EUGENIE sah es dann doch noch unzulänglicher, aus als eh schon.
Montag 25.03.
fantastisch
Mit einer Dreistufenrakete wird Eugenie (Marie Liljedahl) von kindlicher Unschuld zur Zerstörung durch Perversion und Sex geführt. Zu Beginn rettet sie sich vor der galligen Zwietracht ihrer Eltern zu ihrem Kuscheltier. Am Ende befindet sie sich nackt am Rande einer Stadt/der Zivilisation, verloren, am Ende, von einem nervenaufreibenden Sound Design begleitet, dass ihren Schmerz intensiv nach außen trägt. Dazwischen finden sich nach jeweils einer halben Stunde die Bruchstellen: surreal-absurde, gespenstische, hochgradig stilisierte Sexszenen – der einprägsamste Moment des Films zeigt Mirvel (Jack Taylor), der in monochromen Rot vor der betäubten, von ihm bald entjungferten Eugenie steht und die Lamellen des Fenstervorhangs besessen umschlagen lässt, immer wieder hin und her, ohne Erklärung, einfach nur seine Gespanntheit irreal einfangend. Drogen, Missbrauch, Peitschen, Morgensterne und/oder Klingen sind Werzeuge beim immer bestialischeren Sex.
Aber auch wenn nach diesen Sexszenen die Welt wieder eine Stufe düsterer ist, gewalttätiger, unangenehmer, befleckt, auch wenn ein aus der Zeit gefallener Jünger des Marquis de Sade (Christopher Lee) zunehmend die Macht übernimmt und nach Deutungshoheit verlangt, ist dies kein Film, der Sex ausschließlich zum Horror macht. Lange ist es eben auch das Dahintreiben in einer Luxusvilla – mit Sonne, Musik (mal säuselnd, mal exotisch mit Hüftschwung: Bruno Nicolai!) … und der Versprechung von etwas Neuem. Gerade Letzteres ist zwischen Saint Ange (Maria Rohm), die Eugenie ganz verspielt und sachte an die Wäsche möchte, und Mirvel aufgespannt, der von Beginn durch seine Lust (nach Gewalt) in eine manische Habachtstellung versetzt wird, der wie ein manischer Geier auf Eugenie lauert.
Die drei Sexszenen werden aber auch durchgängig als mögliche Träume Eugenies markiert. Immer wieder wacht sie danach auf – aus Drogenkoma oder Wachtraum. Nie finden sich physische Zeichen des Geschehenen an ihr. Sie ist verstört, aber auch aufgeregt, zuerst. Sicherlich handelt es sich um einen zutiefst sadistischen Film. Gleichzeitig ist er aber auch zart, verträumt und zeichnet in sagenhaften Bildern und Tönen eine Atmosphäre, der der sich das Zittern, die Angst und die Aufregung vor neuen Erlebnissen und Erfahrungshorizonten findet. Als Verhandlung dessen ist er wunderschön.
Sonntag 24.03.
gut
Für diesen Autor gibt es nur zwei Möglichkeiten: Paranoia oder Anti-Paranoia. Entweder alles ist verknüpft oder gar nichts. Entweder alles strahlt vom Zentrum weg, oder es gibt gar kein Zentrum. Entweder ist alles an Geschichte determiniert oder Geschichte völlig bedeutungslos, eine Ansammlung von Anekdoten. Das hat Elfriede Jelinek zwar über Thomas Pynchon gesagt, aber es trifft durchaus auch auf Rivette zu. Und in GEHEIMSACHE herrscht, der Name legt es nahe, knallharte Paranoia.
Bei einer Zugfahrt verunglückte ein Vater. Seine erwachsenen Kinder fragen sich: Was hatte dessen Geschäftspartner, der nach dem Tod alles übernahm, am Bahnhof zu suchen? Wieso gibt er seine Anwesenheit nicht zu Protokoll, auch wenn ein Foto auftaucht, dass ihn dort zeigt? Wieso hat er so gute Beziehungen zur Frau des Toten? Was hat der vorangegangene Tod seiner ersten Tochter damit zu tun? Oder die internationalen Waffendeals, mit denen der gestorbene Forscher sein Geld verdiente? Die Frage ist aber gar nicht, ob die paranoiden Ahnungen und Schlussfolgerungen zutreffen, sondern, ob die Geheimniskrämerei der Betroffenen die Dinge nicht unnötig verkomplizieren und aufbauschen. Ob die Folgen – Leute bedrohen sich mit Pistolen, Leute sterben – nicht durch die Wahrheit verhindert hätten werden können. Und ob die Leute vll. weniger andere schützen wollen, wie sie immer sagen, sondern nur sich. Egal, was es kostet.
Dieser Paranoiathriller steht – wie so oft bei Rivette – am Rand vom Nichts, vom Auseinanderfallen. Thrills und große Momente werden ausgebremst. Es geht um Leute, die immer wieder behaupten, alles im Griff zu haben, und dann doch erleben müssen, wie ihnen alles entgleitet. Die jüngere Tochter des Toten, Sylvie (Sandrine Bonnaire), ist Chemikerin und sucht nach einem Heilmittel für Krebs. Doch statt bei ihren festen Abläufen im Labor zu bleiben, verfolgen wir das Zerfließen ihres Lebens. Auf ihren klaren Alltag, den die erste Stunde des Films größtenteils einfängt, folgt eine entspannt haarsträubende Bahnfahrt zu Orten der Vergangenheit, an denen sie Rache nehmen möchte. Rivette gestattet ihr aber nicht gleich zur Sache zu kommen, stattdessen muss sie fahren und umsteigen, umsteigen und fahren, bis sie in ankommt. Warten in der Unsicherheit: der Mittelpunkt des Lebens.
Nur läuft es auf etwas Klares hinaus. Die schrägen, rumpeligen Fantasiepaläste fehlen, die Rivette in seinen besten Filmen baut. Es bleibt sachlich, menschlich, nah. Weshalb dieser schöne, aber auch ziemlich nette Film am besten ist, wenn Leute in ihren kleinen, alltäglichen Panikattacken in den ausgebreiteten Warteräumen, in die sie sich manövrieren, kleine bis große dumme Dinge anstellen.
Sonnabend 23.03.
fantastisch –
Mein liebster Moment ist, wenn (Pseudo-)Graf Sergius Karamzin (von Stroheim) die verheiratete Helen Hughes (Miss DuPont), nachdem er sich bei ihrem Anblick mehrmals die Lippen leckte – wegen ihres Körpers und der Möglichkeit Geld von ihr zu ergaunern –, nachdem er sie heimlich beim Umkleiden mit Handspiegel beschaut hat, wobei die Kamera uns gleichzeitig ihn und seine Perspektive durch den Spiegel zeigt, nachdem er sie vorsätzlich während eines Sturms in einen Sumpf lockte, wo er sie in einem Hexenhaus missbrauchen will, während sie erschöpft schläft, dann aber zufällig ein missmutig schauender Priester ebenso Unterschlupf vor dem Regen sucht und ihn sofort durchschaut, weshalb Karamzin sich bedröppelt in eine Ecke setzt und wie ein kleines Kind schmollt, das ins Bett muss und nicht länger spielen darf. Der beste aller traurigen Psychopathen. Und darin fasst sich diese wahnwitzige Groteske auch schon zusammen, die leider nur noch 140 Minuten statt 9 Stunden ein lüsternes Schwein in leuchtend weißer Uniform zur triebgesteuerten Horrorfigur macht und am Ende der Frau doch mittels des Ehemanns unterstellen lässt, dass sie, die törichte Frau, Schuld an ihrem Unglück habe.
fantastisch –
Vier Anmerkungen:
1. Die Abstraktion von Hus ALLE MÄNNER DES KÖNIGS kündigt sich hier bereits an. Piraten nutzen das während der Ming-Dynastie entstehende Machtvakuum und herrschen in einer unübersichtlichen Küstengegend. Korrupte Beamten und überhebliche Paragraphenreiter in der Armee tun ihr übriges, damit ihre Gewalt unangetastet bleibt. Nun wird ein aufrechter General mit seinem kleinen Trupp losgeschickt, um für Ordnung zu sorgen. Statt einem dramaturgischen Bogen wird A TOUCH OF ZEN im Kleinen geboten. Mühselig, mit Erfolgen in Scharmützeln und nicht ganz aufgehenden Fallen und Strategien kämpfen sich DIE MUTIGEN – so einer der deutschen Titel – voran, aber die Welt ist nicht zu retten. Sie bleibt verworren und unbefriedigend … was von den ruhig und elegant verfolgten akrobatischen und gewitzten Handgriffen des Antipiratenkampfes nicht behauptet werden kann.
2. Um die übernatürlichen Fähigkeiten der Kämpfer zu unterstreichen, sehen wir immer wieder im Zentrum einer Einstellung einen Piraten. Von, sagen wir, vorne links kommt einer unserer Helden in diese Einstellung, greift an und verschwindet wieder, sagen wir, vorne rechts … nur um unmittelbar darauf von, sagen wir, hinten links wieder in die Einstellung zu springen. Tatsächlich greifen ihn diverse Schauspieler im selben Aufzug an, die einen Helden darstellen, der gegen jede physikalische Möglichkeit von allen Seiten zu kommen scheint. Ein toller Hurrikan an Angriffen.
3. Sammo Hung spielt einen japanischen Piraten. Sein Gesicht ist weiß angemalt, seine Kleidung klischeehaft japanisch. Ist das eine Form von Yellow Face, Nachkriegsanimosität oder unschuldiger Blödelei? Und: Ist es wichtig?
4. Das Bild der blu-ray wurde viel zu viel mit DNR behandelt. Das Ergebnis ist durchaus unangenehm anzusehen. Die Aufnahmen der Felsküsten im Sonnenauf- oder -untergang sind nichtsdestotrotz unfassbar schön.
Freitag 22.03.
ok
Lotti Z. spielt seit letztem Jahr Flöte und im November haben die Schüler ihrer Lehrerin ein kleines Konzert gegeben. Dort wurden u.a. Stücke Palestrinas von Flötistinnen mit vielen Jahren Übung gespielt. Es war ziemlich toll, und weil ich keine Ahnung von Musik der Renaissance habe, habe ich mir vermehrt die FUTURO ANTICO-Alben Angelo Branduardis angehört, von denen mein Vater schon lange schwärmt. Seit Jahresbeginn hat das wiederum – im Zusammenspiel mit dem Umstand, dass DERRICK immer wieder Inspirationen bot – dass ich exzessiv nutzte, dass sogenannte klassische Musik inzwischen ja auch ohne Ende gestreamt werden kann. Seit Februar versuche ich mich nun in die Sinfonien Gustav Mahlers einzuhören, stecke aber immer noch bei den ersten vieren fest. Als totaler Laie fällt es mir schwer nachvollziehen, was da alles los ist. Damit ich zwischen den vielen, vielen Interpretationen nicht die Übersicht verliere, habe ich mir ein Album mit allen Sinfonien rausgesucht, was uns endlich zu MAESTRO bringt, denn bisher kenne ich Mahler fast ausschließlich von Leonard Bernstein dirigiert.
Dieser Leonard Bernstein (Bradley Cooper) führte sein Orchester gegen Ende durch den letzten Satz von Mahlers zweiter Sinfonie. Er ist verschwitzt, springt herum, ist völlig aufgekratzt. Meiner bisherigen Wahrnehmung von dieser und der dritten Sinfonie entspricht dies vollkommen. Wer bei diesen vor seinem Orchester steht und nicht aussieht, als sei er frisch aus einem Moshpit gezogen, hat etwas falsch gemacht. Die Musik ist sichtlich das Herzstück des Films, aber nur wird sie ausgekostet, statt die Schönheit des vielgestaltigen Werks Bernsteins nur anklingen zu lassen. Nur hier steht der Dirigent und die (in diesem Fall von ihm wieder popularisierte) Musik im Mittelpunkt.
Es ist vll. das größte Problem. Als chronologische Collage von Musik und Lebenssituationen werden die Einzelszenen und vereinzelte Lebensabschnitte zwar ausgewalzt, das Zentrale steht aber nur am Rand. Die musikalischen und biografischen Needle Drops ergeben zusammen nur die ständig wiederholte Laier eines zwischen Ernst und Unterhaltung, zwischen Homo- und Heterosexualität, zwischen Heim und Abenteuer zerrissenen Künstlers. Bestenfalls verschwindet dieser Bernstein hinter den Klischees und zeigt sich in der Verkennung. Eher ergibt sich aber ein langatmiges Vorbeiziehen an seiner Biographie, die weder Körperlichkeit, Zerrissenheit, noch Musik einzufangen weiß.
Zudem zwei Dinge: Der Teil des Films, der den junge Erwachsenen nach seinem Durchbruch und zu Beginn seiner Ehe zeigt, ist schwarzweiß. Dieses sieht aus, als hätte jemand am Fernseher die Farbe rausgedreht. Von den Einstellungen abgesehen, in denen Bäume zentral vorkommen, ist es ziemlich hässlich. Und die Nase. Viel war im Voraus über Coopers Maske zu lesen, um Bernstein zu ähneln. Eine Maske, die so eklatant ist, dass sie jede Aufmerksamkeit auf sich und vom Erzähltem abzieht. Ich empfand sie auch als störend … aber nicht so wie Carey Mulligans Schauspiel. Als Leonard und Felicia (Mulligan) sich kennenlernen, proben sie zusammen nachts eine Szene im leeren Theater. Als Felicia, die schauspielet, wirkt sie – was ihr sonst abgeht – nicht aufdringlich.
Mittwoch 20.03.
fantastisch
Der stetige Fluss aus Beschattungen und Verfolgungsjagden ergibt die Chronik einer Besessenheit … gezeichnet durch eine unruhig geschwungene Kamera, die den Dreck des damaligen New Yorks – die scheinbar schon stattgefunden habende Apokalypse in machen Straßenzügen und verlassenen Fabriken – liebevoll dokumentiert. Einen Dreck, der nicht von den Drogenbaronen ausgeht, ihre Zeit damit zubringen, Hummer in behaglichen Restaurants zu essen, während die Polizei draußen in der Kälte wartet bis diese sich wieder bequemen auf die Straßen zu ihnen hinunter zu kommen. Und für Popeye Doyle (Gene Hackman) ist diese Welt ein Stachel im Fleisch, alles ist falsch und ekelerregend. In seiner blinden Raserei macht er diese Welt nur noch schlimmer und tollwütiger. Als neuartiger griechischer Held reiht er sich saufend, manchmal hurend, vor allem aber überreagierend in den Abschaum der Gesellschaft ein … wofür ihn die Kamera liebt.
Die DDR-Kinofassung mit der DEFA-Synchronisation wurde gezeigt, die überraschend deftig ausgefallen ist. Darin endet der Film einen Tick früher und noch offener, da die Info fehlt, dass Popeye überlebte. Was Sinn ergibt, lechzte der realexistierende Sozialismus in Deutschland doch nach der Verkommenheit des Westens … weshalb die Möglichkeit stehen bleiben musste, dass sich dieser Abgrund von einem Menschen selbst gefressen hatte.
Montag 18.03.
gut –
Eigentlich ist diese Actionkomödie mehr als solide … würde Peter Berg mit dem Komödienteil nicht teilweise fürchterlich fremdeln. Die Pointen und Running Gags werden dermaßen betont, als müsste der Zuschauer darauf gestoßen werden, dass dies witzig sein soll. Als würde der vielbeschworene Außerirdische, der keine Ahnung von etwas Menschlichem (hier: Witze) hat, dieses Etwas nachstellen und nur eine groteske Version zustande bringen. Christopher Walken muss sein Bösewichtlachen so übertreiben, dass es nicht mehr witzig, sondern mitleidserregend ist. Seann William Scott rennt sich die Hacken ab, um sowas wie Leichtigkeit in den Film zu bringen, und scheitert teilweise grandios blöd. Ein Actionfilm also, dessen Muskeln immer wieder faszinierend verkrampfen.
Sonntag 17.03.
gut –
Lotti Z. (8 Jahre) meinte auf dem Heimweg freudestrahlend, dass der nächste Teil dann KUNG FU FUCHS heißen müsste, weil Panda Po im Laufe des Films einen Nachfolger als Drachenkrieger ernennt und es sich dabei um einen Fuchs handelt. Dieser vierte Teil – in dem Po abermals zu sich selbst findet und Frieden mit sich und seiner Herkunft macht – handelt also vom Loslassen und davon, die eigene Identität nicht nur über die eigene Vergangenheit zu definieren, sich nicht in sie zu verkrallen, weil die Zukunft einem Angst bereitet. Der nächste Schritt soll gewagt werden. Weshalb es auch Sinn ergeben würde, wenn es demnächst eine KUNG FU FUCHS-Reihe geben würde, da ein nächster Schritt durchaus notwendig ist, da die minimalen Anpassungen innerhalb des bestehenden Konzept langsam ausgereizt scheinen. Ebenso ist es aber auch völlig illusionär, dass jemand in Hollywood den nächsten Schritt machen würde, solange eine Reihe Zuschauer zieht … und wenn dem nicht mehr so ist, wird sie eher fallengelassen.
Also alles wie bisher? Jein. Die Kampfszenen entsprechen mehr einem State-of-the-Art-Action-Film. Die Furiosen Fünf bleiben abwesend, wofür es einen Fuchs gibt. Und es gibt einen Bösewicht, der alle Kräfte der Kung-Fu-Welt in sich aufsaugt, ohne dass es Zuviel wird. Es fühlt sich mitunter tatsächlich nach einem Aufbruch an, nach spürbaren Bruch mit dem bisherigen Muster, ohne etwas völlig Neues zu wagen. Oder anders: Solange sich der Film seines bisherigen Ballasts entledigt, ist er ziemlich toll und voller Lust an seiner Welt, wenn es wieder um Pos Eltern und Mentoren geht, dann wirkt es gleich ausgelaugt. Ein perfekter Film für einen Ausbruch eben … oder einen Abbruch.
gut
Ein Dorf im Moor wird von Mordfällen heimgesucht. Die Kehlen der Opfer sind so blutrünstig zerrissen, dass nur ein wildes Tier, ein Monster aus Legenden als Täter in Frage kommt. Der große Vorteil dieses Sherlock-Holmes-Films ist, dass er als viktorianischer Horror durchgehen kann – nur die Telefone und Autos sprechen dagegen. Die Klaustrophobie zwischen Nebelbänken und vorsintflutlicher Aberglaube sind bestimmend, das Brüten in einer Dorfschenke, in der selbst ein positiver Charakter seine Tochter schlägt, in der paranoid nach dem Täter gesinnt wird, während in der Ferne das endlose Bimmeln der Kirchenglocken schon von der nächsten Tat kündet, die vorgetäuschte Identitäten und der Umstand, dass niemandem Glauben zu schenken ist. Und: ein toll getrickster leuchtender Mensch im nächtlichen Moor.
Sonnabend 16.03.
fantastisch –
Christopher Lee führt mit Erklärungen in den Film. Auch am Ende ordnet er für den Zuschauer und Eugenie (Marie Liljedahl) nochmal ein, was geschehen ist. Seine Worte, seine Ratio – egal wie mysteriös und dunkelromantisch sie erscheinen mag – sind ein Angriff auf den Rest des Films, auf Eugenies Erlebnisse. Sie besucht ihre Freundin (Maria Rohm) und deren lüsternen Bruder (Jack Taylor) auf deren Anwesen auf einer sonnigen (Halb(?)-)Insel. Die beiden setzen sie dort unter Drogen, peitschen sie, vergehen sich an ihr, machen sie zum Objekt ihrer sadistischen Phantasien und zum Subjekt von Masochismus. Oder vll. sind es alles nur Träume. Francos sonstiger Film ist eben nicht darauf aus, zu verfestigen, zu Klarheit zu verdichten. Sein Film ist fragil, langsam, völlig ohne Prägnanz, in seiner Lust unsicher, Begierden austestend, sich auf nichts festlegend. Nur die Anwesenheit der ungeheuren Gefühle durchzieht das Geschehen. Was damit gemacht wird, hat aber nicht Lee zu entscheiden. Er ist der Bösewicht von EUGENIE. Nicht, weil er es auf die junge Frau abgesehen hat und in sein dunkles, rituelles Reich ziehen möchte, sondern weil er vorschreiben möchte, was in Eugenie vorgeht.
Freitag 15.03.
ok +
Das Konzept besteht darin, JOHN WICK mit RATATOUILLE zu kreuzen. Robin Felds Trüffelschwein wird entführt. Er lässt daraufhin sein Eremitenleben im Wald hinter sich und kehrt in die Stadt zurück, wo er – auf der Suche nach dem Ersatz für seine gestorbene Frau – die Tätigkeit wieder aufnimmt, die er wie kein zweiter beherrscht. Nur zieht er keine Schneise der Verwüstung hinter sich her, da er kein Auftragskiller ist. Er kocht.
Gleich zu Beginn, während der Entführung wird Feld (Nicolas Cage) niedergeschlagen. Als er am nächsten Morgen sein Gesicht benommen erhebt, zieht das getrocknete Blut Fäden zwischen seiner Wange und dem Boden. Beständig liegt ein Hauch von Eskalation und Blutrünstigkeit in der Luft, und es ist durchaus schön wie beständig diese Katharsis ausbleibt, wie Probleme sich nicht lösen wollen und die unfertigen Figuren sich nur mit diesen arrangieren können. Doch der Charme des Unterdefinierten und Entspannten trübt sich durch das viel zu starre Konzept, in dem ein ausordentlich muffig und speckig Erscheinender der beste Koch der Welt ist. Bzw: Das Grau in Grau der Bilder und der Hang die Figuren nur von Skurrilität zu Skurrilität zu schicken, sind mit ihrer Hässlichkeit ein größeres Problem als das Konzept.
gut
Der Zug ist ein schnell dahinschießendes Rohr, in dem ein paar skurrile Auftragskillerklischees durch ein Knäuel aus Zufall und Schicksal zusammen feststecken und überleben oder Rache wollen. Ein Rohr ohne weitere Eigenschaften außer der Zeit: Es jagt auf ein Ziel zu. Guy Ritchie und FAMILY GUY werden am prägnantesten aufgegriffen. Vll. sind deshalb die Späße und Figuren auch etwas einerlei. Dieses Nichts versucht jedenfalls Struktur vorzutäuschen, ist aber bloß eine Abfolge von Mayhem … und als solches macht es zumindest Spaß.
Donnerstag 14.03.
verstrahlt
Schumachers zweiter Batman-Film ist nicht die große, zügellose Operette der Exaltiertheit wie der Vorgänger. Uma Thurman spielt als Poison Ivy nicht wie von allen Geistern verlassen, sondern als hätte sie die Adam West- oder Larry Storch-Schauspielschule besucht. Arnold Schwarzenegger hat sichtlich Spaß als lebendige Actionfigur, und der Bane des Films ist lediglich ein absurdes Gummipuppen-in-Menschengestalt-Gimmick. Dazu (wieder) grelle Farben, Rüstungen mit Nippeln und Alice Silverstones laszives Lippenschauspiel. Es ist kein Vergleich mit BATMAN FOREVER, ja, aber nichtsdestotrotz ein wilder Ritt.
Mittwoch 13.03.
ätzend
Über 5.-Klässler Provokation (Hihi, ich habe einen Hitler-Gruß gemacht, aber ironisch) und selten funktionierende Nazis sind dumm-Witze geht es nicht hinaus. Es ist schon einfach als Komödie keine erquickliche Angelegenheit. Dass Nazi-Deutschland dann noch zum fröhlichen Billig-Wes-Anderson-Wunderland umfunktioniert wird, in dem selbst das Schicksal sich in Zwischenwänden versteckender jüdischer Mädchen mit Plüsch ausstaffiert und zur hipp-verqueren Coming-of-Age-Zeit wird, ist einfach nur noch selten doof.
Dienstag 12.03.
großartig –
Wieder ein Fall, in dem der Original- als auch der deutsche Titel die unterschiedlichen Aspekte oder Tendenzen des Films einfangen. Mehr dazu bei critic.de.
Montag 11.03.
ok
Das Spiel zwischen Holmes und der Spinnenfrau, die beide so tun, als wüsste der andere nicht, dass sie Widersacher sind; Mord per riesiger Spinne; Leute, die durch Spinnengift in den Wahnsinn und Selbstmord getrieben werden; Spielcasinos; der wie immer tolle Nigel Bruce als Dr. Watson: Allein durch die Einzelteile hätte ich geschätzt, dass dies ein Highlight der Serie werden müsste. Aber immer wieder verfällt es in dröge Krimiware. Die Biederkeit dieses Films ist das größere Mysterium als dasjenige, das es im Film zu lösen gilt.
Sonntag 10.03.
großartig –
Wohl der beste Katastrophenfilm der Welt. Die barocke Exposition und Billy Zane als Mensch, der von seinen narzisstischen Standesdünkeln sosehr beherrscht wird, dass er selbst seinen Selbsterhaltungstrieb fahren lässt, sind super. Bei der Liebesgeschichte bin ich bis heute nicht sicher, ob sie – von der Hand im Fenster des Sexdampfbades abgesehen – ein bisschen arg körperlos ist und etwas zu gefällig durch eine Arme-sind-die-besseren-Menschen-Wunderwelt stapft. Aber das ist eben auch nur Vorlauf für eine Stunde monumentalen Überlebenskampf … und auch dieses Mal wartete ich darauf, dass die erfrorenen Wasserleichen als Jump-Scare ihre Augen aufreißen und über die Lebenden in den Booten herfallen.
verstrahlt +
Wie groß der Graben zwischen BATMAN RETURNS und BATMAN FOR-EVER ist, wie gegensätzlich sie sind, war Schumacher wohl gar nicht bewusst. Beide handeln von Leuten in albernen Kostümen vor einer expressiven Kulisse, wo soll da also der Unterschied sein. Während Burton aber aus feinsinnig komponierten Quatsch mit gotischen Bildern Obsessionen, Traumata und eine verkommenen Welt erstehen ließ, eine elegante Fratze einer beleidigenden (unserer) Realität, macht Schumachers Film Punkrock, er zelebriert ein allgemeines und allumfängliches von der Leine Lassen. Tommy Lee Jones spielt, als schäme er sich für nichts mehr, und Jim Carrey wirkt, als stecke er sonst immer in einer Zwangsjacke. Val Kilmer spielt seinen unsicheren Nerd, der seine Angst vor Sex hinter Onelinern und Lederrüstungen versteckt, mit exzessiver Pimmelligkeit, Nicole Kidman ihren Love Interest als notgeile Psychiaterin, deren Lusthaushalt Freud ziemlich interessiert hätte, und Chris O’Donnell darf mit Klunkerohrring Rock’n‘Roll-Wäscheaufhängkarate vollführen. Dieser Cast bar jeder Selbstkontrolle wird von bunten, grellbunten Bildern und einer Rauminszenierung begleitet, die MC Escher schwärmen lassen würde. Dieser Film ist eine Zumutung, kaum zu ertragen, er ist wunderbar.
Sonnabend 09.03.
großartig
Manchmal reicht ein Bild, eine Idee, um sich in einen Film zu verlieben. Wegen des Shoot Outs habe ich beispielsweise FEIVEL DER MAUSWANDERER IM WILDEN WESTEN als Kind geguckt, zurückgespult, wiedergeguckt, zurückgespult und nochmals geguckt. Lotti Z. (8 Jahre) ist von THE NAVIGATOR begeistert. Mir zu erklären, welchen Film sie nochmal sehen wollte, fiel ihr schwer. Als ich nicht verstand, erzählte sie, von einem Bild, das vor einem nächtlichen Bullauge langschwang. Und ich glaube, dass es genau diese Szene war, due sie nochmal sehen wollte … und den tollen Rest nimmt sie eben in Kauf.
fantastisch
Das Filmemachen erklärt Spielberg an seinem Fallbeispiel zum Dämon und zur Erlösung. Zum Dämon, weil die Obsession ihn egoistisch macht und ihn von seinen Liebsten trennt. Als Erlösung, weil es ihm ein Mittel zum Kommunizieren und der Verarbeitung schenkt. Spielberg erzählt es als familiäres Melodram und bittersüße Coming-of-Age-Geschichte, als Landkarte der biographischen Genese der zentralen Bilder seiner Filmographie, als Zerrissenheit zwischen Gefühl (Mutter) und Ratio (Vater), zwischen Angst und Mut, Optimismus und Pessimismus, zwischen Sex (christliche Mädchen) und Selbstwert (Judentum) und inszeniert sich dabei zum Rattenfänger, der mit seinen Filmen von klein an die Menschen begeisterte. Auf dem Papier liegt ein selbstbesoffener Allgemeinplatz nahe, das späte Revue-passieren-lassen eines alten Filmemachers. Spielberg macht aus seiner Familiengeschichte aber einen dramaturgischen Wirbelsturm, in dem Stabilisierung und Destabilisierung eng umschlungen tanzen, eine Liebeserklärung an eine vergangene Zeit, die voller zärtlicher Details und Anekdoten steckt, als lustvolles, teilweise irreal und ätherisch leuchtendes Zurückversetzen in eine Zeit/Traumwelt, in der er noch nicht Steven Spielberg, der Regisseur, war, sondern ein Kind ohne Plan, aber voller Sehnsüchte.
Freitag 08.03.
gut
Sicherlich das Beste, das aus einer Komödie rauszuholen ist, in der alternde Star-Trek-Darsteller, die nur mehr von Konvention zur Kaufhauseröffnung und zurück leben, in ein reales Star-Trek-Abenteuer verwickelt werden, und in der wirklich alles abgeklopft wird, was das Phänomen Star Trek bereithält.
Donnerstag 07.03.
gut
Nebel, ein Haus voll dubioser Offiziere mit PTBS, ein Faktotum als Butler, immer und überall steht jemand hinter der Tür und lauscht, Mord mit Nadeln ins Gehirn: Die Reihe lässt den Zweiten Weltkrieg noch mehr hinter sich, womit es gleich atmosphärischer und weniger ernsthaft wird. Je mehr aber Sherlock Holmes die Bühne für sich einfordert und die anderen an den Rand drängt, desto dröger wird es wieder.
großartig –
Ein Kurzfilm aus der Sendung RAPPELKISTE, in dem ein Kinder eine tote Taube auf der Straße aufliest, diese den Freunden vorführt und ihr fasziniert die Flügel aufspannen, während andere einwerfen, dass sowas nicht angefasst werden solle. Erst also ein Portrait kindlicher Provokation. Dann ziehen sie sich aber in ein Niemandsland zurück, den favorisierten Spielplatz auch meiner Kindheit, und entwerfen im Spiel ein kleines Begräbnis für den Vogel. Es ist faszinierend, wie avantgardistisch das deutsche Kinderfernsehen mal war, und überhaupt weiß ich nicht, ob das sensationell geskriptet ist oder ob Senfts Kamerateam es geschafft hat, mehr oder weniger unsichtbar für die Kinder zu bleiben, die trotz der Beobachter ganz für sich zu handeln scheinen.
Mittwoch 06.03.
fantastisch
Ich lese gerade ein Buch über den Impressionismus. Darin geht es u.a. darum, dass ein Augenblick nicht Teil einer Abfolge vereinzelbarer Momente ist, sondern dass dieser Augenblick Teil einer Wahrnehmung ist, die im Fluss des Bewusstseins steckt. Das Davor wirkt sich darin auf das Danach aus, wie bei einer Montage Eisensteins – weshalb zwei Leute zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle auch etwas anderes sehen. Ein Augenblick ist kein steriles Einzelteil, sondern vom Vorher und Nachher Verunreinigtes.
LE MANS ist in seinen Impressionen aus Tönen und Bildern, aus kurzen Eindrücken und Augenblicken, kein Portrait des 24-Stunden-Rennens, sondern eines Bewusstseins, einer Stimmung in diesem. Es geht nicht um die Dramaturgie des Rennens, das dramatisch einen Sieger finden wird, sondern um Motorengeheul, vorbeijagenden Asphalt, hingeworfene Journalistenfragen, Kamerageklicke, Zuschauermassen, Jahrmarktsattraktionen, Feuer, zerbrochene Windschutzscheiben, ein Auge, das durch diese schaut, reuevolle Erinnerungen an andere Augenblicke, beklommene Gespräche, Momente rivalisierender Gemeinschaft uswusf.
Diese dröhnenden Augenblicke ergeben das Gemälde eines Mannes, der sein Leben nur noch damit verbringt zu warten, dass er wieder in ein Auto steigen und in höchstmöglicher Geschwindigkeit dahinjagen kann. Der erst in der Konzentration, im Tunnelblick des Autosteuerns, bei dem sekundenschnelle Reaktionen entscheidend sein können, das Davor und Danach abwerfen und nur für sich sowie mit sich identisch sein kann. Ein gespiegeltes Komplementärstück zu Michael Manns FERRARI.
Dienstag 05.03.
uff
Penetrante Dudelei, eine Handlung für einen Kurzfilm, manisch nach optischen Einfällen ringend, aber doch nach Nichts aussehend, und mit dem Schauspiel konnte ich auch nicht so viel anfangen: Irgendwas über den Horror vor einer sogenannten Entjungferung, der sehr steif und monomorph bleibt. Pluspunkt: 70 Minuten Laufzeit sind generell unterstützenswert.
Montag 04.03.
großartig
Debussys Werke sind nicht durchnummeriert. Weder gibt es das Klavier-konzert opus 14, noch die 3. Sinfonie. Stattdessen heißen sie EN BLANC ET NOIR oder LA MER oder PRÉLUDE À L’APRÈS-MIDI D’UN FAUNE. Sie rekurrieren auf Gedichte, Erzählungen, (impressionistische und vor allem präraffaelitische oder impressionistische) Gemälde oder halt das Meer. Eine Ansammlung von Eindrücken schuf er. Ken Russells Debussy-Biografie ist dementsprechend keine chronologische, geradlinige Geschichte, sondern eine ebensolche Akkumulation von Momenten und (surreale) Impressionen. Zwischen Musikvideos zu den Stücken – leere Hallen für LA CHUTE DE LA MAISON USHER, eine Beatnik-Party beim DANSE PROFANE, gespenstische Kriegsbilder für BERCEUSE HÉROÏQUE, Schwimmen im Meer hier, Umeinanderkreisen im tropischen Gewächshaus eines botanischen Gartens dort – erzählt ein Regisseur (Vladek Sheybal) seinen Schauspielern von den biografischen Fakten eines Lebens voll Frauen, Selbstmord, Egoismus, Ausgrenzung, erotischer Dekadenz und dem Fin de Siècle. Es ist toll – aber mit Oliver Reed in der Hauptrolle und Debussys Musik kann eigentlich auch nichts schiefgehen. (Zudem versucht jemand Katzen zu töten, weil er es mit Debussy (De Pussy) nicht wagt. Humor.)
Sonnabend 02.03.
ok +
Mein Spiritanimal: die Babysitterin, die am Anfang keine Tipps haben möchte, weil sie selbstredend alles im Griff hat und erst gegen Ende des Films mit zunehmend hysterischen Sprachnachrichten wieder auftaucht, nur damit die Superheldeneltern erfahren, dass sie alles in die Hände eines Superschurken gelegt hat.
gut +
Ein aufrechter Firmenmogul und Abenteurer (Willy Fritsch), sein bester Freund (Gustav von Wangenheim), dessen aufgeräumte Fassade beim ersten Anzeichen davon, allein im Weltall zu sein, fällt und unkontrollierte Panik offenlegt, eine emanzipierte Frau zwischen zwei Männern (Gerda Maurus), ein vom Mond besessener Wissenschaftler (Klaus Pohl), der dort gelandet jede Vorsichtsmaßnahme in den Wind schießt und auf alles scheißt, Hauptsache er kann auf seinem geliebten Erdsatelliten mit einer Wünschelrute nach Gold und Wasser suchen, ein Superverbrecher mit Hitlerscheitel (Fritz Rasp), der mit etwas Verführung, Gewalt und viel Erpressung seinen Willen durchsetzt, und ein junger Comicnerd (Gustl Gstettenbaur) landen auf dem Mond. Leider hat Fritz Lang keine Pointe für diese ausufernde Witzkonstellation, dafür aber ein wenig IKARUS-Mythos, ein wenig romantische Ballade über die Ewigkeit der Liebe, ein wenig politische Biedermeierparabel. Viel Schönes hält Fritz Langs letzter Stummfilm bereit, etwa einen FANTÔMAS-Thriller in der ersten Stunde, kreative Versuche Schwerelosigkeit darzustellen, obwohl sich die Schauspieler sichtlich in Schwere befanden, fantastische Weltraumcomiccover oder kleine phantastische wissenschaftliche Essays. Nur seine Space-Madness-Opera bleibt ihm irgendwie fremd.
fantastisch –
Spätestens wenn die Pinguin-Armee mit den Raketen auf dem Rücken und den Hightech-Zielvorrichtungen, die sie wie Universal Soldier vor das linke Augen klappen können, nach Gotham watschelt sollte feststehen, dass dies mit Abstand der beste Superheldenfilm jemals ist.
Freitag 01.03.
großartig
Auf Akin bleibt kein Verlass. Mal ist er sensationell, mal eher nicht so. Weshalb ich mal große Lust auf seine Filme habe, dann zwischendrin wieder überhaupt keine. Der Hauptgrund, weshalb ich lange auf TSCHICK überhaupt keine Lust hatte, heißt SOUL KITCHEN. Aber alles was dort schiefläuft, funktioniert hier wunderbar. Bitte mehr.
fantastisch –
Dass dieser Film lediglich bei Amazon eher anonym gestartet wird, während gleichzeitg DUNE PART ZWO der rote Teppich in den Kinos ausgerollt bekommt, schmerzt ein wenig. Aber sei es, wie es sei, hier findest sich mein Text für den Perlentaucher.
Februar
Donnerstag 29.02.
verstrahlt
Erst in den letzten Minuten wird das Ruder herumgerissen und ziemlich unmotiviert bis pflichtschuldig doch noch etwas über die Zeitenwende erzählt, die im Zentrum von James Fenimore Coopers Roman steht. Davor wurde die Geschichte um ausgelutschten Klischees eines Westerns erweitert – zum Beispiel die Blockhütte mit den massakrierten Siedlern –, die dies zur Geschichte des US-amerikanischen Unabhängigkeitskämpfes machen – die Front liegt nicht zwischen Engländern und Franzosen, zwischen der Huronen und Mohikaner zerrieben werden, sondern zwischen Siedlern und einem Krieg der Kolonialmächte. Das Schauspiel und gerade die Szenen zwischen Daniel Day-Lewis und Madeleine Stowe wirken zuweilen völlig überspannt und fordern laut ein, anzuerkennen, dass es oskarwürdig sei. Ihre gemeinsame Sexszene ist dann im Gegensatz dazu plötzlich unfassbar keusch. Und die Liebesgeschichte, in der eine verwöhnte Zivilisierte einen Quasi-Wilden zu lieben lernt, die lange Zeit im Mittelpunkt gestellt wird, die den dramaturgischen Dreh- und Angelpunkt bildet, verläuft irgendwann völlig im Sand. Mit anderen Worten: einiges liegt im Argen, was mich eher auf Distanz hält, als in den Film holt.*
Aber wie es Mann inszeniert, wie er Wald und Wasserfälle einfängt, wie schön dieses Kino der Bewegung und der Attraktionen ist, wie die Musik (teilweise unpassend) theatralisch drüberorgelt, wie Mann auf Realität, Konsistenz und Informationen scheißt … mir fällt es immer noch schwer den Film zu genießen, aber trotzdem – in seiner Mischung aus Eleganz und tölpelhafter Geschmacklosigkeit – ist er doch ein Erlebnis und vll. trotzdem einer der besten Filme überhaupt.
*****
*Was mglweise auch nur mein Problem ist, weil der Film gerade das große Thema war, als ich anfing mich mehr für die Welt zu interessieren und diese wahrnahm. Aufsteller zum Film standen im Kino herum, Berichte über ihn zierten die kostenlose Kinozeitschrift, er wurde im Fernsehen behandelt und immer ging es auch um Oskars. Weshalb dies [neben AUF DER FLUCHT von 1993] zumindest in meinem Kopf als einer der besten Filme aller Zeiten abgespeichert ist, so präsent wie er war. Eine Abspeicherung, die dann eben zu Enttäuschungen führen kann.
Mittwoch 28.02.
nichtssagend
Ich halte es dem Film zugute, dass ich das Buch, dass ich vor 28 Jahren gelesen habe – wenn ich mich richtig erinnere, kam gerade der Fußball nach Hause -, jetzt wirklich sehr gern noch mal lesen möchte. Aber nicht unbedingt, weil ich die Umsetzung so überzeugend fand. Mehr dazu bei critic.de.
Dienstag 27.02.
gut
Filme sollten öfter mit sich unmittelbar entzündenden Betten beginnen. Danach ein paar tolle Ideen – eine sensationell behäbige Bettlöschung, Kartoffelschneiden per Ventilator – und viel vom ewig Gleichen – Tortenschlachten und Co.
Montag 19.02. – Dienstag 27.02.
gut +
Etwas Dämonisches hat sich wie ein Pilz in den Wänden eines Plattenbaus und im Geist der Bewohner ausgebreitet. Als Stimmungsbild der neuen Bundesländer und als sarkastischer Kommentar auf die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften, die hier zum sumpfiges Biotop aus Nationalismus, Drogenabhängigkeit, Alterseinsamkeit, Jugendeinsamkeit, zur Rettung in fragwürdige, zoologische Hobbys geworden sind, ist es unangenehm und schleimig. Nur ist der Plattenbau der Handlung von der ersten Sekunde an finster und dämonisch. Die ganze Serie lang gibt es keinen blauen Himmel, kein saftiges Grün von Pflanzen und fast keine ausgeleuchteten Orte. Über die acht Folgen herrscht optische, dramaturgische, schauspielerische Gleichförmigkeit ohne Dynamik. Mich beschlich auch der Verdacht, dass die Serie von jemanden inszeniert wurde, der sich Plattenbauten nur als Hölle vorstellen kann … was mich als Plattenbaukind etwas beleidigte. (Nur bedingt würde ich in einen solchen wieder ziehen wollen, aber nicht, weil einen das Übel dort anspringt, sondern, weil es sich langsam herausschält.) Jedenfalls hätte ich mir jemanden als Ausführenden des Drehbuchs gewünscht, der mehr Sensibilität für den Ort gezeigt hätte und nicht nur einen Modus kennt … Plattenbaukind oder nicht.
Montag 26.02.
ok
Ein Wissenschaftler (Willem Dafoe) setzt den Geist eines frisch geborenen Babys in den Kopf ihrer gestorbenen Mutter (Emma Stone) … einfach, weil er es kann und gucken möchte was passiert. Ein Kind in einem erwachsenen Körper entdeckt folglich Sex und das Verhältnis der Gesellschaft zu diesem, während sie durch Europa reist. Vor allem aber realisiert sie, dass die Unsicherheit der Männer dazu führt, dass diese Frauen einsperren und versklaven wollen. Zeitweise sieht es wie ein Abenteuer der AUGSBURGER PUPPENKISTE aus und die Spielfreude von Stone und Mark Ruffalo (als kläglicher Macholiebhaber) lassen es tatsächlich mitunter in dieselbe Richtung ausschlagen. Größtenteils wird es aber als Bildungsroman erzählt, der seinen Quatsch taktisch einsetzt, damit es sich nicht offenkundig als der bierernste und überlange Taschenspielertrick offenbart, der POOR THINGS aber eben ist.
Sonntag 25.02.
gut
Eine schöne Aufwärmübung für den folgenden zweiten Teil sowie SHARKBOY AND LAVAGIRL. An sich wirklich sehr sehenswert, aber durch das Kommende eben doch in seine Schranken gewiesen.
großartig –
Nach ca. der Hälfte der Laufzeit landet die Handlung auf einer Insel voller Mischkreaturen (bspweise: ein Menschenaffenoberkörper auf dem Leib eines Skorpions), deren Schöpfer (Steve Buscemi) sich vor ihnen versteckt, weil er davon ausgeht, dass sie ihn töten wollen. Er philosophiert dabei, ob es Gott vll. ebenso geht. Diese zweite Hälfte lässt das Davor, die simple Fortsetzung, weit hinter sich. Die Jules Verne- und Ray Harryhausen-Anleihen sowie CLASH OF TITANS-Zitate sind schön, wie Robert Rodriguez seinen Grand-Guignol-Kinderfilm aber von der Leine lässt, ist noch besser.
Vielleicht fand ich die zweite Hälfte auch nur deshalb so viel besser, weil Lotti Z. (8 Jahre) in der Mitte des Films Pizza backen gegangen war. Die Pause nutzte ich zur Recherche und entdeckte einen Streaming-Anbieter mit der originalen Kinosynchro. Die bei Netflix verfügbare ist nämlich grauenhaft, weil: emotionslos, blechern und mit unpassend Stimmen. Vor allem der Versuch den Latinoakzent der Hauptfiguren ins Deutsche zu übertragen, war schlimm. Das, was dort zu hören ist, klingt, wie ich mir eine K.I.-erstellte Synchro vorstelle. Vll. sollte ich mal schauen, ob bei Netflix am Ende überhaupt Synchronsprecher genannt werden…
großartig
Am verwirrendsten empfand ich, dass, wenn ich genau hinschaute, Ma gar nicht von Tony Leung spielte wurde, den ich durch Trägheit des Auges immer wieder zu sehen dachte. Mehr zum sich auch oft täuschenden Ma bei critic.de.
Sonnabend 24.02.
ok
Ein Mikrofilm wurde in einem Streichholzbriefchen versteckt. In einer Szene geht dieses von Hand zu Hand und nur wir wissen um den Wert des Wegwerfgegenstands. Auch gibt es diverse Witze darüber, dass die Mikrofimsuchenden ihn in der Hand halten, ohne es zu wissen. Ansonsten: Business as usual.
gut
Zu Beginn wird lapidar in den Raum geworfen, dass das Meer extrem reichhaltig an Leben, aber auch eine endlose Weite aus Nichts, aus verknappten Ressourcen ist. Um Leben und Tod ginge es deshalb ständig. Ergo ist die rote Linie in dieser ansonsten zusammenhangslosen Sammlung wunderschöner und erhabener Naturaufnahmen, denen fast jede Kontextualisierung vorenthalten wird, das Fressen-und-Gefressen-Werden. Orcas fressen Robben- und riesige Walbabys; Robben jagen durch einen Fischschwarm, sekundiert durch Albatrosse, Delphine und Haie; Haie fallen im Rudel über sich versteckende Einzelgänger her uswusf.: Die elegische Schönheit in Verbindung mit dieser Insistenz auf Blut, Gemetzel und Terror könnte noch etwas mehr herausgearbeitet werden, dann wäre es auch einen Tick weniger beliebig.
Freitag 23.02.
ok
Zwei Gen-Xer verlieren ihren Job und müssen sich nun in der Welt der Millennials zurechtfinden – womit zwei Kommunikationsstörungen aufeinandertreffen. Die Charaktere von Vince Vaughn und Owen Wilson reden, reden und reden ohne etwas zu sagen, während die ihnen bei einem Praktikum bei Google an die Seite gestellten jungen Leute auf Bildschirme starren, eine Sprache voller artifizieller Begriffe nutzen und ihre Leere hinter einer Mauer aus Coolness verstecken. Also Generationskonflikt und so, der sehr bemüht und bequem umgesetzt ist.
Donnerstag 22.02.
gut
Teils eine tolle Schnulze über eine gelingende, postmortale Aussprache mit den Eltern und eine innige Liebesbeziehung. Ein Hoch auf die Phantasie, wenn die Realität Scheiße ist – mit einem Gespür für den Einsatz von Pop-Musik, mit säuselnden, kunstvollen Bildern, mit Andrew Scott als schüchternen Bill Paxton. Teils aber auch eine aseptische Ansammlung von wohlfeilen Ideen in einer leblosen, allgemein bleibenden Lebensrealität, die in der zweiten Hälfte nichts mehr mit den Eltern und der Liebe – mit der gewonnenen Schönheit anzufangen weiß – und diese lustlos (und mit einem 08/15-Twist) aus dem Film komplementiert.
Mittwoch 21.02.
verstrahlt
Kurz nachdem die 1950er Bilderbuchfamilie auf die Hot-Rod-Rowdys trifft, auf eine außer Kontrolle geratene Jugend, bezeichnet Tom Phillips (Dana Andrews), der Vater, die lebensmüde vorbeirasenden Teenager als Animals. Höchst moralisch werden zudem diverse Leute in gecrashten Autowracks enden, also in den Symbolen ihrer heruntergekommenen Charaktere. Die Jugendlichen werden irre lachend das Adrenalin genießen, während die rückenprojezierte Landschaft an ihnen vorbeirast, schließlich ist dies ein Problemfilm, der seinen Zeigefinger erhebt und etwas beweisen möchte. Dieses Animals ist aber der erste Marker, dass es vll. nicht ganz so einfach ist.
Tom Phillips hatte gerade einen Autounfall und eine schwere Reha. Sein Rücken schmerzt bei jeder Bewegung, und er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung – der Unfall könnte etwas aus dem Zweiten Weltkrieg getriggert haben. Keiner Auseinandersetzung kann er sich stellen, weil Rücken und Psyche ihn hilflos machen. Keine Möglichkeit wird ausgelassen, um seine Impotenz schmerzhaft, geradezu hysterisch ins Bild zu setzen. Er kann nicht mehr der Beschützer seiner Familie sein, die nur da sind, um schutzbedürftig zu sein. Die Tom den Himmel auf Erden schenken, so sauber und ordentlich glänzen die Bilder, sobald die Kernfamilie alleine ist und sich ihrer Konflikte kurzzeitig entledigt hat. Und weil er hilflos ist, reagiert er über und wütet … und statt seinen jugendlichen Widersacher im Affekt zusammenzuschlagen, würgt er, will töten. Tom Phillips ist nicht der Sympathieträger des Films, sondern ein kurz vorm Ausbruch stehender Vulkan.
Die Jugendlichen hingegen haben Fieber. Sie sind emotionale Zeitbomben. Mimsy Farmer lässt uns förmlich das Jucken unter ihrer Haut spüren, weil ihr alles zu ruhig, zu harmonisch, zu beschützt ist. Lieber ein Feuer legen, lieber mit Bierdosen nach Kindern schmeißen. Sie sind vll. auch keine Sympathieträger, aber zwischen all den biederen Moralpredigten und vor allem zwischen all der Herablassung der um ihre Macht besorgten Erwachsenen mag es trotzdem ein wenig nachvollziehbar scheinen, wie aufgekratzt sie sind.
Brahm selbst hält es sichtlich mit dem Besitzer eines Hotels und Tanzlokals. Der ist flexibel und betreibt eine Bar, in der die Alten sitzen und ihre Trinks schlürfen, während die Jugend hippe Musik macht und tanzt, in der die Generationen sich begegnen und miteinanderleben. Von dieser Utopie aus beobachtet er diesen aus dem Ruder laufenden Generationenkonflikt, genießt den Nebel und die ständigen Brüche zwischen grenzenloser (beängstigender) Harmonie und rauschhafter, geschwindigkeitsversessener Lebenslust.
Sonntag 18.02.
großartig
Marcel zieht früh los, um für seinen Hasen einen Gefährten zu besorgen. Ca. 24 Stunden begleiten wir ihn und sehen dabei, wie er zu 6 Mark kommt, die nicht für den Kauf eines Karnickels reichen und die er wieder ausgibt, wie er eine goldene Kugel geschenkt bekommt und sie wieder verschenkt, wie er mit Pfeil und Bogen ein Mädchen befreit, wie er Musikern zuhört, seltsame Leute trifft, wie er durch den Wald schlendert, in einer Kommune übernachtet, wir sehen Pfützen, Blätter, Straßen, Impressionen eines sonnigen Tages. Kurz: Nichts passiert und doch ist es ein Abenteuer, ein Märchen. Oder eben: Der ottonormale Kinderfilm, in dem ein Kind sich Frühs selbst ein Rührei brät, weil der Vater weg ist und die Mutter bei ihrem neuen Freund schläft, und das bei fremden Leuten ins Auto steigt und mit ihnen in den Wald fährt.
nichtssagend
Moriarty, Nazis und nichts ist los. Zudem wird mir immer mehr bewusst, dass ich Rathbones Version von Sherlock Holmes höchst enervierend finde. Aber es sind ja nur noch 10 Filme.
Sonnabend 17.02.
gut –
Dass Slapstick-Nickelodeons zwangsläufig auf eine Tortenschlacht hinauslaufen würden, schien mir stets eine Übertreibung zu sein. Als ich jung war, liefen solche Filme ja immer noch am Wochenende im Vormittagsprogramm. In meiner Erinnerung war da viel mehr los. Stürze von Verkehrsmitteln zum Beispiel. Oder Türen, die gegen Leute schlagen. Aber ach! Kaum tauche ich etwas tiefer als High-Concept-Buster-Keaton-Comedy und schon fliegen die Torten.
großartig
Unter der Oberfläche der Superheldencomicverfilmung findet sich der Psychothriller einer verhängnisvollen Affäre. Direkt auf die Exposition folgt eine Parallelmontage. Die Modefotografin Vicki Vale (Kim Basinger), die in den Krieg ging, um ernst genommen zu werden, hat ein Rendezvous mit dem bodenständigen, aber exzentrischen Multimilliardär Bruce Wayne (Michael Keaton). Nach dem Sex steht er auf, hängt sich an seinen Füßen auf und lässt sich kopfüber baumeln. Scheinbar kann er mit seinem Fledermausfetisch nicht im Bett schlafen. Während der harmonische Abend so zu einer immer bedenklicheren Nacht für Vicki wird, zeigt uns BATMAN parallel, wie der in den Wahnsinn getriebene kriminelle Ehebrecher Jack Napier (Jack Nicholson) die Herrschaft in der Unterwelt an sich reißt … der Mann, der von Batman zum Joker gemacht wurde und der aus Bruce Wayne Batman erwachsen ließ. Weshalb sich Vicki nicht einfach nur mit einem Mann mit einem Alter-Ego einließ, sondern erlebt wie in dieser besorgniserregenden Nacht das zusätzliche Alter-Ego des gespaltenen Manns aufsteigt.
Auf diese Parallelmontage folgen Dates zwischen Vicki und Bruce, die zu Treffen von Vicki und dem Joker werden, zu Androhungen von Entstellung. Oder der erste Besuch Vickis in der Bathöhle, wo Batman sie mit einem Mal gepackt. Nach einem jähen Schnitt wacht sie in ihrem eigenen Bett auf … nur fehlt nun etwas, was sie in ihrer Unterwäsche versteckt hatte. Mittels Tanz, überdrehten Wahnwitz und psychosexuellen Terrors bewegen wir uns so auf eine Hochzeit zu. Auf das Finale in der Kirche, in der der Joker stirbt, weil Vicki nun um Bruces Doppelidentität weiß und sich die Ahnung, an einen Wahnsinnigen geraten zu sein, auflösen kann. Hach, Liebe!
Freitag 16.02.
großartig –
Der Off-Kommentar aus Eugenes (Matthew Broderick) Tagebuch ist schlimm – etwas Nostalgie, etwas Beweisführung, dass Neil Simons Stand-In literarisches Talent besäße. Vor allem ist es banal und schwülstig. Aber vll. ist dieser Off-Kommentar auch das Biestigste dieser George Costanza beim Militär-Jugenderinnerung, die die erste Hälfte von FULL METAL JACKET mit EIS AM STIEL kreuzt. Militärische Erniedrigung steht neben ersten Erfahrungen mit Sex und Liebe. Eine zusammengewürfelte Gemeinschaft schwankt zwischen gegenseitigem Terror und Annäherung. Und beim schikanierenden Ausbilder (Christopher Walken) liegen der psychopathischste und der sympathischste Moment direkt nebeneinander. Nur der Off-Kommentar mag von den Ambivalenzen nichts wissen. Er glättet und erklärt das Trauma zur schönsten Zeit des Lebens. Womit er auch eine weitere Ebene der Brüche einfügt.
Christopher Walken als Offizier ist suuper. (Eugene stellt ihn zwar wiederholt als Psychopathen dar, während andere Ausbilder zurechnungsfähig seien. Nach meinem Dafürhalten und meinen Erfahrungen schien er mir aber relativ normal für einen Offizier in einer Grundausbildung – von besagtem psychopathischen Moment abgesehen.) Auch Matthew Broderick ist toll mit seinem grundsympathischen Lächeln und Dackelblick, in denen nichtsdestotrotz Herablassung gegenüber seinem Umfeld steht. Er ist schlicht ein wunderbares Gefäß für unsere Selbstwahrnehmung. Denn unsere Handlungen scheinen uns natürlich nachvollziehbar und logisch, während wir auf uns aus einer anderen Perspektive ebenso wie ein Stück Scheiße wirken. Am besten ist aber, wenn auf einen Fremdschambordellbesuch eine Liebesszene folgt, in der die Kamera atemberaubend und intim um ein Paar in einem Ballsaal kreist.
Donnerstag 15.02.
ok
Robert Rodriguez‘ KINDER AN DIE MACHT. Aber das Beste ist, dass ich jetzt ein erfolgsversprechendes Argument habe, dass ich SHARKBOY AND LAVAGIRL in den DVD-Player legen darf.
gut +
Fünf Freundinnen und jede stellt einen eigenen Typus dar. Jede mit einem anderen Verhältnis zu den Männern, zu Selbstständigkeit und der Liebe. Irgendwo handelt es sich schon um einen sehr schematischen Film. Aber Antonioni, der seinen Stil gerade findet, verbindet die Ansätze des ihm später Typischen mit einem Melodrama voller Bitches und Cat-Fights. Ganz toll ist Yvonne Furneaux als eiskalte, garstige Soup-Opera-Diva, aber auch die sich in die Stille schleichende Musik Musik Giovanni Fuscos oder die feuchtfröhliche Dysfunktionalität bei einem Strandbesuch.
Mittwoch 14.02.
großartig –
Ein dokumentarisches Essay über einen armen Jungen aus Worchester ohne institutionelle musikalische Ausbildung, der als junger Mann für die lokale Kirche oder die Band der Irrenanstalt komponiert und nach jahrlanger Ablehnung so weit aufsteigt, dass sein THE LAND OF HOPE AND GLORY während des Ersten Weltkriegs und danach die inoffizielle zweite Nationalhymne wird. Russell zählt die biographischen Dinge zwar auf, ihm geht es aber vor allem darum, Elgars Musik in seine Lebensumstände zu beten.
Dienstag 13.02.
verstrahlt +
Wußte man denn niemals in der Kunst, wo der Wahnsinn begann? Alle verkannten Genies rührten ihn zu Tränen, und je abwegiger ein Bild oder ein Buch wurde beim grotesken und jammervollen Sichmühen, um so mehr erbebte er vor bamherziger Liebe und spürte das Bedürfnis, diese Armen, die das Werk wie ein Blitzstrahl zu Boden schmetterte, fromm einzulullen in die Verstiegenheit ihrer Träume.
(Emile Zola – Das Werk)
Rob Schneider ist anstrengend, denn er fordert vehement Liebe ein, ohne liebenswert sein zu wollen. Seine Figuren gleichen vom Typus in etwa denen Adam Sandlers. Beide spielen eigenwillige Außenseiter, nur herrscht ein grundlegender Unterschied: Sandler vertraut darauf, dass er, egal was geschieht, geliebt wird – Rollen wie in UNCUT GEMS funktionieren gerade so gut, weil Erwartung und Realität dermaßen auseinanderdriften –, während Schneiders Rollen immer davon ausgehen und darauf angelegt sind, dass sie jämmerlich sind, dass sie abstoßen, dass sie ausgegrenzt werden. Selbst die daraus resultierende Komik zielt nicht darauf, dass wir zwangsläufig lachen, setzt uns penetranter Geschmacklosigkeit aus. Lachen ist nur einer, der sich bietenden Auswege, diesem Wahnsinn zu begegnen.
Auch wenn ich seine anderen beiden Regiearbeiten noch nicht kenne, scheint mir DADDY DAUGHTER TRIP Schneiders TEXAS CHAINSAW MASSACRE, sein APOCALYPSE NOW! zu sein. Nichts bleibt von THE HOT CHICK oder THE ANIMAL, die noch als klassische Komödien funktionierten und gekonnt mit Schneiders-Rollentypus spielten. Stattdessen werden die Gigolo-Filme potenziert, die schon nur bedingt witzig waren. Film und Hauptfigur erscheinen hier nun wie etwas, das nur eine Mutter lieben kann. Als wolle Schneider keine Gefangenen mehr machen.
Rein optisch ist DADDY DAUGHTER TRIP so unansehnlich wie die Frisur, die Schneider trägt. Keine der Figuren wäre in einem anderen Film mehr als eine Randerscheinung. Seine Tochter Miranda macht er zu seiner Filmtochter, die ganz der Vater ist und den zuckersüßen Sympathiemagnet nur bedingt darstellen kann. Die Witze sind krass und derb und reihen sich gnadenlos aneinander. Fürze, Slapstickgewalt, Leute, die in der Waschanlage auf der Windschutzscheibe liegen. Die 10 Minuten nachdem der mittellose Vater mit seiner Tochter aufbricht, um ihr etwas in den Frühlingsferien zu bieten, mit dem sie sich nicht vor ihrer Klasse schämen muss, sind so schmerzhaft und niederschmetternd, dass A WOMEN UNDER INFLUENCE zum Wohlfühlfilm verblasst. Ein unfassbares Monument menschlicher Unzulänglichkeit und eines Willens trotzdem nicht aufzustecken.
Strukturell sehen wir durchaus einen Wohlfühlfilm: Leute raufen sich zusammen und bekommen die Anerkennung, die Liebe und den Erfolg, den sie verdienen. Und vll. ist dieses verdienen der springende Punkt. Sie verdienen es nicht, weil sie irgendwas können, weil sie witzig sind, gute Erzähler oder charmant, sondern weil sie Menschen sind. Sie verdienen es, auch wenn sie völlig krude sind und so wie Rob Schneider, der so kompromisslos wie nie die Fratze zur Aufführung bringt, wie er sich von anderen wahrgenommen fühlt.
Die eingangs benannten Horror- und HERZ DER FINSTERNIS-Filme sind ein passender Ausdruck für die Härte und das Megalomane dieses Films, die passendste Referenz bietet jedoch das Kino John Cassevetes. Ein Kino der Kämpfer, die nach dem Leben greifen, egal wie sehr es sie ausspuckt, die Teil sein wollen, auch wenn sie nirgendwo hineinpassen. Nur dass Schneider dies nicht mit den Mitteln des Dramas angeht, sondern in Form einer an Wahnsinn grenzender Katastrophe einer Komödie, die so irrsinnig und eben doch auch mit zweifelhaften Mitteln witzig ist. Und das ist doch besser als würde wir wieder mit etwas abgespeist, das funktioniert wie erwartet.
Sonntag 11.02.
ok
Die Voice of Terror-Eingangssequenz führt eindrucksvoll vor, wie einem wohl bange werden musste, als die Achsenmächte Europa scheinbar unaufhaltbar überrannten. Danach darf Basil Rathbone eine fusselige Frisur tragen, um anzuzeigen, dass er alt geworden ist, da sein Sherlock Holmes für den Kampf gegen Hitler aus der Rente kommt. Der Rest sind etwas beliebige Krimischachzüge.
Sonnabend 10.02.
großartig –
Im Grunde genommen ist das Pong – also das frühe Videospiel –, in dem sich lebensmüde, schauspielende Stuntmen zwischen zwei Häuserfronten, getrennt von einem Zaun, hin und her bewegen … nur das ihnen unterwegs absurde Dinge passieren. Zwei Hosen werden auch rutschen, wieso sie für den deutschen Titelgeber so zentral sind, weiß ich aber auch nicht.
gut –
Ich mag ja Denis Moschitto sehr und finde es schade, dass der Regisseur/Autor seines neuen, ziemlich guten Films ihm keine bessere Rolle gegeben hat. Mehr dazu bei critic.de.
Freitag 09.02.
gut –
In diesem theatralischen Schauspielkino dürfen Bette Davis und Gary Merrill mit großen Monologen und unzähligen Beweisen ihrer Hassliebe gegen die hölzerne Langeweile des Skripts anspielen. Am besten ist aber die Figur des Tierarztes (Emlyn Williams) von nebenan, der immer bestens unterrichtet ist, in wessen Keller welche Leiche liegt, und der ganz zufällig darauf zu sprechen kommt, wie um den aufgekratzten Leuten damit den letzten Nerv zu rauben.
großartig –
Badewasser wird geschlürft, in das hineingewichst wurde; ein frisch geschaufeltes Grab gefickt; beim Cunnilingus wird sich genüsslich im Regelblut gesuhlt; per Plansequenz nackt durch einen leeren Palast getanzt: Einiges an diesem twistreichen Thesenfilm ist lasch, lau und viel zu nett, aber seine Darstellung des Papiertigers der Reichen und Einflussreichen, die perfide unterwandert werden, ist so unverschämt lustvoll, dass es ein Heidenspaß ist.
Donnerstag 08.02.
nichtssagend
Auch ein Geschenk an mich für das vergangene Lebensjahr: Die letzte Folge Derrick nach fast sieben Jahren chronologischen Schauens. Am 3. April 2017 hatte es mit WALDWEG begonnen. Bis zum Juni 2020 war ich bei Folgen 240 angelangt. Dann begann das Stocken. Die Doppelbewegung der Serie machte mir zu schaffen. Einerseits hatten Regisseure wie Brynych, Vohrer, Goslar, Gräwert und Becker ihre letzten Folgen gedreht. Der Versuch eines aufregenden deutschen Genrekinos im Fernsehen verebbte in den 1990ern zusehends. Andererseits fiel die simple, biedere Krimikost weg, Folgen wie MADEIRA, da sich der alleinige Drehbuchautor immer extremer in seine von der Moderne bestürzte Parallelwelt einschloss. Aus dieser Position bekam er keinen Krimi ohne Mahnung mehr hin. Durchgehend wirre und/oder unangenehme Episoden waren das Ergebnis – mit Abstrichen waren sie es schon zuvor, nur sah es nun, da es eskalierte, nicht mehr nach einem TWIN PEAKS-Vorläufer aus, sondern nach Demenz.
Für die letzten 40 Folgen habe ich fast vier Jahre gebraucht. Die tollen Folgen wurden rarer, und ich rechnete kaum noch damit, auf eine zu stoßen. Trotzdem hatte es die Serie weiter in sich. Langweilig wurde es in der finalen Phase weltmüder Entrücktheit schon gar nicht. Und jetzt, wo ich über die Serie nachdenke, fallen mir umgehend Folgen ein, auf die ich mal wieder Lust hätte. Die Aussicht auf DER ALTE, eine ähnlich gelagerte Serie, die nicht von Reinecker geschrieben wurde, scheint nun umso verlockender.
Die letzte Folge ist übrigens kein gelungenes Abschiedsgeschenk. Haugk, verantwortlich für ein paar der allerbesten Folgen, kann der Struktur des Drehbuchs kaum etwas entgegenstellen. Derrick läuft im Kreis zwischen Verwandten und Freunden eines inhaftierten Verbrecherbosses, der Derrick töten lassen möchte. Schön: überall hängen die riesigen Portraits des Bosses. Unschön: immer wieder die ums gleiche kreisenden Dialoge, als hätte die Platte über die Beförderung Derricks nach Brüssel und seine Versuche, die Menschen der Gegenwart aus ihrer moralischen Lethargie zu reißen, einen Sprung. Derrick tritt trübe ab, leider. Als Schlussstrich ist es aber umso effektiver. Derrick hatte seinen Ruhestand sichtlich nötig.
*****
Spontan wären das meine 20 Lieblingsepisoden, vor allem aber hat mir der Versuch, mir einen Überblick zu verschaffen, wieder vor Augen geführt, wie viele, viele tolle Folgen zur Auswahl stehen:
(01) Pfandhaus (Dietrich Haugk, BRD 1975)
(02) Pecko (Zbyněk Brynych, BRD 1976)
(03) Tod des Wucherers (Zbyněk Brynych, BRD 1977)
(04) Der Mord, der ein Irrtum war (Dietrich Haugk, D 1997)
(05) Steins Tochter (Wolfgang Becker, BRD 1978)
(06) Die Puppe (Theodor Grädler, BRD 1979)
(07) Eine Nacht im Oktober (Wolfgang Becker, BRD 1977)
(08) Karo As (Dietrich Haugk, BRD 1979)
(09) Hoffmanns Höllenfahrt (Theodor Grädler, BRD 1975)
(10) Dr. Römer und der Mann des Jahres (Theodor Grädler, BRD 1983)
(11) Der Schlüssel (Zbyněk Brynych, D 1994)
(12) Kaffee mit Beate (Alfred Vohrer, BRD 1978)
(13) Der Fall Weidau (Alfred Weidenmann, BRD 1986)
(14) Stellen Sie sich vor, man hat Doktor Prestel erschossen (Zbyněk Brynych, BRD 1984)
(15) Der Mann aus Portofino (Dietrich Haugk, BRD 1976)
(16) Familie im Feuer (Zbyněk Brynych, BRD 1985)
(17) Tote Vögel singen nicht (Alfred Vohrer, BRD 1976)
(18) Auf Motivsuche (Zbyněk Brynych, BRD 1988)
(19) Die Nacht des Jaguars (Jürgen Goslar, BRD 1987)
(20) Alarm auf Revier 12 (Zbyněk Brynych, BRD 1975)
(Die Reihenfolge ist verzerrt, da mir die 1970ern am ehesten in Erinnerung geblieben sind. Das Ausmaß des Wahnsinns überrumpelte mich mehr. Es ist jedenfalls nicht stimmig, wie unterrepräsentiert die 1980er Jahre sind.)
Mittwoch 07.02.
fantastisch –
Eine Straße im Mittleren Westen. Staubige, felsige Weite und die untergehende Sonne, die die Szenerie in ein warmes Licht taucht und die Luft flirren lässt. Bei diesem Anblick fing Tino einen Platz neben mir an zu fachsimpeln – über die 1980er, das Filmjahrzehnt der Sonnenunter- und -aufgänge. Seinen kurzen, entzückten Einwurf schloss er damit, dass dieses Bild auch zu TOP GUN passe. Was durchaus stimmt, mich faszinierte aber etwas anderes. Die Straße, auf der David (David Marshall Grant) und Marcus (Kevin Costner) mit ihren Rennrädern entlangsausen, sah in der gewählten Perspektive aus, als würde sie vor der Kamera gleich einem Wasserfall abfallen. Als würden die beiden Brüder augenblicklich senkrecht nach unten fahren. Das Bild ist Feier der Weite des Westens, des Aufbruchs und des Mythos der USA. Mittels dieser optischen Täuschung ist es aber auch das bizarre Bild eines sich ankündigenden Absturzes und des Paradoxons einer Straßenführung, die wider die Vernunft ist. (Leider wird weggeschnitten, bevor beide dort ankommen.)
Dieses zwiespältige Bild bringt das Hollywoodkino der Zeit noch mehr auf den Punkt, als wenn da nur ein Sonnenuntergang gewesen wäre. Vor allem steht es sinnbildlich für AMERICAN FLYERS. Auf der einen Seite ist dieser alles, was wir von ihm erwarten. Er ist bunt, er pumpt, ihm strömt Pop aus jeder Pore. Er sieht wunderschön aus. In seiner Verschmelzung von schmieriger Lebensfreude mit berührendem Drama, von Quatsch mit Blut (tödliche Krankheiten), Schweiß (sportlicher Wettkampf) und Tränen (Abschied- und Familiendrama) ist er aber zudem höchst uneben … gerade weil dramaturgisch eher gar nichts so abläuft, wie es erwartbar wäre. Kaum ist auszurechnen, ob Kevin Costner als nächstes seinen Arsch auf dem Rad entblößt oder ob ihm eine Hirnblutung auf einer Abfahrt aus der Nase zu läuft. Das Ergebnis charmant und voller Überraschungen.
Hinzukommen bizarre sekundäre Kontrahenten – ein sowjetischer Radfahrer mit aufgepumpten Armen –, eine zarte Frau aller Rassen, die Haare auf der Zunge hat und Autoreifen wechselt, oder die Szene, in der der Hauptkontrahent David mit seinem Kinn in einem Abgrund drängen möchte. Ganz großes Kino, wie es in der Art nur die 1980er Jahre vermochten.
Dienstag 06.02.
gut –
Eine junge Frau wird ermordet. Ein Ornithologe hat statt Vogelgesang zufällig ihren Todesschrei aufgenommen. Aber Derrick muss sich nicht wie Harry Caul durch die Tonbandaufnahme Richtung Wahrheit kämpfen, sondern spielt es ruinierten Stadtmenschen vor, die er damit mürbemacht. Mit dabei: eine Mutter, die ihren in München lebenden Kindern (u.a. Thomas Schücke), nach dem Mord als erstes vorwirft, dass sie nicht auf ihre Schwester aufpassten; zwei Geschwister, die Fragen nach ihren Jobs mit vielsagenden Nichtantworten begegnen, die zunehmend nahelegen, dass sie ihr Geld mit Sex und Kriminalität verdienen; ein lebensmüder Pianist (Volker Lechtenbrink), der vll. seit der Hochzeit des Film noir in seinem Hotel vor sich hin klimpert und in ewiger, besserwisserischer Desillusion festsitzt; ein Ehepaar (u.a. Wolf Roth), das gerne mondän verkommen sein möchte, aber doch noch von Dingen wie Eifersucht und Liebe verfolgt wird. Also ein ganz netter Cocktail eines schlimmen Großstadtmolochs – Reinecker-Style.
Montag 05.02.
nichtssagend
Ein verschuldeter Geschäftsmann entführt die Tochter eines entfernten Konkurrenten, um per Lösegeld liquide zu bleiben. Aus Gründen schaltet der Erpresste aber Derrick ein, der bei der Übergabe den Täter dingfest macht. Dieser hat zwar ein stimmiges Alibi, aber Stephan durchschaut dessen genialen Plan sofort. Wir verfolgen also ganz klassisch den Kampf zweier Intellekte und, wie Derrick einen Mann mit schlechten Gewissen moralisch bricht, indem er den Täter vor seiner Familie unmöglich macht. Was wiederum bedeutet, dass wir uns größtenteils in einer biederen Reinecker-Parallelwelt bewegen, die das Perverse und die Abgründe – die Entführte, die tagelang in einem Käfig hockt und von der Folge vergessen bleibt – für moraline Debatten links liegen lässt. Nur zu Beginn gibt es ein paar tolle Momente, wenn Kordes (Lambert Hamel) in einer Baumkrone hockt, um sein Opfer bei der Fitnesstanzerei zu beobachten, oder wenn er mit seiner Tochter das Bild einer heilen Vorabendfamilienserie abgeben soll, beide aber mit Reineckerdialogen miteinanderreden. Eine Folge UNSER LEHRER DOKTOR SPECHT im Mantel von DERRICK hätte mich an dieser Stelle mehr erfreut.
Sonntag 04.02.
großartig +
Ich saß lesend im Wohnzimmer, der Fernseher ging an, HOME ALONE begann, weil Kinder mit 8 Jahren längst selbstständig sein können, und ich legte das Buch zur Zeite, weil dies eine gute Wahl war.
großartig –
Im Entwurf des Textes wurden die kleinen, weichen Teile, die im Brackwasser schwimmen, natürlich Buffen genannt. Maurice L., der Lektor von critic.de, fragte daraufhin, was das sei. Ich suchte nach Synonymen, und Google kannte es nur im Sinne von Kiffen, aber nicht in der, wie ich immer dachte, allgemein gebräuchlichen Wortbedeutung. Mir wollten auch kein ansatzweise passendes Synonym einfallen. Vll. war ich in einer alternativen Realität aufgewacht, in der alles gleich war, nur den kleinen Buffen war verschwunden. Zur Sicherheit aller fällt Text das Wort Buffen nun nicht mehr.
Sonnabend 03.02.
großartig –
Mit der Träne, die im Fall zur Patronenhülse geworden ist, hat Woo eines der eindringlichsten Motive der letzten Filmjahre geschaffen. Nur steht es quer zum Rest des Films, der mit seinem Genre nicht eins zu werden vermag – es steht quer, wie das Lächeln von Brian Godlocks Ex-Frau, das kurz vor Schluss dessen Rache zu sanktionieren scheint.
Pro forma handelt es sich bei SILENT NIGHT um einen Rachethriller, mit Abstrichen um Heroic Bloodshed. Zu Heiligabend verliert Brian Godlock (Joel Kinnaman) durch verirrte Kugeln einer Gangschießerei seinen innig geliebten Sohn sowie seine Stimme. Weil die Täter nicht gefasst werden, bringt er sich in Form und trainiert ein Jahr verbissen. Er spioniert das Milieu und seine Ziele aus, um zum kommenden Weihnachten Vergeltung zu üben. Was auch eindrucksvoll geschieht, schließlich ist dies ein Film von John Woo.
Zu Beginn läuft Brian in einem Weihnachtswollpullover – Rudolf ist darauf und dessen Nase bommelt am Bauch unseres Protagonisten – durch L.A. und stellt die Täter, die ihn mit einem Schuss in den Hals exekutieren – daher der Stimmverlust. Das sonnig warme Wetter und Weihnachten, der biedere Familienvater im Gangkrieg: irgendwie ist alles unpassend. Die ist aber kein konzeptuelles Gimmick, sondern der zentrale Punkt. Die Rache reinigt nicht die geschundene Existenz mit Blut, schafft weder Abschluss, noch Neuanfang. Stattdessen durchziehen Momente der Machtlosigkeit und Disharmonie das Ringen eines Menschen, der sich zur Kampfmaschine macht.
Seine Ehe geht vor die Hunde, da er nur noch in der Garage hockt und seine Frau keines Blickes würdigt. Erste Annäherungen an die Objekte seiner Rache verlaufen demütigend. Und ob Brian nun tötet, seinen Hass in Gewalt ausagiert, trainiert oder sonst wie Kontrolle zu gewinnen versucht, seine Selbstbeherrschung bleibt oberflächlich. Trotz der Muskeln, die Joel Kinnaman präsentiert, bleibt er ein kleiner Tropf, der mit traurigen Augen noch den größten Triumph seines Actionfilm-Ichs bricht. Nicht der Tod anderer wird ihn heilen können, nur sein eigener. Was Woo dieses Mal eben nicht als melodramatischen, tränenreichen Reißer umsetzt, sondern als Film, in dem sich alles fremd bleibt. Kalte, nagende Leere im ewigen Sommer Kaliforniens.
Freitag 02.02.
großartig –
Das Kräftemessen zweier selbsternannter Genies, deren Pläne höchste durchschaubar und simpel sind und deren deduktive Schlüsse löchrig und verkürzt ausfallen, ist hanebüchen. Wer gerissene Leute mit durchtriebenen Plots und Gegenplots sehen möchte, ist hier völlig falsch. Aber als Film grotesker Vorlieben, perversen Beziehungen und sagenhafter Dummheit ist es ein Fest.
großartig –
Eine banale Geschichte von Dieben führt in eine endlose Autoverfolgungsjagd. In dieser Struktur gleicht THE ITALIAN JOB dem rüpeligen GONE IN 60 SECONDS, nur ist die britische Version viel, viel bunter und poppiger. In der langen Exposition sucht Michael Caine Geld und Leute für einen perfekt getimten Diebstahl. Wie bei Halickis Film ist belangloses Vorspiel, nur in süffig und mit teilweise enervierendem Augenzwinkern. Als Komödie taugt das vll. nichts, als Ouvertüre für diese ausgedehnte, launige Zirkusnummer einer Autoverfolgungsjagd setzt es aber den Ton perfekt. Und dann halt: Kino als perfekt choreographierte, atemberaubende Bewegung.
Donnerstag 01.02.
nichtssagend
Ein paar Wochen nach Kinostart wurde Harnacks Film verboten, auch wenn er auf Parteilinie lag. Ein Metzger (Erwin Geschonneck) kollaboriert mit den Nazis. Er hat nichts gegen sie und solange er profitiert, setzt er sich gerne zu ihnen an den Tisch und säuft mit ihnen. Oder er macht halt ihre Drecksarbeit – wofür er mittels eines Melodramas gerichtet wird. Der Stein des Anstoßes war jedoch (von Seiten der UdSSR), dass die Zuschauer Mitgefühl haben könnten. Dass es Zweifel, Ambivalenzen, falsche Sympathien geben könnte.
Das Melodrama um den verblendeten Metzger, dem brutal die Augen geöffnet werden, beschränkt sich auf die letzten Meter. Davor findet sich ein Paropagandafilm mit systematischem Aufbau aus einfachen Bausteinen: Aufrechte bis störrische Widerständler landen im Knast oder im Tod, schwache verstecken sich, Zeternde mit Hoffnung suchen nach Rechtschaffenheit im Unrechtstaat, den sie langsam als solchen erkennen, und die bösen Nazis genießen ihre Macht.
Von der Unsicherheit nach der Machtübernahme der Nazis wird erzählt. Niemand weiß, wie es enden wird. Alles könnte noch gutgehen. So schlecht können sie doch nicht sein. Der Blick aus der Zukunft richtet sich aber auf stolze Märtyrer und falsche Hoffnungen, er ist mitleidig und bemitleidend. Schulmeisterlich. Die einzige Tragik ist im Grund keine individuelle, sondern dass es die Naziherrschaft überhaupt gab. Was zu Figuren führt, die aus einem Pateibuch geschnitzten wurden und die uns die Tragik Deutschlands als erstem von den Nazis besetzten Staat trocken vorkauen. Das bisschen Leben am Ende musste da vll. stören.
Januar
Mittwoch 31.01.
gut –
Eine vereinsamte Frau hängt sich an Derricks Rockzipfel, der damit nicht ganz klarkommt. Seit Jahrzehnten hat sie nicht verkraften können, dass ihr damalige Lebensgefährte sie verlassen und dass sie zuvor auf sein Bitten hin abtreiben lassen hat. Nun klammerte sie sich an ein imaginäres Kind und – nachdem sie Zeuge eines Mordes wurde – an Stephan Derrick. Eine nette, traurige Geschichte … in der sich die Einbrecher spiegeln, die bei einem Einbruch zu Mördern wurden und die sich Anna Lakowski vom Hals schaffen wollen. Abend für Abend gehen sie in ein supertristes Striplokal, in dem Steffi Graf-Lookalikes und aufgereihte jungen Frauen ihre Brüste schütteln. Statt mit einem imaginären Kind füllen sie ihre innere Leere eben mit einer traurigen, emotionslosen Form von Sex. Nur Pierre Franckhs V-Mann-Geschichte steht irgendwie im Weg rum.
Dienstag 30.01.
ok +
Fredric March in Hollywood-Verfilmungen der großen Tolstoi-Romane: Es ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Der Auftakt soll sichtlich MGMs Version von THE SCARLET EMPRESS ankündigen und schafft ein erstaunliches Dekadenzportrait, mit strahlender Oberfläche und verkommenem Unterleib. Danach schleppen sich Handlung und Dialoge aber in schwerwiegender, nuancenfreier Deutlichkeit dahin, und nur an manchen Stellen – Greta Garbo wird als Anna Karenina aus dem Haus ihres Mannes gejagt oder das Geisterhaus-Nachtlicht ihres Sohnes – schaffen es Clarence Brown und Co. sich optisch gegen die schematischen Verkürzungen des Romans zu stemmen. Und dann eben Fredric March als Wronskij, der einem nie Argumente dafür liefert, warum sich Anna Karenina in ihn verliebt, der von Beginn weg einen eitlen Pfau spielt, der das Ende des Films in jeder Szene vorwegnimmt, der schlicht kaum erträglich ist…
Montag 29.01.
großartig –
Die zweite Hälfte wird zum Roadmovie, und Payne kann sich das schlimmste Stilmittel des Genres nicht verwehren – bzw.: er setzt es schlimm ein: zu melancholischem Folkpop fahren oder laufen die Protagonisten dahin. Es ist schön, es ist anschmiegsam, es ist unangenehm. Gefühle zum Nulltarif möchte er … und bekommt sie von mir in Form von Zweifeln und Missgunst.
Aber warum eigentlich? Sein Film handelt von zwei sich spiegelnden Protagonisten – der eine ist die ältere Version des anderen und Vice versa –, die ihr allgegenwärtiges Scheitern mit einer großen Klappe, zwischenmenschlichem Sadismus und Alkohol betäuben. Paul Giamatti spielt seinen verbitterten Lehrer als eine Form von E.T., als etwas, das nur von seiner Mutter geliebt werden kann, aber endlos knuffig ist. Während Dominic Sessa einen Emo-Posterboy gibt. Beide werden an Beziehungen mit Frauen scheitern, beide mit dem Verdacht der Jungfräulichkeit belegt, und doch werden sie als liebenswerte Partien fürs andere Geschlecht inszenieren. Auch sie sind Marker des Feel-Good-Movies.
Mit dem von Giamatti gespielten, idealistischen wie leidenschaftlichen Geschichtslehrer, trägt der Film mit sich, dass sich die Vergangenheit nur im Erscheinungsbild von der Gegenwart unterscheide, dass es aber nichts gibt, was es noch nicht gab. Damit findet THE HOLDOVER, der alles tut, um wie ein Film der 1970er auszusehen und der auf einem Film Marcle Pagnols aus dem Jahr 1935 basiert (MERLIUSSE), den Antrieb seiner Hoffnung und seines Pessimismus. Die Geschichte ist für unsere Protagonisten ausweglos, aber auch beruhigend: ihr Scheitern ist nichts besonders, sondern altbekannt und schon oft erlebt.
Also nochmehr Feel-Good-Energie. Payne schmiert es uns aber nur zuweilen dick aufs Brot und vertraut stattdessen lieber auf lakonische Unglücksminiaturen und seine beiden Hauptdarsteller. Diese nutzen den ihnen geboten Raum und lassen sich liebgewinnen – was in einem Payne-Film bisher nicht zwangsläufig funktionierte. Und wir erhalten eine schöne Zeit mit einem ewigen, ewig bitteren Versagen.
Sonntag 28.01.
großartig
Wieder mit Lotti Z. (8 Jahre) geschaut. Der ganze Kannibalenkram war etwas zu viel für sie, weshalb sie es vorzog nur hier und da anwesend zu sein – ganz offensichtlich (noch) nicht wegen politisch-unkorrekten Inhalten, sondern weil es plötzlich um Leben und Tod ging. Davor aber, solange zwei Lebensunfähige alleine auf einem Schiff zurechtzukommen versuchen, auf dem diese alleine gestrandet sind, solange sie alles falsch machen, was falsch zu machen geht, und der Film sie immer irrwitziger an sich und den Umständen scheitern lässt bzw. solange sie irrwitzige Lösungswege beschreiten, war sie dermaßen am Feiern, dass ich jetzt alle Kurzfilme von Buster Keaton besorgt habe, weil ich mehr davon möchte.
fantastisch +
Douglas Sirks TOBACCO ROAD. Ford löst in seinem Film die Dichotomie seiner Werke – (Selbst-) Kontrolle vs. Chaos/Emotionalität – einmal exemplarisch auf und lässt bei seinen die Figuren die Kontrolle komplett unter den Tisch fallen. Sie bestehen nur aus den oft favorisierten Gefühlen und Chaos. Das Ergebnis ist ein Terrorfilm, dessen Plot und Witz am Zuschauer nagen. Ein Film so weich und verfault, dass er kaum zu goutieren ist … und der genau darin seine Qualität findet. Sirk hingegen lässt in INTERLUDE einmal die Restriktion der US-amerikanischen Kleinstadt der 1950er Jahre nur am Rand mitlaufen. Es gibt keine Nachbarn, Freunde und Kinder, die sich der Liebe in den Weg stellen, sondern nur Liebe, Romantik und überschäumende Gefühle. Wofür der Film nach Bayern geht – wohlgemerkt das Bayern der Bundes-republik –, um seinen ganz eigenen Horror aufzufahren.
Helen (June Allyson) – all-american Hausfrau in spe – steht zwischen zwei Grauen. Auf der einen Seite: Dr. Dwyer (Keith Andes), ihr all-american Versorger in spe, der kaum Gefühle in eine Ehe mitbringen würde, aber grundsolide Biederkeit. Mit seinen punktuellen Auftritten zeigt er, wovor sie nach Bayern geflohen sein wird. Auf der anderen steht Dirigent Tonio Fischer (Rossano Brazzi): unzuverlässig, fahrig, exzentrisch, ein Musiker brodelnder Emotion. Während einer Touristengruppe erzählt wird, dass das Schloss, in dem sie sich befinden, für Ludwig II. gebaut wurde, kommt er wie aufs Stichwort die Treppen hinab und begrüßt Helen. Doch sein Ludwig II.-Exzentrik-potential wird noch von seiner nervenkranken Ehefrau übertroffen, die noch mehr Romantik, Fieber und Fäule ist.
Eine weitere Dichotomie findet sich in dieser Gegenüberstellung. Die USA sind ein frisches Land mit frischen Leuten – zumindest in INTERLUDE auch dezidiert biedere und langweilige. Europa bietet hingegen ein grimmiges, komplexes Erbe mit komplexen Familien( und )Geschichten durchzogen von Krebsgeschwüren. Helen und Dr. Dwyer arbeiten in aufgeräumten, hellen Büros respektive einem solchen Krankenhaus, während Fischer nicht nur in Ludwig II.-Gebäuden dirigiert, sondern auch in seinem eigenen Schloss Neuschwanstein lebt, dessen Interieur ein Großangriff auf die Sinne darstellt.
Helen erlebt mit Fischer eine kurze Romanze. Im malerischen Panorama von Salzburg oder bei einem malerischen Picknick, das sie wegen Unwetters in das nahe Seehaus Fischers verlegen müssen. Eine halbe Stunde ist INTERLUDE eine Liebesschnulze aus dem Effeff. Nur hier und da gibt es Bilder der Ehefrau, die sich als verzerrte Spiegelung im Klavierflügel ins Bild schleicht. Sobald Helene aber mit dieser Frau den Wahn kennenlernt, der ihr mit Tonio, mit all dieser zügellosen Romantik blüht, dringen Horror und Wahn immer deutlicher in den Film. Leute rennen in Selbsttötungsabsicht dem Kini in den Starnberger See hinterher, die Farben wollen unsere Augäpfel fressen, Brazzi spricht mit säuselnder Stimme, guckt aber, als wolle er sie – ihren Körper, ihre Seele – endlich rannehmen: alles an INTERLUDE wird zu viel, zu arg, zu überbordend. Helene bleibt also die Wahl, diesen Horror annehmen oder sich in das stille Grauen der anderen Sirk Melodramen zu retten.
Sonnabend 27.01.
gut +
Mitten im Film kommt eine Zeitung rotierend auf uns zu. Angekommen präsentiert sie eine dringliche Schlagzeile. Wie sehr Burtons BATMAN noch in der Serie mit Adam West verwurzelt war, hatte ich gar nicht mehr vor Augen. In diesem Moment war es jedoch unabstreitbar. Auch der Joker ist noch keine leidende Seele, sondern einfach nur ein sadistischer Psychopath without a Cause, der – es sind die von Prince-Songs unterlegten Highlights des Films – Kunstmuseen stürmt, um Gemälden mit Fingerfarben zu verschönern oder seine eigene toxische Parade zu veranstalten. Statt hintersinniger Absurdität bietet er auch eher eine Fips-Asmussen-Kalauermaschine.
Der Joker hat die besten Momente. Drehbuch und Ausstattung lassen ihn erstrahlen. Und doch ist er die Schwachstelle. Von Nichelson wird er hüftsteif gespielt – überhaupt ist es ein Marker kultureller Veränderungen in den letzten 35 Jahren; die Besetzung des Jokers mit einem alten Mann ist schlecht gealtert; nicht wegen der fehlenden Diversität, sondern weil Nichelson nur deshalb einen aufstrebenden Gangster spielen kann, weil der Mafiaboss über ihm mit dem famosen Jack Palance geriatrisch besetzt ist; es ist alles so alt hier. Vom natürlichen Jokerlächeln abgesehen, müht er sich unter einer Maske, die nur bedingt passen möchte, wie auch Burton noch sichtlich nach der passenden Form sucht.
Trotzdem ist sofort zu spüren, dass Burton und Batman sich gesucht und gefunden haben und es schade ist, dass er nur zwei Teile inszenieren durfte. Gotham ist durchgehend eine Mischung aus Noir Krimi, schwarzromantischer Verzerrung und einem vergorenen Jugenstil-Cartoon. Die Gangster sehen aus, als müssten sie in Quarantäne oder wie Mitglieder der S1W. Michael Keaton spielt seinen Bruce Wayne als weltfremden Exzentriker und nicht als Playboy. Und selbst die Liebesgeschichte mit Kim Basinger wirkt wenig romantisch. Überall sind aber die Marker wie toll die Fortsetzung werden sollte.
Freitag 26.01.
gut –
Wenn Basil Rathbone verkleidet durchs Moor läuft und alle narrt, dann kommen leichte Mr.-Moto-Vibes auf. Ansonsten ist das alles – abgesehen vom Moor und den Seancen – etwas umständlich und pflichtschuldig zusammengeschustert. Dass Lanfield für keinen weiteren der 13 Filme verantwortlich war, nehme ich als Versprechen für die Reihe.
gut +
Mutter (Shirley MacLaine) und Tochter (Debra Winger) finden in der Trennung zueinander, wobei die verstrichene Zeit zwischen den gezeigten dramatischen Situationen, mehr über die gegenseitige Gefühle aussagt als das Gegenwärtige. Paradox ist, dass ich Debra Winger (gerade in den jungen Jahren ihrer Figur) am besten finde, obwohl ihre Rolle denkbar undankbar ist, wenn sie am Ende etwas lieblos für die Dramaturgie Krebs bekommt. Die, die unkittbar zerrissen ist, muss für die große familiäre Kommunion alle durch ihren Tod vereinen. Auch der Film selbst bricht darunter entzwei: auf der einen Seite bleibt er komisch, unausrechenbar und ungebunden – bspweise in der Liebesgeschichte der Mutter mit Jack Nicholson, einem verletzlichen Wilden, der die meiste Zeit befreit von den Schlingen der Liebe lieber vor den Kopf stößt, als Nähe zu riskieren –, während TERMS OF ENDEARMENT auf der anderen zu einem schablonenhaften Werbefilm für familiäre Gemeinschaft wird, dessen einzige nicht völlig sentimentale Note die makabre ist, dass eine Tochter (und Mutter) für das Glück sterben muss.
Mittwoch 24.01.
nichtssagend
Manchmal zeigt uns Haugk Derrick als Horrorgestalt oder lässt die Folge mit Eurodance und Aluhüten in hysterische Blödelei ausbrechen. Oder er übersetzt die reineckerschen Moralvorstellungen in dementen Ultrakitsch. Diese Triumphe bleiben jedoch unerheblich im Abnutzungskampf gegen ein ziemlich blödes Drehbuch. In ihren besten Momenten zeigt uns die Episode in ihrer benebelten Entrückung, dass etwas zu tun besser ist als gar nichts tun, wenn sich Derrick tattrig, weltfremd und unfähig um die traumatisierte Tochter eines flüchtigen Mafiamörders kümmert, in seinen doofsten Momenten, also meistens, hat DIE TOCHTER DES MÖRDERS zumindest sehr viel Potential als Metaerzählung, als (Alp-)Traum, den jemand haben könnte, wenn er zu viele späte DERRICK-Folgen am Stück geschaut hat und jetzt durch ein Mafia- und Weltverwahrlosungsdelirium voller biedermännischer Rechthaberei gegeißelt wird … wobei das Schlimme ist, dass sich dies nicht in etwas Delirantes übersetzt, sondern in moralinsaure Schwerfälligkeit.
Dienstag 23.01.
großartig +
Der Moment, in dem Wehrmachtssoldat Ernst (John Gavin) etwas trotzig, aber immer noch lapidar in den Raum stellt, dass dann vll. alle Schuld haben, nachdem der Film minimal, aber unablässig an der Gegenüberstellung zwischen Nazis und den von ihnen unterjochten Deutschen kratzte, ist markerschütternd.
Montag 22.01.
gut +
Einer der Gründe, warum ich demnächst wahrscheinlich doch noch die Ziellinie nehmen und DERRICK durchgeschaut haben werde, heißt PORNOC-CHIO. Der Name, der Leumund: kühne Träume hatte ich, was sich hinter diesem Namen verbergen könnte. Das Ergebnis: Reinecker-Schlock um die pöse, pöse Pornoindustrie und eine geschändete reine Jungfrau. Ashley übersetzt den Widerspruch aus Reinheit und Verderben, zwischen Natur und Moderne, zwischen Herrenhaus und Mietapartment in die Gegenüberstellung von gleisendem Licht und Weichzeichner hier und nüchterne Normalität da. Das Ergebnis ist durchaus jenseitig und kann auch ein wenig mit den TWIN-PEAKS-Parallelwelten mithalten, die es gerade in den ersten 15 Jahren der Serie immer wieder gab. Diese Ansammlung reineckerscher Motive und seinen damit verbundenen zeigefingerischen Moralhaushalt finde ich aber inzwischen auch sehr betrüblich und auszuzelnd.
Sonntag 21.01.
gut –
Simon Verhoeven ist Kamerafahrten verliebt. Zumindest wenn diese durch Räume gehen, in denen die Überbleibsel einer eskalierten Party durcheinanderliegen: Kleider, Zertrümmertes, Essensreste, Alkohol, Koks, benommene Gäste. Vll. auch, weil er von Milli Vanilli wie von einem Börsencrash erzählen möchte. Der Erfolg setzt ein, bevor sich der kleinen Ungereimtheiten entledigt wurde. Schnell ist viel zu viel und immer mehr Geld im Spiel. Immer noch mehr Leute wollen sich bereichern. Immer mehr wollen Rob & Fab beweisen, dass sie wertige Menschen und nicht nur Puppen (von Produzenten und Eltern) sind. Es muss im herben Kater enden, weil nichts zusammenpasst.
Ein pedantischer Vorbehalt bleibt aber. Beispielsweise Frank Farian: Als musikalischer Autist kommt er gut weg. Er hockt in seinem Studio und fandet nach dem bestmöglichen Drum- oder Streicher-Sound, um allen (vor allem den USA) zu beweisen, dass er kein Provinzheini ist … und trotzdem tischt er aber immer wieder die geliebte Kartoffelsuppe auf. Er versteht die Kritik an Boney M. und Milli Vanilli nicht, weil für ihn feststeht, dass das Gesamtpaket stimmen muss. Es wird vom Film nur indirekt erzählt, es ist aber zentral: Fabian scheint besessen vom Gedanken, dass er als Sänger scheiterte, weil er aussah, wie er aussah und eben nicht wie Rob & Fab. Seine Bands scheinen deshalb auch immer aus dem Willen geboren, der Popkultur zu geben, wonach sie verlangt – womit er sie – die Charts, die Leute – auch trollt. Als wolle er nicht nur den Erfolg, sondern damit auch beweisen, dass diesen nur (schwarze) Hingucker mit tollen Bewegungen haben können, deren Gesangsparts von weniger Ansehnlichen wie ihm stammen.
So schön so gut. Aber Matthias Schweighöfer spielt es als Show. Sein Fabian ist einen Tick zu sehr Witzfigur und Brückentroll. Und vll. lag es nur an der hundselenden Synchro, aber irgendwie wirkte der Film dann doch einen Tick zu sehr daran interessiert, das Ereignis Milli Vanilli als amüsante Anekdote zu erzählen, als Witz über eine dieser Frisuren, die man einmal getragen hat und die einem nach ein paar Jahren nur noch peinlich sind.
ok
Ich habe beim Text für den Perlentaucher nicht erwähnt, dass der Cast – vor allem Paula Beer – ziemlich toll ist, weil ich mit mir kämpfte dem Film nicht zu offen vorzuwerfen, dass er ein jüdisches Leben instrumentalisiert, um deutsche Selbstbefindlichkeiten auszudrücken. Was er tut, aber eben nicht nur.
Sonnabend 20.01.
großartig –
Nächster Versuch des erneuten Näherbringens alter Filme an junge Zuschauer. Und dieses Mal schaute Lotti Z. bis zum Schluss und war interessiert und engagiert … auch wenn deutlich zu bemerken war, dass sie nicht daran gewöhnt ist, sich Handlungen lediglich über Bildinhalte zu erschließen … bzw. war es interessant zu erleben, wie komplex THE GENERAL in seiner Einfachheit doch ist.
fantastisch –
Hank (Frederic Forrest) und Frannie (Teri Garr) haben genug von den Kompromissen und Selbstverleugnungen einer Beziehung und leben in einer Nacht ihre Wünsche aus. Doch Coppola lässt weder Hank mit den lasziven Lippen Nastassja Kinskis in dessen Traum eines exotischen Abenteuers glücklich werden, noch Frannie mit dem kultivierten Traum von Distinktion und Latin Lover Raúl Juliá. Ersteres endet ernüchtert auf einer Müllhalde voller aussortierter Las Vegas-Dekors, also auf einer Deponie verglommener Traumversprechen, während Zweiteres in einem billigen Hotelzimmer trotzig verglimmt. Und vll. ist es einer der größten Ausdrücke filmischer Romantik und Fantastik, dass das finale Zufriedengeben miteinander kein melancholisches oder bitteres Ende ist, sondern dass es ein Happy End sein soll, dass Teri Garr den immer wieder präsentierten undefinierten Oberkörper Forrests und seine wenig glamouröse Persönlichkeit Raúl Juliá vorzieht.
Bei der ersten Begegnung nahm ich ONE FROM THE HEART lediglich als seelenlose Ausstattungshuberei wahr. Es stimmt gewissermaßen, ist aber auch total falsch. Die Handlung vollzieht sich in einem Randgebiet von Las Vegas, dass komplett in einem Studio nachgebaut wurde. Coppola lebt eben megaloman seinen Traum aus, Studiomogul und Regisseur in den 1920ern oder 1930ern gewesen zu sein. Klaustrophobisch sitzen Hank und Frannie in einer Spielzeugwelt ohne Außen fest. Nicht minder artifiziell ist der Film beleuchtet und in seinen Bildern entworfen. Sie wohnen in einer Liebeserklärung an das Medium Film, bei der obsessiv die optischen Möglichkeiten eingesetzt werden. Auslaugend, verdreht und aufrichtiger wird so von der Existenz in einer kruden, überdrehten, brüchigen Welt erzählt, von einem ebensolchen bizarren Sein … angetrieben von der himmelschreienden wie beruhigenden Erkenntnis, dass Verzicht immer und überall auf einen wartet. Die romantische Schönheit der Desillusion.
Freitag 19.01.
großartig
Die Tragödie dieser Sichtung war, dass ich STEAMBOAT BILL, JR. auch angemacht hatte, um mal wieder Lotti Z. (7 Jahre) mit altem Kram zu ködern. Sie spazierte wie erwartet kurz nach Beginn ins Wohnzimmer und blieb sofort hängen, war fasziniert und interessiert. Kurz bevor aber der Sturm losbrach, der den Film völlig durch die Decke gehen lässt und den vll. aberwitzigsten Stunt der Filmgeschichte enthält, wurde sie von einem ihrer großen Brüder gefragt, ob sie etwas mit ihm spielen wolle. Sie ging und ich musste – pädagogisch gescheitert – alleine staunen.
gut +
Jedes Mal, wenn sich zu dem Strang zurückbegeben wird, in dem Bill Hader und Seth Rogen zwei Nerd-Slacker-Polizisten spielten, die in einer Nacht aus Chaos die Trauer bekämpfen, dass sie in einem biederen, geregelten Leben geendet sind, war ich raus. Das dort gebotene Bro-Nerdfest fand ich schwer erträglich. Die im Grunde sehr schöne Bromance zwischen Foul-Mouth-Jonah Hill und dem aufrechten Verzichter Michael Cera, die sich lange über Slapstick sowie derbe Sprache und Witze aufbaut und dann auf ein eigentlich erstaunlich zärtliches Finale zuläuft, wäre ohne diese besser dran gewesen. Vll. ist die bei Hader und Rogen gebotene Show zweier Verklemmter, die gerne cool sein würden, mir im ersten Moment aber auch viel zu heftig gewesen. Mal sehen, was die Zweitsichtung sagt.
Donnerstag 18.01.
gut –
Einerseits ist es schön, dass es diese RomCom voll Sex, Anzüglichem und nackten (weiblichen wie männlichen) Körpern gibt. Eine RomCom, die in ihrem Schmier aufgeht. Andererseits will es mit der Romantik und der Comedy nicht so wirklich klappen. Bzw. an manchen Stellen schon, aber über weite Strecken wirken Gefühle und Witz wie Pflichtübungen, auf die sich niemand vorbereitet hat. Mit Sozialschamdrastik wird gegen die Ideenlosigkeit vorgegangen, wie Witzigsein funktionieren könnte, während sich die Romantik auf Formeln zu verlassen scheint. Es ist hochsympathisch und spannend, wie hilflos nach Selbstverständnis gesucht wird, oft aber auch etwas arg blutleer.
Mittwoch 17.01.
ok +
In München flötet eine südamerikanische Sagengestalt in Form eines Obdachlosen(?). Er sucht nach dem ersten aller Lieder, während Reinecker sich in eine Parallelwelt der Drogen und des Verbrechens schreibt, in der Süchtige Maschinen gleichen, die jedem – einem verinnerlichten Programm folgend – Sex für Geld anbieten. Der Regisseur heißt nun wirklich Horst Tappert, der es ernst nimmt und so inszeniert, wie er selbst in der Folge rumsitzt: mit nachdenklicher, bestürzter Miene. Irgendwie ist kaum zu glauben, was hier geschieht, und trotzdem ist es öde. Nach Haugks Irrsinn ist es doppelt schmerzhaft.
Dienstag 16.01.
großartig –
Zuerst: das Melodrama einer jungen, naiven Frau (Jennifer Jones), die in die große Stadt kommt, wo sie sich von einem Hallodri (Eddie Albert) in eine unschickliche Lage bringen lässt, nur um danach die Geliebte eines verheirateten Mannes (Laurence Olivier) zu werden. Ohne nachzudenken wird sie sich von Männern und aufpoppenden Gedanken treiben lassen. Und der Schmerz liegt dabei in den Schatten, den unzähligen Momenten optischer wie zwischenmenschlicher Ausgrenzung und der Ahnung wie schlimm es kommen muss … und in der alptraumhaften Ehefrau Oliviers (Miriam Hopkins!).
Nach einer Stunde bricht der Film in eine andere Richtung aus, in eine Variation von A STAR IS BORN. Erst der langsame Abstieg von Oliviers Großbürger, der nicht mehr Herr über das besten Restaurant Chicagos ist, sondern erst Oberkellner in einer Kaschemme und dann von einer Spirale gen Straße und Tod erfasst. Es ist vielleicht der beste Teil des Films, wenn Olivier aus jeder Pore den Snob dringen lässt, der nur beim Schritt vor die Tür – ob der Menschen und des Drecks um sich – innerlich zergeht. Carrie steigt in der letzten halben Stunde zum Star auf und das Drama packt zusehends seine Sachen zusammen. Durch Stolz versiegen die Lebenskräfte des einen, während die andere blind für das Ausmaß des Schmerzes des anderen unbedarft leidet.
Montag 15.01.
radioaktiv –
Als ich die Folge begann, erinnerte ich mich dunkel, dass bei einer der verbleibenden Folgen Horst Tappert nochmal Regie geführt hatte. Beim Schauen überlegte ich folglich, ob seine Handschrift erkennbar sei. Bzw.: Je seltsamer die Folge wurde, desto mehr überlegte ich, ob Dilettantismus am Werk sei oder ob Horst Tappert doch dazu in der Lage sein könnte, diesen Wahnsinn mit Methode entstehen zu lassen. Beispielsweise wird Derrick völlig erratisch zwischen das Geschehen geschnitten, wie er in seinem Büro sitzt und wie für den Zuschauer Denksprüche aufsagt. An einer Stelle wird ein Dialog nicht per Schuss und Gegenschuss aufgelöst, sondern durch einen Kameraschwenk … von Derrick durch den Raum und auf dem gleichen Weg wieder zurück. Nur blieb die Antwortende unsichtbar, weil die Kamera bei einem leeren Teil des Wohnzimmers anhielt und diesen zeigte. Spaziergänge, Reaktionen auf Mitteilungen, einfachste Dinge: Noch das Kleinste war seltsam und/oder schossen emotional von Null auf Hundert. Immer mehr bezweifelte ich, dass dies Tapperts inszenatorische Hand sein konnte, immer deliranter wurde es … bis sich in Gebiete vorgewagt wurde, die ich der Serie nicht mehr zugetraut hatte … zu TRISTAN UND ISOLDE Unbeschreiblich. Unbeschreibliche Wonne. Als der Name des Regisseurs im Abspann erschien, war zumindest ein Mysterium geklärt.
Sonntag 14.01.
gut +
Bevor Franco Rosso dies drehte, hatte er eine Doku über Linton Kwesi Johnson für die BBC gemacht. Vll. ist deshalb auch die Musik von Denis Bovell, der eben für LKJ die Riddims bastelte, die Hauptfigur des Films. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 13.01.
gut +
Godzilla fällt nach dem Zweiten Weltkrieg über Japan her – wie im ersten Film von 1954. Aber weder wird der Oxygen-Destroya reanimiert, noch steht das Monster für die Atombombenabwürfe ein. Dieses Mal stapft er durch Tokyo als Bild für die Traumata des (kollektiven) Versagens und der verheerenden Folgen des Krieges. Ein Kamikaze-Flieger, der sich gedrückt hatte, muss beweisen, dass er sehr wohl mutig sein und Opfer bringen kann, wenn er denn einen Sinn darin erkennt. Ausgiebig werden patriotische Militärgrüße gezeigt und ein Melodrama um ein zu rettendes Waisenkind und eine zu heiratende Frau lädt den toll getricksten Katastrophenfilm emotional auf. Klassisches Hollywoodblockbusterkino, der seinen US-amerikanischen Widerparts zeigt, wie so ein GODZILLA-Film funktioniert.
Freitag 12.01.
großartig –
Um Rache an ruchlosen Handlangern der Manchu für ruchlose Morde zu verüben, muss Hung (Gordon Liu) lernen, nicht nur auf Kopf und Hoden seiner übermächtigen Gegner zu schlagen, sondern auch mit seiner femininen Seite in Einklang kommen, er muss nähen lernen, zärtlich sein und brutale Mikroschläge anbringen. Was Chang Cheh wohl dazu gesagt hat?
Besonders schön ist auch, wie sich wieder zeigt, wie wenig ein Drehbuch in der Hongkonger Filmindustrie wert war. Der Film beginnt mit einem Endkampf, danach folgt die Wiederholung des immer gleichen Musters, in immer kürzeren Abständen: Hung wird gedemütigt, muss – geradeso mit dem Leben davonkommend – untertauchen und lernt eine neue Kung Fu-Technik, die er aber nie bis zum Ende lernt, sondern sich schon zu früh ins Getümmel aus spaßigem Kampfkunstballett stürzt, weshalb alles wieder beginnt. In dieser Unfertigkeit, dieser Kunst, Dinge nicht bis zum bitteren Ende zu dramatisieren und durchzudenken, sondern es fließen zu lassen und auch Zirkuläres in Kauf zu nehmen, liegt noch mehr Schönheit als in der der Bewegungen.
gut +
Kolportage Geschichte à la ISLAND OF LOST SOULS, nur dass die Wesen auf der Insel nicht Schrecken verbreiten, sondern ihre Ruhe wollen. Eindringlinge werden einfach nur ins Meer geworfen. Eine entscheidende Wendung der Trope.
gut
Zwei Männer, eine Bar, eine Tasche: Kurzfilmtwistzeug mit Absurdität und schräger Atmosphäre. Während meiner Arbeit für ein Kurzfilmfestival in Jena habe ich sowas, glaube ich, zu oft gesehen. Der Sukrow-Touch ist fast nur außerhalb der Bar spürbar, wo grundlos überall Flammen züngeln.
ok
Ein Schulausflug ins Museum gekreuzt mit 12 MONKEYS. Tom Hanks sucht Fanatiker, die die Weltbevölkerung mittels eines Krankheitserregers halbieren wollen – statt es mal mit Umverteilung zu versuchen. Vor allem versucht er sich aber zu erinnern, wem er vertrauen kann. Etwas Paranoia, Gemälde, Skulpturen und grobschlächtige historische Anekdoten und schon ist verschmerzbar, wie wenig erfreulich dieses INFERNO ist.
Donnerstag 11.01.
ok +
Dass eine Komödie über Dämonengeisterfrauen, eine zerbrechende Freundschaft zweier Trinker und über abgeschnittene Finger so bieder sein kann, ist schon ein kleines Wunder … und dennoch der beste Film Martin McDonaghs.
Dienstag 09.01.
großartig
Ein Sommerfilm … von Catherine Breillat. Weshalb er Haken hat … zumindest für die Protagonisten. Mehr dazu auf critic.de.
05.01.-07.01.: 21. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos
Sonntag 07.01.
großartig –
Mehrmals zu Beginn: Untertitel über Schwärze – als würde uns eine gähnende Leere, etwas das visuell nicht darstellbar ist, übersetzt werden. Die dann doch gezeigten Bilder bleiben Verzerrungen der Realität von vier Casinos in Frankfurt: extrem nahe Großaufnahmen einarmiger Banditen, Kamerafahrten durch gebastelte Minireplikas der Handlungsorte, Blicke auf Flure und Gänge, Hallenböden, die mit Fotografien der Angestellten, mit Impressionen wie gekachelt sind. Alles unterlegt von einem Soundtrack, der sich Schicht um Schicht aufbaut, der aus Loops von Spielautomatensounds, Drones und Dschungelgeräuschen die hyp-notische Vertonung eines Abgrunds bastelt. So entsteht ein erratisches Portrait verlorener Existenzen und eines Orts, an dem von Glück und Nähe nur geträumt werden kann.
ok +
Wiederholt werden in Großaufnahme fette Maden mit dem Messer aus offenen Wunden gepuhlt. Für kurze Momente ist Scoteses Film affektives Kino par excellence. Von dieser Drastik abgesehen, bleibt die grüne Hölle des Titels jedoch eine Behauptung.
Die Jugendliche Juliane Koepcke (Susan Penhaligon) überlebt als einzige einen Flugzeugabsturz mitten im peruanischen Dschungel und schleppt sich über zehn Tage hinweg durch diesen, bis sie Waldarbeiter und damit ein Tor zur Zivilisation findet. Diese durchwanderte Hölle besteht aus ein paar Schlangen hier, ein paar Kaimane dort. Diese bedrängen Juliane aber nie, sondern sind lediglich anwesend. Das einzige Ausdrucksmittel für die Zeit und die Strapazen bleibt auch ihr apathisches Voranschleppen. Wie ein Zombie auf der Suche nach Gehirn schreitet sie geistlos voran, wie eine junge Frau unter Schock, die keinen Gedanken mehr fassen kann … auf einem Nachmittagsspaziergang.
Die Rettungsmaßnahmen und das Entsetzen und das Warten des Vaters dramatisieren ihr Wandern oder den Film ebenso wenig. Sie nehmen nur Platz ein. Einzig Gott wird durch dieses Außen in den Film getragen, der vll. seine schützende Hand über Juliane hält, weshalb die Hölle eben ausbleibt.
Zumindest mittels der Tieraufnahmen erhalten wir einen filmischen Ausflug durch eine bezaubernde Welt, die mit einem wehklagenden, verträumten Synthesizer-Dschungel-Vogelgezwitscher-Soundtrack unterlegt ist. Als eigenwilliger Nachmittagsspaziergang ist es schon toll.
gut –
Der einzige Kinofilm des Ohnsorg-Theaters ist ein elaborierter Witz über die Hysterie bzgl. der nackten Welle. Ein Film schmieriger, alter Herren, die es ganz schön und natürlich finden, dass ihre Welt mit nackten Frauen angereichert wird. Alten Herren, die unfassbar viel und in einer Tour saufen. Das Ergebnis gleicht einer deutschen Version von ZAZ, mit deutlicher Betonung von deutsch. Nur die Prä-Benny-Hill-Filmchen von George Harrison Marks, die die grassierenden Erotikfilme der Zeit als Traumsequenzen im Film unterbringen, waren das beste Argument für die Ablehnung der nackten Welle.
großartig +
Verzweiflung an der eigenen Rolle ist wie in NEON GENESIS EVANGEL-LION der Antriebsmotor. Nachdem ihr Gebet scheinbar den totgeglaubten Bruder wiederbelebt, wirkt Anna (Hertha Thiele) wie von Gott auserwählt. Wenn doch mal einer der vor das Haus pilgernden Kranken zu ihr vordringt, ist diese trotz aller Abwehr doch geheilt. Was Anna zusehends einem Nervenzusammenbruch näher bringt, will sie doch eine einfache junge Frau bleiben.
Elisabeth (Dorothea Wieck) verzweifelt ebenfalls an ihrem Selbst, nur ist ihr Pein bereits in Wahn gekippt. Wisbar lässt es eben nicht so aussehen, als ob Anna oder Gott ihre gelähmten Beine heilen würden. Ihre manische Ekstase erweckt den zuvor leblosen Unterleib. In ihrem Wahn versteift sie sich jedoch darauf, dass sie nicht ohne Krücken leben kann. Sie tauscht den Rollstuhl gegen den Glauben an Anna, der sie ihr Seelenheil auflädt. Ein Film der Augen ist das Ergebnis, der gesenkten, zitternden (Anna) und der aufgerissenen, drängenden (Elisabeth).
Das sich widersprechende Ringen um Ruhe und Heilung findet in einem Fischerdorf statt. Karge Architektur herrscht vor. Die huckeligen Wege sind grob gepflastert. Über der Ortschaft thront das Herrenhaus einer aristokratischen Familie. Ein Außen ist ebenso abwesend wie die Moderne. Immer wieder auch Einstellungen, in denen sich Gesichter expressiv entgegenstehen oder kubistisch ineinander verkeilen. Dieses anscheinende religiöse Gleichnis ist deshalb eher ein emotionaler Horrorfilm aus Klaustrophobie und seelischem Fieber. Das Mürbewerde beim Waten durch einen Sumpf.
Sonnabend 06.01.
großartig –
Wie in DRIVE wird eine Ansammlung diverser Arten geboten, Sex haben zu können. Nur verzichtet Deveau nun fast vollständig auf eine Geschichte und damit auf ein Drama. Stattdessen wechseln lediglich die Orte und damit die Milieus. WANTED ist dabei warm, anschmiegsam und zärtlich. Nette Leute zeigend, die zusammen etwas genießen. … und wie um den Ausschluss des Leistungsprinzips zu unterstreichen, sind die Penisse selten steinhart.
gut +
Eine Nathan-Juran-Technicolor-Version von KÖNIG DROSSELBART mit der auf Anschlag gedrehten Emotionalität eines Fassbinder-Films. Grob. Große Gefühle gehen in Khans Film jedenfalls erst los, wenn das gesamte Land in Feuer aufgeht. Starrende, eindringende, manische Augen in maximal geschminkten Gesichtern und die Blickduelle zwischen ihnen kommunizieren nachdrücklich, dass Hass auch nur Liebe mit anderen Mitteln ist. Liebe bedeutet für unseren Helden, dass er sich die Frauen – körperlich wie seelisch – unterwerfen muss, während Nadira als stolze, widerspenstige Prinzessin Marlene Dietrich potenzieren will/soll, gerade was Stolz und Widerspenstigkeit angeht. Ständig geht es drunter und drüber und schlägt Haken nach links und rechts … und fährt final noch eine sagenhafte Traumsequenz auf. Irgendwo ist Mehboobs Khans-Film also sehr super. Das Problem war für mich lediglich, dass er nur einen Gang hat und trotz seinem heißen Temperament lediglich das ewig Gleiche bietet.
gut
Ein Frosch möchte geküsst werden und setzt sich deshalb eine Krone auf, damit Frauen denken er sei verzaubert. Seiner Täuschung geht er aber selbst auf den Leim und beginnt es zu glauben. Ein kurzer Spaß mit Schenkel-klopfern an dessen Grund die Trauer der Selbsterkenntnis lauert. Bzw.: Die Trauer der Selbsterkenntnis wird auf die leichte Schulter genommen.
fantastisch –
Die Geschichte und die Dialoge sind simpel. Zumindest stellt es kein Problem dar, ihnen zu folgen. Sie zu erklären, ist aber eine andere Sache. Die willkürlich geschlagenen Haken und das Eigensinnige des Erzählens, das keinem großen Bogen folgt, schaffen doch Erratisches, Komplexes.
Worauf sich am leichtesten der Finger legen lässt, ist das Nebeneinanderstehen zweier inszenatorischer Strategien: Fast durchgängig erden Kalauer, Flachwitze, idiosynkratische Absurdität und geniale Dummheit das Geschehen. Sie ziehen es in den Dreck und lassen nie die Idee aufkommen, dass wir etwas Ernstzunehmendes sehen könnten. Die leichte, bekloppte Muse ist offensichtlich das Ziel. Gleichzeitig durchziehen atmosphärische, mystische Flächen die Erzählung. Die Baumkronen des Waldes rauschen und der Wind weht durch das hohe Gras. Die Farben sind entrückt und intensiv. Horror und Unheimliches gehen von ihnen aus. Abgründe werden angedeutet, die unter der einfältigen Oberfläche zu lauern scheinen. Zusammen ergibt das Taumeln, ein fremdes, grimmiges, albernes, existentialistisches Meisterwerk.
Am Ende wartet ein Monument der Befreiung. Eine Frau versteckt sich vor den Häschern des Königs im Kloster zum keuschen Joseph. Die Mönche beginnen umgehen sie zu bespannen und behandeln sie wie die Motten das Licht. Doch bringt dies nicht Verfall und Verderbnis, sondern lässt die Strenge abfallen. In Folge wird weicht die strenge Bibelstudie dem Schaukeln.
verstrahlt +
– SAUFMASCHINE (2021)
– IBU1000 (2020)
*****
Die Saufmaschine läuft / Die Menschmaschine säuft. Alcotronics stoisches Herumstehen und seine wie in Stein gemeiselte Delivery, es ist der Fels an dem gute Vorsätze zerschellen.
verstrahlt –
BRINGING UP BABY mit hysterischem Sexverzicht in einer aggressiv sexualisierten Welt aus Titten, Prostitution, Dauergeilheit und organisiertem Verbrechen. Aber auch hier kann sich niemand beim Denken hören, weil dies ein Großangriff auf Ratio und Kontemplation ist. Spaß als Geiselnahme.
fantastisch –
Dies war mein liebster Film des Festivals und meine seltsamste Sichtung. Mehr dazu sowie weitere Perspektiven finden sich auf critic.de.
Freitag 05.01.
großartig
Die DVD belässt das Bild unmaskiert in 4:3, bei der analogen Projektion beim Kongress wurde der Film aber korrekt in 1:1,66 gezeigt. Die Romkulisse in der entsprechenden Tanzszene sieht gleich weniger nach Albert Speer aus. In dieser Begrenzung wirkt alles wenig statisch und leer. Und es wird deutlicher, dass der Film im Grunde aus drei aufeinander folgenden Folgen einer möglichen Sitcom besteht. Denn trotz aller erzählerischen und optischen Entwicklungen geschieht immer wieder das Gleiche mir den gleichen Typen. Running Gag folgt auf Running Gag. Die bundesdeutschen Filme der 1950er verschränken sich in ihrem Willen zum Simplen und Schönen, in der Variation des immer Gleichen vll. mit einer Serie wie FRIENDS.
Meine liebste Figur war der Baron Karl-Heinz von Schlankenhalten (Boy Gobert). Ein trauriger Psychopath, der den Traum von Liebe und Zuneigung einer verachtenden Mutterfigur nicht aufgeben kann, deshalb im frostigen Schatten eines unerfüllbaren Wunsches lebt und damit am Rockzipfel der exzentrischen Millionärin Ellinor Patton (Fita Benkhoff) Entwürdigung auf Entwürdigung erlebt. Sichtlich ist er einer der Running Gags, ein Unhold, der zum Vergnügen des Publikums den Löwen des Spaßes zum Fraß vorgeworfen wird. Und doch bekommt er die traurigsten, empathischsten, intensivsten und komplexesten Momente des Films ab.
Im Gegensatz dazu wird irgendwann der ewig schimpfende Vater unserer von Vico Torriani gespielten Hauptfigur nicht mehr aufgegriffen. Energisch pocht dieser auf Reichtum und Distinktion und ist dabei eine wunderbare Witzfigur in seiner nie abflauenden Erregung. Dass Torrianis Figur nicht wie der Baron ein Gefangener seines Wahns nach Zuspruchs bleibt, ist die Utopie des Films. Passend dazu endet alles in einem himmlischen Meer aus Flieder.
Der Wehrmutstropfen des Ganzen: Die DVD wird der bonbonbunten Farbigkeit des Films gerecht, das rötliche Bild des gezeigten Kodakmaterials nicht.
gut
Wahrscheinlich ein Fall von Devil’s Candy: das optische Äquivalent eines verträumtes Pop-Up-Buchs, indem an Penissen gelutscht wird, die aus Bäumen wachsen, oder sonst ein durchgedrehter Sexkram geschieht. Vom Start weg ist die ein Versprechen einer sehr eigenen Stimme. Aber darin bleibt es stecken. Der Film ist sich seiner selbst zu bewusst, allzu sehr in seine sexuelle Progressivität verliebt und nie wirklich herausfordernd und wild.
ok
Drei Musikvideos, die – einfach hintereinander abgespielt – Resonanzen bilden. Im ersten wird zu Pharrell Williams‘ HAPPY in Teheran (illegalerweise) getanzt. Im letzten sehen wir letzte Handyaufnahmen von entführten und ermordeten Menschen vom Musikfestival in Israel, dass am 07.10. Hamas-Terroristen zu Opfer fiel.) Leider kann ich mich gerade nicht entsinnen, was das zweite Video war.) Jedenfalls finde ich das Statement an Ort und Stelle mehr als angebracht und unterstütze die Intention voll und ganz. Mit seiner Form hadere ich. Vll. etwas zu viel Pathos.
großartig –
Ein Testament dafür, dass ich der Gehemmtheit noch nicht entwachsen bin. Diesen Familienfeierhomevideoausschnitt, in dem zwei kleine Jungs vor tanzenden Verwandten stehen und nicht mitmachen wollen, sich nicht trauen, konnte ich vollkommen nachfühlen. Oder: die Kongresse werden wieder familiärer, nur mit anderen Mitteln.
großartig +
Als Schleife legt Tillmann Scholl wiederholt Satzfetzen – bspweise: alles neu – über seine Erzählung von abgehängtem Leben und Gentrifizierung. Wie die Gedanken, die die Protagonisten in Filmen nicht loslassen, verfolgen sie das Geschehen. Es ist die entradikalisierte Version früher Musikstücke Steve Reichs, mit denen die Gegenwart von einer entstehenden Moderne heimgesucht wird.
Es beginnt als launiges Portrait St. Paulis, das zum realen Wiedergänger von DER GOLDENE HANDSCHUH umschwingt. Daraufhin wird es zur sympathisch stolpernden Mischung aus Abrechnung mit der Gentrifizierung der Reeperbahn und Portrait eines Einzelschicksals, in dem jemand nach dem Verlust seines natürlichen Habitats ein neues Leben sucht, in dem jemand nach dem Abriss des Schlottermanns(?) nicht mehr Barkeeper sein kann/will und deshalb Bauarbeiter u.ä. wird.
Erst die Liebeserklärung an verlorene Seelen, die vom Kapitalismus, dem gesellschaftlichen Zusammenleben oder einfach vom Schicksal zerkaut und ausgespuckt wurden. Nicht einmal Platz für die Putzfrauen ist darin, die hinter ihnen den hinterlassenen Sumpf der Bar aufräumen müssen. Auch nicht für die Prostituierten, die den sehnsuchtsvollen Fluchtpunkt mancher Erzählung und womöglich die letzte Bastion menschlichen Kontakts bilden. Denn diese haben ihr Leben anscheinend mehr im Griff als die Säufer in dieser derben Parallelwelt, von der mit einem Auge für Schwächen, Stolz und bittere Lebensfreude erzählt wird. Ohne den Leuten wirklich nahzukommen, werden sie trotzdem als Menschen sichtbar gemacht.
Darauffolgend die Geschichte des Abrisses ihrer räudigen Zufluchtsstätten, die bei Flut gern mal bis zu den Knöcheln unter Wasser stehen. Damit gesichtslose Promenaden entstehen und ein sauberes Stadtbild. Vorgetragen im Ton persönlicher Beleidigung. Weil die Verlierer der Moderne auch noch physisch vertrieben werden. Weil jemand wie Jürgen, um den sich der Film zunehmend dreht, sich nun ein neues Leben schönreden muss, aber dieses am Ende vll. doch nicht ertragen hat. Es ist, was es ist: ein sehr persönlicher, unfertiger Blick, der erstaunlich intuitiv, seinen Blick ins Licht zu stellen vermag.
großartig –
Ein durchkomponierter Ort der Entfremdung und Paranoia, in dem langsam und benommen von Fetisch zu Fetisch gewechselt wird. Der Aufwand in der Inszenierung und das Zeitschinden, weil das Drehbuch kaum Inhalt bietet, ergänzen sich auf wundersame Weise, wenn es darum geht, die Auslieferung an ein sexuelles Unwohlsein zu porträtieren. Wir sind schon ohnmächtig und es bohrt und bohrt weiter … bei diesem Zahnarzt.
großartig
Inga (Renee Zalusky) wird von ihrem Freund Bodo (Toyo Tanaka) im Puff als Sicherheit hinterlegt. Sonst bezieht ihn Drogenbaron Stone (Hans-Jürgen Wolf) nicht in seine großen Geschäfte ein. Dort lernt Inga die minderjährige Petra (Marina Braun-Goedelt) kennen, die sie führsorglich aus dem Abgrund retten möchte … während sie sich um sich selbst kaum Sorgen macht. Das Ergebnis ist ein wenig 1980er Actionthriller, mehr noch Mafia-Epos, vor allem aber moralische Empörung ins Korsett geistiger Umnachtung gepresst. Mit Dialogen, die wirken, als müssten sie die Figuren erst im Nebel ihres Verstandes mühsam suchen … oder als würden sie wie ein trotziger Eisberg aus diesem hervorschnellen. Mit Petra N. ist rauschgiftsüchtig oder Die Drahtzieher des Todes werden die Bilder mitunter untertitelt und liefern die Kolportage-schlagzeile gleich mit. Bodo lacht ständig das Lachen eines Jokers, das zwischen Verlegenheit und Psychose liegt. Und die Füllszenen zeigen einen deutlichen Fußfetisch: Stiefeln werden mittels Cadrage vom Rest des Körpers abgetrennt. Leitersprossen werden erklommen und Wege gegangen, als gäbe es nichts Wichtigeres. Mit anderen Worten: ein schön entspannter Film aus einer surrealen Parallelwelt … oder vll. doch knallharter Realismus.
Mittwoch 03.01.
ok +
Ein Gespenst geht um in einer mexikanischen Villa, das Rache für die Vergewaltigung und Ausbeutung der Azteken durch die Konquistadoren nehmen möchte. Es entführt und tötet immer wieder die Erstgeborenen einer spanischen Familienlinie, deren blutiges Erbe in zwei Geschichten etabliert wird. Verzweifelte Mütter ermorden in den Geschichten verzweifelt ihre Kinder und doch sehen wir kein Melodrama, sondern einen heruntergekochten Thriller, der mehr Abenteuerfilm als Horror ist. Der nicht anklagt, sondern das beschriebene Erbe nur als bunte Exotik verhandelt. Dass am Ende die Familie dem Gespenst ihr Kind entreißen kann, ist schön aber durchaus auch bitter, wie es auch bitter ist, wie viel Potential hier für einen atemberaubenden Film lauert, wenn er nicht ganz so verschlafen wäre.
Dienstag 02.01.
ok
Der Schmuggler Richard Rolander (Horst Frank) will seinen Chef und Kriegskameraden Erik Hoopen (Harry Meyen), der selbst von einem Chef des organisierten Verbrechens (Rudolf Lenz!) unter Druck gesetzt wird, übers Ohr hauen. Dabei geht es um Vertrauen, um Täuschung und Gegentäuschung, um die Sehnsucht nach mehr, nach Palmen und Liebe … mit Schauspielern, die unter ihrer coolen, arschlochigen Oberflächen den geschlagenen Hund spüren lassen oder die nichts sind, aber so gerne etwas wären. SCHLIESSFACH 763 – von Staudte charmant inszeniert – könnte etwas sein, das zu der Zeit eher aus Frankreich kommen würde, … wenn nicht nach der Hälfte die volle deutsche Miefigkeit einschlagen würde. Denn plötzlich ist Rolander tot und wir verfolgen die Nachforschungen der Polizei … in denen keine charismatischen Ermittler, sondern bauernschlaue Sesselpupper das Heft in der Hand haben. Diese müssen sich damit rumschlagen, dass gesagte Straßennamen wiederholt werden müssen, weil sie nicht richtig verstanden wurden, oder mit dem Überschlagen kurzer Wegstrecken. Der Glamour verbrauchter Gangster weicht dem Glamour deutschen Beamtentums. Der harte Wechsel von Aperol Spritz zu Boonekamp.
Montag 01.01.
großartig –
Nach einer Ewigkeit, in denen die Drehbücher Reineckers Folge auf Folge in völlig entrückte Bereiche verdrangen, ist es eine kleine Sensation: DIE NÄCHTE DES KAPLANS ist einfach eine tolle Folge. Der Reinecker-Krimi wird routiniert abgespult: Eine Puffbesitzer- und Mörderfamilie (u.a. Hanns Zischler) beabsichtigt einen Kaplan (Michael Maertens), der der Telefonseelsorger aller Selbstmordgefährdeten sein will, zum Zeugen eines vorgetäuschten Selbstmordes zu machen, der eigentlich Mord ist.
Itzenplitz – ich mutmaße, dass er der Rädelsführer gegen das Drehbuch war, und verwehre mich der Hinweise, dass Reinecker vll. mal einen lichten Moment erwischt haben könnte – hat aber keine Lust auf die Verteuflung von Sodom und Gomorrha. Stattdessen lässt er die Spitzbuden mit der Energie von Kinderfernsehmoderatoren durch ihre Schande und ihren Sündenpfühl hüpfen. Der Moment des verzweifelnden Pfarrers, der in einen Puff muss, ist ein kleines Späßchen. Die zwangsläufigen Debatten über Gott und die Verzweiflung an der Welt werden überwiegend links liegen gelassen, und der große Monolog eines Schauspielers über seine Verführung zum Schlechten wird äußerst hanswurstig zur Aufführung gebracht. Der Diagnose einer nahenden Apokalypse und dem Ringen nach Menschlichkeit wird nicht ganz nachgegeben.
Wieder und wieder wird stattdessen ein Kaplan gezeigt, der bei nächtlichen Anrufen aus dem Bett springt und sich in der Hoffnung, das Haus(?), seine Mutter(?) oder die eigene Verlorenheit(?) hinter sich lassen zu können, schon die Schuhe schnürt, bevor er überhaupt weiß, was los ist. Der nicht helfen möchte, sondern auflegen und davoneilen. Der am Ende willfährig auf einen verkappten Selbstmord zusteuert. Ohne es nur mit einem Ton zu erwähnen, ist dies das stille Psychogramm eines Mannes, der leidet und seine Verzweiflung nach außen projiziert. Eines Mannes, den Derrick erst herausfordert und den er zuletzt zurück ins Bett scheucht, weil er, der früher den Leuten routiniert und eisig ins Herz blickte, mal wieder jemanden erkennen durfte.
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