STB Robert 2019 I
„I’ve been around so long, I knew Doris Day before she was a virgin.“ (Oscar Levant)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein System der euphorischen Aufnahme des Films. In Zahlen übersetzt wäre es wohl ungefähr: fantastisch 10 – 9 / großartig 9 – 7 / gut 7 – 6 / ok 6 – 4 / mir zur Sichtung nichts sagend 4 – 3 / uff 2 – 1 / ätzend 1 – 0. Diese Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Skala zu quetschen. Deshalb hat die Wertung eine Y-Struktur für freieres Atmen. So kann ein Film eine Wertung der Verstörung erhalten: radioaktiv 10 – 9 / verstrahlt 9 – 7. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbst erklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 20 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (21 bis 60 Minuten) kennzeichnet.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II
to be continued … und zwar hier
Juni
21.06. – 30.06.
Il cinema ritrovato
Sonntag 30.06.
gut +
Die Herstellung von Brot wird in dieser Dokumentation vom Weizen auf dem Feld bis zum Endabnehmer auf dem Tisch verfolgt, die wie ein klassischer Beitrag aus DIE SENDUNG MIT DER MAUS wirkt, nur dass es keinen Armin als Erzähler gibt, ergo alles stumm bleibt, und dass im Rhythmus der Produktion auch der Rhythmus der Ungleichheit mitschwingt, da die Produktion sowohl von kleinsten Bauern, wie von einer Großindustrie zu sehen ist. Ein Kreislauf.
ok
Ein Mädchen auf Krücken verkauft Zeitungen und ärgert sich mit der Konkurrenz herum. Das Leben auf den Straßen von Dakar als etwas Zersetzendes, dem mit Tanz und Optimismus begegnet wird – trotz alledem. Vor allem aber ein Film, der sich zwanghaft in das Positive verbeißt.
Sonnabend 29.06.
großartig –
JESSE JAMES erzählt nicht vom Ringen des Robin Hood des Westens mit einem historischen Agenten. Den Kampf gegen die Eisenbahn und für die kleinen Leute führt die Zeitung, in einem gerechten Zorn der Worte. Einzig um die Seele von Jesse James (Tyrone Power) geht es in dieser modernen Version von Kleists MICHAEL KOHLHAAS. Jesse startet als Ritter, der von außen immer wieder in eine Position gedrängt wird, die ihn zu korrumpieren und in einem verbitterten Zorn einzufangen droht. Durch Fenster muss er reiten, wenn er zu weit gegangen ist. Oder er muss nur sein Kind sehen, um von seiner erreichten Verkommenheit erlöst zu werden. Es ist der Kampf eines Helden, auch ein solcher zu bleiben.
gut
Love is like the measles. When it comes, you cannot stop it. Und genau um dies zu beweisen, ist STREET ANGEL angetreten. Ein Maler und eine Frau aus armen Verhältnissen verlieben sich. Sobald er aber ahnt, dass sie nicht der Engel ist, für den er sie hält, verstößt er sie. Hat die Akrobatik die Frau zuvor in die Luft erhoben, sind es nun Nebel und symbolisch nach oben und unten führende Treppen, die den Abfall des Mannes von seinem Glauben beschreiben. Und doch muss Angela – auch das noch – (Janet Gaynor) ihren Gino (Charles Farrell) lieben. Egal wie sexistisch und psychopathisch er sich ihr gegenüber. STREET ANGEL ist ein Schrein für eine abartige Form von Liebe, die wie eine Krankheit einen noch zu der schlimmsten Erniedrigung zwingt.
verstrahlt –
Saladin selbst ist in dem nach ihm benannten Film ein leuchtendes Beispiel. Ein weiser, gerechter, mit sicherer Hand richtig entscheidender Herrscher. Chahine verwirklicht in ihm den Wunschtraum eines muslimischen Menschen. Seine Figur kündet nicht von der Realität, sondern davon, wie sie sein sollte. Dem entgegen stehen Christen mit irrwitzigen Perücken (die europäischen Kreuzfahrer werden von Ägyptern gespielt) und Pappmachéhelmen, die heißblütig, eitel, gierig, hinterhältig und uneinsichtig sind und untereinander zerstritten. Im Gegensatz zu Saladin und dem geeinigten Islam um ihn werden sie fast durchgängig hilflose Opfer ihrer Menschlichkeit.
SULTAN SALADIN ist ein irrwitziger Film, weil er diese Situation nicht nutzt, um die Glaubensrichtungen gegeneinander auszuspielen, sondern um der Welt eine Utopie zu bieten und um die Menschen zu bessern. Einen Traum von Einigkeit und Frieden, der durch das erleuchtende Wirken eines Übermenschen gebracht wird. Der Tempel, den Chahine seinem Retter baut, nutzt die Weite der Scopebilder für Spielereien, taucht alles in sehenswerte Farben und Lichtentwürfe. Es ist eine Bühne für die Schönheit der Botschaft, auf der es damit endet, dass es zu Weihnachten in Jerusalem schneit und die Christen von ihrer Feindschaft abfallen. Weniger als einen Triumph der Menschlichkeit mit wehenden Fahnen kann der Islam hier nicht bringen. Es ist ein naives Fest das Richtige zu wollen.
Nur eines steht der Sympathie des Ganzen erheblich entgegen. Saladin darf es nämlich immer wieder unwidersprochen als letztes Argument sagen: Jerusalem gehöre den Arabern und nicht den Kreuzfahrern. Die christlichen Ansprüche sind immer durch Argumente vermittelt. Es sei die Heimat Jesu und damit zu erobern. Dem steht ein widerkehrender Satz entgegen, dessen geopolitische Wahrheitsgehalt auch nur beim Blick auf wenige Jahrhunderte besten bleibt, der aber wie ein Felsen wirkt. Oder anders gesagt: Von der Existenz von Juden weiß der gesamte Film nichts. Und gerade 1963 ist dieser Satz eine Kriegserklärung an den Staat Israel.
großartig
Drei Momente aus HUSBANDS, in dem drei Ehemänner (Ben Gazzara, Peter Falk, John Cassavetes) in Folge des Todes eines Freundes, der nur zur Eröffnung in Fotografien als Teil einer engen Freundschaft zu sehen ist, in eine Sinnkrise verfallen, trinken und Dummheiten begehen:
– Wenn die drei in London ein Casino besuchen, dann ist nur einmal ein Spieltisch tatsächlich zu sehen. Meist ist nur unten am Bildrand eine identitätslose Ablagefläche für Chips im Bild. HUSBANDS bleibt an Gesichtern hängen und lässt sie beinahe penetrant auf Leinwand bzw. Bildschirm stehen.
– Ben Gazarra sitzt nach den ersten durchgemachten Nächten auf Arbeit. Es ist ein knapper Augenblick, in dem er doch an sein bisheriges Leben anknüpfen möchte. Nach geraumer Zeit im Film ist dies der erste Moment, wo er mit sich alleine ist und auf sich zurückgeworfen erscheint. Nur wenigen Sekunden sehen wir ihn an seinem Schreibtisch und doch wirkt er hier am rastlosesten. Die direkt folgende Flucht nach London überrascht darauf kaum und ist eher eine minimale Erlösung. Denn so sehr die Kamera starrt, so sehr schauen die drei in eine andere Richtung. Alles würden sie tun, nur um nicht nach Hause zu gehen und sich ihrer Midlife-Crisis zu stellen. Ihr ewig währender Redefluss gleicht dabei einer Klinge, die sich durch den Arm ritzt, nur um von dem eigentlichen Schmerz abzulenken. Und so beobachten wir antisoziale Leute, die nicht allein sein können.
– Nicht wenig Zeit verbringt HUSBANDS auf einem Herrenklo, wo sich die Figuren von Falk und Cassavetes die Seele aus dem Leib kotzen. Die Einstellungen sind von einem satten schwarz bestimmt, in dem sich fragmentierte Dinge, oft nur abstrakte Formen, abzeichnen. So schmerzhaft jede Minute in diesem Film vom Zuschauer (ertragend) erkämpft werden muss – da wo in SALADIN einem für jede Minute eine geschenkt wurde und der Film sich dementsprechend nur wie ein Bruchteil von den tatsächlichen drei Stunden anfühlte, da fühlen sich die 142 Minuten von HUSBANDS wie vier Stunden an –, so sehr zumindest bei den Figuren nach Authentizität gestrebt wird, so fern und unnahbar bleibt der Schmerz aber. Er ist nur eine Ahnung, eine unnachgiebig spürbare Ahnung.
ok +
DEAUVILLE-TROUVILLE, LA PLAGE ET LE FRONT DE MER
ENGHÌEN-DES BAINS
LA MODE DE PARIS
*****
Das Gaumont Chronochrome-Verfahren scheint Lila und Grün als Grundfarben zu verwenden. Eine seltsame Welt entsteht so, die völlig irreal aussieht. Und so banal und gewöhnlich die Aufnahmen von Stränden und Modehüten versuchen zu sein, so wird doch ihre Exotik und ihr Luxus noch unterstrichen.
großartig
Drei Episoden beinhaltet LE PLAISIR. Zwei sind hk-relevant und eine berichtet von einer Liebe, die durch Schuld eine ewige wird. Die Abfolge der Episoden ist in ihrer Dramatik aber etwas ungünstig. Es geht mit der rasantesten und kürzesten los, in der sich die Kamera dreht, bis einem schwindelig wird und der Tänzer, der verfolgt wird, altersschwach umfällt, es folgt die längste und ausladendste, die den Film seiner Rasanz beraubt und ihn auf eine Landpartie mitnimmt, und es endet mit der nichtssagendsten, wo Liebe und Tod wenig aufregend verbunden werden … und an die ich mich als Einzige nicht mehr erinnern konnte und die schon am Tag danach abermals kaum noch in meinen Erinnerungen wiederzufinden war. Die Kamera wirkt zunehmend gebändigt, die Inhalte züchtiger, die Lebenslust lauer. Und dergestalt lässt die Intensität eben beständig nach. Ich verstehe, dass die Erzählung von der Liebe als Tod am Ende steht, aber vll. hätte ihrer dortigen Verlorenheiten eine Platzierung in der Mitte besser getan. Aber wirklich super, lassen sich die drei wirklich nicht kombinieren.
Vll. ist das aber auch eine der Qualitäten von LE PLAISIR. Denn verbunden werden die Erzählungen von Guy de Maupassant durch eine gewisse Flüchtigkeit. Es geht nicht um das große Drama oder weltbewegendes, nicht um die perfekte Anordnung, sondern um kleine, melancholische Momente, die leicht zu übersehen sind. Die Kamera bewegt sich durch die Texturen von Luftschlangen und Fassaden, klettert Häuserwände entlang und beobachtet die Dinge durch die Fenster, doch nicht um den Thrill zu vergrößern, sondern um die lüsternen Männer, die kleinen Abgründe, das spärliche Unbehagen, die institutionalisierten Lüste unter der bürgerlichen Fassade verständlicher zu machen. Im zentralen Moment fällt dies zusammen. Ein paar Prostituierte sitzen bei einer Kommunion in einer Dorfkirche und all der Aufwand der Erzählung, alles drum herum ist nur da, um einen Moment der Ergriffenheit einzufangen. Um etwas Plötzliches, Überraschendes, Humanes eine Sekunde Platz zu geben.
Die Bilder sind währenddessen in einem beständigen Kampf um Emanzipation gefangen. Darum, alleine gelassen zu werden. Denn sie werden von einem Erzähler (Jean Servais), der Guy de Maupassant darstellen soll, toterzählt. Er füllt das Schwarzweiß immer wieder mit Farbe aus, erzählt auch, dass das sichtlich weiße Pferd weiß ist, und versucht sich in einem netten Plauderton an den Zuschauer heranzuzecken. Er nimmt dem Flüchtigen ihre Schönheit. Er versucht zu definieren und mit Gefühl aufzuladen … und beraubt so den Film dessen, was er ihm geben möchte. Der Überdefinition zum Trotz scheinen sich die Bilder aber mit Inhalten aufzuladen, weil das nicht Erzählte, das Unausgesprochene so noch mehr Gewicht erhält.
Freitag 28.06.
ok
Ein Travelog, der die Vogesen als Teil Deutschlands präsentieren soll. In der Einführung hieß es aber trocken, ich weiß leider nicht mehr von wem, bzgl. der wieder hergestellten Zugehörigkeit der Vogesen nach dem Krieg zu Frankreich: Sie werden sehen. Käse und Wein. Es macht viel mehr Sinn.
großartig +
Der Traum von einer us-amerikanischen Idylle, der sich nicht erfüllt. Telegramme kommen immer wieder und lassen den Lauf der Geschichte – das was passiert, während Poker gespielt oder seiner Arbeit nachgegangen wird – in den Versuch, einen ungerührten Status Quo zu erreichen, einbrechen. Die Geschichte eines grundsympathischen Mannes wird erzählt, der den amerikanischen Kleinstadttraum leben möchte, der ein Haus, eine Familie und einen (Barber-)Shop haben möchte, der im Kleinen dieses Land groß macht. Nur kommen Kriege, Gangkriminalität – Al Capone wird auf seinem Stuhl sitzen – und Tragödien dazwischen. Er ist aber auch jemand, der seinen Traum seinen Nahen immer wieder aufzwingen möchte, indem er handelt, ohne sie einzuweihen, der immer wieder in Gewalt und Niedertracht seinen Frust ausagiert, wenn die Dinge sich nicht so entwickeln, wie er möchte. Mit Herzblut und ertragender Ausdauer wird hier für den amerikanischen Traum gekämpft, weil er es wert scheint … und doch ist er auch verlogen, zynisch und fern davon perfekt zu sein.
nichtssagend
Eine Travestieshow, die wahrscheinlich das Ergebnis einer durchgesoffenen Nacht ist. In einem fiktiven antiken Land werden in THE WARRIOR’S HUSBAND die Geschlechterrollen halbwegs ausgetauscht, aber nur um mit ein paar Lachern auf Kosten von sich weibisch benehmenden Männern zu zeigen, dass der Status Quo von 1933 korrekt ist. Je länger es dauert, um so mühseliger ist es.
großartig
The godfather of glossy advertising photography, nur kein Davidoffmann schwimmt durchs Wasser. Heißt: Diese existentielle Parabel über Feindschaft und Trennung – diegetisch: Familien im Streit; symbolisch: Inseln in einem stürmischen Meer – ist voller Zeitlupen, künstlichen Tableaus und schönen oder mindestens charakteristischen Gesichtern in einer schroffen Landschaft mit ihren Texturen von Felsen, Steinen, Meer und Flaum.
großartig –
Ein Auto hält und einer der Insassen fragt ein paar Bauern nach dem Weg. Der Mann am Steuer hat eine seltsame Uniform an, die nur sein Gesicht unbedeckt lässt. Die große Stärke von JUDEX ist, dass nach dem Wegfahren nicht zu den Bauern zurückgeschnitten wird und zu sehen ist, wie sie sich ob etwas Wunderlichem wundern, das ihnen gerade wiederfahren wäre. Es handelt sich um einen Film, der im Grunde nur surreale Momente aneinanderreiht, diese aber als Handlung deklariert und nicht als Gag. Hinter jeder Ecke warten Überraschungen und Dinge, die aus Seitengassen eines Bewusstseinsflusses in das Geschehen vordringen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob es Bluthunde, ein Zirkus oder Verwandtschaftsverhältnisse sind, die die Karten neu mischen, sie sind einfach da und werden nicht noch ob ihrer Merkwürdigkeit unterstrichen. JUDEX ist so eine Hommage an die automatische Schreibweise von Pierre Souvestre und Marcel Allain, an diverse Filmserien von Louis Feuillade, die bildgewaltigere Alternative zu den FANTOMAS-Filmen mit Louis de Funès, vor allem aber etwas mild Bizarres, dass in seinem Ernst einen ungemein trockenen Witz entwickelt.
fantastisch –
Die Murnau Stiftung sollte sich mal daranmachen, einen Film wie DER RUF als blu-ray herauszubringen, denn dieser Film sollte als Kommentar über Deutschland jedem Haushalt leicht zugänglich sein.
Es gibt ja diese Geschichten von Leuten, die nach Afrika gehen und als Rassisten wiederkommen, weil sie dort nicht fanden, was sie erwarteten, sondern eben auch Afrikaner, die Klischees entsprachen uswusf. Hier kehrt ein jüdischer Professor direkt nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Das Heimweh hat ihn veranlasst, den Ruf einer Professur in Frankfurt am Main anzunehmen. Seine Freunde und Bekannte verstehen es nicht ganz. Er aber besteht darauf, dass es kein Volk gibt, dass nur böse ist, wie es auch keines gibt, dass nur gut ist. Darüber scheint er aber zu vergessen, dass es auch die Unverbesserlichen gibt, die selbst in der zweiten Hälfte der 40er Jahre nichts einsehen wollen. DER RUF macht aus dieser hoffnungsvollen Reise zurück einen Horrorfilm (des Deutschseins).
Ganz symmetrisch sind der Aufbau und das Kippen der Stimmung. Leute, die zu Beginn deutsch reden, werden in Deutschland dann Englisch reden. Hoffnungen werden zu Entsetzen. Aus gesunden Menschen kranke. Aus der Behauptung einer inneren Emigration in Nazideutschland der Vorwurf, dass die Nazis nicht weit genug gingen. Aus Ich bin kein Nazi, aber … wird offener Antisemitismus – die Figur des Fechners ist womöglich die unangenehmste Figur des deutschen Nachkriegskinos. Aus Glauben an eine bessere Welt und ein besseres Deutschland in nüchternen Bildern wird ein wildes, seelenzerfressendes Melodrama. Es ist ein Film gegen ein Land, das es immer noch weitgreifend nicht wahrhaben möchte und um das gekämpft werden muss. Eine Anklageschrift, nach der ich mich wirklich schmutzig fühlte, weil hier alles Richtige wegen persönlichen Animositäten in den Dreck gezogen wird.
gut –
Das einzig Interessante ist eine tragende Nebenfigur. Nämlich der von Sterling Hayden gespielte Polizist. Und das auch nicht, weil er unbedingt spannend geschrieben wurde, sondern durch seine Präsenz, durch seine schief gebundene Krawatte, seine Zahnstocher, seinen starren Blick, das scheinbar Unflexible und Unbeugsame … oder mit anderen Worten, durch seine optische wie seelische Heruntergekommenheit, die sich final als die eines Schmusebären entpuppen.
Donnerstag 27.06.
großartig +
Pistolero Jimmy Ringo (Gregory Peck) sitzt im Zentrum eines selbstgemachten Orkans. Sprichwörtlich. Tatsächlich sitzt er in einer Bar und das Städtchen außerhalb wird fast verrückt. Weil eine Berühmtheit, eine Gefahr, jemand, an dem es Rache zu üben gilt, jemand, an dem sich bewiesen werden kann, angekommen ist. Während er also fast nur dasitzen und warten kann – verlässt er das Zentrum, warten dort nur immer andere Schützen, weil nicht jemand bestimmtes ihn töten möchte, sondern der Dämon des eigenen Ruhms, dem er, nichts lieber als das, entkommen möchte, aber die Früchte seiner hart erarbeiteten Vergangenheit wollen nicht verschwinden – nähert sich widerwillig eine alte Liebe. Neue Hoffnung wird geweckt, aber THE GUNFIGHTER ist nur partiell das Drama einer speziellen Person. Vor allem ist er ein bitterer, bei aller Lockerheit ziemlich fatalistischer Kommentar zu Ruhm und den Wahnsinn, den er hervorruft. Und deshalb muss alles mit einer Abrechnung enden, mit einer, die sich ganz dem Dämon verschreibt.
großartig
Eine gentleman’s screwball comedy mit all der dazugehörenden Eleganz (gelbe Rosen bestimmen das Appartement Ingrid Bergmans, solange sie Cary Grant liebt, sobald sie ihm jedoch abhold wird, stehen dort nur noch rote), Gemessenheit (erst die letzte Szene ergibt sich überschwänglicher Ausgelassenheit) und Verlogenheit (Cary Grant spielt einen ausgesprochenen Gentleman, bis er einer konsequenten Lüge überführt wird und sich darauf in einer Tanzszene gleich komplett phoney benimmt).
fantastisch –
Dunkelheit und brennende Farben. Es sieht aus, als ob die Farben des Films auf einem schwarzen Grund aufgetragen wurden. Gregory Peck trägt dazu passend einen schwarzen Hut, schwarze Hosen, ein dunkelblaues Hemd und reitet auf einem schwarzen Pferd. Er ist ein schwarzer Engel, und wenn er den Tod bringt, dann durchkreisen auch mal Geier als schwarze Punkte den hellblauen Himmel, der ihn rahmt. Aber auch sonst gewahren die Farben daran, dass wir hier in einen Höllenschlund herabzublicken scheinen, der nur zufällig wie ein Western aussieht.
Im Endeffekt wird so eine bittere Variation des Höhlengleichnisses erzählt. Denn mit dem zunehmenden Aufhellen des Films, vorangetrieben durch sadistische Morde – das Unglaubliche: wir sehen Lee Van Cleef jammernd um sein Leben bitten –, die Peck immer mehr zur Wahrheit führen, wird eine Selbsterkenntnis erzählt, die einer Statue der Selbstgerechtigkeit vor Augen führt, wie faschistoid und verkommen sie ist. Dass am Ende alles haarklein erklärt wird, wird damit aufgewogen, dass THE BRAVADOS eines der bittersten Happy Enden hat, die denkbar sind. Ein Verzweifelter in einer ihn bejubelnden Menge.
großartig –
Legenden haben ihre Helden, Kriege ihre Opfer. So oder so ähnlich wird es im Film gesagt und damit auf den Punkt gebracht, was an dem Invalidendom unter Franjus Regie so bedrückend wirken muss. Denn vornehmlich werden die Ausstellungsstücke des Kriegsmuseums gezeigt, welches es beinhaltet. Im Angesicht der ab und zu ebenso zu sehenden Kriegsversehrten ist es ein Hohn, dass dieses Museum den falschen Halbsatz des einführend Genannten vermitteln möchte.
ok –
Es ist entweder ein phantasieloses Nachagieren des Lebens von Pierre und Marie Curie oder doch eine bittere Komödie, ein kleiner Witz, da wir sehen, wie sich die beiden systematisch mit Radioaktivität vergiften, die Forscher dann eine Pause in einer grünen Idylle machen und es bitter ist, weil sie an Krebs sterben müssen, und dann recht humorlos vom Tod Pierres durch einen Autounfall berichtet wird.
ok
Ein Mitgefühl-torture-porn. Eltern setzen den Familienhund aus, weil er im Urlaub nur im Weg wäre. Es ist ein Film gegen mitleidlose Tierbesitzer und für die Adoption für Hunde, denn wenn der Hund die Haustür hochspringt und bellt und nicht versteht, warum ihm kein Einlass gewährt wird, wenn er im Hundezwinger sitzt und auf die Einschläferung wartet, dann muss es einem das Herz brechen – zumal der Hund der beste Schauspieler des Films ist – … und alle moralischen Rechtfertigungen des Ganzen können nur als Manöver erscheinen, die daraus resultieren, dass damit nicht klargekommen wird. Damit, dass wir eben zwanzig Minuten dem Gefühl der Hilflosigkeit ausgeliefert sind, weil diesem Film, der nur aus Schmerz besteht, nichts aktiv entgegenzusetzen ist.
nichtssagend
Ein abgefangener Liebesbrief führt zu Rache an dem ihn geschrieben habenden Ehemann, dem einfach mehr gegeben wird, als er wollte. Rache durch Mondänität.
nichtssagend
Vorweg: Die restaurierte Kopie der BFI war irgendwie nicht aufzufinden, weshalb eine Arbeitskopie ohne Zwischentitel nach Bologna geschickt wurde. In der Pariser Cinemathek sei dies in den 90er gang und gäbe gewesen. Also auch so eine Reise in die Vergangenheit.
CHACALS könnte als DER SCHATZ DER SIERRA MADRE beschrieben werden, nur dass drei Männer nicht aus Gier nach Gold gegeneinander vorgehen, sondern aus Lust nach Musidora(s Figur). Die Drei waren in die Wüste gezogen, um Reichtum zu finden, mit dem sie wiederrum Frauen beeindrucken wollten – Frauen, die CHACALS in den Phantasien der Drei hinter ein Feuer der Lust stellt. Ich weiß nun nicht, ob mir die fehlenden Zwischentitel spannende Zwischenhandlungen und Nuancen verwehrten, aber nur die Bilder haben kaum mehr als eine Wüste der Affekte transportiert. Schön war allerdings, dass einer der Drei schon vor der Wüste frivol und aufdringlich hinter Musidoras Figur her war. Sie erkennt ihn in der Wüste aber nicht, weil er einen 3-Tage-Bart trägt.
gut
Die Peinigung einer Frau, die sich in Fieberträumen verliert, die ihr Kind verliert, die systematisch durch den Krieg zerstört wird, der kein Kampf von Utopien ist, sondern der zum Austragen persönlicher Animositäten genutzt wird. Heißt: Expressiver Depressionismus.
Mittwoch 26.06.
großartig
Es beginnt in einer fast vollständigen Schwärze. Nur am Horizont zeichnet sich eine Linie Licht ab. Ein Siedlerpferdewagen schält sich aus der Dunkelheit heraus und beginnt wenig später ein Wettrennen mit der Eisenbahn. Die scheinbare Prärie einer Reise in den unbesiedelten Westen stellt sich dabei als etwas Grün unweit von Chicago heraus. Es wird von einer Zeit erzählt, wenn die Suche nach Hoffnung schon innerhalb einer Gesellschaft vollzogen wird, diese aber immer noch ihre atavistischen Momente hat, da das Recht des Stärkeren noch zentral in diese eingewoben ist.
Es geht dabei (wie ähnlich schon in OVER THE HILL) um zwei Kinder, die in Streit verfallen. Ein Sohn (Don Ameche) ist Idealist, der für das Gute, das Wahre und das Schöne kämpft. Der andere (Tyrone Power) nimmt keine Rücksicht auf Sinn und Verstand. Selbst in der Politik angekommen, wird er nur den Nervenkitzel suchen und nicht die Festigung seiner Position oder das Wohl der Allgemeinheit. Und in der Liebe scheint er der festen Überzeugung zu sein, dass Frauen überwältigt werden wollen, weshalb alle seine amourösen Abenteuer den Hang zu Vergewaltigungen haben. Der Kampf zwischen ihnen – der eine fast ein Narr, der andere ein heroischer Eroberer – ist der Kampf zwischen Zivilisation und einem im Herzen korrupten Geist des Westens, der noch in Chicago pulsiert.
Wenn dieser Kampf sich seinem Höhepunkt zuneigt, wird aus IN OLD CHICAGO – ähnlich wie in OVER THE HILL gibt es hier reichlich Ouvertüren, bis da angekommen ist, wo es hingeht – ein Katastrophenfilm, der das große Feuer von 1871 nutzt, um die Stadt von dem Alten zu bereinigen und die Familie gegen den gemeinsamen Feind zu einen. Es entsteht ein Kino der Elemente, das Jagd auf die Menschen macht, ein Kino der großen Gefühle und ein humanistisches Kino, dass an den Sieg des Guten, Schönen und Wahren glaubt.
Es sei noch erwähnt, dass Kühe mit ihren Blicken die vierte Wand durchbrechen. Die Filme von Henry King verdeutlichen u.a. auch, wie fatal es ist, dass Tiere aus dem gegenwärtigen Kino – Tierfilme einmal außen vor – fast verschwunden sind.
großartig
Ein Spätwestern in der Pampa Argentiniens, wo ein Gaucho dem Vergangenen nachhängt, während die Moderne unaufhaltsam vordringt. Die Suche nach der Freiheit (von Verantwortung) ist dabei eine überzogene (bis ins Komische reichende) Odyssee, die Martin Penalosa (Rory Calhoun) durch die zwangsweisen Unterwerfungsversuche der Armee führt, durch einen Widerstandskampf, der denen der nativen Amerikaner gleicht, aber auf deutlich mehr Verständnis bauen kann – schließlich kämpft hier ein Weißer um seine männliche Unabhängigkeit –, durch ständige Fluchten vor dem Gesetz, was der Rückzug auf der Suche nach einem letzten Winkel Autarkie ist und durch eine Liebesgeschichte, die ihn doch einfangen wird – am Ende fallen Ehe und Gefängnis als schlussendlich selbstgewählte Unterwerfung zusammen. WAY OF A GAUCHO ist so ein Traum fiebriger – mal sind die Farben gelblich, mal satt, mal im Schimmer eines allmächtigen Abendrotes – Geschlechterklischees, der wie eine Liebeskomödie wirken kann, nur eben aus Sicht eines eingeschworenen Bachelors, der sich in einem übergroßen Kampf gegen die Schlingen der Liebe sieht. Passend ist dabei das Hölzerne Calhouns, das zu seiner eindimensionalen Figur passt (He is a fool, but he is real gaucho). Vll. ist es auch passend, dass Gene Tierney seinen Love Interest wie ein sich beständig unterordnendes Dummchen spielt bzw. spielen muss. Schmerzhaft bleibt es trotzdem.
ok –
Bei einer Flucht gibt es kurze Momente, wenn plötzlich einfach eine erhängte Frau mit ihrem auf den Rücken gebundenen, weinenden Baby auf einer Baustelle im Weg hängt, ohne kontextualisiert zu werden, oder wenn ebenso ohne nähere Erklärung ein Streik sich im Weg befindet. Die Leichtigkeit mit der hier die koreanische Gesellschaft in die Handlung eindringt, geht OBALTAN ansonsten völlig ab. Über seine Laufzeit macht er es sich in seinem Leiden bequem und breitet es weit aus, bis auch die dezentesten Anspielungen aufdringlich geworden sind. Ein Film der Qual geworden ist.
großartig –
– Ein Pferd wird per Bolzenschuss getötet. Es springt nach dem Einschlag gerade in die Luft und fällt dann unter einklappen der Beine auf den Bauch und bleibt in der Position wie eine Handtasche liegen.
– Innereien eine Kuh liegen auf dem Boden verteilt. Darunter die Leiche eines fast gebärfertigen Kalbs.
– Mit einem Messer werden Kälber geköpft. Sie zucken mit halbdurchtrenntem Kopf, als ob sie ihren Körper suchen würden, der ihnen intuitiv abhandengekommen scheint. Danach werden sie wie ein Ballon aufgeblasen, damit das Ausbluten ohne Rückstände verläuft.
– Schafe liegen in einer Reihe auf einem langen Tisch. Sie befinden sich auf ihrem Rücken und die Beine zeigen in die Luft. Nach ihrer Enthauptung strampeln alle. Es sieht aus wie eine surreale Maschine, deren Zweck unklar ist, oder wie eine seltsame Theaterattrappe für das Meer.
– Jemand singt LA MER, während die Seen aus Blut aus der Halle gespült werden.
Dies sind die Bilder dieses Films, der auf den Weg zu einem Schlachthaus am Rand von Paris surreale Tableaus, wie von Man Ray fotografiert, zeigt. Doch das Irrealste, das noch irrealere Assoziationen heraufbeschwört, ist die blanke Realität.
gut
Ein vorpubertärer Junge flieht aus seiner Limousine und vor dem Chauffeur, um ein bezauberndes Mädchen in der Metro einzuholen. Sie fährt aber ab, bevor er sie einholen kann, woraufhin er durch das nächtliche Metrosystem stromert. Das Eintauchen aus der behüteten Welt in eine gänzlich offene, bedrohliche, traumhafte, zu erforschende, also die ersten Schritte ins Erwachsenwerden folgen hier keiner Landkarte, wie könnten sie auch, weshalb eigentlich keine Geschichte erzählt wird, sondern indem jemand herumläuft und sich umschaut … und vll. wirkt es deswegen so wenig, wie von einem Erwachsenen retrospektiv erzählt.
ok
Ein Poem aus geordneten Formen und Eindrücken aus Pariser Metros.
großartig –
Ein Film über die Verlorenheit der Juden im Herzen Europas, im Herzen des 20. Jahrhunderts. Erst ist da der Holocaust, dann sind sie störende Gäste auf der Siegesfeier der Leute mit einer Nationalität und einer Heimat und schließlich der nicht aufgelöste Rest in den Flüchtlingslagern in Deutschland. LANG IS DER VEG ist ein Film aus jüdischer Sicht und oft in Jiddisch, er ist ein Propagandafilm für den Staat Israel, der ganz natürlich aus seinen Geschehnissen fließt, ohne groß Propaganda machen zu müssen.
gut
Am Ende gibt es einen Schnitt vom Gebet für das Happy End direkt zu diesem hin, wobei ganze Subplots (von der göttlichen Intervention) geschluckt werden.* (Eine kleine, hoffentlich nicht indiskrete Verbildlichung der Abruptheit: Lukas F. wähnte sich an besagter Stelle urplötzlich von einem minutenlangen Schlaf überkommen, während er doch wahrscheinlich nur wenigen Sekunden die Augen geschlossen hatte.) JOURNEY INTO LIGHT ist so eher ein Hechtsprung dorthin. Vll. auch weil Sterling Hayden in einer Soutane wie in ein Wrestlerkostüm gesteckt aussieht, während er als Säufer auf der Straße da angekommen scheint, wo er hingehört. Erzählte wurde die Geschichte eines Mannes, an den alle glauben, der aber den Glauben an sich verliert. Urchristlich ist diese, da erst abseits der Karriere, im Schmutz und am Boden Menschlichkeit gefunden werden kann, wenn dort die Ärmel hochgekrempelt werden und nicht mit Steinen geworfen wird.
*****
* Beispielsweise verschwindet der Alkoholiker Wiz(zard), weil JOURNEY INTO LIGHT anscheinend der Meinung ist, dass ihm von außen eh nicht zu helfen ist, wie auch Reverend John Burrows Ehefrau nicht rettbar war.
Dienstag 25.06.
großartig –
Die Evolutionslinie könnte kaum disparater Ausfallen. Ich kenne zwar Leo McCareys MAKE WAY FOR TOMORROW noch nicht, aber da diese Aufarbeitung von OVER THE HILL Ozus TŌKYŌ MONOGATARI inspirierte, sind nun zwei Filme miteinander verbunden, zwischen denen Welten liegen. Dort stilles Aushalten und das Nagen in einer Höflichkeit, die nur erahnen lässt, wie brutal die fehlende familiäre Unterstützung für die Eltern sein muss, hier Hysterie und jemand, der seiner Wut freien Lauf lässt und seinen Bruder zur Freude der Anwesenden durch die Straßen der Stadt schleift.
Auch ist hier nichts auf das Nötigste abgespeckt. Langsam ist der Aufbau und mit Umwegen. Erst die Kindheit, die diverse Reprisen im späteren Erwachsenenleben finden wird, und dann Plotpoint auf Plotpoint. Eine eindrucksvolle Schere wird detailliert und doch rasch aufgebaut. Zu Beginn eine scheinbare Idylle. Doch die Anstrengung, diese aufrecht zu erhalten, wird immer größer und macht das Idyll immer schmutziger und zynischer. Am Ende steht dann auch nicht die sich für ihre Kinder aufopfernde Mutter, die alleingelassen im Armenhaus landet – es ist nur eine Zwischenstation – sondern etwas noch Perfideres, nämlich eine Lüge, damit ihr gesagt werden kann, dass das Leben schön ist. Familie ist hier so vielschichtig und aus diversen Perspektiven eine Hölle, dass es abenteuerlich ist, dass OVER THE HILL seine ausführlichen, im besten Sinne vulgären Gefühlsstürme in eine Spielzeit presst, die fast eine Stunde weniger braucht, als TŌKYŌ MONOGATARI.
gut
Ein dreistündiges Epos wird so kondensiert erzählt, dass es nur zwei Stunden braucht. Statt großem Rundumschlag gibt es viele kleine, nicht auserzählte Geschichten diverser Bekannter und Freunde der Hauptfigur, die ein Stand-in für Chahine selbst ist. Das Zeitbild seiner Jugend in Alexandria während des Zweiten Weltkriegs ist eine Liebeserklärung ans Kino, an Dummheiten, an Sonne und die erste Bekanntschaft mit dem eigenen unumkehrlichen Schicksal. Die schönste Geschichte ist die von dem Onkel des besten Freundes, der betrunkene, britische Soldaten erschießt, bis er sich in einen solchen verliebt. Leider verliert ALEXANDRIA … WARUM? aber gegen Ende die kleinen Nebenstränge aus dem Auge, weil die Hauptfigur sich eben weiterentwickelt und all dies hinter sich lässt, um in die weite Welt aufzubrechen und den eigenen Weg zu finden. Sein Glück ist ein erzählerischer Wehrmutstropfen.
gut +
Die Erzählung der Rückkehr eines erfolgreichen, reichverheirateten Geschäftsmanns in sein Heimatdorf und seiner langsamen Realisierung dessen, wie wenig er ausgefüllt ist, wird ausführlich breitgetreten. In manierlichen Bildern voll Weite, Verlorenheit und schrägem Anschnitt herrschen Nebel und Einsamkeit, Bedauern und ein kleines Abenteuer, als Hoffnung sich doch noch ändern zu können … und Rückblenden in die Gegenwart. Am schönsten ist aber, dass nach all der Ausführlichkeit im Nichts, in diesem Meer an Potentialen das knappe Ende alles humorlos zusammensacken lässt. Der fehlende Glaube an Mut und Änderung fast schon als trockener Witz.
gut +
Das Wasser im Mund des französischen Titels steht selbstredend für eine allumfassende Geilheit und L’EAU À LA BOUCHE fasst die sexuelle Fixiertheit der Figuren in Bilder voller Symmetrie. Fetische soweit das Auge reicht, nur nicht zu obsessiv soll es sein. Und wenn die Entwicklungen Veränderung verlangen, werden leider nicht die Fixierungen variiert, sondern der Sieg der bürgerlichen Moral eingeleitet. Alles in allem ein schöner Film für sonntagnachmittags.
Wahrscheinlich hatte die DCP von L’EAU À LA BOUCHE das falsche Format (16:9 statt 1:1,66, mglweise). Oben und unten schien des Öfteren etwas zu fehlen. Da die Einstellungen zwar teilweise obskur aussahen, aber meist im Bereich des bewusst so gewählt lagen, ist es nicht ganz sicher für mich zu sagen. Vll. war es eben Vorsatz, dass der Kopf des notgeilen Butlers (Michel Galabru) öfter abgeschnitten ward, als Kommentar zu seiner Ausbeutung oder seiner Nichtigkeit aus Sicht der Bedienten.
gut
Eine Pseudoliebesgeschichte, die männlichen Stolz als Antrieb nimmt, um Frau um Frau ins Unglück zu schicken und trotzdem den Helden als Helden der Geschichte zu belassen. Es ist eine düstere Vision mit wahnsinniger Stuntarbeit. Typen stellen sich auf einen Baumstamm und fahren durch Stromschnellen. Teufelskerle mit Irrsinnsgleichgewicht vor der Kamera und teuflische Kerle mit nur minimalen Fähigkeiten zur Selbstreflexion im Skript.
ätzend
Das deutsche politische Kabarett muss sterben, damit wir leben können, sagt Lukas F. und dabei könnte es belassen werden, wenn neben der fürchterlich unwitzigen Späße, die sich klamm an die Aufarbeitung von 50 Jahren deutscher Realität machen, hier nicht noch nahelegen würden, dass das Deutsche Reich von den anderen Mächten in den Ersten Weltkrieg gedrängt worden wäre und als letztes mobil gemacht hätte, und wenn am Ende des Zweiten Weltkriegs es nicht so scheinen würde, als ob Deutschland in Trümmern das einzige Problem wäre. Nach diesem Film hätte ich über Bomben vll. auch gelacht.
Montag 24.06.
gut +
Fast religiös überformt wird dieser Western, in dem der Westen und die Wüste zum Paradies für die Waisen der Welt gemacht werden, aus dem eine Flut die Sünd(ig)en wegspült. Größtenteils begnügt sich THE WINNING OF BARBARA WORTH aber auf seine unglaubwürdige Liebesgeschichte, wo Vilma Bánky sich für Ronald Colman statt für Gary Cooper entscheidet. Wer soll das einem Film denn abnehmen, selbst wenn Coopers Figur sein Leben lang wie ein Bruder für ihre Figur gewesen sein soll?
großartig –
Was für ein seltsamer Film! Der Müll im Hafen von Sydney ist hier das Symbol für Menschen, die auf Australien abgeladen wurden und dort nur auf Bewährung weiterexistieren dürfen. Beim ersten Anzeichen von Missfallen werden sie entsorgt. Entweder aus den reichen Haushalten, wo sie eine klägliche Anstellung erhalten haben, oder eben aus der Existenz als solcher, wenn sie keine blütenreine Weste behalten. Das Melodrama, dass sich in einer solchen Atmosphäre abspielt, ist dann womöglich notgedrungen stickig und äußerst theatralisch. Die Kamerafahrten und langen Einstellungen – es handelt sich um den Folgefilm von ROPE – bieten die Bühne für den turbulenten Kampf mit sich, an dem nur die stationierte britische Aristokratie nicht teilnimmt. Letztere spielt nur mit diesen Schauspielern, die ihre Emotionen eben wie einen Zirkus am Rande zum Tod aufführen.
großartig
In der wunderschönen Einführung sprach Eddie Muller (Film Noir Foundation) vor allem über Lawrence Tierney, der abseits der Leinwand, wie seine abscheuliche Filmfigur in DEVIL THUMBS A RIDE gewesen sein soll – davon abgesehen, dass er niemanden umgebracht habe. Diverse saftige Anekdoten hatte er parat, um dies zu untermauern. Beständig war Muller am Lachen und hatte sichtlich Freude an dem, was er erzählte. Sein Fazit: Und weil wir krank sind, finden wir das [also DEVIL THUMBS A RIDE, diesen Klassiker des filmischen Sadismus; Anmerk. des Autors] unterhaltsam.
ok +
In der zweiten Hälfte von THE THREAT sitzen Gangster in einer Hütte in der Wüste und warten auf den Flieger, der sie über die Grenze bringen soll. Während die Temperaturen steigen, schließt die Polizei den Kreis um sie und nähert sich ihnen. Und vom Flieger fehlt weiterhin jede Spur. Es ist WARTEN AUF GODOT als brütende Situation, die zu explodieren droht. Was das Schöne an THE THREAT ist. Alles was an ihm jedoch weniger gut ist, als am zuvor gezeigten THE DEVIL TUMBS A RIDE, findet sich in den Unterschieden der Hauptdarsteller wieder. Während Lawrence Tierneys Steve Morgan beständig versuchte zu verstecken, dass er ein mieser, skrupelloser Kerl ist, wird es bei Charles McGraws Red Kluger immer wieder unterstrichen. Dem Film wird so der Spaß geraubt, der mit dem Kokettieren, dem Lügen, den berechnenden Blicken, mit all den indirekten Markern einhergeht, die die Phantasie anregen und die von all den abscheulichen Potentialen in diesem Kopf sprachen. Stattdessen ein Schläger, der halt ist, was er ist. So flach die Figur des Bösewichts, so flach der Film.
verstrahlt
Die Aufnahmen von Bäumen und Gewässern in einer Aue, wo zwei sich zum Verwechseln ähnlich sehende Kinder verwechselt werden, sind traumhaft. Was passt, denn diese Variation von Der Prinz und der Bettelknabe, spielt anscheinend in einem Paralleluniversum. Grubenbesitzer echauffieren sich hier väterlich besorgt, dass ihre Mienenarbeiter die Tunnel nur unzureichend absichern und lebensmüde Arbeitsbedingungen schaffen. Geld spielt doch keine Rolle. Und Kinder, die voll Liebe und Zuneigung aufwachsen, haben hier keine glückliche Kindheit, solange sie kein im Laden gekauftes Spielzeug besitzen, während Kinder, die in Zimmern voller Spielzeug aufwachsen, von ihren Eltern aber bei jedem der wenigen Kontakte gleich an die herrische und lieblose Gouvernante weitergereicht werden, nicht als unglücklich, nur als etwas rebellisch dargestellt werden. So vermitteln zumindest die Zwischentitel, die alle pädagogischen Implikationen der Geschichte völlig weltvergessen auf diese materielle Sicht reduziern. Kapitalismus, oh rette uns.
großartig
Der Hals von Hildegard Knef ist hier ein, zwei Mal in einer Einstellung von rechts hinten zu sehen, die so ikonisch und schön ist, dass es kein Wunder ist, dass sich Kunsthistoriker Delius (Hans Söhnker) in sie verliebt – oder auch sonst jeder. Diese Einstellungen stellen den Höhepunkt des sehnsüchtigen Teils von FILM OHNE TITEL dar. Blicke voll Verlangen und Liebe bestimmen diesen. Denn der Liebesfilm, der in ihm steckt, geriert sich als Suche nach Hoffnung. Hoffnung, dass es eine Antwort auf die Frage gibt, wie man wieder man selbst sein kann und wie man mit sich glücklich werden kann, nachdem man Teil von Nazideutschland war.
Aber auch der Metafilmanteil, in dem ein Regisseur (Peter Hamel), ein Drehbuchautor (Fritz Odemar) und ein Schauspieler (Willy Fritsch als sich selbst) darüber reden, welche Unterhaltungsfilme in dem vorherrschenden Klima überhaupt möglich sind, schlägt in diese Kerbe. Nur macht er es viel direkter. Die drei diskutieren es unmittelbar aus: Entweder seien solche Filme eine zynische Lüge, wenn sie die allgegenwärtige Wahrheit wegschieben, oder es würden deprimierende Filme darüber, was jeder weiß (Trümmer usw.), entstehen. Der eingeschlagene Mittelweg, der Liebesfilm in FILM OHNE TITEL, ist dabei aber auch schon wieder eine Lüge, weil er eben den Zweiten Weltkrieg nur in seinen Trümmern als Auswirkung auf die Deutschen darstellt. Von der viel größeren Schuld ist keine Rede. Nur indirekt wird sie mit der Ausweglosigkeit von Nationalstolz eines thüringer Flüchtlingspärchens angesprochen.
FILM OHNE TITEL ist ein Hin und Her der Stile und Stimmungen. Sonnige Annäherung, schicksalhafter Bombenhagel, Verlorenheit nach dem Krieg und Suche nach einander und sich selbst, wobei Delius zwischenzeitlich eben Erntehelfer wird und es in einem wie zum Hohn sonnigen Land mal anders als bisher probiert. Mit ganz großem Stilbewusstsein und gefühlvollem Handling wird dies allerdings erzählt. Der Holocaust dabei ein Kloß im Hals, der einem nicht allzu bewusst wird/werden will. All dies ist Teil der zugrundeliegenden Überspanntheit, die sich in sehnsuchtsvolle Romantik rettet, weil die Angst vor sich selbst eben zu groß ist und am liebsten weggelacht werden soll. Unterhaltung für Leute, die dessen gar nicht mehr ohne schlechtem Gewissen fähig sind.
gut
In einer Episode dieses Essays über westliche Filmhegemonie aus einer afrikanischen Perspektive wird einem Louis de Funès-Stand-in ganz ruhig der gesellschaftliche Zusammenhang von Reichtum, Unterdrückung und Rassismus erklärt. Der Zen-gleiche Kampf dem Wutbürger funktioniert hier … und vll. ist dies ein Indikator dafür, dass es sich dieser wütend betitelte Film hier und da etwas leicht mit seiner Utopie macht.
Sonntag 23.06.
fantastisch –
Lange Zeit ist TWELVE O’CLOCK HIGH ein Film über die Verwaltung einer Kriegsmaschine, in der Menschen wie Dinge in den Tod geschickt werden (müssen). Und diesen Menschen muss zudem noch klargemacht werden, dass es keine andere Option gibt. Die den Film antreibende Ideologie ist, dass der Sieg über die Nazis nur mit dem vielfachen individuellen Tod innerhalb gestählter Geschwader erreicht werden kann. Mit einem sensiblen Selbstumgang wird sich nur selbst zersetzt. Es wird sich völlig den Lehren Colonel Kurtz‘ verschrieben, weshalb TWELVE O’CLOCK HIGH durchaus selbst ans Faschistische grenzt. Doch von Anfang an gibt es einen Preis, der bezahlt werden muss.
Gen. Frank Savage (Gregory Peck) ist der eisern überzeugte Vorgesetzte einer Fliegereinheit, der seinen Soldaten alle Menschlichkeit austreiben möchte. Der unmenschliche Erwartungen an sich und die seinen hat und damit kriegerischen Erfolg. Aber immer wieder wird er gezeigt, wie er seine Gefühle schluckt. Wenn er vor Freude weinen muss, wenn er im Erfolg tanzen möchte, wenn er um seine Kameraden trauert, dann verwandelt er sich nach den ersten Anzeichen davon, was in ihm brodelt, in eine ein-Mann-Erektion, die Befehle bellt, um sich wieder in den Griff zu bekommen. TWELVE O’CLOCK HIGH ist dergestalt so etwas wie ein Anti-John-Ford-Film. Ein Film über Verwaltung, der auch mehr verwaltet, als dass er erzählerisch tätig wird. Aber so wie Savages innerliches Brodeln immer wieder in den Sprüngen seiner Fassade zu sehen ist, so ist auch die fordsche Gefühligkeit immer wieder unter dem mechanisch Fortschreitenden zu erkennen – am deutlichsten in der Rahmengeschichte eines Kriegsveteranen, der sich an die Filmhandlung erinnert.
Aus dem Erzählen darüber, was in Offiziersbüros passiert, wird irgendwann dann doch ein John Ford-Film herausplatzen. Eine Luftschlacht – die sichtlich Einfluss auf STAR WARS hatte – wird zu sehen sein, wie das Wahnsinnigwerden von Savage. Das Gegenstück zu THE LONG GRAY LINE wird so herausgebildet. Liegt dort beim Portrait eines Lebens im Militär der Fokus auf der Menschlichkeit, die militärische Disziplin nur am Rand auftauchen lässt, wenn die Leute sonst durch ihre Gefühle zerspringen würden, da liegt hier alles in Habacht, nur um am Ende die Leute am Boden fast zerstört zu zeigen. TWELVE O’CLOCK HIGH sieht keine Alternative zu diesem Krieg, zeigt diesen aber trotzdem als etwas, dass die Menschlichkeit tötet. Und weil die Gefühle so lange zurückgehalten werden (müssen), ist es nur umso intensiver.
großartig –
Youssef Chahine, der Ende der 50er ein bisschen wie Dave Gahan aussah, spielt selbst mit und zwar einen Gelähmten, den seine Sexobsession – er, der Regisseur Chahine, umgibt seine Figur beständig mit Pin-ups, Frauen in nassen Klamotten und vergleichbarem – zum Mörder werden lässt. Zumindest weil diese mit einem alternativlos scheinenden Ehefetisch verbunden ist. Fast macht sich Chahine einen Spaß daraus, wie er seinen Tropf in den Wahnsinn abgleiten lässt. Ein Verkäufer fragt ihn einmal, was er ihm denn veräußern könne, während er durch seinen Laden hindurch von hängenden und liegenden Messern gerahmt ist. Worauf soll die Verbindung von Sex und Tradition an einem solchen Ort dann anderes hinauslaufen?
Dies ist aber nur ein, wenn auch der Hauptstrang einer episodenhaften Geschichte, die ansonsten soziale wie geschlechtliche Ungleichheiten verhandelt und Katzen quält. Vll. lag es dabei nur an der etwas sehr reinlichen DCP, dass TATORT HAUPTBAHNHOF KAIRO dabei optisch extrem aufgeräumt wirkte, dieses Simple und Klare bildete aber einen beruhigenden Gegensatz zu der konstanten Erregung der Protagonisten.
fantastisch
Am letzten Tag in Bologna fragte mich Jenny J., welcher denn mein liebster Film dieses Jahr gewesen sei. Als ich CŒUR DE LILAS und STATE FAIR anbrachte, zeigte sie sich zumindest vom Ersten etwas überrascht. Er habe ihr auch gefallen, besonders formal, aber die Liebesgeschichte sei (vor allem durch die Performance der Schauspieler) wenig intensiv gewesen. Ich habe darauf, glaube ich, gar nichts mehr gesagt. In Gedanken war ich versunken, weil ich es von der Warte noch nicht gesehen hatte bzw. nicht auf den Gedanken gekommen war, dies in die Waagschale zu werfen. Beim Blick auf meine Notizen wurde mir klar, dass gerade die Flüchtigkeit der Liebe für mich ins Bild passte. Auch wenn es bei den Frischverliebten gleich um Schicksalsänderungen und Hochzeit geht, dass dies zum Überstürztem, zum schnell Abgelenktem bzw. sich Ablenkendem von CŒUR DE LILAS passt. Dass die große Liebe eben nur Ausdruck von etwas anderem ist. Von Flucht und Gewissensbissen.
Es wird eine Räuber-und-Gendarm-Pistole erzählt. Ein Polizist ist darin von der Unschuld eines des Mordes beklagte überzeugt, weshalb er inkognito ins Rotlichtmilieu untertaucht. Doch zusehends ändern sich seine Prioritäten, da er sich in die tatverdächtige Prostituierte Lila verliebt. Die Schnitte sind dabei von Überblendungen und langen Schwarzblenden geprägt. Die Dinge gehen so einerseits ineinander über. Die Grenzen verwischen. Schnell und intensiv ist diese neue Welt für ihn und die Möglichkeit für beide aus der eigenen Welt zu entkommen. Nur zuweilen bietet dann das lange Schwarz zwischen zwei Episoden etwas Zeit zum Atmen. Auf diese Verschnaufpausen folgen aber neu auftauchende Hindernisse. Und dergestalt scheinen sich die beiden in diese Liebe und ihren Rausch zu werfen, weil ihre tatsächlichen Leben – das biedere Beamtentum und das Ausgeliefertsein bzw. Schuldlastige – Orte sind, die sie gerne hinter sich lassen würden. Und die Schnitte sind wie der Sturz in das Neue und der Aufprall in der Realität.
Unkonzentriert ist CŒUR DE LILAS dabei und lässt sich schnell von der Handlung ablenken. Aber wie Querschläger kommen diese Einschübe immer ins Herz des Films zurück. Am bezeichnensten vll. in der Hochzeitsfeier in der ländlichen Unterkunft, in die der Polizist und die Prostituierte vor ihren eigentlichen Leben fliehen. Während die beiden sich in ihr Zimmer zurückziehen, sehen wir im Saal den jungen Fernandel eins dieser dreckigen Lieder singen, wie sie nur in heruntergekommen Kneipen oder auf Familienfeiern zu hören sind – und von denen CŒUR DE LILAS in seiner zuweilen zutage tretenden Schmierigkeit ein, zwei präsentiert. Später, die ersten Schatten zeichnen sich in der Beziehung ab, weil Lila von vom Beruf ihres Geliebten erfahren hat. Und während sie streiten (wollen) und eine Trennung sich anbahnt, platzen die Hochzeitsgäste in den Raum der beiden und erzählen wie zum Hohn und gänzlich besoffen von der Schönheit der Liebe. Ständig geht es hin und her, wie in den Gedanken zweier sich Liebender, die sich nicht so ganz sicher sind. Die sich weniger zu lieben scheinen, als den Gedanken mögen, von sich selbst wegzukommen.
Ramontisch ist CŒUR DE LILAS nichtsdestotrotz, gerade wenn die Liebenden eine Nacht lang im Bus hin und her fahren, weil sie keinen Platz haben, wo sie hinkönnen. Doch das sind nur Inseln in der Unsicherheit eines Films, der mir Jean Gabin so präsentierte, dass ich ihn als Leinwandpersönlichkeit verstehen konnte. Er spielt Lilas Zuhälter, einen Schläger und Sprücheklopfer, der in seiner fleischigen Präsenz so etwas wie Verletzlichkeit versteckt. Es lässt diese aber nur schwer erahnen. Sie wird hier eben nicht in eine sonst bei ihm typische Melancholie gewickelt. Er ist einfach nur eines dieser Dinge im Leben, die so schwer loszuwerden sind.
großartig +
VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA und eine kleine Prise ZWEI HIMMEHUNDE AUF DEM WEG ZUR HÖLLE. Bzw. andersherum: die Blaupause für so ziemlich jeden Bud Spencer und Terence Hill-Film. Drei Gangster helfen mit bärbeißiger Freundlichkeit und einem Tick mehr Willen als Widerwillen einer jungen Frau, die ihre Eltern beim Treck in den Westen verloren hat. Sie opfern sich zusehends, um ihre Schlechtigkeit, die irgendwo außerhalb des Films liegt und die nur Behauptung einer nie näher erkundschafteten Vergangenheit bleibt, zu sühnen. Mit anderen Worten, es sind die idealen unwahrscheinlichen Sympathieträger, die mal in tollen Slapstickmomenten einen Ehemann suchen oder mal ganz erlöst den Tod begrüßen. Bester Moment: Ein Baby sitzt in der Prärie und hinter ihm kommt eine Wand aus Pferden und Pferdewagen rasend schnell näher. Der Retter lässt genauso auf sich warten, wie der Schnitt, der die sichtlich ohne Tricks erstellte Einstellung, beendet. Irgendwann kommt er doch, der Arm, der außerhalb der Einstellung angeritten kam, in diese hineingreift und das Kind ruppig mit sich nimmt, aber da war ich schon jenseits von Gut und Böse.
gut +
Ein Auto ist der gemeinsame Nenner in diesem Episodenfilm. Vor dem Schicksal seiner wechselnden Besitzer wird es gezeichnet und seine zunehmende Verwahrlosung nach seiner Fertigung im Jahre 1933 spiegelt die zunehmende Verwahrlosung Deutschlands wider. Es ist ein toller Käutner-Film, voller kleiner schmerzhafter Momente, in denen ein viel größeres Leid mitschwingt. Und vll. ist es gerade deshalb etwas bitter, weil es mir schwerfällt, mich zu entscheiden, ob ich mich für das Auto freue, dass seine Besitzer stets auf der richtigen moralischen Seite zu finden sind, oder ob die mitschwingende Trauer mit den Deutschen, die scheinbar durch ein von außen kommendes Schicksal fremd im eigenen Land werden, mich ein klein wenig anekelt. Zumindest ein sehr eloquentes Fundstück einer allgegenwärtigen, desaströsen Schuld, der anscheinend nicht in die Augen geschaut werden kann.
nichtssagend
Zu Beginn wird uns von Berlin im Jahre 2048 erzählt. Die Pointen sitzen. Der Erzähler erzählt: Jeder hat einen Hubschrauber. Der Saal lacht. Ein fertiger Flughafen ist vorhanden. Viele lachen. Magdeburg wurde gerade eingemeindet. Kenner lachen lauthals. Und dann kommt eine Überblende auf die Trümmer Berlins im Jahre 1948. Der Erzähler erzählt von Ruinen. Der Mann neben mir, der bisher kaum zu hören war, lacht … was ich in diesem Moment merkwürdig fand. Nach HERRLICHE ZEITEN am Dienstag, nach diesem Höhepunkt in der Reihe westdeutscher Nachkriegsfilme, die zuweilen etwas Geschichtsrevisionismus an den Tag legten und mit einem klammen Humor von den armen Deutschen, den ersten Besetzten der Nazis, erzählen, hatte diese Reaktion aber durchaus etwas Angemessenes bekommen. BERLINER BALLADE hat fürchterliche Songs, die statt auf Melodie auf Bedeutungsschwere setzten, und wenn sich dem kommenden Kalten Krieg zuwendet wird, ist er vor allem stählern. Davor begibt er sich beschwingt in den Regress und erzählt eine kleine Trümmergroteske mit einem ziemlich sehenswert ausgemergelten Gert Fröbe. Eine Groteske, die ihre Scheuklappen so justiert hat, dass nur auf sich und da auch (fast) nur nach vorne geschaut wird. Nicht ganz fein, aber so gut, dass ich über Bomben noch nicht lachen konnte.
Sonnabend 22.06.
gut
Gangster Pépé le Moko (Jean Gabin) sucht in der Liebe sein Paradise Lost. Den Ausweg aus seiner jetzigen Existenz scheint aber weniger in einer moralischen Abkehr von seinem Leben zu liegen, sondern in seiner Übermacht, die ihn zunehmend zu langweilen scheint. Dieser kriminal-romantische Plot macht PÉPÉ LE MOKO aber nur beschränkt interessant. Zu ungemein fröhlicher Pianomusik wird hier auch mal ein Informant getötet. Diese und ähnliche Stellen sind aber nur kleine, seltsame Farbtupfer in diesem melancholischen Kampf gegen den Überdruss in einem staubigen goldenen Käfig, wo niederträchtige Leute Spiele miteinander treiben und bei dem mit wenigen Ausnahmen vor allem Pappfiguren beteiligt sind, die nutzlos herumstehen und mit ihren Ticks wohl Stimmung machen sollen.
Zu Beginn gibt es eine Montage über die Casbah in Algiers, wo Pépé le Moko untergetaucht ist. Es ist aus Sicht der französischen Kolonialmacht erzählt, die diesen Ort verteufeln, weil sie dem Geschehen dort nicht habhaft werden können. In diesem Abschreckenden liegt aber ein Lob der Vielfalt, auch oder gerade weil Müll und Verderben alle Straßenarme dieses Labyrinths durchziehen. Es ist ein widerständiger Ort gegen die faschistische Aufgeräumtheit der Kolonialbeamten. Außerhalb der Montage wird es zwar schnell ein 08-15-Handlungsort aus ihm, sein Fieber verglimmt aber nur langsam in den Augen der heimischen Leute außerhalb Pépés Bande. Frauen wollen dort beispielsweise gezüchtigt werden und es sagen – was wiederum ein wiederkehrendes Motiv diverser Filme dieses Jahrgangs in Bologna werden sollte. Schmerz und Verkrümmungen im weniger einfach zu Verdauenden unter der Knute des Plots sind jedenfalls faszinierender und vielschichtiger, als dieser selbst.
fantastisch
STATE FAIR begleitet die Familie Frake bei einem einwöchigen Jahrmarktsaufenthalt. Eine der Dinge, die dabei erzählt werden, ist, wie der Vater der Familie Abel (Will Rogers) mit seinem Schwein Blue Boy einen Farmtierwettbewerb – ein schweinisches Äquivalent zu einer Hundeshow – gewinnt. Abel hegt und pflegt Blue Boy geht liebevoller und aufmerksamer mit ihm um, als mit seiner Frau und seinen Kindern. Weit über ein Zucht- und Zweckverhältnis scheint seine Zuneigung hinauszugehen. Auf dem Heimweg ruft er dann aber schon: A trophy today, ham tomorrow. Der kommende, genussvoll imaginierte Wohlgeschmack ist in der Stimme völlig mitleidlos zu hören. Es ist die derbe Pointe eines Pragmatismus, der hinter dem romantischen Zauber von STATE FAIR lauert.
Vorher haben wir eine große Wunscherfüllung gesehen. Die Elterngeneration gewinnt ihre Koch- und Tierwettbewerbe und die Kindergeneration (inkl. Blue Boy) erlebt Liebe, wie sie sich immer gewünscht oder nie zu träumen gewagt haben. Die Tochter Margy (Janet Gaynor) erlebt die Versprechen der großen Welt, von denen sie sich im ländlichen Heim meilenweit entfernt fühlt, während Sohn Wayne (Norman Foster) sich ganz unschuldig in eine Parallelwelt aus Obsessionen, Fetischen und Sex gezogen sieht. Und Blue Boy darf mit einer Sau so ausschöpfend Süßholz raspeln, wie es ihm wohl kein anderer Film (ohne Übersetzung in eine verständliche Sprache) zugestehen würde.
Diese Traumerfüllung wird aber nur innerhalb der titelgebenden State Fair zugelassen. Also an einem Ort, der beständig durch Rückenprojektionen irreal erscheint. An einem Ort, wo Preisrichter absurde Tänze aufführen und ihr Glück nicht glauben können, wenn das Essen voll mit prohibierten Alkohol ist. Oder wo ein Gouverneur die Bewertung der Schweine eröffnet und sich dabei wie ein Nazi anhört, der die Vorzüge der Kinderzucht in der HJ lautstark preist. Oder eben an einem Ort, wo sich für den körperlichen Austausch der Liebe – sowohl in sexueller, als auch in keusch-romantischer Form – immer ein anschmiegsamer Ort findet. Und in dieser Entrückung wirken Entspannung und Glück unaufdringlich auf einen ein.
Diese Traumerfüllungsmaschine ist aber eine flüchtige … was das Schönste an diesem selbstsicheren, unaufgeregten und doch verspielten Film ist. Der Süße liegt die Bitterkeit bei, die von Realität und Alltag am Horizont ausgehen. Die finale Einstellung zeigt ein Werbeplakat der State Fair, die vom Regen weggeschwemmt wird. Hinter dem affektiv aufgeladenen Bild warten nasse Holzplanken, auf denen groß The End steht. Oder Margy ist es, die das ganze herzensbrechende Potential des Films auf den Punkt bringen darf, wenn sie zu ihrem geliebten Journalisten (Lew Ayres) sagt: Sometimes you seem like something I’ll wake up from.
ok
Statt sich um moralische Debatten zu kümmern, zieht die Geschichte von Spencer Tracy als Mafiosi mit einem Herz aus Gold* – bzw. mit etwas Anstand und Werten – schnell und ohne Ballast voran – wie die Nummernschilder immer luxuriöserer Autos, die die vorbeifliegenden Jahre des nicht erzählten Aufstiegs darstellen. Ein Junge von der Straße möchte in der hohen Gesellschaft Aufnahme finden, er kennt aber nur seine wenig feine und ziemlich zwielichtige Art. Um es mit Bourdieu zu sagen, fehlt ihm das kulturelle Kapital für sein Anliegen. Vom zwiespältigen Verhältnis zwischen Tracys Mafiosi und der höheren Gesellschaft wird dabei durch schöne Stellvertreter erzählt. Die Frau, in die er sich verliebt bzw. die er als Statussymbol besitzen möchte, hat bei Spielen durchaus Spaß mit ihm, sobald es aber ernst wird, verdreht sie die Augen. Faszinierend ist er schon, aber zu gefährlich, selbstmörderisch und labil sein Reichtum. Auf der anderen Seite der Gesellschaft herrscht da eine ganz andere Romantik: Als Tracys Figur besagte Frau, die einen anderen Mann liebt, vom Altar weg entführen möchte, sagt sein Partner, der keine Ambitionen hat, etwas Besseres zu werden: Bad business, but a swell idea. Am Ende wird QUICK MILLIONS aber seine unsentimentale Geschwindigkeit zum Verhängnis, weil gerade solche Widersprüche nicht vertieft, mit ihnen kein Jux getrieben und auch keine Abgründe entworfen werden. Er zieht einfach hinfort und macht Tracy wie Film zu einem armen Tropf.
*****
* Es dürfte schon der vierte Film dieser Art sein, denn ich beim Il cinema ritrovato sah und damals scheinbar wie geschnitten Brot mit Tracy produziert wurde.
ok
Dass der Katalog des Il cinema ritrovato besonders überschwänglich und einseitig wäre, lässt sich nun nicht behaupten. So steht im Beitrag zu NAPOLETANI E MILANO geschrieben, dass die erste Hälfte, die bessere, beinahe exzellent sei. Und es stimmt, wenn in der zweiten Hälfte zwischen Mailändern und Neapolitanern Zusammenhalt herrscht, wenn feierlich gezeigt wird, dass mit Ärmel hochkrempeln, jedes Problem gelöst werden kann, wenn alle Konflikte beiseite geräumt werden, um lieber in einer sentimentalen Notlüge zusammenzuleben, dann verliert der Film viel seines Esprits. Gerade im gegenseitigen Widerstand, wenn die quasi deutschen Norditaliener an den quasi afrikanischen Süditalienern verzweifeln und vice versa, wenn Klischees aufeinanderprallen und diese nicht entzaubert werden sollen, sondern gerade in Ihnen zu erkennen ist, dass nicht der Glaube an sie das Problem ist, sondern die Herabsetzung anderer Leute, nur weil sie einem nicht in den Kram passen, wenn also die Unterschiede nicht geglättet, sondern gerade betont werden, dann ist NAPOLETANI E MILANO wirklich beinahe exzellent.
gut –
Von einem Bruderpaar erzählt THE MAN WHO CHEATED HIMSELF. Der eine ist eingesessener Polizist (Lee J. Cobb: wohl das einzige Mal in seiner Karriere als Ladys Man), der den Mord seiner Geliebten (Jane Wyatt) an ihrem Ehemann vertuschen möchte. Der andere (John Dall) jung und gerade von der Straße ins Morddezernat versetzt worden, wo er in seinem ersten Fall unter der Obhut seines Bruders, ohne es zu wissen, auf eben diesen Jagd macht. THE MAN WHO CHEATED HIMSELF erzählt zwar Cobbs Geschichte, entspricht in seiner Form aber vielmehr dem Bruder. Denn: Lange Zeit fühlt es sich an, als ob mit verbeamteter Hand erzählt wird. Der Fluss ist sachlich, ohne Sperenzchen und fast pedantisch reduziert auf das Nötigste. Als der Jüngere hinter das Geheimnis seines Vorbilds gekommen ist, wiederholt sich alles Vorherige poetisch überhöht und abstrakt reduziert in dem leerstehenden Fort Point unterhalb der Golden Gate Bridge. Der Wind zieht hier scharf durch die Bilder. Angegriffen und verbraucht sieht THE MAN WHO CHEATED HIMSELF nun aus … und plötzlich herrscht ein Mehr an Lebendigkeit.
Freitag 21.06.
ok
Gesichter wie Ikonen und immer wieder das Gespür dafür, wie Leuten große Auftritte verschafft werden kann. Sergio Leone hätte vll. Paraden choreographieren sollen, denn leider hat er, zumindest hier, darüber hinaus so wirklich gar nichts zu erzählen. Alles ist mit Tricks und Gegentricks zugestellt, dass das öde Nichts danach aussehe, dass etwas (Bedeutendes) geschehen würde.
Montag 17.06.
großartig
Es ist wieder passiert: critic.de hat eine längere Meinung dazu von mir veröffentlicht. Darin geht es vor allem um das Genesis Meisterwerk THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY.
12.06. – 16.06.
2. Paradies Filmfestival
Sonntag 16.06.
ok
Whodunit mit einem super trunstvollem Auftakt am Strand und einem atmosphärisch inszenierten Ende, dass einem vorgaukeln könnte, dass gerade einem Psychohorror beigewohnt wurde. Dazwischen: Reden, reden, reden & reden. Augenscheinlich über einen Mord, tatsächlich aber darüber, wer jeder ist, individuell und gesellschaftlich.
nichtssagend –
Die Karikatur eines Films von Claude Sautet. Das beständige Reden über Beziehungen dabei in einem angestrengten wie anstrengenden Modus ironischer Sentimentalität.
großartig
Das Leben als Niederlage aller Ideale. Ein Junge versteckt sich vor einer hinterhältigen und heuchlerischen Erwachsenenwelt in einer Litfaßsäule und muss am Ende doch von Sehnsucht gepackt zu Mama und Papa zurück. Diese haben keine Läuterung erfahren, es ist nur, dass das Kind nicht alleine leben kann. Es ist unfassbar, wie fatalistisch dieser kleine Spaß tatsächlich ist.
gut
Derrick erwartet von Leuten, dass sie ihre Köpfe nicht in den Sand stecken, was diese nun überhaupt nicht einsehen wollen. Stört ja alles nur die Ruhe. In einem tollen Cast von Duckmäusern und sich selbst Überschätzenden sticht Richy Müller als karatekämpfender Aufschneider heraus. Ein Meisterwerk aus Fremdscham und Energie. Theodor Grädler darf sich dabei wieder in seinem Lieblingsfach auszeichnen: Er lässt den Mief gewähren. Es gibt nur ein Problem, dass sich bei Remember It for later gut nachlesen lässt: Nur Derrick selbst gefällt sich weiterhin darin, seinen Gesprächspartnern mit Trauermiene ins Gewissen zu reden.
Sonnabend 15.06.
gut
Ein Film in Kampf zwischen Konzentriertem und Unkonzentriertem. Ein Film zwischen Anarchie und Didaktik. Trotz und Kampf um Anerkennung vs. die zärtlichen Gefühle. Eine Putzfrau macht Ferien mit Modehut. Doch statt KLEIDER MACHEN LEUTE ist sie die Einzige, die sich nach ersten Erfahrungen von plötzlicher Wertschätzung an ihr Accessoire klammernd dauerhaft in einer besseren Welt angekommen glaubt. Die Hassliebe und der daraus erwachsende Kleinkrieg mit dem Aufzugsfahrer ist so gewissermaßen ihr Weg sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Wie so viele Filme dieses Festivals ist DER HUT aber am besten, wenn er sich nicht auf dies konzentriert, sondern zu sommerlichen Miniaturen abschweift.
großartig –
Während ich dem gesetzten Realismus von ALLE MEINE MÄDCHEN folgte, schlief ich kurzzeitig ein. (Zum Glück war es der einzige Vorfall dieser Art an diesem Wochenende.) Noch mit dem Schlaf kämpfend machte ich zwischenzeitlich wieder die Augen auf und sah eine der Hauptdarstellerinnen in Unterwäsche vor einem psychedelisch anmutenden Hintergrund tanzen. Schnell war ich aber wieder weggedöst. Nach vll. zehn Minuten hatte ich den Schlaf völlig abgeschüttelt und schaute diesen Film in seinem gesetzten Realismus zu Ende. Abends dann war ich fast überzeugt, dass die Tanzsequenz Teil eines Traumes gewesen war und nicht Teil von ALLE MEINE MÄDCHEN, weil sie so im krassen Gegensatz zum Rest des Filmes stand. Auf Nachfrage bei Falko B. war sie aber doch da gewesen. Deshalb sei vorausgeschickt, dass ich das Gefühl habe, diesen Film nicht richtig einschätzen zu können, weil mir sein vll. zentraler Teil wie ein Traum erscheint.
ALLE MEINE MÄDCHEN ist ein Film völliger Unkonzentriertheit. Ein Filmemacher, der eine Doku über ein weibliches Arbeiterkollektiv bei der Glühbirnenherstellung drehen soll, steht hier für den Wunsch eines menschlichen Überwachungsstaates ein, genauso wie er den Film zum Essay über das Verhältnis von Fiktion, Dokumentation und Wirklichkeit macht, über Beobachter und Beobachtete. Die Frauen selber stellen eine basisdemokratische Utopie dar, sind aber auch Herd von Neid und Konflikt. Melancholisch wird ein Alkoholiker beobachtet, statt auf ihn zu schauen. Frech wird gegen ein Leben voller Widrigkeiten, das einem zu einem solchen machen kann, gefrötzelt. ALLE MEINE MÄDCHEN träumt vom Lebenswertem im Kleinen und kämpft so gegen seine ihn antreibende Desillusion an. Am Ende, wenn der Dokumentarfilm, dessen Herstellung große Teile des Films völlig aus den Augen verloren wird, der Brigade vorgeführt wird, geht, als er vorbei ist, das Licht an und der Produzent steht auf. Er darf ALLE MEINE MÄDCHEN an dieser Stelle auf den Punkt bringen: Er sagt: Tja, und sofort wird von ihm weggeschnitten, weil es nichts mehr zu sagen gibt.
gut +
Die wichtigste Erkenntnis des Films: Das Vorbild zu der Ohrring tragenden Ratte aus dem Mosaik, welche die Abrafaxe begleitet, ist wohl in diesem Film zu finden. Die traurige: GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS hat viel zu wenig redende Ratten, d.h. zu wenige Träger von Anarchie.
gut +
In KASKADE RÜCKWÄRTS ist vll. eine Tendenz von Iris Gusners Werkes am deutlichsten. Soweit ich es anhand der Filme einschätzen kann, die ich dieses Wochenende sah, handeln ihr stets von Gruppen und Kollektiven, vom Mensch als sozialem Wesen, der alleine höchstens traurig aus dem Fenster schaut oder abgespalten vom Zusammensein auch mal wie durch Zauberhand aus einem Film verschwinden kann.
Eine Frau und ihre jugendliche Tochter ziehen zu Beginn aus der ländlichen Isolation in ein Mehrfamilienhaus und finden sich dort im Zusammenleben mit den anderen Parteien ein. Beständig sind sie auf der Suche nach jemanden, mit dem sie das Leben verbringen können. Zu hören bekommen sie aber Dinge wie: Ein Kind kann dir doch jeder machen. Das muss doch nicht ich sein. Also müssen sie wieder, es ist das schöne Bild des Films, eine Kaskade rückwärts von einem wild gewordenen Pferd machen, also einen rückwärtigen Purzelbaum aus dem Sattel heraus, um sicher von diesem herunter zu kommen.
großartig –
Der unterbewusste Ballast – d.i. der ideologische, politische, konzeptuelle, historische, religiöse, geschlechtliche, emotionale, der emotional und sexuell pervertierte – eines Staates, der diesen daran hindert sein Ziel zu erreichen, genau ein Ding zu sein: nämlich die Verwirklichung des utopischen Endziels der Menschheit; wird hier als neurotische Landschaft dargestellt, als Symbolismus – Der Film. Musik: Gustav Mahler.
Passend dazu das Gespräch mit Herwig Kipping nach DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN: Auf einfache Fragen driftete er immer wieder in Parallelwelten ab. Wütend sprach er dann von Volker Schlöndorff als Geschäftsführer der Studio Babelsberg GmbH, der seine nun drängende Konkurrenz, also Herwig und andere, in diesem DEFA-Nachfolgegebilde systematisch zerstörte. Oder er sprach mit Tränen in den Augen von Toten aus seiner Vergangenheit, die wohl direkt vor seinem inneren Auge standen. Eine intensive Erfahrung im Doppelpack.
großartig –
Eine (beiläufige) Rückweisung ist es, die das sexuelle Trauma wieder aus der Verdrängung holt. Ein Mann geht lieber nach Hause schlafen, als dass er es mit Silvia (Mimsy Farmer) tun würde, und schon ändert sich ihre Welt. Ein Geheimbund von Kannibalen lässt im Folgenden nichts aus, sie mit Markern ihrer Vergangenheit daran zu erinnern, wie sie als Kind ihre Mutter im Bett mit deren Liebhaber angetroffen hatte. Dergestalt soll sie in den Wahnsinn getrieben werden. Möglicherweise. Wahrscheinlicher ist, dass Silvia im Regress nicht nur von Flashbacks und ihrem kindlichen Double verfolgt wird, sondern auch, dass sie ihre Umwelt zu einer teuflischen erklärt, von der langsam der Putz des Friedens abblättert. Anders kann sie offenbar mit der Erinnerung an eine virile, aggressive männliche Sexualität nicht umgehen, die sie eben real nicht einholen möchte. Und so brechen Horrorvisionen, Sex und Gewalt, Laszives und Kindliches, Nilpferde und Carrolls ALICE IM WUNDERLAND in eine rationelle geprägte Welt der Wissenschaft ein und lösen sie in einen schummrigen Traum auf. Die Psyche einer Erwachsenen spalten sich in Sex und Unschuld auf, die sich gegenseitig als Nachtmahr erleben.
Freitag 14.06.
großartig
Das Leben in der DDR als symbolisch aufgeladenen Kampf mit dem Teufel, als Suche nach einer menschlichen Moral zwischen Vandalismus und stalinistischer Kontrolle, als Irrweg voller Versuchungen, wo sich ein Fahrkartenkontrolleur auch mal für Jesus halten kann. Und gerade wenn sich wieder abzuzeichnen beginnt, wie der Hase läuft, springt MIRACULI weg von sich und seiner etablierten erzählerischen Gestalt. Heißt: Auf einen Schnitt wohnen wir beispielsweise einmal plötzlich einem Psychologieseminar bei, in dem menschliche Psychen ausschweifend und aggressiv in Schubladen eingeordnet werden. Wie wir dort hingekommen sind, wird weder etabliert und nur nach geraumer Zeit zaghaft im Bisherigen verortet. Oder wir finden uns nach einem eben solchen Schnitt auf einer Gartenparty zwischen Luxus, Tratsch und Seelenverlust wieder. Alles davor wird nur sporadisch aufgegriffen und der Film mehr assoziativ, als plottechnisch weitergeführt. Immer wieder wird sich so versucht mit dem Menschsein zu arrangieren und dem Wandel einer Welt, wo die DDR nach 40 Jahren Existenz einfach verschwunden sein wird, wie hier ein kompletter See über Nacht verschwindet.
großartig
Rot und Blau. Innen und außen. Ein Jetpilot (Dirk Benedict) sucht seinen in einem Lichtschein verschwunden Kollegen, besten Freund, fast schon Lebensgefährten und irgendwo auch Double (Ted McGinley) und verfällt dabei immer mehr dem Glauben an UFOS. Sinnsuche ist das Ganze, aber auch ein Film über eine Flucht vor der Familie, um sich selbst zu verwirklichen – irgendwo kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass McGinleys Figur eine Auszeit nimmt, während er seine Wünsche nach sexuellem Exzess auslebt und Benedicts Figur ganz natürlich seine Position in der Familie einzunehmen scheint … gerade durch Situationen wie der, wo Benedicts Pilot seinen Freund wiederfindet, nachdem er selbst in einem Cumshotregen (im Film Engelshaar genannt) aus Licht stand. Es ist schlicht so, dass BLUE TORNADO einem einen so vagen Text anbietet, dass eigentlich nur der Subtext bleiben kann.
ok –
Zuerst entspricht UMUT dem Neorealismus von FAHRRADDIEBE, dann dem schatzsuchenden Pessimismus von DER SCHATZ DER SIERRA MADRE, nur fällt er weder auf das Sentimentale des ersten zurück, noch bietet er einem kathartische Situationen, wie der Zweite. Die Beteiligten sitzen in der Stadt, wo Cabbar (Yilmaz Güney) als heruntergekommener Pferdetaxifahrer seine Familie gerade so die Möglichkeit zu existieren aufrechterhält, und in der Wüste, wo Cabbar sich auf Wunschdenken und Aberglaube berufend einen Schatz sucht, in Dummheit und Hilflosigkeit fest. Die einzigen Hoffnungen, die sich gemacht werden, sind toxische, die die Qual der Familie nur noch mehr verstärken werden. Worauf UMUT dabei hinaus möchte ist schnell klar. Ihm geht es aber nicht um, die zu machenden Feststellungen, sondern um die Intensität mit der die Ausweglosigkeit dargeboten wird. Und so wird es keine Erlösung geben und immer weiter auf diesen Terrorsituationen herumgeritten, denen die Familie ausgesetzt sind bzw. denen sie sich aussetzen. Intensiv ist es, aber zu welchem Preis?
*****
Während die DCP von SEYYIT HAN ziemlich schön war, sah die von UMUT so dürftig wie die von SÜRÜ letztes Jahr beim Il cinema ritrovato aus – nur war das Bild wenigstens nicht in die Länge gezogen. Heißt: Auch hier sah das Bild nach einem hochgescaltem, gefilterten VHS-Rip aus. Die Veranstalter haben erzählt, dass sie sich bei den Rechteinhabern (Güney Filmcilik) beschwert haben, diese wollen aber kein Problem erkennen. Es sei HD und SÜRÜ nicht verzerrt. Was will man da machen? Fatalerweise habe ich mir aufgrund dieser Erfahrung AGIT nicht angesehen. Cem Kaya, der zu SÜRÜ anwesend war, hat mir, bevor ich sonntags vor diesem das Festival für mich beendete und lieber Zeit mit meiner Tochter verbrachte, erzählt, wie gut die DCP gewesen wäre und wie toll AGIT selber. Wenn es wenigstens möglich wäre auf gleichbleibend schlechte Qualität zu vertrauen…
Donnerstag 13.06.
großartig +
Ein Film mit vielen Gestalten: Beginnen tut er wie ein Clon von DIE LINKE UND DIE RECHTE HAND DES TEUFELS. Er verhakt sich dann in etwas, dass einer ethnographischen Studie um eine Heirat in den Bergen Anatoliens ähnelt. Vor allem baut er aber so eine Spannung auf, die sich über einen poetisch-tragischen Wendepunkt löst und in einen Italowestern führt, der einem nochmal schmerzlich vor Augen führt, wie verschenkt Corbuccis DJANGO größtenteils ist. Bei SEYYIT HAN handelt es sich um ein Regiedebüt. Gerade diese Fahrigkeit scheint dies nicht weiter überraschend zu machen. Wie klar die Motive sich aber durch all diese gebotenen Inkarnationen ziehen und dem Film Stringenz und Intensität geben, sind nicht nur für ein Debüt herausragend.
I. Pistolenkugeln: Während der besagten Hochzeit schießen die (männlichen) Gäste unentwegt in die Luft. Die Schüsse legt das Sounddesign penetrant in den Vordergrund, während die Schießenden mehr oder weniger in der Masse untergehen. Nicht enden will der Zug durch das Dorf und nicht enden wollen damit diese archaischen Gewaltmanifestationen, welche vieles, nur keine Freude ausdrücken. Die unentwegten Männlichkeitsbehauptungen der Beteiligten über den ganzen Lauf des Films laufen hier zusammen. Laut Seyyit Han (Yilmaz Güney) befreien Pistolenkugeln eben von Schmerz, so sagt er einem Freund. Ob er damit die Qual eines nunmehr Toten meint, die durch diese verschwinden, oder die befriedeten Rache- oder Unsicherheitsgefühle des Schützen, bleibt der Phantasie überlassen, die gerichteten Schüsse, die folgen werden, werden aber keinen Schmerz wegnehmen, sondern verursachen und vermehren diesen unentwegt.
II. Wüste & Wasser: Gerade zu Beginn gibt es immer wieder weite Einstellungen einer endlosen Ödnis, durch die jemand, nur ein kleiner Punkt in der Landschaft, reitet. Große Pfützen und kleine Seen sammeln sich in dieser Weite. Seyyit steht einmal in einem solchen Gewässer und spielt Flöte. Zu diesem Zeitpunkt ist er hilflos einer Situation ausgesetzt, in der er nicht handeln kann – er hat die Auflagen zur Heirat seiner Geliebten erfüllt, in seiner Abwesenheit wurde er aber für tot gehalten, weshalb sie nun einen mächtigen Bauern heirate soll. Wie Tränen der Beteiligten wirkt das sich schnell ausbreitende Wasser zu diesem Zeitpunkt und wenn der Film in eine Geschichte von Hass und Rache kippt, verwandelt eben dieses Wasser den öden Boden in einen nicht enden wollenden Pfuhl aus Matsch, durch den sich Seyyit Han vorkämpfen muss.
III. Sträucher: Wiederholt nimmt die Kamera eine Froschperspektive ein und filmt durch Sträucher, Schilf und Halme hindurch, die den dahinter Laufenden bzw. Reitenden teilweise verdecken. Im zentralen Moment des Films – einem Wettschießen um die Braut – offenbart sich all diese Einstellungen als Vorgriff bzw. Nachhall der Perspektive der Braut während dieses Schießens: eine Perspektive aus dem Totenreich.
IV. Blumen: Als Entsprechung einer wohl poetischen Sprache – so wurde nach dem Film von einer des Türkisch mächtigen Kritikerin nahegelegt – sprechen die Blumen des Films von Tod und Schönheit. Ich weiß, dass SEYYIT HAN ein Film in Schwarzweiß ist. Die Bilder sehen in meinen Erinnerungen durch die Blumen aber farbig aus.
ok –
Das Essay über Tango als Musik des Schmerzes seines Landes – Tango liegt über Archivaufnahmen von Straßenschlachten uswusf. – wird von einem Fernweh überlagert, dass die Unentfliehbarkeit aus der DDR in die Postulation übersetzt, dass Tango für Leute außerhalb Argentiniens unverständlich bleiben muss.
ok
Am schönsten ist HERZSPRUNG, wenn er nicht macht, was zu erwarten ist. Wenn mutwillig Dinge nicht aufgeklärt werden – beispielsweise, wenn Ben Becker zwei unterschiedliche Figuren spielt oder eine Frau aus der Badewanne springt und durchs Dorf schnellt, weil sie telepathisch zu ahnen scheint, was gerade andernorts passiert. Wenn er jedoch wie so oft macht, was von der Synopse zu erahnen ist – eine DDR-Bürgerin verliebt sich in einen Afroamerikaner –, dann geschieht dies auch noch mit schlechtem Handwerk – die Schlussszene ist räumlich hundsmiserabel aufgelöst – ehe es möglich ist, sich zu orientieren, ist der emotionale Impakt auch schon verflogen.
Mittwoch 12.06.
gut +
Eine Odyssee durch das zusammenbrechende Tausendjährige Reich, das gerademal 12 Jahre dauerte. Gregor (Jackie Schwarz) kehrt als Angehöriger der Roten Armee in die Heimat seiner Kindheit zurück und wird mit ihr nach und nach, Moment auf Moment bekannt. Die Struktur ist offenbar: Er lernt vor unseren Augen seine Landsleute und ihren Umgang mit der Situation aus möglichst allen Blickwinkeln kennen: Die Täter, die Opportunisten, die Philosophen, die es sich zurechtlegen, wie die Vergangenheit ausgesehen haben soll; die inhaftierten Kommunisten und Desillusionierten, die auf eine unwahrscheinliche Zukunft hoffen; die Verblendeten, die immer noch weiterkämpfen wollen; die, die noch gar nicht verarbeiten konnten, dass ihr gesellschaftliches Koordinatensystem nicht mehr aktuell ist. Die Didaktik dieser Struktur ist gerade in einem Film von Wolf und Kohlhaase etwas steif, aber trotzdem finden sich zwischen den abzuarbeitenden Punkten die Gesichter von von Gregor zurückgelassenen Mädchen, Einschübe von fiktiven Dokus über die Funktionsweise der Gaskammern und eine generell wenig zwanghafte Bildgestaltung. ICH WAR NEUNZEHN ist dergestalt ein Film, der fast so uneinheitlich ist, wie sein Gegenstand, auch wenn er versucht sich zu entwerfen.
Dienstag 11.06.
großartig –
Nachdem Tyrone Powers Pirat von einer Steckbank befreit wird, verweilt die Kamera eine beträchtliche Zeit auf seinem Rücken. Die muskulösen Schultern, die Striemen im Fleisch und das Strecken des Körpers scheinen die Kamera zu bannen. Irgendwann wird der Adlige, der ihn folterte, an Powers Körper vorbei im Hintergrund sichtbar. Die Kamera fokussiert ihn sofort schuldbewusst, baut eine Linie zwischen Powers und ihm auf und die Geschichte geht weiter. Kurz war sie aber weit weg von solcher Ökonomie.
Montag 10.06.
gut +
Zu Beginn: Eine Actionszene, die durch unterschiedliche Realitätsebenen hindurchgeführt wird. Komplex, spannend, Spaß. VALERIAN wäre wunderbar, wenn er hintenheraus sich nicht gar so gegenteilig zu diesem Auftakt darstellen würde. Durch Cara Delevingne habe ich aber vll. endlich zu wertschätzen verstanden, was bei Ansicht von John Wayne noch nicht geschah: den Gang von Schauspielern.
großartig
Da ich mich auch hier nicht mehr an etwas erinnern kann, was sagenswert wäre und mir vor allem Lukas F.‘s Worte aus dem Gesichtsbuch im Kopf widerhallen, folgen diese hier: Schöner Film, nicht ganz frei von TV-Dramaturgie-Klischees (Warum muss der Sohn auch noch mit rein?), aber super Iris Berben, tolle Schauplätze und Nebenfiguren, Keinigkeiten wie dieser Amy-Winehouse-Schrein… mir hat natürlich doch wieder der cinephilste Moment (wie Berben im roten Mantel zur Roeg-Hommage wird, das ist ja ganz zufällig auch ein Nachruf geworden und passt deshalb zum Thema des Films) am besten gefallen, aber die Szene im Schwimmbad ist zb auch ganz toll.
Sonntag 09.06.
verstrahlt
Eine bittere, in ihren Grundfesten sarkastische Liebesgeschichte, wird mit ewig schwitzenden Leuten erzählt, die aus einer Folge der BATMAN-Serie mit Adam West entsprungen zu sein scheinen. Und auch DIE GRISSOM BANDE sieht, trotz alles 20er Jahre Kladderadatschs, nach dem platten, comichaften Inszenierungsstil dieser Serie aus. Was war das nun schon wieder?
Sonnabend 08.06.
großartig +
Eine Odyssee durch die Nacht, das Abrollen eines Falles bei Tag. …kurz nachdem ich ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA gesehen habe, hatte ich viel im Kopf, was ich aufschreiben wollte. Leider bin ich nicht dazu gekommen und jetzt habe ich nur noch Bilder im Kopf, Bilder von Quellen, von Tatverdächtigen zwischen Polizisten in einem Auto eingepfercht, die sich über ihren alltäglichen Kram unterhalten, von Leuten, die beim Essen zusammensitzen, Menschen, die nicht da sind, wo sie sich hingehörig fühlen. Mehr kann ich dazu gerade nicht mehr sagen, was schade ist.
Freitag 07.06.
fantastisch –
Das Beste an WITNESS ist vll. nicht, was er macht, sondern, was er nicht macht. Mehrmals deutet er an, alle Selbstvertrashungspotentiale mitzunehmen, die in seiner Grundsituation liegen – ein Polizist (Harrison Ford) taucht in einer amischen Gemeinde unter. Als Cop John Book das erste Mal Kleidung der Amische anzieht, sind die Hosenbeine zu kurz, was den fish out of water-Flair noch verstärkt. Ein amüsanter Konflikt der Kulturen scheint sich anzubahnen. Als der Junge, der Zeuge eines Mordes wurde und den Book vor den Tätern versteckt, mit Books Pistole spielt und der Großvater des Jungen zur Gewalt ist nie eine Lösung-Rede ansetzt, dann liegt in der Luft, dass gerade dieser Junge in der entscheidenden Szene beim Finale eine Pistole in der Hand haben wird. Die Amische und der Großstadtcop müssen schließlich etwas voneinander lernen. Eine Romanze mit der Mutter des Jungen (Kelly McGillis) bahnt sich an. Sie muss sich doch scheinbar zwangsläufig zwischen zwei Männern (Alexander Godunov spielt das amische Äquivalent zu Fords Book), wie zwischen zwei Kulturen entscheiden. Diese Bausteine eines Filmplots bleiben aber nur Momente eines Schabernacks, der darin seinen Spaß findet, alles ins Leere laufen zu lassen.
Wiederholt wird auf das Verhalten von Touristen rekurriert, die Amische wie Zirkusattraktionen betrachten. Die sich mit ihnen fotografieren lassen und sie provozieren wollen, um zu sehen, wie diese gegen ihre Prinzipien verstoßen. Sicher scheinen sie sich zu sein, mit wem sie es zu tun haben, nämlich mit nicht ganz ernstzunehmenden Sonderlingen, die mit dem Klischee ihrer selbst eins zu eins identisch sind. Eingeführt werden die Amische auf einer Totenfeier, wo sie u.a. anzügliche Späße über Pferdehoden machen, denn in WITNESS ist zuvorderst nichts mit sich identitär – Book ist nicht nur der Großstadtcop und die Mutter nicht nur zu eroberndes Liebesinteresse –, weshalb der Film selbst auch eine unaufgeregte Uneindeutigkeit hat. Mal leuchten die Farben von der Sinnlichkeit der Szene getragen in sattem Rot, mal hält er vor Nacktheit und Verlangen wie ein Reh im Lichtkegel – scheinbar aus den Gemälden niederländischer Meister kommend – an. Mal geht es um Eskalation, mal um Vernunft. Mal sehen wir ein Melodrama, mal einen Thriller. Und nichts ist auf seine Proportionen abgestimmt. WITNESS macht das, was gerade nötig erscheint, denn im Endeffekt handelt dieser Film, der nichts zu Ende führt und doch eine klare, runde Geschichte erzählt, wie gesagt, davon, sich nicht von (Selbst-)Definitionen bestimmen zu lassen.
Mittwoch 05.06.
gut
Während sein Nachfolger vollgestellt ist, herrscht in CHARLIE CHAN IN RIO die Leere. Weite Aufnahmen dominieren, wenn sich Liebe und Eifersucht zu einem Wollknäuel menschlichen Hasses verheddern. Selbst Hypnose und Alkohol helfen da nicht mehr, wenn sich die Unzähligen Verdächtigen, die alle von Liebe zerfressen sind, im Nichts der Räume verlieren.
großartig –
Es bleibt, kaum wird es jemanden überraschen, alles beim Gleichen, wenn sich Sidney Toler als Charlie Chan auf Mördersuche begibt. Sohn Zwei (Sen Yung) darf für den Richtung Marx Brothers tendierenden Comic Relief sorgen, während der Meisterpolizist aus Honolulu sich auf engsten Raum zwischen Horden von suspekten Sonderlingen und suspekt unverdächtigen Schönlingen befindet, die alle ein Motiv zum Mord haben oder haben könnten. Wie CHARLIE CHAN IN RIO ist auch CASTLE IN THE DESERT auf das Typische heruntergekocht. Was passt, da sie einen Abschied darstellen. Es sind die letzten Filme der Reihe, die von 20th Century Fox produziert wurden, bevor die Reihe bei Monogram mit deutlich weniger Geld ihre Fortsetzung fand. Von Gier in einem versteckten barocken Schloss in der Mojave-Wüste handelt dieser Teil. Regisseur Harry Lachmann belässt die Kamera dabei auf deutlichem Abstand zu seinen Figuren und filmt durch das Maul eines ausgestopften Krokodils oder sonstigem Nippes aus einer Geisterbahn bzw. betont er diesen, der sich überall um Chan und die anderen befindet. Am besten ist da, wir lehnen uns zurück, lassen Verdächtige Verdächtige sein und genießen diese obskur schwarzromantische Welt.
Dienstag 04.06.
großartig +
Allie Fox ist jemand vom Kaliber Aguirre, Fitzcarraldo oder Colonel Kurtz. Der ihn spielende Harrison Ford ist aber von einem ganz anderen Schlag als Klaus Kinski oder Marlon Brando. Wenn sich Fox/Harrison ins Herz der Finsternis begibt und mit seiner Familie in den Dschungel von Belize zieht, dann fehlt dieser Figur das Charisma, um für sich einzunehmen. Statt eines Wahnsinnigen bekommen wir einen Rechthaber. Statt jemanden, der Grenzen einreißt, bekommen wir einen engstirnigen Patrioten. Selbst als Verkünder einer Apokalypse bekommt er kein übergroßes Format. Er ist ein Erfinder, der praktische Dinge entwickelt, die auf Haushaltsebene genial sind. Eine seiner Kreationen, einen Apparat, der aus Stickstoff, Wasser und Feuer Eis macht, baut er maximal vergrößert als Schrein seiner Übermacht über den Normalbürger und als Monument von Wissenschaft, Arbeitskraft und Überheblichkeit in den Dschungel. So megaloman er seine Schöpfung betrachtet, so bleibt es aber doch nur eine Haushaltshilfe. Im Zentrum von THE MOSQUITO COAST steht so ein fantasiebegabter Spießer, der von Anfang an nicht nur verloren ist und dessen Schicksal, seinen Geistesverwandten auf die dunklen Pfade der Seele zu folgen, sich abzeichnet, sondern auch jemand, der es besser wissen könnte.
Immer wieder gibt es dementsprechend Einstellungen, welche die Foxes aus Distanz betrachten. Ein gewisser Grad an Unglaube steckt in diesem Sicherheitsabstand, aus dem etwas Irreales beobachtet wird. Der Ton des Films schwankt aber zwischen dieser Distanz und dem Aufgehen in einer Parallelwelt. Schließlich ist es ja auch die Geschichte eines verehrenden Sohnes (River Phoenix), der erkennt, wie wenig märchenhaft sein Vater ist. Und so übersetzt THE MOSQUITO COAST die Geschichte eines kleingeistigen Träumers in eine Art verqueren Religionsfilm, in welchem Fox als Prophet spartanischer Werte im Dschungel ein neues Utopia baut. Wie von einem Derwisch lässt sich THE MOSQUITO COAST mitreißen, wenn alles funktioniert. Verträumt werden Blumen fokussiert, wenn die Realität bricht. In einen Fiebertraum gleitet alles ab, wenn Allie Foxes Inneres sich in Form von Spiegelbildern und Externalisierungen seiner Ängste und Verfehlungen über die Außenwelt legt. Und gerade wenn Allie gebrochen ist, dann hört THE MOSQUITO COAST nicht auf, ihm zu folgen, hautnah und aus sicherer Entfernung, sondern folgt ihm grau und verloren bis ans Ende.
Montag 03.06.
uff
Nach einem Brand ist Fuhrunternehmer Benno Kutowski (Götz George) mit einem Mal pleite. Auf dem Sozialamt trifft er einen Schauspieler (Walter Schmidinger), der sich bei mehreren Ämtern unter unterschiedlichen Namen gemeldet hat, um mehr Sozialhilfe zu empfangen. Kutowski reist daraufhin mit unzähligen Identitäten, Verkleidungen und fiktiven Familien im Schlepptau durch die ganze Bundesrepublik, um an Geld zu kommen, mit dem er seine Schulden bezahlen kann. TOTE STERBEN NIEMALS AUS ist dergestalt vor allem das Portrait eines Mannes, der sich den Konsequenzen seines Handelns nicht stellen möchte. Die Tour de Force eines sich für charmant Haltenden, der Brand auf Brand in seinem Leben legt, ist dabei durchaus eindrucksvoll. Vor allem weil Götz George voll darin aufgeht. Seine gutgelaunte, abgehetzte Ungreifbarkeit ist aber auch die des Films. Synchron zu Kutowskis scheiterndem Abstrampeln, um als Macher zu wirken, scheitern Witz und Sentimentalität des Films. Eine Satire soll das alles augenscheinlich sein. Doch nicht der Sozialstaat oder die Gesellschaft sind die Zielscheiben, sondern die Neurose einer nicht erwachsen werden könnenden Männlichkeit. Spaß macht das keinen. Ein Tonfall herrscht, welcher der Hauptfigur entsprechend Nerven strapaziert. Kein Witz funktioniert und zu keiner Zeit kann die surreale Selbstüberschätzung Kutowskis die surreale Verformung seiner Welt tragen. Diese bittere, kaum auszuhaltende Abrechnung ist ganz hartes Brot.
Sonntag 02.06.
nichtssagend
Der Titel von ABGESCHNITTEN weißt auf zwei Dinge des Films. Einmal geht es um den Pathologen Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) und seine Assistentin wider Willen Linda (Jasna Fritzi Bauer). Beide müssen Leichen aufschneiden, weil in ihnen die Hinweise versteckt sind, die zu Herzfeld entführter Tochter führen. Während beide also ihre Hände mehr oder weniger Tief in Gedärm stecken, geht es für die wissenschaftliche Koryphäe darum, die eigenen Aggressionsprobleme zu überwinden und zwischenmenschliche Kompetenzen aufzubauen, während Linda Mut entwickeln muss, um sich dem von übergriffigen Männern umgebenen Leben zu stellen.
Andererseits sind beide voneinander abgeschnitten. Er ist in Berlin, sie auf Helgoland. Ein Sturm tobt. Während sich Herzfelds Weg nach Helgoland, wohin ihn die Hinweise führen, beschwerlich und voller Fallen darstellt, ist die Insel vom Rest der Welt abgeschnitten. Der in der Nähe von SEVEN angelegte Thriller nutzt diesen Sturm und die Trennung der Beteiligten, um ein Bild gesellschaftlicher Kälte zu zeichnen. Spätestens wenn es offensiv um Law & Order und den Umgang mit Vergewaltigern geht, wird auch das politische Klima in Deutschland verhandelt. Einem Deutschland, dass sich von einem Monster verfolgt sieht, das keine menschlichen Züge mehr hat, und in Panik und Schmerz sich selbst zu zerfleischen beginnt.
Das Formelhafte dieses Aufbaus bzw. wie mit diesem umgegangen wird, verstärkt sich noch dadruch, dass Alvart seinem Sujet und den Bildern von Kälte und Gore nicht vertraut … oder sich für diese schlicht nicht interessiert. Der Raison d’être von ABGESCHNITTEN scheint eher darin zu liegen, geradezu neurotisch zu immer neuen Twists zu führen. Nässe, Schnee und Regen, Speiseröhren, After und Gehirne, Helgoland, Berlin und die Tundra dazwischen, alles scheint nur Jux zu sein, wenn nicht hinter der nächsten Ecke schon wieder etwas lauert, dass einem den Boden unter den Füßen wegzieht. In den ständigen Überraschungen wartet aber nicht der Horror, darin verliert er seine Zähne und wird enervierend.
Sonnabend 01.06.
ok
Selbst Brynych schafft es nicht der langsamen Ermüdung der Serie entgegen zu treten. Die Drehbücher von Reinecker fühlen sich zunehmend wie Collagen an, die zusammen nichts ergeben. Es gibt viel, aber nichts führt zu etwas. Hier und da stemmen sich dynamische Bilder von Leute, die hinter Türen mehr lauern, als warten, gegen das völlige Erschlaffen, aber da es nicht Mal zu verkrampften moralischen Appellen kommt, bleibt OFFENER FALL sehr gesittet. Einzige Neuheit: Derrick weiß am Ende zwar, wer der Mörder ist, aber tun kann er nichts. Der Fatalismus schreitet voran.
nichtssagend
Peter Fricke schaut, als seiner Figur erzählt wird, dass eine Leiche in seinem Hotelzimmer liegt, wie meine sechs Monate alte Nichte, wenn etwas Neues ihr Sichtfeld betritt. Mit aufgerissenen Augen schaut er auf einen Punkt und regt sich nicht mehr. Es ist ein schöner Moment aus Overacting und Paralyse. Wenn Derrick am Ende zur Moralpredigt ansetzt, dann zieht eine Kante in der Wand hinter ihm, die Nase seines Schattens lang. Es sind zwei der wenigen nennenswerten Ereignisse in einer Folge, um zwei dysfunktionale Ehen, deren Störung im diametral entgegengesetzten Grad der Zuneigung begründet werden, also in einer Folge, die nach Emotionen schreit, die auf dem Papier von Hass, Verbitterung und Hilflosigkeit erzählt, davon aber nichts wissen möchte.
Mai
Freitag 31.05.
gut
Wer von TRIPLE THREAT irgendwas über Kampfhandlungen Hinausgehendes erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Die Charakterzeichnungen werden in ihrer Dünne nur vom gleichzeitig simplen, als auch viel zu umständlichen Plot übertroffen. Tony Jaa und Tiger Chen spielen etwas leichtgläubige Söldner, die eben Freunde sind und deshalb auch mal zusammen Spaß haben, Kochen und Essen dürfen. Und das ist es schon, was uns über sie erzählt wird. Iwo Ukais hingegen darf den Tod seiner Frau rächen. Statt zum melodramatischen Held macht TRIPLE THREAT ihn aber zur enervierenden Randfigur, die für das besagte Umständliche sorgt, wenn er sich ohne emotional, dramaturgisch oder sonst wie sinnhaft genutzten Grund als Doppelagent bei den Bösen einschleust. Eine Nebenfigur, die eigentlich nur Niederlagen kassiert. Die Zusammenführung der drei großen asiatischen Martial Arts-Stars ist so nur eine partielle, da Uwais nur immer wieder beweisen darf, dass ohne Freunde ein Leben und ein Actionstarsein nicht auszahlt. Vll wäre DOUBLE THREAT AND A HALF der bessere Titel gewesen. Davon abgesehen ist TRIPLE THREAT aber mindestens schönes Bewegungskino.
Donnerstag 30.05.
fantastisch –
Jetzt beim Wiedersehen ist mir erst klargeworden, wie sehr ich ZAMA vor zwei Monaten verschlafen habe. Die ganze offensive Entrückung der Realität kam gar nicht bei mir an – nur deren Verrottung (siehe Kommentar von damals). Wenn Don Diego de Zama (Daniel Giménez Cacho) beispielsweise bei einem der schnell wechselnden Gouverneure sitzt, abermals um seine Versetzung bittet und ein Lama die Einstellung, in der er sitzt, bombt, dann schien mir das nur ein Teil des absurden Witzes zu sein. Aber das Dröhnen des Synthesizers, welches zu hören ist, macht das Lama zu einem weiteren Marker der Nachgiebigkeit der Realität. Eine Realität, die unter Verkündigungen von an Cholera erkrankten Kindern, wonach Zama ein Gott sei, der nicht sterben kann, die unter Geistern, Gedächtnislücken und maskierten Boten einer anderen Welt zerfließt, wie Butter in der Sonne. ZAMA ist von Hitze bestimmt, von dem langsam fortschreitenden Zerfall Zamas, dessen Road Movie von Stasis bestimmt ist, und von einer Erzählung, die uns über das Verstreichen von Zeit und soziale Entwicklungen völlig im Unklaren lässt.
Bei allen Unwägbarkeiten, bei allem Weichem und Poetischem ist der Film in seinen Abläufen aber völlig klar. Schon das erste Bild und die kurz darauffolgende Szene spannen ganz nebenher den Charakter Zamas auf. Erst steht er am Strand und schaut in die Ferne. Weg möchte er von da, wo er ist. Kolonialbeamter ist er in der gerade durch Spanien erschlossen werdenden südamerikanischen Provinz. Mit seinem Blick ist er aber nie da, wo er ist. Ein in eine Uniform gehülltes Nichts, dass weder hier noch dort ist, weder Spanier, nach Südamerikaner, weder Beamter, noch Marginalisierter, weder tot, noch lebendig. Und die Uniform verrottet langsam an ihm. Kurz nach dem Blick in die Ferne bespannt er nackte Indiofrauen. Als sie ihn entdecken, nimmt er reiß aus. Das Einzige, was ihn anzutreiben scheint, ist Sex. Auch wenn er im Laufe des Films Vater wird, zeigt ZAMA ihn lediglich als glücklosen Hund, der immer wieder mit dem Schwanz zwischen den Beinen abrücken muss. ZAMA ist so zugleich Monolith und Moor der Verlorenheit. Die Verlorenheit eines Privilegierten in einer Welt, die ihm immer unverständlich bleiben wird.
verstrahlt +
Auch hier findet sich etwas dazu auf critic.de. Soviel sei gesagt: Ein radikaler Film mitten aus dem Herz des schmidtschen Filmschaffens.
Mittwoch 29.05.
großartig
Wiederholt das zweite Kapitel in den ersten Minuten im Schnelldurchlauf nochmal den ersten Teil, setzt danach die Überführung des Films aus einem realistischen Reich in eines völliger Stilisierung und Mythologisierung ein. Es sind die holprigsten Minuten des Films, wenn es im Getriebe knirscht und per hölzernen Dialogen die kommende Welt eingeführt wird. Darauf folgt ein im Vergleich zu PARABELUM abgespeckte, aber auch verspieltere Apotheose des Kampfes zur Kunstform. Vll lag gerade bei der gescheiterten Transformation der Grund für meine Distanz bei der ersten Sichtung. Jetzt, vom dritten Kapitel her gedacht, also nicht vom Realistischem kommend, ist dieser Film ein sagenhaftes Ballett.
Dienstag 28.05.
großartig –
Einige, wenige paar Punkte zu diesem Film:
1. Eine Szene, die in einem Krankenhaus spielt, erstrahlt völlig in Giftgrün. Andere sind in strahlendes Violett getaucht. FURIE leuchtet in allen Farben des Neonregenbogens. Color Grading wird folglich nicht halbwegs dezent eingesetzt, sondern nähert sich den Viragierungen eines Stummfilms an. Des einen Moderne ist des anderen Klassik.
2. Die Entfremdung zwischen einer Mutter und einer Tochter wird hier in eine rachemotivierte Entführung eines Kinderorganhandelrings übersetzt. Elternsein ist so gesehen nach FURIE ein einziger lebensbedrohlicher Schlagabtausch, der den Kindern die Gedärme rauszureißen droht.
3. Die Figur des Polizisten, welcher der Mutter hilft, bleibt über den gesamten Film ein Fremdkörper. Nichts fügt er dem Film hinzu, außer, dass es durch ihn eine positive männliche Figur gibt, die hier und da ansatzweise kompetent auftaucht – auch wenn sie schlussendlich wirkungslos bleibt. In einem Film, der Hauptrolle und Endgegner prominent mit Frauen besetzt, ist er nicht nur überflüssig, sondern auch ärgerlich. Besonders da er nach der impulsreichen Mammutaufgabe der Mutter ihr final dann doch per Pistolenschuss das Leben retten darf. Ein Retter, wo es keinen braucht.
4. Die Actionsequenzen sind von Ellipsen durchzogen, die Vorgänge, welche oft nur Sekundenbruchteile dauern, noch beschneiden. Dieses schlechte Handwerk, was darin wohl auch gesehen werden kann, ziehe ich mit seinen Anknüpfpunkten an die Inszenierung King Hus – die Erweckung des Eindrucks, dass die Kamera nicht hinterherkommt – dem sauberen Aneinanderreihen einer digital erstellten Plankampfsequenz wie in MCUs BLACK PANTHER, die mehr als trantütig wirkt, deutlich vor.
Montag 27.05.
gut +
Wenn die Schwangere Ruth (Alice Lowe) den Befehlen ihres Kindes folgt und die Teilnehmer eines Kletterausflugs tötet, bei dem der Vater des Kindes starb, dann funktioniert das auf zwei Ebenen. Einmal sind die Opfer – Ruths Beschimpfungen und Erlebnisse mit ihnen lassen ebenso wenig Zweifel daran wie die monochrom-ekelfarbigen Bilder, in denen sie stecken – keine guten Menschen. Sie sind schmierig, herablassend und ausnutzend. Sie wischen sich die Kotze nicht von den Lippen, bevor sie einen küssen. PREVENGE ist angetreten, um den Spaß zu vermitteln, diese Figuren aus dem Leben zu befördern. Andererseits ist es aber auch genau andersherum. Denn auch der Spaß, diese zu erleben, sollte nicht unterschätzt werden. Die Karrierefrau, der sich gehenlassende Lebemann, der sich zu Hause selbst noch von der dementen Mutter den Haushalt schmeißen lässt, Wg-Bewohner und all die anderen Leute, die ihren Obsessionen nachgehen, sie alle machen, was Ruth nicht mehr kann. Ihr Körper ist von einem neuen Herrscher bewohnt, so wird die Hebamme nicht müde zu betonen. All der Hass auf die Verantwortungslosigkeit der anderen entspringt aus der Angst vor der neuen Verantwortung. Am schlimmsten aber sind die, die es unter den Hut bekommen, verantwortungsbewusst und selbstverwirklicht zu sein. Ausschnitte von CRIME WITHOUT PASSION bringen die Funken von Hysterie und Wahnsinn in PREVENGE, die sonst unter einer englischen, von Ruth mit trockenem Sarkasmus begegneter Zurückhaltung lauern. Und der Umstand, dass sich die Leidenschaft nur so selten aufbäumt, macht aus PREVENGE eine Verlierer-Ballade von jemanden, der im Bewusstsein durch den Film schlurft schon verloren zu haben.
Sonntag 26.05.
ok +
Eine Frau muss erkennen, dass sie ihren Vater trotz seiner Kälte doch liebte und dass es vll. nur die Ehe mit ihrer Mutter war, die ihn so verbohrt und lieblos erscheinen ließ. In seiner Freizeit rettete er schließlich asiatische Zwangsprostituierte und musste dafür sterben. Wie ein Staffellauf wirkt WER BIST DU, VATER? dabei lange Zeit. Bis es zu seinem Grundkonflikt kommt, ist die Episode schließlich vollgestellt mit Figuren und Konflikten, die jeweils nur kurz betrachtet werden. So sitzt ein Kind wiederholt auf der Treppe und wartet, dass ihre sich prostituierende Mutter fertig ist und es wieder in die Wohnung kann. Die melodramatischen Potentiale dessen werden aber links liegen gelassen. Derrick darf nur immer wieder sagen, dass er das Kind nicht vernehmen wird, weil es schon genug um die Ohren hat. Statt Drama zeigt WER BIST DU, VATER? lieber, wieviel Verständnis es für alle hat.
verstrahlt –
Claude-Oliver Rudolph ist eine Sensation … wie in bisher jeder Folge, in der er auftrat. Auch wenn seine Rolle hier wie zuletzt wieder ein kleine ist. Zwischen all den Schauspielern, die das Reinecker-Sprech aufsagen und diesem mehr oder weniger Leben abgewinnen können, wirkt er wie ein Fremdkörper. Souverän ist er und voller Lebendigkeit. Was er sagt und wie, es lässt die Dogmatik um ihn noch blutleerer erscheinen. Hat er improvisiert oder tatsächlich einen Weg gefunden, etwas aus der Feder Reineckers wie etwas Unverkrampftes wirken zu lassen, ich bin mir nicht sicher … tendiere aber zu ersterem.
Ansonsten lässt Theodor Grädler das Reineckersche sich wieder völlig entfalten. Verschwitzte, ausgemergelte Junkies, sich hinter Coolness verschanzende Dealer und geile, alte Nachbarn, die unter dem Deckmantel der Nächstenliebe junge Abhängige in ihr Bett bringen möchten, tragen ihr Innenleben auf den Lippen, schmeißen verlorene, Intellektualität vortäuschende Monologe um sich und machen das Leid oder die Verkommenheit nur noch deutlicher, die sich dahinter verstecken sollen und die so offensichtlich aus ihren schwitzigen bzw. biederschmierig bekleideten Körpern sprechen. Bester Schachzug dabei: den Cold Turkey sowie das Hoch nach dem Schuss von Judas Priests PAINKILLER unterlegen zu lassen, der immer zu laut ist, die Nachbarn gegen die Hörenden aufbringt und nur unterstreicht, wie taub diese für alles außerhalb der Sucht sind.
radioaktiv –
Es ist mal wieder soweit: Bei critic.de gibt es mehr hierzu. Zur Unterstützung des Lesevorgangs bitte dies hören.
ok
Ein Provinzler (Tanigawa Toshiyuki) geht nach Tokio, um Genaueres über die Hintergründe des Todes seines Sohnes zu erfahren. Dieser war Teil der dort blühenden Gegenkultur und der Witz von SHINJUKU MAD ist größtenteils, dass der Vater nicht versteht, was in der großen Stadt vorgeht. Dass die Freie Liebe, die Erlösungssuche, den seinen Schatten vorauswerfenden Terrorismus als auch den Slang den Horizont des aus der Vergangenheit Stammenden völlig überschreiten. Er schaut wie ein Schwein ins Uhrwerk und wirkt auf seiner Suche nach Sinn im Verlust völlig hilflos.
Zwei Stellen braucht SHINJUKU MAD um seine Treffer zu landen. Aufnahmen von in den Straßen Tokios liegenden Leichen eröffnen den Film. Darauf folgt die einzige Sequenz in Farbe. Es ist der Tod des Sohnes und die Vergewaltigung seiner Freundin – ihr nackter Körper wird zudem von oben bis unten mit seinem Blut eingeschmiert –, nachdem sich für ein futuristisches Theaterstück probten. Die naive Utopie wird unmittelbar getötet und in Blut getaucht. Schon hier artikulieren Wakamatsu und Drehbuchautor Adachi, dass diese Revolution ihre eigenen Kinder fressen wird. Der Asama-Sansō Vorfall wenige Monate später sollte ihnen ganz unmittelbar Recht geben.
In der schönsten Szene dann kaum weniger Hoffnung, auch wenn sie etwas ziviler abläuft. Ein Hippie steht auf einem der Klettergerüste eines Spielplatzes, spielt Gitarre und singt manisch wie schief das HARE KRISHNA-Mantra. Nur sporadisch lässt er sich von den Fragen des Vaters stören. Unter ihm in einem Tunnel der steinernen Konstruktion liegen zwei Paare engumschlungen und lassen sich ebenso wenig von dem alten Mann von ihrer Küsserei abbringen. Irgendwann droht der Vater, dass er die Polizei holt, wenn sich weiterhin so unsittlich benommen wird. Japan Ende der 60er/Anfang der 70er wird so zu einem Land von (sich ausprobierenden) Kindern – wie Maden liegen sie in der steinernen Tradition und durchlöchern sie – und (es nicht besser wissenden) Spießern.
Mit diesen beiden Momenten hat SHINJUKU MAD sein Feuer im Grunde aber schon verschossen. Alles dazwischen und danach sind nur Schatten der Poesie und des Witzes dieser, die nichts hinzufügen können.
Sonnabend 25.05.
großartig –
Nach den folgenden Kapiteln hatte Ich gänzlich vergessen, wie sehr der erste Teil noch in einer uns ähnelnden Realität verankert ist und dass die Parallelwelt, in die John Wick zurückkehrt, nur ein Farbtupfer in einem straffen Actionfilm darstellt, in dem einem Todesengel die selbstgerechte Möglichkeit geboten wird, ohne große Gewissensbisse zu sich zurück zu finden und zu morden und die Frage ist, ob er tatsächlich nur ein Todesengel ist, der lediglich im Tod aufgeht, oder ob etwas in ihm darüber hinausreicht, also ob wir Schmied unseres eigenen Glücks sein können.
Freitag 24.05.
(nichtssagend)
DAS WEISSE BAND durch Helge Schneiders unter Ritalineinfluss stehenden Augen. Ein estnisches Dorf ist dem Aberglauben und damit dem Satan verfallen. Obskure Dämonen helfen den Leuten und lassen sich mit Seelen bezahlen. Liebe, hier immer Einbahnstraße, und Gier fressen die Beteiligten, wie Zombies Wandelnde, auf. Jede Einstellung erfriert in seinem kontrastreichen Schwarzweiß unter der Kälte. Und vll. ist das der Punkt, wo ich – völlig übermüdet – nicht mehr mitkam. NOVEMBER sieht so sagenhaft schön aus, dass die in Lumpen gekleideten Protagonisten – körperlich und geistig – wie Witzfiguren aussahen, die seelenlos vorgeführt wurden.
Donnerstag 23.05.
großartig +
Eine Gerümpelkammer. In ihr ist zwar alles bis hin zur Neurose aufgeräumt – John Wick kämpft sich diesmal nicht durch die Kunstgeschichte, sondern durch ein anthropologisches Museum –, nur ist darin nichts auf Vollständigkeit oder Abschließendes ausgerichtet. Das was rumsteht, steht halt rum. Der Ninjō-Giri-Konflikt, also der zwischen, grob übersetzt, Mitgefühl und Pflicht, zwischen zwischenmenschlichen Hilfestellungen und Pflichterfüllung zur Auftragskillergilde The High Table, geht nunmehr so weit, dass PARABELLUM auch zur gnostischen Erweckungsgeschichte taugt, wo sich von einer täuschenden Gottheit befreit wird, um die mitfühlende, die wahre zu erkennen. Es gibt russische und arabische Märchen, in der Wüste abgeschottete Herrscher, shakespeare’sche Macht- und Schicksalskämpfe und eben japanische Kämpfer/Köche, die ihren Meister finden wollen. Gekämpft wird in anachronistisch wirkenden Ställen, auf regnerischen Straßen, in arabischen Wüstenforts, in Bibliotheken wie in gläsernen Ausstellungsräumen mit alles entweltlichenden Videoinstallationen … bzw. verschwinden dort Köpfe durch Schusswaffen von ihren Schultern. Das Einzige, was stört, ist Halle Berry, die wie (fast) immer wie Halle Berry wirkt, die zeigen möchte, dass sie ihre Filmrolle sehr ernst nimmt … und die dadurch, in einem Film, der so auf Kante zur Selbstparodie genäht ist – sein immenser Drive, seine Demut, der all den opulenten Wahnsinn nicht zum Selbstzweck verkommen lässt, und seine sagenhafte Schönheit (die Farben!) schützen ihn meist davor –, ist sie das Zünglein an der Waage, dass PARABELLUM zwischenzeitlich – ihre Rolle ist zum Glück klein – doch etwas doof wirkt. Vll. ist das aber auch schon erlösend und Teil der wunderbaren Gerümpeligkeit des Ganzen.
Montag 20.05.
nichtssagend
Tom Hardys Auftritt als Schatten mit leuchtenden Ohren in einem leeren, abgedunkeltem Senat verspricht viel. Seine römisch-intrigante Machtergreifung auf Romulus verpufft aber, weil Übermenschen in STAR TREK nie halten, was sie versprechen, und das uninteressiert umgesetzte Dopplungsmotiv – Hardys Figur ist ein Clon Captain Picards, die Planeten Romulus und Remus zeigen eine Rasse, die sich durch unterschiedliche Voraussetzung zu Unterschiedlichem entwickelten, Data findet ein Vorgängermodel, dass nicht zu seinem Streben nach Menschlichkeit fähig scheint – kommt nicht über das Anflehen der Möglichkeit von Individualismus und Pflichtbewusstsein hinaus.
Sonntag 19.05.
gut +
Die Parallelen zu JOHN WICK sind kaum zu übersehen: Ein Auftragskiller richtet sich gegen seine ihn beheimatende Parallelwelt … bzw. ist es diese, die sich gegen ihn richtet. Der Tod der (Ex-)Lebensgefährtin spielt dabei jeweils eine entscheidende Rolle. Während JOHN WICK aber spätestens mit seinem 2. Kapitel zu einem Universalismus strebt, der sich in abstrakte Gefilde und weg von einer greifbaren Realität bewegt, da passt ACCIDENT MAN in einen Pub. Wicks Continental ist ein internationaler Umschlagplatz für Assassinen, Mike Fallons (Scott Adkins) The Oasis ein Treffpunkt für Kollegen. Im Serienformat übersetzt hätten wir es mit einem um Auftragsmord erweiterten CHEERS zu tun. Sprich: Alles ist zwischenmenschlicher und intimer, weshalb der auf Morde, die wie Unfälle aussehen, spezialisierte Fallon eine ausführliche Backgroundgeschichte erhält, ACCIDENT MAN viel weniger zielstrebig ist und weniger zu großer Philosophie und kategorischen Entscheidungen strebt, als zu naheliegendem Pragmatismus.
Diesem Pragmatismus fällt jedoch etwas sehr Schönes zum Opfer. Denn irgendwann hat sich die Geschichte soweit verdichtet, dass sie nur noch gutgelaunt und impulsiv von Kampf zu Kampf strebt. Die Killer des Pubs, die jeder für sich einen eigenen Stil zugewiesen bekommen haben – uhrwerkartiger Mord, der nur wie amateurhafter Raubmord aussieht, Verbindung jedes Auftrags zu den Taten eines psychopathischen Axtmörders, Giftmord, Tötung der nun schutzlosen, in Bett gelockten Männer oder einfach Trial & Error auf der Suche nach neuen Mordmethoden –, all diese verlieren also im Strom der Kämpfe ihre Identität. Nach einem Mord in Notwehr, der einen völlig zerstörten Raum hinterlässt, überlegt Fallon, wie er das wie einen Unfall aussehen lassen kann, beschränkt sich durch die drängende Zeit aber auf ein simples Ah, fuck it! und lässt alles wie es ist. Es ist der Punkt, ab dem sich auch ACCIDENT MAN diesem Motto verschreibt und selbst den hinterhältigen Giftmischer einfach nur mit einer Spritze vor Fallon hinstellt, damit er seine Tritte und Schläge kassieren kann, statt ihn als hinterhältigen Giftmischer in die Geschichte zu integrieren.
uff
Neben der schrecklich hölzernen Konstruktion des Drehbuchs, den hässlichen Bildern oder der Atmosphäre einer menschelnden Kaffeefahrt stört mich am meisten, dass hier jemand darauf aus war, eine Geschichte von den glorreichen Sieben zu erzählen – die Beteiligten Crewmitglieder, die ein Dorf vor übermächtigen Gangstern beschützen, sind auch noch sieben –, dass aber niemand sonst dies mitbekommen zu haben scheint, weshalb dieser Western so gar nicht wie einer aussehen und wirken möchte.
Sonnabend 18.05.
gut
Von psychopathischen Philosophen, heruntergekommenen, aber doch nicht ganz so leicht verführbaren Leuten und neurotisch wiederholten Schwenks eine Penthausfront entlang.
ok
Der Kampf zwischen kalter Perfektion (die Borg) gegen Menschlichkeit (saufende, Rock hörende Kläglichkeit, in der ein Funken Genie lauert) wird hier fein säuberlich getrennt. Auf der einen Seite ein atmosphärischer Horrorfilm im All und in klaustrophobischen Gängen, auf der anderen das pflichtschuldig mitgeschleppte From-Raggs-to-Riches-Drama ohne Drama und nur mit mildem Witz von Menschen, die unter Verantwortung fast zusammenbrechen, aber doch Glorreiches erreichen.
Freitag 17.05.
ok
Wer im klassischen STAR TREK-Universum ins Kino durfte, hatte schon eine Karriere in Serienform hinter sich – zumindest was die tragenden, positiven Figuren angeht. Im TREFFEN DER GENERATIONEN treffen folglich mit Kirk und Picard zwei Männer im Alter aufeinander, die mit ihrer Vergangenheit und der voranschreitenden Zeit zu kämpfen haben. Was wäre, so fragen sie sich, wenn sie sich für ihr privates Glück entschieden und wenn sie den Frauen nicht die Herzen gebrochen hätten. Verlockend scheinen ihnen nun die Konzepte von Familie und Ruhe. Zwei Kapitäne befinden sich dementsprechend auf der Suche nach der verlorenen Zeit, während ein Android sich an einem Leben mit Emotionen versucht und ein Süchtiger jede Emotion aus sich eliminieren und wieder im Paradies leben möchte, koste es was es wolle.
Von Echos der Vergangenheit werden Picard und Kirk verfolgt und von bzw. mit Echos erzählt GENERATIONS seine Geschichte. Kirk ist das Echo einer anderen Generation. Picards Crew wird im Hollodeck auf einem Schiff im schätzungsweise 18. Jahrhundert, also durch das Echo einer vergangenen Zeit eingeführt. Einzelne Motive kommen innerhalb des Filmes wieder: Der Außerirdische Soran (Malcolm McDowell) wird beispielsweise während Kirks letzter Fahrt auf der Enterprise, wie 80 Jahre später bei einer Expedition der Enterprise unter Picard als Opfer einer Katastrophe geborgen. Er betritt den Film zweimal auf die gleiche Weise, wie Kirk ihn zweimal auf die gleiche Weise verlässt.
Picard träumt von einem Familienleben, wie es sein Bruder hat, Kirk von nicht ausgesprochenen Heiratsanträgen, die sein Leben verändert hätten – so die Hoffnung. Beide werden im Laufe von GENERATIONS in eine traumerfüllende Zone, den Nexus, geschleudert. Hier spielt Zeit keine Rolle und das Leben kann immer wieder neu ausgerichtet werden. Dieser Ort spiegelt den Fluchtpunkt von Datas Versuchen sich per Emotionschip wie ein Mensch zu fühlen und er stellt den Fluchtpunkt allen Handelns von Soran dar, der den Borg bedingten Verlust seiner gesamten Rasse in diesem wattierten Nichts von Geborgenheit verdrängen möchte. Und im Grunde ist es sensationell entrückt, dass gerade die Insistenz des Films, dass es immer nur Vorwärts – mit Pflicht und Heldenmut – gehen kann, dadurch verwirklicht wird, dass die phantastischen Versuche einer konsequenzlosen ständigen Neugestaltung des Lebens dadurch überwunden werden, dass in die Vergangenheit gesprungen wird und das bereits Geschehene neu ausgerichtet.
Den beschworenen Mut eines Lebens mit allen Emotionen bringt GENERATIONENS selbst aber nicht auf. Data, der zwischenzeitlich mit seinen Emotionen bei einer Kampfszene nicht umgehen kann, darf zumindest einmal wie ein Kind wirken, dass in einer traumatisierenden Situation gelandet ist. Ansonsten herrschen aber nur gedämpfte Hinweise von innerem Aufruhr. Beispielsweise wenn Picard nach der Nachricht des Tods seines Neffen in seinem Büro sitzt und den Aufgaben als Kapitän nicht nachgeht. Solche indirekten Marker – keine Bilder werden für sie gesucht – verschwinden aber stets, sobald Diensteifer gefragt ist. Am eklatantesten ist es bei Soran, dessen Schmerz lediglich in einem Nebensatz Erwähnung findet. Seine Taten wirken so wie die eines Psychopathen und nicht wie die eines Opfers, der zum Täter geworden ist. Dass er mit Malcolm McDowell besetzt wurde, verstärkt den Effekt nur.
Am enttäuschendsten aber der Nexus. Mehrmals wird von seiner extrem suchterzeugenden Wirkung gesprochen. Im Film liefert er aber höchstens die Gründe, warum Kirk und Picard nie heimisch geworden sind. Picards Wunschtraum einer Familie steckt in einem so übertrieben verschnörkelten, dickens‘schen Gewand gekleidet, dass er fast wie ein von Tim Burton entworfener Alptraum wirkt. Kirks Wunschtraum hingegen, in dem seine geliebte Frau niemals auch nur als Bild Realität bekommt, sieht aus wie ein Nutellawerbespot. Der Nexus wird als bieder-bürgerliche Hölle bebildert, statt als emotionaler Sumpf, der einen nicht wieder loslässt und bittere menschliche Wahrheiten offenbart.
Sprich: die (emotional) zu nehmende Hürden sind – sobald sie wirklich erreicht sind – nur minimal, was GENERATIONS mit einem fast halbstündigen Actionfinale zurücklässt, in dem schon alles geklärt ist und nur noch die Helden siegen müssen … und wo sich schmerzhaft offenbart, dass die STAR TREK-Filme nie wirklich auf Körper- und Bewegungskino Wert gelegt haben.
Donnerstag 16.05.
gut
Die Komplementärfolge zu CAPRESE IN DER STADT folgt auf dem Fuße. Nicht nur gibt es am Rand eine Figur mit einem italienischen Namen, die sich weder durch einen intensiven Familiensinn, noch durch kriminelle Neigungen auszeichnet – im Grunde zeichnet sie sich durch nichts aus, weil sie eben nicht der Rede wert, also fern der Hysterie ist –, sondern vor allem führt die Belagerung durch Kriminelle – diesmal handelt es sich um Drogenhändler im Bandenkrieg – nicht zu Hysterie. Stattdessen kämpfen alle gemeinsam gegen eine scheinbar ausweglose Situation mit Nervosität, aber mit kühlem Kopf. Auf die Apokalypse folgt also die Hoffnung.
Interessant aber auch, wieviel mehr Polizisten Derrick diesmal für einen Schutzeinsatz zur Verfügung stehen. Captain Subtext sagt, dass die in CAPRESE IN DER STADT vermisste Sicherheit hier durch einen riesigen Polizeieinsatz vermittelt wird und die Abfolge dieser beiden Folgen in letzter Konsequenz nach einem Polizeistaat verlangt, wenn wir nicht wahnsinnig vor Angst werden sollen.
Mittwoch 15.05.
verstrahlt +
So und jetzt bitte, bitte. Bringen sie mich in mein Hotel. Ich hab moralisch gehandelt und warte darauf, dass ich mich wohlfühle. So sagt ein Handlanger eines Mafiabosses, nachdem er Derrick ein paar hilfreiche Informationen gab, in der unglaublichen/unglaublich rassistischen CLOCKWORK DERRICK-Folge CAPRESE IN DER STADT, in der nur noch gefehlt hat, dass Eros Ramazzotti sich selbst als durch Abstammung zum Verbrechen bestimmten Italiener gespielt hätte, der zwischen seinen Auftritten die deutsche Gesellschaft in lähmende Angst versetzt. In einer Folge, die sich fast ausschließlich in einem Zustand von Klaustrophobie und Belagerung befindet, die eine Hysterie durch Verzweiflung und unaufrichtigen Verzweiflung vor der eigenen Hilflosigkeit bedingt, mit der sich gegenseitig vergiftet wird, und in der Derrick zu Beginn in einem Fernsehinterview davon erzählt, dass die absolute Freiheit, welche erreicht wurde, dazu führt, dass die per Natur schwachen und egoistischen Menschen zunehmend kriminell werden und das Verbrechen seine Ächtung verliert, in einer Folge, in denen die Figuren sich folglich wie in einem Schlingensief-Film gerieren und sich von den (senilen) Fehlschlüssen in ihren Köpfen zu einer ätzend passiv-aggressiven Sprache verleitet sehen, befindet sich dieser schönste aller je in DERRICK ausgesprochenen Sätze. Dazwischen: kurze Autoverfolgungsjagden und ein sprachloses Kind, das Drehbuchautor Reinecker schamlos melodramatisch opfert, um seinen Punkt der Verkommenheit dieser modernen Welt* zu untermauern, weil ihm anscheinend diesmal die quasi obligatorische (wie immer sagenhaft gute/verstrahlte) Discoszene nicht reichte. Himmel hilf.
*****
* Wobei diese sich nicht wie postuliert selbst auffrisst, sondern durch vormoderne Machtstrukturen angegriffen wird. Es ist, als ob überall nochmal unterstrichen werden muss, wie wenig Sinn die gefühlten Wahrheiten ergeben.
Dienstag 14.05.
ok
Der Dschungel von Indochina (heißt: irgendwo in Südostasien, wohl Südvietnam) im Jahr 1959 als chaotische Entität, der mit Glücksrittern angefüllt ist, die keinen anderen Platz haben, an den sie zurückkehren können. Ehemalige französische Kolonialherren, Nazis, Warlords und sonstwer saugen das unmittelbar umliegende Land aus. Es ist ein Ort ohne Zukunft, der auf sich zurückgeworfen wirkt. Und in diesem Umfeld erzählt SAVAGE DOG eine Geschichte, die einer Ableitung von RAMBO III gleicht. Hier das Boxen eines Desillusionierten in der tropischen Pampa, dort ein Einmannkrieg mit Waffengewalt. Nur haben sich die Proportionen etwas zu Gunsten des Boxens verschoben … und wenn Martin Tillman (Scott Adkins) seine Natur als Kampfmaschine umarmt, folgt hier keine Buddykomödie im Kugelhagel, sondern das Ausagieren eines savage dogs. Mehrfach schafft SAVAGE DOG dabei ätzende Bilder von Kolonialismus. Und der Film ist ebenso pragmatisch, wie der letztens bei THE DEBT COLLECTOR verlinkte Text nahelegt. Es ist dabei einerseits erfrischend den Helden Mano-a-Mano unterliegen zu sehen und wie er sich wie selbstverständlich per Maschinenpistole rettet. Andererseits wirkt SAVAGE DOG unausgegoren, weil er recht pragmatisch seinen Fährten folgt und sich motivisch auf andere Filme als Krücke stützt. Heißt: Die Geschichte ist so willkürlich, wie es die Wahl ist, die Kämpfe über eine schnelle Schnittrate dynamisieren zu wollen. Heißt wiederum: SAVAGE DOG gleicht dem Sumpf, zu dem es Indochina erklärt.
Sonntag 12.05.
nichtssagend
Bei critic.de gibt es etwas Ausführlicheres von mir hierzu. Nur so viel: Ein Amokläufer findet seine anvisierten Opfer schon tot vor und zieht danach ohne sein Ventil ablassen gekonnt zu haben durch die Nacht. Wenn der Film doch nur so absurd wäre, wie sich das anhört.
großartig –
Sicherlich das singuläre Highlight der STAR TREK-Filme. Eine Allegorie über das Ende des Kalten Krieges, bei der Kirk erkennen muss, das seine Seite nicht besser als die ist, gegen die er sein ganzes Leben kämpfte. Statt absonderlicher bis schangeliger kreativer Entscheidungen – mal abgesehen von der wunderbaren Note, dass ein klingonischer General in einer Schlacht ein Best-of von Shakespeare-Zitaten der ihm ausgelieferten Enterprise und der von ihr symbolisch ausgehenden humanzentrischen Weltsicht entgegenkeift – ein straffer Genrefilm, der komplexe Dinge vereinfacht absorbiert und der zwischen Krimi, Gefängnisfilm, Drama und sexuellem Innuendo bzw. anderem infantilen Spaß fast mühelos hin und her wechselt. Stellvertretend dafür dieses falsch zugeschriebene Zitat als Zitat aus dem Film: There is an old Vulcan proverb: only Nixon could go to China.
Sonnabend 11.05.
gut
Brynych kämpft mit vielen der ihn ausmachenden Stilmittel gegen ein orientierungsloses, ereignisarmes Drehbuch an. Das Ergebnis ist, dass die Figuren wie aus einem überdrehten Melodrama wirken, aber in erstickender Tristesse gefangen sind.
ok
Die Gruppe Rentner, die durch die Trostlosigkeit ihres Lebens im Altenheim auf die schiefe Bahn gerät, erinnert an OFFENE RECHNUNG. Diesmal wird das Plädoyer für würdige Zustände im Alter aber durch die mitlaufende Anklage besagter Rentner verwässert, die alle nichts für ihre Altersvorsorge getan und teilweise ihre Vermögen durchgebracht haben. Ein Running Gag im Stripclub kann dabei das im Vergleich abfallende Charisma von Situation und Darsteller nicht ersetzen. Am Schluss steht eine Actionsequenz mit Schießerei und Autokarambolage mit dem Schwung aus einem Altenheim.
gut –
MAD MAX-Anleihen als symbolischer Hintergrund zwischennationaler Einigkeitsbestrebungen, superpsychoanalystisch begabte Erlöser, schanglige Begegnungen mit Gott, der per Taschenspielertrick (Wieso braucht Gott ein Raumschiff?) überführt wird, die Verherrlichung des Sitzens um ein Lagerfeuer mit Freunden im Wald als die ultimative Lebenserfahrung, ein jugendlicher Hair-Metal-Klingonengegenspieler, der von einem Erziehungsberechtigten (einem klingonischen Botschafter) zur Räson gebracht wird, oder kurzzeitige omnipräsente Slapstickalbernheiten: Es hätte so schön sein können. Das filmische Äquivalent zu Shatners Meisterwerk THE TRANSFORMED MAN* quasi. Doch in der Mitte klafft ein monumentales Loch, über das einfach hinweggesprungen wird. Nach der weitläufig ausgearbeiteten Entführung der Enterprise durch Sybok (Laurence Luckinbill) – besagter Überpsychoanalytiker – fliegt dieser mit ihr und ihrer Crew einfach zu Gott. Der Rand des Universums scheint um die Ecke zu liegen und Gott sich hinter einer etwas psychedelisch aussehenden Wolke zu befinden, die zwar gefährlich aussieht, aber schon von den Messinstrumenten nicht als gefährlich ausgemacht werden kann. Der Weg zum größten Mysterium des Universums als kurzer Ausflug am Nachmittag. THE FINAL FRONTIER bekommt dadurch ein Ungleichgewicht, da die Exposition überproportional viel Platz erhält und das eigentlich Abenteuer, den großen Moment ohne Hürde vorbeifliegt. Die behauptete Epik wird so wie aus einem Ballon abgelassen. Zurück bleiben ganz schöne Einzelteile.
*****
* Im Link befindet sich nur das Titellied, aber das gesamte Album ist ein Geniestreich sondergleichen.
Freitag 10.05.
verstrahlt
Zu einer Sexszene spielt eine Art Dubvariation von HOUSE OF THE RISING SUN, welche die Melodie leicht, dem Genre anpassend abwandelt. Ähnlich verhält sich SCHAMLOS INTIM zu JOHN WICK 2. Da wo sich John Wick aber sehr konzentriert und chronologisch durch die Kunstgeschichte schießt, da ist das Konzept, hier vom Sex fortlaufend zu Gemälden, Mosaiken, Kunstgegenständen, dem Abfahren von Buch- und Videoregalen, rauen, fast ins Abstrakte reichende Videoinstallationen von behaupteten Barbra Streisand-Hardcorepornos oder einfach (immer wieder) zu Pferden zu schneiden, weniger kompakt. Es ist eine impressionistische Note, die sich zwangsläufig über den Sex legen muss. Sex, der von den Darstellern (u.a. der junge Rocco Siffredi) eher akzeptiert scheint, als lustvoll gesucht oder genossen. Die Synchronisation möchte zwar durch expressive Ausrufe die angenommene Ekstase untermauern, doch SCHAMLOS INTIM nimmt einfach nur hin, den Sex, die Prämisse (puristische Autorin wird ohne große Anstrengung zur Wollust bekehrt), das eigenwillig Schöne und unbekümmert Unschöne. Die ins Bild drängenden Kunstwerke, -verständnisse und zoologische Symbole bereichern diese Passivität aber und künden von der Ausgefallenheit des hier demonstrierten introspektiven Genusses.
Donnerstag 09.05.
großartig
Kurz bevor der verschuldete French (Scott Adkins) Schuldeneintreiber wird, um sein Dojo finanziell zu retten, gerät er mit Schergen aneinander, die ihm seinen Besitz zu einem Spottpreis abkaufen wollen. Ob er es wie in einem Kung-Fu-Film regeln wolle, fragen sie ihn. Was er bejaht. Wenn er dann mit Sue (Louis Mandylor) loszieht, Schulden eintreibt und mit jeder Konsultation ramponierter aussieht, weil die Gegenwehr exponentiell ansteigt, dann ist THE DEBT COLLECTOR eine Buddy-Komödie über zwei vom Leben Genervte, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen. Wir begleiten sie aber ein Wochenende und irgendwann kommt es selbstredend zu dem erwartbaren moralischen Konflikt, wenn die Verfolgten arme Schlucker sind, die sich nicht wehren können, die einem nicht das Fleisch blau und blutig schlagen. Aber zum Glück gibt THE DEBT COLLECTOR seinen beständig maulenden Sympathen die Möglichkeit auch dies auf die Art eines Kung-Fu-Films zu regeln – einen, der übrigens wunderschön inszeniert ist. Denn ansonsten wäre ihr/das Leben ja nur eine Ansammlung von seelischen Wunden.
Mittwoch 08.05.
ok
Eine Stunde wird sich auf genau einen Moment – den Augenblick der Wahrheit – zubewegt. Interessant ist daran in größerem Maße lediglich die Figur des ewig überdrüssigen Menschen (Jochen Horst) – hier ausnahmsweise kein (Philosophie-)Student –, der ins Leere blickend redet, philosophiert und manipuliert.
Dienstag 07.05.
nichtssagend
Zu Beginn sehen wir einen Mann, der des nachts verfolgt wird. Er hört Schritte und dreht sich wiederholt um. ABGRUND DER GEFÜHLE schneidet dann jeweils zu einer durchaus bedrückenden Aufnahme einer leeren Münchener Straße. Nur eines transportiert dies nicht, den leeren Fußweg hinter unserem Protagonisten. Erst nach viel zu lang andauernder Irritation verstand ich, dass dies kein Surrealismus war, sondern einfach eine unglückliche Aufarbeitung dessen, was erzählt werden soll. Es war symptomatisch für diese blutleere Folge, die die inzwischen unverkennbare Tendenz zu scheußlicher Keyboardmusik noch untermauerte.
Montag 06.05.
großartig –
DERRICK steckt gerade in einer Remix-Phase. Immer wieder werden Motive alter Folgen wiederaufgenommen, in andere Richtungen getrieben und/oder mit anderen solcher Motive zusammengesetzt. TOD IM WALDRAND hat den Vater (Traugott Buhre), der seinen Sohn vor seiner Strafe beschützen möchte, einen Sonderling (Rufus Beck), dem der Mord angehängt werden soll, Männer, die nichts Böses wollen, aber ihre Gefühle ab einem bestimmten Punkt nur mehr übergriffig ausdrücken können, und sexuelle Gewalt, die in Mord endet. Alles nicht neu und die Vorgängerfolgen können per Namen benannt werden (TOTE IM WALD / ANSCHLAG AUF BRUNO / …). Wenn Wolfgang Becker aber Insekten in Großaufnahme zeigt oder auch sonst die Atmosphäre von Verlorenheit und großkotzig von sich geschobener Schuld mit Hang zum Verträumten und Ätzendem setzt, dann kann dieses nur begrüßt werden.
Sonntag 05.05.
großartig –
Der teuflische Geschäftsmann Dirk Galuba, der Gummibärchen essende Lackaffe und Dämon, sein Handlanger, Claude-Oliver Rudolph und die Schweißflecke in den Achseln des verdeckten Ermittlers Heiner Lauterbach geben der schäbigen Welt des Verbrechens einen edlen, sehenswerten Anstrich. Die dazugehörige Geschichte ist aber weniger von Belang, als eine Liebesgeschichte zwischen einer labilen, vom Leben gezeichneten Bardame (Ute Willing) und Lauterbachs Ermittler, der ihre entstehenden Gefühle rücksichtslos ausnutzt. Ein Melodrama aus Verblendung und Hoffnung, in einer sich duplizierenden Welt.
großartig –
Neben dem Plot, in dem eine reiche und berühmte Schauspielerin (Ruth-Maria Kubitschek) ein Schicksal durch einen ersten Schicksalsschlag im Leben bekommt, als sie auf ihr Gegenteil, eine als Obdachlose geendete Chemikerin (Cornelia Froboess), trifft, lebt DES MENSCHEN FEIND vor allem von der Menschenverachtung Reineckers, die in einer Szene gipfelt, als ein selbstverliebter Regisseur (Peter Sattmann) vor einem Berg an aufgehäuften Schaufensterpuppen seine Geringschätzung der Leute um sich in affektierte Anklagen großkotzig zum Ausdruck bringt.
nichtssagend –
Der Film fängt mit einer herzbrechenden Szene an, in der sich Clint Barton/Hawkeye (Jeremy Renner) – nichts von Thanos wissend – umdreht und seine Familie ist verschwunden. Da wo Wärme war, ist mit einem Mal nur noch Nichts. Für 5 Minuten hatte mich AVENGERS: ENDGAME, dann folgte mitten in diese Leere, in diese Verzweiflung und Trauer ein süßlich melancholisches Lied und der Marvel-Einspieler. Bestialisch wurde die Stimmung gebrochen, weil in diesem Film, der von Verlust und Depression handeln möchte, nichts zu schwer werden darf.
gut
Eigentlich ist es unfassbar, dass nach dem brutalen Ergebnis von STAR TREK III Harve Bennett und Leonard Nimoy nicht die Hoheit über das nächste Projekt weggenommen wurde. Ein neuer Komponist, ein neuer Kameramann uswusf sind aber nichts gegen die Drehbuchautoren, die zusätzlich installiert wurden. Sie scheinen eine vorzügliche Idee gewesen zu sein. Denn tatsächlich wird eine Geschichte erzählt. Eine ökologische Warngeschichte darüber, dass die Wale aus dem Weltraum sich für die Ausrottung ihrer Genossen von der Erde wie ein Elefant im Porzellanladen rächen werden. Eine Geschichte, die völlig in ihrer Naivität aufgeht. Die Naivität der Botschaft, die an kein Augenzwinkern verraten wird und trotzdem in einem vor allem witzigen Film untergebracht wird, sowie die Naivität ideeller Menschen, die im Mittelalter der 80er Jahre lernen müssen, wie geflucht wird, dass Russen im Kalten Krieg nicht einfach in San Francisco nach Atom-U-Booten fragen dürfen uswusf. Dazu noch psychedelische Zeitreisen und fertig ist ein Meisterwerk des Naivismus.
Sonnabend 04.05.
nichtssagend
Gleich zu Beginn eine Kampfszene, die wirklich lieblos am Computer zu einer Plansequenz zusammengesetzt wurde: der ästhetische Offenbarungseid. Eine Geschichte voller spannender Potentiale wird zum shakespeareschen Königsdrama gemacht, egal wie unpassend dies ist, da alle besagten Potentiale über den Umgang mit Jahrhunderten von Rassismus und Ausbeutung, über das Leben in diesem, über all die Komplexe um die Möglichkeit einer erfolgreichen Rebellion, über all die bourdieuischen Probleme der hegemonialen Macht über die Identitäten der Unterdrückten, die ihnen ein positives Selbstbild verwehrt, da alles links liegen gelassen wird: der erzählerische Offenbarungseid. Werfen mit Motiven auf eine Leinwand und hoffen, dass etwas hängen bleibt.
Freitag 03.05.
uff
Ohne Drehbuch, Vision, Witz, Musikalität oder irgendwas wird sich zur Wiederbelebung Spocks bewegt. Das Ziel scheint das einzige (selbstbesoffene) Ziel zu sein, der Weg dahin graues Niemandsland, für das sich niemand zu interessieren scheint. Ich wollte kuscheln und bekam einen Balken Stahl.
Donnerstag 02.05.
gut –
Die Larry Storch Schauspielschule präsentiert drei ihrer größten Talente: William Shatner, Ricardo Montalbán und nicht zuletzt Leonard Nimoy laden zum endgültigen Spektakel, wo jeder Satz wie ein alles Überschattendes im Werk William Shakespeares behandelt wird. Alles ist die große Emotion, weshalb die Beteiligten auch beständig über ihre Gefühle reden. Schade ist deshalb, dass das Auftauchen eines Sohns von Kirk nie als Teil eines Melodramas in Betracht gezogen wird und seltsam unbeteiligt mitläuft, dass Khan so auf seine Rache fixiert ist, dass er die ewigen Zuschreibungen an seine Übermenschlichkeit zur Farce werden lässt, dass eben die Soup Opera sehr klein geschrieben wird. Dafür gibt es aber eben Schauspieler, die ein emotionales Nichts zu großem Kino aufblasen wollen. Auch sehr schön.
Mittwoch 01.05.
großartig +
Ein meist pragmatischer Film, voller Ellipsen und mit kleinen surrealen Sprenklern, über Drogenhandel, wo Wüste und Regenwald, Moderne und Tradition, Familie und Geschäft, Rationalität und Okkultismus zusammenfallen und ein polymorphes Netz von Werten ergeben, in dem die Einzelteile sich so gegenseitig verstärken, dass nur ihre inhumane Perversität übrigbleibt … und eine Welt, in der alle Wegweiser zerstört zu sein scheinen.
April
Montag 29.04.
ok
Ein wenig gleicht THIS ISLAND EARTH dem tollen Roman DER GALAKTISCHE TOPFHEILER von Philip K. Dick. Hier wird aber nicht vom Kampf zweier übernatürlicher Entitäten erzählt, die sich selbst zu Gott und ihr Gegenüber zum Teufel erklären, einem Kampf, der die Menschen ratlos über die Richtigkeit der Behauptungen der beiden Seiten zurücklässt, sondern von Außerirdischen, die Forscher von der Erde einspannen, um den Krieg gegen einen anderen Planeten zu gewinnen. Diese erzählen, dass sie die Verteidiger des Friedens sind und die anderen die Aggressoren, selbst verhalten sie sich aber überaus faschistisch. Die menschlichen Hauptdarsteller reden auch nur flüsternd von ihnen, solche Angst haben sie vor ihnen, ihren Laserstrahlen und ihrer Gehirnwäsche. Wahrscheinlich ist, dass THIS ISLAND EARTH irgendwann seinen Beitrag im Kampf gegen den die USA unterwandernden Kommunismus leisten sollte. In seiner vagen Anklage der Außerirdischen liefert sie aber – zwischen überaus sehenswerten Spezialeffekten und knalligen Farben – aber ein Bild des Kalten Krieges: Mächtige, die sich einer Kontrolle auf mehreren Ebenen entziehen, erzählen, dass die anderen die Bösen sind und ihnen doch zu glauben sei, egal welche Mittel sie sonst verwenden. Schade ist nur, dass die letzte Halbestunde das Geschichtenerzählen sein lässt und eine viel zu lange, gleichzeitig aber viel zu überhastete Version von DIE REISE ZUM MOND bietet – einmal hin zu einem fremden Planeten und gleich wieder zurück.
Sonntag 28.04.
ok +
Das Schönste an diesem Kammerspiel, dass als Allegorie über die Rettung Brasiliens durch Jair Bolsonaro gelesen kann, wo aus Pochen auf dem eigenen Recht erst Selbstjustiz und dann das rücksichtslose Aufräumen mit allem sexuell, sozial wie kulturell Unpassendem wird, dargestellt durch einen Restaurantbesitzer, der erst Diebe festhält und dann die letzten Gäste des Tages wie das Küchenpersonal zu seinen Geiseln macht, ist, dass eben dieser Restaurantbesitzer wie der streitbare Schinkengott Glenn Danzig höchstpersönlich aussieht.
großartig +
In den ersten Minuten wird ohne großes Vorspiel aufgedröselt, aus welchen Komponenten sich die so auch ankündigende Hexenjagd zusammensetzt. Geile Bilder von nackten und halbnackten, vor allem aber makellosen Frauenkörpern – gerne auch in einem feuchten Umfeld – werden mit Bildern eines Mönchs – faulige Zähne, in schäbiger Kutte – alterniert. Über allem liegt das Rezitieren des Mönchs aus dem – wahrscheinlich – HEXENHAMMER. Die aus den phantastischen Bildern strömende Lust wird abgewehrt, indem sie selbst und ihre Verursacher zu etwas Teuflischem erklärt werden. Die Realität der Lust wird mit der Imagination eines Verderbers belegt. Auf dies folgt ein Gottesdienst, in dem die Bürger des Handlungsortes in Mähren schaulaufen. In hellen, edlen Bildern bewegen sich edle Kleider durch eine edle Kirche. Symbolisch stelle so alle die Reinheit ihrer Oberfläche aus.
Es ist dieses System von drei Schritten, in dem sich KLADIVO NA ČARODĚJNICE hin und her bewegt. Eine ungewollte Tatsache wird umgedeutet und sich von dieser in einem dritten Schritt distanziert. Gier und Gewalt, Liebe und Sex, Neid und Niedertracht, alles wird in andere Gewänder gesteckt und in ein zunehmendes Umfeld von aus mancher Sicht panischer, aus anderer berechnender Reinheit. Auch in den Bilder- und Tonfolgen finden sich drei Stufen immer wieder, wenn etwa von der Folter, mit der ein Geständnis erpresst werden soll, zu Raben geschnitten wird und die Schreie des Schmerzes durch einen himmlisch anmutenden Choral ersetzt werden.
KLADIVO NA ČARODĚJNICE bietet das Protokoll einer Hexenverfolgung. Ein kleiner Funke von Fanatismus und Beweissucht der eigenen Unbeflecktheit reicht, um das sachlich verfolgte und in trockenen Pointen kommentierte Verglimmen weiter Teile der Gesellschaft auszulösen. Eine Frau schluckt aus Aberglaube eine Hostie nicht, wird der Hexerei angeklagt und der härteste Inquisitor muss kommen. Wenig später ist nur noch sicher, wer durch seinen Adel nicht greifbar… oder bei dem nichts zu holen ist.
Immer wieder wird dabei zu Schmier und Schmutz zurückgekommen, den Grund all des irrational scheinenden Treibens kenntlich machend, der durch eine puritanische Ideologie verdeckt wird und von der niemand seine reinen Kleider beschmutzt sehen möchte. Inquisitoren lassen Hexen sich ausziehen, um an ihren Körper das Mal des Teufels zu suchen bzw. um sie gierig zu betatschen. Inquisitoren schlemmen und saufen, bereichern sich und haben auch sonst eine schöne Zeit auf dem Rücken derer, die keinen Zugriff auf die gebotene Trias haben.
Da wo andere Filme über Hexenjagden aber oft einen verblendeten Inquisitor/Hexenjäger präsentieren, der an all das glaubt, was er erzählt, da treffen wir hier auf ein Schwein. Jemanden, der nie fromm oder gar christlich wirkt, der sich ganz offen bereichert und nur durch die Ignoranz der Mächtigen und Verängstigten unangreifbar bleibt. Das ist in zweierlei Hinsicht spannend. Einmal weil den Beteiligten keine Entschuldigung geboten wird, nicht zu erkennen, mit was für einer niederträchtigen Figur sie es zu tun haben – tatsächlich ist diese Person von der ersten Minute im Film als rechtschaffene Figur unhaltbar –, andererseits zeigt er, was es braucht, um unbehelligt zu sein: etwas geschickt eingesetztes Doppeldenk und möglichst viel Distanz zu Frauen.
Das alles kann natürlich als Allegorie über Zeitgeschehen in der Tschechoslowakei oder andere Säuberungen in kommunistischen Staaten gelesen werden. Die Zeit der Entstehung lädt förmlich dazu ein. Am treffendsten ist KLADIVO NA ČARODĚJNICE aber in seinem intendierten Sujet. Aber wie war es noch gleich in diktatorischen Staaten: schreibt jemand Reiseberichte in einem solchen, unterminiert er die Moral vor Ort durch unlautere Vergleiche, schreibt jemand (halbwegs realistisch) über aktuelle Dinge, so tut er es durch Kritik an dem Bestehenden.
Bei seinem Zusammenspiel zwischen drei Ebenen ist KLADIVO NA ČARODĚJNICE aber ziemlich zweischneidig und wenig puritanisch. Der sachliche Fluss der Aufarbeitung wird immer wieder hysterische, groteske und sexploitative Inseln aufweisen. Einerseits aus analytischen Gründen, aber auch um die Seh- und Fühllust des Publikums Rechnung zu tragen. Kino für nicht ganz so eindimensionale, auf Reinlichkeit bedachte Leute eben.
Donnerstag 25.04.
großartig –
Bei critic.de gibt es dazu einen Text von mir. Lest also dort mal nach, wenn es euch interessiert. Oder schaut ihn euch mit euren Liebsten an und genießt dieses Wohlfühlkino, wo Splatter und Improvisation zur Liebe erklärt wird.
Mittwoch 24.04.
gut –
Durch dies und dies hatte ich ziemlich viel Lust auf BORDER. Und gerade den Aspekt bei critic.de, wonach BORDER sein Fremdes nicht wie THE SHAPE OF WATER vereinnahmt und normalisiert, ist durchaus korrekt – vor allem die Szenen von Annäherung und Sex sind voller Gefühl und doch irritierend. Aber am Ende verliert er sich, fällt überstürzt auseinander und kann die emotionale Fallhöhe, die der Kinderpornoring hineinbringt in keiner Form nutzen. Das sich Finden ist hier erst Erlösungsgeschichte, die die Erde des Waldes atmet. Sobald diese Erlösung aber in Horror umschlägt, in die Erkenntnis, dass es keinen heilen Platz im Leben gibt, da ist BORDER vor allem beliebig.
Dienstag 23.04.
großartig –
Der erscheint bald bei Forgotten Film Entertainment auf einem Silberling. Wenn es nicht ganz sinnbefreit war, was an diesem Abend eingesprochen wurde, dann sogar mit Audiokommentar von David L. und mir.
Montag 22.04.
verstrahlt
Es gibt eine Folge von THAT ’70S SHOW, wo erst Eric Foreman und seine Freunde, dann dessen Eltern sich den neu erschienenen STAR WARS im Kino ansehen. Die Erklärung für das hier beginnende Phänomen könnte in der Folge kaum einfacher sein. Sowohl die Jugendlichen, wie ihre Altvorderen werden von farbigen Blitzen von der Leinwand in ihre Sessel gedrückt und auf diese Weise beeindruckt. STAR TREK wurde nach dem Erfolg von STAR WARS auch in die Kinos geholt. Die Form, die der Film dabei bekommen hat, legt nahe, dass jemand das in THAT ’70S SHOW portraitierte Verständnis des Sternenkriegs hatte. STAR TREK: THE MOTION PICTURE, so sehr es sich optisch an 2001 anlehnt, sieht aus wie eine Lavalampe. Sprich: Leuchtendgrelle Farben dominieren das Gesamtbild.
Nur im Erzähltempo wird ganz anders als bei STAR WARS vorgegangen, denn auch etwas anderes als die Farben teilt sich STAR TREK mit einer Lavalampe, nämlich die Agilität. Das Licht wird nicht so zimperlich per Blitz gereicht. Die erste Stunde widmet sich ausgiebig dem Staunen: Die Enterprise wird immer wieder ehrfurchtsvoll abgefahren, von ansonsten wie tot im All schwebenden Mechanikern bei ihrer Jungfernfahrt bejubelt, und ihr Kapitän darf sie erst nach einer halbe Stunde verzückt betreten, um dann eine halbe Stunde Muffensausen vor der neuen Aufgabe und der neuen, besseren, weiteren Version seines Raumschiffs zu bekommen. Der erste Teil ist offensichtlich eine Art Metafilm über das Vorhaben einen STAR TREK-Film in die Kinos zu bringen.
Dann kommt aber Spock an Bord und der eigentliche Film beginnt, der tatsächlich eine Handlung hat und eine Allegorie über die (etwas mehr) Menschwerdung einer Maschine bietet, die ihren Gott sucht und nur die Menschen findet … womit sich die (etwas mehr) Menschwerdung der fast seine Gefühle besiegt habenden Vulkaniers Spock verbindet. Aber auch hier obsiegt die Gemächlichkeit.
Das ist alles mal mehr, mal weniger triste bis trunstvolle Space Soup Opera, die aber einen wunderbaren subversiven Moment hat: Die Kommandanten eines riesigen fliegenden Penis hat als erste und einzige Antwort auf das Auftauchen einer riesigen Energiewolke, deren Penetration und das Eintauchen in diese. Nach, wie könnte es anders sein, ein paar Farben, verharrt eben dieser Phallus dann minutenlang vor einem riesigen Schließmuskel, bis dieser sich öffnet und ihn hineinlässt. Neben der eigenen Naivität ist es dieser Aspekt, der STAR TREK: THE MOTION PICTURE nicht in eine Liga mit STAR WARS kommen lässt, sondern zum mehr als würdigen Companion von STAR CRASH macht.
Sonntag 21.04.
radioaktiv
Am schönsten ist dieser Film meiner Meinung nach, wenn er so geschaut wird, wie ich es hier tat: Wenn jemand neben einem sitzt, der an all diesem Wahn- und Blödsinn lautstark und von Schmerzen gezeichnet verzweifelt. Danke Sabrina Z.
Sonnabend 20.04.
gut +
Der Teufel (Wolf Roth als Gentlemanverbrecher Arnold Kiesing) und Gott (Derrick) schließen eine Wette ab: Wird der naive Arzthelfer Faus… äh, ich meine: Benno (Philipp Moog) unter dem Einfluss von Macht, Geld und Ekstase – Letzteres durch wunderbare Lambadatänze in Einstellungen eingefangen, welche die jugendlich vulgäre Lust hinter dem Rücken eines angeödeten Kiesing verorten, der sich seine Zeit mit einem Trink vertreibt – seinen rechten Lebensweg verlässt und seinem Verführer in den Sumpf des Verbrechens folgt. Wobei Sumpf hier das falsche Wort ist. HÖLLENSTURZ ist am besten, wenn Derrick mit Feingeistigkeit, Kultur und Schwärmerei konfrontiert wird, wenn Kiesing ihn in Kunsthallen holt und ihm große Vorträge vor monumentalen Gemälden von Hölle und Himmel hält und Derrick alldem mit kargem, langweiligem Pragmatismus ins Wort fällt, wenn HÖLLENSTURZ seinen Diskurs um Gut und Böse gewitzt und vieldeutig ins Bild setzt. Irgendwann zieht das Drehbuch das alles aber schmerzhaft ungelenk an die Oberfläche, mit fürchterlichen Dialogen, die fürchterlich – manche würden wohl garstig sagen – bebildert sind. Eine wirklich schöne Folge über das öde Gute und das sinnliche Böse wird hier gemein vor die Wand gefahren.
verstrahlt
Am Anfang steht eine traumatische Tat: Eltern wurden von einem ihrer Kinder getötet. Es ist ein Ort hoher Stilisierung, wo scheinende, mit Blut verschmierte Messer in Zeitlupe fallen, wo aber auch eine entscheidende, unaussprechliche Lücke klafft. Narushima Ryo (Yue Shawn) muss daraufhin in einen Knast, wo ihm alle – Insassen, Wärter und der Direktor – den Tod wünschen. Auf das Trauma folgt also das nächste. Von Kurokawa Kenji (Francis Ng) bekommt Ryo aber Karate beigebracht und wird (mehr oder weniger) unter seiner Anleitung zu einem beachtlichen Kämpfer. All das ist die Ausgangslage für eine Mangaverfilmung, wo Japaner zumeist von Chinesen gespielt werden, aber vor allem von einer, wo eine klassische Martials Arts-Aufstiegsgeschichte erzählt wird, nur, dass die Vorzeichen irgendwie nie hinhauen. Ryo ist – unter den traumatischen Voraussetzungen kaum verwunderlich – ein selbstzerstörerisches Arschloch (geworden), das alles und jeden um sich mit in die Destruktion zieht. Der Aufstieg, dem wir beiwohnen, ist bestenfalls ambivalent, wenn nicht gar eine ätzende, nihilistische Dekonstruktion von Macht in der Hand von verblendeten Leuten … mit einer unangenehmen Vermeidung einer jeden Haltung zu der reißerischen, suggestiven Aufarbeitung des Lebens eines schrecklichen Kämpfers. Kurz: SHAMO ist der Gegenentwurf zu Johnnie Tos wunderbar in sich ruhendem THROW DOWN.
Freitag 19.04.
gut
Über eine halbe Stunde braucht es, bis Derrick und Harry das erste Mal in dieser Folge auftauchen. In der Regel ist solch ein langes Ausbleiben der Chefermittler ein Anzeichen für viel Melodrama und eben wenig Verhöre, Ermittlungen und Gedankengänge nachzeichnen sollende Dialoge. TOSSNERS ENDE liefert gleich zu Beginn ordentlich: Ein Schüler begeht Selbstmord, als seine Familie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wird – einen Vorgang, den seine Mutter im höchsten Masse hysterisch begeht –, und sein Lehrer (Walter Plathe) hängt sich ein Selbstbildnis des Kindes an seine Pinnwand, um den Hass auf Immobilienhai Tossner (Gräwert) nicht abklingen zu lassen. Je mehr sich die Folge aber von dem im Zerfließen befindlichen Lehrer fortbewegt, der Nacht für Nacht das Tor von Tossners Villa aufsucht, um ihm den Tod zu wünschen, umso mehr wird TOSSNERS ENDE zu einem netten Noir-Krimi über Sex und Ambitionen.
Donnerstag 18.04.
fantastisch +
Adam Goldberg spielt mit. Ich hatte es ganz verdrängt. Und er spielt eine genuin nervende Figur, wie so oft. Dem Wunder DEJA VU tut es aber keinen Abbruch.
fantastisch
Möglicherweise der neurotische Endpunkt des klassischen Hollywood, bevor New Hollywood eher psychotische Weltsichten bevorzugte – TAXI DRIVER hat sich zwar die Figur des vor seinem Spiegelbild Rollen Übenden von hier ausgeliehen – Are you talking to me? –, beide Filme portraitieren aber unterschiedliche Männer: Travis Bickle stählt sich gegen die Außenwelt, während Major Weldon Penderton (Marlon Brando) sich gegen sein Innenleben stählt; Travis Bickle tötet, um die Welt zu säubern, während Major Penderton im Affekt tötet, weil seine Welt zwischen seinen Händen zerfließt. REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE zeigt eine Welt, wo ein Pferd (nicht) reiten zu können, stets mehr ist als dieses simple Können, wo ein Mann mit einem Gewehr immer mehr ist, als ein Mann mit einem Gewehr, wo die eigenen Begierden nachts die Schatten verlassen und in unser Haus einbrechen, wo es für manche das Einfachste ist, mit den Regeln der Gesellschaft zu spielen und Teile ihres Ichs in den Büschen zu verstecken, während andere von ihrer unterdrückten (Homo-)Sexualität, die in fast jeder Einstellung gegen ihr brutal normalisiertes Ich brandet, erodiert werden. Er muss deshalb in der golden eingefärbten Version gesehen werden, weil ein naturalistisches Aussehen diese verzerrte, übersexualisierte, beinahe surreale Welt blöde und grotesk aussehen lassen würde.
Mittwoch 17.04.
fantastisch +
Die beiden Unendlichkeiten eines Zahlenstrahls, wovon die eine an dessen Ende zu finden ist, dass nicht kommt, während sich die andere zwischen jeder beliebigen Zahl befindet ist, weil der Mikrokosmos darin unerschöpflich ist und eben unendlich viele Engel auf einer Nadelspitze sitzen können, sie finden sich als epochale Marker der Geworfenheit des Menschen in HERZ AUS GLAS im Außen und im Innen, wobei die eine in den fahlen, verwitterten Bildern der Natur steckt, während die andere in den dunklen, kunstvollen Bildern der Innenräume von sich kündet, Gott hier, das System da, eine gewaltige, schroffe Leere hier, eine von Gesellschaft und sozialem Geist ins unzählige gefaltete Leere dort, und der Mensch ist darin ein Hans Wurst, der sich, bar jeder Vorstellung von Maß, durch Götzen, Idole und Rituale, in denen er die Unendlichkeiten zu fangen und unterwerfen glaubt, ihnen ebenbürtig fühlt und wie in HERZ AUS GLAS ein tragisch-komisches Ende finden muss, wenn sich seine Machtlosigkeit offenbart. Ein sensationeller Gaudi.
*****
Ich hatte durch Urlaub für mich und Kindergarten mit Osterfest für meine Tochter zwei Tage etwas mehr Zeit für mich. Ich nutzte sie, um gesehene Filme nochmal zu sehen. Besonders um Filme ein weiteres Mal zu sehen, die mir beim ertsen Mal sehr gefallen hatten. Das Ergebnis waren zwei Tage mit viel zu viel Qualität für eine Kuhhaut, weil keiner sich als Fehleinschätzung offenbaren wollte.
fantastisch
Dies habe ich vor allem abermals sehen wollen, weil ich nach den Zweitsichtungen von DEJA VU und MAN ON FIRE nicht mehr so sicher war – gerade auch nachdem das vielerorts gelobte Original sich als etwas Hüftsteif erwies –, ob mein erster Eindruck, dass dies ein Meisterwerk sei, standhalten würden. Er taten es.
fantastisch
Bei der wiederholten Sichtung fiel mir auf, wie wenig PICNIC AT HANGING ROCK bei (einem von mir imaginierten) sich blieb. Stattdessen verschiebt sich der Fokus nach geraumer Zeit wieder, wodurch sich das archaische Sehnen dieses Films – das Sehnen nach kaum artikulierbaren Dingen, die mit Namen wie Freiheit, Heilung, Sex und Tod schon zu eng definiert sind – immer wieder neue Gefäße findet, die ihm immer neue Ausprägungen geben.
großartig
Das, was nebenher geschieht, scheint die Hauptsache zu sein. Eine Liebesgeschichte wird an drei entscheidenden Momenten erzählt, die Jahre trennen. 2001 sind Qiao (Zhao Tao) und Bin (Liao Fan) ein Paar. 2006 endet für Qiao ein 5-jähriger Gefängnisaufenthalt, den sie für Bin auf sich nahm. Er verleugnet sie bei ihrer Rückkehr. 2017 sucht er – inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen – bei ihr Unterschlupf. Hinter diesem Vordergrund steht aber ein augenfälliger Hintergrund, der sich beständig ins Bild drängt. Das heruntergekommene Viertel von 2001, in dem Gangster große Pläne haben und Musik und Waffen von Hoffnung und Übermut künden, wird 2006 von einem boomenden Land ersetzt, das gerne seine Goldkante zeigt und nur noch in eher entlegenen Winkeln von der Armut der Vergangenheit kündet. 2017 sehen wir Qiao und Bin in ihrem alten Viertel in Variationen ihres alten Lebens. Die Außenwelt ist schöner geworden, aber darin liegt noch das Alte – vor allem als (scheiternde) Versuche, die Lebensweisen von 2001 aufrechtzuerhalten und damit Variationen einer alten Realität, welche die eigene Abgehängtheit zementieren.
Dieser sprechende Hintergrund macht – unterstützt von der Schweigsamkeit der Handelnden bzgl. des Entscheidenden, ihrer Innenleben – die Liebe zu einem MacGuffin für die Darstellung der Entwicklung eines Landes durch ihre Mikroebene. Die langen, fluiden Einstellungen – die mal eloquente Plansequenzen sind, mal Verschiebungen in kargen Einstellungen – scheinen nicht die Leute zu dokumentieren, sondern ihre Umwelt. Metareflexionen über das Werk Jia Zhangke und des Ineinanderfließens seiner Filme scheinen mir auch einfacher zu sein, als dass hier ein Leben dokumentiert werden würde, dass Qiao und Bin betrifft … ganz zu schweigen von ihrer Liebe, die nur ein Verhaltenskodex zu sein scheint. (Dies war aber auch mein erster Film von Jia, den ich sonst nur aus dem anderswo Gelesenem kenne). Kurz: Emotionale Einbindung wird eher verwehrt, als dass sie forciert werden würde.
Es gibt aber auch den Moment, als Qiao an der Kitstelle zwischen 2006 und 2017 im Zug einen UFO-Verschwörungstheoretiker kennenlernt und die Liebe auf den ersten Blick zwischen beiden ASH IS PUREST WHITE kurzzeitig mit Phantasie anfüllt. Qiao nimmt davor Reißaus. Ihre Flucht ist das Indiz dafür, dass das Schweigen der beiden stets ein sprechendes ist. Eine traurige Stummheit liegt über dem Geschehen, in dem sich die Figuren betrogen fühlen (dürfen) … und zwar von vielen Seiten.
Dienstag 16.04.
großartig –
Mit jeder halben Stunde verdichtet sich der Horror von einer Ahnung in die Untiefe einer selbstverliebten Ellenbogengesellschaft, die nur leben lässt, wer ein anderes Standbein aufweisen kann: ALL ABOUT EVE ist ein Film über Schauspieler und die großen Monologe und Dialoge enden einfach nicht sowie die Bilder den Schauspielern die ganze Zeit Oscars geben möchten. Ein garstiger, unterkühlter Film über sich selbst.
gut +
Wenn Longfellow Deeds (Adam Sandler) etwa seine Grußkartengedichte vorliest, dann schafft es MR. DEEDS den Traum von Selbsttreue mit idiosynkratischen Humor zu verbinden, wenn Steve Buscemi mit seiner immer wieder aufpoppenden Figur Crazy Eyes diesem Traum eine gruselige Schieflage von Selbstgerechtigkeit und Verwilderung mitgibt, oder wenn Deeds und Babe (Winona Ryder) nach Winchestertonfieldville, Iowa fahren, und Babe ihre Lügen schmerzhaft und verliebt jemanden erzählt, der alles glaubt, und so eine komplexe emotionale Tiefe über Verletzlichkeit und Verletzen erlangt, dann zeigen sich die wunderbaren Einfälle des Films. Dass er nicht allzu viele davon hat, passt ins charmante, nicht aufdringliche Konzept. Gegen Ende werden die Witze jedoch zunehmend needy (Rob Schneider) und das humanistische Glanzfinale bekommt so etwas von der Crazy Eyes-sche Schieflage.
Montag 15.04.
fantastisch
Abermals findet sich dazu etwas von mir bei critic.de. Als ich das erste Mal von ihm gelesen habe, war ich mir fast sicher, dass es einer der Filme ist, die ich nie zu Gesicht bekommen werden. Jetzt gibt es ihn sogar in Deutschland auf DVD. Gut.
Sonntag 14.04.
fantastisch –
Die Erschließung und Vergesellschaftung des Westens als Geschichte eines traumatisierten, sadomasochistischen Lusthaushalts. Dempsey Rae (Kirk Douglas) entspricht dem Film, in dem er die Hauptrolle spielt. Er windet sich mit seinem entspannten Bigger-Than-Life-Appell aus allen Definitionen, wie aus allen Konflikten. Mal mit buddahgleicher Ruhe, mal mit hinterfotziger Garstigkeit. Und alles nur, weil er seine Zerrissenheit verstecken möchte. Irgendwann erzählt MAN WITHOUT A STAR von Anarchie und rücksichtslosen Turbokapitalismus, der auf Gesetze trifft, die durch sich ins Fleisch schneidenden Stacheldraht symbolisiert werden. Der gesellschaftliche Umbruch wird so durch einen Hauptdarsteller und eine Welt dargestellt, die alle leben und leben lassen wollen. Doch die Interessen werden sich wiederlaufen, niemand wird nachgeben wollen und MAN WITHOUT A STAR führt zwangsläufig in die lange verhinderten Konflikte … zwischen Chaos/die Macht des Stärkeren und Recht und Ordnung. Und all dies wird weniger durch Schießereien erzählt, als durch geschundenes Fleisch, Koitus und (Liebes-)Beziehungen, kurz als durch einen soziopsychologischen Sextraum.
nichtssagend
Im Gegensatz zum anderen Captain Marvel-Film – Shazam hieß eigentlich mal Captain Marvel, trat diesen Namen aber nach langem hin und her an Marvels Captain Marvel ab – sticht heraus – neben der etwas sinnigeren Inszenierung, die darauf verweist, dass sich hier tatsächlich jemand etwas bei seinen Entscheidungen gedacht hat –, dass sein Held in seiner Findungsphase nicht schon die ganze Zeit wie ein Held erscheint, sondern eben wie ein Jugendlicher, d.i. ein planloser Arsch. Schade ist, dass auch hier kaum etwas über Potentiale hinaus geschieht, dass die Andeutung einer epischen Geschichte oder einer geschmacklosen Teenager-Allmachtskomödie nie umgesetzt werden, sondern alles uninspiriert in der Mitte der Straße gehalten wird.
großartig +
Vor allem das Casting: Es wäre sicherlich möglich eine Abhandlung über die Besetzung von Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote und Abbey Lee zu schreiben. Wie die Linien ihrer Gesichter nur durch kaum beschreibbare Nuancen Projektionen von Natürlichkeit, Unscheinbarkeit, Unsicherheit und Kälte möglich machen, wie jeder der vier Schauspielerinnen ihre Rolle schon ins Gesicht geschrieben steht und wie THE NEON DEMON das ohne Bruch nutzt. Ich fände toll, wenn ich es könnte.
Sonnabend 13.04.
verstrahlt +
Wieder einmal ist jemandes Tochter an der Nadel gestorben, wiedermal möchte jemand Rache, egal was es kostet. JUDITH begibt sich aber an schäbige Orte, wo sich noch keine andere DERRICK-Folgen hin traute. Eine reiche, berühmte Pianistin wird in dreckige Kellerklos und heruntergekommene Pensionen verfolgt, nur um diese Reise der Verzweiflung, sachte und in Andeutungen, zu einer unwirklichen, unverschämten, unpassend reinen Liebesgeschichte aufblühen zu lassen. Diese Serie macht mich fertig.
großartig
Ein Film, über eine verzogene junge Frau (Claudette Colbert), die lernen muss, dass Erziehung keine Geiselnahme ist, und rohen Karotten lecker sind. Ein Film über Leute (der andere: Clark Gable), die alles tun würden, um nicht ihre Gefühle preiszugeben. Ein Film darüber, dass der Weg (und nicht das Ziel) das Ziel ist. Ein Film.
radioaktiv
Someone like Jean-Luc Godard is for me intellectual counterfeit money when compared to a good kung fu film, hat Werner Herzog einmal gesagt. In SALT AND FIRE zeigt er sich jedoch von einer ziemlich (früh-)godard‘schen Seite. Thesenkino hat er gemacht, wo über Kunst und Perspektiven diskutiert wird, wo die Handlung mehr seinem schematischen, diskursiven Aufbau verpflichtet ist, als einem Realismus, und wo der Schalk im Nacken nicht fehlen darf. Da wo Godard dies aber stets sehr elaboriert und verrätselt tut, da bleibt Herzog fast schmerzhaft offensichtlich und naiv. Und da wo Godards Vulgarität und Schmier mit Stil und Witz gereicht werden, da sind sie hier geradezu obszön direkt … und unendlich komischer. (Gael García Bernal!) Fast ein wenig tattrig mag dieser Film einem erscheinen, so wenig Geschmackssicherheit beweist er. SALT AND FIRE lebt völlig in seiner eigenen Welt, ruft mglweise zum Elendstourismus auf, damit die Debatte um den Klimawandel – ob menschgemacht oder nicht ist egal – nicht so abstrakt bleibt, und ist im Grunde völlig entrückter (Ethno-)Kitsch. Ich bin sprachlos, wie sensationell das ist.
gut
Keine DaDaR. Als sich Dada während des ersten Weltkriegs in Zürich formierte, befruchteten sich alle gegenseitig. Als sich die Bewegung verfestigte, hierarchisierte und ausarbeitete, brach sie aber auch gleich wieder auseinander. Es wurde schnell offenbar, dass jeder etwas Anderes unter dem Banner verstanden hatte oder verstanden wissen wollte. Ähnliches konnte dem aus der Asche des Dada entstandenen Surrealismus kaum wiederfahren, weil André Breton die Deutungshoheit über sein – so sah er es wohl – Baby nicht aus der Hand gab. KARLA portraitiert ein wenig, wie der Surrealismus beisammengehalten wurde und dem Schicksal des Dadas entging. Oder so.
Karla (Jutta Hoffmann), eine junge Lehrerin, beendet ihr Studium mit hohen Idealen, von denen sie denkt, dass es die Ideale des realexistierenden Sozialismus sind. An der Schule trifft sie aber auf Borniertheit und Dienst nach Vorschrift. Im Kleinen sehen wir einen verunsicherten Staat, der nur Erfolge einfahren darf, um dem Klassenfeind und der eigenen wie benachbarten Bevölkerung zu zeigen, wie überlegen er ist. Er ist die Utopie für die Menschheit und das Gegenüber ihr Sklavenhalter. In der Realität verkrampft dadurch alles und niemand darf Fehler machen. Karla startet voller Lust, bereit jeden Fehler mitzunehmen, der sie und den Sozialismus nach vorne bringt. Sie findet sich aber in endloser Frustration wieder. Beruflich und amourös ist sie von Leuten umgeben, die ihre Ideale verleugnen, die sich in Doppeldenk üben oder die sich gleich totstellen. Und wie es Karla ergeht, so ergeht es auch ihren Schülern. Eine Erziehung zur Unaufrichtigkeit wird dokumentiert.
Das Frustrierenste daran ist, dass KARLA mitunter ein sinnlicher Film ist, der sich – nicht unähnlich SPUR DER STEINE – auf die endlosen ideologischen Diskussionen seines portraitierten Staates einlässt und darin verfängt. Sicherlich ist es gesellschaftsanalytisches Gold, wie sich der realexistierende Traum einer besseren Welt in gordische Knoten in den Köpfen der Beteiligten verwandelt. Manchmal könnte KARLA einen ein wenig an REBEL WITHOUT A CAUSE erinnern, doch immer wieder wird unterstrichen, dass jede Dissidenz aus einem ideellen Glauben an den Sozialismus entsteht und dass hier jeder Abweichler Wolf Biermann und nicht Kapitalist ist. Und so sehr die DDR hier ihre Kinder frisst, so sehr erstickt KARLA fast daran, dass es an die DDR glauben möchte und sich selbst und seinen Lebenswillen negiert in diesem Versuch.
Freitag 12.04.
ok –
Tapperts Regiearbeiten werden zunehmend launig. Manchmal scheint etwas wie Vision für Stimmungen vorzuliegen, oft schleppt es sich aber uninspiriert herum. Nur wenn er sich selbst als Derrick inszeniert, der in dieser Folge kaum anwesend ist, dann lässt er dessen Sinnieren über die Übel der Welt völlig ins Oberlehrerhafte abgleiten. Es kann der Eindruck gewonnen werden, dass er seine Figur nicht mehr so ganz mag.
Die für Reinecker-Dialoge typischen Wiederholungen sind hier teilweise in einer Echokammer gefangen: Dr. Spitz. – Dr. Spitz? – Dr. Spitz!
Donnerstag 11.04.
gut –
Manchmal wäre ein anderer Drehbuchautor doch ganz gut gewesen. Wiedermal geht ein Hinterbliebener los, um sich auf seine Art zu rächen. Kaum geht es los und schon scheinen wir in Reineckers Treibsand aus bekannten Ausgangssituationen festzustecken.
Mittwoch 10.04.
großartig
Die größte Enttäuschung von STAR TREK: TREFFEN DER GENERATIONEN war für mich immer der Nexus, eine – so wird uns zumindest erzählt – suchterzeugende Welt, die Captain Kirk gefangen hält. Die Vision dieser Welt ist im Film aber hohl, langweilig und äußerst öde. Captain Kirk daraus zu befreien, ist keine Aufgabe, sondern einfach nur die pflichtschuldige Rückholaktion eines gelangweilten Abenteurers. Harmony Korine könnte mglweise Trekkie sein. Ebenso enttäuscht von diesem Nexus wollte vll. diese sirenenhafte Falle völlig neu entwerfen, als er mit THE BEACH BUM eine nichtige, oberflächliche Welt schuf, die wohl nur bedröhnt nicht angsteinflößend wirken kann.
Mglweise wird aber auch das Bindeglied zwischen HG Wells‘ Gegenwart und der Zukunft von DIE ZEITMASCHINE geboten, in der eine infantile Welt zu sehen ist, wo niemand mehr Konsequenzen kennt. Die westliche Welt auf dem Weg zu den Elois. Ein dauerbekiffter Poet, Moondog (Matthew McConaughey), macht, was er möchte und das nicht besonders überzeugend, und wird dafür – größtenteils – geliebt. Nur dem Ernst der Situationen stellt er sich nie. Tod, Armut, Verstümmelungen, das Enttäuschen der ihn Liebenden: Nichts dringt zu ihm durch den Nebel vor. Alles ist nur ein Witz. Es mag gewiss etwas Befreiendes darin liegen. Das Kichern, welches Matthew McConaughey ans Ende seiner meisten Sprechbeiträge setzt, wird aber mit der Zeit zum beißenden Sinnbild dieser Unfähigkeit etwas zu verarbeiten. Irgendwann, wenn Moondog von einem Jamaikaner begleitet wird, der ständig Joints raucht, die so große wie Unterarme sind, dann gewinnt THE BEACH BUM spätestens eine BRASIL-artige Qualität, nur dass der Realitätsverlust nicht als solcher (allzu offensiv) aufgeklärt wird.
So vage dieses hin und her wabernde, dieses hyperhedonistische Nichts gehalten wird – zeitliche und räumliche Grenzen verschwimmen, die Sinne der gebotenen Wahrnehmung scheinen übersteuert wie betäubt –, so vieldeutig ist es. Ist es nur ein kruder Spaß, gesellschaftlich treffender Kommentar, Traum oder Alptraum, kindisch oder elaboriert: Am Ende ist es die simple Einfach- wie Eintönigkeit, die alles effektiv zersetzt und offen für Projektionen macht.
Montag 08.04.
gut +
Will Ferrell naivstes, weltfremdestes Ich – ein Mensch, der am Nordpol als Elf aufgewachsen ist, der sich für einen Helfer Santas hält und der sich nur von Sirup, Zucker und ähnlichem ernährt – wird auf ein zynisches, vorweihnachtliches New York losgelassen. Größtenteils ist es die Essenz der ferrellschen Karriere. Dann kommt aber unerwartet eine harte Wende, wo ELF ein vollwertiger Weihnachtsfilm sein möchte. Aber nicht mit den märchenhaften, verschenkten Figuren der nordischen Phantasiewelt, sondern mit einer in die Länge gezogenen und trotzdem viel zu überstürzten Beschwörung von Weihnachtsgefühlen bei den New Yorkern. Aber vll. ist es sogar der spannendste Moment des Films. Ein Männchen mit vom Zucker übersteuerten Gefühlen verliert den Schutzmantel seiner Naivität und wird suizidal, ein Mann, der sich lediglich um seine Karriere kümmert, wird ansatzlos geläutert: Das, was mglweise schon immer in ihnen lauerte, bricht sich Bahn und die Karikaturen sind aus gewisser Sicht nicht mehr nur mit sich identitär. Hinzukommt: Wenn ELF nun alles geradezu zynisch mit Weihnachtsgeist füllt, dann ist er plötzlich holprig und ungemein unentspannt … als ob er sich selber unterminieren möchte. Trotzdem hätte ich lieber mehr von der Essenz gehabt.
gut
Männer über ihren Zenit, die es sich nochmal richtig beweisen wollen und von Anfang bis Ende einfach nur scheitern. Der forschen Kamera zum Trotz: Ein trostloser Film.
Sonntag 07.04.
gut
Viel spricht gegen diesen neuen ASTERIX-Film. Zu sehr macht er es sich auf alten Gags bequem – die Piraten werden doch ein-, zweimal zu oft ins Meer versenkt. Der Plot und die Botschaft sind nach wenigen Minuten auch von den Kindern neben mir verstanden. Ideologisch finde ich es schade, dass die Liebe von Miraculix für Nutzloses am Ende einem Sinn zugeführt wird. Und so weiter und so fort. Am Ende ist es aber wie mit dem seltsamen TRANSFORMERS-artigen Endkampf: Er verschwindet schnell wieder und war nur für einen kurzen emotionellen Kick da. Ansonsten möchte ASTERIX UND DAS GEHEIMNIS DES ZAUBERTRANKS aber kein großer, epischer Film sein, sondern eine entspannte, eigenwillige Kaffeefahrt durch eine Welt, die durchaus an die von Goscinny und Uderzo erdachte erinnert. Nach Jahrzehnten von scheußlichen ASTERIX-Filmen – ab inklusive HINKELSTEIN – ist das allein schon eine Erleichterung.
Sonnabend 06.04.
verstrahlt +
Kochende Emotionen und Unbequemlichkeit bestimmen DIE GEIERWALLY. Fast jede Unterhaltung der tragenden Figuren endet in Geschrei. Die anfänglich launigen Schlägereien werden recht bald in brutale Züchtigungen mit Holzscheite überführt. Dazu eine mal einengende, dann gleich ganz lebensfeindliche Landschaft. Wolken und Nebel verhängen die Berge, Wälder und Schneelandschaften. Mystisch sieht es zuweilen aus. Es ist also kein Wunder, dass bald Berggeister in ihnen verortet werden. Berggeister, welche die Selbstmordabsichten einer Verzweifelten bombastisch ins Bild rücken dürfen. Die Epik von DIE GEIERWALLY ist absolut. Es gibt keine Rücksicht und keinen Ausgleich. Die burschikose Bauerntochter Wally ist der ganze Stolz ihres Vaters. Todesmutig hatte sie sich als einzige getraut, das Kind eines Geiers – im Roman war es noch ein Adler – zu entwenden, auf das nicht noch mehr Schafe gerissen werden. Doch als sie nicht den vom Vater vorgeschlagenen Bräutigam wählen möchte, sondern den Bärenjosef – Tod und Vitalität sind die Namenspatronen – heiraten, einem Mann, der zwischen der Zuneigung zu ihr und seiner Ablehnung ihrer Unweiblichkeit schwankt, eskaliert alles. Andere und vor allem sich selbst quälen die Hauptfiguren, während die drum herum Stehenden ungläubig zusehen oder die blinde Leidenschaft noch befeuern. Es wird beständig zerfahrener, brutaler und jede Hoffnung auf ein gutes Ende führt noch in schlimmere Umstände. Die Geschichte einer emanzipierten Frau in einer von traditionellen Werten bestimmten Welt, sie ist eine Geschichte von Verbitterung und Hass. Die Geschichte von Frauen, deren bester Freund ein Geier ist, und die so geliebt werden möchte wie sie ist, auch wenn die Welt unter diesem Wunsch in Flammen aufgeht, die später völlig in den weiblichen Insignien von Macht aufgeht, sie ist eine Oper, die geil von Tod und Blutdurst lebt. Regie führte mit Hans Steinhoff ein Hundertfünfzigprozentiger Nazi, wie Georg Seeßlen im schönen Booklettext der neuen Concorde-Veröffentlichung schreibt. Es gibt diesem Film, dessen Qualitäten wohl eher gegen, als durch Steinhoffs mäßiges Regietalent entstehen, in seiner Gier nach Destruktion einen noch bitteren Beigeschmack, als es eh schon. DIE GEIERWALLY, ein Film der von Unabhängigkeit und Emanzipation erzählt, als wären es Kriege, die einem mit zwangsläufig mit Verbitterung die Seele ausreißen.
Freitag 05.04.
großartig +
Klassenunterschiede und Stolz stehen hier zwischen der Liebe eines Müllersohns und angehendem Schriftsteller und einer großbürgerlichen Tochter. Gedreht wurde in Englisch (Mitproduzent war das ZDF) und die Schauspieler wurden nochmal Englisch nachsynchronisiert, weil ihres nicht gut genug war. Der Sprachduktus ist dementsprechend künstlich und hölzern. Es passt aber zu dem Scheitern der Sprache in VICTORIA, wo niemand so wirklich auszudrücken vermag, was in den Bildern, in den herbstlichen Impressionen geschrieben steht.
Donnerstag 04.04.
großartig +
Wenn Anton Walbrook (bzw. damals noch Adolf Wohlbrück) als Johann Strauß seine Walzer spielt und sein Orchester dirigiert, dann steht ihm der Wahnsinn in den Augen. In ihnen steht geschrieben, dass wir einer Geschichte von Sex, Drugs und Walzer beiwohnen – nur eben ohne Sex und Drogen. Der Walzer reicht um einem die Sinne zu benebeln. Die das Geschehen umschlingende Kamera; die Noten, die Strauß in seiner ständigen Inspiration überall hin schreibt, bis er ein einziges Notenblatt ist; die schwarz-weißen Fließen am Boden des englischen Thronsaals, die durch ihre Rautenform den Protagonisten eine gewisse Verzerrung unter die Füße legen: WALZERKRIEG mag aufputschen und schwindelig machen – solange eben Johann Strauß und sein erst Protegé, dann Konkurrent Joseph Lanner (Paul Hörbiger) zum Tanz bitten.
Die Liebesgeschichte zwischen Kati Lanner (Renate Müller), der Tochter des einem Konkurrenten, und dem Pauker Gustl (Willy Fritsch), der in diesen Krieg gegen seinen Willen hineingezogen wird, unterfüttert den Kampf zweier Gockel mit einer Lustspielatmosphäre. Missverständnisse gibt es, eine Liebe, die fast am Stolz der Liebenden scheitert, absurde Nebenfiguren und Entwicklungen. Zwischenzeitlich macht dies alles am englischen Königshof halt. Dort wartet eine junge Königin, die gütig und freundschaftlich an der Einsamkeit der Macht leidet. Hier versandet der Wahnsinn von WALZERKRIEG fast und macht es sich in einer Märchenwelt bequem. Aber dann kommen doch wieder die Walzer, die Inspiration, der Wahnsinn in den Augen…
Mittwoch 03.04.
großartig –
Die Männer sind vom Mars, die Frauen von der Venus … bzw. hier ist es eher: die Frauen sind von der Ostküste, die Männer von der Westküste. Immer wieder Bilder von Entfernung, Trennung, Konfrontation, überhaupt Bilder, die Fronten bilden oder die so konfrontativ sind, dass sie wie Bühnen aussehen, auf denen Leute ihr Genderverständnis aufführen. Immer wieder Szenen, die nach dem Trennendem zwischen Mann und Frau zu suchen scheinen. Dies ist natürlich Grundlage von einem Schmachtfetzen, der ganz romantisch in dieser Trennung keine Unmöglichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau sieht, sondern gerade das Wunder jeder Liebe, die einem in den besten Fällen ans Herz geht. …und ein Film, wo ein riesiges Herz auf einem riesigen Phallus in der New Yorker Skyline zu sehen ist, worauf Meg Ryan ihren gefühl- bzw. testosteronlosen Verlobten sitzen lässt und schnell zum Phallus rennt.
Dienstag 02.04.
großartig –
Eine junge Frau ist schwanger und trennt sich von ihrer Familie, von ihren Männern und von ihren Träumen. Ein – dem allem zum Trotz – beschwingter Film, dem sehr anzumerken ist, wie sehr die frühe Nouvelle Vague und die darin spürbare Aufbruchsstimmung als Vorbild diente.
Mehr zu Bo Widerberg gibt es übrigens auf critic.de.
Montag 01.04.
großartig
Schneiden verboten! Vor der Fertigstellung von HUIES PREDIGT haben Herzog und seine Cutterin Beate Mainka-Jellinghaus möglicherweise ihren André Bazin intensiv gelesen. Wenn Reverend Huie L. Rogers in seiner Kirche nämlich zu einer Predigt ansetzt, dann sind zwei Kamerateams im Saal. Trotzdem lässt der erste Schnitt – nach der knappen Etablierung des Ortes – fast den halben Film auf sich warten. Dadurch wird insistiert, dass das Geschehende nicht durch Schnitt und Kamera dramatisiert wurde, sondern dass es wirklich so geschah, wie es im Film zu erleben ist. Ein Mann stellt sich auf eine Kanzel und beginnt zu sprechen. Welches Verhältnis der Apokalyptiker Werner Herzog zu dem Gesagten hat, wäre interessant, aber die Worte und ihre Botschaft, die davon sprechen, dass der Mensch ohne Gott nur Destruktion bringt – manchmal war es mir ein Bedürfnis, Huie L. Rodgers mit Luhmann auseinandergesetzt zu sehen –, sie treten langsam in den Hintergrund. Rodgers steigert sich zunehmend in Ekstase und verfällt in einen geradezu spastischen Sprachgesang, wo es nicht mehr auf die Worte ankommt, sondern die Kraft der Stimme und der Überzeugung. Sprache ist in HUIES PREDIGT kein Weg um Inhalte, sondern um Gefühle und Gemeinschaft in einer Welt am Abgrund zu erzeugen. Und Herzog will nichts davon von sich erzeugt wissen.
März
Sonntag 31.03.
großartig
Letztens schaute eines meiner Kinder GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 im Wohnzimmer. Als ich gegen Ende immer mal wieder selbiges betrat, fiel mir das erste Mal auf, dass grau der Urzustand der Bilder ist, auf das vereinzelt grelle Farben darauf geleuchtet wurden. (Für Malanalogien bieten diese Farben keine Grundlage.) Wie in dem Moment in SCHINDLERS LISTE, als ein rot eingefärbtes Mädchen im schwarz-weiß auftauchte, wurden hier Farben wie Marker aufgetragen. Nur war es keine Ausnahme, sondern die Regel. Nur war die Grundlage nicht durch Kontraste bestimmt, sondern eben durch grau. Nicht in der Diegese steckend wurde mir die Hässlichkeit digitalen Color Gradings erstmals völlig bewusst.
Das Traurige ist, dass ich es wenig später bei Paddington wiedersah, wenn sich Paddington am Ende in Nicole Kidmans Klauen befindet und die Brown versuchen ihn zu retten. Gerade ein Film, der optisch voller Einfälle und Schönheit ist, hat ein solches Finale nicht verdient.
großartig
War Widerbergs Erstling noch von dem überschwänglichen Jazz der frühen Nouvelle Vague gekennzeichnet, ist sein zweiter Langfilm literarischer. Nicht weil KVARTERET KORPEN von einem jungen Autoren handelt, der daran scheitert sich von seinem Vater zu lösen, nicht weil es vom Schreiben und den Veröffentlichungsversuchen seines Werk über die Sackgassen der Armen der Gesellschaft – dessen Stil der Film zuweilen nachzeichnet – geht, nicht weil eine Büste August Strindbergs auftaucht. Vielmehr wirkt KVARTERET KORPEN in seiner absichtlichen Verschleierung einfacher Informationen, die die Protagonisten kennen, aber für den Zuschauer verdeutlicht werden müssten, in seiner Verquickung von schlenderndem Impressionismus und dem ausladenden Stil der Bilder sowie in der Psychologie, die die Figuren bei aller Leichtigkeit an ihrem Geist vergiftet wirken lässt, in all dem wirkt er wie eine Verneigung vor William Faulkner. Oder anders: Im Gegensatz zu allen anderen Filmen Widerbergs, die ich kenne, wirkt dieser wie etwas, dem etwas Geschriebenes zugrunde liegt.
großartig –
FREDDY VS. JASON ist in erster Linie ein Freddy-Film, was am ehesten daran zu erkennen ist, dass tatsächlich eine Geschichte erzählt wird. Seine Figur, deren Grauen aus dem Unterbewusstsein in Träume fließt, übersetzt schon dem Wesen nach Gefühle in Geschichten. Mit Jason, diesem dumpfen Pochen im Gedärm, dem dem Wasser entstiegenen kaum verdichteten Sumpf der Gefühle, kann sowas nicht gemacht werden. Der einzige Teil der sich daran versuchte, war dann auch mit JASON GOES TO HELL der fürchterlichste (der Reihe).
Als Endpunkt der FREITAG DER 13.-Filme ist FREDDY VS. JASON aber trotz alledem ein Vergnügen, weil Ronny Yu aus diesem an den Haaren herbeigezogenen Quatsch alles herauskitzelt, was es herauszukitzeln gibt. Am Schönsten ist, dass die Synopse von FREDDY VS. JASON immer wieder aufgesagt wird. Freddy ist vergessen, weshalb er Jason aus der Hölle holt, um durch Morde in der Elm Street wieder in die Gedächtnisse der Leute zurückzukehren und damit seine Macht wieder zu erlangen. So erklärt er sich dem Zuschauer aus dem Off zu Beginn des Films, so erklärt er sich völlig unmotiviert einem seiner Opfer und so schließen die Protagonisten laut gedacht, wie aus dem Nichts. Wie ein Marker steht es immer wieder im Film: Genau sowas schaut ihr euch gerade an.
Sonnabend 30.03.
gut
Die Liebe in einer Welt, wo die Leute lieber Drachen steigen lassen, als sich dem cassevetisch improvisierten Drama zu stellen, das in ihren Ehen wartet. Aufgekratzt.
ätzend
Ein Film, der wie das giftige Kondensat der 90er wirkt. Sam Raimi und den Coens wird anbiedernd hinterhergelaufen und es endet alles in Aufdringlichkeit. Die hässlichen Bilder mit dem blauen Licht, dass von hinten blendend reinstrahlt, die Figuren, die vor peinlicher Coolness platzen oder in hysterischer Peinlichkeit zergehen und und und … und nichts kommt an diese Musik heran, die auf dem Keyboard entworfen wurde, um dem Zuschauer die Erfahrung einer unerträglichen, eintönigen Hölle zu bescheren.
nichtssagend
Jason im All, Jason als Cyborg. Ganz nett, nur ist er sich seiner selbst sehr bewusst, was in einer Ironie endet, die bettelt, dass JASON X nicht zu ernst genommen wird. Das Problem war vll. aber auch, dass ich von JASON GOES TO HELL noch völlig entnervt und schockgefrostet war.
fantastisch –
Vll. dann doch das zentrale Werk eines Regisseurs, der in allen seinen Filmen (zumindest in denen, die ich gesehen habe) Kinder vorkommen lässt. Die Kinder blicken dabei rätselnd auf die Erwachsenen, wie die Erwachsenen rätselnd auf sie schauen. Beide scheitern aneinander … und selten so komisch wie hier, wo ein 6-Jähriger Wunderfußballer Nationalspieler wird, während der gefeierte Stürmer ob so viel Talents auf unerwarteter Seite aus dem Tritt kommt. Die Gemütszustände des Scheiterns sind an dem Zustand von Teddybären ablesbar, die der entsprechende Erwachsene immer in der Hand hält, an den verwirrten Wanderungen durch Fußgängerzonen, die wie undurchdringliche Abwehrreihen auftreten, oder der Unfähigkeit zu Bärenkinderbüchern einzuschlafen, wenn das eigene, unbedarfte Leben durch den Erfolg so aus dem Tritt gekommen ist.
Freitag 29.03.
fantastisch –
Vier Polizisten jagen in diesem police procedural einen Polizeimörder. Und alle vier bilden zueinander Fronten. Einmal weil es sich um zwei junge Beamten handelt, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, und um zwei ältere, die von ihrem Job vor allem ausgelaugt scheinen. Der eine der Jungen ist dann nochmal hip und übermütig, während der andere die Sache ziemlich sachlich angeht. Der eine der Älteren, seit viel zu vielen Stunden ununterbrochen im Dienst, befindet sich konstant am Ende seiner Kräfte und wird doch immer wieder losgeschickt, während der andere ausschlafen kann und hier und da mal zur Massage geht. Der Job der Polizei wird so aufgespannt und bis ins Innerste und zu den Familienleben verfolgt.
So sehr sich diese Grundsituation des Films aber wie ein Konzept anhört, so lose wird es verfolgt. Unkonzentriert wird von Impression zu Impression gesprungen, die Pinseltupfer hier und da setzen und ein sehr vages Bild malen. Mit trockenem Humor verfolgt die Kamera die Absurdität und die Tristesse einer ernsten Situation. Mit Kamerafahrten, die offenbaren, dass der Hauptermittler seine Schuhe am Schreibtisch ausgezogen hat, oder mit statischen Einstellungen, die einen Polizisten beim Einschlafen zeigen, wird sich fast ausnahmslos den Menschen genähert.
Der Mord zu Beginn verläuft sehr blutig und legt kurzzeitig die Spur, dass wir uns in einem Thriller befinden. Gegen Ende, vor der Stellung des Mörders, wird DER MANN AUF DEM DACH ebenso kurzfristig ein atemloser Actionfilm. Getragen wird er aber von einem mäandernden Fluss, der zwar Spitzen von Romantik und Expressivität enthält, der aber am liebsten seinen Protagonisten in ihre Betten, ihre Erschöpfung und dem Trott ihres Seins folgt, um sie dort ganz körperlich – vor allem die Details wie der auf einen Wäscheständer geschnallte, ohnmächtigen Hauptermittler, dessen Mund eine Sprosse umschließt und die sein Gesicht verzerrt – zu erfahren.
Donnerstag 28.03.
fantastisch –
Sonnen durchströmte Bilder von Wald, Wiesen und zwei Liebenden bestimmen ELVIRA MADIGAN lange. Der Beginn ist ein Freudenfest einer romantischen Liebe, die mit flüchtigen Bildern im Hier und Jetzt verankert wird. Picknicks, Liebkosungen, gemeinsamer Spaß und Genuss. Goldene Grashalme streifen die Körper konstant, wie auch Rasierklingen, Messer und Sensen in den Einstellungen zu finden sind. Letztere sind nicht bloß dunkles Omen, sondern sprechen vor allem von dem süßen Schmerz, der dieses Glück ist. Absolut und irreal. Eine wundersame Wunde, die das Gras in ihre Körper zu streicheln scheint.
Von zwei Seiten wird dieses Glück aber konstant unter Druck gesetzt und in eine Geschichte gezwängt. Kurze Ausflüge weg von den Liebenden zeigen Zeugen ihrer Leben vor der Liebe und damit ihre Verfolger. Vergangenheit ist bis zum Schluss etwas, vor dem davongerannt wird. Pflichten und von außen vorgenommene Definitionen warten dort. ELVIRA MADIGAN ist nach dem Künstlernamen benannt, den Hedvig Jensen (Pia Degermark) als Zirkusartistin trägt. Er ist der Marker dieses Zuviels an Bestimmung. An Sixten Sparre (Thommy Berggren) wird als adligem Soldat auch nicht wenig an Geschichte herangetragen, die ihn bestimmen soll. Ihre Namen werden sie verbergen, wie sie die Erinnerungen an das, was war, in Form von Gedanken und Freunden nach kurzen Umarmungen wegstoßen werden. Nur das Jetzt und sie beiden zählen. Alles andere sind Kescher des Kompromittierenden, wo sich mit weniger als dem absoluten Glück zufriedengegeben wird.
Auf der anderen Seite des Films, am Ende – in seiner rückblendenlosen Chronologie ist ELVIRA MADIGAN unerbittlich und klar … und lässt das Grauen von den korrekten zeitlichen Orten angreifen –, steht die Zukunft. Spätestens wenn die ersten Münzen – stets wirken sie prekär – ins Bild kommen, wirft sie ihren Schatten, von dem was kommen wird, zurück auf das, was ist. Schon die von ELVIRA MADIGAN ganz schlicht und unaufdringlich geweckten Gedanken an das im Entstehen Befindliche ist immer schon die Dämmerung, die sich vor die zu Beginn so unbändig strahlende Sonne legt.
Viel Platz wird Hedvig gegen Ende gegeben Früchte und Ähnliches wahllos vom Waldboden zu essen, bis sie bricht und das Ausmaß des inzwischen erreichten Hungers offenbar geworden ist. Im kurzen Streit wird Sixten im dunklen, feuchten Sand der Ebbe stehen und schmollen. Es sind die romantisch aufgeladenen Bilder von dickköpfig brüskierten Träumern, die in ihrem ausgestellten Leiden die Realität tadeln. Eine Realität, in der ihre grandiose Liebe keinen Platz hatte und haben wird. Eine Realität, die dem uneingeschränkt Wunderbaren nur einen kurzen Moment der Gegenwart lässt. In ihrem pathetisch vorgetragenen Leiden offenbart sich der Makel des Wirklichen.
Da wo der Kini in LUDWIG II – GLANZ UND ENDE EINES KÖNIGS in der bombastisch vorgetragenen romantischen Anklage des Seins noch einen giftigen Dolchstoß erfährt, da bleibt dieser bei ELVIRA MADIGAN aus. Das Entschiedene wie das Reflektierte sind diesem Film fremd. Kindisch und bockig wird sich von allem abgewandt, was der luziden Schönheit die Sonne raubt, doch es bleibt alles im Ton von Impressionen. Das Kompromisslose des Films ist, dass er glücklich und wehmütig von einem Sonnenuntergang erzählt und wie vor ihm immer machtloser davongerannt wird. Der abschließende Suizid wird mit einer Texttafel dem Film vorangestellt. Der letztendliche Fluchtpunkt ist bekannt. Das Bittere von ELVIRA MADIGAN – diesem Anti-Naruse – ist, dass in ihm kein anderes Ende denkbar ist. Selbst wenn er größtenteils versucht sich der Erfüllung und der Schönheit entspannt hinzugeben, evoziert er die Auseinandersetzung mit seinem Scheitern. So wie das Glück eine Erzählung aufgezwungen bekommt, so zwingt diese Geschichtlichkeit dazu, sich vom Verweilen abzuwenden. Glück ist flüchtig und das Einzige, was einem in der Hand liegt, ist zu bestimmen, ob es langsam verendet oder ihm ein brutales Ende gesetzt wird.
Dienstag 26.03.
gut
Eines der ersten Opfer Jasons ist eine junge Gitarristin, die weniger an ihrem Sound interessiert ist, als an dem Image, in welchem sie diesen hat. Heißt: Statt ihr Spiel zu verfeinern, statt zu üben, sucht sie das passende Ambiente für das Musikvideo, in welchem sie sich lustvoll als Rockerin inszenieren möchte. JASON TAKES MANHATTAN ist ebenso kein Film großer Anstrengungen. Wenn sich Jason mittels einer kleinen Yacht und einem kleinen Kreuzfahrtschiff von Crystal Lake Richtung Manhattan tötet und dabei einen Schulausflug dezimiert, dann will der Film vor allem abrocken. Dass das kaum herausgearbeitete Drumherum eine schizophrene psychologische Schneise schlägt, darauf konzentriert sich der Film nie. Es scheint eher Abfallprodukt der Motive zu sein, die für den dramaturgischen Aufbau wenig durchdacht hereingeworfen werden.
JASON TAKES MANHATTEN ist dabei, wenn wir den offensichtlichen Trip in ein heruntergekommenes New York voller Junkie, Verbrecher, Hilfsverweigerer, voller Tonnen randvoll mit grünem Schleim (eine Ratte oben drauf) und nächtlichen Giftmüllspülungen durch die Kanalisation absehen, eine Variation seines Vorgängers. Ein zentrales Element wird dabei eindämmt und ein anderes eskaliert. Aus einer Traumatisierten mit übersinnlichen Kräften wird eine Traumatisierte mit nichts weiter als Angstträumen. Jason ist hier einerseits Ausdruck der erstickenden Erwartungen der (Ersatz-)Väter der Hauptfiguren, damit verwoben aber auch das Ergebnis eines tragischen Vorfalls, der Rennie (Jensen Daggett) verfolgt, bis Giftmüll das Äußere ihres Schreckgespenstes wegätzt und ein kleines hilfloses Kind unter dem gammligen Äußeren offenbart wird. Deutlicher und unmittelbarer als im Teil zuvor sind die Opfer von Jason aber Leute, die sich an Rennie, also der traumatisierten Hauptfigur, vergangen haben. Jason wirkt zuweilen wie ein Wachhund, wenn nicht gleich verlängerter Arm einer Psychose in Rennie, der nicht hinter hier her ist, sondern ihren Wunsch nach Rache auslebt. Rache an Leute, die vor allem so unbeschwert scheinen, wie sie es nicht sein kann. (Besonders schön ist dabei, dass Jason jede materielle Qualität verloren zu haben scheint. Egal, wo die Leute hinrennen, wie ein Schatten ist er stets da, wo sie ankommen.)
Eine einfache, morbid spaßige Geschichte wird erzählt. Gruselig ist es bei weitem nicht, dafür ist JASON TAKES MANHATTEN zu effektgesteuert. In den gerümpeligen Ecken dieser Erzählung wartet aber genug Kladderadatsch, um sich in ein wirres Labyrinth zu stürzen, wo Opfer und Täter ein kubistisches Gebilde ergeben.
Montag 25.03.
großartig –
Nach langer, langer Zeit darf oder will Derrick mal wieder Sadist sein. Er spielt mit denen, von deren Schuld er weiß, und stellt mit einem schneidenden Lächeln Fragen, deren Unbedarftheit er immer wieder betont, die aber stets die Indizien der Schuldigkeit berühren. Und so zweideutig Derricks Spiel in den jeweiligen Situationen ist, so ambivalent ist EIN MERKWÜRDIGER TAG AUF DEM LANDE, wo alles dafür getan wird, dass der Stammtisch eines Dorfes nicht zu schuldig wird, die Bilder aber doch teilweise Denunziationen ihrer Gier sind.
Sonntag 24.03.
nichtssagend
Der Abspann enthält weniger Blooper, als Aufnahmen der konstanten Party, die während der Dreharbeiten scheinbar abgehalten wurde. Was passt, da LIFE’S A BEACH viel Potential hat, aber keinen Sinn für die Arbeit daran hat. Es gibt: Altstars (vor allem Robert Wagner und Morgan Fairchild), die nur allzu gerne Scherze auf Kosten ihrer Images machen; ein brutales Türkis, dass sich durch die meisten Einstellungen zieht und an den Augäpfeln knabbert … und das die ätzende, realitätsnegierende Partylandschaft von LIFE’S A BEACH vervollständigt – Ort der Handlung ist ein nicht näher definiertes, touristisch voll erschlossenes tropisches Paradies, wo sich eine Woche lang mit Alkohol, Drogen, Sex und Sonne abgeschossen wird – dass das Hauptstilmittel die Zote ist, braucht wohl nicht näher erwähnt werden –; eine sich spiegelnde Dramaturgie, da zwei Wochen dargestellt werden, die in zwei Filmhälften kulminieren, die Variationen der anderen sind. Doch am Ende war die Party im Hintergrund, die auch die porträtierte Party im Vordergrund ist, wichtiger. Altstar Christopher Walken wird im zweiten Teil lustlos verschenkt – er ist nur für die Erkenntnis gut, dass seine Verkniffenheit zu leichten Blähungen führt. Das Türkis wird leicht erdiger, weil die romantischen Züge der zweiten Hälfte des Öfteren nach der Kühle der Nacht verlangen. Die Doppelung bleibt nur ein Versprechen, das ein Film nicht einlöst, der zunehmend versandet und gar keine Lust hat, seine Figuren in eine (schöner gewordene) Realität zu entlassen, wenn er doch weiter weltvergessene Party machen könnte … der es aber trotzdem glaubt machen zu müssen, also die Realität (d.i. eine bürgerliche) gewinnen zu lassen.
gut +
Die Schuld einer Person legt sich quasi über eine High-School-Party-Komödie, weshalb jeder, der sich etwas auf sein Gewissen legt, d.h. der auch nur mit Sex und Drogen in Berührung kommt, stirbt. Ziemlich geradlinig beschreitet THE NEW BLOOD bekannte Spuren – gerade im Vergleich zu den vorangegangenen Teilen und deren Eigenwilligkeit. Ausgeglichen wird dies durch den einfachen Fakt, dass die Hauptprotagonistin (Lar Park-Lincoln), sprich das Final Girl, dass sie telekinetische Fähigkeiten besitzt, die sich in Momenten starker Emotionen bemerkbar machen. THE NEW BLOOD trägt dementsprechend etwas CARRY mit sich herum – gerade auch in einer gewissen Lust am Schmutz. Nur ist es keine christliche Schuld, die sie mit sich herumschleppt, sondern eine, die sich ein Psychiater zu Nutze macht, um ihre Fähigkeiten ausbeuten zu können … weshalb alles durchaus einer etwas wilderen, phantasievollen Sitzung bei einem Psychiater – inklusive Vaterkomplex – gleicht.
Sonnabend 23.03.
(großartig +)
Die Natur sieht zuweilen aus, als ob sie einen Versailler Lustgarten nachstellen möchte, aber ihre Natur des Sumpfseins nicht ablegen kann. Und ebenso sehen die auf die Konquistadoren folgenden Beamten und Beamtenehefrauen aus, die in der neuen subtropischen Provinz mit ihren Perücken, Tüllkleidern und Puderdöschen staatstragenden Eindruck schinden wollen, aber doch wie von Fliegen umkreiste Verkleidete niederer Schichten aussehen. Leider überkam mich nach der Hälfte des Films immer wieder der Sekundenschlaf, weshalb mir nicht alle Vorgänge klar wurden, was bei einem Film, der einem mehr verschweigt, als dass einem die kaum über Andeutungen hinausgehende Kontextschaffung etwas auf die Nase binden würde, auch ziemlich schwer ist. Aber trotzdem meinte ich eine groteske Komödie gesehen zu haben, die auf ihre Weise ebenso an einen bildgewaltigen Monty Python-Satire auf scheiternde Machtbehauptungen ist, wie dies Angelopouloses DIE TAGE VON ’36 auf ähnliche Weise war.
nichtssagend
Das Drehbuch scheint mit der ersten Szene schon auserzählt zu sein. Im Großen und Ganzen ist es daran interessiert zu zeigen, dass der Sohn des Pfarrers zu impulsiv ist und sein Plan wie sein Schachspiel scheitern muss. Die Inszenierung und das Schauspiel des Sohns scheint unterdessen darauf hinauszulaufen, dass gute Intentionen einen nicht davor schützen, wie ein Schmock zu wirken. Zwischendrin der Mord an einem Liebhaber und eine sich an Shelley Duvals Zerbrechlichkeit versuchende Schauspielerin (Irene Clarin) als Ehefrau, die verzückt vom Gedanken ist, dass ihr Mann für sie töten würde. Hier und da sind die Leute dieser Folge wirklich unfassbar, aber sie werden so schnell wieder aus den Augen verloren, dass sie nur die klischeehaftesten Konturen ihrer selbst werden können.
Donnerstag 21.03.
ok
Wäre da nicht Oliver Rohrbecks angespanntes Spiel, dass seine Figur genervt und enervierend bei jeder Gelegenheit seine Unschuld reklamieren lässt – die erste Hälfte der Folge wiederholt er fast nur scheinheilig empört, die Sätze und Anschuldigungen, die auf ihn einprasseln –, was ihn zu jeder Sekunde zwei Eigenschaften gibt: Schuld und Hilflosigkeit; wenn dies alles nicht wäre, an EIN KLEINER GAUNER wäre kaum etwas erwähnenswert.
großartig
Als ich die Treppen vom Kino herunterkam, ging ich auf eine Glaswand zu, hinter der Reinigungspersonal – mit Masken auf den Gesichtern (zum Schutz vor den ätzenden Gasen nehme ich an) und scheinbar mit nicht sonderlich viel guter Laune – kurz nach ein Uhr nachts den Boden eines Biomarktes kernreinigten. Ein bisschen war es, als ob US direkt weiterging. Dieser Film, der als psychologisches, identitätspolitisches, gesellschaftliches, rassenproblematisches oder klassenkämpferisches Gleichnis gelesen werden kann, wo Spiegelungen und Anordnungen – immer wieder die Vogelaufnahmen von Strand, Wäldern oder Decken, die von Texturen sprechen – so lange verfolgt werden, dass alles in Strukturen aufgelöst wird, dass selbst Verschwörungstheorien in die Auflösung eingebunden werden – nicht enden will US und geht immer und immer weiter bis kahle Gänge voller Kaninchen erreicht sind –, und dass alles ein Wust aus Dialektik wird, wo beispielsweise Songs der Beach Boys und von N.W.A. verschachtelte Kommentare zu Handlung und dem dahinter befindlichen werden. Ein Film, der die Maske der Fiktion von seinen Leuten und seiner Gesellschaft reißt, und eine groteske Realität darunter findet. Vor allem ist US aber ein Film, der sich nicht auf die Erklärung seiner Anliegen konzentriert, sondern auf das Genre, auf einen affektgeladenen House-Invasion-Horrorfilm, der in eine ausladende Apokalypse – auch hier ist es eine gesellschaftliche wie eine familiäre – führt. Darum siehe, spricht der HERR, ich will Unheil über sie kommen lassen, dem sie nicht entgehen sollen; und wenn sie zu mir schreien, will ich sie nicht hören.
Sonntag 17.03.
verstrahlt –
Eine talentierte Geigerin wird vergewaltigt. Derrick untersucht den Fall, weil dieses Verbrechen einer Tötung gleichkommt – wie die Untersuchenden nicht müde werden zu erwähnen. MOZART UND DER TOD ist in seiner Ermittlung und vor allem im Verhalten Harrys gegenüber dem Opfer kaum zu ertragende, höchst unangenehme Paternalisierung. Es gibt zentral in der Folge aber eben auch einen resignierten Alkoholiker, der sich für den apokalyptischen Zustand seiner ziemlich sauberen Wohnung entschuldigt, wirklich hassenswerte Täter und einen märchenhaften Weg zu der Vergewaltigung, der durch seine seltsamen zwischen Agierenden und Zuschauern unterscheidenden Bilder und durch ein entrücktes Lied (MONA LISA? Wird vll. von Eberhard Schoener sein, weil google wirklich nichts dazu ausspuckt, was schade ist.) das Zerfallen einer Realität inszeniert, als ob Alice erst im letzten Moment merkt, dass sie nicht ins Wunderland, sondern zum Schafott geführt wurde.
verstrahlt –
War der Spaß in A NEW BEGINNING spürbar Teil der Verunsicherung und einer Verdrängung, so ist er in JASON LIVES teilweise recht nah an ZAZ, wenn nicht schon kurz vor Karl Dall. Abgesehen von dem Endkampf, der eine der eher uninteressantesten seiner möglichen Varianten darstellt, tut dies der Stimmung jedoch keinen Abbruch, sondern ist Teil einer allgemeinen Überspanntheit, die sehr gut zu durch Blitze wieder zum Leben erweckte Tötungstriebe passt.
Sonnabend 16.03.
großartig –
Die Kälte des Lebens ist für eine blutjunge Prostituierte, die für ihren Beruf nicht geschaffen ist, hier so kalt, dass sie sich in Derrick verliebt. Aus ihrer Perspektive verschmelzen die Bilder Derricks, dieses Horts der Zuverlässig- und Aufrichtigkeit, zu einer gleisenden Montage voll Träumerei. Sie schmilzt entsprechend vor ihm dahin. Die tristen Träume eines besseren Lebens, die darin bestehen den eigenen Körper in einem Club, statt auf der Straße zu verkaufen, enden auf dem Boden der Herrentoilette und die Mitmenschen sind sowieso alle voller Niedertracht. So trostlos ist das alles inszeniert, dass ihre Gefühle – und das ist das Gemeinste daran – glaubhaft erscheinen können.
gut
Das Leben nach der drogengeschwängerten Traumatabekämpfung als THE MOST DANGEROUS GAME. Tommy (John Shepherd) kommt in eine alternative Anstalt. Einer Farm auf dem Land. Draußen wartet Ignoranz und Degenration, innen herrscht Schmier, Obsessionen und die Bilder einer Gemeinschaft, die aufgeleint vor dem Außen steht, bereit alles zu ertragen, sich aber erst im letzten Moment zu wehren. Und irgendwo zwischen innen und außen: Jason. Seltsame Entscheidungen trifft A NEW BEGINNING zuweilen und lässt seinen offensichtlichen Slasher immer wieder ins Obskure laufen, völlig unsicher darüber, wer er nun eigentlich ist. Je länger ich über ihn nachdenke, desto mehr mag ich ihn. Nur: am Akt des Tötens scheint er nur wenig interessiert (manchmal scheint er einer argen Selbstzensur zu unterliegen) und Bilder habe ich auch kaum noch vor Augen. Allen Teilen würden, glaube ich, mehrmalige Sichtungen zugutekommen. Bei keinem anderen habe ich dabei so große Hoffnungen, wie bei diesem. (Bisher zumindest.)
Freitag 15.03.
ok –
Emma und Olive werden im Vergleich zum Buch ausgetauscht. Ist Emma im Buch eine Jugendliche, deren Hände enorme Hitze erzeugen können, ist sie im Film eine Jugendliche, die leichter als Luft ist und Luft kontrollieren kann. Olive ist im Buch ein Kind mit den beschriebenen luftigen Eigenschaften, während sie im Film eine Jugendliche mit feurigen Händen ist. Emma ist in Buch wie Film der love interest von Hauptfigur Jacob, der unterhalb der kalten und indifferenten Welt von Eltern und Schule entdeckt, dass die dementen Erzählungen seines Großvaters der Realität entsprechen. Diese sind mit einem Schlag nicht mehr hilflose Versuche eine triste bis schreckliche Wirklichkeit – der Großvater musste als Kind vor den Nazis in Polen fliehen – in ein Abenteuer umzudeuten, sondern der Schlüssel zu einer aufregenden Welt, wo – verkürzt gesagt – die Unschuld des Kindseins den Unterschied macht, ob jemand ein skurriles Wesen oder eine Horrorfigur ist.
Der Identitätswechsel der Emmas und Olives steht jedenfalls anschaulich für die Richtung ins Ätherische, in der Burton hier seine Obsessionen wendet. Überall sind sie, die Marker der Glorie von Seltsamkeit, die selbst verrückte Wissenschaftler, die Kinderaugen essen, einem ottonormalen Bürger, der sein Leben vorm Fernseher verschläft, vorziehen. Doch bleiben sie alle einzelne Ausstellungsstücke, die rumstehen, kurz präsentiert werden, und dann wieder im luftig-leichten Fluss des Geschehens zurückbleiben, ohne Zeit für Nachhaltiges bekommen zu haben.
Donnerstag 14.03.
fantastisch –
Dies ergibt bestimmt ein sehr interessantes Double Feature mit THE MULE. Nicht nur, weil beide von Drogenkurieren handeln, sondern auch durch den Gegensatz, dass da, wo sich Eastwoods Figur erst dahin entwickelt, sich mit den Konsequenzen des eigenen Handelns auseinanderzusetzen, Vince Vaughns diese wie ein Muli auf Steroiden auf seine Schultern lädt. BRAWL IN CELL BLOCK 99 ist dergestalt ein Melodrama, dass oberflächlich den Protagonisten seine Konflikte mit Gewalt lösen lässt, vor allem aber jemanden mit eisernen Willen zeigt, dessen opaken Gefühle wohl zunehmend der Hölle gleichen, in die sich seine Existenz verwandelt.
Vince Vaughn sehen wir zuerst von hinten, als einen Mann wie einen Schrank mit einem riesigen Kreuz, welches auf seinen Hinterkopf tätowiert ist. Frisur: Glatze. Als erstes wird er gefeuert, dann entdeckt er, dass seine Frau ihn betrügt. Sein Äußeres schreit förmlich nach Gewalt, nach jemanden, der seiner Wut schnell mal freien Lauf lässt. Doch solange er unter Menschen ist, wird Bradley (Vaughn) nie die Kontrolle über sich verlieren. Verhöhnung, Macht(-missbrauch), Gewalt und Zwang: Alles nimmt er hin, wie jemand der nur Gott über sich als Richter hat. Wie eine biblische Figur, die stumm ihr Kind umbringen würde, wenn Gott es verlangt bzw. wenn es nötig sein würde. Erklären tut er sich niemanden.
Wenn er alleine ist, wird er an einer Stelle ein Sorry hauchen. Ansonsten bringt das Alleinsein und die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eignen Schicksal die einzigen Momente von Kontrollverlust. Er schlägt auf Wände und Dinge … und verletzt damit nur sich. Der Humor von BRAWL IN CELL BLOCK 99 sieht dahingehend auch so aus, dass Bradley nach den genannten Enttäuschungen des Beginns das Auto seiner Frau verprügelt. Er wird im Laufe des Geschehens diverse Arme und Beine brechen, Gesichter von Schädeln schleifen, Köpfe zertreten, mehr als alles ist er aber ein Mann der Autoaggression. Da wo seine Prinzipientreue ihn hinbringt, weit weg von allem und jeden, weggesperrt in einem höllischen Gefängnis, in sich, da ist die Gewalt außen auch Ausdruck der Selbstzerfleischung in ihm.
Nach der Entlassung und der Erkenntnis der Untreue analysiert er kurz und knapp die Beziehung mit seiner Frau, rauft sich mit ihr zusammen, wird Drogenkurier, lässt sich zu einem Job mit zwei Typen überreden, die thug for life aus allen Poren schwitzen, erschießt diese, als sie einen Kleinkrieg mit der Polizei anfangen, statt auf ihn zu hören, die Ware erstmal beiseitelegen und einfach ohne Probleme weggehen, landet im Knast, weil er seine Auftraggeber nicht verrät, muss sich dort in einen unmenschlichen Hochsicherheitstrakt für Psychopathen vorarbeiten, um dort einen gewissen Chris Bridge umzubringen, damit seine von einem ob des Verlusts seiner Ware angesäuerten Drogendealer entführte Frau keine irreale Abtreibung von einem koreanischen Spezialisten erfährt, der Embryos die Gliedmaßen abschneiden kann. Einerseits sehen wir so die nach Murphy’s Law vorgenommene Zuspitzung des Lebens eines Mannes, der davon ausgeht, dass wenn er drei unmarkierte Tüten vor sich hat, nie die Kaffeesahne zieht, sondern immer erst die (Mager-)Milch. Andererseits ist es eben auch die Zuspitzung seiner eigenen Unbeugsamkeit. Wer an diesem kalt dokumentierten Inferno Schuld hat, er oder die Welt, das ist Sache der Perspektive – der psychotischen oder der neurotischen.
Das Color Grading der stets leicht überbelichteten Bilder, die grotesken Perspektiven der mit Drogengeld gekauften, vor allem sehr leeren Villa, die engere, nicht weniger Leere der Zelle im ersten, eher angenehmen Gefängnis, die Kacke im defekten Klo im Hochsicherheitsgefängnis, die Scherben auf dem Boden eines verfallenen, vor der Öffentlichkeit versteckten Gefängnistrakts: die Hässlichkeit dieser Welt ist absolut. Je sadistischer sie aber wird, desto mehr herrschen die erdigen Brauntöne und eine organische Unaufgeräumtheit. Während wir also einmal den protofaschistischen Kampf gegen das Schicksal sehen, den Bradley mit allen Mitteln kämpft und wo ihm und dem Zuschauer einiges Unangenehmes abverlangt wird, sehen wir durchaus auch die Welt eines Masochisten bzw. eines Autosadisten lebendig werden, je mehr er auf sein Kreuz laden kann.
Mittwoch 13.03.
fantastisch –
Aus nicht ganz klaren Gründen gibt es hier nur eine musikalische Empfehlung, das wunderschöne Album DRUM’S NOT DEAD von den LIARS.
Dienstag 12.03.
großartig
Wie ein vampirischer Baron sitzt und steht Arnold Renzi (Günther Ungeheuer) vor anderen. Seine tiefe, knarzende Stimme kündet von Endgültigkeit. Er verteilt als Konversation getarnte Schuldsprüche. In der gefühllosen Irritation über abweichende Meinungen bzw. darüber, dass solche möglich sind, steckt eine steinerne Kälte, mit der die Messer geschärft zu werden scheinen, die er einem an den Hals halten wird.
Renzis Sohn wurde von Derrick des Drogenhandels überführt und hat während der Haft Selbstmord begangen. Die Schuld sieht Renzi alleine bei dem Polizisten, der das Geständnis aus ihm herauskitzelte. Und dieser ist in RACHEFELDZUG auffallend dünnhäutig. Als Derrick Renzi das erste Mal anruft – kurz nach dem ersten Mordanschlag und einer ersten indirekten Anklage bzgl. des Selbstmords –, benimmt Derrick sich wie ein eitler Pfau, wenn Renzi nicht sofort mit ihm plaudert. Nach einem weiteren Mordanschlag ist er entsetzt, dass Freunde des Sohnes von dem geplanten Anschlag wussten, ihn und Harry aber nicht warnten, als er sie fünf Minuten vorher traf. Er sitzt auf einer Couch und fasst scheint es so, als ob er den Tränen nahe ist. Und auf alle Anschuldigungen Renzis ist es vor allem Harry, der bissig antwortet, der jede Schuld abstreitet und der mehr oder weniger sagt, sie, Derrick und Harry, haben doch nur ihren Job gemacht.
Dieses Schweigen und möglicherweise Leiden Derricks dafür ist der markanteste Indikator dafür, dass RACHEFELDZUG, abgesehen von einigen hüftsteifen Action- und Thrillmomenten, von einer Abhandlung von Schuld angetrieben wird. Renzi weist alle Schuld von sich, auch wenn er der Großhändler seines Sohns war, er spricht davon, dass der Mittelpunkt seiner Familie herausgerissen wurde, dass ein Mensch mit Lebensleichtigkeit zerstört wurde – er spricht diese Worte suchend aus, scheint sie in seinem Mund abzuschmecken, um all die Dramatik auszudrücken, die sein Verlust ist, die all seine Verstrickungen verstecken –, genau wie Harry bellend eine Ignoranz zutage trägt, die ihn in die Nähe eines Nazihandlangers rückt. Sicherlich, der Sohn war ein Drogenhändler und nicht das Schaf, das Renzi einem aufbinden möchte, aber darauf bezieht sich Harry nie. Reflexartig drängt er alles weg, was sich für ihn wie Schuld anfühlt. Und so scheint es vor allem Stephan Derrick zu sein, der die Schläge auf sich eindringen fühlt, die in seiner Menschlichkeit, seinem Mitgefühl begründet liegen, Schläge, die mit schleichenden Zooms in eine Welt voller Unwohlsein, Blicken auf Füße und Angst getragen werden.
Zwischen makabren Witzen, wie Autobomben und Drohanrufe, die nur aus dem Abspielen des Soundtracks von SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD bestehen, zerrinnt die Sicherheit von Derricks Welt. Und da war DERRICK immer am besten. Denn hier landet er auf anklage- und schuldvolle Partys von den Freunden des Sohns – Späthippies, die ihre Lebenslust mit Panflötenmusik unterlegen. Wir werden so wieder an Orte geführt, die gleichzeitig von einer uns nahen bundesdeutschen Realität erzählen, einer vll. viel zu nahen, aber diese so zusammensetzen, dass alles sich wie in einem schrägen Fantasyfilm anfühlt.
großartig –
Eine Prostituierte wird im Park ermordet. Der Spürhund kann den Mörder bis an die Haustür verfolgen. Doch wer war es? Der zum Reineckerinventar gehörende größenwahnsinnige Student mit den tiefgründigen Gedanken (Horst-Günter Marx), der schwitzige, sich im Griff von Alkohol und Wahnsinn befindliche Poet mit dem Edgar Allen Poe Bild an der Wand (Udo Vioff), der schmierige Provinzcharmeur (Jürgen Schmidt), der zu schüchtern ist, dem Drang des Übergriffigen nachzugeben, und der seine Scheidung noch nicht überwunden hat, so oft er nonchalant von ihr spricht, der Hausmeister (Klaus Herm), der sich wie ein Triebtäter aufführt und der die Berge an Pornographie immer wieder in die Ecken seiner Wohnung zurückdrängen muss, oder doch die völlig unverdächtige Frau Dr. Kolbe (Christine Buchegger), die den Tod ihres Ehemanns nicht verkraftet? Die Lösung des Falls ist ziemlich offensichtlich. Lange vor der Auflösung gibt es dann auch schon einen fast metatextuellen Moment, wo des Rätsels Lösung von Derrick selbst ausgesprochen wird. Aber wenn Derrick das männliche Personal vernimmt und auch noch die verdeckt ermittelnde Sylvia Mohn (Svenja Pages) ins Haus einschleust, dann feiert SCHREI IN DER NACHT eine schräge Sause maskuliner Überheb- wie Unzulänglichkeit.
Ps: Ich hoffe, dass dieser direkt aus den Actionfilmen der Zeit übernommene Staatsanwalt, der Derrick wegen dessen überzogener Maßnahmen sporadisch die Hölle heiß macht, nie wieder auftaucht. Oder zumindest einer sinnvollen Verwendung zugeführt wird.
Sonntag 10.03.
ok –
Es gibt eine Kampfszene, in der Carol Denvers (Brie Larson) – die kommende Captain Marvel – ein weiteres und nicht das letzte Mal zu sich findet und wieder mehr Potentiale aus sich herauskitzelt. Im Alleingang kämpft sie sich durch Massen ihr nun gnadenlos unterlegener Gegner. Dazu hören wir No Doubts JUST A GIRL, weil Girlpower. Nicht nur sehen die Kämpfe im Grau in Grau des Raumschiffs nach nichts aus, sie korrespondieren ebenso nicht mit der markanten Dramaturgie des Liedes. Die Strophen bilden in diesem nämlich die bedächtigeren Absprungstellen für den energetischen Ausbruch des Refrains. Der Kampf ist aber nicht um dieses Auf und Ab rhythmisiert, sondern geschieht in einer gleichbleibenden Geschwindigkeit … völlig an dem Song vorbei.
Symptomatisch ist dies für einen Film, der mit einigen mehr oder weniger tollen Ideen ausgestattet ist, die zumeist auch halbwegs funktionieren, die aber allesamt faul und lieblos umgesetzt sind. Die Neunziger, in denen der Film spielt, sind beispielsweise auch nur eine manchmal sichtbare Tapete aus Songs, die einfach hier und da reingeschmiert werden, (Film-)Plakaten und langsamen Computern. Ein Witz hier und da, ein Geschmacksverstärker dort, aber angestellt wird damit nichts. Und so ist es wie so oft im McUniverse: Wir werden durchaus gut unterhalten, aber irgendwas Interessantes, Aufregendes, irgendwie Schönes ist in der netten Kurzweile eine ausgesprochene Seltenheit.
Vll. ist es wirklich emblematisch, dass ein BLACK WIDOW-Film Scarlett Johansson verwehrt wurde und nach 10 Jahren männlicher Dominanz eine kecke, saubere Frauenfigur einen Film bekommt, die nicht weiter mit Sex oder Sinnlichkeit konnotiert wird und die einem verkaufen soll, dass Marvel schon immer auf der richtigen Seite war. (Wichtiger Hinweis: Nichts gegen Brie Larson, die völlig verspielt eines der Highlights von CAPTAIN MARVEL darstellt.) Die Grenzen der ausgestellten Wokeness stehen jedenfalls klar im Raum und es ist zudem so, dass alles dermaßen entkernt ist, dass auch ein zentrales Essen mit Außerirdischen über den Kontext hinaus nicht spürbar wird. Sprich: Es könnten hier auch Plastikpuppen zu sehen sein, die vor der Idee von Essen sitzen. Schmecken oder riechen tut hier nichts.
Wahrscheinlich haben CAPTAIN MARVEL und seine Vorgänger die hier und hier aufgezeigte Verachtung verdient, ich konnte sie bisher nur bei CIVIL WAR und ANT-MAN AND THE WASP aufbringen. Ich denke, ich könnte – vorausgesetzt es gibt entsprechende Klo-, Ess- und Schlafpausen, das gesamte McUniverse am Stück schauen, ohne größere Abnutzungserscheinungen zu erleben. Es geht einfach super runter … und die emotionale Manipulation ist doch soweit ausgefeilt, dass ich tatsächlich mit den Figuren mitfiebere … trotz der handwerklichen und ästhetischen Engpässe, die die Filme fast durchweg darstellen. Und ich versuche es immer noch zu verstehen, wieso das so ist.
I mean Led Zeppelin didn’t write tunes everybody liked. They left that to the Bee Gees. Oder scheinbar eben Marvel. Nach den paar Ausflügen in Sachen künstlichen Anspruch in der ersten Phase hat es sich das MCU an einen Ort gemütlich gemacht, wo es keine Ecken und Kanten gibt. Wo nichts zu komplex oder ambivalent ist, wo das Wiederauftauchen von Dingen und Charaktere, die von irgendwo her bekannt sind, den Anschein von Komplexität mit sich führen. Alles ist nett. Nichts ist zu albern oder zu trocken. Nichts zu aufwühlend oder zu lethargisch. Das MCU scheint an Filmen wie STAR WARS: THE PHANTOM MENACE geschult, seine Bögen nicht zu überspannen. Und was dann noch fehlt ist ein ziemlich gutes Tondesign und eben die Musik. Die zu Beginn beschriebene Szene funktioniert eben mehr oder weniger trotz aller Abstriche, weil das Lied sehr gut gewählt ist. Und vll. ist es das: Das MCU ist eine größer angelegte, schlampige VJ-Arbeit für eine ziemlich gute Playlist ist.
großartig –
Fast alles ist besser, als in den vorangegangenen Filmen. Der Wahnsinn, mit dem die Überlebenden genau dieses Überleben bezahlen, ist wirklich durchgedreht. Das Ableben, der kaum mit Leben gefüllten Figuren, sind richtiggehend genießerisch – entweder gibt es optisch interessante Ort, wie das Wohnzimmer in dem ein Projektor mehrere Stummfilmkurzstripteasefilme vorführt, kontextualisierte Mordmethoden und überhaupt interagiert Jason mit dem sexualisierten Geschehen, statt einfach nur wahllos zu töten. Und Tom Savini ist wieder für die Effekte zuständig. Kurz: Es macht Spaß diesen Teil zu sehen und ihn wirken zu lassen.
Am gruseligsten ist aber ein Schnitt, der zu Corey Feldmans Figur führt, der unter einer Motorhaube steht. Gerade waren wir noch beim Nacktbaden und holterdiepolter folgt eine kaum weniger sexualisierte Einstellung. Normalerweise zeigt diese den Po einer in technischen Sachen hilfebedürften Frau, nur, dass es hier ein Zwölfjähriger ist, der sich in dieser befindet. Vll. liegt es an den Vorwürfen Feldmans in seiner Autobiographie COREYGRAPHY, dass er in seiner Kinderstarzeit Opfer sexuellen Missbrauchs wurde, dass dies so herausstach. Ich kann mir aber nicht helfen, dies etwas unangenehm zu finden.
Sonnabend 09.03.
großartig
Petzolds dritter Polizeiruf ist eine Variation seines ersten. In KREISE wurde mit den Bausteinen eines Krimis ein Liebesfilm verdeckt. Durch die Obsession eines Gestalters für Modeleisenbahnlandschaft, der diese klischeehaften Aufsteller durch Brüche lebendig machen wollte, wurde dies in die Oberfläche der Erzählung eingewoben. TATORTE ist ein Film der Trennung – es ist eben auch der letzte Auftritt von Matthias Brandt als Hanns von Meuffels. Von Meuffels ehemalige Partnerin, beruflich wie privat, Constanze Hermann (Barbara Auer) ist an eine Polizeischule gewechselt, wo sie Tatorte für kommende Polizistinnen baut. Sie wird gezeigt, wie sie offensichtliche Selbstmordszenen aufbaut(e), die kleine Widersprüche enthalten. Es soll eine Lehre sein, sich nicht täuschen oder ablenken zu lassen. Den offensichtlichen Mord eines Mannes an seiner Exfrau als Höhepunkt eines Sorgerechtsstreits behandelt von Meuffels, während er den Trennungsschmerz verarbeitet bzw. die Trennung nicht hinnehmen möchte. Der Fall läuft sehr offensichtlich daraufhin, dass das Offensichtliche nur gestellt ist und sich ein anderes Verbrechen dahinter verbirgt. Dass der mutmaßliche Täter unschuldig ist. Am Ende wird von Meuffels aber das Persönliche und das Offensichtliche von dem abgelenkt haben, was wirklich zählt. Von Meuffels wirft in TATORTE mit Handys, er würgt Telefonate ab und stellt seine Constanze vor gemachte Tatsachen, brüllt und grantelt, grantelt und brüllt, er steht genervt im Wind, der hörbar und enervierend am Tatort an der Absperrleine zerrt, oder er geht resigniert und schweigend eine Treppe hinunter. Ein Mann fällt im Angesicht des Ortes, an den er sich manövriert hat, in Katatonie. Tatorte erzählt von Kämpfen, die zu nichts mehr führen, von Leuten, die sich verrannt haben und andere dafür bluten lassen, von Leuten, die den Blick vom Offensichtlichen nicht abgewendet bekommen und deshalb nicht sehen, wo sie hinlaufen. Und der Zuschauer wird möglicherweise einen Herzschmerzfilm und Krimi gesehen haben, der ein Seelendrama versteckt hält.
(TATORTE ist zudem ein Film, der sich vom Kino zu verabschiedet. Der Tatort des Mordes ist ein leerstehendes Autokino und der Ort, an dem wieder Frieden herrscht, ist vor einem Fernseher, auf dem die DVD eines Laurel und Hardy-Films läuft.)
fantastisch –
Bei critic.de gibt es etwas dazu von mir zu lesen. Es sei aber gesagt, dass ich nur eine leichte Ahnung habe, was ich da gesehen habe.
Freitag 08.03.
nichtssagend
Tatsächlich verwendet Miner die dramaturgische Kurve des zweiten Teils ein weiteres Mal. Nach der ausführlichen Wiederholung des Endes des vorangegangenen Teils folgen 50 Minuten aus Antäuschungen von Todesgefahren und der Ermordung von peripheren Figuren. Darauf folgt wiederum die überstürzte Abschlachtung aller Anwesenden – Jason tötet auch nur noch, weil er eben Jason ist – worauf der Überlebenskampf des Final Girls folgt. Der Anfang, wenn Jason bei einem obskuren Ehepaar sich neue Anziehsachen holt, ist vielsprechend, weil FRIDAY THE 13TH PART III einen lustvollen, sich selbst nicht so ernstnehmenden Film ankündigt. Es folgt aber kaum Buntes, noch weniger Grusliges und nur ein bisschen an phantasievollem Splatter. Aber eigentlich ist es ja auch FRIDAY THE 13TH 3D, nur leider habe ich ihn so nicht gesehen. Lediglich die Ahnung hatte ich, dass die notorisch in die Kamera gehaltenen Phalli oder das auf den Zuschauer zufliegende, aus einem Kopf poppende Auge mit einer dritten Dimension alles etwas aufgewertet hätte.
Donnerstag 07.03.
gut –
Die strafende Über-Ich-Mutter ist tot und die Teenager werden nun von einem verwahrlosten Aufgewachsenen verfolgt, der seine Sexualität mit der Machete ausdrückt. Dieser neue Slasher kann damit überwunden werden, wenn sich das Sexualobjekt in eine Mutter verwandelt. Ziemlich wirr und spannend ist das. Genau wie der dramaturgische Umgang mit einem Terrier, die Weißblenden nach den Morden und die zuweil ausdrucksstarke Inszenierung sexualisierter/verängstigter Frauen. Da wo der Vorgänger aber sofort mit dem Morden anfängt, tötet sich die Fortsetzung lange nur durch die Peripherie und lässt dann große Teile des Camppersonals leben, weil nicht mehr genug Zeit für weitere Tötungen ohne Esprit vorhanden ist.
Mittwoch 06.03.
fantastisch –
In den 50iger und in weiten Teilen der 60iger Jahren befand sich die USA in ihrer Biedermeier-Hochphase. Diese bildete das geeignete Pflaster für diese sadistischen Pappschachtelwelten, welche sich vom noch größeren Sadismus der Anpassungsverpflichtung der us-amerikanischen Gesellschaft speisten. An ihnen wird herumgeschüttelt und in ihnen die Temperatur aufgedreht, bis die Figuren ihre zwanghafte stoische Ruhe verlieren und in einen Nervenzusammenbruch übergehen.
Klaustrophobisch ist es in diesen Welten, als ob die Realität an der Stadt- bzw. Grundstückgrenze aufhören würde. Fast will es scheinen, dass jemand mit seinem begrenzten Barbie- oder Playmobilarsenal diese Orte erschaffen hatte. Die in ihnen lebenden Figuren verbiegen sich derweil, um etwas in sich zu verstecken. An den Körpern sind die Fesseln der Neurosen und Psychosen abzulesen, die zur Belohnung ihrer Selbstkasteiung sprießen.
Meist stammten die dazugehörigen Verfilmungen aus der Feder von Tennessee Williams. REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE passt sich nahtlos ein, es handelt sich jedoch um eine Romanverfilmung eines Werks von Carson McCullers. Vll. bildet er, veröffentlicht im Sommer der Liebe, sogar den Schwanengesang dieser Art von Film, in denen Repressionen langsam aufbrechen und schließlich wie Stürme über die Figuren hereinbrachen.
REFLECTIONS IN A GOLDEN EYE kam zuerst in einem goldenen Farbton in die Kinos, der über die Technicolorfarben gelegt wurde, die nur noch schwach durchschienen. Warner zog diese Version aber aus dem Verkehr und tauschte sie gegen Kopien mit natürlichen Farben aus. Ein Film über unterdrückte Homosexualität, über Voyeurismus, über voneinander und von sich enttäuschte Menschen, die nur noch in einem mehr oder weniger unterschwelligen Sadismus miteinander umgehen, ein Film über Fetischismus, ein Film, der über Blicke durch Fenster und Türen, in Spiegel und in aller Heimlichkeit erzählt wird, ein Film, in dem die Leute die auf sie einwirkenden Lüste als (Selbst-)Geißelung reflektieren, ein Film, der sich im Grundzustand aus Verzerrung und Delirien befindet, der vor allem als bittere, galgenhumorige Groteske funktioniert, ein solcher Film ergibt in natürlichen Farben kaum Sinn. Vor allem, wenn er eben mit den passenden Scheuklappen eines alles verfremdenden Gold genossen werden kann.
Sonntag 03.03.
großartig –
Deutschland in der Hand der Drogen – und wir wissen, bei DERRICK heißt das immer Heroin. Zu Beginn: entrückte Bilder einer Schule, die von Sucht und mentaler Zerstörung durchzogen ist. Gegen Ende: der Fatalismus, dass dem nichts entgegenzusetzen ist, weil der Drogenbaron saubere Hände vorweisen und für seine Die Polizei sind Papiertiger-Rede nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil ein Dealer an den Entzugserscheinungen stirbt und nicht aussagen kann. Dazwischen Disco, skrupelweckende Beischlaffähigkeiten und die Wiederkehr des ranzigen Oberdrogenermittlers sowie der Uzi benutzenden Drogengangster aus AUF MOTIVSUCHE.
ok
Dass Oliver N. diese Folge sehr gefallen hat (Beweis hier) liegt, so liegt es nah, daran, dass es eine Folge für ihre Schauspieler ist. Besagter Oliver N. flutet unter FACES OF DERRICK gerade das Gesichtsbuch mit Kurzbiographien und Screenshots der unzähligen Nebendarsteller der Serie. Hier dürfen eine Reihe von ihnen (u.a. Ernst Hannawald, Uwe Friedrichsen, Hans Peter Hallwachs, Henry van Lyck) der Reihe nach als Verdächtigte in Erscheinung treten, nur um dann wieder der Reihe nach einer Überlebenden eines Mordes vorgeführt zu werden, die den bei der Tat maskierten Mörder ihrer Mutter nur an der Stimme erkennen kann. Der triste Höhepunkt dieser Aufreihung ist der Verlobte der jungen Frau, der nicht mal mehr den Anstand aufbringt, die Tür zu ihrem Krankenzimmer aufzumachen, und sie per Anruf verlässt, als er erfährt, dass sie womöglich ihr Leben lang eine Krücke brauchen wird.
großartig –
Für die Camper in Camp Crystal Lake gibt es nur eine rudimentärste Einführung. Sie mögen Quatsch und Sex. Der ziemlich unmittelbar einsetzende Kampf gegen einen Slasher wird so weniger auf einer menschlich-mitfühlenden Ebene ausgetragen, als auf einer existentiellen. Denn hier geht vor allem das internalisierte Über-Ich auf sie los, welches ihnen Quatsch und Sex verbietet.
Sonnabend 02.03.
radioaktiv –
In THE SIGN OF THE CROSS gibt es eine Orgie, wo Patrizier Marcus Superbus* (Fredric March) seine christliche Gefangene Mercia (Elissa Landi) zur Dekadenz bekehren möchte – schließlich liebt er sie. Er lässt zu diesem Zweck die berüchtigte Tänzer- und Sängerin Ancaria (Joyzelle Joyner) ihr verruchtestes Lied aufführen. Dieses Lied wird aber zunehmend vom Gesang der auf der Straße vorbeigeführten Christen übertönt, die zum Circus Maximus und ihrer Abschlachtung geführt werden. Das Erhabene bringt das Verdorbene aus dem Tritt. Ancaria kann sich nicht auf ihr Tun konzentrieren und bricht immer wieder entnervt ab, nur um umso verzweifelter weiter zu machen. In diesem Moment wird die prognostizierte Überlegenheit der Sittsamkeit über eine verkommene Gesellschaft deutlich. Der Endsieg des Christentums, so legt dieser Moment nahe, wird zwangsläufig kommen.
So sehr THE SIGN OF THE CROSS aber vorgibt auf der Seite dieses Seelenfriedens zu sein, den das Christentum bringt, so geschieht in ihm stets das Gegenstück dieser Szene: Das Verdorbene bringt immer wieder das Erhabene aus dem Tritt. Fredric March, dessen Marcus Superbus nach Ansicht Mercias vor Liebe völlig konfus agiert, hat nur einen glaubhaften Auftritt. Wenn er nämlich den Plebs rücksichtslos aus dem Weg peitscht, der zwischen ihm und dieser Frau steht, die sich nicht als nächstes Opfer seiner Fleischeslust, sondern als seine Bekehrerin herausstellen wird. Nicht die Szenen der Märtyrer und Seelenbefriedigten sind die überzeugenden, sondern die, wo Poppaea (Claudette Colbert) in einem riesigen Pool aus Eselsmilch badet – ihre Nippel stets keck vorm auftauchen – und einer Besucherin befiehlt sich zu entkleiden und zu ihr in die Wanne zu kommen; wo Gorillas und Krokodile auf nur spärlich mit einen Blumenkranz bekleidete Gefesselte losgelassen werden; wo Nero (Charles Laughton) vor dem brennenden Rom auf einer Bühne aufgegeilt tanzen und Lyrik schmettern darf.
Das Herzstück von THE SIGN OF THE CROSS, die Aufführung im Circus Maximus, wird so zum Bumerang. Mit aufgerissenen Augen werden immer wieder die Zuschauer gezeigt, die sich Gladiatorenmassaker ansehen, die frenetisch den Daumen nach unten halten und sich an ihrem eigenen Entsetzen aufgeilen. Es sind Bilder einer Brandmarkung dieser imaginierten Zuschauer, die sich nur graduell von dem Publikum unterscheiden können, die THE SIGN OF THE CROSS genießen.** Einem Film, der eine Läuterungsgeschichte pflichtschuldig vorträgt, sich aber an Fleisch und Gewalt aufgeilt.
*****
* Eine der Vergütungen vom Leben mit meinem romanophilen Vater war sein kopfschüttelnder Kommentar beim Betrachten der Hülle, dass es zu der Zeit keinen Superbus‘ in Rom gab. Er schimpft dann immer – Nero zur Verteidigung springend –, dass solche Filme Märchen (im Sinne von Lug und Trug) seien. Als ob ich seine Predigten nicht schon lange verstanden hätte, als ob es irgendwas daran ändern würde, wie toll Märchen sind.
** THE SIGN OF THE CROSS kommt hier einer meiner liebsten Stellen aus UNENDLICHER SPASS von David Foster Wallace sehr nahe, nämlich dem folgenden Eintrag in die fiktive (und trotzdem sehr ausführliche) Filmographie des James O. Incandenza: Käfig III – Gratisvorstellung. v. SZ. Latrodectus Mactans Productions/Infernatron Animation Concepts, Kanada. Cosgrove Watt, P.A. Heaven, Everard Maynell, Pam Heath; teilanimiert; 35mm; 65 Minuten; schwarzweiß; Ton. Die Allegorie des Todes (Heath) bewacht den Haupteingang einer Jahrmarktsattraktion, deren Zuschauer verfolgen, wie sich Darsteller unsäglichen Erniedrigungen unterziehen, die groteskerweise so fesselnd sind, dass die Augen der Zuschauer größer und größer werden, bis sie schließlich nur noch riesige Augäpfel auf den Sitzen liegen. Auf der anderen Seite des Zeltes lädt derweil die Allegorie des Lebens (Heaven) Jahrmarktsbesucher über Megaphon zu einer Vorführung ein, bei der sie, sofern sie sich unsäglichen Erniedrigungen unterziehen, verfolgen können, wie sich normale Menschen schrittweise in riesige Augäpfel verwandel. INTERLACE-TELENT-SPIELFILMPATRONE Nr. 357-65-65.
fantastisch –
Das titelgebende Picknick am Hanging Rock und alles, was dorthin führt, geschieht in der Atmosphäre eines heißen Sommertags, an dem nichts mehr zu tun ist. Die Bilder sind warm, flirrend und die Schnitte schaffen weiche Übergänge, statt klarer Kanten. Die Mädchen eines Internats verlassen, wenn sie vom Internat zum Hanging Rock fahren, manierlichen Einstellungen gesellschaftlicher Fesselungen und lassen zunehmend die Sonne auf sich scheinen. Es sind Bilder eines osteuropäischen Märchenfilms, der sich am Rande zu romantischer Softerotik befindet, die wiederrum am Rande zu einem Horrorfilm steht. Ein kommender Schicksalsschlag kündigt sich an, liegt durch Koinzidenzen in der Luft – fast gewahrt alles an einen Traum – und wird mit offenen Armen empfangen. Obwohl alles auf ein Drama, auf Gewalt und Tod hinauszulaufen scheint, wirkt alles geregelt. Der Frieden mit sich ist gemacht, was auch immer geschehen wird.
Ein Schrei, der wie ein Messer Teile aus der (erklärbaren) Realität zu schneiden scheint und Erinnerungen tilgt, beendet dies alles. Der herrschende Einklang zerreißt. Die folgende Suche nach den verschwundenen Mädchen und der Lehrerin ist kaum weniger märchenhaft als der Beginn. Die Figuren und die Inszenierung neigen zum Expressiven und Irrealen. Es herrscht nun aber eine tief sitzende Unbefriedigtheit. Obsessionen, Depressionen, Sadismus und masochistische Selbstgeißelung verbergen sich dürftig hinter den Handlungen, hinter der Suche, der Leugnungen eigenen Fehler, der Versuche den Status Quo aufrecht zu halten, wenn nicht gleich offene Verzweiflung herrscht.
PICNIC AT HANGING ROCK erzählt vom Aufwachsen in und Ausführen einer strengen, mechanischen Erziehungskultur, die Jugendliche als Befehlsempfänger sieht, von sexuellem Erwachen, von Sehnsucht nach einer Geliebten oder auch von Menschen, die sich in etwas verrennen. Doch das sind nur Nebenprodukte der romantischen Erzählung, die von einem Mysterium handelt und dem Leben damit. Nach ca. 40 Minuten, nach dem Schrei, werden Erklärungen gesucht, Strohhalme, die einem helfen, mit einem Trauma zu leben, mit einer unheilbaren Lücke im Inneren. Der erste Teil, sooft auch sexuelle Gewalt, Mord und Übernatürliches als Motive unzulänglich bleibender Antworten angedeutet werden, erzählt aber von nichts anderem als einem Selbstmord. Denn, egal wie sehr das Verschwinden in der unaufgedeckten Realität vielleicht das Produkt eines Übergriffes ist, so begeben sich die Mädchen und vor allem Miranda (Anne-Louise Lambert) doch freiwillig in einen begrüßten Tod, der schon in seiner Erwartung wie eine Erlösung scheint. PICNIC AT HANGING ROCK ist so das in Poetische verschobene Psychogramm eines Freitodes und dessen Wirkung auf die Hinterbliebenen.
Freitag 01.03.
gut
Eine Frau, die sich nicht zwischen Vater und Sohn entscheiden kann, zwischen einem prostitutionsnahen Leben im Showgeschäft – in einem Glamour, der hier reichlich schäbig aussieht – und der Liebe in finanzieller Unsicherheit, aber an leuchtenden, glückverheißenden Quellwässern im (zivilisationsnahen) Wald. Stellvertretend dafür, wie mit ihr in diesem verquatschten Roughie umgesprungen wird, begründet ihr gerade aus dem Knast entlassene Ehemann seinen Tötungsversuch an ihr damit, dass sie ihn doch verlassen wollte. SATAN IN HIGH HEELS ist ein Film voller trauriger Psychopathen, wo eine Frau zum Überleben die Taffste sein muss … oder eben Satan für melancholische Arschlöcher. Zu nett ist sie eigentlich noch, denn vll. ist ihr größter Fehler ihre Unentschlossenheit, die den melancholischen Arschlöchern die Möglichkeit gibt, sich über sie zu erheben. Mitgefühl bekommt sie hier jedenfalls von keiner Seite … auch nicht von SATAN IN HIGH HEELS, der statt Eskalation nur einen weiblichen Bösewicht nach biestigen Moralvorstellungen sucht.
Februar
Mittwoch 27.02.
nichtssagend
Jeder in SACRIFICE wird durch seine Vergangenheit bestimmt. Vll. hat nur das Budget gefehlt, um auch Christian Slaters Pfarrer ein paar schummrige Flashbacks aus seinen Einsätzen in Afghanistan zu verpassen. So spricht er eben nur darüber. Jeder in SACRIFICE hat aber nur genau einen traumatisierenden/ihn definierenden Moment, weshalb die eindimensionale Optik auch schon wieder perfekt passt und weshalb der Film, der sein Augenmerk mehr auf das Drama und weniger auf die Action legt, wie eine Collage ausgehöhlter Motive wirkt.
Montag 25.02.
gut
Die erste Hälfte, die sich ihrem Jahrmarkts- und Geisterbahncharakter hingibt, mag ich sehr. Wenn die zweite Hälfte dann abermals die Ungläubigen vorführen und durch ihre Ignoranz für Schlimmes verantwortlich machen muss, aus denen die verkannten Geisterjäger alle retten, dann ist das nicht nur uninspiriert, sondern zeugt von einem nervigen Minderwertigkeitskomplex.
Sonntag 24.02.
gut
Die Musik ist toll. An Bernhard Hermann erinnert sie und unterstreicht das Hitchcockeske dieses Thrillers, der sich durch Andeutungen, unerklärte Gewalt- und Zärtlichkeitsausbrüchen in der brodelnden Ruhe und überdefinierte unterdrückte Homo- bzw- Bisexualität als Handlungsmotivator diverser Figuren auszeichnet. Die durchaus schöne Mischung aus Auslassungen, Momenten von Wahnsinn und etwas wie Verfolgungsjagden durch ein messerscharfes Maisfeld endet aber zu oft im Gesicht von Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan, der gedankenschwer grübelt.
großartig –
Dass ich mit meiner Tochter wiederholt dieselben Filme in kurzer Zeit schaue, hat den schönen Effekt, dass sich meine Ahnung bestätigt, dass ich Filme eigentlich mindestens drei Mal schauen müsste. Das erste Mal ist eben nur ein erstes Kennenlernen, das zweite eine Konfrontation mit dem ersten Eindruck und ab dem dritten Mal herrscht viel mehr die Möglichkeit den Film als solchen gegenüber zu treten. So denke ich zuweilen. Mit jeder Sichtung eines Winnie Puuh-Films entdecke ich eben nicht nur Neues, sondern er wird mir auch viel bewusster. Wie er funktioniert, was er macht. Einiges stört mich so mehr, anderes weiß ich aber auch mehr wertzuschätzen. Ich hoffe, ich schaffe es demnächst auch vermehrte Sichtungen mit anderen Filmen hinzubekommen.
fantastisch +
In der Mitte des Films hängt ein Spitzenvorhang. Es ist ein geradezu abstraktes Bild. Da Marlene Dietrich ihr Gesicht dahinter – in der Unschärfe – bewegt, ist zu erahnen, dass sich dieses hinter der durchlässigen Struktur im Fokus befindet. Die von ihr gespielte Katharina die Große hat zu diesem Zeitpunkt den Höhepunkt ihrer Demütigungen erreicht. Von ihren Eltern wurde sie zur rechtlosen Braut herangezüchtet und als solche an den russischen Königshof verschachert. Ihr kommender Ehemann stellte sich dabei als infantiler Wahnsinniger heraus. Ihre Schwiegermutter offenbarte ihr möglichst gehässig, dass der von Katharina geliebte Graf Alexei (John Lodge) bereits ein Verhältnis mit ihr, der Zarin, hat. Und aus Trotz und Verletzung hatte sie nun gerade Sex mit einem Wachmann … um sich und ihren Peinigern wehzutun – letzteren auf diese Weise eher impotent. Unkenntlich unter einem Stück Stoff verbirgt sie der Film nun, wo sie eine Metamorphose vollzieht, die THE SCARLET EMPRESS in zwei Teile teilt.
Schon vorher befand sie sich unter einem solchen Stück Stoff. Bei ihrer Heirat hing der weiße Schleier vor ihrem Gesicht und erinnerte an Gefängnisgittern, hinter welche sie gesperrt ward. Mit großen Augen schaute sie durch diesen hindurch, typisch für Dietrichs Spiel im ersten Teil. Alles tut sie in der ersten Hälfte, um wie ein junges Mädchen zu wirken. Sie ist stellt ein Lamm dar, dass immer und immer wieder zur Schlachtbank gebracht wird … und das gut genug erzogen genug ist, sich außer diesem staunenden Blick nichts – ob des gegen sie gerichteten Sadismus – anmerken zu lassen. Mit ihren Zofen schaukelt sie oder rennt durch den Palast, aber Ungehöriges, Sinnliches oder Politisches verkneift sie sich, wohl auch aus Furcht vor der (stief-)elterlichen Strafe. Jede Einstellung mit ihr unterstreicht ihre Unschuld, die hinter diesem Schleier in Ketten liegt.
Später, durch den Wahnwitz ihres Umfelds, nach besagter Metamorphose zu Marlene Dietrich-Figur geworden, die in Uniform einen Staatsstreich durchführen wird, wird sie sich auch hinter einem raffinierten Stück Spitze verstecken. Dieses wird diesmal von ihrem Himmelbett hängen. Hier wird sie Graf Alexei betören und ihm nahelegen, dass er nun endlich mit ihr schlafen werden könne, aber mit eben diesem Stück Spitze hält sie ihn auf Distanz. Schlussendlich wird sie Alexei demütigen und ihn den Liebhaber für die kommende Nacht holen lassen. Das Stück Stoff hat sie in eine Waffe umgewandelt, die ihren Körper zwar anbietet, aber ultimativ ihr Hoheitsgebiet sein lässt.
THE SCARLET EMPRESS erzählt so von der Herausbildung und Selbstermächtigung einer Königin, einer Legende. In feinen Details und grobschlächtiger Deutlichkeit – manchmal beides: Kerzen, deren Flamme unter ihrem Atem auszugehen drohen, aber sich wie sie ins Leben zurückkämpfen, oder Heuhalme in ihrem Mund, die wie die Schleier ihre Implikation mit Katharinas Entwicklung wenden – wird lediglich ihre Sicht dargeboten. Wer Geschichtsunterricht möchte, ist hier völlig fehl am Platz, denn der feine Geschmack von Sternbergs war nie deutlicher nur Teil seiner Perversion bzw. der Perversion seiner Filme. THE SCARLET EMPRESS macht Peter III (Sam Jaffe) zu einem noch degenerierten Monster, als die reale Katharina der Nachwelt glauben lassen wollte. Sie selbst wird zur schillernden Heldin gemacht, die sich von der misshandelten Unschuld in die Retterin Russlands verwandelt.
Politisch motivierte Propaganda ist das nicht. Viel mehr das gierige Auskosten von Krankheit und Verfall steht dahinter, wenn THE SCARLET EMPRESS mit all den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Weg der Katharina zum Thron zu einer überdrehten Groteske macht. Gleich zu Beginn fasst eine Montage die Gutenachterzählungen Katharinas Eltern über das russische Reich zusammen. Über ihre ausgestellte Unschuld werden Bilder von Folter, Mord und brutaler Raserei geschüttet. 1934, zu einer Zeit als der Hays Code sich erst durchzusetzen beginnt, kommt THE SCARLET EMPRESS in die Kinos. Dass auch nackte Frauen die Knute dieser Phantasie zu spüren bekommen, ist hierfür ein deutlicher Marker. Und wer nach dem finalen Matchcut zwischen einem Gefesselten, der als Klöppel in einer Glocke schwingt, und der in einem blumigen Garten schaukelnden Katharina immer noch nicht verstanden hat, dass in diesem Russland nur irre Gewalttäter herrschen, der bekommt es in einer Flut an Zwischentiteln nachgereicht. Diese sprechen oberflächlich von der Reise an den russischen Zarenhof und den Entwicklungen dort, doch ihr Sinn scheint eher darin zu bestehen, in Nebensätzen von der Wildheit und dem Wahnsinn des Handlungsorts künden … wie davon, dass Katharina eine Herrscherin wird, die sich außerordentlich erfolgreich einreihen wird. Jeder einzelne Text hat eine solche Information in sich, weshalb sie sich wie ein Teppich unter die Erzählung legen.
Das offensichtlichste Stilmittel von THE SCARLET EMPRESS ist aber das sagenhafte Setdesign von Hans Dreier und vor allem Peter Ballbusch. Dessen expressive Skulpturen von Heiligen und Märtyrern bilden die Geländersprossen, die die Räume flutenden Kerzenhalter sowie die Stühle und Throne. Besonders schön ist der Beratungssaal, wo die Zarin Elisabeth und ihre Berater auf Stühlen sitzen, die durch menschliche Skulpturen gebildet werden, die über den Köpfen der Sitzenden monumental Facepalms vollziehen. Diese gekrümmten und entstellten Figuren schaffen einen fiebrigen Palast, der die Welt der Zaren ins Delirium versetzt.
Bleiben noch das wenig dezente Schauspiel, Banketttafeln, die nach Überfluss und Brechreiz aussehen – und auf denen natürlich noch Skelette sitzen, die sich über Suppentöpfe beugen – oder der ständige Witz, der kein ernsthaftes Haar an Geschichte und Figuren lässt. Einer der schönsten Scherze ist, wenn Zarin Elizabeth eine Rede halten möchte, aber ihr Zepter mit einer Gänsekeule* verwechselt. THE SCARLET EMPRESS tendiert dazu ein aberwitziger Comic zu sein, der alles und jeden mit Dreck beschmiert.
Leichte Unterhaltung täuscht dieser Rausch zuweilen vor, dass es sich fast um einen Film von Ernst Lubitsch handeln könnte – Count Alexei: Your husband doesn’t mean a thing to you. / Katharina: He does! I’ll always be faithful to him. Count Alexei: Don’t be absurd. Those ideas are old fashioned. This is the eighteenth century. Der geile Genuss von Ausschweifungen, Sex und Anzüglichkeit, von Essen, Dekadenz und Verquerem wird aber nicht verspielt zelebriert, sondern im Geiste von Völlerei und Übermaß. Im Mittelpunkt steht immer eine gewisse Monstrosität, wenn diese Geschichte, die durchaus nur die halbe Spielzeit gebraucht hätte, sinnenfreudig ausgekostet wird.
Das Ende wird der Selbstermächtigung Katharinas noch einen Twist mitgeben. Denn hinter dem Stück Spitze wird sich auch in der zweiten Hälfte niemand befinden, der sich von seinen Fesseln gelöst hat, sondern jemand der sich an diese gewöhnt hat, der es sich in diesen zurechtgemacht hat. Kein Augenblick dieses Films wird eine leichte Fröhlichkeit oder Erbaulichkeit gegönnt. Die große Lust steckt, wenn wir THE SCARLET EMPRESS glauben wollen, nun einmal auch dort, wo es einen Tick zu viel und roh ist.
*****
* Dass es sich um eine Gans handelt, ist nur getippt.
Sonnabend 23.02.
ok
Damit ist natürlich nichts erklärt, aber THE DO-OVER ist ein Film mit David Spade in der Hauptrolle. Er spielt einen Mann voller Neurosen, der sich zerfleischt und der seine ihn ausnutzende und malträtierende Umwelt erträgt, statt sich zu wehren. Er spielt also eine typische David Spade-Rolle, die mittels eines mysteriösen Jugendfreundes (Adam Sandler) auftauen muss. Den Action- und Frauen-in-Bikinis-Traum, zu dessen Durchleben er gezwungen wird, eskaliert aber nicht. Weder die prolligen, noch die humanistischen Spitzen, die erreicht werden, sind der Rede wert. Die ins homoerotische ragende Fürsorge seines Freundes wird sauber erklärt und die Witze, die oft darauf basieren, dass sich die starken Charaktere all das einfach leisten, was sich Spades Figur hoch peinlich berührt verwehrt – all das dem Status Quo Unterlaufende wie die völlig neurotisch immer wiederkehrende Homosexualität –, diese Witze sind vor allem verklemmt. Aber vll. ist das eine Perspektive, aus der THE DO-OVER interessant wird, als Portrait einer alles umfassenden Verklemmung.
gut –
Ausführliches gibt es bei critic.de. Erwähnt sei jetzt aber schonmal, dass wer mehr über die Hauptfigur wissen möchte, am besten Stephen Kings THE STAND liest und dort die Figur des Harold Lauder genauer beachtet.
Freitag 22.02.
großartig
Hier gäbe es viel zu sagen und zum Glück hat es schon jemand gemacht: Nämlich Lukas F. im Filmbulletin. Hinzufügen möchte ich nur, dass eine Veröffentlichung des Soundtracks auf Vinyl wünschenswert ist, denn die vorhandenen Schlager bekommen dieses notorische Fritz-Honka-Gefühl nicht, wenn sie nicht wie im Film durch einen Tonarm hervorgerufen werden, der kratzig auf die sich drehende Platte gelegt wird.
Donnerstag 21.02.
großartig +
Der um jeden Preis zu schützende gute Ruf des Bürgertums begräbt hier mal wieder die eigenen Angehörigen, Leute, die ihren Platz suchen, Romantiker und andere Verlorene. Es könnte nach so vielen ähnlichen Folgen abgenudelt sein, aber arbeitet die Klammer – der unter Charme versteckte Weltschmerz eines Claude-Oliver Rudolph führt sehnsuchtsvoll und großklappig, mit anderen Worten zum Verlieben, in die Folge und ein zweiter Mord, der Derrick zu einem Wutanfall bringt, führt als große melodramatische Oper in die Kontemplation des Abspanns – mit größtmöglicher Nouvelle Vague Sensibilität heraus und ist auch sonst in dezent-seltsamer Hochform.
Mittwoch 20.02.
großartig –
Der gealterte Westernheld, der sich mit Automobilen konfrontiert sah, der den Pazifik erreicht hatte und dessen Lebensraum zwischen den sich ausbreitenden Zivilisationen von Osten und Westen versiegte, er war im Spätwestern ein Dinosaurier, der sich auf den Tod vorbereitete. Der von Clint Eastwood gespielte Earle Stone bereitet sich in THE MULE auch auf den Tod vor – er möchte sich mit seiner Familie aussöhnen und sein Haus justified betreten. Auch wettert er, wo er nur kann, gegen die Insignien der Moderne, die ihn überrannten. Er hat aber bereits ein anderes Stadium erreicht. Clint Eastwood ist inzwischen in einem Alter, dass ihn aus der Zeit der Erschließung des Westens in die Gegenwart versetzt hat. Seine – vor allem auch optische – Verknöcherung hat ihn in gewisser Weise über den zu erwarteten Tod hinauskatapultiert.
Der Koreaveteran (und Westerner) in Earle Stone scheint ab und zu durch, wenn er den Gefahren seiner Welt in die Augen schauen muss. Dann ist es wieder da, das steinerne Gesicht mit dem halb geöffneten Mund, aus dem die Zähne wie zwei Messerschneiden herausgucken. Dann sehen wir eine geradezu mythische Figur, die sich tief in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Dann sehen wir Clint Eastwood. Earle Stone entwickelt aber ganz nonchalant eine Anpassungsfähigkeit an die Moderne. Er ist eben nicht nur Veteran, sondern vor allem preisgekrönter Orchideenzüchter, ein eloquenter und offener Lebemann.
Die ersten Minuten von THE MULE zeigen uns Eastwood, wie er selten bis nie zu sehen war, beim Bad in der Menge. Beim lockeren Palaver mit den Teilnehmern eine Orchideenkonvention, beim Entgegennehmen eines Preises, beim Ansturm der Fans liegt ein charmantes Lächeln in diesem Kopf, der nur durch faltige Haut vom Aussehen eines blanken Schädels getrennt wird. Es ist entwaffnend. Sein klappriger Gang ist mehrmals unscheinbarer Mittelpunkt des Geschehens. Wie die ersten Christen auf die bevorstehende Apokalypse warteten, aber sich mit dem Bestehenbleiben der Existenz anfreunden mussten, so musste sich der auf den Tod wartende, mystische Clint Eastwood anscheinend mit dem Ausbleiben seines Ablebens arrangieren. Und deshalb lebt er weiter und zwar in Form eines Faktotums, das – durch das Internet ruiniert und durch die Eitelkeit von der Familie entfremdet – den Anschluss zur Moderne als Drogenkurier findet.
THE MULE geht dieses Auftauen ziemlich geradlinig an – große Umwege kann einer wie Earle Stone auch nicht mehr machen. Ein Schnitt, der einige Jahre überspringt, schafft nach dem Auftakt Tatsachen. Aus dem Genuss des Rummels (um sich) auf der Konvention, für den er auch die Hochzeit seiner Tochter verpasst, wird die Pleite seines Geschäfts und der Umstand, dass ihn seine nächsten Angehörigen nicht aufnehmen wollen. Darauf beginnt jedoch nicht die Läuterung. Der erste Teil von THE MULE ist eine Liebeserklärung an das Leben auf der Straße. Auf das obskure Angebot doch weiterhin durch die USA zu fahren, nur diesmal für andere und nicht für das eigene Geschäft, folgt ein Film voller Wiederholungen und Abläufe, aber vor allem voller Variationen. Earle macht Umwege, um die besten Pulled Pork Sandwiche der Welt zu essen, besucht Freunde, hilft negro folks bei ihrer Panne, lernt dabei, dass dies nicht mehr unbedingt der beste Ausdruck ist, lädt sich zur Entnervung seiner von Gangsterboss abgestellten Kontrolleure Prostituierte aufs Zimmer, besucht Gangsterpartys, tanzt dort mit leicht bekleideten Frauen (und mehr), lernt mit Handys umzugehen. Er genießt sein Leben und gewinnt damit noch jeden: die auf bedrohliche Wirkung bedachten Gangster, die Polizisten, die ihn anhalten, die FBI-Agenten auf seiner Spur.
THE MULE ist laid back, ebenso inszeniert und eine Show für Earles wenn auch knurrige, so doch vor allem naive Anpassungsfähigkeit (und sein Lotterleben). Wen er aber nicht gewinnt, dass ist seine Familie. Deshalb muss Andy Garcia als Drogenbaron dann irgendwann sterben und durch einen engstirnigen wie blutrünstigen Pedanten ersetzt werden – weil der zweite, deutlich kürzere Teil auf Konsequenzen aus ist. Earle wird zu Entscheidungen gezwungen und trifft sie diesmal auch, statt einfach nur weiterzufahren. Der Fluss eines vorbeifließenden Lebens wird ruppiger und wechselt zunehmend zwischen Momenten melodramatischer Stasis.
All dies ist in seiner Zweiteiligkeit ziemlich schlicht und führt zu dem schon zu Beginn erwartbaren verspäteten Erwachsenwerden der Hauptfigur. Doch es macht nicht nur Spaß, wie dieses Ende damit herausgezögert wird, dass Earle einfach so weitermacht wie bisher. THE MULE stellt auch seine kurzen Momente mit Motiven über Familie, Savoir-vivre, Verantwortungsbewusstsein und Verbissenheit zu, dass sich ein komplexer Austausch entwickelt. Statt also weiter auf den Tod zu warten oder durch diesen erlöst zu werden, macht es sich Eastwood in THE MULE im Leben und seinen Widersprüchen bequem und genießt es als Road Movie und Tearjerker.
ok –
Wenn Eddie Kramer am Mischpult sitzt und einzelne Lieder in ihre Bestandteile auseinandernimmt oder wenn diverse Hintergrundinformationen geliefert werden, dann ist diese Erweiterung des Beitrags zu ELECTRIC LADYLAND in der CLASSIC ALBUMS-Reihe durchaus spannend. Wenn Typen rumsitzen und sich die Eierschaukeln, weil sie an diesem großen Monument beteiligt waren, was viel zu häufig geschieht, dann ist es das nicht. Mein Vater hat mir zum Geburtstag eine Box des Albums geschenkt, dass einen 5.1-Mix, Outtakes, ein Live-Mitschnitt eines Auftritts der Experience zu der Zeit sowie eben diese Doku enthält. Da mir gerade zur Doku nicht viel einfallen möchte, folgen nun ein paar kurze Anmerkungen zu Musik und Eltern:
In meiner frühen Jugend habe ich mich mit meiner Mutter immer über meinen Vater lustig gemacht, wenn er Musik hörte. Es war eben auch immer sehr, sehr laut, für mich damals und meine Mutter abstrus laut. Manchmal, wenn er Kopfhörer aufhatte, dann war die Musik in Zimmerlautstärke im Raum zu hören. Je älter ich wurde, umso mehr verstand ich ihn aber. Auch wegen Episoden wie dieser: Mein Zimmer lag gegenüber der Toilette, weshalb mein Vater ab und zu hereinschneite, wenn ihm gefiel was er dort sitzend gehört hatte. Einmal lief ARE YOU EXPERIENCED?, das Debütalbum der Jimi Hendrix Experience, das ich mir gekauft hatte, weil ich seine Hendrix-Best-of und eben seine ELECTRIC LADYLAND-CD durchgearbeitet hatte … und weil ich was Eigenes haben wollte. Er hörte es auf dem Klo, kam rein, ging, ohne ein Wort zu sagen, zu meiner Anlage und drehte die Lautstärke auf. So leise könne solche Musik nicht gehört werden, sagte er und ging. Er hatte Recht, manche Musik steht die durch Lautstärke unterstrichene Physis sehr gut.
Vor gar nicht langer Zeit, fuhr mich meine Mutter irgendwo hin. Weil meine Schule in der Nähe ihres Arbeitsplatzes lag, bin ich oft mit ihr im Auto gefahren und sie hat jedes Mal die Musik ertragen, die ich anmachte. Selbst so etwas wie HEROIN von The Velvet Underground, während sie als einzige CDs die Kuschelrock-Sampler besitzt. Sie beschwerte sich zuweilen, aber ich durfte hören, was ich wollte. Bei der Fahrt letztens, da machte ich SEVEN SWANS von Sufjan Stevens an. Sie erbat sich noch beim ersten Lied, dies auszumachen. Dieses ewige Wiederholen nerve sie. Ich fand sehr interessant, dass elektronische Musik andere Semester sogar nerven kann, wenn sie mit Mitteln der Folkmusik vorgetragen wird.
Musikgeschichte habe ich durch meine Eltern so eben besser verstanden. Wenn beispielsweise Emerson, Lake & Palmer auf der zweiten Seite von TRILOGY vor allem nur noch Krach machten, dann kam mein Vater auch mal herein und lobte mich, weil ich ausnahmsweise mal wieder etwas Hochkultur hörte. Warum dieser Mann, der Black Sabbath bei dröhnender Lautstärke hörte oder diese enervierenden Geräusche als Kultur bezeichnete, so ein Problem mit Punk oder anderer drastischerer oder neuerer Musik hatte, blieb mir lange ein Rätsel. Dann lief aber mal ein Weezer-Konzert auf Viva 2, als ich zum Besuch war. In seiner Gegenwart hörte sich BUDDY HOLLY, dieses in meinen Ohren grundharmonische, anschmiegsame Lied, plötzlich nach Krawall an. Ich verstand mit einem Schlag, welchen Einfluss Punk auf die Musik genommen hatte, was der Unterschied zwischen eruptiven Fiepen bei ELP und dem Dreck im Fundament einer Band wie Weezer war. Weezer, of all Bands.
Dabei hatte er mir schon zu der Zeit ungewollt eine andere Lektion erteilt. Er hatte mir eine Sendung auf arte über The Who gezeigt, die mich total wegfegte. Ich habe lange nicht verstanden, was an der Band nach dem Tod Keith Moons so uninspiriert gewesen sein soll, weil Songs wie PINBALL WIZARD in Liveauftritten mit seinem Nachfolger Kenny Jones gezeigt wurden. Zu Weihnachten danach bekam ich ein 4-CD-Box-Set, 30 YEARS OF MAXIMUM ROCK’N’ROLL … und ich war schwer enttäuscht. Die Lieder klangen so sauber und weich. Ich machte lange den Umstand dafür verantwortlich, dass es sich bei fast allen Lieder um neue Mixe handelte, aber die Lösung stand schon in der ursprünglichen Doku, die mich angefixt hatte. Dort sagte John Entwistle, seines Zeichens Bassist von The Who, beispielsweise, dass die Beatler die besseren Alben gemacht hätten, aber sie sie dafür von der Bühne gefegt hätten. Oder es gibt ein frühes Interview mit Pete Townsend, wo er erklärt, dass Künstler früher bei Liveauftritten wie auf dem Album klingen wollte. Heute gäbe es aber Künstler wie The Jimi Hendrix Expierence oder eben sie selbst, die auf einem Album lieber die Energie und die Gewalt ihrer Bühnenauftritte rekreieren wollen – denn ein bad sound sei oft viel interessanter als ein good sound. (Ich habe diese irgendwo auch grottenschlechten Doku in den Wochen, vll. Monaten zwischen ihrer Aufnahme und dem Weihnachtsgeschenk so oft angeschaut, dass ich seine Stimme förmlich im Kopf höre … unter anderem auch, weil ich lange nicht verstand, was er meinte.)
Später, inzwischen etwas enttäuscht von THE WHO durch diesen Vorfall, kaufte ich mir ein Livebootleg eines Auftritts von Black Flag. Ich hatte kein Geld für ihre Alben, konnte mich zwischen den Einzelnen nicht entscheiden und nahm einfach dieses Livealbum, dass laut Mailorder eine gute Klangqualität besaß. Es hörte sich dann an, wie mit einem Diktiergerät am Ende des Saals aufgenommen. Schlagzeug und Bass werden fast völlig verschlungen und die Gitarren und der Gesang waren verlaufene Aquarelle in einem rotzigen Meer aus Lärm. Ich habe mich unfassbar geärgert, aber weil ich nichts Besseres hatte, habe ich es immer wieder gehört. Als ich dann die Alben von Black Flag nach und nach kaufte, war ich abermals enttäuscht. Wo war die Gewalt hin? Wieso hörte sich das alles so nett an? Ich verstand aber langsam, was Pete Townsend meinte, wenn er sagte, dass ein bad sound interessanter sei.
Aber genug von der Nostalgie eines alten Sacks, der sich durch ein Geschenk an seine Jugend erinnert fühlt. Genug vom Eierschaukeln.
Dienstag 19.02.
großartig
Die Hälfte von LOVESEXY, dem zehnten Album des Princen, wird als Soundtrack der Jugend benutzt. Die Mutter bekommt sehr soften Pop von beispielsweise Phil Collins an die Seite gestellt, während der Edelpuff, in dem sie arbeitet, von exotischen Discokrachern wie Mory Kantés YEKE YEKE untermalt wird. Wenn die Kluft zwischen den Generationen und Geschlechtern am eklatantesten ist, dann läuft Pink Floyds CAREFUL WITH THE AXE, EUGENE … natürlich immer nur in der Phase, bevor der große Ausbruch eine krachende Erlösung bringt. KISSLERS MÖRDER arbeitet sehr stark mit Leitmotiven und bringt die entgegengesetzten moralischen Vorstellungen und die unterschiedlichen Temperamente damit in Stellung.
Eine Frau steht in der Mitte des Geschehens. Umgeben ist sie von drei Generationen von Männern, die ihr vorschreiben wollen, wer sie zu sein hat. Aufgerissene Augen, Einstellungen des Entsetzens ob ihrer Taten – Geld mit Sex verdienen –, Weltschmerz und Selbstgerechtigkeit – es gibt eine sagenhafte Führung durch das Clubhaus, wo ältere Herren indoor zwischen Palmen, Pool und Bars die Anwesenheit von unbekleideten Damen genießen und der Chef erzählt, dass dies nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnis den nötigen Ausgleich vom Stress des Alltags bietet – bestimmen KISSLERS MÖRDER. Es strahlt an allen Ecken und Enden, wenn hier die Inneren der bundesdeutschen Republik auf den Tisch gepackt werden. Nur leider klingt es schon kurz nach dem Mord ab, da das bunte Treiben des Puffs durch eine Ausschließlichkeit einer bürgerlichen Spießigkeit ersetzt wird.
Montag 18.02.
ok
Der Beginn zeichnet sich durch vermehrte Schnitte aus, die den Raum mehr zerschneiden, als dass sie ihn konstruieren würden, aber auch von vereinzelten Annäherungen an Ultrakunst, wenn idiosynkratrische Kamerafahrten nicht nur seltsame Zeichen setzen, sondern auch noch scheinbar völlig unmotiviert zerschnitten werden. Zu Beginn war ich mir sicher, dass der Abspann den Namen Brynych auffahren wird. Doch da wo eben dieser seine Manierismen meist zu einem Ganzen verbinden kann, fällt in WIE KRIEGEN WIR BODETZKI? fast völlig zusammen. Der dramatische Höhepunkt der Folge, wenn Derrick zu einem suggestiven moralischen Zwiegespräch ansetzt, im Zuge dessen er Volker Lechtenbrink dazu bringt, mit zusammengebissenen Zähnen Recht und Moral zu ihrem Recht zu verhelfen, all dies ist in Schnitt-Gegenschnitt ihrer Gesichter aufgelöst. Formell ist alles Eigenwillige, alles Aufregende von dieser Folge zu diesem Zeitpunkt abgefallen.
Seltsam ist WIE KRIEGEN WIR BODETZKI trotz alledem. Einen Agententhriller bietet uns Drehbuchautor Reinecker, in welchem Derrick auf die Schliche von netten Wissenschaftlern (Lechtenbrink, Hans Georg Panczak, Helmut Stauss) gelangt, die sich in die Gegebenheiten des Kalten Kriegs geschlittert sind und dort wie Kinder agieren, die einen Film nachspielen. Mittels eines in vorzeitigen Ruhestand gegangenen Kollegen (Hans Putz) unterwandert Derrick sie, aber vor allem nimmt die Folge mit diesem wieder einen kurzen Umweg zu einem der Themen, das Reinecker gerade in den 80ern umtreibt: den Alkoholismus. Aber so wie dies inszenatorisch zu keiner Linie findet, so ist das Geschehen vor allem bestenfalls eine Collage von Skizzen, die mehr oder weniger zufällig aneinanderkleben.
Es mag auf der Metaebene vll. sogar einiges vergeben liegen, was lohnt aus der vierten Regiearbeit von Horst Tappert gehoben zu werden, aber ein Fakt verdirbt mir jede Lust daran. Mit Gert Haucke als Ostagent mit ikonischer Mordwaffe hat WIE KRIEGEN WIR BODETZKI einen sagenhaften Bösewicht in petto. Er wird aber sinnlos und niederträchtig völlig verschwendet, nur um bei der moralischen Erweckung von drei Naivlingen zu bleiben. Es handelt sich um eine Folge, die alle Potentiale einfach nur verschwendet.
Sonntag 17.02.
verstrahlt
Bilder einer Wüste zu denen eine Stimme aus dem Off einen Schöpfungsmythos erzählt. FATA MORGANA scheint eine einfache Sache zu sein. Bilder über widrige Lebensumstände und von Tod, zu denen von der Entstehung des Lebens erzählt wird. Bilder von Fata Morganen, Bilder einer verschwommenen Realität. FATA MORGANA verbleibt lange bei diesem Konzept und doch handelt es sich um einen Film der Entwicklung. Erst tauchen Kinder in den Bildern auf, werden deren zentraler Inhalt, es folgen andere Kapitel (1. Die Schöpfung; 2. Das Paradies; 3. Das Goldene Zeitalter), die Kommentare aus dem Off, werden aberwitziger, uneindeutiger. Und dann spielt eine Zweipersonenband in tristem Ambiente, während sich die Stimmung eines Loriot-Sketches breitmacht. FATA MORGANA ist vll. das zentrale Element der Beweisführung, dass Werner Herzog vor allem auch Komiker ist, der ob der menschlichen Gesellschaften keine ernsthaften Filme zustande bekommt.
großartig
Ein kurzer Moment, den ich im sonstigen aktuellen Filmgeschehen etwas vermisse: Als Bösewicht und liebevoller Sadist Bhallaladeva (Rana Daggubati) schließlich auf dem ihm lange vorbestimmten Scheiterhaufen landet, fragt er die von Anushka Shetty gespielte Frau/Mutter seines Widersachers (fragt nicht), ob sie nicht mit ihm sterben möchte. Sie, die er 25 Jahre an einer Kette auf einem Marktplatz hielt, die er, ohne dass es BAAHUBALI ausbuchstabieren würde, über Jahrzehnte erniedrigte und quälte, fragt er voller Hoffnung auf eine positive Antwort, ob sie nicht mit ihm im Feuer sterben möchte. Irgendwann davor hat er erwähnt, dass er erkannt hat, dass all die Macht als König, all der Reichtum, alles um ihn herum ihm egal ist, dass er nur dadurch Erfüllung findet, diese Frau zu foltern. Trotz allem dem Entgegensprechenden glaubt er an Gegenseitigkeit in seinem Glück und der Film lässt diesen Psychopathen es auch noch ausformulieren und gibt ihn diesen Moment voller Gefühl, der ihn als Bösewicht nochmal irrsinniger macht – und es muss wiederholt werden –, ohne dies sonst im Film zu behandeln und tot zu erklären. Toll.
Sonnabend 16.02.
großartig
Ein Film, der seine Exposition per Monolog ganz unvermittelt geschehen lässt, wo ein Bahnangestellter dem gerade angekommenen Kris Kristofferson sowie uns erklärt, was los ist. Klar ist danach trotzdem nicht viel, denn vor allem hüllt er sich in eine allgegenwärtige Rätselhaftigkeit, dass nur an der Oberfläche klar ist. Ein Film der Armut und Reichtum in ständige Gegensätze stellt, wie wenn Kristofferson alleine in einem Bahnwagon fährt, während die Dächer des Zugs mit den Armen überfüllt sind. Ein Film, der Ruhe gerne auf lärmende Sequenzen folgen lässt, weshalb es stets wie eine Erlösung wirkt. Ein Film, über die Melancholie eines reichen Mannes (Kristofferson), der mit den Taten seiner Klasse und mit seiner Zugehörigkeit zu dieser nicht zurechtkommt. Das herbe Selbstmitleid eines Privilegierten. Ein Film mit einer Coda, die das Monolithische des Katers Kristofferons an der Existenz, dass sonst nur das Geschehen umweht, als surrealen Endpunkt nochmal explizit werden lässt. Ein Film, dessen Prolog DER LEOPARD als absurden, rauschhaften Tanz in den Verlust der Unschuld variiert. Ein Film, dessen Liebesgeschichte genau diese Übelkeit am eigenen Sein als Dreiecksbeziehung spiegelt, aber die anderen beiden nicht daran ersticken lässt. Ein Film, wo Tanz kurze Inseln der Freude bietet, die in HEAVEN’S GATE immer die Ruhe vor dem Sturm darstellen. Ein Film mit einer sachten Abrechnung mit Nazideutschland, der die deutschen Einwanderer im Angesicht eines staatlich sanktionierten Massakers der Reichen an den Armen sagen lässt, dass das Gesetz nunmal auf der Seite der Mörder steht und in diesem Fall nichts getan werden kann. Ein Film, der von Rauch und Nebel besessen ist und die Bilder bis knapp zur Selbstparodie mit diesen füllt. Ein Film so ernsthaft, dass es fast komisch ist. Ein Film so sinnlich, dass das eben nur fast so ist.
großartig
Anstelle etwas wirklich Aussagekräftigem jetzt ein kurzer Kommentar, der meine Sprachlosigkeit zum Ausdruck bringt: Wie mit dem eskalierten Davidoff-Werbeclip-Hausstil ein vorstellungskraftsprengendes Epos geschaffen werden kann, sehen sie hier.
Freitag 15.02.
ok
Wie später bei 2012 bildet der Weltuntergang nur die atmosphärische Entsprechung eines familiären Auseinanderdriftens. Hier sind es Vater (Dennis Quaid) und Sohn (Jake Gyllenhaal), deren Verhältnis am Erodieren ist. Wo der nachkommende Film dies aber als wilde Achterbahnfahrt inszeniert, lässt THE DAY AFTER TOMORROW seine Welt durchweg mit traurigen Gesichtern untergehen und durch die Erfüllung der Erwartungen von Vater wie Sohn aneinander wieder Ruhe finden.
Mittwoch 13.02.
großartig –
Nach den wenigen Filmen zu urteilen, die ich von Yorgos Lanthimos gesehen habe, ist er am ehesten Choreograph. Am lebendigsten ist ATTENBERG beispielsweise, wenn die Hauptdarstellerinnen wiederholt tanzend den immer gleichen Weg entlanggehen. (Gesammelt gibt es diese Sequenzen auf youtube nur mit Suicides wunderbarem STORM RIDERS unterlegt. Die von markanten Schritten durchbrochene Stille, die den Film bei diesen Tänzen auszeichnet, will mir aber viel mehr zusagen, deshalb zwei Beispiele hier und hier. Godard und Rivette scheinen hier in jungen Jahren für kurze Momente zusammenzukommen.) Auch in THE FAVOURITE gibt es eine ähnliche Tanzsequenz, wo Lady Sarah (Rachel Weisz) mit einem Partner etwas vollführen darf, dass Elemente barocker Tänze mit möglichen Choreographien einer Brittney Spears Bühnenshow kombiniert. (Es ist auch der Moment, der als Katalysator etwas zentrales und bisher Unausgesprochenes in den Film holt.)
Mit seiner Mischung aus prägnanten Szenen und Einstellungen, die gerne Decke und Boden der weiten Gemächer des Palastes von Queen Anne zeigen, vollführt THE FAVOURITE aber auch ohne Tanz eine Choreographie. Hier die Fischaugenoptik, welche den Raum ins Absurde verzerrt und einen Ort kindischen Punks entstehen lässt. Wo hinter dem Anschein von Königlichem und Adligem bestenfalls Jugendliche zu Vorschein kommen, die zwar körperlich Erwachsene sind, hinter dieser Fassade aber Sex, Eifersucht und Machtkämpfe mit einem Feuer und einer Unbedarftheit ausleben, der hinter dem Rücken der Wachenden (Eltern oder eben in diesem Falle der Gesellschaft) wohl stets zu warten scheint. Die ganze Hofetikette mag bei diesen sie Ausführenden wie das Spiel von Kindern erscheinen, die absurde Rituale entworfen haben, um im Spiel ihr Erwachsensein zu beweisen. Und dort gibt es dann eben doch prägnante Momente wie die Treffen zum Taubenschießen zwischen Lady Sarah und der aufsteigenden Abigail (Emma Stone), wo das Spiel ernst wird und unter der ausgestellten Höflich- und Freundlichkeiten nur gefletschte Zähne warten. All dies ist für sich choreographiert, es vollführt aber auch miteinander einen Tanz aus Naivität und bitteren Ernst.
Etwas sich selbst Verformendes wird so nochmal verformt. Der Blick auf den Kampf um Zuneigung, um Einfluss und einfach nur um nicht in die Gosse zurückzukommen scheint vor allem eine Komödie über Leute in überkandidelten Masken, Kleidern und Räumen zu sein. In vielerlei Hinsicht sehen wir etwas gleichzeitig Manierliches wie Verspieltes. Wenn am Ende THE FAVOURITE aber sachte Richtung HOMER THE SMITHERS umschlägt, wenn also die Kinder erwachsen oder unwiederbringlich aus ihrem Paradies vertrieben werden, dann wandelt sich dieser Spaß in etwas Bitteres. Hoffnung mag darin zumindest für Queen Anne (Olivia Colman) stecken, aber diese ist genau so schmerzhaft und gallig wie das schwarze Loch, in das Sarah und Abigail – gerade Emma Stone ist hier perfekt gecastet, weil die Unschuld ganz selbstverständlich aus ihr zu strömen scheint, die sich in THE FAVOURITE als so trügerisch erweisen wird – durch ihr eigenes Tun fallen. Der Verlust des Kindlichem, und darauf steuert diese geschliffene Coming-of-Komödie im Gewand eines Hofintrigendramas zu, ist hier ein dunkler, surrealer Brocken.
Dienstag 12.02.
großartig +
Am nächsten Tag, am 13.02., dachte ich auf dem Weg nach Hause über die blutigen Cumshots nach, die wiederholt auf Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) landeten. Blutschwall auf Blutschwall ergießt sich in THE H8FUL EIGHT über ihr zunehmend zerstörtes Gesicht und mir war nicht ganz klar, ob es die Geilheit des Films ist oder die ihrer Peiniger, die sich damit ausdrückt (wobei das vor allem schwer zu unterscheiden ist und am Ende dieses Gedankenstrangs wohl zwangsläufig Orakeln über die Intension des Künstlers wartet).
Erst da ist mir klargeworden, dass dieser Film, der fast nur von verabscheuenswerten Individuen bevölkert ist, sie tatsächlich nicht von allen in dieser Form behandeln lässt, sondern nur von den drei Männern, die mit ihr in der Kutsche zu Minnie’s Haberdashery fahren, also von denen, aus deren Sicht fast der gesamte Film erzählt wird. Und dadurch verstand ich auch, wie nötig die Rückblende ist, die mich bei der ersten Sichtung etwas gestört hatte. Denn diese enthält wirklich nichts, was den Film erzählerisch weiterbringt, aber es enthält ein Massaker an höchst sympathischen Leuten durch Daisys Verbündete. Ohne diese Rückblende hätten sie einen Kaffee vergiftet und die bei Tarantino obligatorische Person, die unbemerkt im Nebenraum sitzt bzw. hofft dort unbemerkt zu sitzen, sie schießt jemanden die Eier weg. Nicht ganz nett, aber doch eine andere Qualität als das, was THE H8FUL EIGHT Kurt Russell, Samuel L. Jackson oder Walton Goggins tun lässt. Erst die Rückblende reiht sie in dieses Panoptikum von Leuten ein, die von Hass getrieben werden, die mit Gewalt ihre Lösungen suchen, in ein geschmeidiges Panoptikum von Sadismus und von einem Land, dass nach dem Bürgerkrieg immer noch bis ins Mark zerstritten ist und sein böses Blut nur zu gern in Wallung bringen lässt. Manchmal dauert es eben etwas länger…
Montag 11.02.
großartig –
Es ist wie Elternsein: Stephan Derrick läuft zwischen den lügenden Kindern hin und her und kommt in dem erzählerischen Bermuda-Dreieck, das er abschreitet, langsam der Wahrheit näher. Wenn er sie gefunden hat, gibt es eine Art Mord. Repetitiv kommt er also zu den Beteiligten zurück und jeder trägt seine Ästhetik mit sich rum. Die Großbürger in ihren Villen, die das Kommen der Vergangenheit und der Polizei schon immer erwartet haben, wie Hexen die Ankunft des Propheten. Die Kleinbürger, die sich hysterisch an ihren Ruf festklammern und die niederschreien wollen, weil sie zu nichts anderem fähig sind. Am besten ist aber der nach 25 Jahren aus dem Knast entlassene Werner Rutger (Siegfried Lowitz), der alt genug ist, um sich um nichts mehr zu scheren … und der deshalb Prostituierte mit in sein Hotel nimmt und am Morgen danach lakonisch meinte, dass das auch nicht mehr das Selbe sei, während im Hintergrund seine Vermieterin lächelt. Wie ein Schluck Wasser steht er in diesem Film und hat sein Kleinwenig Genugtuung, wenn er anderen das Leben nicht ganz so einfach macht.
Sonntag 10.02.
gut –
Die Schnittfassung der deutschen Kinoveröffentlichung (beurteilt nach den Lücken im deutschen Ton) versteckt (unbewusst?), dass GANGSTERS ’70 von abgehalfterten Männern erzählt, die es ihren Frauen nochmal beweisen wollen, denn besagte Frauen wurden teilweise fast kategorisch herausgeschnitten.
ok +
Damit Harry mal wieder eine Frauengeschichte haben kann – er verführt eine mögliche Zeugin, um an Informationen zu gelangen, indem er ihren Wagen lahmlegt, ihr dann hilft und sie mit seiner sexy Sade-Kassette durch die Stadt kutschiert, er hat natürlich durchschlagenden Erfolg, während wir weiterhin nur Harry Klein sehen, der nie wie ein Casanova herüberkommt – wird alles andere lieblos an die Seite gedrängt. Christoph Waltz spielt eine Rolle, die erst von dramatischer Wichtigkeit erscheint, am Ende aber nur ein, zwei Sätze gesagt haben wird und die völlig verloren wurde.
ok +
Alfred Weidenmann findet kaum Interessantes in der Geschichte, weshalb er sich auf die Inszenierung von Fronten von Autos an wichtigen Stellen ergeht: der Mord passiert, während die Kamera an einem verregneten Kotflügel vorbei pant, der Drogenkingpin wird durch eine Unteransicht des Kühlergrills seiner monumentalen Karosse eingeführt.
Sonnabend 09.02.
fantastisch
GREEN SNAKE beginnt mit einer Gegenüberstellung. Erst sehen wir einen Mönch (Zhao Wenzhuo), der durch Askese und Kultivierung übernatürliche Mächte bekommen hat, wie er Leute beim massenhaften Treten auf einen am Boden liegenden Einzelnen zuschaut. Ein dahingemurmelter Kommentar lässt eine tiefe Abscheu gegenüber der sich so gerierenden Menschheit erahnen. Durch seine religiöse Praxis möchte er seine Zugehörigkeit zu dieser Rasse tilgen. Er wird auf zwei Schlangen (Joey Wang & Maggie Cheung) treffen, die seit Jahrhunderten trainieren Menschen zu sein. Sie wagen quasi den Abstieg um Gefühle zu haben, um das Menschsein zu erleben. Da wo der Mönch hinmöchte, finden sie es anscheinend langweilig.
Der verbindende Moment zwischen den beiden ist der Sex. Während er in rituellem, repetitiven Bewegungen versucht die Fleischeslust aus sich auszutreiben, sind die Bilder von GREEN SNAKE im Allgemeinen und die von den Handlungen von White wie Green Snake im Speziellen von Wasser und Sinnlichkeit bestimmt. Immer wieder gibt es Nebel, Wasserfluten, sich im Wasser rekelnde Körper, Weichzeichner und grelle, sinnliche Farben. GREEN SNAKE ist ein Film von Tsui Hark, deswegen geht ihm das Besinnliche bzw. eine genießende Ruhe durchaus ab, aber trotzdem sieht das Ergebnis sehr oft nach einem Softsexfilm aus. Aber weil es sich eben um einen Film von Tsui Hark handelt, gibt es in dieser Hinsicht keine Zurückhaltung. GREEN SNAKE ist ein vor Lust triefender Film.
Größtenteils wird das Geschehen bei den Schlangen bleiben und sie bei ihren Versuchen, sich in der Menschenwelt zurechtzufinden, begleiten – ergo sehen wir eine ins fantastische gedrehte Coming-of-Age-Klamotte –, aber irgendwann wird der Unterschied der beiden Bewegungen und ihrer Anliegen zu einem Konflikt führen, der die Religion ins Protofaschistische schieben wird. Mönche und ihre krampfhaften Kämpfe gegen die Lust – es sind die absurdesten Momente des Films, wenn der eigenen Erektion Widerstand geleistet wird: Kämpfe gegen die personifizierten, affenartigen Dämonen der eigenen Lust oder das Herumklöppeln mit riesigen Schlägern, um mit diesen masturbationsartigen Bewegungen sich von der Fleischeslust abzulenken –, sie sind Ausdruck eines fanatischen Kampfes gegen die Weltlichkeit, der in einem Vernichtungskrieg endet, dem sich die Schlangen mit Leidenschaft und provokativer Narretei nicht entziehen wollen.
GREEN SNAKE leistet sich keine Distanz zu seiner Welt. Er geht völlig in den Albernheiten, in der Liebe, im Absurden, im Sinnlichen auf. Eine Lobpreisung der kleinen Späße ist er, all dieser scheinbaren Kleinlichkeit und Kleinigkeiten des Menschseins. Und so voller Spaß ist er, dass er sein mutmaßliches Anliegen – Genieße das Leben, solange du kannst, und vergrabe dich nicht in eitle Kämpfe zum Höheren –, welches aus seiner Form spricht und nicht verbal an einen herangetragen wird, dass er dieses also in ein Finale münden lässt, wo hemmungslos mit symbolischen Motiven, dramatischen Gefühlen und phantastischen Wasserfluten herumgeworfen wird. GREEN SNAKE geht so in sich auf, dass er tatsächlich in einem riesigen Orgasmus endet.
nichtssagend
Grenzte die Aufarbeitung der Legende der Weißen Schlange bei Tsui Hark noch an einen Fantasysoftporno, der seine gewichtigen Themen ans Absurde grenzen ließ, da ist DIE LEGENDE DER WEISSEN SCHLANGE 2011 zum Kinderfilm geworden. Selbst süße, kleine CGI-Tiere dürfen in diesem aufgeräumten Film entscheidend mitspielen, der nur in den schönen Farben an seinen unweit tolleren Vorgänger erinnert. Vll. hätte ich aber auch GREEN SNAKE nicht wenige Stunden zuvor sehen sollen.
Freitag 08.02.
fantastisch +
Passend zum Älterwerden ein spezieller Coming-of-Age-Film, der aus Marlene Dietrichs Katharina, die die erste Stunde nur die Augen aufreißt, durch einen perversen, alptraumhaft entworfenen Ort eine Marlene Dietrich-Figur macht.
Donnerstag 07.02.
großartig –
Ein Film, der schon durch sein Setting gewonnen hat. Eine Handvoll Leute befinden sich nachts in einem Wachsfigurenkabinett, dass auf Verbrecher spezialisiert ist. Ein funktionierender elektrischer Stuhl steht herum, Giftpfeile werden geschossen und Leute mit Rachegedanken, geheimen Identitäten oder unwahrscheinlichen Gesichtsverbänden befinden sich zwischen den Figuren, die im Zwielicht nicht nur die Orientierung erschweren, wie viele Lebende sich in den suchbildartigen Einstellungen befinden, sondern auch die anwesenden Detektive und Verbrecher doppeln.
Mittwoch 06.02.
gut
Diesen Film, der sich nicht recht entscheiden kann, ob er eine Komödie mit Actionanteilen oder ein Actionfilm mit zeitweisem Witz sein möchte – weshalb beide Hauptmerkmale bei aller Qualität den letzten Schritt ins Rampenlicht fehlen lassen –, habe ich aus familiären Gründen synchronisiert geschaut. Und THE SPY WHO DUMPED ME synchronisiert geschaut haben, ist, als ob er ohne Kate McKinnon gesehen wurde. Bzw. dass er so gesehen wurde, dass ihre Figur so unlustig und durchaus auch nervig wirkt, wie sie von diversen Leuten im Film wahrgenommen wird.
Dienstag 05.02.
gut +
Wie bei jedem guten Whodunit sind die Geschehnisse und der Mord nur Vorwände, um eine Komödie unwahrscheinlicher Figuren mit Nebel, Frauen mit überproportionierte Augenbinden und anderen Alptraummotiven zu verbinden.
Sonntag 03.02.
großartig –
Perfide ist OKJA, wenn wir es so nennen wollen. Manipulativ führt der tearjerkende, aber meist in einem leichten Ton vorgetragene Roadmoviethriller, in dem ein koreanisches Mädchen sein Riesenschwein vor der Schlachtbank am anderen Ende der Welt retten möchte, in ein Konzentrationslager für ebensolche Schweine. Schweine, deren Handlungen ihnen (emotionale) Intelligenz attestieren und deren Haltung und Abschlachtung dann schlussendlich wie maschineller, bestialischer Massenmord an Freunden aussieht. Der Verzicht auf industriell erzeugte Fleischprodukte soll einem offensichtlich nahegelegt werden. Aber OKJA ist auch ein zutiefst pessimistischer Film. Es ist eine grelle Satire, wo das Management eines globalen Konzerns, deren Handlanger sowie deren Gegner bestenfalls Witzfiguren sind. Das Leben innerhalb unserer Gesellschaften muss durch sie wie ein grausamer Witz erscheinen. Keinen Platz gibt es, wo wir nicht Täter sind oder Idealisten, deren Versuche, möglichst schadlos für andere zu leben, hanebüchen sind. Aber zumindest in OKJA ist der Witz es ein guter. Tilda Swinton als Zwillingsschwester (einmal geldgieriges Monster, einmal einfältige (Selbst-)Blenderin, die an halbwegs ökologische Wollmilchsauen glaubt, mit denen industrielle Produktion und ökologische Menschen- bzw. Lebewesenfreundlichkeit verbindbar sind), Jake Gyllenhaal als alle Ideale verraten habender trauriger Fernsehclown und Paul Dano als in seinen Idealen (fast) aufgehender Tierrechtler, die Darsteller legen eine sensationelle Show hin. Jeder findet seine eigene Art von Lächerlichkeit – wobei Gyllenhaals hemmungslose Selbstvertrashung allen die Show stiehlt –, bis wir nur noch im Wald neben Okja, Mija (Ahn Seo-hyun) und ihrem Opa sitzen wollen und uns auch schon wieder irgendwie – leider – lächerlich machen oder zumindest übersehen, wie auch dieser Ort durch die Geschehnisse des Films traumatisiert wurde.
fantastisch –
Zwei Männer sitzen bei einem Gedenkgottesdienst nebeneinander. Der Eine hat ein Pflaster auf der Nase, wie es Ende der 90er im Fußball so beliebt war. Auf Nachfrage des Anderen sagt er, dass es der Schnarchverhinderung dienen soll. Es folgen weitere Aufnahmen aus den Reihen der Anwesenden, während die Andacht vorbeifliegt. Die Schlafenden und surrealerweise auch die Pflaster nehmen mit jedem Schnitt zu, was sich zu einer fröhlich dahinschlurfenden Miniatur menschlicher Kleinlichkeit verwebt. THE WEEK OF ist auf diese Weise zutiefst humanistisch. Die Unmengen von Familienmitgliedern, die hier in ein kleines, teilweise asbestverseuchtes Haus gesteckt werden, um auf eine Hochzeit zu warten, sie bekommen alle ihren Platz in der Geschichte, wie in den Bildern. Ihren Platz bekommen sie bzw. nehmen sie sich mittels ihrer Fehler, eigenwilligen Eigenheiten und anderem Nervigen, weshalb fast die gesamte Laufzeit von THE WEEK OF wehtut. Ihren Handlungen zuzusehen ist zutiefst schmerzhaft. Nur sind sie deshalb nicht weniger liebenswert. Denn: Nicht nur nutzt der Film sie, um die beständig anwachsende Spannung und die immer eskalierenderen eskalierenden Situationen zu rhythmisieren und dies alles überhaupt erst für unsere schmerzhafte Unterhaltung, die nur mit Lachen zu ertragen ist, heraufzubeschwören, sie, diese lachhaften Eigenschaften, sind es auch, die die Leute zu Menschen macht. Zu mehr oder weniger kleinlichen, engstirnigen und vor allem egoistischen Personen, die weit weg von jeglicher Perfektion sind, aber genau deshalb sind sie liebenswert und deshalb kann ein Film wie THE WEEK OF, bei aller brutalen Fremdscham, uns wieder in ein gesundes Verhältnis zu uns selbst setzen. Oder anders: THE WEEK OF lieben, ist sich selbst (etwas mehr) lieben.
Sonnabend 02.02.
großartig +
Im Mai 2006 war ich mit einem Freund im Kino. Wir schauten uns ASTERIX UND DIE WIKINGER an und wollten unseren Augen nicht glauben. Konsterniert unterhielten wir uns danach und Alex P. (ein anderer als der Eskalierende Träumer) meinte, dass wir eigentlich allen erzählen müssten, wie unglaublich toll der Film war … als kleiner, fieser Witz und damit wir dieses Erlebnis nicht alleine durchgemacht hätten.
Wochen später erwähnte eben dieser Alex P., dass er DAS MÄDCHEN AUS DEM WASSER im Kino gesehen hatte und es der beste Film sei, den er je gesehen habe. Ich hatte damals die meisten der großen Hits Shyamalans gesehen und sie schrecklich gefunden, weshalb mir schnell der damals gefasste Plan in den Sinn kam. Darauf angesprochen stritt er unlautere Hintergedanken ab und blieb dabei, dass Shyamalans neuer Film ein Meisterwerk sei. Als ich den Film dann im Fernsehen sah, fühlte ich mich in meinem Misstrauen bestätigt. Das war der größte Mist, den ich je gesehen hatte, so meinte ich. Jetzt habe ich ihn wiedergesehen und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Alex P. damals die Wahrheit gesprochen hatte. Die dargebotene Meinung kann ich aber nachvollziehen.
Ein besserwisserischer Filmkritiker wird genüsslich und höchst ironisch in einen kalten Tod geschickt, während Shymalan den Messias der Menschheit, einen Autor, der durch sein Werk Gedanken und Bewegungen anstoßen wird, gleich selbst spielt: Das Selbstverliebte bzw. der Kampf mit den eigenen Niederlagen ist in DAS MÄDCHEN AUS DEM WASSER äußerst persönlich und manchmal ziemlich selbstverliebt. Und dann ist da noch diese offen zur Schau getragenen Metaebene, wo die Struktur von Geschichten zur Struktur des Lebens erklärt wird – anhand der Legende der Wassermenschen und des erzählerischen Handwerks versucht Hausmeister Cleveland Heep (Paul Giamatti) zu entschlüsseln, wie er einem Mädchen aus dem Wasser gegen einen Hund, der wie Gras aussehen kann und sich im Rasen versteckt, helfen kann und damit die Welt retten. Bunt und comichaft ist diese Welt, wo in Cornflakespackungen die Botschaft Gottes bzw. des Schicksals gelesen werden kann, wenn wir die richtigen Augen haben, oder wo Sinn sich ziemlich abenteuerlich und ohne Schamempfinden ergibt. Aber das macht den dunklen Kern, die Suche nach Selbsterkenntnis, die Suche danach mit einem Trauma leben zu können und es bestenfalls zu verarbeiten, nicht weniger emotional und das Märchen nicht weniger gruselig.
gut
THE WARD ist lange Zeit ein Highschoolfilm. Es geht um eine Neue an der Schule, Cliquen, Mobbing und die Suche nach Freundschaft in einem protofaschistischen System. Die Lehrer lehren, versuchen im Gespräch Lernentwicklungen zu verifizieren oder schnallen ihre Schüler auf Pritschen und verpassen ihnen Elektroschocks. Auf fünf weibliche Insassen, einen Wärter, eine Krankenschwester und einen Arzt verknappt THE WARD sein Personal in seiner titelgebenden Anstalt und doch lässt sich eine ganze Lehranstalt aus den 50er Jahren in dieser Reduktion ausmachen. Und genau in den darin assoziativ entstehenden Parallelen hat THE WARD seine Stärke. Wenn die rigide durchgesetzte Herrschaft des Aufsichtspersonals, die Stimmung zwischen den fünf jungen Frauen in Gewalt kippen lässt. Wenn die bösen Erinnerungen über Geschehenes nur Insassen, aber nie die Obigen einholt. Je mehr aber das Personal schwindet und THE WARD bald sein Diese-Psychatrie-ist-ein-Kommentar-über-Erziehungsmethoden-in-Schulen-Ambiente verliert und auf einen psychologischen Twist hinausläuft, desto eindimensionaler wird es.
(gut +)
Unruhig sind die Bilder. Voller Spielereien, welche anscheinend die Aufmerksamkeit von den Bildinhalten wegzuziehen gedenken. Wie Rouge legt sich diese Exzentrik über das Geschehen von GANGSTERS ’70. Joseph Cotten ist dabei so stark geschminkt, dass er wie Donald Sutherlands Casanova an käufliche Liebe und einen Verfallen denken lässt, der süßlich in der Nase wahrzunehmen ist. Jung möchte dieser Film wirken, aber er hat etwas Uraltes.
Januar
Donnerstag 31.01.
ok
Solange menschliche Körper und andere Formen von Fleisch nicht zer- bzw. aufgeschnitten, zerhackt oder sonst wie verwundet und dann penetriert werden, ist MAI-CHAN’S DAILY LIFE fürchterlich. Hölzern und unansehnlich werden die Figuren an die Orte manövriert, an denen der torture porn herrscht. Im Vorhof des Schmerzes benehmen sich alle wie Witzfiguren. Dem Unterhöschen- und Hausmädchenuniformfetisch wird vor allem lieblos nachgegangen. Seinen (ich denke mal, selbst gewählten) Vornamen trägt der Herr Satô deshalb wohl nicht zu Unrecht. Zu sich kommt sein Film jedenfalls erst, wenn all dies überwunden ist. Wenn in der in den Film führenden Szene recht unangenehm eine Axt in einen Rücken geschlagen wird, während ein Zuschauer sein Steak sehr englisch isst, oder wenn das genüsslich zelebrierte Finale die Folterleidenschaft zur Liebe erklärt und Arme aufgeschlitzte Oberkörper fistfucken. Küsse werden hier zu Bissen. Erratisch wechselt hier die Farbe und die über den Bildern liegenden Filter und Verzerrungen. Sinn wie Sinnlichkeit herrscht nur in seinem Schlachtfest. Als Ganzes ist das dann etwas unbefriedigend, aber Lust den Manga zu lesen, habe ich nun schon.
Mittwoch 30.01.
großartig –
Fast jede Einstellung ist ein Trunstwerk. Die Cadrage der heruntergekommenen Leute in heruntergekommenen Wohnungen, sie spricht vom Ende aller Lebenslust. Als zwischenzeitlich Vorhänge hochgezogen werden und Sonne in die Wohnungen fällt, überrascht es, dass die Leute nicht zu Staub zerfallen.
Dienstag 29.01.
großartig
Die Schönheit von DIE STIMME liegt lange Zeit in ihrer Dezenz. Eine marginal zu erahnende Todessehnsucht hier, Blicke ins Leere oder Gänge hinunter dort. Missgunst und Idiotensein als Teil der Menschlichen Komödie. Am Ende kippt diese Zurückhaltung aber vollends, wenn die Ermittlungen erst in eine Kneipe führen, wo das Licht sich in der dicken Luft verfängt und an den Wänden eine Dekoration hängt, die erst auf den zweiten Blick sich nicht als Spinnenweben aus einem Vampirschloss offenbaren, und dann an einen von Zeit und Realität verlassenen Ort, wo aus riesigen milchigen Augen eine monumentale Romantik läuft. DERRICK war zuletzt vermehrt wieder seltsam, auf dieses Ende war ich aber kein bisschen gefasst.
fantastisch –
Damit Sabrina Z., die während des Kongresses die Kinder hütete, wenigstens einen kleinen Eindruck der Freuden erhielt, habe ich ihr eines der Highlights gezeigt, nämlich von Maultrommeln und Blicken gejagte Frauen, die nur mal vor die Tür gehen wollen. Allein für die Reaktionen, die sekundenschnell zwischen Entsetzen und Lachen wechselten, hat es sich gelohnt.
Sonntag 27.01.
fantastisch –
Die Frau rennt weg und der Mann verfolgt sie: So wie es sein sollte, so oder so ähnlich sagt es Stephen Fox (Rex Harrison), als er ein Paar gerade gekaufter Sklaven sieht, welches seine eigene Beziehung zu Lilli D’Arceneaux (Maureen O’Hara) spiegelt. Sie war zu stolz um vom Wagen zu ihrem neuen Besitzer (Fox) hinabzusteigen. Der Mann darf sie heiraten, wenn er sie einfangen kann.
THE FOXES OF HARROW fühlt sich zuweilen wie ein später Nachklapp zum Erfolg von VOM WINDE VERWEHT an. Ein zum Stolz Erzogener unehelicher Sohn eines irischen Adelsgeschlechts und Falschspieler im Mississippi-Delta (immer noch Fox) kommt nach New Orleans und träumt davon sein eigenes Geschlecht aufzubauen. Bzw. er beginnt davon zu träumen, als er Lilli und ihren Stolz kennenlernt. Einerseits wird er Erfolg haben, andererseits wird das Temperament und die unterschiedlichen Einstellungen der beiden zu den Niederungen des Menschseins THE FOXES OF HARROW zu einem schmierigen Melodrama machen, bei dem der größte Spaß darin besteht, die Stolzen gekränkt zu sehen und wo der größte emotionale Tumult daher rührt, dass keiner der beiden über seinen Schatten springen kann und sie sich gegenseitig quälen – eine eingetretene Tür steht hier ziemlich offensichtlich für eine Vergewaltigung – und wo gerade er, der schon auf den meisten Filmplakaten mit Peitsche in der Hand abgebildet ist, alles ins Sadistische treibt, wo Liebe und Hass eine rauschhafte Allianz eingehen.
In seinem Vergnügen und in seinen Stürmen, die stets auch meteorologisch über das Paar ziehen, liegt THE FOXES OF HARROW durchaus in der Nähe zum Klischee. Besonders wird er aber, wie er seinen Südstaatenadel ins Verhältnis zu den Afrikanern auf den Plantagen setzt. Mit Voodoozeremonie wollen die Leibeigenen ihren Besitzern eine gute Ehe oder ein gesundes Kind verschaffen. Beide Male wird die Zeremonie rüde unterbrochen und die Insignien des Glaubens zerstört. Die Ehe hat keinen Bestand, das Kind wird humpeln. Die Ignoranz gegenüber dem Anderen scheint das Unglück zu triggern.
Dazu gibt es, wie gesagt, ein Paar, dass die Foxes spiegelt. Gleichzeitig gebären die beiden stolzen Frauen ein Kind. Als Fox den Sohn der Versklavten zum Hausdiener seines Kindes machen möchte, entwickelt sich ein emotionaler Hurrikan, wie er in THE FOXES OF HARROW mit zunehmender Laufzeit immer eigentümlicher wird. Denn die Mutter will es nicht zulassen. Ein Prinz sei ihr Kind, ein Krieger, der Seinesgleichen von ihrem Joch befreien wird. Und doch sehen wir ihn später, nach ihrem verzweifelten Freitod in einem reißenden Strom, das Spielzeug seines kleinen Herren die Treppe hinauftragen. An den Rändern ist dieser Film vll. noch herzzerreißender, als in seinem Zentrum.
Am Ende werden die Foxes fast alles verloren haben, aber ebenso fast alles niedergekämpft. Am Ende werden sie wieder vereint sein, aber das Ende, wenn der Sturm sich verzieht und die Sonne herauskommt, dann haben sie alles unterdrückt. Die Menschen um sich und die eigenen Gefühle. Sie haben nur noch sich und ihren Namen.
gut
An den Wänden des Polizeireviers, in dem dieser Polizeiermittlungsfilm spielt, hängen unzählige Filmplakate – ES WAR EINMAL AMERIKA – DER SOLDAT JAMES RYAN – SIEBEN – RESEVOIR DOGS – oder einfach Bilder von Alain Delon, Jean Gabin und Lino Ventura, die Pistolen in die Kamera halten. Die Fiktion der Polizei- und Gangsterwelt, welche die Cowboys der Kripo antreibt, sie befindet sich als Deko überall. Demgegenüber steht ihre tatsächliche Arbeit. Überwachen, Akten wälzen und lange Wege zu nur mittelbar nützlichen Informationen gehen.
Zwei Russen rauben Leute an der Seine aus und schmeißen sie zusammengeschlagen in den Fluss. Ihnen sind die Polizisten auf der Spur. Der Fall ist aber nur der Hintergrund zu einer anderen Geschichte, wie die Plakate nur den Hintergrund zur Realität bilden. Ein Leutnant, Antoine Derouère (Jalil Lespert) fängt nach der Polizeischule neu an. Wie er abends mit seiner geladenen Dienstwaffe spielt, wie er übereifrig allem nachjagt, was er aus den Filmen zu kennen scheint, ist nur unschwer zu erwarten, dass er LE PETIT LIEUTENANT die Spitzen dieser Filme, also Verfolgungsjagden und zumindest kurzen Schießereien, bringen wird. Seine Vorgesetzte (Nathalie Baye) ist seit 2 Jahren trockene Alkoholikerin. Sie hatte ihren Sohn, der nun so alt wie Antoine wäre, mit 7 Jahren an eine Lungenentzündung verloren. Sie wird zu Antoines Ziehmutter und wird durch den von ihm verursachten Tumult mit ihrer Sucht kämpfen müssen.
Aus tristen Impressionen einer grauen Zeit besteht LE PETIT LIEUTENANT größtenteils. Aber dann wird er durch seine beiden Hauptfiguren genau dorthin geführt werden, was in ihren Figuren schon von Anfang an eingeschrieben steht. Das Freie wird zu Gunsten des Schematischen langsam an den Rand gedrängt. Und das ist schade.
Sonnabend 26.01.
großartig –
Widersprüche werden am Ende einer Sackgasse in unmittelbare Nähe gebracht und dann wird gewartet bis die Funken schlagen. Ein Nobelhochhaus, wo auf dem Sonnendeck ständig getanzt wird, steht direkt neben den Bruchbuden der Armen – mit Filmbeginn werden wir informiert, dass die Ufer des East River ausschließlich das Gebiet der Slums war, bis die Reichen die malerische Aussicht auf den Fluss entdeckten, worauf ihre Häuser immer näher rückten. Das Innenleben des schicken Hauses wird nur durch die offene Hintertür zu erahnen sein, eines der anderen Häuser wird mittels schräger, schwindelerregender Einstellung durch das Treppenhaus und durch den Blick einer wohlhabenden Frau, die in es ging, das dunkle, heißte Aussehen einer Vorhölle bekommen. Die Kleinkriminalität einer Jugendbande steht zwischen der ehrbaren Armut von Dave (Joel McCrea) und dem heruntergekommenen Glanz von Stargangster Baby Face Martin (Humphrey Bogart). Die Hoffnung auf eine Flucht aus der reellen Sackgasse steht neben Martins Ankommen in einer seelischen, selbstzerstörerischen – das Potential einer Zukunft neben einer Vergangenheit, der alles beraubt wurde. Die Ahnung eines langen Lebens in Qual steht neben der eines kurzen in Saus und Braus. Viel hat DEAD END zu bieten, gerade in den Zeichnungen seiner Charaktere – ihre Wünsche, Verbitterungen und Möglichkeiten werden in zwischen ihnen mäandernden Ereignissen gezeichnet –, aber sie fallen immer wieder auf das starre, durchaus pädagogische Konzept zurück. Denn DEAD END ist auch ein Durchhaltefilm für die Depression.
ok
Es gibt einige schöne Actionszenen, aber jede Menge schreckliche Versuche einen interessanten Gegenspieler (Charlize Theron, im ziemlich an den Haaren herbeigezogenen Dreadlock-Edelhackerlook um einen Überhacker zu spielen, der von einem einfachen, analogen Ding wie einem geparkten Auto aller Souveränität beraubt werden kann) aufzubauen, der aber doch nur die Wendung bringen soll, Dominic Toretto (Vin Diesel) gegen seine Familie aufzubringen. Mit anderen Worten: Hier und da ganz spaßig, aber die wahrscheinliche Rückkehr von Justin Lin auf den Regiestuhl erfreut irgendwie mehr.
Freitag 25.01.
(verstrahlt +)
Ein Film, nicht eine Realität dokumentierend, sondern um eine völlig neue zu erschaffen. DAS GASTHAUS ZUR TEUFLISCHEN LUST entspricht anderen Filmen des Mercator Filmverleihs wie DER PERSER UND DIE SCHWEDIN. Ein iranischer Thriller, der das Kino des Samuel Khachikian spürbar in sich trägt, wurde durch von Heinz Gerhard Schier (DIE VERGNÜGUNGSSPALTE, ein ähnliches Exemplar) nachgedrehte Szene zu etwas völlig Neuem gemacht. Zu etwas, dass nun eine knallharte Vergewaltigung in sich trägt, wie kunterbunten Thrillerfasching. Zu etwas, dessen Zusammenhalt mehr Behauptung bleibt, als erlebte Realität. Zu etwas, dessen Schäbigkeit jeder Beschreibung spottet.
Während der deutsche Teil des Films sich durch angeklebte Bärte und schnell zusammengezimmerte Kulissen auszeichnet, lebt der iranische Teil von Schlägereien in arabischen Kulturgut, Ornamenten von öffentlichen Plätzen, die sich über Verfolgungsjagden legen, und Stuntarbeit – Leute springen von und auf Autos, meist beides gleichzeitig –, die in Verbindung mit der aufs Auto geschnallten Kamera, die es aufzeichnet, THE ROCK nach gediegener Unterhaltung aussehen lässt.
Donnerstag 24.01.
großartig +
Durch eine einzige Sitzung bei einem Psychoanalytiker wird Jill (Merle Oberon*) – die während des Gesprächs durch den dezent überdimensionierten Divan unter ihr, wie eine kleine (Bauchredner-)Puppe des Therapeuten aussieht – klar, dass ihre als glücklich gefeierte Ehe gar nicht glücklich ist. Danach offenbaren sich die Männer in ihrem Leben nach und nach als Leute, die ihr Revier mit Portrait(-foto)s von sich markieren und die am Anderen nur als Bewunderer Interesse haben, während Jill im Zusammenleben mit anderen zum Scheitern vorbestimmt ist, weil sie nur kurz in Bewunderung aufgehen kann, aber keine eigenen Interessen hat, als wahrgenommen zu werden.
Der Türfetisch Lubtischs ist mir dabei wie noch bei keinem anderen seiner Filme aufgefallen. Ständig gehen Leute durch Türen oder werden durch eben solche gefilmt. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, Eindringen und Verdünnisieren, Offenbaren und Verstecken. Ein solcher Film kann gar nicht statisch werden, weil die Gemengelage sich ständig ändert. Weil die Kämpfe der Göckel um Raumhoheit mit fliegendem Holz ausgetragen wird.
Einer der Männer in Jills Leben, Klavierspieler Alexander Sebastian, der seine ganze tiefsinnige Contrarian-Hipster-Persönlichkeit in sensationelle Pfuis stecken kann, kam mir von seinem ersten Auftauchen bekannt vor. Als mir zunehmend dämmerte, dass ich ihn sonst nur als alten Mann kannte, war der Geistesblitz auch bald da. Es handelte sich um Burgess Meredith – also um Mickey, dem Trainer Rockys. Es ist ein Versäumnis meinerseits, ihn bisher nicht über diese allseits bekannte Rolle hinaus wahrgenommen zu haben. Pfui!
*****
* Der schönste Name im Geschäft, der sich zumindest in meinen Ohren aus dem Namen einer Twilight-Zone-Psychoterror-Soundcollage der Einstürzenden Neubauten und einem Nachnamen zusammensetzt, der einem Elfenkönig gehört, aber auch eine noch zu erdenkende intergalaktische Mutter Oberin klanglich in sich trägt, die sich zu einem Auto falten kann.
Mittwoch 23.01.
großartig –
In der Wikipedia gibt es eine Seite, die eine Liste aller Folgen von DERRICK enthält. Für einen schnellen Überblick, wo ich mich gerade zeitlich befinde oder welche Regisseure gerade vermehrt bzw. gar nicht engagiert werden, ist es ganz hilfreich. Zudem gibt es in der Tabelle eine Spalte, die Besonderheiten heißt. Hier finden sich vereinzelte Informationen, ab welcher Folge Derrick beispielsweise immer eine Brille trägt, ab wann Gott vermehrt thematisiert wird, wer in der Folge das erste Mal für den Soundtrack verantwortlich war usw.usf. Bei DAS PIRÄUS-ABENTEUER steht dort geschrieben: Harry weint am Ende der Folge. Ganz trocken wird hier dokumentiert, dass der Fall sich ganz still und heimlich zu einem Melodrama für Harry entwickeln wird. Harry und die Frauen, das sorgt eben für die besonderen Momente … besonders, wenn sie sich wie hier am Keyser Söze-Sein versucht.
Brynych hält sich dabei größtenteils zurück. Wenn die Szenerie dann aber in eine Disco wechselt, wo Billy Idols SWEET SIXTEEN oder Terence Trent D’Arbys SIGN YOUR NAME fast vollständig durchgespielt werden, wo sich in überspielter Vertraulichkeit durch die Leere der Einrichtung geswingt wird, wo Leute trist über die Schulter starren, wo die Persönlichkeiten netter Leute einen Schatten bekommen, da darf Brynych eine fast normal erscheinende Realität in das Roud House von TWIN PEAKS eintreten lassen. Sehr schön dabei, wenn dort die von Anfang an als promisk gezeichnete Beatrice Richter einer wohl Heroinabhängigen einen Kuss fast auf den Mund setzt. Die Beschaffenheit der Persönlichkeiten, sie sind nur Fragmente, die sich durch kleine Gesten immer weiter offenbaren.
Zusammengearbeitet wird diesmal mit der MIAMI VICE-Abteilung der Münchner Polizei. Die entsprechenden Beamten tragen aber keine weißen Sackos, sondern einen Säufer- und Pennerchic, der im Laufe der Folge als Undercoveroutfit rationalisiert wird. Trotzdem ist es ziemlich toll, wie assig Polizisten bei DERRICK mal aussehen dürfen.
Dienstag 22.01.
großartig +
Der Mord ist eine Formalität, die so simpel ist, dass die Tat an sich Derrick nirgendwo hinführt. Ein Wagen wird angehalten, die Tür aufgemacht und einmal hineingeschossen. DA LÄUFT EINE RIESENSACHE ist aber eine Folge der Dekadenz, da der Mörder einen Schauspieler engagiert, der den Neffen des Ermordeten spielen soll, um so an das Erbe zu kommen. Diese Rache ist dekadent, weil er nicht nur den Tod möchte. Das detaillierte, minutiöse Vorgehen ist es, weil, wie sich herausstellen wird, die zu Täuschenden in ihrer Quantität zu vernachlässigen sind. Die Gefühle sind es, weil die Unsicherheit der Täuschung die Gaukelnden in die Überkompensation treibt, weil die einzige echte Person im Doppelspiel in einen Reigen unschuldigster Euphorie gezogen wird, weil – und hier liegen die vll. schönsten Momente der Folge – noch die liebreizendsten Figuren ihre Masken fallen lassen werden und sich darin erst Berechnung, dann Hass offenbaren. Hass auf eine Welt, die einem zum Schauspiel, zur guten Miene zum bösen Spiel zu drängen scheint – das Leben im Schatten von Macht und Reichtum gleicht hier einer Versklavung, die liebreizend angenommen werden muss. Der Stil ist dekadent, weil manche Figuren wie aus Genreklischees geschnitzt sind, aber vor allem, weil der Schnitt in seinen Jump-Cuts, Achsensprüngen und karnevalesken Brechungen des (zu erwartenden) Raums keinen Zweifel daran lassen, dass diese Welt falsch ist, zerrissen und hysterisch zusammengesetzt, voller physischer, aber vor allem psychischer Gewalt von Leuten, die unter der Spannung die Masken aufrecht erhalten zu müssen, langsam entzweit werden. Und in dieser Dekadenz braucht Derrick nun kaum etwas machen, damit die mannigfaltigen Zeichen ihm alles ganz von alleine offenlegen.
Sonntag 20.01.
großartig +
Die ebenen sowie bedrohlich schäbig aussehenden Zähne Monty Woolleys, wenn er den verhassten Leuten seinen Nom de Plume Henry Leeeeeeeeeeeeek(!) entgegenzischt, als ob er sie gleichen beißen würde, schon allein dafür lohnt sich der wiederholte Blick auf HOLY MATRIMONY, wo der Wunschtraum eines konservativen Rollenverständnisses in der Ehe aussieht, als ob eine Frau einen kleinen Hund hält.
Freitag 18.01.
großartig
Bei critic.de gibt es von mir etwas hierzu.
Donnerstag 17.01.
großartig +
Bis zum Mord deutet die Wiederkehr Brynychs nach ca. 3 Jahren Abstinenz mal wieder auf die enge Verwandtschaft zwischen DERRICK und TWIN PEAKS. Zwei Locationscouts finden unabhängig voneinander den perfekten Drehort für die Findung der Leiche in ihrem Film. Unabhängig voneinander gehen beide in den Keller eines verfallenen, staubigen Hauses, wo Scheinwerfer in einem Ambiente, dass an eine Kunstinstallation erinnert, auf Schaufensterpuppen weisen. Beide verschwinden für eine Nacht. Es handelt sich um zwei aufeinander folgende Nächte. Der eine ist für immer weg – tot wird er wieder aufgefunden –, der andere ist verstört und nicht bereit über seinen Verbleib zu reden.
Erklärungen über eine Geldfälscherbande werden folgen. Verbunden mit langen Schatten an der Wand, exaltierten Leuten, Lärm und blank liegenden Nerven, mit einer Liebesgeschichte, in der sich Neubekannte verhalten, als würden sie sich schon aus einem vorherigen Leben kennen, mit Türen, die von Schnellfeuerwaffen durchlöchert werden. Es sind Erklärungen, die das Mysterium bändigen, wo sich aber vor Gefahr – gleich um die Ecke zur bekannten Realität lauernd – kaum geschützt werden kann, weil die Türen und die emotionalen Verwicklungen jeden Schutz so dünn wie Pappe erscheinen lassen.
verstrahlt
Sicherlich ist GLASS kein Tentpole und kann sich im Gegenteil zu den Filmen des MCU etwas Seltsamkeit leisten. Trotzdem finde ich es erstaunlich, 2019 nach einem Hollywoodfilm vor dem Abspann zu sitzen und wirklich gar nicht zu wissen, was da gerade passiert ist.
– Keine der Figuren qualifiziert sich als Held oder bezieht eine Position, die vom Film moralisch favorisiert werden würde: Schon zu Beginn wird sowohl der Held David (Bruce Willis), als auch das Biest (James McAvoy) als Wesen gezeichnet, die im Schatten lauern. Die Bedrohlich sind. Später werden sie in einer Anstalt therapiert werden, weil ihre Selbstwahrnehmung psychotisch scheint. Da wir uns in einem Film von Shyamalan befinden, wird sich aber auch die Psychiaterin Dr. Staple (Sarah Paulson) als jemand voller Geheimnisse herausstellen. Auf wessen Seiten sollen/wollen wir stehen, ich weiß es nicht.
– Das Ende könnte der Schwanengesang für die Superheldenfilmwelle sein wollen – ein großer Endkampf an einem optisch sehr reizvollen Hochhaus wird angekündigt, stattdessen gibt es aber eine kurze Schlägerei auf einem Parkplatz –, aber auch eine nietzscheanische Werde, der du bist-Übermenschen-Motivationsmessage mit sich führen – die Entwicklung von UNBREAKABLE wird nochmal aufgewärmt und mit neuen Verbindungen an den Mann gebracht: Superheldentum ist möglich, glaube nur an dich und vertraue nicht dem, was dir präsentiert wird. Ob wir nun eine Abrechnung mit dem Superheldenwahn des Kinos sehen, eine paranoide Verschwörungstheorie oder ein noch seltsameres Kapitel einer Geschichte, in der Traumata den Wunsch nach Stärke entfachen und das Ausleben im Mythos nach sich ziehen, es wird nicht festgestellt. GLASS ist ein Film der im Grunde nur Angebote macht. Und das nicht zu knapp.
– Hanebüchen ist GLASS, wie er auch faszinierende Assoziationen mit sich führt: Die Angebote, die also gemacht werden, haben selbst etwas comichaftes in ihrem Verständnis von Intellektualität. Am ehesten wird hier die Perspektive eines Grundschülers demonstriert, der mit seinem Erfahrungshorizont schlaue Dinge darstellen möchte. Weshalb es auf den ersten Blick wahrlich nicht sehr seriös erscheint … gerade da wieder alles Aufgebaute von einer Twistwelle in die völlige Unbestimmung getrieben wird. Wenn Godard nicht vom narrativen Kino abgefallen wäre, vll würden seine Filme diesem Tohuwabohu, dass von den familiären Grundsteine der Vorgänger völlig ablässt und sich nur noch an einem Thema abarbeitet, ähneln.
– Wunderschön ist er, wie er auch öde und hässlich ist: Die Schatten, die punktgenaue Inszenierung, diese Bevorzugung symmetrischer Einstellungen, deren Fluchtpunkt genau in der Mitte der Leinwand liegt, als ob der Film zu uns predigen möchte, all das sieht spannend aus. Aber dann sind dann doch auch die ewigen Lagerhallen, Flure und Parkplätze, die dem Film seiner Schauwerte berauben, die bewusst hässlich gewählt scheinen. Oder die lange Pause, wenn die vier Protagonisten (David, das Biest, Dr. Staple und eben Mr. Glass (Samuel L. Jackson) sich in der Anstalt zurechtmachen und wir sie nochmal kennenlernen sollen, sie ist weder spannend, noch erkenntnisreich. Sie dient nur als Aufbau, als Hinarbeitung auf eine riesige Luftblase. Es ist als ob sich GLASS beständig auch noch selbst unterminieren würde … irgendwo zwischen grenzenloser Selbstsicherheit/fehlender Zweifel, ob des eigenen Tuns, und der Ahnung, dass sich dies alles auch gerne durch den Kakao gezogen sieht.
Jetzt wo ich nach SPLIT tatsächlich viel im Kino von M. Night Shymalan entdecken kann und gerade das Gebrochene darin mag, da sitzt ich plötzlich wieder wie mit 20 Jahren vor UNBREAKABLE und weiß nicht, was mir diese zwei Stunden jetzt wieder sagen wollten oder können. Anders als damals, finde ich das erstmal vor allem sehr toll.
Mittwoch 16.01.
gut –
In der Mitte wird der Crossfader langsam rübergeschoben. Erst ist da das in Braun gehaltenem Alkoholikerdrama, in dem Roland Weimann (Hannes Jaenicke) nach einem Autounfall, der ihn auf immer an Krücken bindet, mit der Welt nicht mehr zurechtkommt und wo, als ihm ein unmoralisches Angebot gemacht wird, die Regentropfen an den Autofenstern wie die Reflexionen einer bernsteinfarbenen Discokugel aussehen. Langsam verschwindet Weimann aber, sobald er Derrick von dem Mord unterrichtet, für den er bezahlt werden soll. Sein Platz nehmen zunehmend andere ein, so dass sein irgendwann beständig rasiertes Gesicht anzuzeigen scheint, dass seine Rettung mit der moralischen Handlung möglich wurde. Für mehr reicht es nicht mehr.
Es folgt der Fall eines nun tatsächlich ermordenden Mannes, wo Derrick den Krebs auszehrender Männer bei einer Frau herausschneidet, die – so wird wiederholt gesagt – ohne einen Mann nicht leben kann. Am Ende ist sie alleine, starrt auf den See vor ihrer Villa und ein melancholisches Lied von Martin Böttcher läuft. Derrick schaut ihr davor kurz noch nach. In seinen Augen steht die Ahnung eines Zweifels, dass er vll anders hätte handeln müssen.
Bei einer Serie, die in keiner besonders konsistenten Welt spielt und wo die Darsteller ständig in neuen Kontexten auftauchen – sprich: jede Folge könnte in einer sich leicht unterscheidenden Welt in einem Multiversum spielen – da drängt sich in einer Episode wie KEIN RISIKO der Gedanke auf, dass einige Folgen sich wie Remixe ge(ne)rieren. Das Auseinanderfallen in zwei Teile unterstreicht es dann noch. Alles ist hier nur aus Altbekannten zusammengesteckt, um etwas Neues in dem sich ständig Wiederholenden und Variierenden hervorzuheben. KEIN RISIKO bleibt aber sehr, sehr dezent darin, auf etwas Neues hinzuweisen, da es nirgendwo lange verweilt.
Montag 14.01.
großartig +
Mal abgesehen davon, dass alles auf (Not-)Lügen basiert, stellt SHOPLIFTERS für große Teile seiner Laufzeit den Besuch in einem Achtsamskeitsspa dar. Eine Familie wird beobachtet, die in den Tag hineinlebt, die Fünfe auch mal gerade sein lässt, die die Momente genießt und die vor allem, bei allem Frötzeln, ständig Gesten von Zuneigung füreinander übrighat. Von dem gemeinsamen, ritualisierten Ladendiebstahl, der SHOPLIFTERS eröffnet, über Strandbesuche bis hin zum unabdingbaren Kuscheln sehen wir Leute, die sich umeinander kümmern. Wenn Osamu (Lily Franky) und Nobuyo (Andô Sakura) miteinander schlafen, dann sehen wir nicht den Akt, sondern die kleinen Berührungen, die dorthin führen, und das anschließende nackte gemeinsame Lümmeln zweier Befriedigter.
Wenn dies zerbricht und die Wahrheit von den Behörden in den Film getragen wird, dann wird dies kaum negiert. Die moralischen Probleme waren die ganze Zeit da und werden weder verklärt noch verdammt. Sie sind in SHOPLIFTERS schlicht der Urgrund der zuvor erlebten Harmonie. Was diese Familie zusammenschweißte war nämlich nicht ihr Glück, sondern ihr Schmerz. In den kontemplativen Momenten des Films wie in seinen kleinen Zeichen steht es geschrieben. Die Insignien eines einsamen und verlorenen Stripclubbesuchers schreiben sich beispielsweise zunehmend in den Mitgliedern der Familie ein: Die von Blut verkrusteten Knöchel der Hand, die von den Schlägen gegen sich selbst rühren; das Verstecken seines Gesichts hinter dem Schirm einer Basecap; die stillen Tränen auf der Wange. Denn Isolation, die Flucht vor gesellschaftlichen wie familiären Käfigen oder Vernachlässigung sind es, die die Mitglieder in die Arme dieser zwanghaft sympathischen Familie treibt.
Der Unterschied ist in den Räumen zu erkennen. Nach der Offenlegung der Geheimnisse befinden die sich getrennten Mitglieder der Familie größtenteils in kargen, sauberen, leeren Räumen, in denen Kälte lauert, Vereinsamung und ein Schicksal, mit dem klargekommen werden muss. Davor sehen wir besagte Impressionen von Gemeinsamkeit und Zuneigung in einer engen, heruntergekommenen Hütte, die mit Schachteln, Kram und Resten vollsteht. Hier lange klare Linien, dort mannigfaltige Texturen. Wo Leute mit den wenigen Mitteln und etwas Gaunerei zurechtzukommen versuchen. Warmes, ruhiges Tummeln ist es, was SHOPLIFTERS lange ausmacht und das die viel beschworene Kälte (der Film beginnt im Februar) ausschließt.
Es ist zudem ein Ort der Mysterien. Denn in der Unordnung dieser Familie – eine Herausforderung an einen traditionellen Familienbegriff – gibt es vieles zu ahnen. Es ist ein Ort, der zum Phantasieren anregt – im Film, wenn die Oma eine Vergangenheit in ihn einschreibt, der so eigentlich nicht da sein kann, und vor ihm sitzend, wenn immer mehr Ungereimtheiten sich aus den Schatten des Ortes und der Handlungen schälen.
Dass all dieses friedliche Gleiten der Gemeinschaft nur solange funktionieren kann, wenn niemand ein größeres Temperament hat (was niemand hat) oder wenn traumatisierte Kinder eben wie hier Ausgeburten von Zurückhaltung und Verständnis sind, es straft die wahren Lügen dieses Films nicht noch mehr Lügen, wie es die Wahrheit der Familie es schon nicht tut. All die rationell möglichen Einwände sind nur noch eine Verstärkung der in SHOPLIFTERS steckenden emotionalen Hoffnung nach Liebe – seelischer wie körperlicher – die aus den sonnigen oder von Wärme dampfenden Bildern strahlt und die in den eisigen, planen Bildern schmerzhaft fehlt.
Sonntag 13.01.
verstrahlt
Wenn jemand emotional angegriffen ist, dann greift er in SUSAN AND GOD mit zittriger Hand zu einer Flasche Alkohol. Wie ein Naturgesetz mag es scheinen, dass der Schmerz des Lebens nicht anders hinnehmbar ist. Bzw. dass dieser nur durch Umleitung überstanden werden kann. Die Naturgewalt Susan (Joan Crawford) greift eben nicht zum Glas – dafür ist sie zu nobel/versnobt und folgt ihrem entfremdeten Mann Barrie (Fredric March) nicht in seinem Alkoholismus – sie rettet sich zu Gott. Unstoppbar redet und redet sie zu ihren Freunden von ihm, von seiner Vergebung und von den Geschenken der Aufrichtigkeit, während Cukor kleine inszenatorische Ticks einbaut, die das alles als überdrehte Show kennzeichnen. Ticks, wie das Blitzen einer Kamera, für die alle – alle, aber vor allem ist es Susan – den Fluss ihres Tuns unterbrechen und völlig unpassend für einen Augenblick glücklich lächelnd posieren, nur um ungestört gleich weiterzumachen, als ob nichts gewesen wäre.
SUSAN AND GOD ist dabei erst eine überdrehte Sitcom, nur um dann ein kaum weniger überdrehtes Drama zu werden, wo Menschen sich gerade durch ihre Liebe zueinander quälen. Und so wie in diesem Treiben alles auf die Herstellung eines phantasierten Idealzustands (Vater–Mutter–Kind) hinarbeitet, so ist es nur das Laufen und Wandern, was einen bei sich halten kann. Boots- (Susan rast völlig irrsinnig auf einem Motorboot in den Film), Zug- oder Autofahrten sind es, die einen hier von sich zu einer eitlen Selbstgerechtigkeit ziehen.
großartig
Ein Liebesfilm von jemanden, der sich nicht für Liebe interessiert. Oder der sich in den Konstellationen Liebe und Krieg, Leben und Tod stets mehr für das Zweite interessiert. Die erste halbe Stunde, die sich der Etablierung der Liebe zwischen Diana (Joan Crawford) und Bogard (Gary Cooper) sowie des Melodramas, das beide trennt, widmet, ist so hastig und voller Ellipsen, dass es sich anfühlt, als ob weiter 30 Minuten fehlen würden. Später, wenn Bogey und der Säufer Claude (Robert Young) in einem Bomberflug, im Kampf mit dem roten Baron oder in der Fahrt mit einem Torpedomotorboot im Kugel- und Explosionshagel Respekt vor einander erarbeiten – TODAY WE LIVE spielt während des ersten Weltkriegs –, dann nimmt sich der Film alle Zeit der Welt, jede Entwicklung zwischen den beiden – bzw. dreien, weil Dianas Bruder Ronnie (Franchot Tone) ebenso Teil der Darstellung von Männlichkeit ist – nachzuzeichnen. Das Bildnis einer Männerfreundschaft, die durch die Liebe zu einer Frau tragische Züge besitzt, ist das Hauptfeld der Erzählung. Oder anders: Das Leben und Sterben der Schabe Wellington (es ist tatsächlich von einem Insekt die Rede) bekommt mehr Raum und emotionale Aufarbeitung, als es die Liebe erfährt, die höchstens im (männlichen) Leiden etwas Zeigenswertes bietet. Oder noch anders: TODAY WE LIVE ist ein Männerfilm, der sich als Frauenfilm zu tarnen versucht.
Der zu diesem Zeitpunkt aus dem Film herein- und herausmäandernde Bogey fährt kurz nach Beginn mit Diana Rad. Beide waren erst in einer Szene gemeinsam in TODAY WE LIVE zu sehen, als er in ihrem Dorf ankommt und seine Unterkunft im Haus von Dianas Familie bezieht. Er hat nun zu diesem Moment mit seinem Rad auf sie gewartet und während beide nebeneinander fahren, machen sie nur Small Talk. Sie kommen dann zu einer Kreuzung und trennen sich aus Eierkaufgründen. Diana kommt ihm dann doch hinterhergeradelt. Kurz darauf gesteht Bogey ihr seine Liebe, aus heiterem Himmel. Sie gesteht ihm kurz darauf auf die ihre, ohne dass wir einen Anhaltspunkt hätten, wie es zu den Gefühlen gekommen sein könnte.
Spannend finde ich dabei den Kniff, dass sich nach der kurzen Trennung die Position der beiden zueinander geändert hat. Radelte erst Diana links und Bogey rechts, ist es danach genau anders herum. Dianas schräg getragener Hut versteckt ihr Gesicht nun vor Bogey – es ist dieselbe Gesichtshälfte die Joan Crawford auch in A WOMAN’S FACE verdeckt/verdecken muss. Die Liebeserklärung, um die vorher schon per Small Talk herumgeredet wurde, sie wird nun durch die Verfolgung, eben durch die Initiative Dianas, und durch die Verdeckung ihres Gesichts möglich. Denn der Hut legt sich wie ein schützender Wall zwischen die beiden. Statt sich dem emotionalen Stress aufzuladen, ihre seine Gefühle zu offenbaren, kann er nun fast wie zu sich selbst reden. Ihre Gegenwart wird mittels eines kleinen Kniffs minimal verschleiert. Und gerade für diese Kaschierung der Gefühle seiner Männer, die diese kaum aushalten zu können scheinen, ist TODAY WE LIVE sehr sensibel und versteckt sie eben hinter einem Krieg, der Tod, Leid und Abenteuer bringt.
Sonnabend 12.01.
fantastisch –
Wiedermal drücke ich mich davor, etwas zu schreiben, weil hier schon etwas Punktgenaues und Wunderschönes steht.
*****
Zusätzlich fand ich ein Gespräch zwischen den im Gefängnis sitzenden Boyer und einem naiven Mädchen spannend, dass ihn während der Haft besucht. Der Besuchsraum ist durch zwei Gitter getrennt. Eines besteht aus eisernen Stäben, die andere aus einem Maschendraht, der sich direkt hinter den Stäben befindet. Boyer wird ständig nur durch die Gitter gefilmt, die quasi auf seiner Seite liegen und seinen Kopf links und rechts rahmen, während das Mädchen nur durch den Zaun gefilmt wird, der sich wie ein Muster über ihren Körper und ihr Gesicht legt. Er ist sich bewusster und kann sich so anders inszenieren, während sie quasi zerhäckselt wird.
großartig
Zwei Gesichter sehen wir nebeneinander. Die von John Cusack und Woody Harrelson. Sie schauen an der Kamera vorbei auf den Ausbruch des Supervulkans Yellowstone. Feurige Massen befinden sich nunmehr unabwendbar auf den Weg zu ihnen. Der eine schaut entsetzt auf das Geschehen, der andere verzückt. In diesem Bild steht das Verhältnis von 2012 zu dem in ihm abgebildeten Weltuntergang geschrieben.
Einerseits ist 2012 nämlich vor allem eine riesige Achterbahnfahrt. In zwei Wettrennen mit der Katastrophe – der Atem der Zerstörungswellen gleitet den Rennenden den Nacken herunter, der Tod scheint schon fast abgemachte Sache – versucht sich der Irrwitz immer noch zu überbieten. Wenn eine U-Bahn aus Rauchwolken hervorschießt und vor den Fliehenden durch die Luft fliegt, dann hat das Desaster jeden Ernst und jede Bodenhaftung verloren. Dann herrscht nur noch ein sich überschlagendes Kino der Attraktionen und der aberwitzigen Unmöglichkeiten.
Nichtsdestotrotz befinden sich in dieser Achterbahnfahrt aber immer wieder die Reminiszenzen an den Schrecken des Todes. In den sich vollziehenden Spaß tauchen flüchtig Bilder auf, in denen Menschen nicht ganz so unsterblich wie die Protagonisten mit dem Tod kämpfen. Sie werden nicht artikuliert einbaut, sondern wirken wie Erkenntnisblitze von etwas anderem. Sie bleiben außen vor und werden nicht Teil der Achterbahn. Erst gegen Ende kippt es und eine hehre menschliche Botschaft wird theatralisch in den Taumel eingewoben. Bis dahin ist es aber rationell ein Schrecken, was den Antrieb von 2012 bildet, der sich in einem dionysischen Rausch der Zerstörung und der Lust an dieser kurz zu erkennen gibt.
Schade finde ich nur, dass Gordon (Tom McCarthy) kurz vor Schluss doch noch sterben musste. Gerade als sich das Familiendrama 2012, das sich durch monumentale Risse durch Städte artikuliert, zur Auflösung aufmacht, als Stiefvater Gordon und der getrennt von seiner Familie lebende Vater Jackson (Cusack) sich zu arrangieren beginnen, da wird Ersterer vom Film/einer Maschine verschlungen. Die Spalten scheinen sich durch ein harmonisches Patchwork schließen zu lassen, da muss die Kernfamilie plötzlich doch noch reinstalliert werden.
Freitag 11.01.
gut
Vier Männer (u.a. Robert Shaw und Martin Balsam) entführen eine New Yorker U-Bahn mitten im Stoßverkehr. Sie geben der Stadt eine Stunde Zeit, ihnen eine Millionen Dollar zukommen zulassen. Für jede Minute Verspätung wird eine Geisel erschossen, so drohen sie. Schon die knappe Zeit macht es deutlich: THE TAKING OF PELHAM ONE TWO THREE ist ein atemloser Thriller, der neben der peinlich genau geplanten Entführung auch den Vorgängen auf offizieller Seite detailliert nachspürt. Bei den Bahnmitarbeitern, bei der Polizei, beim Bürgermeister. Und so wie die Entführung (fast) wie ein Uhrwerk funktioniert, so tut es auch der gewitzte und witzige Thriller. So sehr, dass er dramaturgisch manchmal ein klein wenig steif gerät. So etwas wie der Running Gag, dass der von Walter Matthau gespielten Unterhändler der U-Bahn-Zentrale auf das Niesen des Mr. Green genannten Entführers (Balsam) sets mit Gesundheit antwortet, der final nicht ganz unbedeutend sein wird, offenbart viel davon wie sehr die viel beschworenen Lockerheit des Films vor allem am Reißbrett geplant ist. Das Tollste an THE TAKING OF PELHAM ONE TWO THREE ist vielleicht auch nicht der Thriller, sondern die Figurenzeichnung. Die Professionalität der Entführer, die auf der Gegenseite völlig vermisst werden kann; die ständig schimpfenden Bahnangestellten; die Jämmerlichkeit der Politiker, die aus Angst vor den Wählern zu keiner Entscheidung kommen; die Verunsicherung aller durch die Frauen, die nunmehr auf Arbeit gehen, oder durch Männer, die nun auch mal lange Haare tragen: der Straßenstaub ist die ganze Zeit über spürbar, wie die blauen Blitze unter den nicht perfekt gewarteten Wagen der U-Bahn eben zu den Fahrten dazugehören.
Donnerstag 10.01.
großartig +
Etwas VERTIGO und PSYCHO haben sich in KREISE eingeschlichen. In den Krimi KREISE, der mit Modellen realen Lebens zugestellt ist – Raumentwürfe eines Möbeldesigners und Hobbymodeleisenbahnlandschaftsgestalters, die mit Figuren vollgestellt sind, die von den Klischees, die sonst in einem solchen Ambiente geboten werden, abweichen und lebendiger sein sollen, wie ziemlich offensiv (deutlich und wiederkehrend) an den Zuschauer herangetragen wird. Und zwischen diesen kriminalistischen und künstlerischen Obsessionen in den Verhörsituationen und Spurensuchen versteckt sich ein Liebesfilm. Ein kleiner, hingehauchter Liebesfilm, der über verrauschte Bilder erzählt wird, welche die Blicke von von Meuffels (Matthias Brandt) in eine Überwachungskamera zeigen, der so den in dieser Situation unmöglichen, aber erahnbaren Kontakt mit seiner Kollegin sucht. Über Stehen im Flur und das Warten auf den Kaffee, während die plärrende klassische Musik des Nachtwächters in der Polizeistation die unausgesprochene Leidenschaft nach außen kehrt, mit der von Meuffels sichtlich nicht umzugehen weiß. Über einen kurzen Augenblick in dem eine unmögliche Liebe sich offen zeigt, aber eben schnell wieder im Krimi versteckt wird, weil die Liebe und der Schmerz betäubt werden muss. Sie wirkt so aber umso mehr. Wie bei Hitchcock ist KREISE zwar ein Suspense-Film, aber offensichtlicher, impressionistischer und nouvelle vague-iger als bei diesem wird doch von etwas ganz Anderem erzählt.
Mittwoch 09.01.
gut –
Zwei entgegenlaufende Blicke strukturieren EINE REIHE VON SCHÖNEN TAGEN. Einerseits ist es der Blick aus einer Küche in das Fenster eines Import-Export-Geschäftes. (Gibt es irgendeine Gelegenheit in einer Geschichte, wo diese Betriebsbezeichnung nicht für Drogen-, Waffen- oder Menschenhandel steht?) Zwei Rentner, die kurz zuvor über die Leere ihrer Tage philosophierten, werden über diesen Zeuge eines Mordes. Andersherum beobachten die Importeure/Exporteure daraufhin das Ehepaar, wie sie mit dem Schweigegeld, welches sie diesen in den Briefkasten stecken, Tag um Tag unter ihrem Fenster ins Taxi steigen und sich etwas gönnen. (Was zuerst heißt, dass der Mann ordentlich säuft – anders kann es nicht genannt werden, was er macht –, später sind es Einkaufstouren und Schiffsfahrten.)
Diese beiden Blicke können als kleine verkürzte Miniatur über das Funktionieren der Gesellschaft gelesen werden. Die Reichen – die Büroräume befinden sich in einem Viertel, dass zumeist von fehlendem Putz u.ä. gekennzeichnet wird, ihr privates Leben verbringen sie aber in Luxusvillen, die Pierre Bourdieu sicherlich (wie so oft bei DERRICK) sehr gefallen hätten, da das fehlende kulturelle Kapital in diesen für einen sehenswerten stillosen Protz sorgen – schauen mit Argusaugen auf die Armen, dass sie sich auch ja mit den minimalen Prozenten ihrer Einnahmen zufriedengeben und keinen Ärger machen. Während die Bedenken – die entgegengesetzten Blicke – sofort aufhören, sobald etwas Geld da ist.
Derrick blickt ebenfalls. Er schaut in die verschüchterten Gesichter des Rentnerpaares und möchte die Wahrheit. Dass EINE REIHE SCHÖNER TAGE größtenteils eine völlig redundante Folge ist, die Derrick das Offensichtliche sich noch schwerfällig herleiten lässt, wo die schwungvollen und atmosphärischen Bilder von Waffenhandel nur nochmal erklären, was die Bezeichnung der Firma schon nahelegte, wo alles so schwerfällig funktioniert wie Körper und Geist zweier abgehängter älteren Personen, all dies findet zumindest ein gutes Ende … weil zum Schluss dies nur Täuschungsmanöver waren. Mit einem naiv-fröhlichen Melodie endet EINE REIHE VON SCHÖNEN TAGEN und dem abermaligen Gang an dem Briefkasten vorbei, der zum Symbol eines unerwarteten Glücks geworden war. Derrick wollte nur die Wahrheit, das Geld blieb bei den Zeugen, ebenso wie die schönen Tage – die am lebhaftesten gefilmten Momente – ohne moralische Abstrafung bleiben.
Aus einer idealistischen Sicht ist es ein pessimistisches Ende, weil die Kollaboration mit den Ausbeutern sanktioniert wird. Aus einer weniger rigiden Perspektive ist es das Portrait einer unrettbaren Welt, in der zwei Leute ohne Einfluss, Macht und … ja vll auch ohne Moral, die Bösen schließlich ans Messer liefern, sich aber dennoch von der Beute ein klein wenig abzapfen, um ihre leeren Tage zumindest kurz mit Genuss zu füllen.
Zum klaren Verlierer wird der Täter, der nicht nur überführt wird, sondern auch von der Unschuld entsetzt angestarrt wird, die er sich im Privaten als Gegenpol bewahrt hatte. Seine Tochter und die keimende Erkenntnis, wer ihr Vater ist, – der Verlust der Unschuld – sie sind die größten Strafe, die hier in diesem Bankett der Blicke bereitliegen.
Dienstag 08.01.
gut +
Es ist gerade etwas redundant, wie die übergriffligen Männer, die ihr Opfer ausversehen mit ihrer Hand vorm Mund erstickten – eine Trope, die in den Siebzigern bei Reineckers Drehbüchern etwas größere Verbreitung fand. Hier wird Derrick wieder von jemanden erzählt, der wohl bald zum Mörder wird. Max Binder (Mathieu Carrière) hat seine Frau verloren. Manisch sucht er Nacht um Nacht die Nachtclubs nach der Autoführerin ab, die Fahrerflucht beging. Derrick kann aber nichts tun. Gesetzlich sind ihm die Hände gebunden, was eine Figur wie ihn direkt in die Impotenz abgleiten lässt. So wiederkehrend dieses Thema und seine Verarbeitung nun sind, so sind Carrières Blicke, sein Niederstarren des Gegenübers, seine Gereiztheit und seine Explosionen (inkl. Schlägereien) äußerst sehenswert.
Am Spannendsten finden ich aber die Regie von Gero Erhardt. Der Sohn von Heinz Erhardt scheint ein ähnliches Faible für Gewalt zu haben, wie Ridley Scott. Die Leiche im Straßengraben, der zu sehende Traum Carrières, wenn er aus dem Nebel kommend eine Braut mit Uzi niederschießt oder die blutigen Nasen nach den Schlagabtäuschen: So wirklich kommt er zu sich, wenn es etwas Rohes zu zeigen gibt.
02.01. – 06.01.
18. außerordentlicher Volljährigkeitsfilmkongress des Hofbauer-Kommandos
Sonntag 06.01.
gut
Es muss nicht immer das sein, was angenehm und interessant ist. Sobald solche Sätze fallen und der internationale Frauenhandelsring – bestehend aus abgehalfterten Gaunern und einer dekadenten Gräfin (Tilly Lauenstein), die für frisches Fleisch alles tun würde – eine Party schmeißt, bei der ahnungslose Frauen mit Marihuana gefügig gemacht werden sollen, wobei die Droge in ähnlich zerrüttender Form präsentiert wird, wie in TOUCH OF EVIL, dann ist SCHWARZER MARKT DER LIEBE ein sensationeller, atmosphärischer Film, der die Arbeit des Zuhälters irgendwo zwischen Voodoorausch und Ernüchterung zeichnet. Lange Zeit ist dem aber nicht so. Stattdessen das Krimigegenstück zu HINTERHÖFE DER LIEBE (der zwei Jahre später diverse Szenen direkt übernahm), wo männliche Männer um ihre Männlichkeit bangen und dessen musikalische Kolportage keine Resonanz in mir fand.
tba.
Filme können einem gefallen, auch wenn einem einiges oder sogar vieles darin nicht gefällt. Nur kleine Teile können das schlussendliche Urteil umreißen. Bei CARIBIA – der leider nicht in Stereophonie, sondern in Mono lief – gefällt mir nichts. Und doch mag ich ihn. Nicht für seine Einzelteile, sondern für sein großmundiges Anliegen, dass in einem sehr, sehr bunten Film zu jeder Sekunde Schiffbruch erleidet.
Rousseau muss hier für ein zivilisationskritisches Experiment herhalten. Ein Plantagenbesitzer auf Haiti Ende des 19. Jahrhunderts (glaube ich) lässt die Kinder verstorbener Mitkolonialisten abgeschieden von der Zivilisation aufwachsen – in Hütten mit kleinen Gärten in einem seltsam domestizierten Dschungel; die ihnen zugewiesenen Areale verlassen sie auf ungeklärten Umständen nicht. Jedem wird eine Bezugsperson zugeordnet, die die Kinder mit Essen versorgt und ihnen das Sprechen und andere Kleinigkeiten beibringt. Alles in allem ist dieses Experiment unfassbar deppert. Nicht, weil wissenschaftliche Prinzipien meilenweit entfernt sind oder so ein Vorgehen äußerst verantwortungslos ist, auch nicht so sehr, weil CARIBIA die Ergebnisse des Experiments sich so hinschiebt, wie es möchte – am Ende kommen unschuldige Typen von Menschsein (der Wissenschaftler, der Krieger, die Sinnliche usw.) heraus, die selbst bei der Anwendung von sexueller Gewalt ihre Unschuld nicht verlieren, und die sich per Ausdruckstanz ausdrücken – sondern weil existentielles über Menschen gesagt sein möchte, dabei aber sich keine Vorstellung gemacht wird, was Menschsein abgesehen von einigen wenigen Klischee bedeuten könnte. Kunterbunt und exotisch wird mit der conditio humana gerungen, die ohne reifliche Überlegungen postuliert wird. Ein bisschen gleicht es, als ob ein TOM UND JERRY-Cartoon idiosynkratisch von Unschuld und einer geistig zersetzenden Zivilisation erzählt.
CARIBIA ist ein Ausdruck von Zivilisationsmüdigkeit. Zwei Fälle von sexueller Gewalt wird es geben. Eine ist nicht weiter schlimm, weil es eben von einem Naturkind aus Lust begangen wird, während das andere die Welt von CARIBIA in Feuer aufgehen lässt, weil zivilisierte Bonzen aus Langeweile eine der Sechs gruppenvergewaltigen. Die existierende Zivilisation ist die Wurzel allen Übels und muss abgeworfen werden, so wird gezeigt. Am Ende stehen ein Sklavenaufstand und die Zertrümmerung einer auf Unterdrückung basierenden Gesellschaft. Sinn ergibt es in einem realitären Kontext kein bisschen, ästhetisch ist es mehr als krude, die ausgestellte Naivität dieser Inselwelt, unter der Verbitterung zu lauern scheint, ist giftig und auch sonst ist kaum zu glauben, was hier passiert bzw. was hier wie zu sehen ist, aber was wäre die Welt ohne solche Filme, die einen herausfordern und einem tierisch auf die Nerven gehen, obwohl sie es doch sichtlich gut meinen?
ok
Capras erster Scopefilm spielt größtenteils in Innenräumen. Es ist auch sein erster Farbfilm, der dramaturgisch zwischen natürlichen und Kaugummifarben wechselt. Frank Sinatra spielt einen Hotelbesitzer, der zwischen seinen widersprüchlichen Ansprüchen – Ehrgeiz und Entspannung, Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, Häuslichkeit und Lotterleben – gefangen ist und er spielt einen Vater, der noch weniger erwachsen ist, als sein Sohn. HOLE IN THE HEAD ist dabei ein Tearjerker, der mit einem liebreizenden Tristkind (Eddie Hodges) arbeitet, mit Enge und Freiheit, mit einer Hauptfigur, die ohne Unterlass rennt und redet. Scheinbar wir kopflosen einem wenig als Sympathieträger taugenden Sinatra hinterhergerannt, aber doch stellt HOLE IN THE HEAD einfach nur den filmischen Raum mit Widersprüchen zu, bis er einem das Herz rausreißt. Und am schönsten ist, dass am Ende einfach alle Verbindungen an die Themen des Films gekappt werden und darin das Happy End liegt.
*****
* Lief nicht im Zuge des 18. außerordentlichen Volljährigkeitsfilmkongress‘ des Hofbauer-Kommandos. Während der Abendbrotpause blieb ich mit einer Kisch des Filmhauscafés im Filmhaussaal sitzen und schaute eine ziemlich schöne, dort im normalen Programm laufende DCP, wo der Restaurator das Filmische nicht versucht hat zu eliminieren – selbst ein Haar lag noch ein paar Sekunden rechts oben über dem Bild.
fantastisch –
Formaler – ein Schlagersänger springt unverhofft plötzlich 50 Meter in die Luft, so legen die Bilder nahe; oder der unüberwindliche Graben zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter, der per Großaufnahme eines liebreizenden Gesichts überwunden wird – und inhaltlicher Irrwitz – das Leben im Schlagerfilm ist hier wie so oft vor allem surreal und Männer und Frauen tauschen sich solange untereinander aus, bis es passt – übersetzen hier das Kommende (1968 / Generationenkonflikt) in einen Schwank, wo gerade die Kraft des Kapitalismus gezeigt wird, Leute die Seite des Progressiven schmackhaft zu machen, da die die von Untermenschen schreien und auf Sekretion bestehen nicht nur unmenschlich, sondern auch profitverhindernd sind. Die Lust am Leben, durch Freiheit, Mut und einfache Fronten.
radioaktiv
Ewig sich drehende nackte Frauen (auf einer Scheibe vor Spiegeln befinden sie sich) pochen auf ihre Selbstbestimmung. Sie, DIE MÄDCHEN AUS DER PEEP SHOW, sehen nicht ein, dass sie lediglich Objekte sind, wo doch die Männer für sie ebensolche sind, denen sie ihr Geld entlocken. In Sex und ihrer Arbeit möchten sie nichts Dreckiges sehen, nur in einer Geisteshaltung, die davon ausgeht für lumpige sechs Mark gleich einen ganzen Menschen gekauft zu haben. Passend dazu stehen ihnen Männer entgegen, die nur als riesige Augen und geleckte Lippen inszeniert werden. Von der Peepshow scheinen sie hypnotisiert. Bedrohliches steht in ihnen, wie in DIE ITALIENER DREHEN SICH UM.
Die von Monologen über die Lebensverhältnisse der Tänzerinnen und einer verspielten Moderatorin sekundierten Frauen werden konterkariert von Spielszenen, in denen bestialische Sexphantasien von Männern ausgelebt werden. In denen besagte Frauen Dinge zur Lustbefriedigung der Männer werden und dumpfen Sprüchen und gierigen Blicken erliegen müssen, um an Orten männlicher Potenz (Motorbooten, Flugzeugen, Autos) niederzuliegen. Aber auch in diesen Spielszenen herrscht der Kampf des Filmes, der auch in der Gegenüberstellung der beiden Gegebenheiten liegt: Wer gewinnt die Überhand? Das Spielerische der Frauen oder die dumpf wirkende Lust der Männer (traurige Psychopathen), die zwischen Kläglichem und Aggressivem pendelt. Und DIE MÄDCHEN AUS DER PEEP SHOW ist so das kaum Erwartbare: ein als Reportage getarntes godardsches Essay über den Kampf der Geschlechter.
Sonnabend 05.01.
fantastisch –
Dies ist ein Ballett, das zwischen dem Drang das Schöne zu sehen und sexueller Übergriffigkeit (das Schöne zu besitzen) pendelt und das den kleinen Schritt dazwischen sehr offen mitführt. Die finale Einstellung zu einer melancholischen Melodie zeigt einen weitestgehend furchteinflößend inszenierten Mann, der einer Frau nachging. Sie floh zuletzt in schneller werdenden Schritten vor ihm in ein Haus, dass in einer noch unbebauten Einöde steht. In einem kaum merklichen, fließenden Übergang verwandelt sich die kleine Figur – in der das ganze Haus greifenden Einstellung kaum mehr als ein Punkt – von einer Bedrohung aus einem Psychothriller in einen Tropf, der doch lediglich einen Drang nach dem Schönen hat. Für unzählige Männer scheint er einzustehen, die den kleinen Schritt nicht bemerken, der aus mitleidserregenden Lüstlingen, die nicht wissen, wie sie das bekommen sollen, was sie wollen, gruslige Gestalten macht, die Frauen das Gefühl geben müssen, Freiwild zu sein.
Stark stilisierte und durchorchestrierte Spielszenen über Männer, die Frauen Treppen hinauffolgen und sich durch ihren Schweiß und ihre Unbeholfenheit zu Witzfiguren machen, über das allgegenwärtige Grapschen in überfüllten Bussen uswusf., befinden sich neben dokumentarischen Aufnahmen, von aufreizenden Frauen, die eine Straße entlang geschickt werden, und von den sich nach ihnen umdrehenden Männern. Heiter ist es und immer wieder gruselig, weil in beidem ein Zwang zu sehen ist, der schnell seine Unschuld verliert. Zu Beginn verlassen Frauen ihr Haus in einer knappen Montage, am Ende rettet sich eine zurück in die eigenen vier Wände.
großartig +
Gleichzeitig wird von der Enge der Armut, wie von der Phantasie der Lust erzählt. Das Motiv ist einfach. Sexgeräusche dringen durch die viel zu dünnen Wände in einem Haus, das für seine Mietparteien jeweils einen Raum bereithält. Der Ursprung des Stöhnens wird aber weniger gezeigt, als die dasitzenden Leute, die sich das Hörbare ausmalen (müssen). MICHI NO SEX könnte fast ein Ozu-Film sein, so wie er seine Figuren in ihren abstrakten Räumen sitzend zeichnet. Aber dann sind da eben noch der Sex und die einsetzende Eskalation.
Eine Frau – eine Lehrerin mit gespartem Geld in einem Blumentopf – verschwindet gegen Ende einfach aus dem Film. Die letzte Einstellung, die sie wahrscheinlich beinhaltet, zeigt eine Decke in ihrem Zimmer, die einen abstrakten Berg bildet. Sie ist in diesem nur zu erahnen. Währenddessen wütet ein Nachbar betrunken auf dem Flur. Ist sie tot? Emotional verschüttet? Alle anderen Figuren erhalten ihren auf die Zukunft weisenden Abtritt. Nur sie ist einfach weg.
großartig +
Auch wenn es der Off-Kommentar gerne herunterspielt, ICH ist die Abrechnung mit einem (Typ) Ehemann. Monika lässt selten unerwähnt, wie sehr sie ihren Ehemann Kai liebt, wie sympathisch er ist und wie alles super funktioniert – dazu sind gerade zu Beginn die passenden Bilder von Liebenden zu sehen, die eine satte Abendsonne tränkt –, aber seine Ignoranz ihr gegenüber, gegenüber ihrer Lust und deren Befriedigung, sein Wegbürsten jeglicher Hinweise auf andere Möglichkeiten des Sex über kurzes Drüberrutschen hinaus, machen ihn doch zu einem unsäglichen Unsympathen. Auch sonst die Männer: eklige Schmierlappen oder verständnisvolle Gentlemen gehobenen Alters. Die unschuldigen, aber doch um ihre Selbstverständlichkeit kämpfenden Versuche Monikas ihre Lust auszuleben, sie befinden sich in einem Jammertal unpassender Männer.
ICH ist dabei aber vor allem ein sehr lustvoller Film, weil sich Monika davon nicht entmutigen lässt. Davon sprechen die unzähligen Zitate, die wie am Fließband kommen:
Du siehst aus wie eine Statue. … Ich weiß, wir spielen Denkmalschändung.
Er ist ein Egoist und achtet nicht darauf, was ich möchte und wie es mir geht. … aber er hat eine Gehaltserhöhung bekommen.
Du solltest dein Haar offen tragen, wie deinen Schritt.
Ich spürte seine Erektion. Sie war wie ein stummes Kompliment.
Aber auch die ins Bild schlingernden Phantasien: Als Monika ihren Mann auf einer Baustelle besucht – er ist Architekt –, da phantasiert sie sich in den Rohbau einen puff-artigen Anblick. In jeder Etage, in jeden Raum steht ein nackter Bauarbeiter, der sich ihr anbietet, den sie aussuchen kann. Später werden diese Nackten sie über die Baustelle jagen, in immer noch einer von ihr genossenen Vorstellung.
ok +
Es gibt tolle Bilder von Sex und Erschöpfung, von Verlorenheit und Wasser, das wie eine tödliche Wüste aussieht, aber nie von Hoffnung. Das ist etwas, das höchstens von den Figuren verbal ausgedrückt wird. Sie muss sich eingeredet werden.
Nicolai Bühnemann hat auf seinem Blog Gedanken an Freud natürlich seine Verehrung für NEUN MÄDCHEN AUF DER HÖLLENINSEL Ausdruck verliehen. Ich konnte auch nach diesen Worten leider nicht so viel anfangen. Immer wenn er spannend zu werden schien, streifte er seine Haut ab und fing an auf etwas Neues hinzuarbeiten.
großartig
Ein Rape&Revenge-Film, der eine Rächerin zeigt, die ziemlich perfide rächt, indem sie ihren Vergewaltiger mit Drogen benebelt, ihn als Ding in der eigenen Couch hält und ein sehr komplexer Verhältnis zu ihm aufbaut, wenn sie ihn mal quält, mal als (sex-)Spielzeug benutzt und ständig erniedrigt – zwei Beziehungsarten werden dabei vorgeführt: Einmal die gleichberechtigte Liebe und die zu einem Haustier, auf dessen Empfindungen keine Rücksicht genommen werden muss. Lisa endet an einem Ort, wo sie sicherlich nicht hätte enden wollen. Und LISA! ist ein Film von intimen Momenten und von einer neugierigen Suche, wie mit den Umständen umgegangen wird, in denen wir eben so landen können.
verstrahlt +
Am Ende bringt die Mutter die Rettung und Sex haben hier eh nur Schauspieler, die für Barbiepuppen einstehen und mit denen ausagiert wird, was sich jemand ohne Erfahrung eben unter diesem seltsamen Handeln vorstellt: WAIDMANNSHEIL IM SPITZENHÖSCHEN ist von Infantilität bestimmt. Ein Blick der Unschuld auf die Tatsachen des Erwachsenwerdens – in feste formale Schranken gewiesen, damit dies auch nicht bedrohlich wird: vor allem gibt es eine Wurtstrecke, die unterhalb eines Saals mit tanzenden Paaren das ganze untere Ende der Einstellung einnimmt. Der Prunk von Kleopatra wird auch so ins Kinderzimmer übersetzt.
Freitag 04.01.
ok +
Eine Hälfte verstrahlt, die andere von heftigem Stahl. Beide wurden fein säuberlich von einem Filmriss getrennt. Das angereicherte Uran der ersten Hälfte sind Willy Millowitsch, der deutscher Brüderlichkeit ein Denkmal setzt, wie es sich Krzysztof Kieślowski nicht besser hätte ausdenken können, und Gisela Schlüter, die spielt, als habe sie sich zehn Kannen Kaffee einverleibt. Das Ruppige sind Hans-Jürgen Bäumler, Uschi Glass, Michael Schanze und das verjüngte Heintje-Substitut Nicki, die final ungelenk Kalamitäten aufbauen und auflösen und ein Nichts mit einem umtriebigen Nichts aufbauschen.
fantastisch –
Es ist vll. kein äußerst schmieriger Film, aber 24 STUNDEN AUS DEM LEBEN EINER FRAU war doch für den Kongress wie gemacht. Denn es gibt eine lange Autofahrt zweier sich Verliebender und nichts geschieht. Es fehlte nur, dass wie in DAS TESTAMENT DER BEGIERDE jemand auf die Uhr geschaut hätte. Aber auch darüber hinaus vergeht viel Zeit, ohne das etwas passieren würde. Manchmal wirkt dies wie ein Blick voller sense of wonder, weil plötzlich Ton da ist. (Auch wenn dieser 1931 nun nichtmehr das Neuste überhaupt gewesen sein sollte.) So werden beispielsweise Besen für eine lange Zeit beobachtet, die hörbar über den Asphalt streichen. Ein Umstand, der nicht rationalisiert wird, sondern nur genossen. Impressionismus und Leere finden sich in diesen verschenkten Momenten, in denen das Innenleben der Figuren und das Geschehen undefiniert sind und unendlich Platz haben.
In dieser Leere lauert aber auch das Ungewisse des Lebens. Sind wir dem Schicksal unterlegen bzw. wiederholt sich das ewig Gleiche oder besteht die Hoffnung darauf, dass wir uns ändern können. Beide Seiten finden ihre Entsprechungen, die wie dicke Wolken über dem Geschehen hängen. Die niederdrückende Figur – auch körperlich die schwerste an einem Ort (Monte Carlo), wo die Leute ansonsten federleicht scheinen – eines Handlesers (Friedrich Kayßler), der den Leuten ständig ihre Prädestination erklärt, steht u.a. einer Einstellung entgegen, wo die Frau des Titels, Helga Vanroh (Henny Porten) sich ihren Handschuh abstreift, aber erst nach etwas Irritation erkennbar wird, dass es sich um das Entledigen eines Handschuhs und nicht um eine Häutung handelt.
Melancholisch wird also durch eine neu zu entdeckende, sich ständig ändernde Welt geschlendert und alles ist eine Sache der Perspektive. Die schwarzen Linien unter den Augen von Helga Vanroh, sie können die Zeichen von durch Tränen heruntergelaufenem Make-Up sein oder eben doch nur Falten im Schleier. 24 STUNDEN IM LEBEN EINER FRAU leidet und genießt, dass alles doppeldeutig, unsicher und voller Wunder ist.
verstrahlt
Ein Glück, dass wir nicht saufen.
Wir lassen ‘s runterlaufen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die tristen Ecken in DERRICK übertrieben sind. In diesen mit Sußer8 aufgenommenen Heimvideos – tatsächliche, auf einem Flohmarkte entdeckte – sieht es aber eher so aus, als ob die Fiktion nie die Trostlosigkeit der (inszenierten) Realität zweier Normalbürger entsprechen kann. Ewig und immer wieder werden Geburtstagsfeier dokumentiert. Der Wille, etwas für die Kamera zu bieten, generierte dabei quasi einen Schluckauf des in den respektablen Erwachsenen Lauernden. Hier ein zotiger Witz – Der Postbote hart den besten Job. Er geht von Schlitz zu Schlitz bis der Sack leer ist. – bis hin zu lange Vergrabenem – Zicke Zacke, Zicke Zacke, Heil. Urlaubsaufnahmen und Aufarbeitungen des Alltags … und scheinbar riesige Lücken dazwischen, die von der Erkenntnis/Selbsteinschätzung sprechen, dass es nicht viel Dokumentierwürdiges im Leben von Paul und Erne gibt. Und dann zwischen drin die wiederholten Aufnahmen einer Pflanze. Ein John Mekas-Kunstfilm erwuchs wohl aus dem Drang, die Kamera zu etwas zu gebrauchen. Bei diesen zwanzig Minuten handelt es sich um ein kaum zu unterschätzende Schatzkammer des Menschseins, will mir scheinen.
ok
JEANNE DIELMANN in einer Lightversion von der FWU für die Schule. Wie dieses schweigende Etwas in der Schule angewendet wurde, würde ich aber gerne wissen. Für den Ethikunterricht vll.: Und nun stellen wir uns vor, wie sich eine Hausfrau – eure Mütter mglweise – jetzt gerade fühlt, während sie euren Kack wegräumen müsste und einen Nervenzusammenbruch hat, weil sie nicht mehr die Kraft hat, um vom Tisch aufzustehen.
fantastisch
Pubertät als romantischer Traum, wo selbst die Verunsicherung etwas Schönes hat. ACHTERBAHN DER GEFÜHLE erzählt aus einer retrospektiven Perspektive, wo dies alles schon überstanden ist und schaut nun voller Gemütsruhe und Verzückung auf überstandenes Elend, das sich nun als gar nicht so grausam herausstellt. Beiläufig wird von der ersten Regel, der ersten Ejakulation und der ersten Masturbation erzählt, von dem Erwachen der ungeheuren Gefühle bei einem Mädchen und einem Jungen. Über allem hängt aber ein leichter Hauch des Irrealen: der Nebel, der durch die Gegend zieht, das seltsame Licht, die Passanten und Dinge, die den Weg zwischen Kamera und Handelnden wiederholt zustellen, das Meer aus Kerzen, das das Mädchen beim erkunden ihres Körpers plötzlich umringt. Ein kurzer Blick an einen mythischen Ort, auf das kommende Generationen Trost finden.
gut +
Der Untergang des Abendlandes. Ein älteres Ehepaar nimmt, weil sie Geld brauchen, afrikanische Studenten als Untermieter auf. Sie lassen sich Mama und Papa nennen, weil sie das Gefühl haben, die Rückständigen ohne Kultur und Vernunft erst noch erziehen zu müssen. Ein Dokument von nicht böse meinendem Rassismus, von Niedertracht, von den schlecht möglichsten Eltern, die den Kindern ihre Verachtung zu jeder Zeit spüren lassen. MAMA UND PAPA hält bei diesem traurigen Dokument zuweilen das Geschehen an und schreibt diverse eben getätigte Zitate der beiden Vermieter über das Bild. Ihr habt richtig gehört. Lasst das erstmal sacken, scheinen diese Wiederholungen sagen zu wollen und verstärken das beklemmende Gefühl noch. Die Studenten hingegen stecken irgendwo zwischen Wut und der anscheinend überlebenswichtigen Einstellung, dass alles auch ziemlich absurd zu finden.
großartig
Pubertät als Hölle des Zurückschreckens und als Zeit der verkrampften Performance einer nicht vorhandenen Souveränität. Anne steht auf einen Jungen und dieser auch auf sie. Anne traut sich aber nicht den ersten Kuss zuzulassen. Anders als ACHTERBAHN DER GEFÜHLE ist dies kein Traum, sondern harte Realität. Die Realität eines Wartezimmers. Am Ende herrscht dann auch keine Romantik, sondern Pragmatismus. Anne küsst aus Eifersucht, aus Rivalität, aus Berechnung.
großartig +
Thomas G. dazu im Gesichtsbuch: Spiceworld ist natürlich ein Ultra-Farbfilm darüber, wie Frauen nicht nur über der phallisch-patriarchalen Popkultur stehen, sondern deren Helden, Codes und Mechanismen sich einfach aneignen, neu sortieren und zertrümmern und an die Stelle der Popgeschichte des Männerbundes eine hedonistisch-anarchisch geprägte Frauensolidarität setzen. Für die Verwalter und Archivaren coolen Wissens natürlich ein Affront, weshalb der Film insbesondere bei einem männlichen Publikum mitunter einen äußerst schweren Stand hat. Nicht zuletzt auch ein Film, der als historische Zeitkapsel viel über die ausgehenden 90er weiß und den kurzen Sommer des Endes der Geschichte sowie die Naivität hinter dieser Vorstellung konkret-sinnlich nachvollziehbar macht. Dass er dabei noch methodentransparent ist, weist ihn nicht nur als Glanzstück des 90s-Postmodernismus aus, sondern macht seine hybride Gestalt als selbstbewusstes Schund-Cash-In, das mehr ist als ein Schund-Cash-In, deutlich.
großartig –
Ich hatte einige Schwierigkeiten herauszufinden, mit wem ich es hier zu tun hatte. Es gibt beispielsweise eine Montage, wo Hauptfigur Donald (Gerald Grant) im ständigen Wechsel Sex mit seiner Ehefrau (Andrea True) und mit seinem Liebhaber (Dean Tait) hat. Seine Zerrissenheit, wie sein Liebesleben, das sich in einem ständigen Wechsel befindet, kommen hier zum Ausdruck. Und je schneller sich das Karussell drehte, desto mehr schienen sie sich zu überlagern. Als Ende der Montage erwartete ich die Pointe, dass er eine Sexpraktik am falschen Ort vollziehen würde, dass seine Frau hochschrecken würde und Zweifel gesät wären. Solch ein etwas gemeiner Spaß ist in BOTH WAYS aber nicht möglich. Denn es handelt sich um einen grundgutmütigen Film.
Sehr klare, reduzierte Bilder, die manchmal ins Abstrakte reichen, lassen eigentlich nur Platz für die Menschen. Der Sex ist meist kurz und kollagenartig. Zusätzlich ist er zuweilen von american gothic-Bildern einer älteren Haushälterin unterbrochen, deren scheinbare Missbilligung ein urteilendes Über-Ich in die Liebe trägt. BOTH WAYS ist weniger ein Porno, als er ein Drama ist, wo die Überwindung zur gleichgeschlechtlichen Liebe die Überwindung eines Harvard-Absolventen ist, mit einem Yale-Studenten zusammenzukommen – der Harvard-Krug wird später auch zur Mordwaffe werden. Wenn BOTH WAYS also ein grundgutmütiger Film ist, dann ist er noch extra traurig, weil er auch mit einer solchen sensiblen Einstellung zu seinen Figuren kein Happy End finden wird.
Donnerstag 03.01.
gut
Dornige Blätter, die wie Stierhörner aussehen und durch den Kameraschwenk zumindest den Eindruck erwecken, als ziehen sie sich aus aufgespießten Leuten heraus; ein Anthropologe, der ab irgendwann mit aller Selbstverständlichkeit der Welt plötzlich Pfarrer ist; ein Pfarrer, der nach einer auf ihn gespuckten Oblate schreiend wegrennt, weil die Besessene dieser ROSEMARY’S BABY-Version, die mit DER EXZORZIST minimal gekreuzt wird, sich nicht sofort retten lässt und aller Glaube von ihm abfällt: All das und mehr sind die Schauwerte in einem Film, der (er selbst und vor allem seine Sexszenen) am besten durch die Leinwandpräsenz des Anthropologen/Pfarrers beschrieben ist. In jeder ihn beinhaltenden Einstellung sieht er aus, als sei er gerade hineingetrübt und versuche mit seiner verkrampften Lässigkeit seine Anwesenheit zu rechtfertigen, wo er sich doch ständig fehl am Platz zu fühlen scheint.
großartig
Martin Humer hat eine Obsession für Pornos, die in Räumen voller unzählige Ordner katalogisiert sind, die als Beispielmaterialen selbst auf dem Klo bereitliegen oder die als Magazine oder Videos auch sonst eine ständige Präsenz in seinem Alltag darstellen. Durch den ständigen Kampf gegen das Objekt der Begierde drückt sie sich aus, als Über-Ich-Kontrollzwang, vor dem das Objekt der Begierde als Beweismittel für den Staatsanwalt getarnt ist.
Peter Heller – durch die Einführung vor dem Film per Remix einer Handynachricht als äußert seriöser Charakter gezeichnet – dokumentiert den Kampf des Martin Humer und die Gegenwehr seiner Widersacher indem er ihnen Platz lässt. Die Schnitte und die fortlaufende Entwicklung der Doku, die immer weiter Erkenntnisse wie Twists in den Fluss des scheinbar Offensichtlichen bringt, formen das Dokumentierte zwar, in den Bildern lässt er den Protagonisten aber Platz. Meist damit sie sich selbst dem Spott preisgeben und ihre gierige Selbstgerechtigkeit offenbaren – gezeigt wird ein Krieg, der nur Verlierer zu kennen scheint – manchmal aber auch, um sie in Momenten der Kontemplation zu zeigen. Und gerade Humer ist es, der dieses Vorrecht erhält. Ein Mann voll ätzender, widerlicher wie widerspruchsvoller Rhetorik wird gezeigt, wie er in die Ferne schaut und sinniert. An dieser Stelle scheint der Blick auf ihn geradezu sanft und öffnend: Welche Position mag einer, der nur in Parolen redet, in einem solchen Moment zu sich einnehmen? Das ist vll. die dringlichste Frage von DER PORNOJÄGER.
ok –
Die Nebenfigur Johnny sagt in CITY OF SIN, dass nichts wichtiger ist als Sex. Seine Verhaftung und Freilassung, durchaus bedeutende Brennpunkte der Handlung, sind deshalb auch gleich gar nicht zu sehen. Stattdessen eben Kopulation. Die Handlung, so narrativ CITY OF SIN auch ist, spielt kaum eine Rolle und hat lediglich einen Hauch von melancholischer Romantik, sowie eine faszinierende Definition von Luxus. Den ach so wichtigen Sex fand ich aber nicht unbedingt sehenswerter. Christoph meinte danach, dass er ihn nachahmenswert finde. Sicherlich, CITY OF SIN war nicht darauf fixiert, alle Stellungen bei jedem Akt durchspielen zu lassen, und es wurde sich auch nicht auf ständige Detailaufnahmen versteifte. Seinen Körpern bot er in ihrer Gänze Platz. Hinzukommt, dass der erste Penis auf sich warten ließ und auch noch schlaff war. Es stimmt schon, menschlicher war der Sex als die handwerkliche Standardware in vielen Pornos, aber eben doch vor allem motorisch.
großartig –
Die Normalität des Faschismus der Erziehung als Komödie, die den Cha-Cha-Cha tanzt und die Engstirnigkeit der Erwachsenen wie aus einem Comic aussehen lässt. Sie sind ehemalige Soldaten, die bizarr von damals schwärmen, schnellredende Väter, die sich selbst nur allzu gerne wiedersprechen, Napfkuchen und Glöckchen. Ihnen gegenüber junge Frauen, die nach sich suchen. Poesie ist der Dünger für’s Gemüt, ist ihr Leitspruch.
radioaktiv –
Am Ende werden alle Leichen, die die Handlung produzierte, jeweils in einer Einstellung nochmals festgehalten. Bedacht schaut DIE WILDEN ENGEL VON HONGKONG nochmal auf seine eigene Bedenklichkeit zurück. Von Anfang an ist DIE WILDEN ENGEL VON HONGKONG Exzess und Gewalt. Und doch schafft er es, sich nur langsam und geradezu gemütlich zu steigern, bis, ja bis er das Inferno geworden ist, das von Beginn an zu erwarten war. Versuche eine Erklärung für das Massaker zwischen einer Motorradgang und Urlaubern auf einer abgelegenen Insel (wie Klassenunterschiede und Herablassung) sind nur windige Scheinargumente. Es ist ein existentielles Erlebnis von Alphamännchentum, wo ab einem gewissen Grad nur noch Gewalt zu erwarten ist.
*****
Als ich ihn das erste Mal sah, ging ihm der Ruf eines schmierigen Megaerlebnisses voraus. Ich hatte mich auf gute Laune eingestellt und nichts in der Richtung bekommen. Stattdessen eine düstere, asoziale Grenzerfahrung. Jetzt wo ich darauf vorbereitet war, was kommen würde, konnte ich ihm gleich viel mehr abgewinnen.
fantastisch –
Das Unentschieden: Von zwei rivalisierenden Tanzgruppen erzählt HOT STEPS. So heftig die Streiche und Konkurrenzkämpfe aber auch sind, so lebt der Film von werbefilmartigen Versöhnungen. Die Konflikte werden einer unkaputtbaren Menschlichkeit untergeordnet, was dem Ganzen ein leichtes Strahlen gibt (ein radioaktives und eines der strahlenden Zähne beim Lächeln). Und weil alle vor einem Hass bis aufs Blut zurückschrecken endet alles immer in einem schiedlich-friedlichen Unentschieden.
Paradox der Farben: Alles in HOT STEPS sieht warm aus und scheint die gleiche Temperatur des Ausgleichs zu Verkörpern. Das Blau ist das der Himmel eines strahlenden Sommertags, das nicht von drückender Hitze spricht, sondern von erfrischenden Winden in dieser, wie das Rot die umschließende, nicht zu heiße Wärme des Abendrots eines ebensolchen Tages ist.
Die Blicke: Relativ früh gibt es einen wohl bald in die Pubertät kommenden Jungen, der von seinem Skateboard fällt. Beim Aufstehen folgt sein Blick und für ihn einstehend die Kamera dem Körper einer vor ihm stehenden Frau (Dianne Granger) – von den Füßen bis zum Gesicht hinauf. Der Junge trägt dabei das Spielberggesicht als erster von vielen, die hier mit Sex konfrontiert werden. Wobei der Sex vor allem unverhohlen im Tanz zu sehen ist. In sich räkelnden Körpern, die ihrer schon sexualisierten Oberfläche noch einen zusätzlichen Schub aus Berührungen, Umschlängelungen und Körperflüssigkeit (Schweiß) geben. Das Geschlechtliche lässt hier fast durchgängig staunen und zieht die Leute aus sich heraus. Ein Vater bestaunt beispielsweise (fast) sabbernd seine Tochter, bis er sie erkennt. Die Tochter wiederrum tritt zu Beginn durch einen Spiegel in einen verspiegelten Raum, der sie, die sie Sex in ihrem Leben aufkeimen spürt, mit einem küssenden und tanzenden Paar in Verbindung setzt. Die Spiegel realisieren ihre Sehnsüchte und lassen sie wie Gedankenblasen sie umkreisen. Diese Blicke sind Ausdrücke einer Phantasie, eines Hineindenkens. Die Möglichkeiten des Selbst sprießen in ihnen.
DIRTY LOVE: In vielerlei Hinsicht ähnelt dieses Produkt von Joe D’Amatos Filmirage seinem DIRTY LOVE. Der Tanz, das Laufen, das Fahrrad als Symbol der Unabhängigkeit, der Sieg des Gefühls/der Naivität über das Handwerk, aber alles ist etwas mehr auf Hochglanz getrimmt, weshalb es nicht verwundert, dass die männlichen Figuren wie Teil der New Kids on the Block aussehen.
Mittwoch 02.01.
großartig –
Dort wo Ebenmaß und Pracht,
Sinnenlust und Frieden lacht.
Ein Gedicht von Charles Baudelaire spielt in diesem Liebesfilm eine zentrale Rolle. In ihm läuft zumindest mein Verständnis von THERESE AND ISABELLE zusammen. Leider kann ich aber nur erahnen, um welches Gedicht es sich handelt. Sicher bin ich mir nur, dass das Wort Ebenmaß wiederkehrend verwendet wurde. Und damit spricht nach einer kurzen Recherche alles für L’INVITATION AU VOYAGE, bzw. richtiger für AUFFORDERUNG ZUR REISE, also die Nachdichtung von Carl Fischer.
Bei meinem knappen Forschen im Internet habe ich auch gleich eine einzelne Seite in der Buchvorschau von ÜBERSETZUNGEN UND IHRE GESCHICHTE gefunden, wo die Umdichtungen Stefan Georges und Fischers eben dieses Gedichtes als Zeugen dafür herangeführt werden, dass es unmöglich ist Lyrik zu übersetzen. Die Verschiebungen, die die Übersetzung zwangsläufig mit sich bringt – und THERESE AND ISABELLE war nunmal in der deutschen Synchronisation zu sehen – scheint aber nicht das Entscheidende für mich anzugreifen. Aber Baudelaire will »volupté« mit »calme« verbinden, als Gefühlseinheit, zum Beispiel zärtliches Nebeneinanderruhen statt großer Leidenschaftsstürme, schreibt Werner Ross in besagtem Buch auf besagter Seite. (Seinen vollständigen Artikel habe ich leider (noch) nicht finden können.) Auch da möchte THERESE AND ISABELLE hin … und zwar mit dem von Fischer als Ebenmaß übersetzten ordre.
Als ich nun dieses Wort vermehrt und rhythmisiert hörte, da fiel mir auf, worauf ich bei den Filmen Radley Metzgers bisher nicht deuten konnte … und was mich verwirrte. Denn Metzger ist nicht weniger als der eloquente Bruder Jürgen Enz‘ und Formalismus ist es, welche die Verwandtschaft herstellt. Bei Metzger ist der Formalismus sicherlich viel, viel lebendiger, aber auch bei ihm ist er eine Krücke. Sex wird in Statuenhaftigkeit aufgelöst … oder in Paul Morrissey Dokubanalität, wo die Kamera auf Thereses Gesicht hält und lediglich das zwangsläufige Crescendo der Musik von ihrem inneren Beben kündet. Den Film eröffnet eine Sequenz, in der Therese (Essy Persson) als erwachsene Frau in ihr altes Mädcheninternat zurückkehrt. Sie wird dabei zunehmend von ihren Erinnerungen überwältigt und ihre Phantasie beginnt die Bilder zu überschreiben, die sie und wir sehen. Erst sind es Töne, die sich über die Orte legen, langsam werden sie aber von Leuten bevölkert, die dort schon lange nicht mehr sind. Die Trennung zwischen Innerem und Äußerem wird in THERESE AND ISABELLE also sehr bewusst gesetzt … beim Sex wird diese Grenze aber nie überschritten. Lust bekommt keine Subjektivität, sondern ist immer Objekt. Ein Objekt, dass sich in einer Vase spiegeln muss, um nicht zu deutlich und ordinär vor uns zu stehen, oder das in einem Gesicht gesucht werden muss, wie in Warhols BLOW JOB.
Das Lyrische des alles begleitenden Off-Kommentars der alten Therese vergeistigt dies dann noch zusätzlich. Da wo Enz gerade nicht vor Drastik zurückschreckt – mit der Verkalauerung von Sex und dessen ungeschönter Dokumentation in seinen formalistischen Welten – da wird sich bei Metzger doch anschmiegsam an ihn herangetraut, aber eben nur so. Jede körperliche Erfahrung wird in Ebenmaß und Pracht übersetzt. Von den Worten und den Bildern. Das der Besuch eines Stundenhotels den Tiefpunkt der Beziehung zwischen Therese und Isabelle (Anna Gaël) darstellt – die Liebesgeschichte der beiden Internatsschülerinnen wird von dem nach ihnen benannte Film erzählt –, mag kaum überraschen. Hier suchen sie die Ferne der ständigen Überwachung durch Lehrer und Mitschüler, finden aber nur Indikatoren der Derbheit von Sex. Den Schwärmereien einer verzichtvollen Jugend entspricht dieser Ort nicht. Sex ist hier Dienstleistung und (für die Lust) funktionalisierte Tätigkeit. Das Bett und der Raum sind nicht schön, sie sind Nebensache für etwas, das alles überstrahlen soll. THERESE AND ISABELLE und vor allem seine Erzählerin, Therese, brauchen aber eine kitschige Romantik, die die Lust bändigen soll. (Thomas G. hat im Gespräch nach dem Film, als ich dies auch schon skizzierte, Ingmar Bergman auf die geistige Verwandtschaftslandkarte gebracht.)
Das Ende bringt dann den Schicksalsschlag mit dem Fallbeil. Die Jugend und das jugendliche Sehnen nach einem reinen Sex, dem THERESE AND ISABELLE ein Denkmal setzt, es bekommt hier seinen unwiederbringbaren Verlust. AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN UNSCHULD wäre auch ein schöner Titel für einen Film gewesen, wo beispielsweise auch immer wieder inzestuöse Assoziationen präsentiert werden, die aber nur Aufblitzen und in der Dramaturgie der Geschichte keinen Widerhall finden – so sieht Isabelle Thereses Mutter erstaunlich ähnlich und im direkten Anschluss an den ersten Sex mit einem Mann, ist Therese das einzige Mal im Film ihrem Stiefvater gegenüber aufgeschlossen – zumindest kurzzeitig.
fantastisch –
Auch bekannt als DER IRRE VOM ZOMBIEHOF oder DAS MÄDCHEN VOM HOF. Mal davon abgesehen, dass der eigentliche Titel sensationell gut ist, wäre vll. ALPIN CHAINSAW MASSACRE der passende Titel gewesen. Die Wiederveröffentlichungstitel versprechen entweder zu viel Drastik oder zu viel Heimatfilm (bzw. zu wenig ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB).
Es wird die Geschichte einer Bauernfamilie erzählt, die durch unglückliche Umstände (vor allem durch ihren tief sitzenden Rassismus und ihre unnachgiebige Nach-unten-tretet-Kultur) eine Sinti-Familie tötet und deren Leichen um jeden Preis verschwinden lassen möchte. Dramaturgisch ist immer wieder eine Rachegeschichte oder ein Sieg der Moral zu erahnen, aber nichts davon wird kommen. Deutsche, die ihre Leichen verstecken, die sie im Wasser versenken und im Feuer verbrennen, es wird nicht verwässert.
Die alpinen Panoramen zwängen sich in dreckigen und grobkörnigen Einstellungen in die Handlung. Eine Idylle gab es hier nie, nur Wald und die Schatten darin. Jesusbilder hängen über den Köpfen und schützen manche tatsächlich vor Niedertracht, aber meist sind sie wie der Hohn im Angesicht des Geschehens. So ruhig, gleichmäßig und zielstrebig die Handlung auch abläuft, am Ende ist alles (im) Wahnsinn (gefangen).
verstrahlt –
Wie DIE LIEBEMUSCHEL seine Charaktere in ihrer Dummheit belässt, wie ihnen keine Entwicklung geschenkt wird und sie sich immer weiter von ihrer schmerzhaft naiven Weltsicht (selbst-)verletzen, das ist geradezu satanisch. Der frohe Anfang, wenn Carol (Janet Lynn) und Joe (Robin Askwith) – eine junge Frau, die aus dem Geist der Zeit von sich denkt keine Hemmungen zu haben, und ein junger Mann, der seine eigene Normalität mit beständiger, unendlicher Aufschneiderei überspielt –, wenn diese beiden also nach London gehen und dort nach Arbeit und einem Leben suchen, dann ist DIE LIEBESMUSCHEL Tendenzstahl. Ein hippes, fröhliches Nichts. Die Höhepunkte der zunehmenden Tiefschläge, die der Film für seine Protagonisten bereithält, wenn sie gleichzeitig zum Supermodel, zur Edelprostituierten und Pornodarstellerin geworden ist, die sich zunehmend die Wahrnehmung der Grenzen ihrer Hemmungen wünscht, und er ihr Manager und Zuhälter, den jeder mit klarem Verstand nach zwei Minuten gefeuert hätte, diese Gipfel der Niedertracht des Films sind rauschhaft und sensationell schäbig. Unansehnliche Männer in einer surrealen Hölle sind hier wunderbar verewigt, wie der englische Gentleman, der neben dem Bett sitzt, in dem gerade der erste Porno der beiden gedreht wird, der nur mit stiff upper lip seriös schaut und sich den Schweiß von dieser leckt. Dieses Pop-Art-London mit seiner Pop-Art-Abrechnung einer hippen Szene wird aber nur von der Dummheit der Hauptfiguren gespeist und zerfällt eben in einen langen, unerträglichen Fluss, der nur in seinen Spitzen, in seiner offen ausgelebten Abartigkeit zu sich findet. Kredenzt in dieser deutschen Fassung zudem mit Nachdrehs von Sex, die wie zu lange dauernde unterschwellige Werbung hereingeschnitten werden und irgendwie gar nichts mit dem Film zutun haben wollen.
Dienstag 01.01.
gut
Ein Mann aus bedeutender Familie (Martin Benrath) heiratet in zweiter Ehe eine Schaustellerin (Irene Clarin). Als ein Anschlag auf ihr Leben geschieht, liegt es nahe, die Schuld beim kalten Vater, einem ehemaligen Konsul (Martin Held), und dem Bruder, einem vielbeschäftigten Industriellen (Robert Atzorn), zu suchen, die aus ihrer Abneigung und ihrer Angst um den Familiennamen keinen Hehl machen. Dem gegenüber stehen eine verschworene Zirkusfamilie und ein eifersüchtiger Kunstschütze.
Es gibt kaum etwas in MORDFALL GOOS, dass es nicht schon besser in DERRICK gab … was die abscheulichen Snobs nicht weniger sehenswert macht. Schön ist aber die Familienkonstruktion der Goosens. In kleinen, dezenten Momenten scheint es ganz klar zu sein: Der ältere Sohn ist der Favorit des Vaters, der sich deshalb das Sein als Schwarzes Schaf auch leisten kann, während der kleine Bruder sich abrackert, um vom Vater geliebt zu werden. Einmal fragt der Vater, welcher seiner Söhne da am Telefon sei: Thomas oder der andere. Wie eine solche kleine Bemerkung und deren ganz sacht eingesetzten Dopplungen auf eine ganze Handlung ausstrahlen können, ist schon super.
verstrahlt
Kitschige Bilder von Pferden und Vögeln hängen über dem Bett von Bettina (Dana Vavrova). Es braucht nicht die Psychologin der Folge, Dr. Kordes (Christiane Hörbiger), um den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit aus diesen Bildern zu lesen. Das Gefängnis, in das FLIEGENDER VOGEL seine Hauptdarstellerin einzwängt, ist aber nicht die Haftanstalt, aus der sie zu Beginn entlassen wird – sie hat dort eine Strafe für ihren Zuhälter Wilke (Claude-Oliver Rudolph) abgesessen. Vielmehr sind es die Szenen, in denen Wilke und Derrick/Kordes über ihren Kopf diskutieren und das Beste für sie beanspruchen. Um ihren freien Willen ginge es und sie solle entscheiden, ob sie in der Obhut ihrer Bewährungshelferin Kordes bleibt oder in die von Wilke wechselt. Es ist beklemmend, wie beide Seite über ihren Kopf hinweg reden und sie kein Wort herausbringt. Erst die Liebe wird dies ändern können und Wilke eines Besseren belehren, der eiskalt meinte, dass sie so etwas wie einen freien Willen gar nicht hätte.
Aber das und Claude-Oliver Rudolphs sensationelle Assigkeit sind es gar nicht, was FLIEGENDER VOGEL so entgleisen lässt. Das Thema um Fürsorge und Selbstbestimmung spiegelt sich in einer ewig singenden Gruppe der Heilsarmee, die durch das Rotlichtmilieu zieht und vor Wilkes Wohnungstür probt … denn der Kopf dieser christlichen Fürsorger ist ausgerechnet Wilkes Bruder (Gert Burkard). Der selbstgerechte Kampf um die Seele Bettinas wird folglich derart sekundiert, dass FLIEGENDER VOGEL noch zur Abhandlung über christliche Nächstenliebe wird. Mal wieder des Wahnsinns fette Beute.