STB Robert 2017 II
„The creation and destruction of harmonic and ’statistical‘ tensions is essential to the maintenance of compositional drama. Any composition (or improvisation) which remains consistent and ‚regular‘ throughout is, for me, equivalent to watching a movie with only ‚good guys‘ in it, or eating cottage cheese.“ (Frank Zappa)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein System der euphorischen Aufnahme des Films. In Zahlen übersetzt wäre es wohl ungefähr: fantastisch 10 – 9 / großartig 9 – 8 / gut 7 – 6 / ok 6 – 4 / mir zur Sichtung nichts sagend 4 – 3 / uff 2 – 1 / ätzend 1 – 0. Diese Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Skala zu quetschen. Deshalb hat die Wertung eine Y-Struktur für freieres Atmen. Ab ca. 7 kann ein Film eine Wertung der Verstörung erhalten: radioaktiv 10 – 9 / verstrahlt 9 – 7. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbst erklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I
to be continued … und zwar hier
Dezember
Sonntag 31.12.
großartig +
Phil Collins hat dieses Jahr bei Twitter erwähnt, dass wenn wir 20 Sekunden vor 23:56 Uhr beginnen IN THE AIR TONIGHT zu hören, dass das Drum Break genau um Mitternacht beginnt. Und dass so das neue Jahr eingeleitet werden kann. Wir haben es geschafft, dass der Abspann von HAPPY GILMORE fast genau zu Mitternacht begann, dass wir also mit seinem Happy Place ins neue Jahr starteten. Auch nicht schlecht.
Sonnabend 30.12.
gut
Die Dramaturgie von Filmen aus Hongkong ist oftmals etwas höckerig. Selbst wenn sich nach doch erstaunlich viel Laufzeit bei SWORD MASTER das Geschehen zu einer Handlung zusammenzuziehen beginnt, heißt das auch hier nicht, dass wir dramaturgisch sicheren Boden betreten. Ein manisch-depressiver Schwertkämpfer zieht durch eine expressive Phantasiewelt des alten Chinas und hat nur ein Ziel. Den 3. Meister, den größten Kämpfer überhaupt, zu besiegen und zur Legende zu werden. Als er bei diesem ankommt, erfährt er aber, dass dieser gerade verstarb. Sein Leben ist nun sinnlos, weswegen er nach einigen hin und her beschließt Gutes zu tun. Nach der Todesnachricht beginnt übernimmt aber eine scheinbar gänzlich andere Geschichte. Ein Rumstreicher prellt in einem Bordell die Zeche, weshalb er dort arbeiten muss. In einer aberwitzigen Szene, als ein paar Schläger nicht bezahlen wollen, stellt er sich diesen in den Weg. Doch der suizidale Unbekannte, der ein noch unbekanntes Trauma in Alkohol ertränkt, streckt diese nicht etwas, wie zu erwarten wäre, mit seinen zu erwartenden Künsten nieder, sondern lässt sich regungslos mit Messern in den Körper stechen. Die Prostituierte bekommt ihren Lohn und die Schläger nehmen Reißaus. Der nutzlose Yi, wie er genannt wird, wird ein lethargischer Helfer der Armen und freundet sich auch mit dem Schwertkämpfer an. Unmengen Dinge sind passiert, bis tatsächlich klar wird, worauf all dies hinausläuft. Dramen um (unerwiderte) Liebe, düstere Macht- und Familiengeschichten, es kommt nicht fein portioniert, sondern überschlägt sich. Alberne Nichtigkeiten im Bordell und bittere Schicksalhaftigkeit, romantisch entrückte Landschaften und schwer entwirrbares, tragisches Liebeswirrwarr, düstere Wahrheiten und wild stilisierte Kämpfe, SWORD MASTER will alles … und zwar mit einmal.
ok +
Jeroen Krabbé, also ein Schauspieler, dessen Karriere vor allem daraus bestand windige Unsympathen zu spielen, soll hier einen Con-Artist geben. Doch wer soll so jemanden glaubhaft vertrauen? Er ist der Hauptwidersacher, der im Endeffekt nur Gelder veruntreut. Das ist dann irgendwie schon ein bisschen wenig. Besonders weil DER HAUCH DES TODES nie mehr als ein laues Lüftchen ist. Ganz sympathisch ist es, wenn Antennen in Gesichter schnippen und Windschutzscheiben durch ebensolche wischen, wenn die Anlage eben etwas bodenständiger ist. Aber leider sind das nur kurze Momente in einem Film, der sonst versucht ein normaler Bondfilm zu sein.
Freitag 29.12.
großartig
Ein Film der auch von der Ungläubigkeit seiner Entstehungszeit berichtet. Kann es denn wirklich möglich sein, dass der Kalte Krieg und die Nukleare Bedrohung nach den Zeiten nahe am Weltuntergang endet? Sprechend vor allem der Moment, wo Sean Connery als Russe mit schottischem Akzent das größte Problem des Überlaufens anspricht. Was ist, wenn sie an einen Cowboy geraten? Und dann folgt der Schnitt auf Dr. Ryan, der sich in einem wackelnden Flugzeug an seine Aktentasche krallt. Das Gegenteil eines Menschen, der voll Testosteron erst schießt und dann fragt, ist zu sehen. Es ist ein kurzer Witz, der das größte Problem dieses Krieges auf den Punkt bringt und schnell wieder unter den Tisch kehrt und der Hoffnung Platz bietet.
Donnerstag 28.12.
verstrahlt
Zum Schluss wird Tsui Hark dann richtig dekadent. Die alternative Version des Schlusskampfes lässt er nicht in die Extras einer DVD packen, sondern integriert sie einfach in seinen Film. Dem lange Zeit doch ganz realistischen Actionfilm – soweit diese Kategorien vereinbar sind – der schon kurz vor dem ersten Endkampf Richtung einer Folge FLASH GORDON abdriftete, geht damit alles Realistische verloren. Das Gesehene wird zur phantastischen Erinnerung eines nach Silicon Valley strebenden Chinesen, der seine Kultur in Form von Peking Opera, Abenteuerfilmen und Geschichte nicht verlieren möchte. Und das macht diese Episode aus dem auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Bürgerkrieg in China noch seltsamer.
gut
1. Die beständigen Verhöre und Dialoge löst Ashley größtenteils in Großaufnahmen auf … nur manchmal stehen Stephan und Harry nebeneinander in einer Einstellung und schauen skeptisch. Schnitt und Gegenschnitt am laufenden Band. Lediglich die Nähe der Kamera lässt die Intensität anziehen.
2. Der Antrieb Reineckers für dieses Drehbuch war womöglich nur die Figur des Bruders des Tatverdächtigen. Nebenbei ist die Hauptsache dieser Folge das Seelendrama von jemanden, der im Rollstuhl sitzt. Der sich jedes Mitleid verwehrt, der zynisch und bärbeißig geworden ist und in jeder Szene mehr bell als redet.
3. Etablierung von Klassen und Psychologie durch Bücherregale: Der Professor hat schwere, prallgefüllte Bücherreihen aus Holz, die sich über die komplette Wand erstrecken und selbst über den Türen verlaufen. Seine junge Assistentin lagert ihre Bücher in metallenen Designergestellen, die mitten im Raum stehen und von allen Seiten zugriff gewähren. Der ehemalige Gefängnisinsasse bzw Mordverdächtige und sein Bruder haben wackelige Ikea-artige Regale, die nur Magazine beinhalten und so leer und verlassen aussehen, sowie kleine Bücherborde in Ecke, die zwei, drei verlorene Bände beinhalten.
Mittwoch 27.12.
gut –
CHINESE ZODIAC, der vorangegangene Auftritt Jackie Chans als Archäologe Jackie endete sehr wehmütig. Jackie Chan sprach über den Abspann zu seinen Fans und versprach, dass er weitermachen würde, bis es wirklich nicht mehr geht. Der Film, der nun vorbei war, machte dadurch etwas mehr Sinn. Ein Film, der vor allem Stunts und kunstvolle Kämpfe beinhaltete, die er seinen Fans eben bieten möchte, bis sein Körper nicht mehr mitmacht. Alles andere war so nur Beiwerk, das die Action mehr schlecht als recht verband. KUNG FU YOGA ist nun ein Film nach dieser sympathischen Geste zum Abschied, der dieses Prinzip noch verschärft. Ein indischer Schatz wird gesucht und Jackie, seine Gefährten und seine Widersacher werde durch Eiswüsten, Indien oder Dubai kämpfen, tanzen und ihr Leben riskieren. Am Ende werden aber alle vereint und geläutert sein. Kein böses Blut bleibt bestehen, weil eben die Geschichte und die Rivalitäten nur Vorwand waren, um das zusammenzufügen, was scheinbar einen Jackie Chan-Film nach Jackie Chan ausmachen. So landet er einmal bei einer Verfolgungsjagd mit einem Löwen im Auto, muss Wölfe vertreiben und wie so oft artistisch gegen Massen von Menschen kämpfen. Sein Metier beherrscht der alternde Held wie gehabt, auch wenn die Inspiration, das Atemberaubende nicht mehr ganz so frisch sind. Und der Rest ist vor allem erstaunlich sympathisch bodenständig.
großartig –
Alles beginnt mit dem Mord an Ceasars Familie. Mit der folgenden Reise auf der Suche nach Rache, die durchaus an THE SEARCHERS gewahrt, findet das Oberhaupt der Affen Woody Harrelson als Colonel-Kurtz-Derivat. WAR FOR THE PLANET OF THE APES atmet ein klein wenig Wahnsinn, fast im Geiste der ursprünglichen Sequels und ganz anders als seine direkten Vorgänger. Und vor allem muss das wirklich Große her. Die Affen werden in KZs gesteckt. Hendrix‘ HEY JOE, das Ungleichgewicht der Kampfstärke, das Waten durch den Wald: Vietnamaufarbeitungsfilme sind stets um die Ecke. Oder das Ende, welches auch etwas von IN EINEM LAND VOR UNSERER ZEIT hat. Die Vorbilder werden ganz offensiv angegangen, wenn sie auch deutlich verkürzt und profaner gehandhabt werden. Harrelsons Colonels Hass und Irrsinn ist ein delirierender Rassismus, der weit weg ist von Kurtz‘ Klarheit. Das sich zwei Finden, die in ihrem Hass vereint sind, verwehrt sich der komplexen Spiegelung von John Fords Film. Uswusf. Aber dafür gibt es diese Bilder, die WAR FOR THE PLANET OF THE APES mit Dreck und Kälte anreichern. Der Schnee in THE TAKING OF TIGER MOUNTAIN, den ich einen Tag später sah, ist schön und wirkt wie von einem Kamin aus betrachtet. Wenn Ceasar und seine Gefährten der Eismatsch im Fell hängt, dann hat das eine ganz andere Qualität. Zwischenmenschliche und -äffliche Kälte wie ein erbärmlicher Winter in der Postapokalypse, sie kriechen förmlich aus den Bilder. Tod, Lungenentzündung, Erfrierung, Verhungern, Schmerz, sie begleiten einen zwangsläufig durch diesen Film, selbst wenn es nur im Hinterkopf verhakt ist und gerade nicht offen verhandelt wird.
*****
Dass es nun möglicherweise vorbei ist, hat aber auch sein Gutes. Denn der Realismus des Ganzen hat zur Folge, dass ständig riesige Orang-Utans und Gorillas auf Pferden reiten. Wer da kein Mitleid entwickelt, spürt wahrscheinlich gar nichts mehr.
Dienstag 26.12.
gut
Das Remake von BATTLE FOR THE PLANET OF THE APES wandelt, wie schon sein Vorgänger, die verqueren, überzeichneten Fabeln der ursprünglichen Entstehungsgeschichte des Planeten der Affen in realistische, durchdachte Szenarien. Statt wilden Phantastereien gibt es nun einen etwas anderen Wilden Westen. Die Siedler werden durch die letzten Überlebenden der menschlichen Rasse ersetzt, die ihre Welt (zurück-)erobern wollen, wobei sie in den Wäldern auf einen Affenstamm treffen, der für die amerikanischen Ureinwohner einsteht. Als sich der erste menschliche Unterhändler in das Reich der Primitiven traut, findet er Totems und andere Insignien von Kulten und Abschreckung. Das folgende Scheitern des Zusammenlebens an Misstrauen, Angst und Hass hat alles, was einen guten Winnetou-Film ausmacht … nur schielt DAWN OF THE PLANET OF THE APES in seinem Postapokalypsenchique weniger auf verträumte (Kinder-)Augen.
Montag 25.12.
gut +
Ich weiß nicht mehr, was bei Tim Burtons PLANET DER AFFEN als letztendlicher Zerstörer der menschlichen Zivilisation im Raum stand. Die atomare Ursächlichkeit wurde aber schon nach den ersten beiden Teilen der ersten Reihe vernachlässigt. Als in BATTLE FOR THE PLANET OF THE APES die Bomben dann plötzlich schon gefallen waren, war dies nur eine Randnotiz, die niemanden wirklich zu interessieren schien. Hier ist es nun die Wissenschaft, die Pharmazie, die alles in Gang setzen wird. RISE OF THE PLANET OF THE APES ist somit vll auch weniger eine mehr auf Realismus bedachte Neuinterpretation der Entstehung des Planeten der Affen, die in CONQUEST OF THE PLANET OF THE APES ersannen wurde, sondern ein Remake von 12 MONKEYS. VERTIGO wurde aus diesem exorziert und die militante Tierrechtsbewegung der 12 Monkeys zu etwas übersetzt, was diese Spinner gerne gewesen wären. Es ist die Geschichte von Caesar, einem Affen, der von Anfang an allen möglichen Schicksalsschlägen ausgesetzt wird. Seine Mutter wird mit Eröffnung des Films aus dem Dschungel geraubt, er wird im Labor geboren, schon infiziert mit einem Virus, der in anders, schlauer als seine Artgenossen und viele Menschen macht. Als Außenseiter lebt er Jahre lang in einem Haus und hat nur Kontakt zu drei Menschen. Sein Vater (James Franco) interessiert sich kaum für seine Bedürfnisse. Er wird versteckt und, wenn im Wald gebracht, an einer Leine geführt. Wenn er etwas ausleben möchte oder helfen, macht er alles nur viel schlimmer und bringt denen Schmerz, die er liebt. Entdeckt und von (hysterischen) Menschen als Gefahr eingestuft, wird er in ein Gefängnis für Affen geworfen, wo er gedemütigt wird und auch noch das Vertrauen zu seinem Vater verliert. Schließlich erfährt er über seine Herkunft, lernt um Tierversuche in Laboren und es bleibt ihm nichts Anderes als Zurückzuschlagen, seine Artgenossen zu retten und mit ihnen zu fliehen. RISE OF THE PLANET OF THE APES funktioniert wie ein schlechtes Gewissen für das Menschsein. Jedes Mal, wenn einem Affen etwas geschehen wird, ist dies ein trauriges Moment, selbst wenn die blutige Rebellion/Flucht schon begonnen hat. Die diversen sterbenden Menschen bekommen dieses Mitleid nicht. Sind sie doch die Täter. Es ist ein Außenseiterdrama, dass sein Geschehen ständig um Ungerechtigkeit an Hilflosen emotionalisiert, und so am Ende wenig Trauer übrighat, wenn die Menschheit am Untergehen ist. Taylor, dem ersten Astronauten auf dem Planeten der Affen, gefällt das.
großartig –
Ein Novum ist es, dass Derrick am Ende dieser Episode nicht alle Täter gefasst hat. Er hält zwar alle Schlüssel in der Hand, um auch die letzten noch zu stellen, aber ABITUR straft diese mit etwas viel Schlimmeren als mit dem Gesetz. Ihr Gewissen wird sie züchtigen. Der Abspann wird zumindest einen der Täter mit einem Schock und Musik für die erstarrte Seele zurücklassen. Den eigentlichen Mord zieht sich Derrick nur auf den Tisch, weil etwas komisch ist. Ein Lehrer hatte einen Passanten überfahren und Fahrerflucht begangen. Doch die Wunden lassen eher auf einen Totschlag schließen. Der Mord ist, soviel ist bald klar, tatsächlich nach dem Unfall, im Totenwinkel der Handlungen geschehen. Es wird eine einfache Geschichte sein. Aber die Angelegenheit des Lehrers, der mit Sex gelockt und mit Offenbarung seiner Tat erpresst wird, ist deutlich komplexer. Das Abitur eines Schülers soll er frisieren, damit dieser nicht am Numerus clausus scheitert, Medizin studieren und alsbald die Praxis seines schon alten Vaters übernehmen kann. Wie die Dorfdiscoszenen rund um diesen Fall ist alles von ausgesuchter Tristesse. Der ständig lernende Schüler, der kein Leben zu haben scheint. Der unter dem Druck keine Entscheidung treffen und keine Leistung bringen kann, der von seiner Schwester bevormundet bis bemuttert wird. Der idealistische Lehrer, der vor Sex und Korruption flieht und sich ebenso vom Druck zerstören lässt. Und die Schwester, die sich für das Ansehen von Bruder und Vater – für den Erfolg – prostituieren würde, die großspurig denkt, sie habe alle Zügel in der Hand und alle Männer um ihren Finger gewickelt. Ein kleines verzogenes Mädchen, dass von Konsequenzen noch nie etwas gehört zu haben scheint. Es ist eine Folge im Zeichen von Eitelkeit und mürbe machenden Druck, in der alle klägliche Figuren abgeben. Vor allem Stephan Derrick, der die Folge schon gedemütigt betritt. Beim Kegelspiel seiner Kollegen dient er nur als Kegelaufsteller. Wie Grädler ihn dabei aber als alten, verbrauchten Mann inszeniert, der gerade so noch von der Bahn runter kommt, bevor Harry mal wieder lachend wirft, ist solitär in einer Serie, die ihn bisher wie einen dämonischen Halbgott behandelt hat.
Sonntag 24.12.
nichtssagend
PULP FICTION und seine Folgen… KHALI THE KILLER gewahrt einen an die zweite Hälfte der Neunziger und seiner endlos scheinenden Welle cooler Gangsterfilme. Khali ist Auftragsmörder. Sein Auto wurde gestohlen. Er braucht Geld, damit seine Oma in ein annehmbares Pflegeheim kommt. Gangster sind hinter ihm her, weil er seinen Auftrag, zwei Frauen zu töten, nicht ausführen kann. Schließlich ist eine schwanger. Und seine Jugendliebe, die Mutter seiner Tochter, möchte, dass er legal arbeitet, wenn wieder etwas zwischen ihnen passieren soll. Diese Ausgangslage führt selbstreden zu skurrilen Situationen, blutigen Morden, unerwarteten Wendungen und reichlich Gelaber. Das Ergebnis ist aber nicht einfach nur altbacken und kaum inspiriert, all die emotionalen Konflikte sind nur Behauptung. Würde KHALI THE KILLER nicht mit einer blutigen Hinrichtung beginnen, die Idee das Khali ein kaltblütiger Mörder wäre, wäre absurd. Zu sehr ist er ein netter Nachbarsjunge. Oder der aktuelle Lebensgefährte von Khalis Jugendliebe. Abgesehen von einer Szene, wo tatsächlich die Frage aufkommt, ob er als Stiefvater nicht vll die bessere Wahl wäre, ist er eine Witzfigur, die so schnell und einfach aus dem Drehbuch verschwindet, wie die verhaltenen Schmunzler, die er evoziert. Für ein paar verbrauchte Idee werden hier alle Figuren verraten und wie Handpuppen herumgewedelt.
Donnerstag 21.12.
großartig +
Wenn eine Folge DERRICK in einer Disco beginnt, dann kann kaum noch etwas schiefgehen. Die Illusionen von Souveränität, Bescheidwissen und am Puls-der-Zeit-sein, die vor der Kamera präsentiert und unweigerlich auch die hinter der Kamera angerissen werden, sind wie stets ein Quell rauschender Freuden. In UTE UND MANUELA folgt darauf gediegene Fernsehunterhaltung. Manuela (Monika Baumgartner) steht unter Mordverdacht. Ihr Freund wurde erschossen … kurz nachdem er sie zusammenschlug, weil sie nicht mit seinem besten Freund schlafen wollte, obwohl er sie für eine Nacht verkauft hatte. Ihr Vater, ein Alkoholiker, schlägt sie – deren Körper die ganze Folge voller Blutergüsse ist und die in einem der unangenehmsten Momente ihre blauen Rücken kaum noch erheben kann – wenig später auch nochmal zusammen. Gründe dafür schiebt er sicherlich vor, aber es ist deutlich zu spüren, dass er es macht, weil es seiner Meinung nach schlicht zum Leben dazugehört. Aber dies ist, wie es die Ermittlungen von Stephan und Harry auch sind, nur ein Nebenschauplatz. Im Zentrum steht Ute (Cornelia „Conny“ Froboess), die um Souveränität kämpft. Sie ist Sozialarbeiterin und versucht Manuela zu helfen. Wie ein obsessiver Abstieg in die Hölle fühlt sich das an, wenn sie ihren Panzer aus vorgeschobener Erfahrung und Besserwissen, aus meist farblosen, alles kaschierenden Kleidern, einem Pony bis in die Augen und einer dicken Brille auffährt und doch jedes Mal sichtlich aus dem Konzept fällt, sobald ein machtvoller Mann die Szene betritt. Das große Rätsel von UTE UND MANUELA ist so weniger, wer der Mörder war, sondern was dieser Frau passiert ist. Im Zuge ihres Kampfes um Manuela, die sie aus dieser heruntergekommenen Männerwelt retten möchte, wird sie fast vergewaltigt. Es scheint wahrscheinlich, dass sie an dieser Stelle ein Trauma erneut hätte durchleben müssen. Die triste Sachlichkeit, mit der Ashely die Versuche innerhalb dieser Testosteronausbrüchen zu überleben widergibt, zeichnet ein Bild einer höchst unwirtlichen Gesellschaft. Ob Derrick nun Mörder findet oder nicht, hier ist nichts mehr zu retten. Gediegene Fernsehunterhaltung eben.
großartig +
Ob Slavoj Žižek seine Gedanken im Allgemeinen oder wie bei THE PERVERT’S GUIDE TO CINEMA im Speziellen nicht zu einer prägnanten Theorie zusammenfügt, weil er es nicht kann oder weil es Teil des Konzeptes ist, dies nicht zu tun, kann ich für mich noch nicht abschließend beantworten. Seinen Meister findet er jedoch in Jean-Luc Godard. Der hat sich mit dem siebten Teil bzw mit der ersten Hälfte des vierten Teils seiner Geschichte(n) des Kinos in eine ähnliche Stoßrichtung begeben wie der slowenische Philosoph, wenn er das Kino analysiert. In seiner Fähigkeit Dinge zu präsentieren, ohne den Umweg einer Übersetzung in ein Zeichensystem gehen zu müssen, hat das Kino eine dokumentarische Kraft, die es aber weniger schafft Reales abzubilden, sondern das Innere. So Godard. Wie bei Žižek ist Hitchcock der Kronzeuge für die Kraft Perversionen und Obsessionen abzubilden, aber auch diese entstehen zu lassen. Das Kino oder der Film ist trotzdem, bei aller propagandistischer Kraft, nicht festlegbar … and so on, and so on. Wendungsreich schlingt sich LE CONTRÔLE DE L’UNIVERS um das gleichgültige Objekt Kino. Und während Žižek nun eben prägnante Gedanken äußert, die erst im Zusammenfügen widerständig werden, da herrscht hier Poetik. Voller Kontrapunkte wird die Theorie eines Kinos aufgerissen und zu vieldeutigen philosophischen Brosamen gemacht, die umeinanderkreisen, sich widersprechen, ergänzen und tausende offene Enden liegen lassen. Wenn Godard also zwischen Ausschnitten aus Hardcorepornos (also das Paradebeispiel der Kraft des Films Tabuisiertes unausweichlich zu präsentieren), VERTIGO und sonst was hin und her schneidet, prätentiöse Texte darüber lesen lässt, sich in seiner Waldschratkryptik gefällt und obsessiv die Bilder – Videos der Filmklassiker, die wie Ruinen der Paläste aussehen, die sie waren/sind/sein können, und hässlichen/sich einer Ästhetik des Edlen verweigernden Videoaufnahmen von Schauspielern, die aus Schatten zu uns sprechen – ineinanderschiebt, dann können durchaus die mannigfaltigen Fangarme eines Oktopusses gespürt werden, der einem zum Tanz bittet. Die Kraft, die dem Kino aber nachgesagt wird, dem verschließt sich dieser Ansatz vollkommen, nämlich prägnant zu präsentieren.
gut +
Ein zweiminütiger Kurzfilm über eine Episode aus der und damit auch über die Kindheit, einer Zeit, als es Würmer regnen konnte.
Mittwoch 20.12.
großartig
Knapp über eine Stunde dauert der vierstufige Abstieg von MANDERLAY. Nicht viel Zeit, die in konzentrierten Szenen und einer Montage effektiv genutzt werden, wodurch jede Hatz vermeiden. Die einzelnen Stufen – eine Liebe und der Betrug, das Leben als Vamp und eine Vertreibung, die Verbannung und die Hoffnung sowie der Sündenfall – sind ganz unaufgeregt erzählt, aber in ihnen finden sich kleine Momente, die das Abgeklärte überstrahlen. Wenn nach Bildern von glitzerndem Licht feuchte Knöchel zu sehen sind, um die sich ein Handtuch legt, dass vom nun nackten Körper herunterfiel, dann strahlt dieses Glück (wie es nur im Kino … im Film zu erleben ist) auf den kommenden Verrat und macht ihn nur noch schlimmer. Die Montage der kommenden sexuellen (Selbst-)Ausbeutung ist voller Schwung und Heiterkeit, aber da ist eben auch die Kamerafahrt über die gierigen Gesichter, die mit etwas Unheimlichen überstrahlen. Und so geht es immer tiefer hinab zu einem Happy End, wo alle weltlichen Konflikte gelöst sind, aber das Selbst an sich leidet.
Montag 18.12.
gut
Am Ende überwindet eine ältere Dame ihr Trauma und kann sich an den Täter erinnern. Zu diesem Zeitpunkt ist Derrick aber schon durch alle sozialen Schichten Münchens getigert, durch noble Behausungen, luxuriöse Firmenkomplexe, die luftigen Wohnungen des Mittelstands und durch Alkoholismus und Arbeitslosigkeit, und hat den Täter längst dingfest gemacht. Doch das scheint egal. Die letzten Sekunden strahlen, wenn sich der musikalische Schmelz über das erlöste Setzen des Schlusspunktes legt. Überschwänglich wird die Wiederkunft der verlorenen Sekunden gefeiert wird, wie wenn Jesus heimkehrt. Derrick, der Erlöser, der die Sicherheit wiederherstellte und damit alle Traumta heilt?
Sonntag 17.12.
gut +
Um das filmische Lexikon eines New Yorker Gangsterfilms zu erstellen, bewegen sich zwei französische Reporter durch die Nacht und suchen die Geliebten eines verschwundenen UN-Vertreters auf. Diese fragen sie jeweils nur eine mehr oder weniger direkte Frage nach dem Herrn und dann gehen sie auch schon wieder weiter, denn DEUX HOMMES DANS MANHATTAN gleicht einer Bestandsaufnahme. Er sammelt nächtlichen Verkehr, das fieberhafte Treiben der Großstadt, Plattenstudios, Striplokale, Telefonate, kernige Charaktere, versiffte Appartements. Und wenn am Ende dann doch noch ein kleiner Krimi einsetzt, dann folgt dieser einer potentiellen Blaupause eines Gangsterfilms mit zwielichtiger Moral und herben Entscheidungen. Dazwischen immer wieder spielerische Situationen über die Freude in einem Film Noir zu stecken. Beim Schauen dachte ich, da Melville stets zu einem Paten der Nouvelle Vague erklärt wird, dass sein Einfluss auf AUSSER ATEM und SCHIESSEN SIE AUF DEN PIANISTEN augenscheinlich ist. Nur noch etwas roher ist es. Danach sah ich, dass DEUX HOMMES DANS MANHATTAN aus der gleichen Zeit stammt und kaum ein Jahr früher in die Kinos kam.
Sonnabend 16.12.
großartig –
Das passende Gegenstück zu DER NACHTPORTIER. Leuchtende Farben und elegante Routinen, sprich eine grenzenlos raffinierte Schönheit liegt in DER FLUCH DER GOLDENEN BLUMEN über einer kaiserlichen Familie, die von Größenwahn, Hass, Niedertracht und Inzest zerfressen ist. Mit Gift und Staatstreichen arbeiten sie an der gegenseitigen Zerstörung und überspielen dies mit einem Lächeln und Geübtheiten. Passend dabei: unter der sinnlichen Oberfläche der Bilder findet sich vor allem Leere.
fantastisch
Am Ende braucht man, was man früher zum Kotzen fand, lässt Fassbinder Hark Bohms Kommissarfigur in die DIE DRITTE GENERATION sagen. In dem Moment hat er gerade zum wiederholten Male mit seiner Schwiegertochter geschlafen. Sie ist Terroristin der RAF und damit entschiedene Idealistin. Der Ausspruch ist so eine nochmalige Demütigung, die sich zu der Demütigung der Lust oder gar der Liebe (zu einem Bluthund des Ungerechten (das sich als Vertreter des Realen gebart)) gesellt und diese noch verstärkt. Und er ist eine perfide Fortführung des Zitats aus DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY, wonach es der einzige Weg sei, einer Versuchung zu entkommen, wenn dieser nachgegeben wird. Es spielt mit der Möglichkeit, dass, wenn wir uns zu vehement und einseitig gegen etwas zur Wehr setzen, es dazu führen kann, dass wenn wir, wenn wir einmal Vorzüge erkennen und zulassen, die Abneigung ins Gegenteil umfallen kann. Wie Hass Liebe als Grundlage braucht, scheint manchmal auch Liebe den Hass als Grundlage zu brauchen. Letztendlich ist der Spruch vieldeutig, da er eher Werkzeug als allgemeine Aussage ist. Nur im Kern schimmert eine obsessive Lust am Unwohlsein, die durch sich wieder Beschämung und Unwohlsein produziert und sich so fast wie ein perpetuum mobile selbst speist.
Sein Unwohlsein ist dem Film DER NACHTPORTIER sofort an anzusehen. Bestimmt ist er von fahlen, grünlichen Farben, dicker Schminkeschichten, die den Trägern einen krankes bis untotes Antlitz verleiht, und einem energielosem Getragenwerden von Szene zu Szene. Zuweilen kehren die langsamen Zooms und Kamerafahrten wieder, die zwar Gesichter im Blick, aber etwas Anderes im Fokus haben. Gedankenverloren wird ins Nichts geschaut, weil das Hier und Jetzt verloren ist. Die Augen, aus denen uns DER NACHTPORTIER präsentiert wird, sind leer. Die Kamera gleitet dabei elegisch an der Gegenwart vorbei und führt uns zu Tagträumen und Erinnerungen einer anderen Zeit. Einer Zeit, die auch vom Tod bestimmt ist, von Qual, aber eben auch von Lust.
Nachtportier Max (Dirk Bogarde) wird ohne Wille und voller Überdruss in einer Welt kränklicher Dekadenz eingeführt, wo er seinen Job Richtung Zuhälter interpretieren und älteren Damen Pagen ins Bett bringen muss. Wo er alten Gefährten leblos zu ihren Leidenschaften verhilft, wenn er den Scheinwerfer für ihre privaten Balletttänze hält und Zuschauer spielt, auf dass alte Zeiten wiederaufleben mögen, und wenn er homoerotische Schmerzmittelspritzen verabreicht. Und wo er absurde Prozeduren ehemaliger Nazis mitmacht, durch die diese ihre Gewissen überkommen und wieder in Ruhe selbstgerecht leben wollen. Mitmachen tut er, weil er schließlich einer von ihnen ist. Wehmütig kommen da nun die Zeiten in seinem Kopf wieder, als er Aufseher im KZ war, umgeben von Elend, Tod, aber selbst voller Leben.
Das Ungehörige von DER NACHTPORTIER ist aber nicht, dass dieser Schlafwandler, der seine Existenz aus der Vergangenheit bezieht, am Ende die Liebe zu einer ehemaligen KZ-Insassin (Charlotte Rampling) braucht, die zufällig in seinem Hotel eincheckt, sondern dass sie es ist, die die Liebe braucht, die aus Visionen von sexuellen Übergriffen, perversen Machtmissbrauch und morbider Trägheit eines KZ erwachsen. Beide sind sie ihre gegenseitige Demütigung, ihre sadomasochistischen Äquivalente. Ihre unschickliche Liebe, sie wird nicht reißerisch ins Licht gezerrt. Lange leiden und träumen sie an der Vergangenheit der Vergangenheit und das sie kaum wagen zu scheinen von einem Aufleben in der Zukunft zu träumen. Über eine Stunde zieht sich zitternd hin, bis eine Eruption die Liebe wieder manifestiert, bis die Blicke ins Leere vergehen und Vergangenheit wie Zukunft aus dem Fokus verschwinden.
Krankheit und Verfall stehen im Zentrum von DER NACHTPORTIER und sie sind dabei erotische Boten. Elend und Geilheit sind untrennbar verquickt. Und so wird diese Liebe nur eine neue Form des Leidens an der Gegenwart zu Tage fördern. Aus langsamen Siechen wird sich ziehende Qual. Das Glück ist in einer solchen Vision nur eine Utopie, die das Geschehen nicht mal streift. Auf viele Weisen wird sich hier in der Pein zurückgezogen und darin der Ursprung mannigfaltiger Lüste gefunden, selbstgerecht, aufopfernd, unverstanden, geil. Im Leid, in Krankheit und Verfall steckt dabei eine mal zaghafte, mal eitle Schönheit. Während Ambivalenz und Scham manchmal zu Verlangen führen, ist Glück eben manchmal etwas seltsam Überflüssiges.
Wenn ich mir was wünschen dürfte,
käm ich in Verlegenheit,
was ich mir denn wünschen sollte,
eine schlimme, oder gute Zeit?
Wenn ich mir was wünschen dürfte,
möchte ich etwas glücklich sein,
denn sobald ich gar zu glücklich wär,
hät‘ ich Heimweh nach dem Traurigsein.
Freitag 15.12.
fantastisch –
Ein bisschen ist es wie bei den PEANUTS-Cartoons. Lehrer und tatsächliche Autoritätspersonen kommen nicht vor oder agieren eher aus dem Off. Und wenn Eltern auftauchen, dann unterscheiden sich die Konflikte mit und das Verhältnis zu ihnen kaum von denen unter den Gleichaltrigen. Der Nimbus von Respektspersonen geht ihnen völlig ab, da sie genauso in ihrem/diesem Leben gestrandet sind und genauso wie die Jugendlichen versuchen zurechtzukommen. Höchstens die Großelterngeneration kann noch, weil sie ihr Leben scheinbar schon hinter sich haben, einem etwas Lehrreiches oder Anschauliches mit auf den Weg geben. Aber solche Momente sind rar gesät. Um ehrlich zu sein gibt es nur eine davon. PASSE TON BAC D’ABORD zeigt nun also in scheinbar freier Form diverse Szenen aus dem letzten Schuljahr einer Clique. Und obwohl nur der Vorspann, die erste und die vorletzte Szene an einer Schule spielen, steckt in PASSE TON BAC D’ABORD eine High-School-Komödie. Am deutlichsten wird es in den wiederkehrenden Szenen, wo ein verheirateter, älterer Herr versucht ein ums andere Mal eine der jungen Frauen ins Bett zu bekommen. Oder wenn ein Vater des nachts mit seinem Wagen in die Garageneinfahrt biegt und seine Scheinwerfer auf seine Tochter fallen, die neben der Garage einen Quickie mit einem Bekannten vollzieht. Mit einem lakonischen: Das wird dir nicht helfen dein Bac (also ihr Abi) zu bestehen, wird er dies wenig später im Wohnzimmer kommentieren. Mehr hat er dazu nicht zu sagen. PASSE TON BAC D’ABBORD hat viele solcher skurrilen, peinlichen oder auch schmerzhaften Dinge zu bieten, die einen noch Jahre nach der Jugend beschäftigen werden. Narben des Herzens. Der anfängliche PEANUTS-Vergleich geht dahingehend nicht auf, dass nie so pointiert vorgegangen wird. Und das ist dann auch der größte Unterschied zu Filmen wie beispielsweise FAST TIMES AT RICHMOND HIGH. Denn die Figuren stecken eher in einer Zeit fest, die zäh wie Kaugummi ist. Für jede (vll für die Beteiligten auch nur im Rückblick) amüsante Episode gibt es unausgesprochene Konflikte, Schmerzen und eine sehr offensichtlich nur überspielte Verlorenheit in den doch eher als trist porträtierten Möglichkeiten, die einem das Leben bietet. Statt Pointen also ein Film, der seine Figuren am Rande zum Erwachsenwerden wie in Treibsand steckt. Abitur, Ehe, Jobs, nach Paris gehen: alles erscheint wie eine Sackgasse, weil wir eben doch uns mitnehmen, und von Figuren wie uns umgeben sind. Wir und die anderen, Leute, die nicht wirklich wissen, was sie mit sich anfangen sollen … außer Sex haben … und so tun, als ob wir Ahnung hätten.
War Pialats NOUS NE VIEILLIRONS PAS ENSEMBLE von vielen Wiederholungen bestimmt, die sich zäh zu Veränderungen walzten, dann ist PASSE TON BAC D’ABORD nur eine solche Schleife. Eine unsaubere Klammer rahmt den Film. Sprich der Monolog eines Philosophielehrers, der den Film eröffnet, wird in der vorletzten Szene fast wortwörtlich wiederholt. Die Rückkehr zur Schule wird als trüber Versuch gezeigt, den Reset-Knopf zu drücken. Aber gleichzeitig ist zu viel seitdem passiert und doch hat sich gar nichts verändert. Das Scheitern, egal auf welche Weise ist da schon vorprogrammiert. Die damit einhergehende Weltsicht ist geradezu antik. Unser Leben hier ist nichts, dass wir haben, um es zu gestalten, das wir nützen können/müssen, um glücklich zu sein oder um andere zu beeindrucken. Immer wieder gibt es Einstellungen größter Tristesse, mit hoffnungslos aus der Mode gekommenen Klamotten und zartem Flaum. Statt zu polieren, ist die Lebenswelt von PASSE TON BAC D’ABORD niederschmetternd und aussichtslos … aber in seiner rauen, trüben Geschminktheit auf spaßige und hoffnungsvolle Weise.
Donnerstag 14.12.
nichtssagend
Wie ABRAHAM LINCOLN: VAMPIRE HUNTER in den Südstaaten aufgenommen wurde, würde mich sehr interessieren. Größere Tumulte scheinen ja ausgeblieben zu sein, was möglicherweise dafürspricht, dass ein Film, in dem Südstaatler zu Vampiren erklärt werden (Sklaverei symbolisch dabei zum Prozess der Blutaussaugung umgewandelt) und wo der Sezessionskrieg nur den Versuch darstellte, die Nordstaaten zu erobern und ebenso zu Vampiren zu machen, schulterzuckend als das Stück Propaganda wahrgenommen wurde, das offenbart, was stolze Rebellen schon immer wussten, wie sie von unritterlichen Leuten gesehen wurden. Aber an der Geschichte, die nur diesen einen Witz der Grundsituation bietet, ist ABRAHAM LINCOLN: VAMPIRE HUNTER auch nicht interessiert. Die Kamera dreht sich, schnellt voran und wird hin und her geschnitten. Nur die Kinetik zählt. Vll war das in 3D alles viel schöner, so sieht es vergilbt aus und Trägheit stellt sich ein, da es nur eine konstante Geschwindigkeit gibt.
Mittwoch 13.12.
großartig
Brynych ist wieder da und gleicht weht eine Sehnsucht durch die Folge, als ob Leben heißt, an die Flüsse von Babylon verschleppt worden zu sein. Und Derrick, nach einigen Folgen des Menschelns, zeigt sich hier mal wieder von seiner garstigen Seite. Er möge keine Spitzel, sagt er, als ihm ein solcher zum Lösen des Falls angeboten wird. Statt sich nun anderweitig umzuschauen, fällt er aber wie ein Geier über diesen her. Jemand der immer bei den Stärkeren Deckung suche, so jemand sei Henze (Klaus Behrendt), der Spitzel. An der Angst und der Verzweiflung dieser in Derricks Augen offensichtlich nichts würdigen Figur labt sich unser Oberinspektor, wenn er ihn gnadenlos unter Druck setzt. Auf der anderen Seite befindet sich ein weiteres Alphatier: Einbrecher Georg Lukas (Götz George – ein halbes Jahr nachdem der KRIEG DER STERNE, ein, überspitzt gesagt, zusammengeklauter Film, begann durch die bundesdeutschen Kinos zu jagen, ist da ein solcher Rollenname Zufall? 🙂 ). Jemand der, wenn er die Polizei erwartet, ein Bad nimmt, um mit umgeschlungenem Handtuch die Tür öffnen und so seinen imposanten Körper als Botschafter der eignen Mächtigkeit präsentieren zu können. George bringt sich mit seinen Lukas schon mal in den schnodderigen Schimanzki-Modus und terrorisiert den Spitzel ebenso. Um das Glück Henzes abzurunden, wohnt bei seiner Zimmerwirtin noch ein Zuhälter, der beständig im roten Feinripphemd herumläuft und der seine Krallen nach der Tochter der Wirtin ausstreckt, zu der Henze ein ambivalentes Vater-/Tochter-Verhältnis mit amourösen Tendenzen pflegt. Während also entweder Boney M.’s RIVERS OF BABYLON als Lukas‘ Leitmotiv läuft oder A HARD DAYS NIGHT in der Wohnung, wo ein jugendliches Mädchen von der Welt verlassen darbt, wenn Derrick wieder einen sensiblen Mann für seine Zwecke versucht zu zerstören, dann ist DER SPITZEL ein sehnsuchtsvoller Abgesang auf diese Welt der Machtmenschen.
großartig –
Dienstag 12.12.
verstrahlt +
Die Geschichte eines selbstgerechten Frauenarztes, der die Leute um sich charmant bis arrogant wie minderwertige Wesen behandelt und dafür ein volles Wartezimmer mit wärmebedürftigen bis hysterischen Frauen bekommt, die alle auf ihn stehen, der von der Eifersucht seiner Frau, die keine Kinder bekommen kann, und seiner Kollegen vor und hinter seinem Rücken zermürbt wird, sie zu verarbeiten fällt mir noch schwer. Jugert stellt seinen Film aber mit Gittern voll. Trennwände, Geländer, Birken: die Gefängnisse in diesem Film lauern überall.
Montag 11.12.
großartig –
Der Horror von LISSAS VATER, der Lissa fast die Augen aus den Höhlen dreht und der mit Gialli-Musik unterlegt wird, geschieht direkt unter der Nase des Zuschauers. Der Einzige, der im Dunkeln tappt (und nur die halbwegs wichtigen Nebenplots aufdeckt): Stephan Derrick.
Sonntag 10.12.
fantastisch –
Ein Geldfälscher und Künstler, der seine Werke gerne verbrennt, lässt sich von einem Cop jagen, der seine Arbeit gerne zum Äquivalent eines Bungee-Sprungs macht. Dabei nicht zu sehen, das Koks, dass vor und hinter der Kamera durchaus zu spüren ist.
fantastisch –
Denise Z. (17 J.) fragte nach dem Abspann, was denn nun das Drama des Films sei. In Erinnerung hatte ich eine an CASABLANCA geschulte Geschichte, dass es eben um die bitterschöne Entscheidung einer Ärztin (Nina Hoss) in der DDR geht, die, als sich ihr die Chance bietet, dieses Land zu verlassen, in dem sie und andere unter heuchlerischen Vorwänden schikaniert werden, diese Möglichkeit nicht ergreift. Aus moralischen Gründen entscheidet sie sich gegen die Liebe … und anders als in CASABLANCA auch für die Liebe. Doch diesmal fiel mir auf, wie BARBARA nicht nur beständig Gründe für eine Ausreise liefert (die Stasibespitzelung, die Blicke der Nachbarn, die Unsicherheit, was der neue Oberarzt nun wirklich von einem möchte), sondern auch beständig gegen diese argumentiert. Der Mann, zu dem sie in den Westen möchte, stellt ihr in Aussicht, dass sie nicht mehr Arbeiten braucht – was wahrscheinlich heißt, dass sie es nicht mehr soll. Eine andere Frau, die ebenso flüchten möchte, träumt nur von Luxus und Schmuck. Da ist der feiste Oberarzt (Ronald Zehrfeld), der voller Inspirationen und Gefühl ist. Und da ist eben ein Mädchen, dass die Flucht viel, viel dringender braucht als sie. Petzold lässt Barbara immer wieder an Bäumen und Sträuchern vorbeifahren, die vom Meer kommenden Wind stürmisch hin und her geworfen werden. Die DDR ist in BARBARA ein aufwühlendes Land. Aber wenn Zehrfeld Gemüse für sein Ratatouille schneidet und dabei vielsagend von Kurzgeschichten Tschechows erzählt, wenn der Wald einem Ruhe und einen Rückzugsort bietet, wenn er im Unrechtsstaat trotzdem eine lebenswerte Existenz findet, dann wird das CASABLANCA-Gefühl hier mit der Erkenntnis aus Wolfs DER GETEILTE HIMMEL angereichert, dass es irgendwo auch egal ist, wo wir leben, und es nur darauf ankommt, was wird mit uns anfangen. Das Drama oder das Glück von BABARA ist damit vll das, von dem abermals Zehrfeld in Betrachtung eines Gemäldes von Rembrandt. Darin wird, so sagt er, ein Toter untersucht. Die Ärzte achten aber nur auf das Lehrbuch vor sich und verkennen den vor ihnen Liegenden. Und für nichts Anderes als ein solches geheimes, subjektives, fragiles Glück unter Beobachtung entscheidet sich Barbara.
Sonnabend 09.12.
großartig +
Seltsam. Ein Film von Melville über das Schweigen und es wird ständig geredet. Vll war es die Erfahrung, dass er hier die repetitiven Vorgänge, die sich über einen längeren Zeitraum vollziehen, über einen Erzähler aus dem Off erklären lassen musste, die dazu führte, dass seine Filme danach nur noch kurze Zeitabschnitte behandelten. In diesen konnte viel einfacher geschwiegen werden. Aber ähnlich wie in Bressons JOURNAL D’UN CURÉ DE CAMPAGNE gibt der Kommentar auch stur wieder, was eh schon zu sehen ist. Die Oberfläche wird damit noch verdoppelt und das Brodeln darunter noch mehr ausgeschwiegen. Ein Wehrmachtsoffizier (Howard Vernon) hält abends Reden. Darüber, wie Deutschland vom französischen Geist profitieren wird, wie Frankreich wie Belle das rührende in ihrem Biest, also Deutschland, finden wird, wie die Annektierung Frankreichs ein großes Glück und der Ursprung eines geeinten Europas sein wird. Erzählen tut er dies einem Mann und dessen Tochter, deren Haus er als Unterkunft annektiert hat. LE SILENCE DE LA MER ist so größtenteils der Monolog eines Vergewaltigers, eines sehr charmanten Vergewaltigers, der seinem Opfer erklärt, dass er es liebt, dass sie ihn lieben lernen werde und dass nichts Schlimmes passiert sei. Und als er seinen Fehler erkennt und von allem abfällt, was er sagte, dann hat sich LE SILENCE DE LA MER schon längst in eine politisch wie zwischenmenschlich ambivalente Liebesgeschichte verwandelt, in der ein Wort im Schweigen Beben auslösen kann.
fantastisch –
Von zwei Personen erzählt DER RISS. Von einer Mutter (Stéphane Audran), die ihren Mann verlassen möchte, die sich aber den Intrigen ihrer reichen Schwiegereltern ausgesetzt sieht, welche ihr das Kind wegnehmen lassen wollen. Engelgleich und fehlerlos wird sie von fürchterlichen Leuten in die Enge getrieben wird. Und dann ist da der skrupellose Opportunist (Jean-Pierre Cassel), der auf sie angesetzt wurde und der für seinen Lohn alles tut. Wie ein unschuldiger Dämon betritt er den Film. Arglos lächelnd erzählt er, wie er ein Spinnennetz um sein Opfer auslegen wird. Menschlichkeit steckt in seinem Lächeln, aber immer, wenn diese von Nöten wäre, lässt er sie vermissen. Die einnehmendste Eigenschaft von DER RISS ist dabei, dass er seine hoch melodramatische Ausgangslage zu einer wilden Soap Opera formt. Statt zu verdichten wabert er wendungsreich in immer unwahrscheinlichere Richtungen. Die Kläglichkeit der Figuren wird immer aberwitziger unterstrichen, der Anstand (der Leute wie des Geschehens) hemmungslos unterminiert und die durchdrehende moralische Keule, welche nach und nach alle Bösen strafen wird, wirkt wie ein derber, makabrer Scherz. Ein Frühstück ginge dabei als Vorstufe zum tristen Frühstück in der HERBSTROMANZE durch … inklusive exaltiertem, schmierenkomödiantischem Schauspieler. Die Figuren, die sich in der Pension tummeln, in der fast alles spielt, wirken wie verstaubte Überbleibsel aus griechischen Mythen, springen in die Räume, als ob sie in einer Sitcom spielen, und sind auch sonst das klischeehafte Spielzeug, einer Geschichte, die zunehmend jede Anbindung an Sitte und Realität vermissen lässt. Wie es DER RISS final schafft LSD, ein geistig behindertes Mädchen, einen Säufer, eine schlechte Perücke, einen 8mm Porno mit Horroranleihen, einer Nymphomanin, einen Luftballonverkäufer in einem Park und eine bürgerliche Welt aus der Mottenkiste zu einem niederträchtigen wie spaßigen Ganzen zu verweben, dass spottet jeder Beschreibung. Ein arglistiger Schalk sitzt diesem Film im Nacken. Wenn Hopp Frog mit den Figuren spielen würde, es wäre wohl von ähnlich deliranter Garstigkeit. Und vll ist es das, was die beiden glühendsten Schüler (Chabrol und De Palma) mit ihrem Meister (Hitchcock) verbindet. Dass sie eine perverse Schaulust auszeichnet, die, wenn sie losgelassen, einen Heidenspaß hat, die Zuschauer irgendwo hinzuführen, wo sie sich nicht hinzuträumen wagten.
großartig +
Die von King Hu etablierte Strategie, die Kamera in Kämpfen wie etwas zu benutzen, das von der Schnelligkeit der Kämpfenden überfordert ist, macht sich DAO in starkem Maße zu eigen und baut es aus. Es gibt beispielsweise den Moment, wo die Kamera hinter jemanden steht, nach rechts schwenkt, um einen anderen Vorgang in Betracht zu nehmen, und als sie zu dem Rücken der vorherigen Person zurückkommt, wie erschrocken hinaufschwenkt. Denn der kurze Moment, in dem sie nicht aufmerksam war, hatte gereicht, dass der Kämpfer seine beiden riesigen Schwerter zog, die er nun über den Kopf hält. Zudem geschieht es immer wieder, dass Kämpfende, die die Einstellung rechts verließen, umgehend links wieder hereinspringen. Uswusf. DAO ist so Ausdruck einer steten Überforderung. Die Kamera befindet sich dabei sehr nah am Geschehen dran. Die Einstellungen verengen dabei mehr, als dass sie offenbaren. Höchstens Schnitte bringen einen annähernden Überblick. Die Geschichte vom einarmigen Schwertkämpfer erzählt damit sicherlich von den übermenschlichen Stärken von Supermännern, doch er transzendiert dies zudem. Denn so wenig die Kämpfer zu verfolgen sind, so wenig ist es das Schicksal. Eine junge Frau spielt zu Beginn in naiver Eitelkeit mit zwei Männern. Es ist nur ein kleiner Moment, von dem aus alles losgeht und die Welt der drei zu einem Ort beständiger Gewalt werden lässt. Ein Sturm geht von einer Entscheidung aus, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Am Ende kann sich nur mit den Entwicklungen arrangiert werden, die einem links und rechts um die Ohren jagen. Und so ist DAO ganz unwahrscheinlich eine Coming-of-Age-Geschichte, die die Einfachheit/Unschuld der Ausgangssituation zertrümmert wird, durchgequirlt und einem höchstens die Sehnsucht nach der alten Zeit lässt.
nichtssagend –
Mittels des Sündenfalls eines Gorillas – er tötet einen anderen Affen, ein Kind gar – werden die Affen hier den Menschen gleichgemacht. BATTLE FOR THE PLANET OF THE APES beendet seine Reihe versöhnlich, denn die (behauptete) moralische Hoheit der Affen, die sie im ersten Teil vor sich hertragen, sie wird anscheinend nicht entstehen. Einer rosigen Zukunft steht nun nichts mehr im Weg. Statt den Warnungen und der Ausweglosigkeit scheint es nunmehr ziemlich einfach. Sobald Gorillas und mutierte Menschen, die aus langer Weile töten, weg sind, lässt sich eine Einheit und ein friedliches Zusammenleben finden. Statt dem Wahnsinn gibt es damit ein laues Lüftchen der Hoffnung. Die Abläufe einer zwar eigenen, aber plumpen Bibelgeschichte für die Zukunft erhalten so nicht die Corona aufgerissener Augen, die nicht glauben können, was sie da sehen. Gehirne werden hier eher keinen Versuchen, es zur Aufgabe zu zwingen, ausgesetzt. Sie werden nur nett bedient.
Freitag 08.12.
uff
Vor einem Gerichtsverfahren schwillt die Musik merklich an und erhebt sich aus den sentimental getragenen Klavierfiguren, die sonst das Geschehen einlullen, zu einem geruhsamen Crescendo. Diese Form von Wucht versichert nachhaltig, dass auch hier nichts Aufregendes passieren wird, wie auch sonst HAMPSTEAD keinen Moment Unbehagen, Angst oder Unsicherheit in seiner hermetischen Gemütlichkeit duldet. Die Zielgruppe, womöglich, zynisch gemutmaßt: Leute, denen Kaminfeuer-DVDs dann doch zu nah am Œuvre berüchtigter Kunstfilmer aus den Philippinen oder Thailand sind, die den Intensivitätsgrad und den Spannungsbogen solcher atmosphärisch-brennender Holzscheite trotz kurzweiliger Handlung aber nicht missen wollen.
fantastisch –
Im Mittelpunkt von UN FLIC steht ein Heist mit dessen Vorgeschichte, Vorbereitung, Durchführung und dessen Nachbeben. Eröffnet wird dies durch einen Banküberfall. Regen macht die unwirtliche Gegend, die Atlantikküste im Winter, dabei noch ungemütlicher. Die Farben bewegen sich zwischen Blau, Blaugrau und Grau. (Rote Lippen oder gesättigte Farben in luxuriösen Schlafwagen werden im Verlauf des Films irritieren.) Das Meer brandet während der klinisch kontrollierten Durchführung lautstark in den matschigen Hauch des sonstigen Tons und bricht immer wieder als Bild einer gewaltvoll brechenden Gischt zwischen die Einstellungen von Geduld und Anspannung. Die Atmosphäre dieses Beginns setzt den Ton. Die Gewalt des Schicksals (das Meer) sowie die Lakonie, der Pessimismus und die Selbstdisziplin als letzte Möglichkeit des Lebens in einer kalten, bitterkalten Welt (der Überfall), Melville eröffnet seinen letzten Film, als ob er seine Gangster seit DER TEUFEL MIT DER WEISSEN WESTE in aller Sinnlichkeit auf den Punkt bringen möchte. Doch UN FLIC heißt nun mal UN FLIC, was eben ein Polyp heißt und nicht DER CHEF. Dicht an den Überfällen dran ist also Commissaire Edouard Coleman (Alain Delon). Befreundet ist dieser obsessive Jäger mit dem Anführer des kriminellen Quartetts (Robert Crenna), wie er eine Affäre mit dessen Freundin (Catherine Deneuve) hat. Der Schnitt zwischen zwei symmetrischen Einstellung setzen ihn mit einer toten Prostituierten in ein enges, aber unklares Verhältnis. Sympathie, Mitleid, Verachtung oder Seelenverwandtschaft könnten in diesem Verknüpfen zweier Gesichter stecken. Seine Handfläche, deren Zücken eruptiv aus dem steten Fluss des Fatalismus heraussticht, wie stets nur kleine Momente hier vieldeutig und intensiv aus diesem herausragen, hat die Macht noch die Härtesten zu brechen. Wie er verraten wird und zum Verrat zwingt, daran wird eine einfache Geschichte gebrochen. Darin liegen die noch deutlichsten Gefühle … was nicht viel heißt. Seine Kühle, zwischen Ehrerbietung und perversen Zynismus schwankend, ist ein Parasit an der professionellen Kälte der Gangster und zieht die ansonsten ganz stilvolle Existenz der Gauner in den Schmutz. In ihm steckt das Leben, in all seiner Ambivalenz, seinem Unbehagen und seiner Mitleidlosigkeit, dass in den disziplinierten Handlungen, die den Gangstern etwas wie Selbstschutz bieten und die UN FLIC kurz vor einen Herzstillstand bringen, negiert werden soll. Menschliche Wärme wird mit diesen Implikationen von Leben zu einer verschütteten Utopie und einem noch kostbareren Gut.
Donnerstag 07.12.
verstrahlt –
In zwei sich wiederholenden Einstellungen kulminiert das Mitgefühl, welches SOLO FÜR MAGARETE beseelt. Einmal sind da die Talking Heads im Revier, die von Derrick verhört werden und über deren rechte Schulter wir im Hintergrund in der Unschärfe jemand Anderen, jemand Entscheidenden sehen können. Jemand, dessen Präsenz dergestalt beim Gesagten mitschwingt. Irgendwann verschiebt sich die Schärfe, der Kopf verschwimmt und die Person dahinter wird sichtbar. Der Fokus legt sich auf beide, ohne dass der jeweils andere verschwinden würde … oder könnte, denn beide bedürfen einander. Die Sorge kettet sie aneinander. Ein sich Sorgender und einer der der Sorge bedarf. Ihnen gegenüber: Derrick. In SOLO FÜR MAGARETE darf er sein Gegenüber mal wieder ungläubig anstarren. Von teilweise langen Einstellungen wird er – stets in legerer Pose – eingefroren. Doch seine Über-Ich-Qualität, mit der er sich verächtlich die Lügen anhört, die ihm aufgetischt werden, ist diesmal nicht alleine in diesem Blick. Mit Rockstars und Junkies bekommt er es zu tun. (Wobei der Rockstarruhm eine Behauptung der Tonspur ist, die uns rauschenden Beifall hören lässt, der von den braven Zuhörern im kargen Konzertkeller schwerlich herrühren kann.) Derrick ist hier ein Richter, voller Sorge um das Wohlergehen der Verlorenen … in einer Folge durchtränkt von einem Mutterkomplex. Engelgleiche Frauen müssen niederkommen, um den Süchtigen von den Drogen zu befreien, und untäuschbare Polizisten mit klarer Kante sind vonnöten, um diese vor ihrem eigenen Umfeld und deren Klauen zu schützen. Wenn also Horst Buchholz nicht seine Vorstellungen von genussvoller Ekstase bei Gitarrensolos exaltiert aufführen darf, dann gleicht SOLO FÜR MAGARETE einem mütterlichen Blick auf ein modernes Babylon aus der Mottenkiste. Einem Blick voll Sorge und voller Willem zur Hilfe.
Mittwoch 06.12.
verstrahlt +
Als ich diesen Film das erste Mal sah, war ich wohl noch mehr ein Kind, als ein Jugendlicher. Meine Erinnerungen waren sehr präsent, aber anders als der Film den ich nun sah. Ich erinnerte mich an einen netten Affen, der zu einer Eskalation gedrängt wurde, der seine Nettigkeit durch das Unverständnis seines Umfelds verliert. Dass CONQUEST OF THE PLANET OF THE APES mit einem blutigen Massaker endet, das war wohl ausschlaggebend, dass der Film irgendwie hängen blieb. Erinnern konnte ich mich daran aber genauso wenig, wie an die Dystopie eines faschistischen Staates, in welchem Ceasar seine Unschuld verliert. Das zackige Schwarz der (SS-)Uniformen, das leuchtende Rot der Feuer, die starken Kontraste der Bilder sowie die Einstellungen von zahlreichen Pistolen- und Gewehrmündungen, die aus einem Panzer von Schildern herausragen und mit denen auf ungeschützte Affen, die ihre Ketten abwerfen wollen, geschossen wird: all dies verwandelt die abermals kruden Visionen des Paul Dehn zu einem optisch eindrucksvollen Film, der wieder einen Teil der Reichhaltigkeit des ersten Teils aufgreift und damit den vierten Teil zu einer geschmacksunsicheren Parabel auf die Sklaverei in den USA und die kippenden Stimmung des Zeitgeists, der unter dem Eindruck sterbender Hoffnungen Anfang der 70er Jahre ein neues Verhältnis zur Gewalt sucht. Sprich die Hippieaffen des zweiten Teils, die sich noch von den faschistischen Gorillas aus dem Weg räumen ließen, schlagen nun blutig gegen ihre Unterdrücker zurück. Und vll war es ja auch eine prägende Erfahrung minutenlang Menschen sterben zu sehen, weil sie es verdient haben, irgendwie, ebenso wie es prägend war, dass die Affen dadurch etwas in sich verlieren und ebensolche blutrünstigen Monster werden, wie ihre Unterdrücker vor dem.
Dienstag 05.12.
großartig +
Zwei Folgen nach STEINS TOCHTER folgt dessen Gegenstück. Diesmal ist es Beate (Helga Anders), die den Mietern einer WG den Kopf verdreht. Jeder wird ihr auf seine Weise hörig. Um den Mordanschlag auf sie zu untersuchen, zieht Harry in die WG und zu romantisch bzw softerotisch hingehauchter Musik von schwerwiegender Biederkeit verfällt auch er der Dame … und lernt den Slang der WG recht schnell. Denn KAFFE MIT BEATE hat nicht nur einen riesigen Spaß daran, Harry zu Pudding in den Händen dieser Unschuld zu machen, die sich liebreizend nimmt, was sie will, sondern auch Sex mit diversen Synonymen zu versehen. Jeder hatte schon Kaffee mit Beate, oder Wir können bald auch mal wieder mexikanisch essen, sind so Sätze, die ohne Unterlass fallen und offensiv genau das kaum meinen, was sie oberflächlich aussagen. So etwas Niederes wie Sex lässt sich in dieser WG nämlich niemand freiwillig nachsagen und auch Harry schweigt, wie alle anderen, wenn es darum geht, ob er hat oder nicht. In der schwülen, verzärtelnden Atmosphäre dieser nichtsahnenden Sirene, die eben nicht mit Sex, sondern mit ihrer Naivität den Kopf der Spießbürger verdreht, ist Sex allgegenwärtig. Aber die Gardine bürgerlichen Respekts wird geschmackssicher davorgehängt. Tiefenschmier und Verzicht bilden dabei eine verträumte Melange … in deren Angesicht sich diesmal andere verbünden, ebenso Hilflose. Doch Täter interessieren hier nur Derrick, der handlungsunfähig auf dem Revier sitzt, Indexkärtchen faltet und dem schwärmenden Harry verzweifelt versucht den Kopf zu waschen, dass der doch bitte an seinen Job denken möge. Verschanzten sich zwei Folgen vorher also Männer hinter einer behaupteten Alphamännlichkeit, da nimmt KAFFEE BEI BEATE ein fröhlich tristes Dampfbad in sich auflösender Willenskraft.
*****
Diese Folge spielte in einer ausladenden Wohnung mit einem ebenso ausladenden Parkettboden. Dessen Knarzen, wenn es mal vorkam, war auf der Tonspur aber zurückgenommen. Waren die ersten Folgen von DERRICK noch ein sonores Vergnügen knarzender Böden, ist dies mittleiweile völlig verschwunden. Seitdem die Täter nicht mehr zu Beginn offengelegt werden und sich die Struktur des Krimis damit geändert hat, wird unser Stephan immer mal wieder vom Drehbuch gezwungen laut zu denken. Vorbei die Zeit der wissenden Blicke voller Abscheu. Unter dieser – wahrscheinlich nur für den Zuschauer vorgenommenen – Vermenschlichung des Inspektors leidet aber auch seine Über-Ich-Qualität. Es sind zwei Wermutstropfen einer ansonsten weiterhin tollen Serie.
Sonntag 03.12.
großartig +
Das Mordopfer in STEINS TOCHTER ist ein Mann. Getroffen werden soll und wird damit aber dessen Verlobte. Eingeführt wird sie wie das blühende Leben. In erotisch aufgeladenen Bildern räkelt sie sich in den ersten Minuten in einem fahrenden Auto. Manchmal den Kopf auf dem Schoß des Fahrers liegen habend oder mal die Füße auf dem Armaturenbrett. Ihre Silhouette wird durch das durch den Nebel diffus gewordene Licht des nächtlichen München tanzen, welches nur ihr eine Bühne zu geben scheint. Später wird ein Tatverdächtiger ein selbstaufgenommenes Partyvideo aus Denunziationsgründen vorführen und auch aus diesem krisseligen VHS-Bild wird ihre ungehemmte Lebenslust in Form von Brüsten (Sex), Joints (Drogen) und Tanz (Rock’n’Roll) strömen. Der damals hochmoderne Fernseher auf einem Schwenkarm ist mit seinem zu sehenden Inhalt dabei in der meist biederen Episode so außerirdisch, wie die Minuten des Beginns oder andere irrwitzigen optische Einfälle an den Bruchstellen einer sich härtenden Männlichkeit. Und Derrick soll mit besagter Aufnahme auf die Seite der Männer gezogen werden, die STEINS TOCHTER notorisch ansammelt. Da ist ein Ex-Freund, der, von der luxuriösen Einrichtung seiner Zimmer und seinem Verhalten her zu schließen, sich für einen der kommenden Führer der Bundesrepublik hält und deshalb auf niemanden zu hören braucht. Einen Vater, der in allem, was seiner Vorstellung von Anstand zuwiderläuft, den Untergang des Abendlandes sieht und nicht ablässt dies auch martialisch mitzuteilen. Und selbst der Verlobte ist eher Beifahrer dieser in wenigen Bildern nachhaltig spürbar gemachten Lebenslust, die immer wieder durch Santa Esmeraldas DON’T LET ME BE MISUNDERSTOOD aus den Boxen pulsiert und in Form dieses Liedes nachhallt. STEINS TOCHTER stellt eine leider sehr menschliche Horrorschau von Männern dar, die Lebendigkeit lieben, diese aber nur eingesperrt und zu ihren Konditionen ertragen. Und wenn dann wieder Santa Esmeralda hämmert, dann wirken die ihr Selbstbewusstsein Ausstellenden wie armen Tröpfe, die sich noch dazu in ihrem Leid verbünden. So sehr sie sich verabscheuen, hier verstehen sie sich. Weshalb Derrick diesmal so unwahrscheinlich lange braucht, um den wahrlich offensichtlichen Täter zu enttarnen, bekommt da einen vielsagenden Beigeschmack.
verstrahlt
Zwischenmenschlich ist KLAVIERKONZERT harter Tobak. Denn im Mittelpunkt stehen zwei Diven am Rande des Nervenzusammenbruchs – ein Klavierspieler und seine Frau und Mäzenin – die ihr menschliches Umfeld ganz selbstverständlich wie Bedienstete wahrnehmen und behandeln. Und am schlimmste ist, wenn noch die geschundenste Person die Zuweisung liebenswürdig annimmt und zuvorkommend dient. Mittendrin der Manager des Klavierspielers, ein zen-gleicher Lichtblick, der voller Ruhe diesen Kindergarten der Eitelkeiten überblickt und gelangweilt mit den Schultern zuckt.
Sonnabend 02.12.
verstrahlt
Vier der größten Hongkongstars ihrer Zeit wurden für ISLAND ON FIRE nach Taiwan importiert und in einen Film gesteckt, der seinen Fokus abwechselnd auf die Geschichten der Figuren seiner Stars legt. Jackie Chan spielt einen Billiardspieler, der bei einer Auseinandersetzung um Spielgewinne in Notwehr den Bruder eines Triadenchefs tötet. Er landet im Gefängnis und ist dort Freiwild. Andy Lau spielt den Bruder des Toten, der sich in dieselbe Haftanstalt schleusen lässt, um dort Rache zu nehmen. Sammo Hung wiederum versucht ständig aus dem Gefängnis auszubrechen, um für seinen Sohn da zu sein. Und zu guter Letzt bildet die Geschichte von Tony Leung Ka-Fai den Rahmen für diese sich abwechselnden Schnipsel über Rache, sich zerschlagende Hoffnungen und Gefängnisschikane. Er lässt sich auch in diesen Knast schleusen. Nur tut er es, um dort aufzudecken, warum dort umgekommene Insassen sehr lebend als Auftragskiller in der Außenwelt unterwegs sind. Assoziativ werden die einzelnen Filme zusammengeschustert und entwickeln das Porträt eines Zuchthauses, dass aus Gewalt, Korruption, Machtmissbrauch, Ehre, Freundschaft und gewitzten Versuchen nicht unterzugehen besteht. Ein vielgesichtiges Starvehikel, dass seine Figuren ebenso schikaniert, wie es die Wärter vor Ort tun. Die Körper und das Nervenkostüm der Figuren werden zunehmend in diesem Geschichtensumpf aus Melancholie und deren brutaler Zerstörung geschunden – bis auch die letzten rationellen Bande zur Realität gekappt sind und alles in einem entrückten Kugelhagel unreflektierter Gewaltbereitschaft aufgeht.
Dass ISLAND ON FIRE kein Hongkongfilm ist, ist so schwerlich zu merken. Es ist wie bei beispielsweise POLICE STORY, YES MADAM! oder eben PRISON ON FIRE, wo Spaß und das Leben als Hölle verquickt werden und schlussendlich alles damit endet, dass unter dem Druck der endlosen Schikanen das sozialagierende Wesen einer Person stürzt, dieses keine Hemmungsarbeit mehr leisten kann und sich dem Hass hingibt. Nur dass die Geschichten und die Leben hier schon in Trümmern liegen. Die Fallhöhe ist gering, weshalb der finale Shootout nicht Ausdruck rasender Wut ist, sondern einer benebelten Aufgabe gleicht. Schießen auf Autopilot, weil Menschsein nicht mehr möglich ist.
Erst kommt das Essen, dann kommt die Moral, heißt es in der DREIGROSCHENOPER. ISLAND ON FIRE ist Ausdruck eines Kinos, welches die Moral nicht mitzudenken … oder wenigstens zu vernachlässigen scheint. Erst einmal kommt es auf die Emotionen an. Oder anders, hier wird der Traum bebildert, endlich seine Hemmungen fallen lassen zu können. Dreaming from the day I can’t controll myself, um mal Pete Townsend von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Die enthaltenen Versatzstücke aus COOL HAND LUKE erzählen dabei ebenso von Leuten, die sich nicht beugen wollen, wie davon, gewitzt mit dem Leben zurechtkommen zu wollen. ISLAND ON FIRE ist aber darauf ausgerichtet Menschen zu brechen und ihnen damit eine Erlösung zu bieten. Unschuldig werden sie zum Wahn gezwungen. All dies gibt es auch in anderen Filmen zu bestaunen, doch hier greifen die emotionalen Enterhaken nicht. Der Wunsch, auch mal ein Schwein sein zu dürfen, steht in den letzten Minuten offen im Raum. Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich / Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt. / Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich / Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist. Wenn es nur so einfach wäre, scheint ein solches Kino zu denken.
*****
Gesehen habe ich die kürzere internationale Fassung. Von der taiwanesischen Ursprungsversion erwarte ich mir eine rundere Version dieses unrunden Films, der mehr mit Atmosphären arbeitet, als sich um einen Plot und nachvollziehbare Aussagen zu kümmern. Aber leider liegt diese Version nur in schlimmster Video-CD-Qualität der blu-ray bei.
verstrahlt –
Das Diptych von ESCAPE FROM THE PLANET OF THE APES funktioniert wie eine regenbogenfarbene Fabel über die Garstigkeit der Menschheit. Erst kommen Cornelius und Zira in den USA der 70er Jahre an und werden herzlich empfangen. Zur Societysensation werden sie gar. Nur um dann von einem Wahnsinnigen gejagt zu werden, der sich nicht vorstellen mag, dass die Menschheit selbst für ihren Untergang verantwortlich sein wird. Die Frage dabei ist, welche dieser beiden Visionen schlimmer ist. Leute, die Neuankömmlinge einer anderen Welt in Konsumtempel führen und in ein Leben für die Klatschspalten zwängen, ein Film, der den Ankömmlingen daran auch noch grenzenlosen Spaß oktroyiert, oder ein Film, der zwar Polizeistaffeln und Politiker hinter den Fremden herschickt, aber alles Schlimme, was geschieht, an einen wahnsinnigen Wissenschaftler und seine Gehilfen delegiert und im Versuch ein düsteres Bild der Menschheit zu malen, alles entschuldigt und keine grundsätzlichen Probleme zeigen möchte. ESCAPE FROM THE PLANET OF THE APES ist ein Ausbund einer wirklich sehr, sehr seltsamen, irren Herzlichkeit, die so wahnsinnig ist, dass sie gar nicht erkennt, was sie alles offenbart.
Freitag 01.12.
großartig
Tsui Hark hat, so hat es den Anschein, nur auf 3D gewartet. Da wo andere Filmemacher nur ein Spielzeug für ihren Spielzeugkasten hinzugewannen, aber allzu oft weiter ihre 2D-Filme mit einem kleinen Zusatz drehten, da verschreibt sich Tsui Hark diesem Medium. Er entwirft bizarr gebrochene Räume … gerade nicht mit einem mehr an Realität. Er jagt die Kamera und damit uns durch Irrgärten. Seerosen, Bienenschwärme oder wehende Tücher umschlingen nicht den Blick, sondern sind etwas in dem sich der physische Körper des Zuschauers zu befinden scheint. Vorne geschieht etwas, hinten geschieht etwas, in der Mitte geschieht etwas. Aus der Tiefe kommende Welle rollen auf uns zu. Waffen fliegen uns um die Ohren. Gnadenlos wird das dort der Leinwand aufgelöst. Es gibt die tiefen Bilder, deren Horizont Kilometer hinter Leinwand oder Bildschirm liegt. Aber auch in ihnen liegt diese physische Qualität, diese Gravitation im 3D-Kino des Tsui Hark.
Das gesagt, tritt aber auch hier ein Sättigungsgefühl ein, welches den Effekt mit der Zeit verschwinden lässt. Mit verantwortlich dafür ist Tsui Hark selbst, denn auch DETECTIVE DEE UND DER FLUCH DES SEEUNGEHEUERS ist anzumerken, dass sein Macher am liebsten Welten entwirft. Die ersten anderthalb Stunden überschlagen sich. DIE SCHÖNE UND DAS BIEST oder CREATURE FROM THE BLACK LAGOON werden in seiner Fortführung von Guy Ritchies SHERLOCK HOMES eingeflochten. Seeschlachten mit großen Ungeheuern stehen neben Kämpfen zwischen jeweils immer mindestens drei Parteien als Ausdruck einer Intrige am Kaiserhof und einem ungeeinten Land. Romantisches wehen von Tüchern in leuchtenden Farben oder analytisches Durchsuchen eines Raumes. Wenn es aber darum geht dies alles zu einer Auflösung zu bringen, da fällt all dies auseinander und liegt nebeneinander wie gestürzte Türme. Dies sieht dann noch spektakulär aus, aber spürbar lustloser.
November
Donnerstag 30.11.
gut +
Der Krebs des Alkoholismus hat sich in EIN HINTERHALT tief in eine Familie geschlagen. Zwar ist nur einer der drei Familienmitglieder der Sucht verfallen, aber es strahlt auf alle aus. Die Schwester, eine sachliche Ärztin, die aus einer zurückgezogenen Kälte mehr Richtsprüche erteilt, als dass sie diagnostiziert. Der Sohn ihres Bruders, der sich von ihr alleingelassen fühlt und unter dem Druck der Krankheit seines Vaters zum spöttischen Zyniker geworden ist. Und eben der Bruder (wieder ein sensationeller Traugott Buhre als Monument eines Zusammengesacktseins), dessen Jammer entweder kleinlaut Rücksichtnahme fordert oder episch sein Leben zur Hölle erklärt. Es gibt einen Krimi in dieser Folge, aber dieser ist ebenso wie Derrick nur Nebendarsteller. Höchstens Hansi Kraus als gealterten Pepe Nietnagel vom Dorf oder ein junger Heiner Lauterbach als Parasit einer Spielsucht ist dort von Interesse. Stattdessen ein gespannter Stillstand zwischen den drei Parteien, wo jeder in seinem eigenen Saft schmoren darf. Unter dem Druck des Krimis bricht dies melodramatisch auf. Langsam … während der Neffe ununterbrochen seine Tante verbal mit Ironie und Spott bearbeitet und diese sich hinter ihrer Mauer der Professionalität verschanzt. Hoffnung und Resignation wehen dann aus einem melancholischen Ende, wo alle drei vor den Scherbenhaufen ihrer Schuld stehen werden. Derrick und Harry irren derweilen durch diesen Fall, weil sie von dem Grundübel keine Ahnung haben. Vohrer, der mit Noirschatten und klaustrophobischen Autofahrten ein Gemälde zwischenmenschlicher Kälte malt, lässt ebenso wie Reineckers Drehbuch jedoch wohlwissentlich alle Fäden an Flaschen voller klarer Flüssigkeiten und ohne Etikett sowie in verrauchten Kneipenhinterzimmern zusammenlaufen. Und als letztendlicher Fluchtpunkt alles Agilen der Folge dient ein schwitziges Bett, auf das alle positiven Identitäten zurückfallen … der Schwerkraft der Sucht erlegen.
Dienstag 28.11.
gut
Die erste Perspektive ist die aus dem Regieraum einer Liveübertragung, die vom Auftakt einer Konferenz zwischen den USA, anderen westl. und arabischen Staaten sendet. Ein gemeinsames Bündnis gegen den Terror soll feierlich geschlossen werden. Aber dann fallen Schüsse auf den us-amerikanischen Präsidenten und Bomben explodieren. Wir sehen (fast) nur, was in dem Raum passiert und was auf den vorhandenen Bildschirmen zu sehen ist (oder was von diesen aus erschlossen werden könnte). Und nach 10 Minuten startet das Geschehen von neuem aus einer anderen Perspektive. Fünf Mal wird zurückgespult werden, aber in dieser ersten Perspektive steht etwas Essentielles über VANTAGE POINT geschrieben. Es war eine Anmoderation zu sehen, die erst von der (us-amerikanischen) Hoffnung bzgl dieser Verhandlungen sprach, aber dann auch auf die Gegendemonstrationen und Perspektiven zu sprechen kam, die den USA nicht schmeichelten. Konsequent wird dies von der Regie (Sigourney Weaver mit dem wundervollen und sprechenden Rollennamen Rex Brooks) abgewürgt und der Moderatorin wird das Wort in diese Richtung nachdrücklich verboten. In einem Raum voller möglicher Perspektiven werden letztendlich nur die zugelassen, die der Regie, dem Sender, wem auch immer angenehme sind. Und auch VANTAGE POINT wird nur zeigen, was wir sehen sollen. Dafür wird er nach dem fünften Neustart sein Konzept einfach über Bord werfen und nicht mehr nur aus einer Perspektive erzählen, sondern aus vieren. Und im Grunde wird dann alles wie ein konventioneller Actionfilm funktionieren. Einerseits ist die Idee dahinter wahrscheinlich, dass nach den ganzen losen Enden und Aufdeckungen einfach mit etwas mehr Wucht erzählt werden soll. Weshalb die Kamera nun noch mehr als zuvor mit ordentlich Adrenalin durch die bisherigen Geschehnisse wackelt. Andererseits würde nach der eigentlichen Logik noch drei Perspektiven fehlen und zwar in der Folge: 1. der gezwungene Attentäter – 2. Matthew Fox – 3. der Strippenzieher. Und nachdem der Präsident in seinem Blickwinkel wahrlich wie ein Heiliger handelte, wie das wünschenswerte Vorbild eines realen Präsidenten, wäre es doch sehr spannend gewesen VANTAGE POINT mit der Sicht eines Terroristen zu beenden. Aber dann wäre ja der us-amerikansiche Held zu kurz gekommen, weil er in seiner Episode noch nicht bis zum Ende vordringen durfte, zu viel wäre verraten gewesen oder er hätte ohne große Überraschungen nochmal seinen Platz bekommen. VANTAGE POINT hat viele Möglichkeiten beendet zu werden. Offene Enden, herausfordernde Enden, krude Enden, aber dies alles wird einem versagt. Ein sauberes, rundes Puzzle, mehr darf VANTAGE POINT einem nicht anbietet, wodurch seine Grundidee letztlich zu einem Gimmick abgekanzelt wird, dass etwas ansehnlich die Spannung hochhalten muss.
Montag 27.11.
großartig
Ein Film über das Schweigen. Ein junger Mann sucht seine Großtante und die Vorsteher des Seniorenheims, in dem sie leben soll, schweigen oder blocken mit Aussagen ab, die wenig Sinn ergeben. Als der junge Mann überfahren wird und Stephan und Harry forschen ändert das Bild sich nicht. Auch nicht die klirrendend helle Musik mit ihren Spitzen in deren lullenden Bewegungen. ABENDFRIEDEN ist ein Psychothriller und alles nur, weil geschwiegen wird.
Sonntag 26.11.
fantatsisch –
Tja, selbst Leute, die nun wirklich keine hohe Meinung von der Menschheit haben, werden von ihr enttäuscht. Daran gemahnt uns PLANET DER AFFEN immer wieder. Danke.
verstrahlt +
Nur noch schwammige Erinnerungen an BENEATH THE PLANET OF THE APES hatte ich, die von Sichtungen herrührten, die wohl etwas mehr als 20 Jahre her sind. Affen spielten in diesen keine Rolle. An eine Rettungsmission konnte ich mich erinnern, die Taylor hinterhergeschickt worden war und ebenso auf dem Planeten der Affen landete (oder eigentlich: beim Dorf der Affen auf einem weitestgehend vom Film unerschlossenen Planeten). Der Überlebende des neuerlichen Absturzes (James Franciscus als Brent) endete dann bei menschlichen Mutanten, die eine Atombombe anbeteten. Ich wusste noch, dass Brent auch bei Zira, Cornelius und Dr. Zaius vorbeikam. Worin sich dieser Aufenthalt aber darstellte, das war alles in meinem Kopf verloren gegangen.
Tatsächlich ist da auch nicht viel, woran sich zu erinnern wäre. Die vielschichtige Lesbarkeit der Affenwelt des ersten Teils wird gegen eine einfache in BENEATH THE PLANET OF THE APES eingetauscht. Die rudimentär spürbare Einteilung der Affenarten (Gorillas = Militärs/Polizei; Orang-Utans = Politiker; Schimpansen = Wissenschaftler/Intellektuelle) wird verfestigt und das selbstgewählte Mittelalter wird zur eindimensionalen Faschismusallegorie, die sich in einer der witzigsten Szenen des Films darin erschöpft, dass ein paar zu einer Eroberungsmission aufbrechende Gorillas ein paar Love & Peace-Schimpansen aus dem Weg räumen müssen. Brent schaut nur kurz, pflichtschuldig vorbei und dann geht es schon wieder weiter zum eigentlichen Ziel seiner Reise, unterhalb des Planeten der Affen.
Paul Dehn, der Hauptdrehbuchautor der vielen Köche der Fortsetzung, interessierte sich nicht für die Fragen des ersten Teils und damit eben nicht für Affen. Nach BENEATH THE PLANET OF THE APES zu urteilen glich er wohl ein wenig Nakajima Kiichi aus BILANZ EINES LEBENS, dem Herrn, der von seiner Familie in eine Irrenanstalt gesteckt wird, weil er Japan aus Angst vor weiteren Atombomben verlassen möchte. Von seinen Erfahrungen in Hiroshima gezeichnet hatte Dehn schon ein Buch mit Kinderreimen über den atomaren Holocaust geschrieben. QUAKE QUAKE QUAKE: A LEADEN TREASURY OF ENGLISH VERSE hieß dies. Jake and Jill went up the Hill / To fetch some heavy water / They mixed it with the dairy milk / And killed my youngest daughter, steht da beispielsweise geschrieben. Nach dem sich Brent nun also durch einen Film gekämpft hat, der wie ein Schatten der Extravaganzen von Schaffners Regie, Goldsmiths Musik und Serlings Drehbuch wirkt, verdichten sich unter der Erde, wohin er flüchtet die Tendenzen und machen aus BENEATH THE PLANET OF THE APES endgültig etwas, was einer Folge STAR TREK gleicht. Nur mit weniger Hoffnung, aber mit jeder Menge mahnendem Irrwitz.
Brent, dessen Schauspieler übrigens wie eine junge Version Hestons aussieht und einen Sixpack präsentieren kann, statt uns wieder diese wunderschönen Ruinen eines vergehenden Luxuskörpers zu schenken, wie es Heston tat, schafft es bedeutungsschwere Dinge wie Shatner in die Luft zu intonieren, als ob seine simplen Mahnsprüche Shakespeare wären, dieser Brent trifft also auf andere Nachfahren der Menschheit, die nichts von den Tieren des ersten Teils haben, sondern telekinetische Überwesen sind. Sie singen Choräle auf eine Bombe, die die Welt vernichten kann, und beten den heiligen Fallout an, der sie zu dem machte, was sie sind. Taylors Probleme mit der Menschheit werden auf Militarismus und eben Atombombenfetisch heruntergekocht und in ein wildes Potpourri aus Ängsten und naiven psychedelischen Effekten gepackt. Die Antworten von Brent und dem wiedergefundenen Taylor (Charlton Heston) auf die Bedrohung von Gorillas und Wahnwesen ist sprechenderweise stets auch nur Gewalt. Weshalb BENEATH THE PLANET OF THE APES ein unglaublicher Spaß mit dem verdienten Untergang der Menschheit ist. Apokalypse als Karneval der Ängste.
Sonnabend 25.11.
verstrahlt +
Eine hysterische Trauergemeinde eröffnet MY LEFT EYE SEES GHOSTS und wir befinden uns mitten im Geschehen. Wie die meisten Anwesenden erfahren wir nun, dass der verstorbene Daniel eine Woche vor seinem Tod im Urlaub geheiratet hatte. Im Folgenden wird viel angerissen, was mit May Ho (Sammi Cheng), der Witwe, und dem Film – diversen Genreregeln folgend – angestellt werden könnte. An einer Stelle sitzt sie in der Chefetage des Unternehmens ihres verstorbenen Ehemannes, wo sie ihre Zeit absitzt. Ihre Schwiegermutter hat sie dazu genötigt, weil dieser der Gedanke anscheinend unerträglich ist, dass ihre Schwiegertochter unverdientermaßen in einer Villa sitzt, raucht und trinkt und sich gehen lässt. Auch wenn May nur Computerspiele im Büro spielt, Hauptsache nicht Genuss oder Selbstzerstörung. Und so sitzt sie in diesem Büro und als ihre Schwägerin ins Büro kommt schalltet sie schnell zu einem Computerspiel … um zu verstecken, dass sie tatsächlich etwas Nützliches (in einem kleinen, privaten Rahmen tat). Doch dieses Bild einer vorgetäuschten Fassade, einer eigenwilligen Läuterung, es wird nicht weitergeführt. Später sitzt sie öfter im Büro und spielt halt Majong am Rechner, ohne andere Ambitionen. Statt also auch nur eine dieser Möglichkeiten, die einem an die Hand geben würden, mit was für einem Film wir es zu tun haben, wird schlicht vor sich hin gealbert. Nach einem alkoholisierten Autounfall sieht May mittels ihres linken Auges jedenfalls Geister und gewinnt einen alten Klassenkameraden, den verstorbenen Ken Wong (Lau Ching Wan), zum Begleiter durch ihre Odyssee. Zusammen werden sie vom Geist einer Frau verfolgt, die schöne Frauen besitzen möchte (also der aktiv zum passiv besessen sein – heißt das so?), um sich attraktiv zu fühlen und sich an den Männern zu rächen, die sie immer missachteten, oder sie helfen notleidenden Welpen, ärgern sich mit Mays beiden Familien rum. Hin und her mäandert das Geschehen und ergeht sich in einer Lust an Kalauern. Und gerade was dabei nicht angesprochen wird, was nur immer wieder aufblinkt, es platzt irgendwann zunehmend aus May heraus. Denn sie leidet an dem Verlust. MY LEFT EYE SEES GHOSTS ist aber weder Drama noch Komödie, sondern eine irrwitzige Schnulze. Dass die Leute in diesem Film tatsächlich bereit sind, jeden Mist zu machen, um ihr Leid zu überspielen, um zu helfen, um sich dem Glück zu verweigern oder um doch noch glücklich zu werden, es gibt den kitschigen Gefühle, die irgendwann maßlos zu triefen beginnen, ihre zurückhaltungslose Kinetik. Johnnie To inszeniert wie immer virtuos und Wai Ka-Fai lässt hemmungslos den Camp in die kontrollierte Form ein.
fantastisch –
Immer mal wieder sind Seile bei den Stuntszenen zu sehen. Der Plot findet kaum eine rote Linie, weshalb die Geschichte unrund dahinschlingert. (Was vll aber auch daran liegt, dass ich erst nach der Sichtung merke, dass es eine längere 112-Minuten-Version gibt.) Den stürzenden Felsen ist oft anzusehen, wie federleicht sie in Wirklichkeit sind. Abermalig wird hinter Schnitten versteckt, was mit Stunts nicht auszuführen war. Das All und seine darin zu findenden mystische Kräfte sind in ihrem optischen Auftreten von der psychedelischen Qualität einer Lavalampe. Und dass sich mehrmals bei STAR WARS bedient wird, ist dabei so augenfällig, wie das sicherlich nicht königliche Budget. Viele solcher Dinge hält ZU bereit, die es einem ermöglichen sich an seinen Unzulänglichkeiten zu erfreuen. Aber die Konzentration auf diese Dinge verstellt einem möglicherweise den Blick auf all die Schönheit dieses Films. Denn Tsui Hark wirft alles, was er hat, in den Ring um einen aufregenden Film zu machen. Dämonische Wesen, die zwar kaum mehr als Bettlacken sind, lässt er wie Gestalten aussehen, die noch nie zuvor abgebildet wurden. Die Flüge der Kämpfer sind optisch und kinetisch teilweise von einem kaum zu bändigen Irrwitz. Wie in griechischen Legenden (oder eben chinesischen) wird eine fantastische Welt gezeichnet, wo beispielsweise alte Meister/Götter an einem Felsen gebunden, den Weg zur Hölle versperren. Und die Geschichte, die sich um die Zahl zwei dreht (Bürgerkrieg – zwei Kampfmeister – zwei Schüler – dunkle und helle Kräfte – Wiederholungen und Spiegelungen – zwei Schwerter, die die Welt retten können, wenn ihre Träger ihren Geist vereinen uswusf), läuft auch über vor Einfallreichtum. Und dann wird noch die Religionskritik von GREEN SNAKE mit ihrer Veralberung von Keuschheit vorweggenommen. In ZU: WARRIORS FROM THE MAGIC MOUNTAIN kann ein netter Trashfilm gesehen werden … oder eben ein Fest für die Sinne und den Verstand.
fantastisch –
TALLADEGA NIGHTS ist einer dieser Filme, die einen wohl darin bestärken müssen, dass die USA verrückt sind. Und das nicht nur, weil der Film selbst einen Appell an die USA darstellt, die Ideologie von prolliger Selbstverliebtheit und Fetischisierung des ersten Platzes um jeden Preis zu überdenken. Diese erschreckend witzige Horrorvision, die die Präsidentschaft Trumps schmerzhaft vorwegnimmt, erzählt episch die Geschichte eines Verlierers, der denk er sei ein Gewinner, und der schließlich doch zu sich selbst findet. Zwei Stunden wird sich Zeit gelassen und dabei einem Witzverständnis Platz geboten, wo sich rau in aberwitzigen Pointen selbstzerfleischt wird und wo Witze lustvoll in den Tod geritten werden. Die Running Gags kommen mitunter ohne Rücksicht auf maßvollen Einsatz wieder und werden quälend lang ausgehalten … und erlangen gerade dadurch wieder ihren Witz. TALLADEGA NIGHTS ist dadurch so eigenwillig wie ein europäischer Kunstfilm, der Hollywoodgenreregeln verbiegt und herausfordert. Womit auch wieder die seltsame Sympathie erklärt sein könnte, die TALLADEGA NIGHTS für seinen nominellen Antagonisten bereithält. Der exzentrische, schwule, Jazz hörende Formel-1-Fahrer Jean Girard (Sacha Baron Cohen), der während seiner Rennen auch mal Camus liest, ist aber eben auch nicht das Problem. Sondern Ricky Bobby selbst und sein Klammern an eine toxische Siegermentalität. Und so entsteht ein Film, der mittels unamerikanischen Tendenzen ein Loblied auf alte amerikanische Werte singt. Ein Film, der trotz seiner Garstigkeit von einem lockerleichten Spieltrieb beseelt ist. Ein Film von Fetischen und Selbstbetrug, der selbst naiven Wünschen nachhängt. Ein Film, der kaum zu fassen ist, wie diese komischen USA. Und ein Film der im Nascar-Milieu spielt, also auch so schon von dem Wahnsinn der USA erzählt.
Freitag 24.11.
großartig +
Stephen Chows Figuren sind oft Emporkömmlinge. Leute von ganz unten, die es nach oben schaffen (wollen), dort aber nicht hinpassen. Dass er einmal eine Satire auf die Neureichen Chinas machen würde, war wohl an der Hand abzuzählen. Dass er die Zerstörung der Umwelt (und das Abgehängtsein von Bevölkerungsschichten) durch die neuerliche Gier gleich mit anpacken und deshalb von Meerjungfrauen und Männern mit Tintenfischrumpf erzählen würde, die mit hanebüchenen Plots gegen ihre Ausrottung kämpfen, spricht für seine Imagination. Dass er aus dem Stoff eine romantische Komödie macht, die weder seinen wilden Humor, noch die schnulzige Ramontik verwässert, die keine halben Sachen macht und sogar noch seinen Actionfilmanteil in ein blutiges Massaker münden lässt, das gibt einen den Glauben daran zurück, dass das alten Hongkongkino der 80er und 90er lebt. In kleinen, alle Zuschauerrekorde brechenden Ecken der chinesischen Filmindustrie.
Donnerstag 23.11.
gut +
Ja, die Existenz von Fans und Groupies ist schon an das Ohr unseres Kommissars gedrungen. So sagt er. Diese um unsere Jugend besorgt Folge, beginnt mit Tommy Pieper, der ekstatisch BORN TO BE WILD zu seinen ekstatischen Fans grölt … eingefangen von ekstatischen Bildern. Und die aus dunkleren Tagen herüberreichende Bürgerlichkeit wundert sich. Der Generationenkonflikt der 70er Jahre als Aufeinandertreffen von Muff und menschlichen Gefühlen, die alles zu zersetzen scheinen.
Dienstag 21.11.
großartig
Alles neu an der Herberge zum Drachentor. Zwar lauern auch hier die Mannen eines machthungrigen Eunuchen (großartig: Doooonnniiiee!! Yen) in einer Herberge den letzten Kämpfern des Widerstands auf, aber ansonsten ist kaum etwas geblieben. Das trockene, kunstvoll inszenierte sich gegenseitige Auflauern der beiden Parteien, welches in kunstvollen Kämpfen endete, ist einem wilden Tohuwabohu gewichen. Statt politisch motivierter Martial Arts gibt es eine Dreiecksliebesbeziehung. Rebellenführer Chow (Tony Leung Ka-fai) steht zwischen seiner burschikosen Mitstreiterin Mo-yan (Brigitte Lin) und der Herbergenbesitzerin Jade (Maggie Cheung), die männliche Gäste in ihr Bett lockt, um sie von dort zerhackt auf die Teller ihrer anderen Gäste zu schicken. Jade erpresst Chow aber mehr oder weniger zu jeder Intimität, während dieser dann doch zur Sachlichkeit Mo-yans tendiert. NEW DRAGON GATE INN geht es aber völlig anders. Die Kampfszenen sehen aus wie maximal lieblos zusammengekittete Häckselbilder aus, der Sachlichkeit damit höchst uninteressiert begegnend. Aber die Schweißtropfen auf der Haut, die schrägen Einstellungen des bedrohlichen Beamtentums, die Zelebration von Quatsch und Gefühlen, in einer unordentlichen Sinnlichkeit kommt NEW DRAGON GATE INN völlig zu sich.
Montag 20.11.
ok
Beim Betreten eines KZs erzählt ein Lehrer von der Kollektivschuld der Deutschen. Seine Augen werden glasig. Eine Unsicherheit schwingt dabei mit, als ob sein ganzes Weltbild zusammenbrechen würde, wenn dies nicht stimmte. Am Ende wird eben dieser Lehrer für eine Tat im Gefängnis landen, die er nicht begangen hat. Vll ist es die Kollektivschuld als Mann, die er moralisch perfide gedreht abtragen muss. Ein schlagfertiges Mädchen wird am Ende traumatisiert ihre Brille und ihr GHOST WORLD-Comic und damit ihre selbstbestimmte Identität wegschmeißen. Stattdessen wird sie, völlig getäuscht, einen Aufschneider anhimmeln. Ein Paar selbstgefälliger, reicher Antideutscher wird erkennen müssen, dass sie, während sie sich in eine clowneske moralische Hoheit flüchteten, in ihrem Familienleben völlig versagt haben. Eine ältere Dame zieht final zu ihrem Fußpfleger, weil sie wenigstens von ihm Zuneigung erhält, auch wenn diese sich mit Keksen ausdrückt, die mit ihrer abgeschabten Hornhaut als Spezialzutat gebacken wurden. Oder es gibt diesen liebesbedürftigen Polizisten, der sich anonym mit Leuten trifft, die riesige Kuscheltierkostüme anziehen und miteinander kuscheln, und der erkennen muss, dass seine Lebensgefährtin total egozentrisch ist und ihm nicht das geben kann, was er braucht. FINSTERWORLD besteht aus diesen und mehr miteinander verwobenen Shortcuts an einem Tag in Deutschland. Jede Figur trägt dabei eine (deutsche) Befindlichkeit mit sich herum und wird genau an dieser gebrochen. Schon optisch ist es zu sehen. Denn obwohl FINSTERWORLD FINSTERWORLD heißt, sind die Bilder zumeist in ein sonniges Orange oder Geld getaucht. Deutschland sieht an diesem Tag nach einem wunderschönen Ort zum Leben aus. Aber, so versichern uns die skurrilen Episoden, das ist nur eine Illusion. Viele schöne Einfälle gibt es dabei, um ungeahntes aus diesen Figuren zu schöpfen sowie um denen und uns eine reinzuwürgen. Da es aber dabei bleibt, dass jeder genau eine Sollbruchstelle hat und etwas behäbig genau nur diese anvisiert wird, werden die Figuren zu Schemen. Sicherlich sind sie auch gar nicht als mehr entworfen wurden, aber den Reiz an ihnen geht mir damit verloren.
Sonntag 19.11.
fantastisch –
Freudsche Entwicklungsszenarien werden in APPASSIONATA sehr wörtlich genommen und mit einem Lolita-Motiv aufgefächert. Zahnarzt Dr. Rutelli (Gabriele Ferzetti) verliebt sich in Nicola (Eleonora Giorgi), die beste Freundin seiner Tochter Eugenia (Ornella Muti), während eben diese Tochter und seine Frau (Valentina Cortese) einen eifersüchtigen Kleinkrieg aus passiv-aggressiven Manövern um seine Zuneigung veranstalten. Der schmierige Traum von jungen Frauen, die auf dem Behandlungsstuhl und unter Novocain-Lokalnarkose zu Nymphomaninnen werden, wird für Dr. Rutelli nach einer ebensolchen weichgezeichneten Softpornoepisode zu einem Alptraum. Nicht nur, weil die Wiederholungen dieser Affäre mit Nicola bestenfalls ins Leere laufen – meist aber zu wüst-sadistischen Visionen führen, wie dem bildhaften Zusammenlegen einer sich nackt räkelnden Nicola und einem aggressiv werdenden Schäferhund – sondern auch, weil sich die hysterisch-romantische Rivalität von Mutter und Tochter mit diesen Lüsten verwebt. Eugenia wird sexuell immer fordernder ihrem Vater gegenüber ebenso wie das Handeln des Vaters kurzschlussartig die Bilder erotischer Phantasien in die Beziehung zwischen den beiden trägt. Kurz die Bilder des lüsternen Erotikfilms verirren sich zunehmend in das ödipale Drama. Zumeist geht all dies in einem Haus vonstatten, dass all dies symbolisch offenlegt. Ein Haus psychedelisch glühender Farben und voller urwaldhaftem Nippes, welches die nervenschwache-hochromantische Psyche der Mutter um alle Figuren legt. In diesem Drängen der Gefühle haben sich kleine Inseln klarer Strukturen geschlagen, die das Nüchterne, das ordentlich Zahnärztliche des Vaters auf verlorenem Posten zeigt. Und das Zimmer der Jugendlichen Eugenia darin ist das Zimmer eines Kleinkinds. APPASSIONATE entfacht einen Sturm tabuisierter Gefühle, wobei das Hochschaukeln der eskalierenden Verirrungen sich in einer gezügelt-genießenden Klarheit vollzieht – die Ruhe von kaltem Schweiß evozierend. Die erotische Oberfläche legt sich auf inzestuöse Beziehungen und erodiert die Abwehrmechanismen der Beteiligten zusehends. Die Erotik wird zum Gewand eines entrückten Unbehagens, dass das brütende Melodrama mit Verstörungen anfüllt, die wie Verführungen aussehen.
*****
Gianluigi Calderones APPASSIONATA, den ich gestern sah, wird dank donau film in den Erotikabteilungen der bundesdeutschen DVD-Anbieter stehen. Ornella Muti ist auf dem Cover in lasziver Pose zu sehen. Junge Leute werden ihn, von ihren neuen, ungeheuren Gefühlen getrieben, mglweise wegen seiner Aufmachung von ihren Eltern entwenden und heimlich schauen. Alleine oder in Gruppe. Einsame ältere Leute werden ihn mglweise schauen, um etwas Wärme zu spüren. Das Taschentuch ebenso mglweise bereithaltend. Paare werden ihn mglweise zu einem Glas Rotwein einlegen, um ihn und sich gemeinsam zu genießen. All diese (das Internet und Vorspultasten vernachlässigende) Vorstellungen tauchten beim Schauen in mir auf und wie sie sich alle ob des sich abspielenden fiebrig-romantischen ödipalen Dramas zunehmend, jeden menschlichen Kontakt scheuend, in eine Decke wickeln bzw wickeln wollen. Denn selbst vom Männer-lassen-ihre-Hose-an-Sex abgesehen, sind die Momente, wenn APPASSIONATA erotisch wird, eher von bitterer Natur. Oder anders, es wird meist erotisch, wenn es doch irgendwie nicht erotisch werden sollte. Ob diese potentiellen Leute noch wertschätzen können, welch wunderschönen Film sie (zumindest bis sie abschalteten) gesehen haben?
Sonnabend 18.11.
großartig
Es ist immer noch eine der besten Ideen überhaupt, Straßengangs, die gleich zu Beginn so treffend charakterisiert werden, als die Jets über einen Basketballplatz gehen und genießen, wie all die Ball spielenden Kinder und Jugendlichen ihnen ausgeliefert sind – diese können nur spielen, wenn die Jets es ihnen erlauben, und wenn die Jets ihnen den Ball wegnehmen, können sie gar nichts machen, aber die Jets sind gnädig und erlaben sich an der zitternden Dankbarkeit ihren Untertanen – dass solche Gangs eben mit Tanzschritten durch die Straßen hopsen. Sie werden in ein Korsett von spielerischer Unmännlichkeit und somit von Schwäche gepresst, dass der Widerspruch zwischen den Männlichkeitsritualen der Gangs und deren weibischen Ausdruck zumindest bei mir ein Gefühl gespannter Unannehmlichkeit evoziert.
großartig
Manchmal kommt die Erkenntnis beschämend spät. Als ich TANZ DER TEUFEL erstmals sah, wunderte ich mich, wieso es diesen Wirbel gab. Was an ihm verbietenswert sei, erschloss sich mir schlicht nicht. Eben ein Horrorfilm mit den Mitteln des Slapsticks erzählt. Viel mehr Vergnügen als verbissene Blutrüstigkeit. Aber genau das war das Problem. Dass dieser Cartoon kein Cartoon war. Heißt, hier spielten reale Menschen. Was wiederum heißt, am Ende wäre hier nicht die Pfanne verbogen gewesen, sondern der Schädel zerstört. Wäre TANZ DER TEUFEL also ein garstiger Film gewesen, vll wäre er viel weniger aufgestoßen.
Freitag 17.11.
gut
Jeanne d’Arc wird in der Verfilmung von George Bernard Shaws Stück zu einer entscheidenden Agentin der Moderne, die knapp hundert Jahre vor Luther die Kirche naiv in Frage stellt und sich lediglich auf ein individuelles Verhältnis zwischen Gott und Mensch beruft. Womit nicht nur der Klerus, sondern auch der Adel (sich ebenso auf eine Ordnung Gottes berufend, die in einem solchen Verhältnis nicht zu finden ist) in Frage gestellt sei. Bevor SAINT JOAN aber zur Heiligengeschichte von protestantischem Geist mit Kargheit und froher Kunde wird, ist es aber eine Komödie. Eine Komödie, in der Leute wie von Geisterhand sich beseelen lassen und in der ein wunderbarer Richard Widmark seinen Karl VII als Hans Wurst spielt … der gebeugt durch die Szenerie hüpft und mit all diesem Schicksalshaftigem nichts zu tun haben möchte. In seinem Diptychon von hoffnungsvoller Ausgelassenheit und hoffnungsvoller Depression ist SAINT JOAN so von einer Verspieltheit, die mal keck, mal lehrerhaft aus dem Protestantismus herausbröckelt.
nichtssagend
Wiederkehrendes Motiv ist der Filmtitel (der eigentlich, nicht der Deutsche), der von den Wänden prangt, vor denen die Figuren des Films oft sitzen und kontemplieren. Wie ein geisterhaftes Erwache! hallt dieser Imperativ aus den Bildern. Ein amerikanischer Soldat hat bei einem Einsatz in Kenia sein Gedächtnis verloren, als außerirdische Maschinen (wahrscheinlich) die gesamte Welt mit einer Welle der Zerstörung überzogen, und muss nun durch die Überreste einer zivilisierten Welt ziehen, um zu einem us-amerikanischen Stützpunkt in der Nähe von Nairobi zu gelangen und um dort wünschenswerterweise seine Identität wiederzufinden. Im Weg stehen ihm dabei nicht nur die unförmigen Drohnen, die alles menschliche Leben kaltblütig und gewissenhaft auslöschen, sondern auch (para-)militärischen Gruppen, d.i. umherziehende Horden von Männer mit Waffen, die ihre Macht im Machtvakuum schikanierend, vergewaltigend und tötend ausnutzen. Die Bewegung von REVOLT ist dabei eine perspektivverschiebende. Sind es erst die Menschen, mit denen sich der Mann und seine Weggefährtin in den effektivvollen, aber etwas hölzernen, state-of-the-art-inszenierten Actionszenen herumschlagen müssen, steht zusehends der Kampf gegen die Maschinen im Mittelpunkt. Aus einem individuellen Kampf wird, ohne dass dies vom Film an seine Zuschauer verbal herangetragen werden würde, ein kollektiver. Die Weggefährtin verschwindet wieder. Es bleibt: Mensch (rudimentär rassen- und geschlechtsübergreifend) gegen Maschine. Und mit diesem Wandel einher geht die Vermutung, dass diese Maschinen vll doch nicht extraterrestrischen Ursprungs sind, dass es sich bei den Drohnen mglweise um amerikanische Produkte handelt. Und wieder hallt hier dieses unausgesprochene Erwache! durch die Szenerie. An einem Punkt ist eine zerstörte wie riesige Satellitenschüssel zu sehen. Der Schnitt von ihr weg kommt spürbar spät, als ob sie uns viel zu sagen hätte. Fast ist zu erwarten, dass Charlton Heston vor ihr auf die Knie fällt und in den Sand schlägt. REVOLT belässt es aber bei kleinen Gesten einer Erweckung, die nicht weiter mit Sinn gefüllt werden, die gleichzeitig Richtung Reichsbürgertum und Alle Menschen werden Brüder deuten. Trotz dieser irgendwo spannenden Ambivalenz, um eine vom Zuschauer selbst auszufüllende Forderung nach dem Abwerfen der (geistigen) Ketten, bleibt die Crux aber, wie steif und leblos der (Action-)Film REVOLT bleibt, der seine leeren Figuren über ein Brett schiebt und Verlust und Rührung nach Vorschrift anbringt, damit Gefühle entstehen mögen.
Donnerstag 16.11.
gut
Vll kommt in den folgenden Episoden das Verbrechersyndikat wieder, dessen Entstehung sich aus den endlosen Verhören abzeichnet. Vll erhält Derrick seinen Blofeld. Wahrscheinlich ist es aber nicht. Eher wird es bei der Verhaftung dreier unwichtiger Schläger der Organisation bleiben, mit der DER FOTOGRAF abschließt und die Stephan Derrick zufrieden grinsen lässt. Die Unvollendete, so könnte diese Folge wohl auch heißen. Denn nicht nur bleibt es bei einer bedeutungslosen Verhaftung, auch der kinetische Beginn aus einer wunderschönen Verfolgungsjagd und einer ungehobelten Schießerei, bei der Harry verwundet wird, findet in der Folge keine Entsprechung. Am Ende legt sich etwas Melancholie über die Folge, wenn die Ereignisse vor besagter Verfolgung in Flashbacks wiederkehren und von einem Verlierer künden, der endlich mal das große Los ziehen möchte, aber wiedermal verliert. Ansonsten: Bürokratie, die ein wenig Spaß an den Pausen vor dem Wort Pornografie oder mit solch gearteten Bildern hat, die etwas Romantik in unwirklichen Wohnungen findet, aber kaum ein Auge dafür hat.
Dienstag 14.11.
verstrahlt
Ein bisschen ist HOT THRILLS AND WARM CHILLS wie das audiovisuelle Wahrnehmungsprotokoll eines Filmes, der mitten in der Nacht bei einem außerordentlichen Kongress des Hofbauer Kommandos gesehen wird, nachdem der Protokollierte mit Schlafdefizit anreiste und eh gerade einen anderen Schlafrhythmus hat. Der Raub der edelsteinverzierten Krone von King Sex, also das worauf die Vorbereitungen einer Verbrecherinnenbande hinauslaufen und von wo ihre Flucht sich später wegbewegt, es fehlt. Manches, was in diesem Kriminalplot ebenso zu erwarten wäre, es ist nicht da. Anderes hingegen steht irritierenderweise in den Vorgängen herum, ohne dass es zuordenbar wäre. Andere Dinge hingegen ziehen sich hin und nehmen seltsam viel Platz ein. Es ist eben als ob einiges verschlafen wurde, während sich anderes im Kampf gegen die schwindende Aufmerksamkeit befindet und sich folglich gedehnt anfühlt (als ob das Geschehen nicht vorankommen würde). Und so verschließt sich HOT THRILLS AND WARM CHILLS den Ekstasen der (S)Exploitation, denen er sich oberflächlich betrachtet verschrieben hat. Hinter der reißenden Musik, irgendwo zwischen Dick Dale Fieber und Les Baxter Exotica, die über Einstellungen tanzender, sich räkelnder und Anzeichen von Sexhabender Frauen wartet eine gespannte Leere, die von Aufregung abstrahiert wurde. Anders gesagt, ständig werden einem Aufregungen versprochen, dies aber nie eingelöst, wodurch eine widerständige Spannung entsteht, die irgendwo zwischen einem vom Schlaf benebeltem Geist und der systematischen Infragestellung von Sehgewohnheiten liegt.
Montag 13.11.
gut +
Zum dritten Mal bringt ein (potentieller) Vergewaltiger sein Opfer zufällig und ausversehen um, als er sie kurzzeitig vor umherschwirrenden Leuten, potentiellen Zeugen also, zum Schweigen bringen möchte. Die Hand vorm Mund und der entsetzte Blick ob der Tat, Reinecker erzählt wiederkehrend von Leuten, die mit ihrer so gearteten Schuld nicht zurechtkommen. Nach der Folge fragte Sabrina Z. warum eigentlich Derrick so bedrohlich inszeniert wurde und nicht der Täter. Große Teile von TOTE IM WALD gibt seinen Schauspielern eine Bühne. Martin Lüttge als der grenzenlos nervöse, schwitzige Beck und Günther Neutze als der abgezockt geschwätzige Donk führen zu den Flashbacks der Tat, wo ein älterer Mann in einem jungen Mädchen nur das Objekt einer fröhlichen Hetzjagd durch einen sonnigen Wald sieht. Das Verständnis des Drehbuchs und der Inszenierung für den Täter ist weniger Freispruch, als das wiederkehrende Erschrecken darüber, was alles in einem lauert und was aus einem Gefühlshaushalt erwachsen kann, wo Frauen stets etwas zu Eroberndes sind.
Sonntag 12.11.
großartig
Schaltbretter, Mohnfelder und Schwärze im schnellen Wechsel. Opium für den Augapfel.
Sonnabend 11.11.
großartig
Ein netter Fakt für nebenher: Einer der Geldgeber für diesen Film, der Polanskis EKEL und Altmans IMAGES zu einem Gothic Horror verarbeitet, der beispielsweise von dem Aufklappen eines Fangeisens sehr assoziativ auf eine Frau schneidet, die stöhnend ihren Kopf in ihr Kissen vergräbt und ihre Hand in ihren Schritt schiebt, und damit die brutalen Potentiale ihrer verdrängten Sexualität sehr packend einfängt, ein Geldgeber für diesen Film waren die Rechteinhaber der Schlümpfe.
großartig –
Letzte Woche habe ich mir 10 DVDs von Claude Chabrol gekauft. Gab es günstig. Noch vor einem Jahr hätte ich mir das nicht vorstellen können. Was hätte ich mit 10 Filmen von diesem Langweiler gewollt. Nach DIE UNSCHULDIGEN MIT DEN SCHMUTZIGEN HÄNDEN hat sich diese Auffassung langsam geändert und nach DER ZEHNTE TAG und LES BICHES war all meine Abwehr gegen Chabrol völlig dahin. Nach den Filmen der letzten Tage kommen meine alten Vorbehalte aber schleichend wieder. Tendenziell. Denn sahen die drei genannten Filme total seltsam aus, erzählten seltsame Dinge und fühlten sich teilweise völlig vom Irrwitz gepackt an, da kommt bei allen nun gesehenen Filmen der gute Krimierzähler durch. Die DVDs von Zweitausendeins haben wirklich keine gute Bildqualität und trotzdem sehen die Filme nicht so abgeranzt aus, wie die drei angesprochenen. Qualitätskino scheint durch die matschigen Bilder der DVDs, die dem Verwesen der anderen drei Filme, die von denselben Leuten hinter der Kamera aufgenommen wurde, so gar nicht gleichen möchte. Viele schöne Momente, viele seltsame Momente gibt es auch hier, aber sie sind Teil einer ziemlich gekonnten Erzählung, die das Seltsame eher vom Rand auf das seriöse Zentrum wirken lassen.
Eins der Dinge, die wirklich, wirklich oft über Claude Chabrol und sein Kino erzählt wird, ist der Umstand, dass er mit seinen Filmen das Bürgertum entlarven möchte. Das hörte und hört sich für mich wenig spektakulär an. Und zunehmend sind seine Krimis in meinem Player von Twists bestimmt, die genau in diese Richtung gehen und eben wenig spektakulär sind. Da sind die Ehefrauen, die kein Problem damit haben, dass ihr Mann ihren Liebhaber umbrachte, oder die ihren Mann selbst töten … im Bestreben den bürgerlichen Anschein zu erhalten. Oder die Familie, die sich mit einem Mörder zusammenschließt, nur damit der Vater unter der Erde landet. Oder die Frau, deren Liebe zu einem Mann auch bestehen bleibt, als sie erkennt, dass er ein Serienmörder ist. All dies ist sicherlich spannend, aber als Ausgangspunkt sicherlich noch mehr als als Endpunkt. DIE UNTREUE FRAU bewegt sich auf einen dieser Endpunkte zu und es sind eher die Nebenschauplätze, die ihn über einen netten Film hinausheben. Nebenschauplätze wie der Inspektor, der stumm von hinten wie ein Geier die Schuldigen anschaut, dessen Augenringe wie Gluteisen aus seinem blassen Gesicht scheinen, der ganz verspielt popelt, während er wie ein brutales Über-Ich seine Opfer niederstarrt. DIE UNTREUE FRAU ist ein toller Film, aber Chabrol schien so viel mehr zu können, als dezente Späße in einem Etwas, das dezent zum Lauen tendiert.
gut
Frank Cadillac (Nicolas Cage) kann 2 Minuten in die Zukunft schauen. An mehr als an diesem Gimmick ist NEXT anscheinend nicht interessiert. Es gibt eine tolle Fluchtsequenz mitten durch ein Casino in Las Vegas, das von Sicherheitsangestellten nur so wimmelt. Frank Cadillac spaziert aber seelenruhig hakenschlagend durch die Gänge und zwischen den immer gerade in die falsche Richtung schauende Casinoangestellten hindurch. Oder die Szene, wo er versucht die Liebe seines Lebens anzusprechen. Wir sehen eine UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER-artige Sequenz aller seiner Anmachversuche, die er durchprobiert, ob sie eine fruchtbare Zukunft haben (und bei denen Cage es wunderbar schafft nicht ein einziges Mal nicht creepy zu wirken). Und es gibt eben den Moment, wo er eine Halle durchsucht und die Inkarnationen seiner möglichen Zukünfte durcheinander durch die Gänge laufen und Ausschau halten. Der Rest ist ungefähr so liebevoll wie die Idee, dass das FBI mit Hilfe von Cadillac eine Atombombe suchen möchte, die nach L.A. geschmuggelt wurde. Einsetzen tun sie ihn, indem sie ihn vor einen Fernseher ketten, damit er ihnen 2 Minuten bevor es tatsächlich in den Nachrichten erwähnt wird, den Aufenthaltsort der Atombombe mitteilen kann. Mit anderen Worten NEXT gibt einen feuchten Jokus auf durchdachte Szenarien, ist hier und da so creepy wie Cage und seine Frisur, aber auch tiefenentspannt, weil ohne Unterlass Fünfe gerade sein gelassen wird..
Freitag 10.11.
großartig –
Das Spiegelbild zu DAS BIEST MUSS STERBEN vom letzten Sonntag. Doch hier wird nicht mit Hass auf diese Bestie (wieder Jean Yanne) geschaut, sondern mit Liebe. Statt toxischer Maskulinität ist deshalb im Schlachter auch eine verlorene Seele zu finden, der sich hinter seiner Selbstsicherheit verschanzt. Statt der kalten Welt des Patriarchats gibt es hier dementsprechend romantische Bilder, wo beispielsweise Blut wie Nieselregen auf ein Pausenbrot tropft.
gut +
Über Bilder einer Landschaft wie aus Sagen und Märchen ein Sprecher, der für potentiellen Touristen einen Werbetext einspricht. Ein Land hinter den sieben Bergen scheint der Kolonisation nahe und doch schwingen in den Bildern schon die Enttäuschungen mit, die diese Träume in Schwarzweiß bereithalten, sobald wir in der Camargue und doch nur wieder in einer weltlichen Landschaft stehen. Zu weit scheinen sie weg, als dass sie durch Tourismus zu erreichen wären.
großartig +
Im Automobil steckt die Kraft. Zumindest für Pialats Vertreter auf der Leinwand Jean (Jean Yanne). Wie so oft angemerkt vollzieht sich das Trennungsballet zwischen Jean und Catherine (Marlène Jobert) in einem Auto. Oder um genauer zu sein in Jeans Auto. Er ist es, der Catherine darin (aus heiterem Himmel) anschnauzt, der auf ihr Aussteigen wartet, um es abschließen zu können und der stets am Steuer sitzt. Repetitiv kommen die Trennungsausbrüche, die Wut und die Angst über die zarten Momente, die Momente des Reüssierens, des Imaginierens einer (ruhigen) Zukunft), die nie im Alltag stattfinden, sondern immer unterwegs. Zu Besuch bei den (Groß-)Eltern, bei einem Ausflug, bei der Arbeit in Südfrankreich. Immer wieder die Pointe, dass sich Jean und Catherine an den Kopf werfen, dass sie sich nie wieder sehen wollen und einen Schnitt später sich doch wieder lächelnd in die Arme fallen. Und trotz alledem bewegt sich WE WONT GROW OLD TOGETHER fort. Widerwillig setzt sich die Trennung durch, vielleicht gegen die Liebe, die trotz psychischen und physischen Missbrauchs bestehen bleibt. Als Catherine bei ihrer Oma zu Besuch ist, ihre Ruhe von Jean möchte und das erste Anzeichen der sich endgültig durchsetzenden Trennung bietet, ist er es, der hilflos in seinem Auto sitzt und nicht weiß wohin. Wenig später wird er von Catherine in seinem Auto angeschrien. Sobald Catherine ihre Unabhängigkeit erlangt hat, sobald die Beziehung nur noch ein träges, nichtabzuschüttelndes Gefühl in ihren Treffen ist, dann ist das Auto völlig verschwunden. Lediglich die Bergspitzen einer Trennung sind in WE WONT GROW OLD TOGETHER zu sehen. Momente in Bewegung, die entweder in emotionale Ausbrüche ausarten, die rationelles Denken hinter sich gelassen haben, oder es sind Momente ohne Gegenwart, die von der Vergangenheit zehren oder auf eine Zukunft hoffen. Mittendrin ein Auto, die Illusion am Steuer zu sitzen und die Folgen.
fantastisch +
Donnerstag 09.11.
großartig
Gerade die Musik macht hier den Ton. So hört sich INKASSO zu Beginn nach einem italienischen Reißer an, steigert sich aber aus seinem Krimikontext in ein verträumtes Rachedrama über verlorene Unschuld mit seiner hüftsteif-romantische Keyboardmusik, die direkt einem Film von Jürgen Enz entliehen zu sein scheint.
Dienstag 07.11.
ok
Größtenteils: keine Extravaganzen, keine Sperenzien – ein Krimi. Die Tochter des Opfers, schon vor dem Tod aufgerieben zwischen den Krankheiten der Eltern, ist ein Ausbund aufmüpfiger Resignation und Lethargie. Am Ende darf Derrick in Zeitlupe durch eine Holztür springen und VIA BANGKOK versprüht kurz Lebenszeichen gegen den erdrückenden Tod in einer miefigen Bürgerlichkeit.
Sonntag 05.11.
gut
Zum Ersten der vier ernsten Gesänge von Johannes Brahms wird zu Beginn ein Kind überfahren und zum Ende zufrieden in den Sonnenuntergang gesegelt. Zwischen dieser Einklammerung liegt ein fein abgeschmeckter Krimi, in dem ein Mann den Mörder seines Kindes sucht und ein verkommenes Abziehbild eines Patriarchats findet. Jean Yanne gibt ein Ekel, dass nur von seiner Mutter geliebt werden kann. So bieten sich eigentlich alle als sein Mörder an und trotz aller Selbstanzeigen bleibt am Ende völlig unklar, wer der im Hass Verbundenen der Täter war. Der Krimi dabei ist nett und funktioniert wie das von Hitchcock titulierte Vieh, dass seine Ideen beim Dreh umsetzen muss. In der Zeichnung dieses Patriarchats findet DAS BIEST MUSS STERBEN aber dann doch mehr, als eine Handlung, die über die Weide getrieben wird. Alleine die Dekors. Und es ist vll die stärkste Szene des Films, wenn Yanne die Ehefrau seiner Figur in aller Öffentlichkeit demütigt und die Mutter seiner Figur weniger versucht ihr Lachen zu unterdrücken, als durch dieses zu platzen. Es sind so weniger die Untiefen der Guten, sondern die Garstigkeit der Bösen von der DAS BIEST MUSS STERBEN lebt.
gut –
Ein Mädchen wird von ihrer eigenen Eitelkeit bedrängt (als böse Königin aus ihrem Bewusstsein ausgelagert) und korsettiert, kämmt und hungert sich nacheinander zu Tode. Gerettet wird sie von ihrer Bodenständigkeit (als sieben Zwerge ebenso hinter sieben Berge von sich abgespalten). SCHNEEWITTCHEN, irgendwie auch der FIGHT CLUB seiner Generation(en).
großartig
Dass es immer einen gibt, der besser ist als du selbst, das muss hier jeder Kämpfer lernen. Egal wie übermächtig er zur Zeit seiner Einführung scheint.
nichtssagend
Im Wegbrechen des Alltags und im Zurückgeworfensein auf sich selbst tritt die Dysfunktionalität eines Paares im Arbeitsurlaub (er sucht nach Locations) hervor. Das ist der emotionale Mittelpunkt des Films, dem er sich in repetitiven Abläufen annähert. Die aus einer angespannten Oberfläche von Urlaubsrelaxierung erwachsenden Ausbrüche von Vorwürfen, Gewalt und Hass enden dabei wiederkehrend in einem mal mehr, mal weniger brutalen Versöhnungssex. Immer heftiger und trostloser werden die Momente zwischen diesem. Die Zweisamkeit in der wüsten Leere des Universums ist in TWENTYNINE PALMS eine ins Unerträgliche anwachsende Belastung, die irgendwann auch im gemeinsamen Sex keine Linderung mehr findet. In diesem Moment treten Hinterwäldler auf den Plan, welche die inneren Wunden und die aufgestaute Wut wie einen sinnlosen, heftigen Blitz auf das Paar niederfahren lässt und letztendlich die Dysfunktionalität und der Logik des Films den Anlass für die letzte Niederkunft brutaler Gewalt bietet … und so einem Film, der die Anspannung des Paares in langen, wenig ästhetisierten Einstellungen zelebriert und dann alles auch noch in der Wüste stattfinden lässt, der so das Wenige, was er bietet (Dysfunktionalität), doppelt und dreifach unterstreicht, und der so seine Wut eben doch ästhetisiert und damit ihrer Kraft beraubt, die Krone ermüdender Eindeutigkeit aufsetzt.
Sonnabend 04.11.
gut
Letztens habe ich irgendwo (vermutlich direkt im DVD-Booklet) gelesen, dass Hitchcock mit THE TROUBLE WITH HARRY das Melodrama ins Tageslicht überführen wollte. Immer wieder gibt es mehr oder weniger deutliche Anspielungen auf sexuelle Gewalt und Impotenz oder Homosexualität – so vage bleibt es zuweilen, was die Leute nicht auszusprechen wagen, dass es sehr viel heißen kann – und doch ist es Hitchcock gelungen völlig familienfreundlich zu sein. Eine Leiche wird versteckt und dann doch wieder an ihren Fundort gelegt. Immer wieder. Im steten Wechsel wollen die netten Leute um sie herum, nicht von ihr impliziert zu werden, ist sie doch der Träger alles Unsittlichen (Mord, Sex, Gewalt). Bei näherer Überlegung wollen sie dann aber doch zu ihr stehen oder, besser noch, sie jemand anderem anhängen. Kurzzeitig… bis sie sie wieder verscharren. Durch das fröhliche Hin und Her belässt Hitchcock das Melodramatische dann irgendwie doch in der Nacht und erhält einen vergnügten Jux.
großartig
Ich lese gerade die drei ABSCHAFFEL-Romane von Wilhelm Genazino und jedes Mal, wenn dieser klägliche Charakter weich wird, finde ich dies schön. Wenn er quasi geistig, moralisch und/oder körperlich zusammensackt und seine Anspannung und seine ständige Reflexion kurz enden, dann kann auch ich kurz entspannen. Alleine das Wort weich, es ist wie eine Wolke. Anders THE SMELL OF BURNING ANTS. Es ist ein kurzes Essay von depressionistischer Schwärze. Eine Junge und eine Kindheit, die den Qualen der Ameisen gleicht, die er und seine Peers diesen zufügen. Es ist das abstrakte, verbogene Dokument einer schmerzhaften Zerstörung alles Weichen in einem … die mir, auch wenn ich meine Kindheit (sehr) und meine Jugend (weniger) anders in Erinnerung habe, doch sehr bekannt vorkam.
großartig
In der Eröffnungsszene gibt es Dekadenz, Perversion und Mord. Das sind aber die einzigen Extravaganzen, die sich VOR EINBRUCH DER NACHT gönnt. Danach gibt es triste Leute in psychedelischfarbenen Kristallgefängnissen. Die Schönheit der Ornamente an den Wänden und in der Inneneinrichtung stehen dabei so sehr im Gegensatz zur Nüchternheit der Personen, dass sie geradezu entrückt wirkt. Und die Kleinlichkeit, auf die das Verhalten des Mörders und seiner Familie schließen lässt, stehen so sehr im Gegensatz zu dieser Entrücktheit, dass ihr jede Wärme verloren geht. Der Krimi in dieser bunten Kälte entwindet sich dabei den Genremustern und lässt sich die Leute unentwegt auf der Stelle winden. Alles Große entweicht der antiepischen Epik dieser Tristesse und lässt nur ein lächerliches Sein ohne Pointen zurück.
Freitag 03.11.
großartig +
Suspense ist nach Alfred Hitchcock, wenn sich unter einem Tisch eine Bombe befindet und die Leute, die an diesem sitzen, im Gegensatz zum Zuschauer nichts davon wissen. Der Witz von GET HARD folgt oft diesem Prinzip, tauscht nur die Bombe gegen dreckige Unterwäsche, von denen ihre Träger nichts wissen (wollen) … oder so. In einer der besten Szenen des Films dringt Kevin Hart mit Flammenwerfer ins Hauptquartier einer Gang von Neo-Nazis ein (etwas, was die selbsternannten weißen Vorherrscher, laut seiner Figur, immer erwartet haben) und befreit seinen Schüler im Hartsein, Will Ferrell. Während der folgenden Flucht ruft Ferrells Charakter seinen Verfolgern zu: Welcome to postracial america. Oder zumindest etwas sehr Ähnliches. James King (Ferrell), ein schmerzhaft naiver Börsenspekulant, der demnächst für 10 Jahre wegen Betrug und Unterschlagung ins Gefängnis muss, ist aber das wandelnde Beispiel dafür, wie blind eine solche Behauptung sein muss. Die Behauptung, dass in irgendeiner Nation der Welt eine postrassi(st)ische Phase erreicht worden wäre. Sicherlich, er ist nicht voller Hass und auch nicht gewaltbereit wie die Neo-Nazis, aber doch basiert sein ganzes hartkernig-neoliberales Weltbild auf der Blindheit für strukturelle Ungleichheiten in der Gesellschaft. So sieht er weder in seinen lateinamerikastämmigen Hausangestellten Menschen (vor denen er sich bedecken oder schämen müsste), noch fragt er Darnell (Hart), den er anstellt, um ihn vor dem Gang ins Gefängnis hart zu machen, ob er wirklich einmal eingesessen hat. Er schließt dies einfach aus dessen Hautfarbe. GET HARD ergötzt sich demensprechend an einem meisterhaften Ferrell, der gutherzig und liebenswert wie fremdschämig ignorant seine Rassismen und auch seine Homophobie pflegt, der sich zwischendurch wie Lil‘ Wayne kleidet, der versucht Schwänze lutschen zu lernen, kurz: der wirklich jedes negatives wie positives Knast- und Rassenklischee ins Absurde übersteigert. Aber ebenso daran, wie der wie aus dem Hause Huxtable stammende Darnell in jeder Zuschreibung aufgeht. Wie er, der zu Hause unterm Pantoffel steht, die Rolle des knallharten Gangsters genießt. Die Welt von GET HARD ist die der Klischees, die jeder in sich überwunden wahrnimmt, aber doch gnadenloses Opfer derselben wird. Dabei bleibt kein Auge trocken und kein Mund geschlossen. Mitunter wurde GET HARD deshalb vorgeworfen, diese Rassismen zu bedienen, weil am Ende ein individuelles Happy End steht, statt dass final eine gerettete Welt stehen würde oder alles viel düster wäre. Aber anders als der ähnlich gelagerte NOTHING TO LOSE wird hier jeder Realismusanspruch exorziert und die Sentimentalität mit Lächerlichkeit unterfüttert. Es gibt eine (schwarz-)humorige Party über den ganzen Quatsch, den wir über andere wegen hautfarbenen oder sexuellen Vorurteilen denken und hält dem postracial america einen unheimlich komischen Spiegel vor.
Donnerstag 02.11.
ok
In einem Hotel erklingt Leonard Cohens SUZANNE, wie es eben nur bei Brynych erklingen kann: im Hintergrund bleibend legt es sich über die gesamte Szene. Brynych nutzt Musik ein bisschen wie Nebel. Ebenso schauen ab und zu Leute, frontal vor der Kamera stehend, direkt in diese (oder knapp daran vorbei) … während über die Schulter anderes Markantes zu sehen ist. Die Signatur Moves tauchen verteilt über die Folge auf und gewahren einen daran, dass Brynych Regie geführt haben muss … auch wenn es sonst kaum vorstellbar ist. Für die Seltsamkeit ist diesmal eher Reineckers Drehbuch verantwortlich. Es hat den Anschein, dass er sich an einem hard-boiled-Krimi à la KISS ME DEADLY versuchen wollte. Der Mord im Trans-Europa-Express führt zu Spionen, Nuklearforschung und Druck von oben, alles bitte auf sich beruhen zu lassen. Aber für Derrick ist es diesmal persönlich. Immer wieder insistiert er darauf, dass er das Opfer kannte. Von den ersten Erwähnungen, dass der Tote ihm kein Unbekannter ist, wird zunehmend, zumindest in seinen Deklarationen, eine (tiefe) Freundschaft. Diese bleibt aber stets Behauptung. Denn so wirklich scheint er nichts über diesen Kleßner zu wissen. Er und Harry treffen sich noch mit einem anderen Freund der beiden, Mario (Rinaldo Talamonti), und auch hier ist es, wie sich eine private Freundschaft mit jemanden vorgestellt werden kann, der kein Privatleben hat. Für den Einsamen ist ein Hallo, wie geht’s? eben schon Innigkeit. Dass Derrick sich aufgesetzt echauffiert, dass er den Fall nicht liegen lassen kann, diesmal wird es nicht mit seiner verbissenen Polizeiarbeit begründet. Was ihm wirklich quer liegt, dass bleibt ein Rätsel, für das es in der Folge selbst keine Anhaltspunkte gibt. Er rennt ins Leere einer Spionagesituation, die so vage bleibt, dass sie ihm keinen Widerstand bietet. Es folgt Ermittlungssituation auf Ermittlungssituation, die den Fall zwar irgendwie voranbringen, der dramatischen Situation aber nichts bringen. Unwirklich endet die Folge mit den vagen Möglichkeiten einer romantischen Verbindung Derricks zu einer Agentin, die aber selbstredend nicht sein kann. Melancholie und Einsamkeit beendet diese Folge und alles könnte passen, wenn die zu Unbehagen gewordene Einsamkeit unseres Inspektors in MORD IM TEE 91 mehr zum Reiben entgegengesetzt worden wäre. So finden die großen Gefühle des Endes kein Äquivalent im vorausgegangenen Krimi der Behauptungen.
Oktober
Dienstag 31.10.
großartig +
DER ROTE SCHATTEN transzendiert mittels eines Krimis die Faktenlage zu den (Selbst-)Morden in Stammheim. Ganz klassisch fängt es mit einem kleinen Fall an. Während der Ermittler aber am Faden zieht, rollt sich ein Ball von Intrigen und Mutmaßungen ab. Die Spur führt in den deutschen Herbst, von wo Sehnsucht, Ohnmacht und verratene Hoffnung ins Jetzt wehen. Paranoia steigt auf, verdichtet sich und fällt wieder auseinander. Am Ende steht die Überhöhung der Realität, ein Wiederaufleben einer 40-jährigen Unsicherheit, wie groß das Ausmaß der Sauerei war oder ob alles viel banaler ist, als es einem die eigene Hysterie denken machen will. Auf 90 Minuten verdichtet DER ROTE SCHATTEN Zeitdokumente, paranoides Spinnzwirn, private wie gesellschaftliche Tragödien, Nostalgie, sinnliche Lebenserfahrung, schlagende Türen und Pfützen in Gartenwegen. Ein Film kurz vorm platzen, dessen zu viel, vll daraus erwächst, dass eine Verdichtung hier nicht heißt, dass vom Leben bis zur Deutlichkeit abstrahiert wird.
(nichtssagend)
Im Vergleich zur Verwesung von gestern, hat dies nie gelebt. Oder wenn doch, dann habe ich es nicht bemerkt. Sex & Gewalt gemischt mit der melodramatischen Selbsterkenntnis eines Cyborgs interessiert CYBORG 009-1 nicht wirklich, es werden lediglich schöne Oberflächen zu einem seiner selbst bewusstem Trash zusammengefügt.
Montag 30.10.
fantastisch –
Ich bringe den Mut auf, keine mutigen Filme zu machen! Was ich möchte, ist unsere gegenwärtige Gesellschaft in ihrer totalen Verwesung zeigen. Da diese Verwesungserscheinungen jedoch luxuriös ausstaffiert sind, macht es richtig Spaß, sie zu filmen! hat Chabrol der Süddeutschen Zeitung 2003 gesagt. Und genau das ist es, was ich vormals nicht gesehen habe, was mir nun aber so unübersehbar erscheint. Seine Filme zeigen Verwesung. Sie sind nicht stringent, ihre Schönheit ist vergilbt, ihr Inneres faulig. So macht es richtig Spaß, sie anzuschauen.
Sonntag 29.10.
gut
Zwischen Bauchpinselei und kompromisslosem Angriff liegt hier kaum etwas … im Diskursverhalten wie in der Spielzeit. Aus den wenigen Stationen zwischen der Ausreise nach Paris und der Verfassung des kommunistischen Manifests dringen auch kaum historischen Fakten, sondern die Lust am Lesen, an Herausforderungen, am Streit. Wir haben ja auch keine Zeit.
ok
Auch: ein Film für verzweifelte Eltern, die zu sehen bekommen, dass verzweifelte Maßnahmen, die als Erziehung deklariert werden, Erfolg haben könnten. Und dann wird da eben auch auf einer anderen Schiene einem Lehrer auf Crack ein Zäpfchen in den Mund gesteckt, nachdem die Zufuhr per Anus nicht klappen wollte. Win-Win.
Sonnabend 28.10.
ok
Als Alexei Archipowitsch Leonow, der erste Mann, der im Kosmos sein Raumschiff verließ, wieder in die Sicherheit seines Gefährtes zurückkehren möchte, dann gleicht dies in SPACEWALKER einer umgekehrten Steißgeburt. Die symbolische Rückkehr in den Mutterleib durch eine fleischfarben/rotleuchtende Röhre wird nämlich durch einen Verbindungsschlauch behindert, der wie eine Nabelschnur aus dem Bauch des Kosmonauten kommt, der ihn versorgt und sich um ihn verheddert. Dies ist mglweise der spannendste und witzigste Moment in einem Film, der den Kalten Krieg in Form eines Blockbusters um naive Menschen mit Träumen aufarbeitet und so viel vom ehemaligen Feind gelernt hat, dass beide Seite – ein ebenso spannender wie witziger Effekt – in ihren Filmen kaum noch zu unterscheiden sind. Die Zentrale, die diesen Flug voller großer und kleiner Unfälle begleitet, sieht, ganz dem realexistierenden Sozialismus entsprechend, nicht so High End aus, wie bei der NASA – sprich vor allem sind die Farben viel gedeckter und es leuchtet nicht im Werbeweiß – und Bürger haben berechtigterweise etwas mehr Angst vor der Obrigkeit, ansonsten ein Blockbuster, der keine neue Perspektive von einer anderen Seite bietet, sondern nur die Bekannte, von der wir geradezu überschwemmt werden, ganz praktisch spiegelt.
gut
Ein früher Roughie mit den Mitteln des Stummfilms (irgendwo zwischen DIE MUSCHEL UND DER KLERIKER und Murnaus PHANTOM), wo die Menschen nur schluchzen oder Lachen als auditives Kommunikationsmittel mit dem Publikum haben … also Schmerz und Schmerz zufügen, um den eigenen Schmerz zu übertünchen.
Freitag 27.10.
gut
Mit dem Schritt ins Kino verwandelt sich TWIN PEAKS auch von einer seriellen Erzählung in eine filmische. Soll heißen, dass die Soap Opera-Elemente nicht vorkommen. Kein Benjamin Horn, kein Sägewerk, kein Ghostwood. Keine Intrigen, keine überraschenden Aufdeckungen und keine verästelten Liebesentwicklungen. All die Invitations to Love werden nicht ausgesprochen. Es bleibt das übernatürliche Seelendrama, mit dem Lynch und Frost ihre Soap brachen. Der Moment, wo Leute eben nicht einfach nur sie selbst waren, sondern mit etwas Anderem zu kämpfen hatten. Mit unaussprechlichen Abgründen, die Frauen mit Holzscheiten reden und Zwerge in von roten Samtvorhängen begrenzten Räumen rückwärts tanzen lassen. FIRE WALK WITH ME ist größtenteils das fragile Portrait von Laura Palmer, die zerbricht. Waren ihre dunklen Neigungen, ihre Selbstzerstörung, die in der Serie nach und nach aufgedeckt wurden, Überraschungen, so sind sie hier mehr als offenbar. Einerseits, weil es vll immer nicht ganz so überraschend ist, wie es einem aus der Verdrängung heraus vorkommt, andererseits, weil sich Lynch ausschließlich darauf konzentriert. Seine Laura Palmer kämpft mit ihren inneren Dämonen und Donna (leider, leider nicht Lara Flynn Boyle) wird mehr noch als bisher zum unschuldigen Vorstadtmädchen, dass von Traumata, Zügellosigkeit und Bob geschützt werden muss. Der schon in der Serie zum Selbstmord werdende Mord wird hier vll noch zur Aufopferung. Ein Opfer für die Unschuld anderer. Und solange FIRE WALK WITH ME in dieser Weise etwas zu dem Bekannten hinzufügt, wenn neue Agenten den Fall von Teresa Banks untersuchen, wenn David Bowie aus der Zwischendimension wiederkommt, wenn Laura und Donna einen rot glühenden Twilight Zone-Puff von bebender Unschuldzerstörungsqualität aufsuchen, sprich wenn die sichere 50er Jahre Vorstadtgemütlichkeit immer weiter zerstört wird, dann ist dieser Film relevant, mitreißend und treibt einen immer weiter in seinen Fuchsbau. Aber irgendwann fängt der Film an und hakt die Stationen ab, von denen wir durch die Ermittlungen in der Serie wissen. Das, was wir kennen, bekommt Bilder, die nur blasse Schatten der eigenen Phantasie sein können, die Protokollieren und ein Königreich der Ahnungen zu einem Bettellager des Wissens machen. Und so bekommt FIRE WALK WITH ME das Problem, welches auch Sheryl Lee bei ihrer Darstellung der Laura Palmer hat. Sie schafft es schon als Maddy (Laura eineiige Cousine) nicht den Schatten der Bilder Lauras als Leiche und als Ballkönigin zu verlassen, genau wie sie hier daran scheitern muss, wenn sie eine Ikone mit Leben füllen muss.
Donnerstag 26.10.
großartig –
Wie schon bei Pecko erwähnt, befindet sich DERRICK seit Folge 28 nur noch in der Hand von Verrückten. Die bürgerliche Gesellschaft, der Ameisenstaat der Ausgebeuteten und Weggeworfenen unter ihr und selbst der Polizeiapperat, bei Brynych, Haugk und Becker strömen Gase der Verwesung aus diesen, Perversion, Brutalität, Gier, Egoismus und Verlorenheit, sie verzerren das Bild einer provinziellen Moderne. Und Vorher, der Reineckes Abrechnung mit Bürgertum und BRD meist Richtung italienischem Genrefilm drückt, der stets auf eine Realität außerhalb des Falles pocht, die an manchen Stellen unvermittelt ins Geschehen eindringt, ohne etwas beizutragen, er stinkt trotz seiner durchweg tollen Folgen irgendwo ab, weil seine Beiträge nach dem Irrwitz der anderen fast normal und gesetzt wirken.
Mittwoch 25.10.
gut +
Ein erfolgreicher Schriftsteller begibt sich aus seinem Elfenbeinturm der Bürgerlichkeit herab und spielt als Zeitvertreib als Drummer in einer Band voller Assis und vor allem mit seinen Bandkollegen. Und egal wie misogyn, xeno- wie homophob, wie brutal, selbstzerstörerisch, verantwortungslos und asozial die Leute in diesem wüsten Bodensatz einer heruntergekommenen Gesellschaft reden und handeln, egal wie absurd, pervers und psychotisch die völlig unstete Kamera stilisierte Eindrücke von seelischer Zerstörung mittels ver-rückter* Perspektiven einfängt – wie das teilweise Rückwärtsablaufen der Bilder, das Rasen von Menschen an der Decke ihrer versifften Wohnung, da sie unter ihren Gefühlen leiden, von denen sie nie gelernt haben, wie mit ihnen umzugehen ist uswusf – egal wie krass, krank und reißerisch der höllenartige Platz ist, zu dem er sich begibt, der Schriftsteller als diabolischer Dirigent einer schleichenden Eskalation ist der Einzige, der jegliche Sympathie verspielen wird. EX DRUMMER wird so ein Metafilm über perverse, klischeegesteuerte Schaulust und Elendstourismus, die es schafft mit ihrer wilden Mittelfingerattitüde doch gemütlich zu sein.
*****
* im wörtlichsten Sinne
Dienstag 24.10.
fantastisch –
Was war denn das nun schon wieder? Dass DERRICK mit der Zeit den Ruf bekam, dass er das Aushängeschild deutscher Schnarchigkeit sei, lässt sich rationell und zeitgeschichtlich durchaus erklären. Im Angesicht solcher Folgen wie TOD DES WUCHERERS ist dieses Image aber schlichtweg undenkbar. DERRICK wirkt hier eher wie ein Vorhänger oder älterer Bruder von TWIN PEAKS. Die Verschachtelung des Ablaufs des Falls, dass Derrick und seine Helfer ihre Zeugen und Verdächtigen offen schikanieren und wie rau alles wirkt, das sind ja nur die ersten Anzeichen, dass mit dem Image hier etwas nicht stimmen kann. Aber da ist dieser Mord, der wie aus einem Alptraum aufzusteigen scheint, dieses teuflische Lächeln, welches sich so vielen Beteiligten von Derrick bis zum Mörder bemächtigt, dass hier schlichtweg alles nach einer normalen Welt aussieht, dass aber immer wieder die Spitzen eines Alptraums die Textur der Sicherheit zerreißen, dass einfach kurz vor Schluss eine Rockergruppe in den Film eindringt und von Derrick höchstpersönlich herausgeprügelt werden muss, das ist alles einfach nur so unwirklich, so irre, so unfassbar gut…
Sonntag 22.10.
verstrahlt –
Wie schon BERBERIAN SOUND SYSTEM oder AMER verweigert sich FRANCESCA einer einfachen Auflösung. Vehement wird die Unentschlüsselbarkeit des Plots eingefordert. Wieso? ist der letzte Satz der fallen wird. Ein Polizist stellt diese Frage dem mutmaßlichen Mörder. Dann zerreißt die sich abzeichnende Auflösung in einem absurden Moment und in großen Lettern steht FINE über den Bildern. Als die Schrift aber langsam verschwunden ist, ist noch nicht Schluss. Es folgt eine kurze Sequenz, in der eine halbnackte, an ein Bett gefesselte Frau mit einem Messer gestreichelt wird. Es ist die schlussendliche Bestätigung, was das Herzstück von FRANCESCA ist. Lustvolle Bilder gequälter Körper. Je nackter und weiblicher die Körper, desto lustvoller wird das Gezeigte. Wenn hingegen der Inspektor nach einem Mörder sucht, sieht FRANCESCA wie ein Amateurfilm aus. Es hat etwas von der Liebe eines Al Pereira-Films zu Pulpgeschichten, wie er hanebüchen durch die dann blassen Einstellung stapft. Zwischen dieser (misogynen) Lust und der naiven Liebe steht jedoch eine unsägliche Selbstverliebtheit. Die Ausstellung des Könnens stilistische Sentenzen eines Dario Argento Films nachzuahmen, wird ausgiebig nachgegangen. Die Mimikry der Vorbilder geht aber alles Liebevolle ab und ist lediglich mechanische zur Schaustellung. Der atmosphärische Vorspann steht deshalb emblematisch für seinen Film. Sieht und fühlt sich ganz spannend an, aber dass die fast ausschließlich genannten Namen Luciano und Nicólas Onetti immer und immer wieder gezeigt werden, dass jeder Beitrag aus ihrer Hand einzeln aufgeführt wird, um die Namen der beiden immer wieder über die Bilder zu legen, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.
Sonnabend 21.10.
verstrahlt –
Der in Bariton lauthals in die Welt gerufene Tagtraum von Kolonialherrschaft. Hazard Endicott (Howard Keel) kommt nach Tahiti, weil er eine Plantage geerbt hat. Die Arbeit auf dieser machen die Einwohner einfach für ihn, weil sich alle eben helfen, während er davon singt, wie schön es in diesem Paradies ist. Am Ende, wenn er sich doch für die Arbeit interessiert, muss er böse mit den kindlichen Tahitianern werden, die lieber auf eine Party gegangen sind, statt seine Ernte vor dem Regen zu schützen. Aber zum Glück hatte er ein paar einheimische Kinder schon etwas zivilisiert. Gänzlich unbedarft wird hier THE WHITE MEN’S BURDEN von Kipling zu einem bunten Musical in Technicolor umgearbeitet, dass es unmöglich zu glauben ist, wie chauvinistisch weltvergessen PAGAN LOVE SONG ist. Wie stets ist dabei diese Geschichte nur eine Ausrede, um Esther Williams tauchen und schwimmen zu lassen. Wenn dann der Moment endlich gekommen ist und sie durch Studioaquarien schwimmt – billigen Kopien einer tropischen Tiefsee und eines polynesischen Traumeeres – dann offenbart sich alles als aufgequollene Wasserleiche. Die Schönheit dieses unbedarften Planschens und des fortwährend aus Keels aufgerissenen Mund stürmenden Baritons sind im Anblick der grundlegenden Situation so geschmacklos und brutal, dass PAGAN LOVE SONG sich vor allem als spaßiger Horrorfilm über die traurigen Realitäten unserer Welt qualifiziert.
großartig +
Dass von Hitchcock präferierte Ende wäre einer Erlösung gleichgekommen. Johnnie Aysgarth (Cary Grant) hätte darin seiner Frau Lina (Joan Fontaine) ein Glas vergifteter Milch gereicht und diese hätte es getrunken, obwohl oder gerade weil sie um den Inhalt wusste. Es wäre ein todessehnsüchtiges Ende gewesen. Ein Sprung in die beruhigenden Arme des Schnitters. Es wäre der dritte Ausbruch von Leidenschaft gewesen, wie sie schon vorher an den Knackpunkten der Story urplötzlich einfielen. Die Leidenschaft auf dem Hügel, als Johnnie Lina packt, ein bisschen Vergewaltigung im durch die kargen Baumkronen stürmenden Wind sich versteckt und er danach seine Intentionen, wie später immer wieder, mit Romantik und albernen Späßen überspielt. Es ist der Moment als Lina ihm verfällt. Oder die Leidenschaft beim Scrabble, als Lina vor sich die Buchstaben für den Begriff „Murder(er)“ liegen hat und plötzlich alle Verdrängungsmechanismen aussetzen und ihr klar wird, wer ihr da gegenübersitzt. Und so hätte SUSPICION nach Hitchcock mit einem leidenschaftlichen Abschluss enden sollen. Da Cary Grant aber scheinbar kein Mörder sein durfte, trinkt sie die Milch nicht und der Film endet in dem Fortbestehen der Dynamik des Films. SUSPICION ist ein kalter Alptraum, dessen Paranoia alles in Habachtstellung bringt. Von den beschriebenen Momenten der Leidenschaft abgesehen, funktioniert alles wie ein Uhrwerk. Es gibt keine Szene, keinen Moment, wo nicht mit voller Konzentration die Angst Linas vor Johnnie, eine Angst, die die Form der Liebe angenommen hat, ausgearbeitet wird. SUSPICION folgt ihrem paranoiden Blick und ist so wie der eines Rehs im Scheinwerferlicht. Dabei ist stets offenbar, welch ein Halunke bis Schurke Johnnie ist, aber nur, weil es nie eine Auflösung gibt, weil er immer seine charmanten, fadenscheinigen, absurden Ausreden hat, kann die Illusion bestehen bleiben. Die krude Illusion, dass Lina sich vll doch irrt, dass er doch ein ganz harmloser Narr ist. Und so bleibt der wahrscheinliche Mörder immer an ihrer Seite, in ihren Gedanken, unabschüttelbar in ihren Gliedern. Das Ende sollte wie gesagt Cary Grants Starpersona schützen, ist im Endeffekt aber das viel perfidere Ende, weil die Qual Linas unendlich bestehen bleibt.
Freitag 20.10.
großartig
Nach dem in den Film führenden Raub von mehreren Millionen in Scheinen fragt sich die beklaute Obrigkeit um Michel Piccoli, was ein Superverbrecher wie Diabolik nur mit so viel Geld anstellen wird. Nach einigen, wenigen Gedanken kommt das ehrfurchtsvolle Endergebnis zur Sprache: bei einem solch perfiden Genie sollten keine gewöhnlichen Maßstäbe angesetzte werden, sprich, es ist für die kleinen Beamten nicht auszudenken. Es folgt ein Schnitt zu einem fransigen Teppich, auf dem Geldscheine verteilt liegen und in dessen Mitte sich ein rundes Bett dreht, auf dem sich noch mehr Geld befindet. In den Massen aus Scheinen sind zwei Körper vergraben, die ein postekstatisches Bad im neu hinzugekommenen Mammon nehmen. Diabolik wird eingeführt als Held der Dekadenz, der den Beamten der Welt in die Kandare fährt. Ein Nonkonformist mit Maske im Kampf für den eigenen Genuss und gegen die gefährliche Diensthörigkeit der Welt. Der Spaß der BATMAN-Serie mit Adam West, der James Bond-Filme und der FANTÔMANS-Filme mit Marais und de Funès wird dabei völlig entkernt. DANGER: DIABOLIK ist zwar reichlich campy, verzichtet aber auf massive Selbstironie und belässt es bei einem Zwinkern. Die drei Abschnitte des Films, die auch gut wie bei BATMAN HÄLT DIE WELT IN ATEM drei Folgen einer Serie hätten sein können, erzählen eine fortlaufende Abenteuergeschichte um einen Meisterverbrecher, ohne dies groß zu durchdenken und zu reflektieren. Bebildert ist DANGER: DIABOLIK aber, als ob es darum ginge sich für Generationen in Gedächtnisse und Kunstgeschichte zu brennen. Die Dekadenz des Films stellt die seiner Hauptfigur abenteuerlich in den Schatten.
Donnerstag 19.10.
großartig +
Langgezogene Verfolgungsjagden mit akrobatischen Stunts und optische Gags voller Kinetik; THE CONTRACT ist über weite Strecken den Witzen eines Stummfilms verpflichtet. Vom Cartoonhaften eines one reelers bis zu uhrlosen Reminiszenzen an Harold Lloyds SAFETY LAST reicht das Repertoire. Dazu noch jede Menge Nonsens um Tanz, Zauberei und das Fernsehen, die THE CONTRACT wie eine sehr langgezogene Folge von NONSTOP NONSENSE oder der BENNY HILL SHOW erscheinen lassen. Doch alles ist dabei viel trockener … wie in Michael Huis zurückhaltendem Lachen, das sich zu jedem Moment vorsieht, ob es nicht schon wieder vor der Garstigkeit der Leute oder einfach dem nächsten Unglück in Deckung gehen muss. So ausgelassen hier mit dem Tod von Menschen und Gewalt an Tieren zu humoristischen Zwecken gespielt wird, so sehr laufen die mannigfaltigen kleinen Set pieces und ausgiebigen Einzelteile stets ins Leere und verbinden sich nicht zu einer Materialschlacht oder einem Plot, sondern stehen schüchtern und inkohärent nebeneinander. THE CONTRACT, ein Film von Rausch und Scham.
großartig –
Tod vorm Altenheim. Wahrscheinlich bieten sich Vergleiche zu Zombiefilmen an, wenn die Gänge bei den Untersuchungen wieder mit den Rentnern angefüllt sind, die in Scharen aus ihren Zimmertüren schlurfen und dann verloren dastehen. Doch genau damit bricht OFFENE RECHNUNG und bietet dafür Rudolf Platte als Sprecher einer Gruppe greiser Einbrecher eine Einmannshow. Seine Figur hat nur darauf gewartet, endlich einmal gegen die Entmündigung anzusprechen. Angriffslust liegt in seinem Blick und Freude über das endlich wieder aufblitzende Selbstbewusstsein in seinem herausfordernden Lächeln. OFFENE RECHNUNG ist daher weniger Krimi als Sozialdrama, worin Leute ein Leben für sich fordern. Und das Wichtige ist, dass eben nicht gefleht wird, sondern dass das Genre ihnen die Möglichkeit gibt sich als normale Leute zu begreifen … und wenn sie dafür Verbrecher werden müssen. Am Ende sahen die mit leblos wirkenden Rentnern angefüllten Gängen dann nicht nach Zombiefilm aus, sondern nach Gefängnisthriller, wo die Insassen das Wenige an Aufregung, was ihnen noch geboten wird, in sich aufsaugen.
Dienstag 17.10.
großartig +
Da gerade Wirth, Weidenmann und Konsorten seit einigen Folgen vom Regiestuhl ferngehalten werden und Reinecker schon länger auch mal mit seinem Format experimentiert, ist es gerade schwerlich vorauszusehen, aus welcher Richtung der nächste DERRICK nun wieder Spaß machen wird. Wolfgang Becker mischt nun seltsame Bilder aus gotischen Horrorfilmen (Brigitte Horney schreitet wie ein Geist im Park unter einem Villenfenster lang, teilweise von einer dünnen Spitzengardine noch mehr entweltlicht … und auch so spielt Horney ihre Familiengroßmutter wie eine ruhige graue Eminenz mit einem Hang zum Harpyiensein) oder aus Modeschauen (bei der Präsentation der Damen des Hauses, wobei wie bei Herzblatt für den Zuschauer ausgesucht werden darf, nur eben nicht mit Amors Pfeil, sondern mit den Schuldvermutungen) in die Mördersuche. Eine Mördersuche voller seltsamer Kreaturen. Ein schmieriger Vertreter (Traugott Buhre mit einer Wahnsinnsperformance), der seine Aussagen marktschreierisch an die Zuhörer bringt und diese mit jedem präsentierten Fakt kläglich, aber immer noch marktschreierisch dem neuen Wissen um das Wissen der Anderen anpassen. Der Frauen wie Süßigkeiten behandelt, sie offensiv mit seinen Augen ansabbert, schamlos an labbert und Abweisungen selbstredend nie versteht. Ein Anwalt (Bernhard Wicki), der Sohn Horneys, der alle Schatten seines Hauses mit einem Lächeln unter den Tisch kehrt und der mit einem noch größeren, sympathiegewissen Lächeln Unschuldigen Taten in die Schuhe schiebt. Die drei Frauen im Haushalt, die manchmal wie eine Einheit wirken, die die gegenseitige Verachtung aneinander kettet. Lediglich der Freund (Malte Thorsten) des Opfers (Iris Berben), der trotz einseitiger Liebe, seine Erwählte voll Eifersucht behandelt, scheint völlig normal zu sein. Und so ist EINE NACHT IM OKTOBER in seinem verschrobenen Porträt einer rape culture gerade zu Jahr und Tag auch noch sehr aktuell.
Sonntag 15.10.
großartig –
Newton beschrieb die Beschleunigung als Proportionalität von Kraft und Beschleunigung für Körper in einem Inertialsystem. Ein Beispiel dafür, welches Newton nun leider noch nicht vorlag, ist Vohrers zunehmendes treten auf das Gaspedal in HALS IN DER SCHLINGE. Ein Mord geschieht und erst Mal passiert nichts. Denn für alle, außer der Tochter des Opfers, sieht es nach Selbstmord aus. Langsam lässt sich auch Derrick überzeugen und je mehr er aufdeckt, je mehr er ebenso überzeugt, desto dringlicher wird ein Handeln, weil tatsächlich mit dem Mord nichts vorbei war, sondern die Kacke nun richtig am dam… die Zeit nun wirklich drängt. Und so steigt die Kraft dieser zunehmend atemlosen Folge beständig an. Zwischendrin darf Derrick die großkopferten Missetäter seine offene Verachtung spüren lassen und Rocker, die im Präsidium auszubüchsen versuchen, aufhalten. Titelgebend sind Leute, die regungslos von der Decke hängen, das Herz von HALS IN DER SCHLINGE liegt aber in seiner Kinetik.
Sonnabend 14.10.
fantastisch –
Freitag 13.10.
ok
Einerseits macht es Mancini wie Anderson bei der RESIDENT EVIL-Reihe. Mit jedem Teil scheint er nun etwas Neues machen zu wollen, etwas was ästhetisch wie logisch einen Neuanfang bedeutet. Die Schatten des gotischen Familienhauses tauscht er in CULT OF CHUCKY so gegen die weißen Wände einer Nervenheilanstalt ein. So hell und weiß sind die Gänge und Zimmer, dass Grenzen und feste Strukturen wie weggewischt scheinen … wie in den Geistern der Paranoiden, Schizophren und Persönlichkeitsgespaltenen, welche sich in diesem gleißenden Nichts befinden und sich mit einer steigenden Anzahl von Chucky-Puppen auseinandersetzen müssen. Abermals macht Mancini einen schönen, neuen Film, der seinen klassischen, spaßigen und überaus gorigen Slasherhorror mit einem durchgängigen ästhetischen Konzept versieht. Doch ebenso führt er das Geschehen wieder in sein Chucky Cinematic Universe über, das mehr und mehr einer Familienfeier gleicht, wo aus gutem Ton wirklich jeder auftauchen muss, egal wie sinnvoll das ist. Wo der Film keinen Abschluss findet und stattdessen einfach vor dem Abspann mit neuen Offenbarungen (d.i. vorrangig das Versprechen der Rückkehr von noch mehr alten Bekannten) auf einen kommenden Film verweist. Aber obwohl am Ende wieder alles liegengelassen und weggerannt wird, haben wir wie schon in CURSE OF CHUCKY zumindest eine schöne erste Stunde, ungefähr.
großartig +
Vier Stationen beim Erwachsenwerden von drei Surfern werden porträtiert. Der Ernst des Lebens bringt dabei Konflikte mit den besten Freunden, das Auseinanderleben, das Reflektieren und Zusammenraufen, das Ende oder den Anfang von Alkoholproblemen und all den anderen Kram, der scheinbar sein muss. Und wobei die ganzen Träume von der Zukunft langsam in der ewig fortschreitenden Gegenwart verschütten. Innerhalb einer klaren Struktur von vier (grob) halben Stunden pro zeitlichen Abschnitt herrscht ein großes Tohuwabohu. Die Erinnerungen, die Nostalgie wird zwar grob geordnet, aber sonst wird wild aneinandergereiht, was einem so in den Kopf kommt. Wilde Partys, Ausflüge, Travestie bei der Musterung, Trauungen, Gespräche und sitzen auf Trümmern bieten nur eine Konstante, dass es immer ruhiger und melancholischer wird. Am Ende bietet BIG WEDNESDAY seinen Protagonisten aber noch die Erfüllung eines Traums, den großen Wellengang, den versöhnlichen Abschluss (mit dem Leben). Und dieser Traum ist wahrlich ein Traum. Bei aller Kühnheit beim Erzählen sind die Aufnahmen des Surfens zu Beginn und beim Big Swell das wahre Herzstück von BIG WEDNESDAY. Etwas steif geschnitten sind die Bilder atemberaubend und eine ebensolche geschmeidige Naturgewalt wie die Wellen.
Donnerstag 12.10.
großartig +
Die große Kunst von Brynych ist eben auch, dass die BRD bei ihm generell und in YELLOW HE besonders völlig miefig, verstaubt und bieder aussieht, aber darin eben doch dieser (dezente) Wahnsinn lauert, der die selbe BRD seltsam und verrückt aussehen lässt. So läuft der junge Martin Semmelrogge hier durch die Wohnung seines One-Night-Stands auf der Suche nach dem Klo und steht plötzlich in Unterhose vor seinen Schwiegereltern in spe, deren totale Trübnis mit einem Frühstücksteller gebrochen wird, auf dem sich ein seltsamer Turm exotischer Früchte befindet … als ob der Geist römischer Dekadenz in einer hausbackenen Mietskaserne niedergekommen ist.
gut –
Nach dem Mancini seine höher-weiter-schneller-Taktik in SEED OF CHUCKY wie eine Sackgasse vorgekommen sein muss, macht er Tabula rasa. So scheint es zumindest zu den besten Zeiten von CURSE OF CHUCKY. Ein düsteres Haus, sich ständig um das Geschehen drehende Kameras – als ob Michael Ballhaus den ultimativen Michael-Ballhaus-Kameradreh-Klischeefilm drehen wollte und dabei auch noch Klasse erreicht – eine nichtsahnende Familie und ein Packet ohne Absender mit einer rothaarigen Good Guy-Puppe. Einfach ein klassischer Horrorfilm. Doch irgendwann kommen die Geister der Vergangenheit wieder. Das bisher Geschehene wird zwanghaft in die bisherigen Erzählungen integriert. Tiffany und selbst Andy tauchen wieder auf. Und statt sich auf seinen schönen neuen Film zu konzentrieren und diesen zu beenden, schaut sich Mancini seine Strategie bei Marvel ab und macht aus CURSE OF CHUCKY einen Werbefilm für den nächsten Teil, voller Versprechen an die Fans, auch jeden tragenden Charakter wieder zu sehen.
Mittwoch 11.10.
uff
Während D.H. Lawrences Roman sich inzwischen als Klassiker im Pantheon britischer Literatur befindet, hing den Verfilmungen oft noch ein Hauch des Skandals an, den er bei seiner Veröffentlichung hervorrief. Ob nun mit Sylvia Kristel oder ohne, sie hatten meist noch den Hauch des Schmuddels, von Softsex, von Bahnhofskino. Wenn es manchmal auch nur noch ein klein wenig war. Die BBC und ihr Erfüllungsgehilfe Jed Mercurio wollen dies nun schlussendlich ihrer Filmversion auch noch nehmen und ein reines Werk sauberen bürgerlichen Vergnügens aus diesem Stoff machen. Aus LADY CHATTERLEY! Es ist geradezu infam, wie sie wie in den meisten Verfilmungen vor ihnen den Film fast ausschließlich auf den Liebeskonflikt eines Ehepaars, das sich durch die Impotenzgefühle des querschnittsgelähmten Mannes auseinanderlebt, und den fleischlichen Gefühlen der Frau für einen Waldhüter reduziert, dabei aber auch noch die letzten Reste des Aufbegehrens Lawrences gegen Verklemmung und Verleugnung des Sexes in netten kleinen Postkartenkitschbildern von Erotik exorzieren. LADY CHATTERLEY, wie ihn sich die BBC als Klassiker vorstellt, ist nichts weiter als Teil der Impotenz, gegen die es einstmals in die lüsterne Schlacht zog. Übrig geblieben ist ein nettes Melodram, das aseptisch den Spuren des Originals folgt, aber nichts davon versteht. Ein Werk, dass ohne sein literarisches Vorbild kaum Gefühlswallungen hervorgerufen hätte, so aber einer verleumderischen Schmähung gleicht, so sehr gibt es sich Anstand und lauwarmer Schönheit hin. Gegen Ende nimmt Waldhüter Oliver Mellors (Richard Madden) das Wort cock in den Mund. Aber es ist an der Stelle schon so fehlplatziert, dass es wehtut.
großartig
THE STING als Chaotenversion, wo wirklich niemand einen Plan hat, nicht mal das Drehbuch. Das Grundgerüst hat sich später WEISSE JUNGS BRINGEN’S NICHT abgeschaut und mit Kohärenz gefüllt. Mit anderen Worten, GAMES GAMBLERS PLAY ist wie eine Franz Josef Gottlieb-Komödie, gänzlich von Stahl befreit.
großartig –
Psychedelischfarbene Tropfsteinhöhle der Geheimnisse der Vergangenheit wäre der treffendere Titel gewesen, aber da hat bestimmt jemand die Griffigkeit des Titels bekrittelt.
großartig –
Sex und Leere stellt TOKYO DECADENCE nebeneinander, bringt sie aber nicht zur Auflösung. Etwas mehr als die erste Stunde geht Ai ihrer Beschäftigung als Call Girl nach und lässt an sich diverse Perversionen ausagieren. Manchmal wird die Grenze des Einverständnisses dabei deutlich überschritten. Diese Sektion steht im Zeichen von feuchten Träumen, schockierenden Momenten und auch einer gewissen Lächerlichkeit. Die abschließende Dreiviertelstunde sucht Ai dann ihren Ex-Freund. Da er sie wortlos verließ, hofft sie noch auf ein Missverständnis oder höhere Gründe. Ihre Hoffnung auf ein glückliches Ende ist aber sehr gewiss lächerlich und von schmerzlicher Leere bestimmt. Selbst mit übergriffigen Intimitäten ist es an dieser Stelle vorbei. Japan zur Zeit der platzenden Blase als Portrait eines Abgrunds. Nachdenklich an kalt erleuchtenden Hochhäusern vorbeifahrend oder als lüsterne, geile Schau.
Dienstag 10.10.
uff
Zynismus. Mit nichts anderem bin ich bisher diesem Film begegnet. Der Trailer sah schon fürchterlich aus und im Kino dann, wo mich ein Deal mit Finnlay O. hinbrachte, war ich dem Ganzen wohl auch nicht wirklich aufgeschlossen gegenüber. Nach Dietmar Daths Eloge auf MY LITTLE PONY kam ich ins Grübeln, ob ich einer der verbohrten Erwachsenen bin, von denen er spricht. Das THE EMOJI MOVIE seinen Gegenstand nutzt um Kulturkritik zu betreiben, ist ja durchaus sympathisch. Denn während THE LEGO MOVIE sein Produkt die Möglichkeiten von Selbstfindung und Phantasiepotenzierung zuspricht, sind die Emojis hier erstmal Ausdruck von Gleichförmigkeit, Limitierung und eines gewissen Zynismus. Verkaufen will sie einem jedenfalls niemand. So geht es um ein Mäh, das deutlich zu viele Emotionen hat und seinen Ausdruck von Gleichgültigkeit nicht annähernd ausreichend lange aufrechterhalten kann. Neben den kleinen Witzchen über verkürzte Aufmerksamkeitsspannen, die weder mit der Verachtung eines Apokalyptikers daherkommt, noch eine ironische Brechung für die Integrierten mit sich führt (um mal die Einteilung der Menschen in zwei Gruppen nach Umberto Eco grob zu nutzen), neben diesen stehen die Emoticons für eine postmoderne, kapitalistische Welt, wo niemand mehr sich etwas traut. Wo der Zwang zu Individualismus gepaart mit ständiger Selbstdarstellung in sozialen Medien zu Angst vor Peinlichkeit führt. Angst davor anders zu sein. Nicht wirklich originell, aber schon irgendwie deftig, für einen bunten Film, der scheinbar nur diverse Handyapps in einen Film packen soll. Das Problem ist nur, dass die folgende Reise durch ein Handy wirkt, als ob ein paar bekannte Programme abgeklappert werden, und der darin hochgehaltene freie Individualismus, das zu seinen eigenen Fehlern und Emotionen Stehen, völlig emotionslos erzählt wird. Dass den Schemas von Pixar, Dreamworks und eben Lego gefolgt wird und nichts Eigensinniges damit gemacht wird. Nichts Verwunderliches … und es gibt nicht einen Moment, der irgendwie nicht dem diagnostizierten Zynismus entsprechen würde. Als ob THE EMOJI MOVIE auf dem Schulhof der Animationsfilme bloß nicht auffallen möchte und einfach nur dem entsprechen möchte, wie ein solcher Film eben aussehen soll. 🙁 :/ :'(
großartig –
Mit seinem Taschenspielertrick durch eine zweite Ebene mit einer Aufführung der Historie, welche er erzählt, einen komplexen Film über Erinnerung, Geschichtsverständnis und Wirken der beiden auf die Gegenwart zu machen, ist EROS + MASSACRE der uninteressanteste der politischen Trilogie Yoshidas. Die Kinoversion, die ich nun sah, hatte weder den Aberwitz noch den Witz der beiden Nachfolger … noch die Momente der Langversion. Es ist sicherlich ein wunder-, wunderschöner Film, aber sonst an der Grenze dazu eine nette Lehrstunde zu sein.
Montag 09.10.
großartig –
Ryan Goslings trauriger Blick kommt seinem Josef K-Androiden völlig zu gute. Das innerliche Arbeiten, ob all der moralischen Entscheidungen, ist ebenso zu sehen, wie die Wand, ein Algorithmus oder sonst ein Hindernis, das ihm verbietet Befehlen zu widerstreben. Die Möglichkeiten einem eigenen Willen zu haben, laufen in diesem Blick ins Leere. Deshalb ist es vll auch schade, dass er am Ende nur das Opfer für einen Messias sein möchte, statt den Potentialen eines Sei dein eigener Messias zu folgen, das lange das Hauptmotiv ist. Und wiederum deshalb ist die große Geheimniskrämerei, die sich Villeneuve bei der Presse erbat, seltsam. Denn BLADE RUNNER 2049 findet gerade in seinem Plot – selbst bei den paar Twists hier und da – wenig überaus Bemerkenswertes. Dafür aber: eine sinnliche Epik einer wunderschönen Welt. Einer kaputten Welt. Regnet es in BALDE RUNNER noch unablässig, herrscht hier ständig der Nebel. Jede Außenaufnahme ist ein Affront gegen scharfe, klare Bilder. Sie sind Lobpreisungen des Diesigen. Die Innenarchitektur ist entweder karg, verstaubt oder trunken. Letzteres von einer übernatürlichen Schönheit, die Licht und Schatten verwendet, als ob Colonel Kurtz uns gleich einen Vortrag hält. Und diese Welt mit ihren Androiden, künstliche Intelligenzen und möglicherweise wirklich noch existierenden Menschen hat mehr zu erzählen, als die zwanghafte Geschichte.
Sonntag 08.10.
gut
Das Aussehen von Robert Redford ist mit der größte Trumpf von TELL THEM WILLIE BOY IS HERE. Denn seine Schönheit und seine Leinwandpräsenz sind, wie immer, grundsympathisch. Seine Figur, der Sheriff Cooper, ist dies aber nicht. Er interpretiert seine Aufgaben sehr offen und schaut stets etwas missmutig drein, wenn jemand eine Aufgabe für ihn hat. Seine Beziehung zu Dr. Elizabeth Arnold (Susan Clarke) trägt Züge einer feurigen Hassliebe, die bis ins sadomasochistische reicht. Nicht das TELL THEM WILLIE BOY IS HERE ihre Intimitäten großartig ausbuchstabieren würde, aber das Verhalten der beiden vor und nach ihren galligen Sextreffen sprechen Bände. Als er dann auch noch den Paiute Willie Boy (Robert Blake) jagen soll, ist er abermals nicht begeistert, wohl auch weil er die Gründe für die Verfolgung nicht teilt. Aber er folgt den Fußspuren seines Vaters, eines passionierten Indianerjägers, und macht sich auf die Spur von Willie Boy. Kurz, er trägt eher eine unbewusste Übelkeit mit sich rum, die ihn zu einer beispielhaft ambivalenten Figur macht, die zwar die ausgiebig porträtierte Verkommenheit der ihn umgebenden Gesellschaft erkennt, sich ihr aber trotzdem zu Diensten stellt. Was auch TELL THEM WILLIE BOY IS HERE zu einem sehr ambivalenten Ding macht, denn Rettung erhält hier nur derjenige, der sich in den Tod begibt. Die Verfolgungsjagden und Schießereien dieses Western sind dann auch eher dienstschuldig abgefilmt. Interessieren tut sich der Film mehr für seine elegische Abrechnung mit der weißen Gesellschaft. Willie Boy hat zwar den Vater seiner Geliebten in Notwehr erschossen, aber für das Morden unter nativen Amerikanern interessiert sich nun wahrlich niemand an diesem Ort. Dass er seine Geliebte mit auf die Flucht genommen hat und Dr. Arnold so ihr Eigentum entwendete, dass er ein Rebell (mit sehr vielen Gründen), ein Wilder im Sinne von Marlon Brandos Figur ist, das wiegt viel schwerer. Und so fungiert die Jagd wie die Trennlinie zwischen Verfolger und Verfolgtem, zwischen unbestimmtem und sehr bestimmten Hass, zwischen einer derangierten und einer tragischen Liebe, zwischen Antihelden und Helden ohne Chance auf einen Sieg.
großartig
In der von Paul Verhoeven verwalteten Version kommt der Unsichtbare nie so weit, wie er es bei Wells Buch schon auf den ersten Seiten bzw bei Whales Verfilmung in den ersten Minuten schafft. Dort fängt alles in einem Hotel an, wohin er sich nach seinem erfolgreichen Experiment und einigem in Rückblenden zu Erzählendem zurückzieht. In HOLLOW MAN wird Sebastian Caine (Kevin Beacon) sein Labor und seine schon vorhandene Lebenswelt nie verlassen. Bevor er übergeschnappt Weltherrschaftspläne entwickeln kann, muss er erstmal sein Leben mit seinen neuen Fähigkeiten in Einklang bringen. Die Geschichte des hohlen Mannes ist so trotz einer ausgestellt bombastischen Effekte unter der Hand von Verhoeven eher eine persönliche und deshalb viel unschönere.
Sonnabend 07.10.
fantastisch
Laut der imdb hat Jean Rollin bei einer Traumsequenz von LA NUIT DES ÉTOILES FILANTES Regie geführt. Irgendwo qualifiziert ihn das für die Regie des gesamten Films, denn kaum greifbarer als ein Traum wird die Erzählung. Aber dafür, dass es glaubhaft werden würde, dass Rollin dies tat, fehlt diesem Traum zu sehr die Liebe für eine ornamentierte Realität. Kurz, die Welt wird hier nicht mit (wiederkehrenden) Dekors geordnet, vielmehr spricht Francos naive Liebe zu den Dingen aus (fast) jeder Sekunde dieses Films. Ob die Kamera die Kurven nackter Frauen betrachtet oder einen von Irrgarten ähnlichen Laubstrukturen umgebenen Teich voller Seerosen. Vor allen Dingen spricht aus den Betrachtungen eine Faszination. Als ob alles und jedes dieser Dinge uns im Schritt packen könnte, uns den Verstand rauben. Christina, unsere Hauptfigur, wird dementsprechend einen Raum betreten, in dem eine nackte (wohl untote) Tante von ihre eine andere nackte Frau über der Brust aufschneidet und ihr Blut trinkt. Als die Tante Christina gewahr wird, fängt sie an zu lächeln. Eine fröhliche Einladung spricht sie so aus. Und so lächeln uns die Bilder hier auch an. Die gleißenden Impressionen von Baumkronen sind so eben mehr Ausdruck dieses Staunens, als eines Kontemplierens. Ein Film, ein Sog. Dazu gibt es eine Musik, die sich anhört, als würden Tangerine Dream unter Einfluss eines konstanten Blowjobs versuchen einen neuartigen, abstrakten Softpornosoundtrack zu entwickeln. Und schon ist diese Ansammlung von Groschenheftmotiven mit ihren wie hypnotisiert agierenden Figuren wahrlich mehr als ein einfacher Traum. Vielmehr ist es ein fiebriger Wunschtraum von der Schönheit sich fallen zu lassen. Fallen in eine dunkelromantische Welt, wo alles so intensiv scheint, obwohl es laid back angeschlurft kommt.
großartig –
Am Ende tut der Royal Tramp tatsächlich das Gute … ohne sich kläglich aus einer Situation zu winden oder nur an Geld und Sex zu denken. Aber zu dem Zeitpunkt hat er schon einen Harem der schönsten Frauen aus Hongkong, also geht das schon in Ordnung.
ok
Am meisten macht SEED OF CHUCKY Spaß, wenn er das Absurde einer Familienkomödie um psychopatische Mörderpuppen herausstreicht. Oder anders, im Gegensatz zu Ronnie Yus Vorgänger sind die popkulturellen Späße und das Ernste (hier: um ein Kind ohne elterliche Anker) eher verkrampft.
Freitag 06.10.
ok
In his experimental law of impacts, Sir Isaac Newton describes something called the arc of descent. It’s all about kinetics, mass, velocity, the inertia of falling persons and things. Once a descending object acquires a certain momentum, it continues on a downward parabolic curve to eventually impact with an immovable object at the nadir, the bottom, thereby consummating the arc of descent. Diese auf einem öffentlichen Herrenklo dargebrachte physikalische Erklärung fast DOLAN’S CADILLAC schlicht und einfach zusammen. Ein Mann auf dem Weg nach unten. Und das ist durchaus Spannende, dass alles links liegen gelassen wird und wirklich nur der Abstieg verfolgt wird.
Donnerstag 05.10.
großartig +
Bei DERRICK ist mal wieder nichts, wie es scheint. Schon alleine wenn ein älterer Mann einen dunklen Raum betritt, in dem seine ebenso alte Frau sitzt. Lichter flackern und psychedelische Rockmusik flirrt in diesem Zimmer. Eine biedere, alte Frau, die sich zurückgezogen hatte, war wohl nirgendwo sonst je so zu sehen gewesen. Und von diesem Bild aus einer anderen Dimension bringt uns ein Schnitt zu dem nächtlichen Fest, auf dem sich die Nichte der beiden rumtreibt. Der Schnitt bringt uns in ein Zelt voller Blasmusik. Ins Herz des Traditionellen. Ein Schnitt und eigentlich ist kaum noch zu ahnen, was hier eigentlich wirklich los ist. Hinter dem Vorhang eines scheinbar ganz normalen Krimis. Derrick hat sich in DER MANN AUS PORTOFINO in Münchner Hinterland begeben, um einen verschwundenen Italiener zu finden. Harry und er fangen dabei an Schnupftabak zu konsumieren … um sich in dieser verschlossenen Fremde anzupassen … vll um von den Körperfressern nicht als zu Assimilierende erkannt zu werden.
Mittwoch 04.10.
ok
Früher, als zweite Teile mein Liebstes waren, fand ich DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN RAUMSCHIFF viel besser, als den ersten Teil. Diese Zeiten sind aber leider größtenteils vorbei.
Dienstag 03.10.
großartig
Ein bisschen ist es wie bei den Monsterkatastrophenfilmen, welche hier die Kinder zur Zeit der Kubakrise ins Kino locken. Auf den ersten Blick ist eine riesige Materialschlacht mit irrwitzigen Entwicklungen zu erwarten. Das was dann wirklich kommt, ist jedoch viel kleiner und netter. Aber von dem Zusammenbruch eines vollbesetzten Kinos unter irrwitzigen Verstrickungen mit den von William Castle-Surrogat Lawrence Woolsey (John Goodman) eingebauten Gimmicks erzählt MATINEE eben nur nebenher. Stattdessen wird von der Liebe zum Kino erzählt, von der Liebe des Kinos zu seinen Zuschauern, von verrücktem Entertainment und von den gruseligen Normalitäten beim Heranwachsen.
großartig +
BRIDE OF CHUCKY lässt Andy endlich fahren. Statt einem Jungen, der seinen Morddurst verschleiert, auslebt, gibt es nun zwei Paare. Einmal sind da Chucky und seine ehemalige Geliebte, die im Streit untereinander auch in einem Puppenkörper landet. Und dann zwei Frischverliebte, die vor ihrem Leben fliehen und zusammen durchs Land fahren. Die Ersten bringen dabei die Widersacher der Liebe der Zweiten um, wodurch die durchgedrehte Wiederkehr von BRIDE OF FRANKENSTEIN zu einer absurden Feier der Unmöglichkeit der Liebe wird. Die einen lieben sich zu hassen, während die anderen sich dem Gedanken stellen müssen, dass die Liebe sie nicht rettet, sondern dass sie mit einem Monster (ihrem Partner) unterwegs sind. Statt schwarzer Romantik erzählt BRIDE OF CHUCKY als Highschoolkomödienversion von NATUAL BORN KILLERS und hat vor allem riesigen Spaß an zwischenmenschlichem Versagen, Popreferenzen, Gore und der Tragik der Liebe.
Montag 02.10.
großartig –
Zentral kommt Frank James (Henry Fonda) in THE RETURN OF FRANK JAMES von einem Rachefeldzug zurück, zu dem dieser edle Ritter des Südens – von der Union abermals enttäuscht – gezwungen wurde. (Seine Rückkehr des Titels ist also von zweierlei Charakter, einmal verlässt er seine Farm um wieder gegen den alten Feind zu kämpfen, andererseits kommt er auch von diesem Unterfangen wieder.) Seinen Freund, Diener und vll ehemaligen Sklaven will er vor dem Henker retten. Unschuldig ist dieser nur in dieser Lage, weil die Eisenbahngesellschaft diesen rechtlich sanktionierten Mord als Pressmittel für Franks Heimkehr nutzt. So lässt Frank also die Ford-Brüder, nur teilweise für den Mord an seinen Bruder bestraft, fahren und stellt sich. Der Konflikt der Sezession wird von Fritz Lang, einem erst vor kurzer Zeit in Hollywood gestrandetem deutschen Immigrant, einerseits so blind auf einem Auge erzählt, wie die Argumente für die Sezession es schon ein Jahrhundert vorher waren. Denn Schuld hat der Kapitalismus, dargestellt durch die Eisenbahngesellschaft. Es sind unedle Kreaturen, welche die (Seelen der) Menschen ins Niedere versklaven. Geld, Profit, Arbeit, keine Moral. So einfach ist das. Zuletzt ist dann aus THE RETURN OF FRANK JAMES ein Gerichtsdrama geworden, wo eine abgekartete Sache, nämlich Franks Verurteilung, scheitert, weil der Anwalt aus den Nordstaaten nicht die Sensibilität mitbringt, die an einem sich gegen ihn vereinenden Südstaatengericht geziemt hätte. Von Sklaven keine Rede. Mit Scheuklappen wird hier in einer edlen Geschichte von edlen Menschen erzählt, die gegen das Unrecht an weißen Menschen kämpfen. Alles andere bleibt ein blinder Fleck. Frank James hat aber auch einen Sidekick, der eben nicht so edel ist. Dieser möchte kämpfen und zeigen, dass er ein richtiger Mann ist. Es ist also wie bei der späteren Horst Buchholz-Figur aus DIE GLORREICHEN SIEBEN. Und er, dem Frank stets den Kopf wachsen muss, der alles falsch macht, der eine große Klappe hat und nichts dahinter, durch ihn erscheint das alles, die Rache für den toten Bruder, das Edelmütige, alles von diesen Rittern so grenzenlos unnötig, dass der Western THE RETURN OF FRANK JAMES im Grunde nur erzählt, wie überflüssig die erste Rückkehr ist.
großartig +
Ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl der Filme, die ich Zeit meines Lebens gesehen habe, wohl damit endeten, dass sich zwei Menschen fanden und in ihrer Union das Drama des Films überwanden. Liebe, Familie usw lindern bis überwinden Schmerz und Pein, so die Hoffnung. BRIDE OF FRANKENSTEIN hat sein Happy End schon zentral im Film gefunden. Mit einem blinden Einsiedler sitzt Frankensteins Wesen in einer Hütte im Wald und sie schmöken, trinken Wein und lassen die Seele baumeln. Die Harmonie ist gefunden. Nur lieben tun sie sich (noch(?)) nicht. Vll muss deshalb dieser freundschaftliche Traum noch während des Films enden. Aber auch so kann ein solcher Film nicht auf diese Weise enden. Ein Film, der die Exposition weitläufig nutzt, um die Botschaft des ersten Teils – dass möglicherweise die Leute viel eher als Frankensteins Wesen die Monster sind – nochmal plastisch auszubreiten. Ein Film, in dem die Menschen scheinbar stets am Rande der Hysterie stehen und eigentlich nur die verschrobensten, wahnsinnigsten Wissenschaftler sich einem Ding, das auf dem ersten Blick nicht ihren Vorstellungen von Menschsein entspricht, gegenüber rationell verhalten können. Botschafter von seelischen Nächten und erträumten Harmonien, sprich Eulen, Schafe und andere Tiere werden dabei zwischen das Geschehen um Mobs, Hysterie und Ausgestoßensein geschnitten. Einerseits eine gotische Lagerfeuerromantik erzeugend, andererseits einen (ahnungsreichen oder kopfschüttelnden) Blick von außerhalb des menschlichen Treibens. Also muss die Liebe her, um den Wahnsinn endlich zu befrieden. Das Monster braucht also eine Frau, denn in christlich-verbrämter ein-Adam-braucht-eine-Eva-Ideologie ist nichts Anderes möglich. Und während BRIDE OF FRANKENSTEIN durch ein Durcheinander von Geisterbahn- wie Jahrmarktsattraktionen und makabrem conditio humana-Experiment wandelt, drängt sich immer mehr auf, dass wir den Inhalt von HOW SOON IS NOW? von den Smiths aufgetischt bekommen. Nur wird hier das in Suizidgedanken endende Flehen, endlich geliebt zu werden, nicht mit Tränen dargeboten – und das ist die sehr bittere Pointe eines ansonsten sehr leichtfüßigen Films – sondern mit einem trockenen, kurzen, wahnsinnigen Lachen … als Antwort auf die illusorische Hoffnung in dieser Welt die Liebe finden zu können, die einen Film glücklich beendet.
fantastisch –
Es ist durchaus dreist nur ein Jahr nach THE CHINESE FEAST diesen aufzugreifen und noch zu eskalieren (einen Film von Tsui Hark eskalieren, unfassbar). Es ist aber wiederrum auch perfekt abgeschmeckt mit Stephen Chows Persona und dessen albernen Wahnsinn … und deshalb deliziös.
Sonntag 01.10.
gut +
Der Vorspann bietet eigentlich gleich das Highlight des Films. Erst schwebt die Kamera durch die verstaubten, leerstehenden Hallen der Good Guy-Produktionsanlagen. Dann sehen wir wie die von Spinnenweben verhangenen Reste zusammengekehrt werden und die Herstellung erneut beginnt. Das Blut Chuckys kontaminiert dabei die nunmehr geschmolzene Plastik in einem riesigen Bottich. Die entstehende Vermischung der beiden führt in eine einen Sog vermittelnde Spirale. Blutige Kreise vor einem leeren, schwarzen Hintergrund. Beige Plastik, flüssig, die sich vor eben demselben Hintergrund zu etwas zusammenzieht. CHUCKY 3 beginnt, als wollte er uns sagen, dass er eine andere Seite der Münze zu TERMINATOR 2 darstellt, der im selben Jahr erschien. Nur zieht sich hier nicht flüssiges Metall zu einem Killer zusammen, sondern weicher Kunststoff.
Zentral werden dann in CHUCKY 3 auch aus weichen Jungs harte Männer gemacht. Beziehungsweise sie sollen zu solchen gemacht werden. Andy ist inzwischen ein Jugendlicher, der nach diversen Pflegefamilien in einer Militärakademie gelandet ist. Umringt ist er dort von Ausbildern, die in der toxischen Männlichkeit aufgehen und ihre Körperpanzer hingebungsvoll pflegen, und Auszubildenden, die unter diesen Fingern, die behaupten sie würden formen, aber tatsächlich nur zermalmen, zerstört werden. Am bittersten ist dies, wenn der ständig wegen seiner Unmännlichkeit schikanierte Whitehurst seinen heroischen Abgang im soldatischen Opfertod findet. Am Erlösendsten ist es, wenn Andy/Chucky sich wieder durch ihre Malträtierter morden. Eine Psychose, mehr gibt es hier bei solchen militärischen Vater- und Bruderfiguren nicht zu finden. Dementsprechend endet alles auch in einer ausladenden Geisterbahn, wo Andy und Chucky ihren inneren Kampf in einer Traumlandschaft austragen können, nachdem sie sich der richtigen Männer entledigt haben.
September
Sonnabend 30.09.
großartig
Eine Frau, zwei Leben. Ein Film, zwei Romanzen. Die heilige Maddalena lebt ein Leben in bürgerlicher Sicherheit. Nur ihrer moralischen Grenzen sind so eng, dass ihr Nervenkostüm bei Kleinigkeiten flattert. Die aus ihrer völligen Reinheit erwachsende Delikatheit mit Ohnmachtsanfällen und plötzlichen Rückzügen ins Bett sind das einzige Drama in einer ansonsten perfekten wie leblosen Puppenwelt. Die Roma Rosanna hingegen ist Leidenschaft. Sie kennt keine Vergangenheit und keine Zukunft, sie liebt mit denselben irrsinnigen Augen, mit denen Maddalena erschreckt, wenn sie Ansätze von Leidenschaft in sich wallen fühlt. Die eine liebt einen fehlerlosen Reichen, die andere einen König der Diebe. Die eine lebt in einer makellosen, feinen Gesellschaft, die andere in heruntergekommenen Vierteln voller Gefahren und Aufregung. Diese beiden, ihre Leben und ihre Liebhaber sind Sonne und Mond, Tag und Nacht. MADONNA OF THE SEVEN MOONS ist ein (düster-)romantisches Märchen, bei dem die Kamera leuchtende Kreuze in Pupillen zaubert, verschlungene Gärten des Verfalls beschreitet und Verkommenheit in klobigen Ringen verdeutlicht. Ein Pastiche unzähliger kitschiger Romane, Motive und macht das einfache Heilige/Hure-Motive zu einem wunderlichen Krebs in einer phantastischen Abenteuerwelt der Güte.
großartig +
Wilhelm Genazino lässt in ABSCHAFFEL seine Hauptfigur nach einem missratenen Puffbesuch denken, dass gerade Kafka mehr über Sex hätte schreiben sollen, weil Angst und Pein dort immanent sind. In DER FLUSS führt Sex (möglicherweise) zu einem steifen Hals und die fehlende Kommunikation über diesen (den Sex, nicht den Hals) zu emotionaler Vergletscherung sowie einigen Szenen, die es erstmal zu verarbeiten gilt. DER FLUSS erzählt wieder aus einer Welt des Tsai Ming-Liang-Universums, wo jeder Film wie ein Traum aus den anderen scheint. Irgendwie ist alles stets gleich, die Schauspieler, die Lebenswelten, die Probleme, Motive wie beispielsweise das endlose Tropfen durch Decken (welches hier aufgegriffen und später in THE HOLE zum Zentrum des Filmes wird). Es ist ein Film, wie alle seine Filme, ein weiteres Puzzlestück absurder menschlicher Wärme … bei aller Angst und Pein.
großartig –
Der erste Teil wird hier verdichtet. Andy ist zurück und tötet jeden, der ihn nicht richtig behandelt. Puppenproduzenten, Lehrer und Pflegeeltern. Und wieder schiebt er es dreist auf eine Puppe. Bis diese Psychose bekämpft ist, muss dann viel Plastik schmelzen.
Freitag 29.09.
gut –
Donnerstag 28.09.
fantastisch –
War die Abfolge der letzten Episoden eher durchwachsen, so kündigt sich, alleine vom Namen der Regisseure geschlossen, für die nächsten Wochen ein Lauf von wuchtiger Güte an. Erster in der Reihe ist Brynych und der lässt gleich eine Stunde ödipalen Wahnwitzes auf uns los. Der Vater von Pecko, einem 18-Jähriger, der vom Traum, als Radballprofi reich und berühmt zu werden, erfüllt ist, und der zufällig einem Mord beiwohnte, ist die ganze Folge lang abwesend. Von seiner Existenz künden nur einzelne Erwähnungen in den pausenlosen, hysterischen Streits (wo kein Platz für einen Atemzug ist, wenn die Frage bzgl des Wunsches nach einem Abendbrot sich ansatzlos in die Vorwürfe schiebt) zwischen Pecko und seiner Mutter. Die Folge PECKO ist jedoch angefüllt mit dubiosen männlichen Autoritäten und Ersatzvätern. Da ist der Pecko verfolgende Derrick, der nicht glaubt, dass dieser den Täter nicht erkennen konnte, und der sich wiederkehrend aus dem Umfeld Peckos schält. Er belagert den Jungen mit einem falschen Lächeln und der verkrampften Spannung jederzeit schnell und hart zupacken zu müssen, wenn es nötig wird. Da ist ein Ballettlehrer, der sich in einer Mischung aus Stolz und Verachtung als Ausbilder von Dressurpferden bezeichnet. Der zuweilen eine absurd ausladende Brille trägt, die seiner herablassenden Nervosität die Präsenz eines Greifvogels gibt. Da ist Peckos großer Bruder, der in der Wohnung der Eltern wie eine richtende Entität, wie eine Spinne im Netz lauert. Karl Walter Diess‘ Kaubewegungen, wenn er Pecko ausfragt und sich dabei seelenruhig Wurststück in den Mund schiebt, sprechen von abwägenden Gedankengängen und einem den Befragten drohenden Urteil. Sie sind von einer ebensolchen niederschmetternden Autorität, wie die Sehnen, die sich aus seinem Hals drücken, wenn er Pecko dann doch mal wütend angeht. Nur außerhalb der elterlichen vier Wände, wenn er unter seinem Ersatzvater agiert, da verliert dieser große Bruder all das und wird wieder ein der elterlichen Macht ausgeliefertes Kind. Und dessen väterlicher Vertreter ist niemand anderer als Harald Juhnke, der gerne und toll die Ausgeburt jovialer Herablassung spielt.
Spät hat dieser seinen ersten Auftritt. Und bezeichnenderweise flacht die Folge mit seinem Erscheinen ab. Die dargestellte Welt war bis dahin im Ausnahmezustand. Die Kamera bewegte sich in halsbrecherischen Bewegungen unruhig um die Ermittlungen und Geschehnisse, sie erhob sich und öffnet den Blick (symbolisch) auf neue Erkenntnisse, presste Gesichter eng in die Cadrage, verzerrte Gestalten und entwarf künstliche Tableaus von Gesichtern voller Vorwürfe oder traumhafter Entrücktheit. Schatten legten sich über Gesichter, Silhouetten bevölkerten zuweilen den Raum hinter den Schultern. Leute standen hinter Fenstern und Mauern und belauern die Begebenheiten. Beobachtung zu jeder Zeit. Die Schnitte jagen durch Impressionen großstädtischer Heruntergekommenheit oder verdichten die schrägen Personen in schrägen Bildern zu wirkenden, aber kaum verarbeitbaren Augenblicken. Mitunter bringen die den Raum betretenden Leute noch Bruchstücke anderer, nicht näher beleuchteter Fälle und Situationen in das Hier und Jetzt des Falls Pecko. Und die Dialoge changieren zwischen penetranter Wiederholung des Offensichtlichen oder werfen in unglaublicher Eiseskälte mit Niederträchtigkeiten um sich, die wie uninteressanten Tatsachen ausgesprochen werden. Unruhe, Druck und Bedrohung sind in diesem als kleinen Ausschnitt der Realität gezeigten lebendigen Zucken allgegenwärtig. Deshalb platzt Pecko auch alle Nase lang der Kragen, da all dies sich auf seine Träume und seine weltfremde, wie großklappige Unschuld legt. Wenn Juhnke nun auftaucht, bekommen all diese Potentiale einer Welt, in der stetig die Geier auf einen lauern, ein Gesicht. Er als unverschämter Oberbösewicht bringt Erklärungen und die Möglichkeit einer Lösung … die dann auch kommen wird. Die (väterliche) Autorität liegt scheinbar wirklich in ihrer Verhüllung, die nun fällt.
FÜR ELISE von Beethoven liegt träumend über der Folge und Michael Holms TRÄNEN LÜGEN NICHT setzt kontrapunktisch das Zerplatzen dieses Sehnens in den Raum. Denn am Ende, ob Autorität in PECKO nun wirkmächtig ist oder ein Gesicht hat (womit dann in den letzten Minuten fast normal ein Kriminalfall abgespult werden kann), es ist eine Folge über das kollektive Versagen (auch sein eigenes) an einem Träumer. Zuletzt schauen sie alle auf das Ergebnis und sagen, einer nach dem anderen: Pecko … Pecko … Pecko.
Mittwoch 27.09.
großartig
Jive oder Bayrisch, das war die Frage vor dem Film. Ich habe mich mal wieder für Bayrisch (also die Synchro) entschieden, statt dem Original mal eine Chance zu geben. Im Nachhinein eine (sicherlich erwartbare) falsche Entscheidung, da doch viele Wortwitze verloren gehen, weil mit der Synchro die Scheiße dann doch eher unmotiviert in den Ventilator fliegt.
Sonntag 24.09.
großartig
Das beständige Gleiten des Obskuren, Vergessenen, Phantastischen am Rande der Zivilisation. Oder so.
großartig +
Meine These von HARD BOILED (siehe weiter unten) stimmt so nicht. Das mit jedem Film die Konzentration auf die Action zunahm, könnte vll noch zutreffen, aber THE KILLER ist wahrlich in seinem kitschigen Melodram kaum zu überbieten. Verregnete Fenster, Tauben, Kirchen, als Symbole für Geborgenheit, übermäßig mit Unmengen von Kerzen erleuchtet, heiße Blicke, tragische Situationen und ein Kommissar, der von einem Unbekannten redet, als ob er den Rest seines Lebens in enger Umarmung mit diesem verbringen möchte. THE KILLER, ein epischer Liebesfilm mit Schießereien gegen eine grausame Schicksalhaftigkeit … von John Woo, Kitschgott.
gut
Die Welt aus Sicht von Rosemary. Was Eltern sich nicht alles zurechtbiegen, um zu rationalisieren, dass ihre unschuldigen kleinen Kinder keine psychopathischen Mörder sind. Kriminelle Wahnsinnige mit Gewandtheit in Voodoo, die in einer Puppe stecken? Ein Werk spaßiger Verdrängung.
Sonnabend 23.09.
gut
Mit seinem Wunschtraum von Nächstenliebe und Seelenfrieden sowie der Veredelung von Opferbereitschaft und Rechtschaffenheit im Angesicht der Unterdrückung gelang Henryk Sienkiewicz einst ein literarischer Meisterwurf. QUO VADIS? funktioniert wie eine warme, mitfühlende Umarmung in einer zerrissenen, unsicheren Welt. Wie die auf unglaubliche Weise überzeugende Zusicherung, dass wir nur nett und heilig sein brauchen, um uns toll zu fühlen. Wenn es nicht ein ketzerischer Akt wäre, dieses christliche Propagandawerk wäre möglicherweise schon Kandidat um in die Bibel aufgenommen zu werden. Die Verfilmung durch Mervyn LeRoy stand dem zwar etwas nach, erfolg- wie einflussreich war diese trotzdem. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wenige Zeit nach dieser Hollywood noch von vergebender Seligkeit ergriffen gewesen sein musste, so dass es möglich war, dass Prinzessin Salome amnestiert werden konnte. Nicht nur wird die für Hollywood meist gern aufgegriffene reißerische Interpretation Oscar Wildes einer Männerfresserin nicht genutzt, sie wird gar zur Urchristin umgedeutet. In den heiligen Hallen von SALOME – zwischen den Säulen hinter Cäsar in Rom ist nur der Himmel zu sehen, als ob er im Olymp sitzen würde – von Egoismus und Rechtschaffenheit klingen heilige Worte, welche die Menschen zu besseren machen – glückselig wird hier an Menschen geglaubt, die zwar schnell in Raserei verfallen können, aber eigentlich nur einen Heiligen brauchen (Zirkusartisten wie Jesus, wo weniger die Botschaft interessiert, als seine Wundertätigkeit), der sie in den (Seelen-)Frieden führt. Dementsprechend ist es ein gemütlicher Film, der aber natürlich auch seine Gegenbeispiele braucht. Menschen, die sich ihrer Eitelkeit, ihrer Selbstsucht, ihren Trieben und oberflächlichen Kränkungen hingeben und dafür leiden werden, innerlich wie äußerlich. Das ist eben Teil des Versprechens. Und Charles Laughton spielt seinen Herodes Antipas als Wiedergänger Ustinovs Nero. Als gierigen Opportunisten und heimeligen Lüstling, der selbst noch Rita Hayworth bei dem berühmten Tanz die Schau stiehlt, weil er sie selig lächelnd ansieht. Nur ihr Bestes möchte … und zwar sie ihm selbst zu unterwerfen. Die Kreuzung von Sensationsgier und Seligkeit, an der SALOME steht, ist in beide Richtungen nicht sehr ausgebaut, aber immer noch sehr schön.
Freitag 22.09.
ok
Christopher Smith lässt seine Hauptfigur Edgar G. Ulmers DETOUR schauen. Auf einem 16:9-Fernseher. Oben und unten das Bild abgeschnitten. Sicherlich nicht unrealistisch, aber wo bleiben Idealismus und Ästhetik? O tempora, o mores!
nichtssagend –
Der Haupthorrorclown erinnerte mich an Ted, die Mumie, der in DAY OF TENTACLE ein Pferdegebiss in den Mund gesteckt werden muss, damit diese den Menschenwettbewerb (eine Art Hundewettbewerb in der Zukunft, nach Unterwerfung der Menschen durch die Tentakel) gewinnen kann. Schöne Erinnerungen.
Donnerstag 21.09.
ok
Am Ende wird pro Forma eine Verbrecherorganisation festgenommen, die aus zwei nicht so wirklich bedrohlichen Typen besteht, die Hehlerware in einen kleinen Bus verladen. In diesem Pappkarton bundesdeutscher Bedrohlichkeit sitzt nun Derrick des Öfteren da und hört sich ungläubig bis resigniert an, wie die verwöhnte Jugend von heute (also damals) alles für den Spaß, den Nervenkitzel und das Gefühl von Risiko macht. Die Verbrecher sind halt Verbrecher, keine Aufregung, aber die Jugend… RISIKO, bei all seinem Mief um eine bedenkliche Jugend, die keine Ahnung von Konsequenzen mehr zu kennen scheint, wird jedoch in einer Montage tatsächlich lebendig, wenn nämlich etwas FANGO BOLLENTE Einzug hält. Wenn also zu reißerischem Rock Motorrad gefahren und Vandalismus betrieben wird. So wird ganz nebenbei auch die Frage aufgeworfen: Leben oder Rückzug in die allgegenwärtige Tristesse dieser Folge.
Mittwoch 20.09.
ok
Teenager Vicki Maloney (Ashleigh Cummings) erlebt gerade die Scheidung ihrer Eltern, als sie entführt wird. Die Ironie des Ganzen ist, dass sie im nunmehr eigenen Heim ihrer Mutter deutlich macht, dass die neue Situation ihr gegen den Strich geht. Die neue Selbstbestimmung ihrer Mutter ist ihr ein Dorn im Auge, da diese ihren Wunsch nach einer heilen Familie zerstört. Nun in den Fängen eines Paars, das weibliche Teenager entführt, misshandelt und tötet, erkennt sie die dysfunktionalen Gegebenheiten zwischen diesen Eheleuten. Ihre einzige Chance ist es, die Selbstbestimmungsbemühungen der Frau zu triggern. Nur mit einem Keil zwischen den beiden, kann sie überleben. Mit anderen Worten HOUNDS OF LOVE ist die brutale Abstraktion des Verstehens einer Tochter bzgl der Bedürfnisse ihrer Mutter – als nihilistischer Seelenstripteasehorrorfilm auf der Suche nach dem Glück einer Familie. Beginnen tut der Film mit Kamerafahrten über idyllische Vorstadtszenen, die in extremer Zeitlupe ablaufen. Diese nach der Entführung wiederkehrenden Bilder gewahren in ihrer irrealen Langsamkeit an eingefrorene Situationen in Glaskugeln. Zäh wird das Leben in den zu sehenden Momenten des Glücks eingefangen. Leider findet HOUNDS OF LOVE aber außerhalb dieser Sequenzen keine ähnlich spannende Bildsprache für die kaputte Ehe, die Perversionen, gegen deren Ausführung Vicki kämpft, und den Kampf ums Überleben. Die Entwicklungen werden penibel in allen Kleinigkeiten dokumentiert, das Schreckliche mit andeutenden Bildern indirekt in unsere Vorstellungen befördert. Durch die damit einhergehende fehlende Verdichtung der Situation werden aus den HOUNDS OF LOVE – so unangenehm das Paar auch ist – eher Yorkshire Terrier der Liebe.
Dienstag 19.09.
ok +
Schon der Vorspann hat mich verwirrt. Ich bin an Zucker/Abrahams/Zucker gewöhnt und die hätten in dieser langen Zeit einem nicht so eine Ruhe gegönnt. Ein Film vieler spannender Kleinigkeiten. Wie die tolle Art von Rolle, die Larry Hagman kurz vor J.R.-Ruhm und lange nach I DREAM OF JEANNIE noch annahm und danach wohl nie mehr wahrnehmen sollte.
Sonntag 17.09.
verstrahlt +
Zu einer Nacht in weißem Satin macht Zombie das Remake des zweiten HALLOWEEN-Teils. Diesmal gelangt die Neuinterpretation des Vorläufers aber nach etwa einer halben Stunde in einer Sackgasse an und diesmal zieht er radikal den Stecker. Die Krankenhausnacht, die auf die Ereignisse von HALLOWEEN folgt, wird kurz und schmerzlos exorziert. Laurie wacht aus einem Traum auf und aus der Wiederkehr des vorherigen Films von 1981 wird die Fortsetzung des Neuansatzes von Zombies HALLOWEEN. Nun 2 Jahre später versucht Michael Myers wiederrum seine Familie in einem Strom aus Blut zu vereinen, Laurie Strode kämpft mit den Traumata der überstandenen Halloweennacht und dem Gefühl langsam verrückt zu werden, da der myerische Familiensinn und die Taten ihres Bruders zunehmend in ihr ein Echo finden, und Dr. Loomis erstickt seine Selbstzweifel in Zynismus, Selbstgeilheit und einem überdrehten Medienzirkus. Während die Familie der Myers quasi in lovecraftschen Gefilden des Feindes im eigenen Verstand/genetischem Material agiert, da bringt Dr. Loomis mittels vulgär-freudscher Motive, die ihn zum zu tötenden Ersatzvater machen, etwas Gesellschaft in das überbordende, romantische Gekräusel. Er als Vertreter des Establishments, der den White-Trash-Psychopathen wohl erst vollends formte, wäscht sich nun die Hände rein, weil Myers nach seiner oft kundgetanen Meinung eben das geborene Böse sei. Er ist es, der sterben muss, wenn die Myers‘ Frieden finden wollen. Und HALLOWEEN II erzählt dies irgendwo zwischen Oper und Schlachthaus. Dem Film steht eine Texttafel voran: WHITE HORSE – Linked to instinct, purity and the drive of the physical body to release powerful and emotional forces, like rage with ensuing chaos and destruction. –excerpt from the Subconscious Psychosis of Dreams. Leuchtende weiße Pferde werden durch den Sumpf aus Derbheit schreiten, wo sich ein Psychopath durch Teenager, nackte Frauen und schäbige Männer mordet. Durch die Brechungen des Blutbads mittels überkandidelter Symbole öffnet sich HALLOWEEN II beständig zum Universellen. So steckt beispielsweise auch eine Abhandlung über die Unsicherheit des starken Geschlechts, die zu fataler Überkompensation führen kann, im großen Ganzen. Lag Meat Loafs BAT OUT OF HELL in seiner schwitzigen Theatralik irgendwo zwischen Richard Wagner und Little Richard, wie ein Musikkritiker mal anmerkte, so findet sich Zombies zweiter HALLOWEEN zwischen symbolistischen Weihen und auf Gedärm, Blut und gurgelnden Geräuschen beharrender Drastik.
großartig
Eine der spaßigen Einfälle dieses beständig zwischen Slasher und Klamauk wandelnden Films ist, Kelly Rowland von Destiny’s Child als die Figur zu besetzen, die wegen ihrer Unsicherheit offensiv über eine Schönheitsoperation nachdenkt, während ihr als einziger der Darstellerinnen nicht anzusehen ist, ob sie eine OP hatte, sprich, die Damen um sie sehen aus, als würden sie eiserne Bälle in ihren BHs rumtragen, und offenbaren dabei keinerlei solcher Gedanken.
Sonnabend 16.09.
großartig +
Der Titel eines Films von Michael Fengler und Fassbinder stellte einst die Frage WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? – dabei war der Amoklauf nach 70-80 Minuten quälendem Alltag eine (filmische) Erlösung. Die Frage wäre wohl eher gewesen, warum Herr R. nicht Amok gelaufen wäre, wenn der Schluss des Films weggelassen worden wäre. Vittorio Salerno lässt in FANGO BOLLENTE auch einen unbescholtenen Bürger auf seine Umwelt losgehen. Doch bei ihm ist es kein unvermitteltes Umschalten, sondern ein langsames Hochschaukeln, ein bedächtiges Abgleiten in den Strudel der Verrohung. Heißer Schlamm, soviel heißt FANGO BOLLENTE, ist es, der in Rechenzentrumsmitarbeiter Ovidio (Joe Dallesandro) zunehmend kocht. Erst löst er mit zwei Freunden eine Schlägerei im Turiner Fußballstadion aus, klaut einen Ferrari, stößt Motorradfahrer in voller Fahrt von ihrem Vehikel, tötet, vergewaltigt, vergiftet und schießt sich durch seinen Arbeitsort. Der repetitiv eingesetzte Progressive-/Hardrocksong Franco Campaninos wird das Brodeln so spürbar, dass tatsächlich auf die Darstellung diverser Rasereien verzichtet wird, ohne dass FANGO BOLLENTE irgendwie freundlicher erscheinen würde. Auch so ist es ein reißerischer Irrsinn, der auch durch das steinerne Gesicht Dallesandros, aus dessen Augen der Wahnsinn strahlt, und seinem zunehmend eiskalten, pechschwarzhumorigen Vorgehen viel packender ist, als durch darstellbare Gewalt. Gebrochen wird dieser Rausch durch einen gewieften Inspektor, der nicht nur den Polizeibetrieb um ihn wie eine Farce aussehen lässt, sondern auch die richtigen Fragen stellt. Warum immer Politik, Verbrechen und Motive? Die bleiernen Jahre Italiens geben doch genug Anlass durchzudrehen. Er spürte es auch schon in sich, als er einen flüchtigen in überzogener Notwehr mehrfach anfuhr. Die Qualität von Salernos Film liegt so vielleicht eben darin, dass in ihm die Oberfläche der Zivilisation sehr dünn scheint und der eigene Atavismus erschreckend spürbar wird. Hinter heuchlerischen Fragen wird sich jedenfalls nicht versteckt.
Donnerstag 14.09.
großartig
Wolfgang Becker lässt diese Folge ganz sachte abdriften. Irgendwie scheinen die Dinge die ganze Zeit normal zu sein, aber wenn am Ende Horst Buchholz dem Irrsinn preisgegeben durch einen Stollen torkelt und sein Lachen von dem helleren eines Kleinwüchsigen überlagert wird, dann wissen wir, dass dieses München tatsächlich näher an Twin Peaks lag, als zu erahnen war.
Mittwoch 13.09.
großartig +
In den wenigen Minuten, in denen er selbst mitspielt, inszeniert sich Wes Craven etwas verloren und schüchtern. Wie jemand, der mit den Gedanken eigentlich woanders ist. Altersweise ist er es dann auch, der den Ansatz von NEW NIGHTMARE gegenüber Heather Langenkamp, Darstellerin der Nancy Thompson aus A NIGHTMARE ON ELMSTREET und dessen dritten Teil, erklären wird, damit sie in dem Film mitspielt, den wir tatsächlich ja schon sehen. Denn Märchen, Horrorfilme und Konsorten sind von Nöten, um das reale, ewig währende Böse im Zaum zu halten, so sagt er. Freddy, als ein Vertreter dieses Grauens, werde nur aus der Realität ferngehalten, wenn er in fiktiven Werken eingefangen ward. Während Craven dies erzählt, ist da aber auch noch etwas Verschüchtertes in seinen oft genommenen Pausen. Hilflos scheint er, weil er mit seinem Drehbuch Freddy auf sein Umfeld losgelassen hat. Langenkamps Mann ist ebenso tot wie seine Mitarbeiter, Robert Englund (Darsteller von Freddy Kruegger) verschwindet unmittelbar aus dem Film, nachdem er suggestiv auf ein abstraktes Gemälde mit Freddy blickte und sich möglicherweise in diesen verwandelte – ganz klar ist es nicht, weil Cravens Drehbuch und Inszenierung viel Platz für paranoide Zusammenhänge lässt – und Langenkamp wie ihr Sohn driften durch Schlafentzug und Angst langsam Richtung Psychose, Einlieferung und starker Medikation. Die Hexe kann dann auch erst in den Ofen geschubst werden, wenn sich alle auf ihr Sein in A NIGHTMARE ON ELM STREET einlassen. Wenn sie sich Negieren und ihre Rolle akzeptieren. Es ist vll der schönste Moment, wenn wir wieder mitten im ersten Teil stehen und alle Schauspieler ihre Rollen geworden sind.
Sonntag 10.09.
fantastisch –
BEYOND HYPOTHERMIA ist ein Gangsterfilm, wie auch FALLEN ANGELS ein Gangsterfilm ist. Es geht hier wie da um Auftragsmord, es gibt Schießereien, Fallen und Verrat von den engsten Vertrauten. Wong Kar-Wais Film ist aber mehr als deutlich anzusehen, dass er kein Actionfilm ist, sondern ein Liebesfilm und eine Komödie über Orientierungslosigkeit. BEYOND HYPOTHERMIA ist der erste Film von Johnnie Tos Produktionsfirma Milkyway Image und legt deutlich mehr Augenmerk auf die Action – einen monumentalen Autocrashshootout wird das Ende bringen. Aber doch, im Herzen handelt es sich ebenso um einen Liebesfilm, einen Film über zwischenmenschliche Wärme und eine Ode und ein Abgesang auf Rituale.
Ein Auftragsmord aus einer Eishalle heraus eröffnet BEYOND HYPOTHERMIA. Eingeübte Bewegungen, Routine und Geduld bilden die Sicher- wie Schönheit der zu sehenden Abläufe, die so ins Fleisch von einer Auftragskillerin ohne Identität und Namen eingegangen sind, dass sie auf die Eigenheiten der Situation spielend eingehen kann. Zurücklehnen und aufgehen in der Situation, es ist die große Kunst der Virtuosität, die zu sehen ist. Dass ihre Körpertemperatur seit ihrer Kindheit, seit dem Verlust ihrer Eltern und der darauffolgenden Ausbildung als professionelle Mörderin bei 32°C liegt, ist dementsprechend ein offensichtliches wie wenig strapaziertes Symbol. Auch hier herrscht eine Nähe zu Wong Kar-Wai. Es ist Teil der traumartigen Poesie. Diese unterkühlte Körpertemperatur spricht aber nicht von ihr selbst. Sie steckt in diesem zu kalten Ding, wie sie in einem unterkühlten Leben steckt. Die sich entwickelnde Liebesgeschichte mit dem Nudelkoch von nebenan, welche sich zuerst über Rituale entspinnt – sie geht nach einem Mord bei ihm Essen, wenn er sich kurz umdreht ist sie wieder wie ein Gespenst verschwunden – diese Liebesgeschichte handelt von ihrer Menschwerdung. Das Essen, Mittelpunkt ihres Beziehungsbeginns, ist heiße Körperlichkeit … also im Sinne von: etwas Warmes (Nudeln) im Magen anstatt der fehlenden Greifbarkeit des ätherisch-perfektionierten Handwerks.
Das Aufbrechen der Rituale bringt dann auch das Weltliche, das Schicksal, die Tragik. Er überrascht sie immer wieder mit neuen kindlichen Abenteuern wie Schaukeln, Zuckerwatte und Rutschpartien. Sie wird nach einem Mord an einem koreanischen Yakuza- oder Triadenoberen (wie heißt das organisierte Verbrechen in Korea?) von dessen Leibwächter verfolgt. Sein verlorenes Gesicht versucht er mit Rache wieder herzustellen. Gegen jede Vernunft verbeißt er sich auf Regeln der Ehre. Seine Vorstöße in das Leben der Namenslosen zerstören wie die Liebe ihre Abläufe. Für ihr Leben hatte sie es sich eh gewünscht, nur so nicht. Und die sich entspinnende Auflösung der Routinen führt dann eben zu besagtem Autocrashshootout, wo die Romantik von BEYOND HYPOTHERIMIA letztlich jenseits jeder Unterkühlung zu einem melodramatischen Sturm aufbraust.
ok –
Wenn in THE DEVIL’S 8 ein Mann einem anderen klarmachen möchte, wer der Chef ist, dann wirft er den anderen bäuchlings auf eine Motorhaube und baut sich potent hinter dessen Arsch auf. Und am Ende ist der unfreiwillig zusammengeworfene Haufen aus Gefängnisinsassen nicht in einem gemeinsamen Ziel zu einer Einheit verschmolzen. Jeder macht Zähne knirschend mit, weil er keine andere Wahl hat. Was eine schöne Abwechslung ist. Jetzt hätten die Figuren nur etwas mehr als eine Behauptung sein müssen.
ok +
Ein sehr, sehr tierlieber Film, in dem der Tod eines Frettchens mehr dramatisiert wird, als der Opfertod eines Kindes. Ansonsten Muskelcamp, seltsame Vampirwesen zwischen Fledermaus und fleischfressender Pflanze und eine Handlung wie eine mathematische Ableitung von CONAN DER BARBAR. Hach, aber die Frettchen. So toll.
Sonnabend 09.09.
fantastisch
Das erste Mal habe ich BULLIT so mit 15 oder 16 gesehen. Es war kurz nachdem Ford Teile der Autoverfolgungsjagd aus diesem für einen Werbespot recycelte, Steve McQueen digital aus seinem Mustang entfernte und stattdessen in einen Ford Puma setzte. In der einen Minute Autofahrt des Clips war zu spüren, wie lässig und stilvoll der Film sein würde. Diese eine Minute reichte, dass ich BULLIT nicht nur sehen wollte, sondern schon für die Quintessenz von Lässigkeit und Stil hielt. Möglicherweise ist er es auch. Womit ich jedoch nicht rechnete, war das Ausmaß. Denn nicht nur ist die Autoverfolgungsjagd so, sondern der ganze Film. Er wird nicht hektisch oder rasant. Das hat er gar nicht nötig, genauso wenig er es nötig hat, etwas zu erklären. Die nie wiederholten Indizien, die entdeckt werden, der Satz Sie haben uns den falschen Mann bewachen lassen und das kurz zu sehende Bild eines Mannes, der einem anderen ähnlich sieht und ein Hotel verlässt, nachdem dort, wie wir später erfahren, ein Mord geschah, diese wenigen Brocken müssen reichen, damit wir wissen, was sich abspielt. BULLIT ist maulfaul wie seine Hauptfigur, weshalb ich mit 15/16 nichts verstand. Ich war von Hollywoodfilmen eher gewöhnt, dass mir tendenziell alles erklärt wurde. So steckt in Yates Film vll auch ein klein wenig die Aufforderung sich würdig zu erweisen, wenn er einen schon als Zuschauer ernst nimmt.
Frank Bullit (Steve McQueen) ist dabei ein Polizist, der getrieben ist. In allen anderen Bereichen seines Lebens hat er aufgegeben, auf soziale Anforderungen reagiert er mit Schweigen, nichtssagend Phrasen, Verabschiedungen oder der Bitte ihn doch in Ruhe zu lassen. Einmal in einem Tante-Emma-Laden empfängt ihn der Verkäufer mit dem Hinweis auf das frisch eingetroffene Gemüse. Stoisch geht er aber zum Tiefkühlregal und nimmt sich so viele TV-Diner wie er tragen kann. Nur in der Polizeiarbeit geht er auf. Wie ein Pfeil, alles um ihn ignorierend, bewegt er sich langsam, aber mit Nachdruck Richtung Erledigung des Falls. Er ist ein bisschen wie Popeye Doyle im ersten THE FRENCH CONNECTION, nur ohne dessen Besessenheit. Jacqueline Bissets Fragen, ob er ob all der Gewalt um ihn noch etwas fühlt, oder Bullits abschließender Blick in den Spiegel, weißen ihn als mögliche junge Version von Detective Sergeant Johnson (Sean Connery) aus THE OFFENCE aus, also als jemand der noch nicht unter seiner Arbeit zusammengebrochen ist, aber es vll noch machen wird. Er raucht nicht, trinkt nicht, er ist nur ein Detektiv, der für die Spielchen der Welt keinen Sinn hat und auf der einen Seite bewundernswert lässig ist. Aber in sich, hinter seinem stoischen Lächeln oder Schweigen, lässt er Brüche und Einsamkeit erahnen.
Und genau in dieser Verquickung von Lässigkeit und geradezu autistischer Polizeiarbeit liegt die Schönheit von BULLIT. Gemeinsam läuft es, wie ein Laufwerk von majestätischer Eleganz, und doch sind es die kleinen, menschlichen Dinge, die diesen Film nicht im maschinellen Verenden lassen. Frank Bullit freut sich über das erste Essen des Tages, er lächelt charmant bei einem Diner, er mault darüber Frühs geweckt zu werden, er ignoriert seine Vorgesetzten. Statt einer Maschine haben wir es mit einem stetigen, meditativen Fluss von schwer wägbarer Tiefe zu tun.
radioaktiv –
In SLAP SHOT wird ein abgehalftertes Eishockeyteam mittels überzogener Gewalt erfolgreich und vor allem eine unzählige Fans generierende Sensation. Neben dem bestialischen Spaß an Gewalt steht dabei eine melancholische Reflektion von Sensationsgier, Würde und Obszönität. Möglicherweise steckt in Letzterem die Desillusion, die Ende der 70er Jahre auf das Verpuffen der Träume von einer besseren Gesellschaft und die anschließende Wut … sowie auf einen Film wie THE LONGEST YARD folgen musste. Robert Aldrichs Gefängnisfilm mit einem Footballmatch zwischen Wärtern und Insassen verwehrt sich einer offensiven Reflektion seines Geschehens. Und bildet so eine Art asozialen älteren Bruder zu SLAP SHOT, der es schafft seine Protopunkattitüde doppelbödig als allamerican Erzählung zu verkaufen. Nicht umsonst spielt Burt Reynolds, Posterboy der 70er Jahre Americana, die Hauptfigur Paul Crewe, die passenderweise auch noch einen Song von Lynyrd Skynyrd hört, während es besoffen den Sportswagen seiner Ex-Geliebten im Fluss versenkt und deshalb in den Knast muss. Im Strafvollzug geht sie dann los, die staatliche Gewalt durch die Wärter und die psychotische durch die Insassen … und Burt Reynolds lacht dazu wie der von Heinz Rühmann gespielte Hans Pfeiffer in DIE FEUERZANGENBOWLE. Es ist ein verschmitztes Lachen, welches sich vor allem über die eigene Gewitztheit beömmelt, hier aber auch Teil eines tollwütigen Kampfes um Selbstbehauptung ist. Solange Crewe lacht, ist er noch Herr der Situation … so will er es sich und anderen erzählen. Und THE LONGEST YARD wechselt dabei unvermittelt zwischen kernigem, Testosteron getränkten wie schrulligen Quatsch und niederschmetternder Menschenverachtung. Wenn dann das Footballmatch startet und die Faschisten auf die unterdrückten, skurrilen Psychopathen treffen, dann lernt der verwöhnte Crewe ein aufrechter Amerikaner zu sein, der gegen die Unterdrücker kämpft. Sport wird dabei zu Gladiatorenkämpfen zurückverwandelt, während der Film immer alberner, geschmackloser und auf comichafte Weise gewaltverherrlichend wird. THE LONGEST YARD ist das bestialische, räudige Spiegelbild einer zerrissenen Gesellschaft, die unreflektiert auf sich einschlägt. Wem die Weatherman zu radikal, unamerikanisch oder anstrengend waren, der konnte 1974 mit solch einem Film seinen entgleisten Spaß haben.
großartig
Jochen W. erzählte nach dem Film, dass HARD BOILED seiner Meinung nach der erste John Woo-Film John Woos gewesen sei. Dass es also der erste Film sei, in dem er, laut Jochen in massiver Verkennung seiner eigentlichen Qualitäten, einen für ihn typischen Film gemacht habe. Die Filme Woos in Hollywood wären so die Höhepunkte seiner Einschießung auf einen Stil, der nun eben beständig hölzerner und egaler wurde, da das Melodrama immer mehr zu kurz kam. Ich müsste THE KILLER und JUST HEROES demnächst nochmal schauen, denn die Abfolge A BETTER TOMORROW, dessen zweiter Teil, BULLET IN THE HEAD und eben HARD BOILED scheinen mir gerade wie die Linie einer Entwicklung. Immer zentraler wurde die Actioninszenierung, immer ein wenig randständiger die tragische Liebe zwischen Männern. Aber erst bei HARD BOILED ist sie fast nur noch ein Hauch. Chow Yun-Fats Polizist ist von Tony Leungs Undercovercop besessen, was große Teile der Geschichte auslöst. Chows großmäuliges Wegschieben von Gefühligkeit wird aber nie zu einem Konflikt gebracht. Die Empfindungen zwischen den beiden sind kaum mehr als in anderen Buddykomödien. Lediglich Tony Leungs Konflikte werden mit Faltkranichen und kontemplativen Segelausflügen melodramatisch unterfüttert, eine Person zeichnend, die an ihrem Undercoverdasein zerbricht. Aber wo die Gefühle immer kürzer kommen (im Verhältnis zu früheren Arbeiten Woos, nicht im Actiongenre allgemein), da geht dafür der Punk ab. HARD BOILED lebt eben davon, dass er irrwitzig ist. Zum Höhepunkt, wenn während eines Kleinkriegs in einem Krankenhaus Babys aus dem Kugelhagel gerettet werden müssen, da werden Chow Yun-Fats brennenden Beine von einem ebensolchen ausgepisst. Eine Qualität die Woo hier noch hatte, war eben komplett sympathisch over the top zu sein. Und apropos Gefühle: nachdem ich HARD BOILED nun als gewordener Vater sah, habe ich einen etwas anderen Film gesehen. Als Chow Yun-Fat sich mit Baby im Arm durch die Gangster schießt und eine erhabene Musik einsetzt, die anzeigt, dass er einen Flow erreicht hat, indem nichts mehr geschehen kann, er alle nun auftauchenden Gangster mit sicherer Hand erschießen wird und dem Kind nichts passieren, da habe ich vor Glück fast geweint.
nichtssagend
Steter Tropfen höhlt den Stein. Bei FRANKENSTEINS KUNG-FU MONSTER handelt es sich spürbar um einen Zusammenschnitt. Ohne hektisch oder aufregend zu werden, lassen die Aussparungen des Füllmaterials einen steten Fluss aus Exposition, Kampf und Conclusion entstehen, der eine Kindergartenparty an Gimmicks bereithält. Das ist vor allem zu Beginn sehr witzig und sympathisch, auf längere Laufzeit, wenn eben nur bunten Dinge in schneller Abfolge und ohne Untermauerung geschehen, höhlte dies meinen Stein.
Freitag 08.09.
großartig –
Gewissermaßen schlagen zwei Herzen in der Brust von THE LAST BOY SCOUT. Zuerst ist da der Tony Scott-Film.* Ein Film, der der Siegerparade der USA nach Ende des Kalten Krieges geradezu pervers in die Parade fährt. Emblematisch ist gleich der Beginn. Die Credits über einen verengten Fernsehbildschirm führen zum Amoklauf eines Footballspielers (Billy Blanks). Die Bebilderung desselben wird fast von den Schatten verschluckt, während das tatsächlich Sichtbare oft viel zu grell aus der Dunkelheit strahlt. Die Kamera ist zu nah und bietet nie einen Überblick. Der ganze Film nutzt sein Scope-Filmformat nie wie etwas, das Weite und Raum schafft, sondern wie etwas Einengendes. Und schließlich sind gerade bei der eröffnenden Sequenz die Schnitte hektisch und zerstören letztendlich jede Chance auf Orientierung. Der Kapitalismus, nun ohne eine gegnerische Utopie zurückgelassen, gibt sich völlig seiner Sauerei hin. Brot und Spiele, korrupter Sport, korrupte Politik, korrupte Welt. Die USA sind in Scotts garstiger Bebilderung von THE LAST BOY SCOUT eine unrettbare gesellschaftliche Postapokalypse. Wie Nicolai Bühnemann in der Einleitung beim Karacho (so oder so ähnlich) sagte, ein noir to end all noirs. Dann ist da aber noch der Shane Blacks Film, in dem coole Typen saufen und koksen, weil sie das Leben nicht mehr ertragen, was einerseits mit dem schon angesprochenen Aspekt der Welt zu tun hat, aber zu einem großen Teil darin begründet liegt, dass die jugendlichen Kinder nicht aufs Wort gehorchen und die Frauen einen eigenen Willen haben und sich nicht wie Inventar behandeln lassen wollen … und die Welt eh einen nicht so abfeiert, wie es sich gehört. Das Zerstörte von Bruce Willis‘ Figur hat eine harte Breitseite zu einem heuchlerischen Selbstmitleid, das sich einerseits in Onelinern überkompensiert, damit das Jammern auch ordentlich cool bleibt, anderseits eben auch von Blacks THE LAST BOY SCOUT ordentlich abgefeiert wird. Emblematisch dafür sind mit Ende des Geschehens die 50iger Jahre ideologisch wieder hergestellt. Frau und Kind sind gezähmt und Pat Boones MOODY RIVER führt in den Abspann. Der noir to end all noirs hat auch ein Happy End, dass möglicherweise noch gruseliger ist als das Überwundene.
*****
* Die vorgenommene Aufteilung der Tendenzen des Films nach Drehbuchautor und Regisseur ist sicherlich zumindest in ihren Bezeichnungen zu kurz gegriffen und dient nur als (zumindest nicht aus der Luft gegriffene) Eselsbrücke.
verstrahlt –
Unterhalb der bürgerlichen Gesellschaft herrschen in Paris ethnisch strikt abgegrenzte Gangs, die sich in einer Parallelwelt eingerichtet haben. Ein faschistischer Cop, ein gefeierter Vertreter des Establishments, spielt diese nun gegeneinander aus, um sie sich auslöschen zu lassen, während ein anderer, der aus dieser Gegenwelt stammt, den Vermittler und Messias spielt, der immer noch rechtzeitig wie aus dem Nichts erscheint, um doch noch den überschäumenden Eitelkeiten den Kopf zu waschen. THE WARRIORS werden hier zu einem Märchen verträumt, das schon auch etwas an WINNETOU gewahrt und wo die verlorenen Kinder zwischen einem Teufel und einem Engel einer sie beherrschenden Gesellschaft feststecken. Und dieser naive Comic, der DER LINKSHÄNDER ist, wird von seiner sagenhaften Musik noch mehr Richtung Traum angetrieben.
Donnerstag 07.09.
ok
Ein neunmalkluger Verdächtiger, ein naiver Verdächtiger, eine selbstbewusste Verdächtige, Derrick weiß auch nicht so richtig, ein gesetzter, biederer Schiffskapitän, der einen Stewart fragt, ob auch schöne Mädchen an Bord sind, bevor er selbst mal gucken geht, und Rückblenden. Im Großen und Ganzen war aber kaum etwas los. Nur Menschen, die sich ihr Leben und das der anderen einigermaßen schwermachen. Eine trostlose Mörderjagd in einer grauen Gesellschaft. Der Krimianteil war dabei, wie so oft bisher unter Weidenmann, eher bieder. Vll sollten seine Folgen aber auch nicht mit Schlafdefizit geschaut werden. Denn bei wachem Geist könnte sich möglicherweise ein ganz dezenter Trünstler offenbaren. Die Welt der Bahngleisarbeiter in TOD AM BAHNGLEIS, die sektenartigen Casinowelten im Altersheim von KALKUTTA, die Gefühlswelten selbstbestimmter, meist intelligenter Leute, die ihr Leid eher bewusst ertragen, als hysterisch dagegen anzukämpfen, wie in BORDFEST, sie alle geben eine triste, traurige Lebenswelt wieder, die sich aber vehement dem Kläglichen verwehrt.
Mittwoch 06.09.
großartig
Ein schwarzmagischer Santería-Anhänger – grob: eine Art von Voodoo-Priester – kommt nach New York und tötet 8-jährige Jungen in einem blutigen, atavistischen Ritual. Während der Ermittlung, die diverse Polizisten in den Tod treiben wird, kommt langsam ans Licht, wie sehr die New Yorker Upperclass in dessen Vorgehen verwickelt ist. So gesehen ist THE BELIEVERS eine Abwandlung der Paranoia von ROSEMARY’S BABY, die Polizeipsychiater Cal (Martin Sheen) erlebt. Er hat vor kurzem mit ansehen müssen, wie sein Frau durch einen Stromschlag starb. Ebenso wie sein 8-jähriger Sohn Chris dies verfolgen musste. Während er sein Trauma also verarbeitet (oder eben nicht), kommt ein religiöser Atavismus und legt sich mit expressiven Farben über die Stadt, kennzeichnet die von einem ungreifbaren Grauen Verfolgten mit Schweißflecken und Abgeschlafftheit und verbreitet mit suggestiven Bildern von Blutspritzern über Familienbildern zu Perkussionmusik das Gefühl, dass die Ratio an ihr Ende gelangt ist. Und entweder sind alle dem hilflos ausgeliefert oder stecken eben knietief mit drinnen. In den stillen Augen von Cal, der jedes Mal wie hypnotisiert schaut, wenn er auf Bilder seiner Frau oder Assoziationen des Unfalls trifft, sowie in seinen unmittelbaren Tobsuchtsanfällen bei kleinsten Anlässen gegenüber dem sonst so geliebten Sohn, lassen den ganzen Voodoo in einem anderen Licht erscheinen. Der sich ruhig aufbauende Grusel mag die Materialisation des Schmerzes eines Traumatisierten sein, der mit dem Schmerz, tief in sich drin, verdrängt, auch seinen Sohn entsorgen möchte. Und Schlesinger macht diese Ahnung zu einem makaberen Horror über Menschen weit über dem Rand des Nervenzusammenbruchs.
Dienstag 05.09.
ok
Guckt, wie schlecht ich bin. Die Währung für Lacher in Trash-Filmen ist durchaus härter geworden. Extra für einen solchen Markt produzierte Filme wie beispielsweise SAND SHARKS stellen mitunter verkrampft aus, dass sie sich nicht ernst nehmen. Sie sollen doch bitte ausgelacht werden. Die eigene Würde bleibt da mitunter aber auf der Strecke. David Hasselhoff macht mit seiner Starpersona in KILLING HASSELHOFF ähnliches (oder lässt es machen – ein, gerade in diesem Fall, schwer zu treffender Unterschied). Wie bei einem Roast bringt er seine Würde auf dem Alter der Unterhaltung als Opfer dar. Seine Gastauftritte in DODGEBALL und im THE SPONGEBOB SQUAREPANTS MOVIE gaben die Richtung schon vor, denn alleine das Auftreten von Hasselhoff in beiden Filmen waren schon Pointen. Es folgten Meldungen, er werde mit Ice-T ein HipHop-Album aufnehmen. Aber spätestens mit diesem berüchtigten Bürgeressvideo stand The Hoff für zwei Dinge. Die eingeschränkte Fähigkeit seine Außenwirkung einschätzen zu können und das Witzfigursein. Und KILLING HASSELHOFF spielt damit. So virtuos und von so ätzender Biestigkeit ist dies, dass ein komplexes Spiegelkabinett entsteht. David Hasselhoff spielt sich selbst und er spielt sich mit geradezu perverser Selbstverliebtheit – mehrmals weißt er daraufhin, dass er doch am liebsten mit sich selbst schlafen würde, so hot findet er sich – und als jemanden der mit der eigenen verschrobenen Wirklichkeitswahrnehmung kokettiert – so fährt er weiterhin das sprechende Auto KIT und hat Justin Bieber angestellt, damit dieser als Stimme des Autos mit ihm spricht, mal erzählt er, von seinen Lebensretterfähigkeiten, mal weist er darauf hin, dass das nur Teil einer Rolle war, und sowieso hält er sich für die Idealbesetzung für ein Superheldenmuscial, weil er den Körper und die Fähigkeiten dafür schon mitbringt und sowieso eine tolle Stimme hat. Die Figur David Hasselhoff wird ohne Rücksicht auf Verluste durch den Kakao gezogen. Wenn er seinen ölgetränkten Körper immer wieder als heißes Ausstellungsstück präsentiert (und einerseits Witze darüber gemacht werden, andererseits ein schwuler Auftragskiller auftaucht, der sich durch diesen Körper von seinem Auftrag ablenken lässt), dann ist die Grenze zwischen Erniedrigung und Würde fließend. Einerseits wird dieser Körper wie ein Gross-Out-Vehikel benutzt, aber andererseits ist es schlicht würdevoll, dass er zu diesem steht – zumal wohl die wenigsten von uns mit Mitte 60 so gut in Form sein werden. Und so steht es auch mit den ständigen The Hoff-Wortwitzen (Fuck Hoff) und mit seinem Verhalten, das zwischen dem eines verwirrten Gockels und dem eines sympathischen Helden oszilliert. Wie brutal die Witze über ihn sind, hängt stets von der Perspektive ab. Zumal eben hinzukommt, dass die Eigenschaften dieser Starfigur in diese Unterscheidung mit hineinspielen. Weiß Hasselhoff, wenn er sich so spielt, um die eigene Wirkung? Weiß er wie hart hier mit ihm umgegangen wird bzw wie hart er mit sich umgeht? Eine der ersten Dinge, die er in KILLING HASSELHOFF macht, ist ein Witz über seinen Alkoholismus. Bis sein Manager (Jon Lovitz) ihm glaubt, dass dies wirklich nur ein Witz war, muss er ihm das mehrmals versichern. Fast muss er ihn flehen, ihm zu glauben. Ob The Hoff nun ausgelacht wird oder wir mit ihm lachen, das ist dementsprechend eine Frage des Glaubens.
David Hasselhoff ist dabei aber nur eine Nebenfigur. Und das ist das Problem von KILLING HASSELHOFF. Denn die Geschichte um einen Klubbesitzer (Ken Jeong), der verschuldet bei einem Kredithai sich entschließt Hasselhoff umzubringen, weil er dann im Zuge einer Wette eine halbe Millionen Dollar gewinnen würde, hat bei weitem kaum eine andere solch spannende wie witzige Komponente. Ein paar verklemmte Peniswitze hier, ein paar schrille Verstrickungen da. Aber all diese offenbaren vor allem die Mühe, die es anscheinend macht, die ohnehin kurze Laufzeit von KILLING HASSELHOFF überhaupt zu füllen. Und das ist vll das schönste Lob an David Hasselhoff, den dieser Film ihm machen kann. Mit ihm steht und fällt er.
Sonntag 03.09.
gut –
Zum abschließenden Shootout stecken irritierte Gangster in den ihre Bewegungen einschränkenden Tunneln einer Geisterbahn. Es ist die Verdichtung des Films davor. Tough Guys, in völliger Abstraktion von ihren Gefühlen zu Panzern von Coolness geworden, laufen durch Zuhältervillen und -appartments voll barocken, schangligen Dekors oder laufen und fahren schlicht in wunderschön gedrehten Füllszenen. Ein Noir von Ursus Wehrli sähe möglicherweise ähnlich aus.
Sonnabend 02.09.
verstrahlt +
Nur kurze Zeit nachdem Corey Yuen YES MADAM! auf die Zuschauer der Welt (oder eher Hongkongs) losließ und die düstere Verzweiflung an Justiz, Korruption und Verbrechen der Poliziotteschi in einen pechschwarzen wie kunterbunten Überforderungsreigen umformte, machte er dies gleich nochmal. Nur in der Light-Version. Mit einem Bein steht RIGHTING WRONGS im Feld der Buddy-Komödie, wo ein ungleiches Paar aus einem Slackerpolizisten und einer protofaschistischen Übererfüllerin für Lacher und sympathischen Drive sorgt, mit dem anderen beackert er einen harten wie comichaft überzogenen Selbstjustizactionfilm, wo ein Anwalt rot sieht. Doch wo bei YES MADAM! alles ineinander fällt und sich versucht zu überlagern, da tanzen die Elemente in RIGHTING WRONGS eher miteinander … und doch ist am Ende, nach Lachern, herzzerreißenden Momenten, brutalen Morden, irren Stunts und stylischer Schönheit, auch hier alles zerstört. Vll nicht so suicidal hoffnungslos wie in YES MADAM!, aber schon in tiefer Depression. Es ist eben so, dass viele, wenn sicherlich nicht alle, Poliziotteschi in all ihrem ideologischen Tohuwabuhu doch nach einem Richtigen suchten. Die beiden Filme von Corey Yuen, die vor und nach seinem konventionelleren und weltweit erfolgreicheren KARTE TIGER in die Kinos kamen, sind oft viel bunter und herzlicher als ihre italienischen Konterparts, sie gleichen eben eher durchgedrehten Hollywoodfilmen … aber ihre Zerschmetterung aller ideologischen Möglichkeiten läßt keinen Weg zu einem positiven Zugang zur Welt offen. Bezeichnenderweise wird eine der tragenden Figuren in RIGHTING WRONGS aus einem abstürzenden Flugzeug springen. Ohne Fallschirm. In der Hoffnung nach einem irgendwas wie hundert Meter hohen Fall den Aufprall im Meer eher zu überleben, als beim Zerschellen auf dem Land …
Der Slackercop (Corey Yuen selbst) – der missratene Sohn eines aufrichtigen, gutherzigen Streifenpolizisten, eine Großklappe, die oft bis fast immer die falsche Entscheidung trifft und grundsätzlich speckigen Klamotten trägt … es ist nicht schwer zu erahnen, er ist der mit Abstand größte Sympath in RIGHTING WRONGS – wird mittels einem undefinierbaren Essen eingeführt. Nach einem harten Schnitt von irgendeiner anderen Handlung um Selbstjustiz und Drogenhandel weg fliegt dieses unvermittelt auf einen Tisch und sieht für Hongkongstraßenessenverhältnisse (oder eigentlich die meisten Verhältnisse) hingekotzt aus. Eine grüne Pampe mit Fleisch. Im Laufe der Szene wird Bad Egg, wie er nur genannt wird, alles und jeden damit vollschmieren … und es genüsslich essen. Während Yuen Biaos Anwalt und sein Abfall von Recht und Ordnung ausführlich ausgebreitet werden, reichen bei ihm diese Sauerei von einem Essen und vielleicht noch die Neckereien mit seinem Vater, um eine viel reichhaltigere Figur zu haben. Ein Verlierer mit einem komplexen Verhältnis zu Welt, voll Eigenwillen, Drang nach Anerkennung, Schmerz, Minderwertigkeitskomplexen … Aber vor allem lebt er eben gerne in dieser Sauerei von einem Leben, irgendwie, womit er allen anderen etwas Grundlegendes voraus hat … denn er ist der Letzte, der hier alles zu einem hamletartigen Drama machen würde. Aber er ist nunmal umgeben von Leuten, die die Welt um sich zu einem solchen machen, und da er sich nicht in einer Hollywoodbuddykomödie befindet, ist auch er Teil dieses nihilistischen Infernos menschlicher Zerrüttung. Rein persönlich hätte ich ihm besseres gewünscht, aber so läuft es leider nicht.
fantastisch –
Während ein Erzähler davon berichtet, dass es während des Sezessionskrieges wohl kein schlimmeres Kaff gäbe, als das auf der Grenze liegende und neutral gebliebene Border City, wo sich nur menschliches Treibgut (die Leute werden hier wiederholt auch mit Ungeziefer und ähnlichem gleichgesetzt) zusammengefunden hätte … während dieser Ort also mit martialischen Farben gemalt wird, ist ein Junge zu sehen, der eine verlassene, ruhige wie idyllische Straße entlang geht und spielt. Der beißende Widerspruch zwischen Bild und Ton wird dann damit aufgelöst, dass der Junge einen älteren, auf einer Bank sitzenden Herrn fragt, wo denn alle seien. Beim Lynchen, ist die stoische Antwort, woraufhin der Junge losrennt, weil er so einen Spaß selbstverständlich nicht verpassen möchte. Schon der Beginn ist bezeichnend für einen Western, in dem die Oberflächen ständig falsche Schlüsse nahelegen, die menschliche Natur bestenfalls noch ernüchternd gezeichnet wird und die deshalb trotzdem immer noch für Pointen gut ist. Einen Western, der wunderschön fotografiert ist, in dem aber die Schiesserein und Catfights banal und unästhetisch aussehen. Einen Western, voller spitzer Zungen, zum Bersten gereizter Gefühle und betörenden Auftritten ganz unwahrscheinlicher Barsängerinnen. Ein Western zwischen griechischem Theater und der leichten Muse.
Freitag 01.09.
ok –
DRACULA 3D stimmt traurig. Ein klinischer Ton, leblose Synchronsprecher, meist aseptische Bilder und eine Variation von Bram Stoker, die alles leidenschaftsentfachende in opake Handlungen übersetzt. Am Ende entscheidet sich Mina gegen die Leidenschaft und für den Anstand. Ein treffender Film unserer Zeit, könnte man meinen. Ein trauriger Film eben.
August
Donnerstag 31.08.
gut
Dass Theodor Grädler der Regisseur von EIN UNBEGREIFLICHER TYP war, ist spätestens zu erahnen, als wieder die Lampenschirme vor den Gesichtern die Einstellungen aufwerteten. Es ist eine Folge, die aber mehr von ihrem Drehbuch lebt. Einem Drehbuch, das mitten in die Geschichte reinplatzt und lange vor der Auflösung dieser schon zum Abspann führt. Denn es geht um Geheimnisse, um Unaussprechbares … und das Entsetzen, welches dies hervorruft. Fast die ganze Folge handelt von Spurensuchen, um einen Mann, der für die Eliminierung eines anderen mi dem Teufel (Derrick) tanzt, einen anderen, der seine Familie nach 20 Jahren wieder aufsucht, Familien, die nicht wissen, was mit diesem anfangen … aber all diese Nebensächlichkeiten, zumindest meistens, stellen nur eine riesige Verdrängungsarbeit dar. Die Folge endet mit dem mantraartigen Versprechen nichts zu verraten. Alte Männer und ihre Geheimnisse, die BRD und das Unaussprechbare. Es soll um Nachrichtendienste gehen, um Spionage, aber all diese aus dem Exil zurückkehrenden mit ihren Geheimnissen … sie deuten auf etwas anders. Bezeichnenderweise heißt eine Figur in EIN UNBEGREIFLICHER TYP Sass … also Herr Sturmabteilungschutzstaffel.
Mittwoch 30.08.
großartig
In MANNEQUIN geht es, wie wir alle wissen, um einen Schaufensterdekorateur, der mit seiner Kunst die Massen begeistert. Vll basiert seine Figur, es könnte ja wirklich sein, auf Mario Bava und BLUTIGE SEIDE. Denn nicht nur stellt der Regisseur seine Figuren im Vorspann kunstvoll zwischen Schaufensterpuppen, sondern ordnet sie den ganzen Film wie Puppen an. Entsetzte Puppen, Puppen voller Geheimnisse, aber eben Puppen. Rot angemalte Puppen, kostümierte bis nackte Puppen und zwischen ihnen die Leute, die in einen Krimi um einen Mörder verwickelt sind, aber sich alle wie Täter benehmen. Eine Schaufensterwelt im Ausnahmezustand … die spannenderweise den Kommissar, der noch herablassender als Derrick agiert, verschwinden lässt. Der Krimi verliert so seinen Auflöser, die Figur, die für den Zuschauer einsteht und mit ihm von außen das Geschehen beobachtet. Stattdessen endet alles zwischen Mördern, Komplizen und einer Portion Wahnsinn, die schon in den starren Entwürfen die Welt als nicht mehr realitätsfähig gezeigt hatte.
Sonntag 27.08.
großartig –
Der Schwanengesang auf das New York vor Rudolph Giuliani. Während sich Jackie Chan in diesem artistisch durch die Massen einer Straßengang aus Punkern, Rockern und anderen Ghouls schlägt, lauern die skrupelloseren Verbrecher aber in den Golfclubs und den Limousinen. Am Ende läuft es auf eine ebenso bedenkliche Zero Tolerance-Strategie heraus, die sich aber anders als bei Rudi, dessen Politik nach unten schlug, an einer Fahrt eines Luftkissenbootes über einen Millionär ergötzt.
verstrahlt
Ich verstehe den Titel nicht ganz, weil Freddy ja nicht tot ist, sondern sterben wird. Würde da FREDDY’S DEATH nicht besser passen? Aber vll ist dieses Unrunde auch schön und passend. Denn FREDDY’S DEAD eskaliert die zunehmende Verwischung von Traum und Realität noch mehr. Was 1991 mit einem Namen beschrieben werden kann: TWIN PEAKS. So merkt einer der jugendlichen Hauptdarsteller als sie nach Springwood kommen an, dass dieser Ort in seiner Schieflage eben wie dieser Straßenfeger seiner Zeit anmutet. Freddy hat in einer verschrobenen Dystopie alle Jugendlichen und Kinder der Stadt umgebracht. Die Erwachsenen tun so, als sei nichts geschehen und lehren leere Schulbankreihen, betreiben einen Jahrmarkt für die imaginären Kleinen und stehen auch sonst eher neben sich. Aus einem Heim für Schwererziehbare lockt Freddy nun seine Tochter und ihre Freunde/Leidensgenossen nach Springwood, auf das sein Traum und Blut seine Nachfolge antritt. Wie der Titel schon andeutet, geht das nicht ganz gut. Aber an Spannung ist FREDDY’S DEAD auch gar nicht interessiert, sondern an der Erbauung eines Xenotopia … eine umfassende Idiosynkrasie mit leichten Klamauk, die wirklich an keinen der anderen Teile anschließt und mit jeder Form von Realität abgeschlossen hat.
Sonnabend 26.08.
fantastisch
Es ist auch die Geschichte vom eigenen Sterben, die HISTÒRIA DE LA MEVA MORT erzählt. Nomen est soweit omen. Die Einstellungen sehen teilweise wie vergilbte Urlaubspostkarten aus, wie Aufnahmen aus einer barocken Vergangenheit, deren Glanz vergangen ist, oder wie staubbedeckte Erinnerungen. Doch viel basaler scheinen die statischen Einstellungen zum Sterben verurteilt. Nicht viel geschieht in ihnen. Selbst wenn Casanovas rote Bäckchen durch sein weiß gepudertes Gesicht leuchten, während er auf einem Topf sitzt und drückt, ist dies ein Bild, aus dem langsam das Leben entweicht. Nur die Schnitte pumpen wie dezente, unmerkliche Defibrillatoren wieder Leben in das allgemeine Siechen. Kurz zuckt der Körper von Albert Serras Meditation dann spastisch von einem Fitzelchen Energie, das langsam wieder verglimmt. Erzählt wird von Casanova, den es in die Karpaten verschlägt, wo in seiner Unterkunft die Leute nach und nach Graf Dracula zum Opfer fallen. Zwischen den beiden Ikonen entwickelt sich ein ähnlicher, unausgesprochener Dualismus, wie zwischen Bild und Schnitt. Wo der Graf, die Leute in den (Un-)Tod zieht und von den erhabenen Lüsten eines romantischen Lebens kündet, da ist Casanova ein Vertreter der Uneigentlichkeit. Für ihn ist alles nur Spaß. Völlig in seinem Adel aufgehend, perlt alles an ihm ab. In einem der schönsten Momente sehen wir ihn, wie er sich den Arsch abwischt, danach seine Hände mit einem Tuch feudelt, an diesen riecht, das Tuch nochmals gebraucht und dann zu einem Biskuit greift und genüsslich hineinbeißt. Es ist wahrlich sinnlich, wie ihm hoheitlich alles egal ist. Hier der tiefsinnige Tod, der am Leben hängt, dort das schalke Leben, das den Tod noch verspotten würde. Und da wo Dracula trotz dem Schimmer von Emotionalität stets wie tot wandelt, da ist Casanova voller Energie. Er redet ohne Unterlass, referiert und lacht. Wenn er dabei noch Trauben oder ähnliches während seinen Reden isst, dann schmatzt es auf der Tonspur, als ob einem der Saft der platzenden Früchte gegen die Ohrmuschel träufelt. Dieser langsame, immer wieder verzögerte Tod, der HISTÒRIA DE LA MEVA MORT ist, ist bei aller fortschreitenden Leblosigkeit ein Fest der Sinne.
fantastisch –
Mit den Bildern einer Katastrophe wird in den Film gestartet. Fotos eines Autounfalls und seiner Folgen werden aneinandergereiht und dokumentieren den Tod zweier Menschen, den Tod zweier Eltern. Sprachlos liegt das Entsetzen bleiern am Anfang des Films. Bleiern gerade auch, weil es ein sogenannter Kinderfilm ist, der so eröffnet wird. Die Qualität von Helmut Dziubas Kino im Allgemeinen und von SABINE KLEIST im Speziellem liegt aber nicht darin, dass die Zielgruppe der Filme weniger mit Samthandschuhen anfasst werden würde, als bei anderen Vertretern des Genres. Nach den Bildern folgt eine Abschiedsfeier im Waisenhaus. Eine der Erzieherinnen gibt ihren Job zu Gunsten ihres bald geborenen Kindes auf. Sabine Kleist, gerade mal sieben Jahre alt, muss nach dem Tod ihrer Eltern nun auch noch das Verschwinden ihrer neuen Bezugsperson verkraften. Sie reißt aus und geht nach Berlin, wo sie auf einem Pferd in einer Prozession einreitet. Der folgende Roadmovie trägt die Züge eines Märchens. Sabine geht nach Berlin und probiert, schaut sich um und gibt sich ihrer Neugier hin. Der dabei ausgestellte soziale Realismus ist verträumt. Die meisten Personen, auf die Sabine trifft sind gute, hilfsbereite Nachbarstypen und die DDR eigentlich ein sensationeller Ort zum Leben, ein Abenteuerspielplatz. Es gibt aber eben auch missgünstige ältere Damen, die in einem Kind in einem Laden sofort den Dieb vermuten, Jugendbanden die andere auf offener Straße verfolgen und verspotten, oder eben Leute, die angesichts ihrer ins Leere gelaufenen Existenz zum Alkohol greifen und vll die sympathischsten Leute sind. Sabine sitzt in Ruinen und Baustellen einer abgeschlafften Stadt. SABINE KLEIST erzählt eine kleine, persönliche Abenteuergeschichte, welche sich den großen Gesten verwehrt … und unter deren verspielten Oberfläche Traumata und Verschleiß lakonisch strömen.
Freitag 25.08.
großartig –
Mitunter ist die A NIGHTMARE ON ELM STREET-Reihe eine Studie über die (oft maroden) Häfen, in welche sich gerettet wird, um den eigenen Ängsten zu entgehen. Von einer leeren heterosexuellen Liebe über Gemeinschaft bis hin zur Selbstermächtigung reicht es. Teilweise sind diese nur Teil der illusorischen Täuschung des Traums – sie sind der Traum von Ruhe, in den sich der Alptraum nur umso fieser hineinfrisst – manchmal aber scheinen sie wirklich zu helfen. Doch in keinem Fall der ersten fünf Filme wird bis zum nächsten Teil gewartet, um die Rettung als obsolet zu erklären. Jeder der Teile endet schon mit der (sich andeutenden) Rückkehr Freddys. Das fatalistische Ergebnis ist, dass die Angst nicht schlussendlich zu vertreiben ist.
THE DREAM CHILD ist das Psychogramm einer Teenagerschwangerschaft. Vor kurzem geisterten Illustrationen von Terence Eduarte zu Geheimnissen durch das Netz, welche Leute ihm für ein Kunstprojekt anvertrauten. Darunter auch dieser Fall hier. Es ist auf so multiple Weisen niederschmetternd, dass im Gegensatz dazu der Horror in THE DREAM CHILD noch untertrieben scheint. Und doch sind die Karikaturen von Horrorkindern und ignoranten Eltern, die ihre Kinder mit Anforderungen erdrücken, entsetzlich genug, dass die Nonne, also Freddys Mutter, aus Teil 3 als Retterin wieder ausgegraben werden kann. Am Ende wird Freddy in deren Gebärmutter zurückgequetscht, während das tatsächliche Kind geboren wird. Polyvalent steht diese Parallelentwicklung einfach im Raum und spricht entweder von der Hoffnung, dass mit der Geburt das Wissen kommt, wie wir richtige Eltern werden, von der weniger euphorischen Hoffnung, dass die Realität einfach nicht so schlimm ist, wie der (Alp-)Traum, oder von der Rettung durch den Glauben, der aus den Armen Gottes heraus die Angst vertreiben soll. Wie dem auch sei, all dieser dargestellte Optimismus, all die Gegenmittel … nichts davon wird halten. Viel mehr findet sich in ihnen erst der richtige Horror, nämlich die Vorstellung, wie schlimm alles davor gewesen sein muss, wenn sich zu solchen Trugbildern gerettet wird.
Für das primäre, das direkte Grauen bedient sich THE DREAM CHILD bei dem Moment des Aufwachens, wenn die Grenzen zwischen Traum und Realität noch nicht ganz klar sind. Als erster Teil wird damit der vorangegangene Teil nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch fortgesetzt. Auch wenn die Phantasie mit dem Film nicht so wie bei THE DREAM MASTER durchgehen darf und eben seltener ins Aberwitzige abgleiten, so wird doch eine schwammige wie gotische Welt aufgebaut, wo die Abgrenzung zwischen Traum und Realität nicht mehr auszumachen ist. Freddy hat sein Sinnen aus dem ersten NIGHTMARE also erreicht, die Träume haben die Realität übernommen.
Donnerstag 24.08.
großartig
Wahrscheinlich ein Wortwitzfeuerwerk wie bei den Marx Brothers. Aber leider kann ich kein Kantonesisch und mit Untertiteln (oder einer Synchro, falls es eine gäbe) fallen Unmengen der Witze unter den Tisch, weil andere Sprache und so. Sagt auch Kozo. Aber selbst in dieser verstümmelten Form ist und bleibt ROYAL TRAMP ein Orkan aus Albernheiten und Zoten, aus Spaaaß. Die einzige Kung Fu-Technik, die Hauptdarsteller Bo/Wilson Bond (Stephen Chow) beherrscht, ist im Wesentlichen eine kultiviertere Version von Brustgrabschen. Einer seiner erbittertsten Gegner ist auch deshalb fast unbesiegbar, weil er seine Genitalien in seinen Körper ziehen kann, damit Tiefschläge ihm nichts anhaben können. Und auf diesem Niveau geht es um Kastration, Bordelle und Eunuchen und eben witzige Dinge, die mit Geschlechtsmerkmalen gemacht werden können. Eingebaut ist dies in eine Wuxiaseifenoperthriller, der, gerade wenn Ching Siu-Tung die Actiondirection übernimmt, unfassbar schön und sinnlich aussieht und der so tut als ob die ständig-kalauernden Situationen ein ganz normales Erzählelement in diesem Netz aus Korruption, Machtmissbrauch, Rebellion und naiver Güte am Kaiserhof, das zu kompliziert für eine einfache Wiedergabe ist, sind. Und die dazugehörige Dramaturgie hält sich an kein Korsett, sondern macht was es will. Weshalb ROYAL TRAMP sich mehrmals abgeschlossen anfühlt und doch weitergeht und dann mitten drin einfach aufhört. Schief und schräg und kurz vorm Einstürzen geht aber alles gut. Also alles wie so oft bei Wong Jing(♥) und seinen phänomenal dreisten Filmen.
großartig
Ein seltsamer, seltsam gefühlvoller Krimi übers Altwerden, über den alten Schwung, der dahin ist, über sich mal was Gönnen und über das Leben als Glücksspiel. Ein Krimi, der sein Glück auf den Nebenstraßen und Umwegen findet. Und irgendwo mittendrin in einer düsteren Gasse, die Silhouette von Witwe Bolte, die aus einem Fenster schaut. Einer Harpyie gleich, bereit Harry zu greifen. Münchens Hintergossen als Hades verschworener Gemeinschaften. Der Horror.
Dienstag 22.08.
großartig +
Das Ungeziefer sind immer die anderen!
*****
Ich habe jetzt erstmals auch den Originalton gehört und es ist schon bemerkenswert, wie im Vergleich die deutsche Synchro die Drastik der ganzen faschistoiden und militaristischen Aussagen noch der größten Arschlöcher entschärft, ihr Verhalten dabei mit Anpassungen der Welt, in der STARSHIP TROOPERS spielt, legitimiert und damit aus der Satire vll wirklich einen faschistischen Film zu machen droht.
Sonntag 20.08.
großartig –
Wenn die Bootsfahrt durch eine untergegangene Stadt bzw die (menschliche) Kanalisation der darauf gebauten zu Richard Ng führt, egal wie kurz sein Auftritt sein mag, dann hat sich der gesamte Film gelohnt.
gut +
Rob Zombie macht aus Michael Myers einen Menschen. Durch die ausführlich erzählte Vorgeschichte, die bei Carpenter nur rudimentäres Stückwerk war, eine Leerstelle über den im Schatten oder im Augenwinkel wartenden Buhmann, die ebenso wie weite Teile seiner selbst unserer Phantasie überlassen wurden, bekommt er hier Fleisch und Blut. Ebenso durch seine nunmehr imposante Statur, seine aus dem Bildschirm/von der Leinwand pressende Körperlichkeit. HALLOWEEN ist 2007, auch wenn viele Stellen übernommen wurden, ein gänzlich anderer Film als sein Vorgänger. War Carpenters Paranoiastudie noch von einem atmosphärischen Aufbau und einem Grusel, der mich als Jugendlichen fertig gemacht hatten, so ist Zombies Aufarbeitung des myerschen Lebens derbe Drastik. Statt mulmigem Heranschleichen von hinten ist Niederwalzen die Vorgehensweise. Wie Fremdkörper wirken die vom Original übernommenen Stellen in dem nunmehr eiligen Film einer makabren Familiengeschichte. Wenn Malcolm McDowell als Dr. Loomis abermals wie sein Vorgänger Donald Pleasence von no reason, no conscience, no understanding; and [not] even the most rudimentary sense of life or death, of good or evil, right or wrong in Bezug auf seinen Schützling erzählt, dann sagt dies in dieser Erzählung mehr über den Doktor aus … dafür sahen die ersten Zusammentreffen zu anders aus. Er scheint sich vielmehr lustvoll in die Augen des Bösen hineinphantasiert und/oder eigene Fehlleistungen kaschieren zu wollen.
Auch hier bleiben alle Erklärungen letztendlich auf der Strecke, was in Michael passiert ist, um aus ihm diesen Maniac zu machen. Nur was ihn antreibt, der Wunsch nach einer heilen Familie, nach einspruchloser Zuneigung sowie eine gute Portion Misogynie, das ist abzulesen. Nach 15 Jahren Isolation ist er aber anscheinend an einem Punkt angekommen, wo er selbst nicht mehr so richtig einzuschätzen weiß, was er da überhaupt tut … zumindest auf sozialer Ebene und im Gegensatz zu seinem jungen Ich. Und so sind es eben kaum noch die bedrohten Teenager, von denen erzählt wird. Die Perspektive und zu einem gewissen Teil auch das Mitgefühl des neuerlichen HALLOWEEN liegen bei diesem großen Ding, dass sich nach Geborgenheit sehnt und dabei alles zerstört. Die allem Anschein tatsächlich in Michael Myers vorhandene Hoffnung, dass er mit seiner von ihm entführten und nunmehr fast erwachsenen Schwester wieder eine vereinte, glückliche Familie haben kann, während sie sich (das Blut und die Toten geben ihr Recht) in der Hand eines Monsters sieht, diese naive Hoffnung also bringt etwas Tragisches, etwas Trauriges in den Horror von HALLOWEEN. Etwas VON MENSCHEN UND MÄUSEN schwingt so in dieser Familiengeschichte mit, die tatsächlich bestrebt zu seien scheint dem Täter ein Gesicht zu geben.
Sonnabend 19.08.
ok +
Die Einstellungen, wo Wissenschaftler symmetrisch aufgeteilt im Raum vor der Kamera stehen und ernst nachdenken (selbstverständlich mindestens einer mit Pfeife im Mund), sind ganz große Trunstwerke.
fantastisch –
Eine universelle Geschichte. Jugendliche werden von ihren Ängsten verfolgt. Freddy, der von den toten Untoten aufersteht, ist dabei die Form dieses adoleszenten Terrors. Er verfolgt und tötet sie gemäß ihren Unsicherheiten und wird schlussendlich überwunden, indem diese Ängste und Unsicherheiten in den Griff bekommen werden. Das Ende, es braucht kaum gesagt werden, ist folglich fragil, da Ängste nie aus der Welt sind und dem Schlitzer immer neuen Boden bieten. Nichts wirklich Aufregendes. Aber das ist im Grunde auch völlig egal. Nur das schnöde Gerüst für ein wildes Phantasmagorium. Hunde, die erdbodenzerreißende Feuerstrahlen pissen, Gesichter, die auf Oliven versetzt von der Pizza schreien, ein Körper, aus dem duzende, ihn fesselnde Arme wachsen, Zeitschleifen und expressive 80er Jahre Karatetrainingsmontagen voller jugendlicher Naivität zu euphorischer Musik … THE DREAM MASTER ist ein Brunnen nicht enden wollender Ekstasen.
Freitag 18.08.
gut +
Zwei Montagen umtriebigen Umsorgens klammern GARÇON ein. In der Ersten wetzt Yves Montand durch ein (scheinbar chronisch) überfülltes Restaurant, nimmt Bestellungen an, verteilt Gerichte, grüßt Stammgäste … sprich: er managt das Chaos. In der Zweiten wetzt er durch unzählige Kinder, hilft ihnen auf die Attraktionen seines Rummels, nimmt Erwachsene ihre Kinder ab, erklärt Regeln … sprich: er managt ein weiteres Chaos. Der alte französische Schauspielcharmeur Montand hat vll in keinem anderen seiner Filme so oft, so liebreizend und herzlich gelacht wie in GARÇON. Dass ein Kollege und Freund ihm während einer Autofahrt anschreien wird, dass er ein Egoist sei und nie an andere denkt, ist irgendwo verwunderlich. Geht er doch im Umsorgen anderer Leute auf, wie uns die Montagen glaubhaft versichern. Mehr als sonst spielt er aber eben auch den traurigen Clown. Denn fürwahr liebt er das Sein als Garçon, der für andere da ist. Aber eben nur weil er nicht allein sein kann. Von seiner Freundin verlassen, lächelt er schon die Nächste an, träumend, dass er geliebt werden könnte. Claude Sautet, der ja tatsächlich in den 60ern mal als Crimeregisseur seine Karriere begann, hat seinen Stil in den 80ern nunmehr völlig reduziert. Bis auf das Paar, welches immer wieder beim Bestellen im Restaurant zu sehen ist und über den Film verteilt die Stadien einer Beziehung durchspielt und welche sich in der Realität von Montands Figur spiegeln, bis auf dies gibt es keine Kinkerlitzchen mehr. Nur das beständige Fließen der Melancholie.
nichtssagend
Wenn DHARMA UND GREG, die Sitcom um die impulsiv geschlossene Ehe zwischen einem Yuppie und einer Hippiefrau, nur aus Sicht von Greg erzählt worden wäre, dann sähe es möglicherweise THE GIRL FROM THE SONG ähnlich. Denn auch hier speist sich der Konflikt aus den Differenzen zwischen einem verklemmten Spießer und einer wilden, ungebundenen Lebefrau. Auch hier sind es die Hürden, welche überwunden werden müssen, die die ungleiche Liebe so wertvoll machen. Und vor allem muss der zugeknöpfte, strebsamer Musikstudent Eric (Lewis Rainer) lernen etwas spontaner und abenteuerlustiger zu sein. Da aber seine Dharma, Jo (Joséphine Berry), nur wenige Lektionen zu lernen hat, ist dies eigentlich kein Liebesfilm (und schon gar keine Komödie). THE GIRL FROM THE SONG ist vielmehr ein Selbstfindungsroadtrip, der die Magie des Burning Man Festivals besingt. Die konsequente Einhaltung der Perspektive von Eric hat aber auch dahingehend etwas Passendes, da dieser Werbefilm für eben dieses Festival kaum etwas Spontanes und Abenteuerlustiges hat. Das stets präsente bunte, laute, exaltierte der Umgebung und des dargestellten Lebens finden zu keinem Zeitpunkt eine Entsprechung in THE GIRL FROM THE SONG. Höchstens Charlie MacGechan als Komplexe verursachender Lebemann hat eine Präsenz, die zum Träumen und zu Neid anregt. Ansonsten gibt es eben komische Vögel nach Schema F und eine Hauptfigur, von welcher der Film die magische Gabe behauptet, dass dieser noch mit den abgelutschtesten Songs Leute sofort zu verzaubern mag. Leider ist dies alles wie aus einer Marketingabteilung entsprungen.
Donnerstag 17.08.
gut
Da haben wir ganz andere Dinge vergessen müssen. Stephan Derrick ist in KEIN SCHÖNER SONNTAG mal wieder nur ein Schattenwesen, das durch seine ständige, untäuschbare Präsenz das schlechte Gewissen und die Nervosität sowie einen Konflikt, hier zwischen Vater und Sohn, anheizt. Fast nach einer halben Stunde taucht er mit seinem Helfer Harry Klein überhaupt das erste Mal auf. Und so bleibt wieder alles anders. Ein Mord gibt es wohl immer bei DERRICK, aber die Wiederkehr des Selben, das Wesen dieser Serie ist dabei sehr flexibel. Mal gibt es Krimi, mal Action, mal Thriller, mal Meditation, mal avantgardistisches Theater des Grauens. KEIN SCHÖNER SONNTAG ist ein Seelendrama zwischen einem Vater und einem Sohn, die beide zusammen durch einen Einbruch die Unterschlagungen des Ersteren vertuschen wollen. Solange es nur um materielle Dinge, zerstörte Firmen und Schicksäle, also abstrakte Dinge geht, handeln sie beide mehr oder weniger im Einklang. Der langgezogene Tod des Nachtwächters, der den Sohn bei der Tat überrascht, im Kampf die Treppe herunterfällt und lebend, aber verendend am Fuß der Treppe liegen bleibt, wird die Verbindung zwischen den Generationen auf die Probe stellen. Während eines Theaterbesuchs, dem Alibi von Vater wie Sohn, sehen wir sie reden … bis die Kamera von ihnen wegschwenkt und wir erkennen, dass wir die ganze Zeit nur ihre Spiegelbilder sahen. Denn bei allem zuerst angenommenem Einklang sind sie Spiegelungen, jeder vom anderen. Während der eine unter dem moralischen Druck des Mordes elendig leidet und zu keiner durchdachten Handlung mehr fähig ist, plötzlich Idealismus und Moral in sich brennen spürt, da versucht der andere lediglich sein Fell zu retten. Und dann fällt der einführende Satz von oben. Da haben wir ganz andere Dinge vergessen müssen. Es ist der Moment, wo das zweidimensionale Geschehen plötzlich fies wird und auf eine mit sich kämpfende deutsche Realität verweist. Aber das ist dann auch zu viel für den Sohn, der kurz darauf zusammenbricht und das Drama, gerade als es angefeuert wurde, verlässt. KEIN SCHÖNER SONNTAG ist vll nicht die aufregendste, schönste oder entrückteste DERRICKfolge, aber in einem Satz und dessen Folgen liegt in dieser fast das gesamte Drama der BRD in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch nicht schlecht.
Mittwoch 16.08.
fantastisch –
Es gibt diese Aufkleber auf DVDs mit der Aufschrift Was Frauen schauen. Selbstverständlich ist er in verschiedenen Tönen von Rosa gehalten. Ob dieses seltsame Vehikel sich bestätigender Klischees auch auf ELLE landen wird, darf bezweifelt werden. Dabei handelt es sich bei ihr durchaus um einen Frauenfilm. Die Hauptfigur ist eine Frau, die Geschichte hat den deutlichen Hang zu einer Seifenoper, einem oft als Hauptgeläuf von weiblichem Bedürfnissen wahrgenommen Genre, und der Subtext zeigt, ohne dies als Agenda vor sich her zu tragen, dass Frauen mitnichten das schwache Geschlecht sind. Aber es ist eben auch ein Film von Paul Verhoeven. Und an solchen ist nichts rosarot. Schon alleine: ELLE handelt von einer Vergewaltigung und startet ganz unmittelbar damit. Da ist es mit rosa Stickern dann auch schon vorbei. Den einfachen Zuschreibungen entwindet sich der Versuch Michèle Leblancs (Isabelle Huppert) mit dieser traumatisierenden Erfahrung umzugehen dann aber über die ganze Laufzeit. Lakonisch schreitet er voran, wie seine Hauptfigur, und baut mehr und immer mehr auf. Familiengeheimnisse, träge bis abgründige erotische Verhältnisse, der Machtkampf in Michèles Computerspielfirma, das absurde Verhalten von Greisen und erwachsenen Kindern. Mal sehen wir eine schwarze Komödie, mal einen Thriller und mal ein garstiges Seelendrama, es geht darum sich nicht zum Opfer machen zu lassen, um Schuld und Lust. Mal weht ein Sturm sinnlich und schlägt mit Fensterläden, mal leuchtet ein feuriges Rot in einem Keller, aber ansonsten beobachtet ELLE das Geschehen neugierig, erstaunt aber distanziert – wie die Katze welche den Film eröffnet und vor der Vergewaltigung sitzt. Die Scopebilder zeigen meist riesige Wohnungen, in denen die Leute verloren wirken. Der Schnitt ist schnell, ohne hektisch zu sein, und lässt das Geschehen voranpreschen. Und so baut es sich auf, bis eben kein Platz mehr ist für Abziehbilder von Menschen, für einfache Gefühle und Ideen.
Dienstag 15.08.
großartig
Jeder will mit Asia schlafen. Ein Umstand an dem jeder zerbrechen würde. Auch die Kamera bohrt sich in sie und ihr Gesicht, umkreist ihren Körper, wackelt mit ihr durch eine schmierige Welt. Ein Chaos, das mehr von Abel Ferrara (mit dem sie zuvor NEW ROSE HOTEL drehte) beeinflusst ist, als von ihrem Vater. Kino der Unordnung, Kino der Gefühle, Kino der Auflösung.
Sonntag 13.08.
gut –
Wenn die Dream Warriors sich das erste Mal gemeinsam in einem Traum zusammenfinden und sich und ihre Fähigkeiten in der Realität des Schlafes vorstellen, dann hat der dritte Teil der NIGHTMARE ON ELM STREET-Reihe eine gewisse Ähnlichkeit zur MR. T Zeichentrickserie oder CAPTAIN PLANET. Im Traum bin ich wunderschön [Messer klappen in ihren Händen auf, sie lächelt herzallerliebst (zumindest in meiner Erinnerung)] und böse. Eine Gruppe von Jugendlichen kommt zusammen, um mit ihrem Können gegen das wirklich Böse, das Teuflische zu kämpfen. Dieses ist in diesem Fall, klar, Freddy Krueger (buchstäblich der Sohn von 1000 wahnsinnigen Vergewaltigern), der wieder in den Träumen tötet und niemanden schlafen lässt. Und Medizin und Wissenschaft arbeiten ihm wie die Eltern in die Hände, weil sie die Jugend nicht ernst nimmt. Das beste Mittel dagegen ist leider Weihwasser … gar nicht mal, weil es eine ideologische Lösung ist, sondern weil die vll gruseligste Potentialität nicht genutzt wird. Nämlich eine unmittelbar auftauchende und verschwindende Nonne, hinter deren Reinheit gegen jede dramaturgische Vernunft wirklich nichts Abgründiges wartet.
Sonnabend 12.08.
radioaktiv –
Das Herz von RUN AND KILL ist schwarz, tief schwarz. Zu Beginn eine Montage über einen Mann, Fatty genannt, die in schönster Werbemanier uns einen liebevollen und lebenslustigen Vater wie kompetenten und beliebten Mitarbeiter näherbringt. Danach beginnen die lawinenartigen Tiefschläge in seinem Leben, die sich fragen zu scheinen, wann, ja wann dieser nette Typ endlich zornig wird und sich wehrt. Die Antwort ist: spät, sehr, sehr spät. Zu diesem Zeitpunkt hat er schon erkannt, dass seine Frau ihn betrügt, sie ist umgebracht worden, nach einer ersten ist noch eine zweite Gangsterbande hinter ihm her, seine Existenz zerstört uswusf. Was vergnüglich beginnt wird mit jeder Wendung melodramatischer und düsterer. Nicht das RUN AND KILL sich dadurch seine amüsierte Leichtigkeit verderben lassen würde. Noch der heftigste, kaum verdauliche Tiefschlag durch das Schicksal an dieser passiven Ausgeburt der Güte wird im Gusto eines Witzes erzählt, eines schwarzen, schwarzen Witzes. Mit dabei ist Simon Yam, der einen Emogangster spielt, der durch Kriegstraumata so zerstört ist, dass er nur noch aus Gefühlen besteht und dem ein Nervenzusammenbruch bzw der ausbrechende Wahnsinn jede Sekunde aus den Augen leuchtet. Und so wie Yam mit Herzblut sein Overacting zu neuen Stufen emporhebt, so gräbt sich RUN AND KILL immer tiefer ins Unmenschliche … und hat einen exorbitanten Frohmut dabei.
*****
Die DVD hat mir übrigens Jenny J. aus Hongkong als Souvenier mitgebracht. Ich empfehle ihre geschmackssicheren Auswahlkünste hiermit ausdrücklich weiter.
verstrahlt –
Vor kurzem hat Lotti Z. (1 1/2 Jahre) einen Strauch voller Blüten in diversen Farben entdeckt. Da es so schön war, griff sie zu und nahm sich eine davon … riss sie vom Busch und tötete sie damit. Tatsächlich wollte sie die Blüte auch wieder zurück hängen, aber das funktionierte nicht mehr. Sie hatte nunmehr eine Blüte, mit der sie gar nichts anzufangen wusste. Sie wollte sie nur für sich haben, nur ihre Schönheit festhalten. Ein schwieriges Ding voller Unwägbarkeiten ist es, etwas Schönem zu begegnen. Der Mord in THE ORCHARD END MURDER erzählt von etwas Ähnlichem. Ein großer, tumber Mann trifft eine schöne Frau und will sie haben. Sie wehrt sich, aber er will sie eben für sich. Nicht sie als Ganzes, sondern nur ihre Schönheit … und weil er nicht weiß wie, das gehen soll, versucht er sie zu vergewaltigen. Sie wird den Kampf nicht überleben, da sie kein Ding sein möchte und er ihre Subjektivität, ihre Existenz als Lebewesen über ihre Aura hinaus nicht wahrnehmen (will). So verendet sie in einem Berg weggeworfener Äpfel, gepflückter Früchte, in denen sie vergraben wird. Bizarrer Weise sieht THE ORCHARD END MURDER an dieser Stelle am schönsten aus … wobei diese Feststellung schwer von den Lippen kommt. Die Attraktivität der Bilder eines Körpers (und wie er aus dem nicht mehr ladentauglichen Obst ragt) steht eben im krassen Gegensatz zu dessen brutalem Inhalt. Dabei ist es vll der einzige Moment, wo poetisch unter die Oberfläche gedrungen wird. Ansonsten wird sich offensichtlichen wie lyrischen Erklärungen verwehrt. Es gibt nur Andeutungen oder Feststellungen, denen sich geradezu notorisch nicht angenähert wird. Die Nekromantik mit Diner und Blumen für die im Schuppen hingesetzten Leiche. Die wohl homosexuelle Beziehung des Mörders zu seinem Lebensgefährten, der voll Eifersucht auf die Leiche reagiert. Das Unbehagen ob des onkelhaft umsorgenden Patronisierens des buckligen Lebensgefährten, der Fremde mit schon vorformulierten Floskeln in sein von Gartenzwergen umringtes Haus zum Tee lädt. Unausgesprochen das sich aufdrängelnde Wozu. Das Unvermittelte des bestialischen Todes eines Hasen, womit die Teestunde beendet wird. All dies liegt wie Raureif auf einer ansonsten reglos dokumentierten Handlung. Die Schönheit von THE ORCHARD END MURDER, unbehaglich wie märchenhaft, liegt darin, dass seine zu erahnenden Abgründe fast gänzlich so behandelt werden, als wäre da alles normal und nichts zu beachten.
fantastisch –
In den Boni der blu-ray erzählen Robert Englund und andere, dass der zweite Teil sich von den Prämissen des ersten Teils zu sehr entfernt habe … weil Freddy Krueger die Träume verlassen und in die Realität vordringen möchte. Das ist eine mögliche Perspektive. Wahr ist aber genauso, dass er den ersten Teil nimmt und noch verdichtet … anhand des Themas der sexuellen Identität des Hauptdarstellers. Denn auch hier muss sich jemand in seiner Jugend entscheiden, wer er ist, und wird dabei von seinen Alpträumen verfolgt. Freddy Krueger ist dabei die Form, welche die internalisierte Homophobie annimmt, die in Jesse (Mark Patton) tobt. Krueger möchte in ihn eindringen und Gewalt über ihn bekommen. Und bezeichnenderweise schafft er es immer ihn in Besitz zu nehmen, wenn Jesse sich in höchster Erregung befindet. Wenn Jesse mit dem Sportlehrer unter der Dusche ist (nach dem Besuch in einer Lederbar), wenn er bei einem Freund übernachtet, deren Streits es ordentlich zwischen ihnen knistern lässt. Er tötet, weil der Sex nicht sein kann, obwohl die homosexuelle Erotik in Wort und Bild wahrlich kein Subtext mehr ist. Aber die sexuelle Annäherung an seine Vertraute, seine heterosexuelle Möglichkeit von Normalität stürzt Jesse ebenso in eine Krise. Die nackten Brüste vor ihm und der Zwang etwas leisten zu müssen, was er nicht kann, führt zu einem Amoklauf, bei dem wahllos Männer getötet werden. FREDDY’S REVENGE schwitzt dabei aus vollen Poren. Jesses Familie schwitzt, das Haus schwitzt, Jesse schwitzt, eine ganze Party schwitzt. Nur das Gefühl der heiligen, heterosexuellen Liebe, eine Lebenslüge, kann das Verlangen nach Männern besänftigen und die Situation abkühlen … kurzzeitig. Das Freddy Krueger in die Realität möchte, vll ist es nichts Anderes als ein Coming Out. Jack Sholder meint ebenso in den Boni, dass er nun, da er den Film erneut gesehen hat, diese Sichtweise auch erkennt. Damals war ihm dies ebenso wie den Studiobossen, den anderen Beteiligten und vielen Zuschauern wohl nicht aufgefallen. Und das ist vll das Groteskeste, Wunderbarste an diesem grotesken Fest der Unglaublichkeiten.
Freitag 11.08.
großartig
Die Kinder zahlen für die Sünden ihrer Eltern. A NIGHTMARE ON ELM STREET ist möglicherweise ein sehr wirksames Heilmittel für einen Kinderwunsch. Denn die Jugendlichen sterben zwar durch den Alptraumschlitzer Freddy Krueger, doch erst das Misstrauen, der Alkohol, die Promiskuität der Eltern macht sie zu seinem Zielen. Johnny Depp, dessen Eltern nicht auftauchen und später mit seiner liebreizenden und verständnisvollen Mutter eingeführt werden, kann deshalb fast den gesamten Film ohne Schlafprobleme zubringen. Jugend bzw Coming of Age ist aber genau dann, wenn die Eltern fehlen (also an einem nagende Fehler machen oder nicht da sind) ein Alptraum. Das Unterbewusste, die Gene, die Erziehung, also das von den Eltern mitgegebene rumort in den Jugendlichen bis es dann seinen Platz in der Welt verlangt. So sind es Träume, surreale Orte, welche A NIGHTMARE ON ELM STREET lange bestimmen und dessen Horror bilden. Relativ zeitig tauchen sie aber schlicht nicht mehr auf. Je härter der Kampf tobt, je weniger er auf den schangeligen, wackeligen Orten im Schlaf ausgetragen wird, desto irrealer, desto brutaler wird die Realität, die immer mehr die Solidität eines Traums hat. Ein Teil der Jugend, wenn wir herausarbeiten, wer wir sind, und die Eltern dabei einen zwangsläufigen Bezugspunkt bilden (oft zumindest) in A NIGHTMARE ON ELM STREET ist es die Vision aufgeschlitzt und bis in die Träume verfolgt zu werden. Und in Freddy Krueger, einem verbrannten Überrest in einem, der seinen gräulichen Höhepunkt immer dann erreicht, wenn er vor den Augen der Opfer anfängt sich lustvoll selbst aufzuschlitzen (er hackt sich Finger ab oder schneidet seine Brust auf, aus der Maden und Eiter quellen), in seiner Mischung aus Drohung und Autoaggression seinen ikonischen Ausdruck findet.
Donnerstag 10.08.
gut –
Dass das Blut aus dem Opfer herauslief wie aus Farbeimern, wie ein Polizist gegenüber Derrick erzählt, oder die diversen Plansequenzen, mit denen Weidemann die Folge aufbaut, es gibt einige schöne Momente in KALKUTTA. An einem Tag, wo ich über das chronologische oder nicht chronologische Schauen von DERRICK diskutierte und mein Vorgehen mit dem überall zu erwartenden Irrwitz begründete, war die Folge aber etwas sehr business as usual.
Mittwoch 09.08.
großartig
Zwischendrin eine Szene, welche den Folterporno markant Richtung Porno verschiebt. Eine nackte Frau hängt von der Decke über einem Raum mit Satinkissen, Kerzen und einer anderen nackten Frau. Haben die Folterkeller in HOSTEL sonst eher einen siffigen Kellercharakter, so liegt die Atmosphäre hier zwischen Himmelbett und Tempel, zwischen Sex und Zeremonie. Der Körper der einen Frau wird dabei langsam mit einer Sense von der anderen abgefahren. Auf diese Liebkosungen, die sich an Macht und Angst ergötzen, folgen die immer tieferen Schnitte. Das Blut platscht schlussendlich immer dichter auf die unten Liegende. Diese roten Cumshots der etwas beklemmenden Art versetzen die Getroffene in Ekstase. Der Horror perverser Lust. Das Klinische der anderen feuchten, schimmligen Folterräume fehlt zudem. In vielerlei Hinsicht ist es markant, dass hier eine Frau als hemmungslose Sadistin genutzt wurde. Aber es ist die Verschiebung des zweiten Teils zum ersten, die sich darin am besten ausdrückt. Es wird sicherlich der gleichen Grundstruktur gefolgt – was so weit geht, dass beim Betreten der Hostellobby tatsächlich wieder PULP FICTION mit slowakischer Synchro im Fernsehen läuft – nur das nun eben Frauen als Rucksacktouristen in die Slowakei kommen. Innerhalb der Struktur wird der Fokus aber Richtung Folterer verschoben. HOSTEL 2 bleibt diesmal nicht in der paranoiden Angst stehen, sondern nimmt sich auch der Phantasie der Täter an … wie eben in der Sensenszene. Da es nun Frauen und Männer, Opfer und Täter gibt wird HOSTEL 2 ein Kaleidoskop von (klischeehaften) Geschlechterverhältnissen und -zuschreibungen. Es gibt die biederen Foltermänner, die daheim unterm Pantoffel stehen und nun nach Rache am weiblichen Geschlecht gieren. Großklappen, deren Phantasie nicht für die Tat ausreicht und eben Frauen, die in ihren sexuellen Gewaltträumen aufgehen. HOSTEL 2 wird damit der mit Abstand schönere, weil phantasievollere der beiden Filme. Und der reichhaltigere, weil er auch noch die Figuren an ihren monetären Verhältnissen in zwei Lager aufteilt und damit noch eine Dimension aufmacht, an der er ihre gegenseitigen Machtverhältnisse brechen und neu verteilen kann.
Montag 07.08.
fantastisch –
Eine mögliche Taktik beim Flirten ist es die eigenen Wünsche ungefiltert und unverpackt zu kommunizieren … in der Hoffnung es wirke kokett oder selbstironisch. THE WICKED LADY flirtet so mit einem, nur ist da keine Selbstironie, sondern nur schlichtes Unverständnis für Umwege, Etikett und geduldvollen Spannungsaufbau. Das Geschehen ist direkt und hastet so voran, dass die Flanken dieser Hatz, die sich genüsslich an uns pressen, schweißnass sind. Schon nach einer halben Stunde ist eine Verlobung zerstört, eine geschlossene Ehe zur Posse aufgeblüht und in einem undenkbaren Haken der Geschichte eine edle Dame zur Wegelagerin geworden, Leute haben sich geopfert, sind ihren Trieben blind gefolgt, haben die Bitterkeit der Unpünktlichkeit der Liebe geschmeckt, Gift und Galle unter dem Deckmantel der Höflichkeit verspritzt und neue Nervenkitzel entdeckt. Als ließe sich keinen Staudamm für die sich überschlagenden Gefühle finden, strömt die Leidenschaft aus den Bildern, Dialogen und Handlungen. Im Inneren ist ein Konflikt zwischen Anstand, Genügsamkeit und Aufrichtigkeit auf der einen Seite und Taumel, Perversion und Erregung auf der anderen anzutreffen. Hier eine häusliche Farce um Nähen, das Ordnen eines Haushalts und zu seinen Peinigern freundlich sein. Bevölkert von eitlen, bibelzitierenden Fuzzis und Jungfernzwillingen, die zwar vergreist, aber durch die fehlende Leidenschaft im Leben auf einem frühpubertären Niveau stehen geblieben sind. Dort eine intrigante, unbändige Frau, deren Gefühle sie innerlich in Brand gesteckt haben. Eine Frau, die sich nimmt, was sie will, und die immer mehr, immer erregenderen Nervenkitzel schmecken möchte. Und THE WICKED LADY schwappt zwischen den albernen Verstrahlungen des Verzichts und der sich auf einen riesigen Scheiterhaufen zubewegenden Ekstase hin und her. Keine der Seite sekundierend, aber beide in unmittelbarer Direktheit zu Wort kommen lassend, dass jeder seine (fehlenden) Untiefen vor uns ausbreiten kann. Zurück bleiben leblose Zombies des Glücks und eine Frau, von der die Kamera während des Klimax‘ zurückfährt und sie so in einen immer leereren Raum sperrt, d.i. sie in völliger Isolation in die selbstgebaute Hölle schickt.
Sonntag 06.08.
ok
Als Ryan Goslings Figur das erste Mal ins Bild kommt sitzt er in einem Stau fest. Doch mehr als die Blechlawine um ihn, scheint er von der Kassette in seinem Autoradio eingenommen. Zwanghaft hört er sich den Beginn eines Jazzstückes an. Drückt Play. Lässt wenige Sekunden laufen. Spult zurück. Und wieder von Anfang. Wenig später kommt eine ähnliche Szene, wo Gosling am Klavier sitzt und den Anfang des Stückes, welches von dem Plattenspieler neben ihn startet, übt und übt. Es ist der Hauch der zwanghaften Perfektion, der von WHIPLASH hinüber zu wehen scheint, aber danach für die Figur keine Rolle mehr spielt. Als ernsthafter Musiker, wie Goslings Figur sich auch selber bezeichnet, ist er so eingeführt. Der Ernst hat bei Chazelle etwas Zwanghaftes, was auch in LA LA LAND wieder nachwirkt. Denn Chazelle meint es ernst mit seiner Kunst wie seiner Unterhaltung … was LA LA LAND zu einem sehr aufgeräumten Film macht.
großartig –
Nach diesem besten Hitchcockfilm, den Hitchcock nie gedreht hat, haben eine Zeit lang Orangen jedes Mal ihre Unschuld für mich verloren.
Sonnabend 05.08.
großartig +
Wenn ich mir vorstelle, dass ich für Wochen aufhöre zu duschen, im Sommer wohlgemerkt, dass ich mich mehrmals mit Schnaps übergieße, dass ich die Schweißflecke unter meinen Achseln, braungelbe Heiligenscheine des Gehenlassens, voller Selbsthass trage, dass ich nur mehr per Grunzlauten kommuniziere und dass ich jede Hoffnung fahren lasse, dann fühlte ich mich wahrscheinlich ansatzweiße so dreckig wie SORCERER.
großartig –
Jaume Collet-Serra macht aus der Trauerarbeit einer Medizinstudentin einen Suspenseduschdaswerbespot, in dem ein Hai wie ein Krebs einen Ort völligen Wohlbefindens terrorisiert. Heimlicher Held und Händchenhalter vom Dienst: Steven Seagull.
großartig –
Die zweischneidige Paranoia eines Sextouristen bildet HOSTEL ab. Die Slowakei ist darin ein Hort der Verschwörungen, wo sich jeder gegen die Ausländer verbunden hat. Diese werden mit Sex, Drogen und einem kostengünstigen wie lockeren Leben in den Ruinen einer wohl mal blühenden Kultur geködert, um dann entführt, verkauft und gefoltert zu werden. Besonders US-Amerikaner, so sagt uns eine Preisliste, sind als Ziel gefragt. Die Angst der Elite vor dem Pöbel spielt also auch mit. Verkauft werden sie an Torture-Porn-Touristen aus aller Welt. Leute, die in einem solchen moralisch heruntergekommenen Land für Geld das bekommen, was ihre überbefriedigten Sinne noch juckt. Sie sind die Fratze der Entführten selbst, ihre Zukunft, wenn sie ihren Lustbetrieb nicht unter Kontrolle halten. Besonders schön an HOSTEL ist, dass er wie eine Highschoolausflugskomödie aussieht, womit er ein ganzes Genre pervertiert. Nicht so schön ist das Ende, bei dem die Zweischneidigkeit nur noch am Rande in einem einfachen Akt der Rache erhalten bleibt. Das von Roth eigentlich intendierte, wäre das viel bessere gewesen.
Freitag 04.08.
großartig +
Am Ende hat ein Lehrer das kleine Dorf zu einem besseren Ort gemacht. Fische werden wieder in den Fluss ausgesetzt und einer der illegalen Fischer, der mit einer elektrischen Angel die Fische tötete und damit nicht nur die Natur schädigte, sondern auch seinen Sohn zum Gespött in dessen Klasse machte, hilft bei der staatlich geförderten Aktion. Es gibt eine Dorfversammlung, Reden und sogar eine Medaille. Die filmische Darstellung Taiwans in den 80ern fühlte sich für mich sehr vertraut an. Gäbe es nicht die offensichtlichen Unterschiede, es hätte auch ein Film aus der DDR sein können. Innerhalb der staatlichen Fesseln gibt Hou Hsiao-Hsien aber den eleganten Biedermeier. Er gibt sich ganz dem nostalgischen Wiederschein von Kindheitserinnerung hin. THE GREEN, GREEN GRASS FROM HOME will weder ein Clown sein, um die Kleinen bei der Stange zu halten, noch gibt es große Pädagogik. Im sonnigen Licht und den tiefen Bildkompositionen von einem Sommer an einer Dorfschule findet sich ein selten alberner, meist eher glücklicher Beobachter von einer Welt, wo die Kleinigkeiten noch Besonders sind, wo noch kein Alltag die Wahrnehmung abgeschabt und verengt hat. Fast wie bei den Filmen von Helmut Dziuba gibt es einen Hauch von Nichts, der doch alles sein kann.
Donnerstag 03.08.
gut +
Hätte ein Soundtrack von Godspeed You! Black Emperor nicht vielleicht besser gepasst? Das Zusammenziehen und Ausdehnen, das Verdichten und Auseinanderlaufen. Die Dynamik der drei aufeinander zulaufenden Bewegungen einer Flucht würde zu den wellenartig sich aufbauenden, plötzlich lospreschenden und wieder abebbenden Songs des Kollektivs passen.
Eingekesselt von den Deutschen, die hinter den Dünnen von Dunkerque lauern und jeden Moment die wartende britische Armee auslöschen können, warten die Soldaten wie auf einer Schlachtbank, nicht wissend, wann der Schlächter letztendlich zuschlägt. DUNKIRK verfolgt die Versuche eines Mannes diese Mausfalle zu verlassen. Die sich aufbauende Hoffnung und die naturgewaltige Niederschlagung derselben, das ewige Warten, Planen und doch nicht Vorankommen dieses Einzelnen wird exemplarisch für eine riesige, kollektive Katastrophe. Zwei britische Flieger versuchen unterdessen den Ärmelkanal für die Flucht frei zu halten. In konstanter Bewegung gefangen bleibt ihnen keine Zeit für lange Kontemplation, für Dynamik. Langsam schweben sie in rasender Geschwindigkeit auf ihr Ziel zu, der Aufopferung für die Vielen. Und unter ihnen der kleine Mann. Die vielen privaten Boote (auch hier eines für viele), die für das Wunder von Dunkerque nach Frankreich schippern um ihre Söhne, Brüder und Landmänner nach Hause zu holen. In ihnen liegt der Keim, der aus der Niederlage den Erfolg macht. Die, die zu Hause sitzen könnten, begeben sich in den Krieg, weil es sonst bald nichts mehr geben könnte, für was gekämpft werden kann. Die Zähigkeit und Aufrichtigkeit, die die Kriegspropaganda den Klauen der Niederlage entreißt, sie wird am Ende die Hoffnung zurückbringen.
Es sind drei Bewegungen, drei Komplexe, die DUNKIRK umeinander kreisen lässt, ineinander verflechtet und zu einer Bewegung macht … von der Dunkelheit zum Morgengrauen. Das am Ende der Pathos wartet ist zwangsläufig … denn dort wartet We shall fight on the beaches, eine von Churchills größten Reden. Es ist aber auch ein wenig schade, weil DUNKIRK gerade in seiner Kinetik am stärksten und emotionalsten ist. Wenn er einfach fließt, verknüpft und schlicht geschieht … wenn er einen Überlebenskampf dokumentiert, statt sich großen Gesten zu verschreiben.
Und zu all dem dann die Musik von Hans Zimmer. Ein wiederkehrendes Motiv ist Perkussion, die an Ticken gewahrt … an die Unerbärmlichkeit der Zeit, an die Dringlichkeit, daran, dass diese Flucht endlich gelingen muss, weil die Zeit (wahrscheinlich) abläuft. Und vll ist diese Musik doch besser. Ihre mechanische Qualität passt zu der Mechanik des Films. … eine Mechanik wie bei einem feinen Uhrwerk, aber eben doch Stahl mit sich führend. Oder eben wie es Lukas F. hier schreibt, eben etwas feldherrliches hat. Mit Godspeed You Black Emperor! hätte die Organik unterstrichen werden können, aber das wäre vll dann doch Fehl am Platz gewesen.
großartig –
Unter Alfred Vohrers neuerlicher Regie muss sich unser kafkaesk herablassender Gesetzeshüter durch einen staubigen Poliziottesco kämpfen. Der Selbstschutz der skrupellosen bis wischiwaschi agierenden Verbrecher führt dabei zu griechischen Schicksalsschlägen, während Derrick, ganz Adrenalinwutbürger, Harry wegschickt, bevor er im Alleingang eine Autoschieberbande hochnimmt. Die Münchner Großstadt ist nun letztendlich völlig in einem Widerkampf aufgegangen. Auf der einen Seite eine triste soziale Realität von Perspektivlosigkeit, die von den Versprechen des schnellen Geldes korrumpiert wird, und auf der anderen Derrick. Der Einzelkämpfer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat – scheinbar weil er keinen anderen dazu befähigt sieht – den Sumpf trocken zu legen, der sich in den Ecken und Kanten der Gesellschaft sammelt und das Leben klamm werden lässt. Gerade letzteres kulminiert in der besten Szene der Folge. Beim ersten Verhör eines, wie er beteuert, ehemaligen Autoschieberbarons springen, eben während der Beteuerungen von sittlicher Legalität, zwei Gestalten aus dem Kleiderschrank direkt vor dem Oberinspektor. Und Derrick, der sicherlich sofort ahnt, dass dies die Täter vor ihm sind, nimmt es lakonisch hin, dass der Geheimgang in die Unterwelt vor ihm offenbart wurde. Dass er von Möchtegern mabusischen Doktoren umgeben ist, hatte er schon vorher gewusst.
Mittwoch 02.08.
uff +
Wenn diese biedere Seelenklempnerei (ein Zyniker und Egomane lernt genügsam und nett zu seinen Mitmenschen zu sein, auf das er glücklich wird) wenigstens durchgängig witzig wäre…
Dienstag 01.08.
großartig –
Eine Party. Im Zentrum des Bildes steht ein Mann. Doch die Schultern und Körper der ihn umgebenden Gäste … oder vielmehr der Gäste zu denen er sich gestellt hat … sie stehen wie eine Mauer vor ihm. Er ist offensichtlich nur Zaungast ihrer Unterhaltung. Später wird er mit Kindern Fußball spielen, mit ihnen ausgelassen toben und unter ihnen begraben werden. Doch über die euphorischen Bilder eines unschuldigen Glücks erzählen Stimmen im Off, dass er ein Lügner und Betrüger sei. Einer von dem damals, zur Zeit der Bilder, noch keine Gefahr auszugehen schien. Nun scheint sie aber offensichtlich zu sein. Ansonsten wird auch viel über ihn debattiert und eine abschließende Meinung über ihn gesucht, während die Redenden laufen und von einer Kamera in langen Einstellungen verfolgt werden. Keinen Stillstand findend. Zudem hören wir immer wieder die Gedanken von Leuten, während ihre Köpfe, ihre Körper irgendwo anders ihre Zeit absitzen oder gerade außerhalb ihrer Selbst nicht das kommunizieren, was in ihnen vorgeht. In THE HALLELUJAH HANDSHAKE findet das Gezeigte selten zu einer Einheit, zu einer Identität mit sich selbst. Entweder befindet sich der Inhalt auf einer Suche oder es wird ein vehementes Innen und Außen kommuniziert, ein er und wir.
Henry Jones, so heißt der Mann tatsächlich nicht, so nennt er sich aber in einer methodistischen Gemeinde, wo er kurzzeitig unterkommt, ist ein Lügner. Oder wenn wir es nicht negativ aufhängen wollen, dann ist er ein Phantast. Er erzählt jedenfalls anscheinend ausschließlich und vor allem offensichtlich Ausgedachtes. Er baut sich seine eigene Welt auf, wo er alles kann und alle ihn mögen (für das, was er gar nicht ist). Das finden alle eigentlich ganz knuffig, denn sehr offensichtlich möchte er niemanden etwas Böses. Er lebt lediglich in seiner eigenen Welt und möchte Kontakt zu Menschen und ihre Anerkennung. Nur sein wirkliches Ich möchte er ihnen nicht offenbaren. Sein wirkliches Ich, was immer das ist, seine Gegenüber suchen es jedoch beständig. Wenn er dann irgendwann zu viel Zeit mit den Kindern der Gemeinde verbringt, zu lange bei den Leuten zu Hause bleibt und seine Lügennetze ohne Scham und Realitätssinn spinnt und wenn er schlicht keinen Sinn für weltliche Dinge beweist, also beispielsweise Dinge, die ihm nicht gehören, an Bedürftige gibt, dann hört der Spaß zunehmend auf. Ein bisschen ist es dann, wie bei den Kindesmissbrauchsverdächtigungen gegenüber Michael Jackson. Der Narrativ über den Sänger, der keine Kindheit hatte und deshalb seine Zeit mit Kindern verbringt, um diese nachzuholen, klingt glaubhaft. Die Zweifel verschwinden dadurch aber nicht.
Während THE HALLELUJAH HANDSHAKE so jegliches Henry Jones Betreffende zum Ding von Spekulationen macht – ob er schwul ist, asexuell, hetero oder ein Päderast, ob er eine Gefahr ist oder die Unschuld vom Lande – so zeichnet es aber, wie nebenbei, ein galliges Bild christlicher Nächstenliebe. Stets scheint Mr. Jones christliche Gemeinden aufzusuchen. Doch (auch/selbst) hier kommen die Dünkel, Distanzierung und höchstens bigotte Versuche, die Maske der Nächstenliebe nicht fallen zu lassen, schnell ans Licht. Zum Höhepunkt des Ganzen wird ein Priester gar den freigiebigen Jesus Jones vor einem Gericht durch Nichtaussage leugnen … wie Petrus. Menschliche Gemeinschaften, an diesem Träumer und Außenseiter gespiegelt sehen sie elendig aus.
Juli
Montag 31.07.
großartig +
Wahrlich, ein Film von Jean Rollin aus dem Jahr 1995 sieht wirklich so aus, als ob er in dem Jahrzehnt zwischen MANTA, MANTA und SCHULE entstanden ist. Seine Entstehungszeit steckt ihm tief in den Knochen … wie es in den 70er und 80er Jahren ja auch nicht anders war. Aber bis zur Seele drang die Zeit hier wie da nicht vor. Auch TWO ORPHAN VAMPIRES, ein eigenartiger Film über Außenseitertum und Eigenartigsein, ist wie aus der Zeit gefallen. Eine Botschaft aus dem Totenreich. Ein fröhlicher Brief von jemand mit suizidalen Tendenzen, von einer von der Zeit Überrannten … von der Unvergänglichkeit träumend.
Sonntag 30.07.
verstrahlt –
Ein Junge trägt Milch aus. Die Anzahl der Flaschen, die er an den unterschiedlichen Orten abstellt, scheint einer leicht surrealen Regel unterworfen. Und dann kommen Wasserspeier und andere Geister aus den Gemäuern einer Kirche, die ihn verfolgen, während er Kasten um Kasten ablädt. Der Name, SEAN CONNERY’S EDINBURGH, legt nahe, dass wir von Connery durch seine Heimatstadt geführt werden. Während der Fahrt des Jungen habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass er irgendwann im Bild auftaucht und beginnt zu erzählen. Aber er kam und kam nicht. Und gerade als ich mich mit der Vorstellung eines Films über Milchaustragen anfreundete, da stand er plötzlich da und meint, dass es ihm so als Junge so erging. Voller Stolz erzählt er dann von seinem Athen des Nordens und von deren kulturellen, historischen, sportlichen und wissenschaftlichen Höhepunkten und Eigenartigkeiten. Er haucht die letzten Silben seines Textes, er spricht United Kingdom aus, als ob Charles II mit diesem Begriff die Schotten verhöhnen wollte, und er taucht aus Fenstern auf, fliegt mit Hubschraubern in Schuluniform davon, als er erwähnt, dass er mit 13 die Schule abbrach. In die Impressionen von Edinburgh dringt Connery immer wieder unvermittelt ein und erzählt Anekdoten … oder er erzählt Anekdoten und verschwindet dann aus diesen, als ob er auf geheimer Mission aufbricht. Kurz, SEAN CONNERY’S EDINBURGH ist ein halbstündiger Imagefilm für eine Stadt, der am Rande zur Parodie gebaut ist, da die Liebe zu den Eigenarten und Erinnerungen jede seriöse Erzählung über diese Stadt überlagert.
gut
Der Unterschied zwischen Buch und Film ist wohl bei den Gefühlen am eklatantesten. Schon das erste Kapitel von Zolas Roman ist dessen Dramaturgieverständnis in der Nussschale. Eine ruhige, alltägliche Szene braucht nur einen Stein des Anstoßes und endet in Raserei, Gewalt, einer Vergewaltigung und einem Mordplan. Die Leute mit ihren obsessiven Gefühlen stehen bei ihm meist schon am Abgrund … egal wie ruhig sie gerade wirken. Wie Feuer jagen die Empfindungen in ihnen. So knapp unter der Oberfläche lodern sie, dass sie irgendwann zwangsläufig herausbrechen. Bei Renoir sind die Gemüter viel ruhiger. Aber wohl weil sie abgeschabt und müde sind. Alles ist viel profaner. Wie die Menschen reden, wie sie handeln. Wenn einer dem Leben überdrüssig ist, dann würde er bei Zola entweder die Welt in Brand stecken oder sich in einem Sturm der Gefühle zerreißen (lassen). Hier, bei Renoir, springt derjenige eben vom Zug und Schluss ist. Was soll alles andere auch noch. Am augenscheinlichsten ist dies in der Beziehung zwischen Lantier und seiner Lokomotive, der Lison. Im Buch streichelt er sie, wartet sie voller Zärtlichkeit und befindet sich mit ihr im Gleichklang. Im Film spricht Lantier (Jean Gabin) immer wieder von der großen Liebe zu seiner Lok. Sein Verhalten ihr gegenüber stellt sich aber nur durch Zetern über zerstörte Lager oder durch eine wenig lustvolle Kontrolle der Funktionstüchtigkeit durch lieblose Hammerschläge dar. Hier die romantische Liebe, da die Ehe, die alle Leidenschaft erstickt hat. LA BÊTE HUMAINE, einmal in einem Naturalismus, der den ganzen Regenbogen menschlichen Fühlens aufspannt und sich im Dreck des Seins genüsslich wie kunstfertig wälzt, und einmal in einem Naturalismus, der sich als Zeuge eines alltäglichen Gefängnisses versteht.
Sonnabend 29.07.
großartig
Am Ende steht ein Stück Propaganda. Die sich überlappenden Bilder lachender Menschen scheinen die Botschaft mit sich zu tragen, dass das Leid des Lebens Komiker und Komödien braucht, zum Lindern. Wie vehement sich die Pointe an diesen Schluss krallt, hat etwas zutiefst Verkrampftes. Vll ist es der sprechende Ausdruck einer Verzweiflung und/oder eines tief sitzenden Minderwertigkeitsgefühls. Ausgelöst durch den deutlichen Reputationsunterschied zwischen CITIZEN KANE und HEY-HEY IN THE HAYSTACK oder zwischen VERTIGO und ANTS IN YOUR PLANTS 1939. Der Wert von Unterhaltungsfilmen wird am Ende von SULLIVAN’S TRAVELS geradezu hysterisch postuliert, wohingegen THE GRAPES OF WRATH und Konsorten eine Abfuhr erteilt bekommen. Doch dieses Spiegelkabinett von einem Film, das SULLIVAN’S TRAVELS ist, macht es sich in diesem Unterschied eher bequem und löst ihn auf. Solange Regisseur Sullivan nämlich ausziehen möchte und Armut und Leid am eigenen Leib zu erfahren, damit er einen noch eindrücklicheren sozialrealistischen Film drehen kann, um endlich die Reputation eines Machers von leichten Filmen los zu werden, solange ist das Geschehen leicht, cartoonisch und voller Wortwitz. Sobald jedoch die Botschaft einsetzt, sobald sich dem hehren Wert der Unterhaltung verschrieben wird, zeichnet SULLIVAN’S TRAVELS ein sprechendes Stück USA während der Depression. Janusgesichtig wird immer das Gegenteil von dem gemacht, was in der Handlung als Ziel angeboten wird.
– I want this picture to be a commentary on modern conditions. Stark realism. The problems that confront the average man!
– But with a little sex in it.
– A little, but I don’t want to stress it. I want this picture to be a document. I want to hold a mirror up to life. I want this to be a picture of dignity! A true canvas of the suffering of humanity!
– But with a little sex in it.
großartig –
Heute würde ein Film wie LONG SHOT wohl als Mumblecore eingeordnet werden. Kaum mit Budget ausgestattet und immer kurz vor dem endgültigen Verbrauch des letzten Filmmaterials stehend drehte Maurice Hatton die Vorhölle des Filmproduzierens. Charles Gormley und Neville Smith rennen durch die Peripherie des Edinburgh Film Festival und versuchen einen zugkräftigen Regisseur (Samuel Fuller, Wim Wenders) für ihren Film zu finden, damit sie mehr Geld auftreiben können, und ebenso versuchen sie Geld aufzutreiben, um einen zugkräftigen Regisseur angeln zu können. In einem Fort wird auf Menschen eingeredet. Es werden Drehbuchänderungen versprochen und dem Drehbuchautor zugesagt, dass nur minimal geändert wird. Es wird Honig ums Maul geschmiert, es werden vage Zusagen gemacht. Ein Tanz von Festnagel- und Entwindungsversuchen, von fadenscheinigen Versprechungen und dem krampfhaften runter Spielen von Problemen … alles in höflicher Unbestimmtheit und Liebenswürdigkeit. Die langen Schwarzblenden sind sicherlich das bequemste an LONG SHOT, wenn einem eine Pause gegönnt wird und die Möglichkeit die Absurdität zu erkennen, vor der der Film gerade beschämt die Augen schließt. Ab und zu weht der Wind verführerisch in den Bäumen oder es gibt rudimentäre Autoverfolgungsjagden, aber meistens sind Gesichter zu sehen, die signalisieren, dass sie das Gegenüber ernst nehmen, aber diesem doch nicht zustimmen wollen. Tatsächlich ist dieses mitunter brutale Porträt von menschlichen Menschen im Filmbetrieb eine Komödie.
Freitag 28.07.
nichtssagend +
Erzählte Carpenter knapp 30 Jahre vorher von Menschen in einer Extremsituation, da führt Matthijs van Heijningen junior nur Fleisch zur Schlachtbank. Denn einerseits ist aus dem heimlichen Schleicher ein Jäger geworden … bzw war es halt, als das Ding in diesem Prequel in der norwegischen Forscherstation sein Unwesen treibt/trieb. In einer Szene verfolgt es eines seiner Opfer in die Küche … und die Erinnerungen an zwei Kinder, welche von Velociraptoren in eine Küche verfolgt werden, liegen nahe. Nur bleibt es hier doch irgendwo egal, ob die an Menschen erinnernden Hüllen dem Menschen nachmachenden Wesen aus dem All entrinnen. THE THING handelt 2011 eher vom Staunen und Ekeln. Die unvollendeten Stufen der Transformation, das Herausbrechen des scheinbar spinnenähnlichen Urzustands aus den menschlichen Verkleidungen oder die Weite des karg gigrischen Raumschiffes, sprich Eingeweide, das Zerfetzen von fleischlichen Oberflächen, die Offenbarung von Schleim, Gedärm und anderen Massen darunter, unnatürliche Körperstellungen sowie solide, kunstvolle, außerirdische Oberflächen werden obsessiv dargestellt. Ohne Witz und Fortüne wird sich selbstgenügsam auf diese Leidenschaften beschränkt.
Donnerstag 27.07.
großartig +
Zuletzt in ANGST unter Theodor Grädlers Regie hatte Derrick mal wieder das Leben einer Frau riskiert. Ausnahmsweise kam sie tatsächlich ums Leben. Ein leicht dubioser Hauch hing diesem Geschehen an, da sie sterben musste, um Derrick einmal in seiner Karriere zum tragischen Helden zu machen. Er wurde zum bedauernswerten Mann, der eine Frau, sein Spielzeug, zerstört hatte. Sehr herb dies. Nun in TOTE VÖGEL SINGEN NICHT sterben die Figuren um Derrick fast wie die Fliegen. Nur die Frau, die er schützt, ihr Leben bleibt gerettet. Das deftige Schmorren von ANGST ist dabei einem spaßigen wie seltsamen Thriller gewichen. Hell leuchtet der Stripklub, der trotz der blinkend ausstaffierten Frauenkörper alle anzuöden scheint, weil die Damen sich nicht vollständig ausziehen (und mehr machen) dürfen. Stephan und Harry machen Späße mit dem Personal und ergötzen sich an ihrem Winden. Ein windiger Rechtsanwalt, dessen Haar aussieht als käme er gerade aus einem nie niedergehenden Regen, löst sich zunehmend in seiner Nervosität auf, während sein Chef, ein halbseidener Gangsterboss und selbstverständlicher Machtmensch, sich einen schönen Tag im Stress macht, der ihm in seinem Verständnis der Welt eh nichts anhaben kann. Am aller schönsten ist bei Alfred Vohrers Zirkusfest der Thrillerkunst aber ein Mord im Schlammbad. Im Nebel, der das Gegenlicht einfängt, verteilt und wie eine leichte Milchschicht über nackte, schlammige Körper legt, pokert ein Mann zu hoch. Wie im Gefängnisduschen verlassen alle außer dem nichts ahnenden Opfer und dem kommenden Täter den Ort. Eine surreale Romantik liegt in der Luft. Und doch statt Sex gibt es eben eine Tötung. Was mal wieder symbolisch schwer zu trennen ist. Oder wie es Christoph einst nannte: Perrak II – Härter, schneller, schwuler.
Mittwoch 26.07.
großartig +
Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde zurück und gehen shoppen. Stören tun nur die Menschen, die den Zusammenbruch der Zivilisation nutzen, um einmal richtig die Sau raus zu lassen. DAWN OF THE DEAD, eine beschwingte Robinsonade die absurden Ausprägungen des Menschseins im Shoppingzeitalter betreffend. Vor allem aber auch eine Warnung: wenn die Zombieapokalypse ausbricht, sei sicher, dass du etwas zu lesen dabei hast, sonst kann es etwas langweilig werden. Als beispielsweise die vier Hauptfiguren gerade im Einkaufcenter angekommen sind und gegessen haben, sehen die Gesichter aus, als ob jeder überlegt, was außer Kaufmannsladenspielen nun getan werden kann.
Montag 24.07.
fantastisch –
Regen in Tonnen. Regen auf Palmenblätter. Regen auf dem Meer. Regen auf Dächern. Der Regen setzt ein paar Reisende fest und liegt drückend wie schön auf den beiden tragenden Charakteren. Auf Walter Huston als Prediger, der für das puritanische Gute wie ein Erzengel kämpft, sowie auf Joan Crawford als lebensfrohe, leichtlebige Frau, die unter der ständigen Last der Missbilligung ihres Lebensstils zusammenzubrechen droht … welche schon vor den Drangsalierungen durch Walter Hustons Figur auf ihr gelastet haben wird, so aufgerieben erscheint sie. Die mitschwingende Erkenntnis des Ganzen: keiner, egal wie oft er das Gegenteil behauptet, fühlt sich uneingeschränkt wohl in seinen Schuhen. So wie der Prediger predigt um die Lust ins sich zu bändigen, so tanzt Crawford um nicht dem Verzicht nachgeben zu müssen. Und erst wenn alle Spannungen gelöst sind, kann sich der drückende Regen verziehen. RAIN ist dabei aber auch ein Film über das Hollywood von 1932, wo der Hays Code seinen Schatten vorrauswirft. Ein Film wie ein Aufbäumen gegen die Krallen des Verzichts.
Sonntag 23.07.
großartig
PADDINGTON schafft es Absurdität, elegante Pupswitze, Trauer, die Spiegelung unserer Gesellschaft in der Erkundung dieser durch einen naiven Bären aus dem dunklen Peru, einen phantastischen Thriller und noch mehr Absurdität und aparte Witze um Körperfunktionen unter einen Hut zu bringen. Toll.
ok
Als im Jahr 1492 die Niña, die Pinta und die Santa Maria in See stachen, sollten, wie wohl jeder weiß, keine neuen Welten, sondern lediglich ein neuer Weg entdeckt werden. CONQUEST OF PARADIES, der zum 500. Jahrestag der Entdeckungsfahrt des Cristoforo Colombo in die Kinos kommen sollte, steht aber völlig im Zeichen dieser neuen Welt. Colombos/Kolumbus‘ (Gérard Depardieu) Irrungen und Wirrungen sind nur Gefäß einer Bestandaufnahme des ersten Kontakts mit Amerika. Das reale Sein des italienischen Entdeckers in spanischen Diensten wird dementsprechend auch völlig entkernt. Zurück bleibt ein Träumer und Idealist – schwingt doch in CONQUEST OF PARADIES stets eine 500jährige Geschichte von Projektionen, von Träumen und Idealen aller zukünftigen Einwanderer mit, die in dieser neuen Welt Tabula Rasa machen und ihr Glück finden wollten, für die Colombo nun einsteht – und dieser wird, ohne es zu wissen, den Untergang bringen. Sprechenderweise ist das erste Anzeichen des zu entdeckenden Landes keine Möwe, sondern es sind Insekten. Nicht erhaben werden Schwingen erhoben. Ungeziefer stellt den ersten Kontakt her.
Zwei Dinge bringt der Träumer Colombo mit, die wie eine Krankheit über den Traum herfallen werden. Einmal ist da der Adel. Adrián de Moxica (Michael Wincott) spielt die Nemesis von Colombos Traum eines gerechten Neuanfangs, der alle aus diesem Garten Eden in ein neues Paradies führen soll. Wie erstrebenswert das us-amerikanische Ideal einer Gesellschaft mit gleichen Chancen für alle doch ist, er führt es ex negativo vor … mit seinem Überlegenheitsgefühl, seiner als natürlich empfundenen Ausbeutung, seiner Arroganz und Niedertracht. Aber dann ist da eben noch die menschliche Gier, die Machtungleichgewichte, die Ungeduld, all dies lässt den Traum auch so in Feuer aufgehen. Ob die porträtierte Eroberung des Paradieses nun der unschöne Anfang eines Traums oder eben schon dessen Zerstörung ist, darüber bleibt CONQUEST OF PARADIES interessanterweise sehr unbestimmt. Einerseits ist es ein Porträt des Hoffens, aber eben auch ein Alptraum, der in Blut, offenen Wunden und Gewalttaten aufgeht. Als die drei Schiffe das erste Mal Land am anderen Ende des Atlantiks entdecken, verzieht sich eine dicke Nebelwand und Palmen und Urlaubsschönheit offenbaren sich. Doch der Nebel, der schon vorher in Klöstern, Universitäten und auf den Schiffen durchs Bild zog, er wird mit dem Finden der neuen Welt nicht verschwinden. Er weht weiter durch die Einstellungen, denn Klarheit ist hier nicht zu finden.
Am aller wenigsten wird CONQUEST OF PARADIES eine solche Klarheit finden. Es ist Vor- wie Nachteil dieses epischen Dramas. Mal erzählt es voller Leidenschaft von edlen Menschen mit Fehlern in einem schicksalhaften Aufeinandertreffen, mal verwaltet es nur buchhalterisch seine Geschichte. Mal verliert es sich, ohne anscheinend zu wissen, was es eigentlich möchte, mal zeigt es den alltäglichen Niedergang der Siedlungen in passender, nämlich biederster Weise, mal erzählt es in feuriger Leidenschaft von einem brutalen Untergang. Vor allem findet CONQUEST OF PARADIES nur selten eine inspirierte Bildsprache. Interessanterweise aber gerade doch, wenn etwas Negatives dargestellt werden soll. In der Gewalt, da scheint Ridley Scott zu sich zu kommen. Denn in der Drastik von Wunden, blutigen Knochen und zerreißenden Körpern scheint er plötzlich zu erwachen. Nunmehr kann er von etwas erzählen, was ihn antreibt. Und dann ist da eben Adrián de Moxica, der auf seinem unruhigen Pferd stets bereit scheint los zu preschen, um Menschen spüren zu lassen, dass er in ihnen nur Tiere sieht. Der auf seiner Behelfsveranda sitzt und das Leben im Paradies, für ihn eine Dreckshölle, so genießt wie er es kann. Er trinkt, ist müßig und missbraucht einheimische Frauen… bzw er lässt sie missbrauchen. Michael Wincotts langes Haar ist dabei sagenhaft. Es ist so gepflegt, als ob er seine Mähne jeden Abend mindestens hundertmal durchkämmt, nur um zu wissen, dass er besser als der Pöbel aussieht und ist. Wenn es aber darum geht Colombos entdecktes Paradies etwas abzugewinnen, da scheint CONQUEST OF PARADIES überfordert. Und so ist es wie so oft, wenn Ridley Scott episch werden möchte. Irgendwie zerfällt es stets, zerrinnt ihm zwischen den Händen und vll ist es eben diese fehlende Stringenz, die, hier in dieser Ambivalenz ob des untergehenden Traums, gerade so spannend ist.
gut
Ein Film von ebenmäßiger Dialektik. Einer der beiden Cousins (Jean-Claude Brialy) macht Party und meistert das Leben trotz gockelhaftigem Unernst (seine überschwängliche Liebe zu Wagner sind der beste Beweis) und Aufschneiderei locker, während der andere (Gérard Blain) ackert (ob am Studium oder am lyrischen Werk bleibt unaufgelöst) und nichts dafür erhält. LES COUSINS malt ein Zeitportrait von studentischer Dekadenz und verbissener Unbeholfenheit. Darauf ein paar Takte Todesmarsch.
Sonnabend 22.07.
großartig –
Fast zwangsläufig wird auch in MILES AHEAD die Biographie eines Musikstars über seine große Liebe erzählt. Toll ist jedoch, dass MILES AHEAD keine Biographie ist, sondern nur Momentaufnahme, wo die Rückblenden über das Ende einer großen Liebe parallel zu Schießereien, Drogendeals und anderen überzogenen Kämpfen ums Urheberrecht geschnitten sind. Dass das Eingraben des Miles Davis ins Selbstmitleid also mit Genremitteln erzählt wird.
großartig
Wenn der Teufel Puppentheater spielt, dann darf natürlich nicht fehlen, dass Leichen geliebter Personen im Himmelbett aufbewahrt werden, bis die lebendige Wiederkehr der Person mal vorbeischaut. Zu Beginn läuft eine Touristin durch wunderschöne, jahrhunderte alte Gassen und findet nicht mehr zur Außenwelt. Und so rennt auch der Plot durch die wunderschönen Bilder und die wunderschönen romantischen Gefühle und verliert sich in ihnen.
Freitag 21.07.
großartig
Wie Helen Vita den Titelsong haucht und gleichzeitig presst, es ist wahnsinnig. Das Lockere, das doch einer Verkrampfung entfleucht. Der perfekte Song für seinen Film.
fantastisch –
Jahrelang habe ich Claude Chabrol nicht leiden können. Als ich begann mich für die Nouvelle Vague zu interessieren, war er der einzige Regisseur dessen Filmen ich nichts abgewinnen konnte. Was ich ihm wohl übel nahm. Immer mal wieder habe ich Filme von ihm gesehen. Frühe, mittlere, späte – nie wollten sie mir etwas sagen. Plump, seriös, uninspiriert schienen sie mir. In seine ALICE IM WUNDERLAND-Version fand ich mich eines nachts wieder. Das sah interessant aus und vor allem sehr seltsam. Aber es lief schon eine Weile und es war eben Chabrol. Es interessierte mich nicht genug. Jetzt, wo mein Verhältnis zur Nouvelle Vague ein anderes ist, habe ich zwei Filme in kurzer Folge gesehen und alles ist anders. Etwas hat sich verändert. Denn DIE UNSCHULDIGEN MIT DEN SCHMUTZIGEN HÄNDEN als auch LA DÉCADE PRODIGIEUSE hätten mir früher nicht gefallen. Zu dezent wäre der Wahnwitz des ersten damals gewesen und zu offensichtlich der des Anderen. Aber eigentlich sind beide beides. Dezent und aufdringlich. Wenn De Palma das hitchcocksche Gleichgewicht von Geschichte, Inszenierung und Subtext bis ins Absurde steigert, so zersetzt es Chabrol in beiden Filmen.
Den Einstieg von LA DÉCADE PRODIGIEUSE bildet Anthony Perkins, der mit blutigen Händen und ohne Erinnerung in einem Hotel erwacht. Er geht zum Waschbecken und wäscht sich die Hände. Hände und Becken bleiben im Mittelpunkt des Interesses der Einstellungen. Nach diesen Bildern folgen möglicherweise zwangsläufig die Assoziationen, dass die folgende von Inzest geprägten Familiengeschichte, wo Orson Welles Figur seine Tochter heiratet, die aber gar nicht seine Tochter ist, und wo dessen Sohn seine Schwester begehrt, die weder seine Mutter noch seine Schwester ist, es folgen also die Assoziationen, dass dies Chabrols PSYCHO sein mag. Doch das Geschehen liegt deformiert danieder. Wie hypnotisiert schwankt es voran. Psychologische Beratung hier, eine Erpressung da, ein Ödipuskomplex hier, eine zu Mord führende Geisteskrankheit da. Am Ende folgt die obligatorische rationelle Erklärung. Aber sie ist vll noch unerhörter, als das Geschehen davor. Abschließend ist ein im Dunklen liegendes Haus zu sehen. Ein Fenster erleuchtet sich und dessen Schein sieht aus wie mosaischen Steintafeln. Final sollen wir eine buchstäbliche Allegorie auf die zehn Gebote gesehen haben, mit denen jemand in den Wahnsinn getrieben wurde. Sehr krude und kaum wiederzugeben ist es, was die Geschichte gewesen sein soll.
Ebenfalls zu Beginn sind die Einstellungen mitunter so schräg, dass es einem seekrank werden kann. Später sind es fahle Farben, welche die Szenerie bestimmen. Doch immer wieder brechen die intensiven Farben von Blumen, Kleidern und des Stucks hinein, welche den biederen, gemütlich abgeschlafften Ton etwas Traumhaftes bis Obsessives anhaften. Bei einer Waldwanderung ist mal nur der Himmel zu sehen, der hinter den Wandernden und einem kahlen Baum alles einnimmt und die Landschaft wie die Erdgebundenheit mit seiner Nichtigkeit quasi eliminiert, und mal schimmert hinter den Wanderenden ein See, in dem sich der Wald spiegelt, die sichtbare Landschaft des Bildes auf dem Kopf stellend. Und dann die allgegenwärtigen engen Dekors des Landsitzes, wo die Handlung große Teile verbringt. Die Schnörkel, die unendlichen Ornamente, der Samt, Tüll, die schweren vergilbten Vorhänge mit der Goldkante, das Service und die Vasen. Edel, schwer, verlebt und verworren ist dieses Haus. Ein Ort von (dunkler) Romantik und adligem bzw großbürgerlichem Verenden.
Marktschreierisch ist die Inszenierung und doch irgendwie matt. Sie ist es jedenfalls, die trotz oder mit ihrer Lautstärke und ihrer verschrobenen, mitunter eitlen Widerborstigkeit das Können dieses Films verdeckt. Der Realismus von LA DÉCADE PRODIGIEUSE ist ein psychologischer, unwegsamer, unbestimmter, gefühlsbestimmter, der PSYCHOs Realismus der Oberfläche einer Handlung auf den Kopf stellt. Dieser abgestandene Traum, in dem Undinge wie Tod, Fäulnis und Inzest sanktioniert und mit Leben gefüllt wurden, befreit den Subtext. Er wird von innen nach außen gestülpt und das Geschehen in diesen bis zur Unkenntlichkeit eingezwängt. Denn die Dezenz von LA DÉCADE PRODIGIEUSE liegt gerade darin, dass kaum zu erkennen ist, dass wir Eingeweide sehen. Als Michel Piccoli aufbricht, um seinen Platz in den Wirren einzunehmen, sagt er süffisant, dass er die Realität vorziehe oder aus dieser stamme, irgendwas in der Art. Aber da ist es für ihn schon zu spät.
Donnerstag 20.07.
großartig +
Nach den Ansätzen in HOFFMANNS HÖLLENFAHRT scheint Theodor Grädler nunmehr an einer Apotheose des Lampenschirms zu arbeiten. Wieder werden Körper hinter ihnen kopflos. Doch bleibt es nicht dabei. Völlig in der Unschärfe zwischen Kamera und Figuren stehend malen sie dezente Farbtupfer an den Rändern von Kopf und Oberkörper. Wie eine löchrige Wand stehen mehrere im Raum und die Kamera umkreist sie, um den Menschen dahinter in eine erhellende Perspektive zu rücken. Aber stets verstecken sie etwas. Und auch so stehen sie prägnant herum. Noch eine solche Folge und der Lampenschirm ist bei Grädler das zentrale Moment der Mise en Scène.
Dienstag 18.07.
nichtssagend –
Die X-Men-Filme haben sich in einem Limbus verrannt. Dieser ähnelt dem der Marvelfilme, nur auf kleinerem Niveau. Denn hier wird das Universum nicht mit immer neuen Figuren angefüllt, ohne das sich was ändert. Lediglich die Gegner werden größer und mächtiger. Und die vorhandenen Figuren finden sich in neuen Konstellationen in der Matrix von Hass auf die Welt/Menschen/Mutanten und Hoffnung auf ein gemeinsames Zusammenleben zusammen. Ansonsten bleibt es im X-Men-Universum wie gehabt. Wieder läuft es darauf hinaus, dass sich einige entscheiden müssen, ob sie sich dem Zorn bzw den Versprechen der Macht hingeben oder das Gute, das mglweise Verlorene tun. Deshalb steht auch wieder Magneto auf der Matte, dem schnell mal das Herz gebrochen wird, damit alles beim Alten bleiben kann. Fast schlafwandlerisch bewegen sich dabei die Figuren durch das Geschehen, bei dem nicht mal mehr versucht wird, die nackten Räder der Plotdramaturgie zu kaschieren. Sprich die Figuren haben kein Innenleben, sondern machen schlicht, was von ihnen von der Dramaturgie erwartet wird. Die Havok-Zeitlupen sehen dabei noch nach was aus. Ansonsten wirkt dies eher wie von Robotern erdacht und ausgeführt.
Montag 17.07.
gut +
Maggie Thatchers Großbritannien auf eine Roller Skate Disco zusammengeschrumpft. Dumpf pumpen die Bässe kaum erkennbarer Lieder über das ewige Fahren im Kreis. Jugendliche ohne Job können in Zukunft ua in einer Brot und Spiele-Institution unterkommen, wo sie kostenlos in der Mitte der Bahn Betten haben und außerhalb der Skatebahn Essensautomaten, Computerspiele, Jobvermittler und die zu Fratzen verformten Fortbildungsmöglichkeiten von damals und heute nutzen können. Die Dystopie von STARS OF THE ROLLER STATE DISCO ist ein offensives Gleichnis über Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und ins Nichts laufende Gegenmaßnahmen. Die Trostlosigkeit springt einem dabei ins Gesicht, ist dies doch auch noch in Video aufgenommen. Das Abgeranzte des Ortes, der Situation, der plumpen Chiffre für das Anliegen, all das wird durch die Glamourlosigkeit des Formats noch potenziert … selbst wenn die Kameras elegant durch den engen Raum schweben. In den Momenten, wo die Farben übersteuern und das Neon sich förmlich auf das Magnetband brennt, nur dann hat dieses Leben im fahlen Dreck etwas suizidal Erhebendes.
Sonntag 16.07.
großartig
Ein schönes Konzept: statt eine Geschichte von Anfang bis Ende zu erzählen, enthält BAAHUBALI die Anfänge von zwei Märchen. Im ersten der beiden wird eine Mensch gewordene, stahlharte Willenskraft, Baahubali, durch einen Schmetterling besetzten Körper einen unwahrscheinlichen Wasserfall hinaufgeführt. Dort findet er nicht nur die Liebe, sondern muss ebenso erkennen, dass er der Moses eines geknechteten Volkes ist. Dann die Herkunftsgeschichte des Baahubalis in Form eines Herrschaftsmelodramas als Wettrennen um die Thronfolge zwischen einem unendlich gerechten Anwärter, Baahubali, Vater Baahubalis, und dessen verkommenen, machtgierigen Cousin. Irgendwo, entfernt, ist BAAHUBALI eine Wiederkehr der alten Märchen aus Tausend und einer Nacht im Hollywoodgewand der 40er und 50er Jahre. DAS GOLDENE SCHWERT oder ALI BABA UND DIE VIERZIG RÄUBER beispielsweise. Aber unter Shivas Schutz stehend sind die beiden Baahubalis fast Halbgötter oder wenigstens Superhelden und die Phantasie weit wenig protestantisch verkappt, wie in besagten Beispielen. Mehr scheint die Imaginationskraft wie ihre Hauptdarsteller von rauschenden Göttern beseelt … was im ersten Anfang einen Wasserfall voller Romantik sich ergießen lässt und im zweiten vor allem eine Schlacht zu einem epischen Abenteuerspielplatz macht … und dort gewöhnliche Menschen phantasievoll umbringt.
Sonnabend 15.07.
ok –
Zu aller erst ist KARTE KILL eine Hommage. Der Aufmacher – unbesiegbarer asiatischer MartialArts-Kämpfer kommt nach Los Angeles und kämpft auf der Suche nach seiner verschwundenen Schwester gegen ein Verbrechersyndikat – erinnert an DIE TODESKRALLE SCHLÄGT WIEDER ZU, RUMBLE IN THE BRONX oder Tsui Harks THE MASTER. Die Inszenierung ist ausgestellt old school und möchte gerne die Tradition der 80er Jahre und ihren Karate Tigern fortführen. Die auf dem Filmposter so präsenten 80er Jahre, in sie wird sich hier durchaus sehnsüchtig hineingeträumt. Wenn Hauptfigur Kenji (Hayate – so uncharismatisch, dass er auch im imdb-Eintrag des Films erst durch aufklappen des full cast angezeigt wird) auf die Sekte des Kapital Messiah trifft, die seine Schwester entführt hat und für einen dunkles Internet Snuff- und Pornofilme produziert, dann springt aber auch ein anderer Eckpunkt der 80er in den Film. Denn die hysterische Kritik an einer kulturell heruntergekommenen, dekadenten USA, die sich in der mit religiösen Eifer vollzogenen Produktion und Konsumtion von möglichst realen Gewaltvideos ausdrückt, die sich nur noch auf dem simpelsten Affekt beschränken, erinnert an Troma zu seiner besten Zeit. Die Leute dieser Sekte sind Rednecks 2.0, die das produzieren und vorleben, was es scheinbar braucht, wenn schon alles andere gesehen wurde und die Moral darniederliegt. Ihre Irrationalität im Lustgewinn könnte an den Joker aus THE DARK KNIGHT erinnern, wenn sie nicht so weinerlich und selbstgefällig wäre, wie bei Präsidenten, die dem Kleinkindalter nicht entwachsen sind. Das Bürgerliche der Inszenierung weicht einer prolligen Strahlkraft um affektierte Gewaltgeilheit, Hakenhänden und brutal kitschigen Liebesgeschichten. Mit dem Kapital Messiah herrscht nur noch Niederträchtigkeit, dem Kenji entgegensteht, dessen Schicksal geradezu rührselig von dieser rein gehalten wird.
gut
Hans Clarin spielt seine Version einer Peter Lorre-Figur, Gert Fröbe spielt seinen Alkoholiker irgendwo zwischen Running Gag und Tragik und Joachim Fuchsberger sitzt in einer meist straff erzählten Räuberpistole mit der jungen Vera Tschechowa im Schilf am See und lässt ramontisch die Seele baumeln.
gut +
Vor einigen Jahren habe ich mal versucht DER ERWÄHLTE von Thomas Mann zu lesen. Hat nicht geklappt. Zu karg war diese Rückbesinnung auf vergangene literarische Formen. Der Stil ist der einer Chronik. Wie bei Kleists MICHAEL KOHLHAAS oder wie bei diversen Erzählungen aus der Renaissance, die ich tatsächlich durchlas. Alles Blumige ist darin beschnitten. Ich habe nicht viel Prosa gelesen, die vor dem 19. Jahrhundert entstand. Aber stets war es dasselbe. Alles war wie beschnitten auf die kalten, blanken Fakten. Und Pasolini Versuche der Entzauberung/Enttarnung/Reinigung der Mythen von der Phantasie, die er seit DAS MATTHÄUS EVANGELIUM unternahm, wenn er sich nicht gerade an Fabeln und Symbolischem abarbeitete (PORCILE), sie führt er auch in seiner Trilogie des Lebens fort. EROTISCHE GESCHICHTEN AUS 1001 NACHT gibt karge Miniaturen wieder, die in eine karge Rahmenhandlung eingelassen sind. Statt Epik gibt es eben einfache und direkt Geschichten von Dämonen, Entführungen und Königwerdungen mit anzüglichen Momenten … aber ohne Blumen und Zierrat geschieht dies. Hinweg mit dem bürgerlichen Feinsinn, so scheint das Ziel. Die so entstandenen Märchen sind nicht für Kinder. Nicht weil sie eben erotisch sind, sondern weil ihnen der Zauber der Fiktion ausgetrieben wird. Das Vergnügen von EROTISCHE GECHICHTEN AUS 1001 NACHT ist intellektueller acquired taste. Gerade wenn Pasolini also wie Alois Brummer sein wollte, was ihm ja auch vorgeworfen wurde, klappt es trotzdem nicht. Dafür gibt es das Lächeln von Laienschauspielern, die sichtlich aufgeregt sind. Und das sind mit die schönsten Lächler.
Freitag 14.07.
(ok –)
Strand, blauer Himmel, Cocktails, luftige Kleidung, Partys, Drogen, Sex, Schönheitswahn, knappe Kleidung, Favelas, schwanzgesteuerte Männer jeden Alters, verrohte Menschen, die für Geld alles tun würden, Reichtum, der einem von Folter bis Kidnapping alles erlaubt. GOING TO BRAZIL nimmt wirklich alles mit, was wir über Brasilien schon immer gewusst haben. Drei Französinnen reisen an den Zuckerhut um die Hochzeit ihrer Jugendfreundin zu feiern. Doch auf einer Party am ersten Abend muss sich eine der drei Frauen gegen einen Vergewaltiger wehren, der es selbstredend nicht böse meint, und stößt diesen dabei aus Versehen vom Dach. Schlimm genug stellt sich schnell heraus, dass es sich bei diesem um den künftigen Ehemann handelte. Aber noch schlimmer wird es, als der schmierige Schwiegervater in spe sich als skrupelloser, gewaltbereiter Millionär und lokal Politiker entpuppt, der über dem sehr ungleich angewendeten Gesetz schwebt. Dieser möchte Rache und sein noch ungeborenes Enkelkind behalten. Also beginnt eine Flucht, die jedes Klischee mitnimmt. Ästhetisch als besseres Handyurlaubsvideo inszeniert wird sich nicht die Mühe gemacht, den Handlungsort irgendwie mit Erhellendem oder Originellem anzureichern. GOING TO BRAZIL ist schlicht eine Bestandsaufnahme gegenwärtiger Projektionen auf das südamerikanische Land, die für Thrill und Spaß eingesetzt werden. Der Thriller ist jedoch ein entspannter, einerseits, da er bei seinen Voraussetzungen eben kaum überrascht, andererseits, weil er zu locker ist, um wirklich fies zu werden. Selbst am Ende hat niemand die Muße, sich in die Konflikte zu verbeißen. Alles endet ganz gechillt. Vielleicht ist es in diesem Land von Coppacabana und Samba zu heiß und schön, um anders zu sein. So lässt GOING TO BRAZIL jedenfalls vermuten. Bleibt der Spaß. Und der ist durchaus vorhanden. Exemplarisch wird zum Beispiel an einer Stelle an einem übergroßen, phallischen Wassereis leidenschaftlich geleckt, um dem sanften AMERICAN PIE-Witz völlig genüge zu leisten. Als schlüpfriges Vergnügen über die eigenen Klischees ist GOING TO BRAZIL also ziemlich nett.
Donnerstag 13.07.
großartig +
Ein junger asiatischer Mann, meist von Plakaten von Revolutionären flankiert, singt mit seiner Akustikgitarre Folksongs auf Spanisch. Mein Spanisch reicht nicht aus, um es zu verifizieren, aber alles an ihm schreit nach Protestsong. Wenn die Kamera ihn in seiner theaterhaft enthobenen Nachkriegsproletarierwohngemeinschaft mit mehreren Mietparteien/Familien pro Wohnung nicht sucht, dann läuft er eben in diese hinein. Immer wieder. Er scheint Chor und Vorhang der Szenen zu sein, aber auch wieder nicht. Wie alles an PARKPLATZ-HYÄNEN scheint es irgendwie Sinn zu machen, nur welchen genau, das entwindet sich. Der Gedanke kann einen befallen, dass vll Samuel Beckett hier ab und zu reingelunzt hat und die gefühlsbetonten Dramen von zum Verbrechen Erzogenen und von den Umständen zur Illegalität Verleiteten – die aber nicht so schlimm sind, wie die wahren Psychopaten – im Netz eines stoisch-herablassenden Gesetzes etwas salzte.
großartig –
Wie schon bei PARKPLATZ-HYÄNEN und ALARM AUF REVIER 12 wird Brynychs neuerlicher Beitrag bei Ringelmann von repetitiver Musik bestimmt. Doch anders als bei den anderen beiden Beispielen wird damit kein Konflikt verengt. Etwas Auszeit von Schuld und Pflicht wird in diesen Strecken ohne Handlung geboten, wo zu Musik etwas kontempliert werden darf. Gerade Stephan Derrick hat es in TOD EINES TROMPETERS auch nötig, denn der Fall um eine von blauäugigen Musikern durchgeführte Entführung läuft nur nebenher, um einen Inspektor zu zeigen, der keine Lust mehr hat. Eigentlich hat er Dienstschluss. Aber er macht weiter und muss sich die immer gleichen Ausreden und plumpen Vertuschungsversuche der Täter antun. Sarkasmus und Arroganz bestimmen das Verhalten Derricks. Deshalb fehlt wohl Harry auch größtenteils angeschossen. Damit er mit seiner naiven Art nicht den Puffer für Derrick geben kann und dieser nun die volle Packung Dummheit ertragen muss, die das Handeln seiner Umgebung für ihn wohl ist. Aber da ist ja noch die Musik und der von ihr geboten Ort zu träumen.
Mittwoch 12.07.
fantastisch –
Cowboys und Aliens. Wie zur Verdeutlichung, dass es sich bei THE THING um einen Western im ewigen Eis der Antarktis handelt, trägt Kurt Russell einen Cowboyhut und einen in manchen Einstellungen prominent ausgestellten Revolvergurt. Eröffnet wird alles dann auch mit einer Jagd durch die Prärie, einer Schießerei und einem niedergebrannten Fort/Forschungsstation. Das absolute Fremde, das hierfür verantwortlich ist, sind aber keine Indianer, sondern Body Snatcher aus dem All. Folglich wendet sich der angenommene Kampf gegen etwas von außen zu einem gegen einen inneren Feind. Innerhalb der Gruppe und – es ist mit am schönsten – in einem selbst. Als Russell seinen Test durchführt, um zu prüfen wer tatsächlich noch ein Mensch ist und keine außerirdische Kopie, bei diesem schaut die Kamera in ängstliche Gesichter von tatsächlichen Menschen, die sich da auch nicht mehr so sicher sind. Möglicherweise fürchten sie falsche Ergebnisse beim Experiment. Möglicherweise ist ihnen ihr Sein auch nicht mehr ganz geheuer. THE THING wird von einer zunehmenden, allumfassenden Paranoia bestimmt. Draußen tobt ein grimmiger Eissturm und Nacht. Schmale Gänge fährt die Kamera entlang. Ganz klassisch sind die Bilder von Handlungen in unterschiedlichen Ebenen von Vor- wie Hintergrund durchwachsen. Die arktische Station ist eingeschlossen und eng, gleichzeitig weitet sich der Raum in ihr durch die paranoiden Potentiale, die mal durch ein Messer in einer Hand direkt vor der Kamera, unbemerkt vom Rest des Bildes, entstehen, mal durch die grüblerischen Blicke über die Schulter der eigentlich Handelnden.
Dienstag 11.07.
großartig –
Meist sieht es aus, wie Überwachungskameraaufnahmen. Die Entscheidung PSY-WARRIORS mit Video zu drehen ist deshalb geradezu essentiell. Drei Verdächtige für einen IRA-Bombenanschlag werden ins Nichts geworfen und es wird versucht sie psychologisch per Erniedrigung, Hunger und Desinformation zu brechen. Dieses Nichts: ihre Zellen, eher Käfige, die in hellerleuchteten Räumen mit weißen Wänden oder in totaler Dunkelheit stehen. Das Ergebnis ist das Gleiche. Um sie herum gibt es eben Nichts. Nichts, worauf sich konzentriert werden könnte. Nichts, was sie mit Informationen speisen könnte. Jeder wird auf sich, sein miserabel gehaltenes ich zurückgeworfen. PSY-WARRIORS betreibt dabei aber etwas Ähnliches. Denn bald ist nichts mehr so wie es scheint. Was nicht an den zwei, drei Twists liegt, sondern an den ewigen sophistischen Streitgesprächen zwischen Wärtern/Psychologen und Insassen in diesem Nichts. Giftig wird in ihnen jede moralische Sicherheit zerlegt. Nach der Ausstrahlung gab es Proteste von rechts wie links, dies sei IRA-Propaganda wie es spiele einem (am Rande zum) faschistoiden Rechtsstaat in die Taschen. Dabei ist PSY-WARRIOR lediglich eine brutale Vorführung, wie einfach einem alle Sicherheit ausgetrieben werden kann.
großartig –
Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. In einem gnadenlos albernen, ja vor kindischen Spaß sprühenden Film, wird ein taubes Nüsschen – so die Selbstbezeichnung des Clubs für kindergeburtstagartige Abendgestaltung, dem Spongebob verschrieben ist – aus seiner Komfortzone gerissen und landet in einer hypermännlichen Einöde. Umgeben von Blubberblasen verachtenden Bikern, humorlosen Cowboyauftragsmördern, riesigen Monstern und tödlichen Souvenirshops muss er beweisen, dass er trotz seines kindlichen Wesens etwas taugt. Und so bedrohlich diese Welt außerhalb Bikini Bottoms tatsächlich ist, so sehr ist sie auch Karikatur und Witzfigur. Und wenn die Serie nach diesem Film und dem Ausstieg von Schöpfer Hillenburg extrem verunsichert scheint, worin denn die Stärke und das Wesen von Spongebob liegt und diesen selbst zu einer albernen Witzfigur werden lässt, im Film gibt es nochmal das Manifest des ganzen Konzepts. Denn in Spongebob geht es um Liebe und Naivität. Der Film erreicht zwar nie die Höhepunkte, welche sich in den ersten drei Staffeln finden. Aber aus vollem Herzen wirft er sich für und mit albernen Quatsch in die Presche … gegen Zynismus, Mauern um einen selbst und für das Kind im Erwachsenen. Denn entgegen der weitläufigen Meinung, dass dies alles was für Kinder sei, richtet sich SPONEGBOB SCHWAMMKOPF zuallererst an Erwachsene und führt diesen ihren eigenen Thaddäus vor. Es ist eine Art Entgiftungskur gegen mentale Verspannungen. Neben der blauäugigen Botschaft zu sich zu stehen und nicht immer so ernst sein zu müssen, lebt es vor allem vor, welchen Spaß es macht auch mal kreativ, wild und unbekümmert zu sein … und wenn es dafür nötig ist, von den Brustmuskeln David Hasselhoffs ans Ziel geschossen zu werden.
Sonnabend 01.07.
25.06.-01.07. – Il Cinema Ritrovato
großartig –
Ein Film, der in rudimentären Kulissen spielt und trotzdem, vor allem durch seine ausladenden Rückenprojektionen, das beredete Lustspiel am königlichen Hof zu England zu einem optischen Abenteuer macht. Vll weil Käutner diese kunstvolle Künstlichkeit so einfach von der Hand ging, konnte er zu seiner Zeit nicht mehr ernst genommen werden.
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