STB Christoph 2012
„Wir haben zulange Menschen, denen Film als Kunstform nichts bedeutet, das Geschäft bestimmen lassen, und jetzt pissen sie ihm das letzte Fleisch von den Knochen.“
– Tim Lucas, im Zusammenhang mit diesem Artikel
„Wichtige Wörter aus eurem Vokabular sind für mich besonders ‚Verzicht‘ und ‚Treaze‘. Das schönste aber sind natürlich die ‚ungeheueren Gefühle‘.“
– Silvia Szymanski
„Meine Gier zu sehen ist so groß, dass meine Augen eines Tages aufgebraucht sein werden und diese Abnutzung der Pupillen wird die Krankheit sein, die mich in den Tod befördern wird. So versessen werde ich eines Nachts in die Dunkelheit blicken, in der ich enden werde.“
– Michelangelo Antonioni
„Alle Wege führen zum Sleaze!“
– Marian
„Ich habe das Gefühl, einen geheimen Ort des Wahnsinns entdeckt zu haben, der immer vor meiner Nase lag.“
– Robert 2010 über das Hofbauer-Kommando
„Jemand wie Jean-Luc Godard ist für mich intellektuelles Falschgeld im Vergleich zu einem guten Kung-Fu-Film.“
– Werner Herzog
„The least energizing emotion to write out of is admiration. It is very difficult to write out of because the basic feeling that goes with admiration is a passive contemplative mood. It’s a very big emotion, but it doesn’t give you much energy. It makes you passive. If you use it for something you want to write, some strange languor creeps over you. which militates against the aggressive energy that you need to write, whereas if you write out of anger, rage, or dread, it goes faster.“
– Susan Sontag
„Ich kenne eigentlich keinen Film, der mich nicht überrascht. Selbst wenn er die Fähigkeit besitzen sollte mich nicht zu überraschen, bin ich aufgrund der großen Menge von Filmen, die mich überraschen, viel zu überrascht von seiner Nicht-Überraschung.“
– Der Außenseiter
„Ich sehe mich eher als jemand, der verzweifelt versucht, die überwältigende Wirkung von Film irgendwie in Worte zu fassen, die dafür nun mal ziemlich unzureichend sind. Was ich schreibe mag abgehoben erscheinen, doch tatsächlich sind es nur verkrüppelte Versuche eines kleinen Geistes, der Multikomplexität der größten Kunstform unserer Epoche irgendwie Herr zu werden. Tatsächlich sehe ich sowohl meine Sprache, als auch meine Form als so dermaßen primitiv an, dass ich mich manchmal schäme, überhaupt über Film zu schreiben.“
– Der Außenseiter
„Du bist aber generell sehr glitschig unterwegs im Moment, oder? Ist mir auch aufgefallen, das es sich mehr denn je türmt.“
– Marco S.
„(…) Aber das mit dem Überdruss von „hochqualitativen Filmen“ kann ich verstehen, gerade auf Festivals überkommt mich nach einigen Tagen auch meist die Sehnsucht nach Schmier und Schäbigkeit.“
– Andreas
„Das siehst nur Du so. Aber Du hast mich schon immer falsch eingeschätzt. Ich bin nämlich awesome.“
– Rajko B.
„Sexistische Kackscheiße.“
– Rajko B.
„I am seriously considering not watching new movies anymore. There is enough to explore in the past, and from overseas, to keep me occupied for years and years to come.“
– Tim Lucas
Zahlen in eckigen Klammern [2] = Wiederholte Sichtung.
Bewertungssysteme: 10-Punkte-System (Die grobe Öffentlichkeitsarbeit), 25-Punkte-System (Die private Feinmotorik)
Kommentare zu den jeweiligen Filmen sind purer Luxus und von mir keinesfalls als selbstverständlich zu erwarten. Sie geben darüber hinaus zumeist keine streng persönlichen Impressionen wieder, sondern sind als Orientierunghilfe für Sie, werte Leser, gedacht.
Wenn Sie in diesem Sehtagebuch nach etwas Bestimmtem suchen sollten, drücken Sie Strg + F und geben Ihren Suchbegriff ein.
Meine Sehtagebücher 2011 2010 2009 2008
[K] = Kurzfilm
* In deutscher Synchronfassung
** In englischer Synchronfassung
*** In italienischer Originalfassung ohne Untertitel
Dicembre
29.12.2012
Liebesgrüße aus Fernost / Wonder Women
(Robert Vincent O’Neill, USA 1973) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Die Farben.
Madame de…
(Max Ophüls, Frankreich 1953) – 3.5/10 (10), Kino (35mm)*
Das Grauen.
28.12.2012
Lolita am Scheideweg / Eugenie (Historia de una perversion) [2]
(Jess Franco, Residenz Filmverleih, Spanien/BRD 1980) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)*
Erst bei der Zweitsichtung wurde mir vollends bewusst, wie sehr die deutsche Bearbeitung, die Kürzungen (um etwa 30 Minuten), der Austausch von Francos und Pablo Villas Originalmusik gegen die ätherischen, aber oft genug den Sex auch unangenehm dämonisierenden Klänge von Gerhard Heinz, die bisweilen ordinäre Synchronisation („Wir hatten die geilsten Erlebnisse.“) und das Einfügen von steril-glatten, glossy Softcore-Sexszenen aus Hubert Franks INSEL DER 1000 FREUDEN, wie sehr also all das den Franco-Film, der da irgendwann einmal war, zerstört, auseinanderreißt und ihm gierig seine Ruhe und Intimität raubt. Ich vermisste in dieser eingedeutschten Sado-Hölle plötzlich den „langweiligen“, aber doch so entspannt angespannten Franco-Sex. Einige Blicke in die spanische Fassung genügten, um zu veranschaulichen, dass man es tatsächlich mit einem ganz und gar anderen Film zu tun hat. Der ohrenbetäubende, fiebrige Sog dieser deutschen Bearbeitung der Lisa-Film erfasste mich zwar auch diesmal, sehr sogar – doch ich konnte mich nicht mehr ganz so sehr in diese Traumwelt aus Escher-Bildern, Sonne, Wind, Fliesen, Spiegeln und Sand fallen lassen. Zu unangenehm stach mir nun das Missverständnis und die rücksichtslose Reduktion von Francos Kino, um des Marktwerts willen, durch den Verleih als Spiegelbild der Missverständnisse, denen sich Franco von Seiten seines Publikums und der Filmkritik bis heute ausgesetzt sieht, ins Auge.
Nackt im Sommerwind / The Prince And the Nature Girl
(Doris Wishman, USA 1965) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
Vor dem Film eine delirierende Trailer-Rolle. DEADLY WEAPONS, DIE PORNO-BESTIE (Schwarzweiße, seriös wirkende belgische Film-Kriminalistik, von dem deutschen Off-Sprecher hemmungslos reißerisch zugeschmiert bis zur Unkenntlichkeit, wahnsinnig vielversprechend), DIE INSEL DER GRAUSAMEN MÄDCHEN, MAD FOXES – FEUER AUF RÄDER (ein Raunen im Saal), DIE BUMSFIDELEN TÖCHTER VOM BIRKENHOF (Schwanzbaumelndes männliches und Tittenwackelndes weibliches Zeitlupen-Bockspringen über lachende Mädchenrücken) und, tatsächlich, wahrhaftig, der originale 35mm-Kinotrailer von HERBSTROMANZE („Endlich wieder ein großer, deutscher Heimatfilm!“). Und dann der Film. Dieser Film. Kinematographische Radioaktivität kurz vor dem Supergau. Ein Film, der sich geradewegs aus dem Weltall auf der Erde materialisiert hat. Doris Wishman, im Geiste eine Schwester von Jürgen Enz. Aber ganz lieb und ganz putzig. Die Leere der aufgeräumten Wohnungen, der Verlust von Raum und Zeit, wenn man mit ihr in die begärtnerte Katalog-Natur ihres Nudistenlagers eintaucht, der Irrsinn der sandigen, absurd onkelhaften Off-Narration wie auch der fröhlich unbekümmert tippelnden Musik… unmöglich, diesen Roundhouse-Zauberkick in Worte zu fassen. Ein Film, der mit Liebe geschaffen wurde und Liebe erzeugt. Oder auch, schlicht: Ein liebenswerter Film from outer space.
Supertramp Portrait 1970
(Haro Senft, BRD 1970) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Gelegenheitsarbeit einer Sklavin
(Alexander Kluge, BRD 1973) – 9.5/10 (23), Kino (35mm)
Ein Meisterwerk. Warum hat mir bisher niemand gesagt, dass Kluge nicht immer so ist wie in DIE ARTISTEN IN DER ZIRKUSKUPPEL: RATLOS? Ich muss mir nun unbedingt schnellstmöglich mehr von ihm beschaffen und sehen, sehen, sehen. Und hören.
27.12.2012
Heisses Pflaster Köln [2]
(Ernst Hofbauer, BRD 1967) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Eine rauschhafte Zweitsichtung in einem Kinosaal, der so voll war, dass man beinahe den Glauben an Gerechtigkeit am Kino zurückgewinnen hätte können. Die schmutzigen Pflastersteine der Hinterhöfe, die Lichter aus dem nassen Kopfsteinpflaster, die schiere Körperlich- und Sinnlichkeit der Bilder, die Präzision und Ehrlickeit von Hofbauers Regie, die farbenreichen Pirouetten von Claus Tinneys Drehbuch, das martialische Hämmern und Bassspiel von Claudius Alzners Musik, Walter Kohut, der als durchdringend klebriger Wiener Zuhälter („Bei uns ist alles exquisit und exklusiv!“) am Urinal „Oh Tannenbaum“ singt, Beate Hasenau, die Spiegeleier in ihrer schäbigen Wohnung brät, der Großmutter-Mord, die postmodern zwinkernde Klammer um den Film, die weltschärfsten Klaus Löwitsch und Arthur Brauss, die grazile Dynamik zwischen Melodram und Reißer, Pulp-Poesie und Neorealismus… ich hoffe so sehr, eines Tages doch noch einen Liebesbrief an diesen größten aller Hofbauer-Filme schreiben und unseren „100 Deutschen Lieblingsfilmen“ zuführen zu können. Um das zu bewältigen, müsste ich den Film, so fürche ich beinahe, allerdings mindestens noch ein weiteres Mal sehen. Erst, wenn der Rausch zumindest ein Stück weit verflogen ist, kann der Geist wieder aufklaren und, sicherlich immer noch brabbelnd, Vernünftiges zu Papier bringen.
Pimmel-Kreuzer XX6 auf Mösenkurs
(???, BRD 197?) – 6.5/10 (17), Kino (35mm)
Ein lustiger teutonischer Zeichentrickporno als erneuter Beweis dafür, dass man nirgends Sex als Leistungssport in Akkord- und Fließbandarbeit so figürlich imaginiert wie hierzulande. Gruselig, aber selbstverständlich auch amüsant. Danach eine Trailer-Show, die in uns die ungeheuerlichsten der ungeheuren Gefühle weckte. SCHREI NACH LUST (LIEBE ALS KÖDER) von Günter Schlesinger und REITET DAS ROSAROTE PFERDCHEN von Joseph W. Sarno – zwei Filme, an denen wir bei künftigen außerordentlichen Kongressen des Hofbauer-Kommandos unmöglich vorbeikommen werden.
Karl May
(Hans-Jürgen Syberberg, BRD 1974) – 8.5/10 (21), Kino (35mm)
„Die Seele ist ein weites Land, in das wir fliehen.“
Diese Tagline des Films ist sicherlich sein Geheimnis. Auf der Leinwand sieht man, abgesehen von einem Indianerjungen, der im Hause May als Hausmädchen fungiert, nur alte, zähe, preussische Menschen, die langsam austrüben, schwadronierend und faselnd auf ihr Ende warten, in dunklen Räumen, denen man das Bonerwachs, das Kaminholz, die brüchigen Lederpolster und den in Sekundenbruchteilen erkalteten und überalterten Kaffee, aus dem Karl May seine Brotkrusten löffelt, intensiv anriecht. UFA-Stars, soweit das Auge reicht, verfallen, verwittert und ihre Sätze deklarierend, als würden immer noch Veit Harlan und Gustaf Gründgens Regie führen. Alleine in Helmut Käutners engen Augen, seiner gebeugten Haltung und der Schwierigkeit, mit der er durch den Film zu siechen scheint, lässt sich diese Seele, in die er flieht, bisweilen erahnen. Unglaublich Kristina Söderbaum, deren unwirkliches, verstrahltes Spiel auch Syberberg nicht zu bändigen weiß. Ein Artefakt, eigentlich bizarr hoch drei, dieser Film. Und doch so unendlich trüb, introvertiert beschwingt von einer Wirklichkeit, die den frigiden Verzicht zum Prinzip erhob.
26.12.2012
Die Liebesnächte der Madame X / Tôkyô Chatarê fujin
(Katsuhiko Fujii, Japan 1979) – 9/10 (22), VHS* [falsches Bildformat]
Ich sehe es kommen: der Jahresanfang 2013 wird, wie schon 2012, dem „Nikkatsu Roman Porno“ gehören. Schlafwandlerischer Sexistenzialismus, der die Menschen in ein melodramatisches Labyrinth zwischen Steinbrüchen, Birkenwäldern, Kasten und Luxusvillen treibt. Und wieder eines meiner verehrten Lieblingsmotive: der virile Fremde, der aus dem Regen kam. Von allen Lady Chatterley-Verfilmungen, die ich bisher sah, eindeutig die erotischste, verdrehteste und schönste, auch wenn sich D. H. Lawrence sicherlich im Grab umdrehen würde.
Das verborgene Gesicht / La cara oculta
(Andrés Baiz, Kolumbien/Spanien 2011) – 8.5/10 (22), Kino (Digital)
Tief hinein nicht nur in geheime Kammern und unwirkliche Wohnräume, sondern auch in die trübe und asexuelle Designer-Romantik der modernen Verzichtfrau. Ein tiefenschmieriger, verständnisvoller Film, der vermutlich wie kein anderer in diesem Kinojahr dem gerechten Frust und Unbehagen des modernen, seiner Triebwelten beraubten heterosexuellen Mannes nachspürt. Ich würde an seiner Stelle auch die Wände hochgehen.
Sein Mädchen für besondere Fälle / His Girl Friday
(Howard Hawks, USA 1940) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Ein Terrorfilm, laut, aggressiv und von verstörender Lebhaftigkeit. Toll natürlich, keine Frage, aber fast glaube ich, von derartig schreienden Filmen etwas entwöhnt zu sein, natürlich nur im Augenblick. Die Eröffnungssequenz sowie die explosiv rauchende Telefonier- und Schreibmaschinen-Sexszene zwischen der unfassbaren Rosalind Russell und Cary Grant, am Ende des Films, sind aber beinahe das Schönste, was ich von Hawks bisher gesehen habe. Trotzdem: ich ziehe, noch, die Tiefenentspannung und Zärtlichkeit von George Cukor vor. Diese Hawkssche Präzision, sie ist mir nicht geheuer.
24.12.2012
Der Alte – Die Unbekannte [2]
(Zbyněk Brynych, BRD 1981) – 9/10 (22), DVD
Auch beim zweiten Mal beseelt genug von seiner manischen Durchdringung teutonischer Lebenstrübnis, um mich zu bannen. Frank Duvals den Gehörgang mit pappigen Instant-Emotionen auskratzende, verstrahlte Rockröhren-Ballade, die da mit den Zeilen „Love! What’s your face? Love! Magic way!“ die Verbilligung heiliger Gefühle in tristen Wohnungen und auf trostlosen Wohnsiedlungs-Straßen umschmettert, ist eines der irrsinnigsten Musikstücke, die Brynych in gewohnt aufschürfender Repetetionskunst immer und immer wieder über die Gesichter und Körper seiner vom Verzicht abwechselnd schockstarren oder hysterischen Figuren auskippt. Umgeben von einem unwirklichen Heiligenschein, starrt Michaela May mit großen Augen in die Kamera, direkt auf uns, dahin, wo sie Krystian Martinek zu sehen glaubt, ihren naturtrüben Traumprinzen mit den traurigen blauen Kulleraugen, der mit ihr, so glaubt und hofft sie bebenden Herzens, ihre sadomasochistisch-feinziselierte Freude am piefigen Verzicht teilen wird. Doch der Prinz hat seine Unschuld im Blutvergießen verloren, sie starrt nur wahlweise ins Leere – oder aber auf uns, das Publikum, flehend, dass wir sie doch verstehen und nicht verurteilen möchten.
*****
Meine Güte. Eigentlich wollte ich auch hierzu einen richtigen Text für unsere „100 Deutschen Lieblingsfilme“ schreiben. Unsere „100 Deutschen Lieblingsfilme“, dieses einst von mir so hoffnungsvoll und vorfreudig antizipierte Projekt, wird wohl noch länger ohne wirklichen Input von meiner Seite auskommen müssen. Ich finde das deprimierend, oder, besser gesagt: zum Kotzen, und wünsche mir wieder einmal eine ephemere Erleuchtung herbei, die mich auf den Pfad vager Routine sowie gefestigter und konzentrierter Artikulation führt.
23.12.2012
Lilian – The Perverted Virgin / Lilian (la virgen pervertida)
(Jess Franco, Spanien 1984) – 8/10 (20), DVD
Mein 50. Franco-Film. Ich hatte kontempliert, diesen festlichen Anlass, dieses besondere Jubiläum, mit angemessenem Prunk und einem jener mir noch unbekannten Filme zu begehen, auf die ich mich am meisten freue (auch diese Filme sind freilich reich gezählt). Außerdem mit einer monumentalen Liebeserklärung an diesen Filmemacher, der für mich im Verlauf der letzten drei bis vier Jahre immer wichtiger geworden ist. So ergab es sich allerdings letztlich ganz spontan und unglamourös – und damit in einer diesem gewaltigen Gesamtwerk und diesem Kino ganz angemessenen Weise – dass ich mit Robert und Christian aus Jena diesen Film sah, nicht vollends ausgeschlafen, in jenem feinen, leicht dämmrigen Zustand, in dem ich mich so selten vorfinde (weil mich meist nur die totale, Geist und Sicht abtötende Müdigkeit überkommt) und der, so sagen andere, die schönste aller Verfassungen ist, in der man einen Franco-Film sehen kann. Der Film selbst, er wäre vielleicht große Franco-Poesie, ein zartes, flirrendes Gespinst – aufgeladen und unter Spannung gesetzt von Katja Bienerts, hier unter Drogenschleiern schwimmender, flüchtiger Tragik – wäre er nicht immer wieder unter- und durchbrochen, verseucht von diesen monotonen, nachgedrehten Hardcore-Szenen, die eindrucksvoll belegen, warum Franco gut daran getan hat, seinen Präferenzen zu folgen und auf expliziten Sex stets soweit als ihm möglich zu verzichten. Aber auch das waren die 80iger: das Jahrzehnt, in dem die die softe – sowie, nach Franco und, offen gestanden, auch nach mir, wahre – Erotik unbarmherzig von den Leinwänden gedrängt wurde.
Derrick – Die Schrecken der Nacht
(Zbyněk Brynych, BRD 1983) – 7.5/10 (20), DVD
22.12.2012
Vorname Carmen / Prénom Carmen
(Jean-Luc Godard, Frankreich 1983) – 7.5/10 (21), DVD
„Ich weiß, glaube ich, gar nicht mehr, welche Szene („mit dem Tom Waits-Song“) das war. Ich weiß noch, wie Godard, nach den Brioches, sagt, dass er sich den Mantel in der U-Bahn aufgerissen hat und ihn sich nähen lässt. Und Radio hört. Und „etre“ sagt. Und dass Mao viele Menschen ernährt hat. Und die Szene, in der der Protagonist es nicht schafft, Maruschka Detmers zu vergewaltigen, weil er sich unter der Dusche nicht hochwichsen kann. Und Pipi auf dem Männerklo. Und noch viele andere Sachen, aber Godard kann so anal richtig aufregend sein.“ (Aus einer Facebook-Diskussion mit Björn Last)
When Alice Broke the Mirror / Quando Alice ruppe lo specchio [2]
(Lucio Fulci, Italien 1988) – 8/10 (20), DVD*
Immer noch, irgendwie, voll daneben und missraten, aber diesmal habe ich mich nicht mehr fremdgeschämt sondern genossen, wie asozial und ökonomisch Fulci seinen kannibalischen BLAUBART aufbaut, und wie sich neben mir Jenny und Robert an dem hochnotriskanten, misogynen Humor und schäbigen Schangel des Films delektierten. Und dann: der ungeheuerliche finale Twist, den ich vergessen hatte – was vielleicht mehr für den Film spricht als alles andere. Wenn man einen Twist wie diesen am Ende eines Films wie diesem innerhalb von nur drei Jahren vergessen kann, muss der betreffende Film wirklich ausgesucht exzentrisch sein.
21.12.2012
The Pleasure Shop on 7th Avenue / Il porno shop della settima strada
(Joe D’Amato, Italien 1979) – 9/10 (22), VHS
Ein Frauen-und-Männer-reden-Film ist das, ganz unfranzösisch, ganz schmierig, sich ganz seltsam um die selbst erhobenen Gesetze des lüsternen Erzählens herum und nur selten, unvermittelt durch sie hindurch schlängelnd, ganz und gar diesen Figuren verpflichtet, die sich mit nervöser Verlustangst um ihre flüchtige Ausnahmesituation zuckend von selbiger treiben lassen. Sie nehmen dabei jeden Widerspruch in Kauf. Irgendwo zwischen dem wimmelnden Herz Manhattans, auf dem Weg vom titelgebenden, dort befindlichen Sexshop in die trübe Vorstadtvilla, in der sich das Geschehen abspielt, haben sie akzeptiert, dass der Gedanke an Konsequenzen sie davon abhält, aufeinander zu reagieren und Abhängigkeiten zu vermeiden. Und so kochen sie Kaffee, trüben durch die Räume und reden ganz matter-of-fact über Wege zur sexuellen Befriedigung aller Art, nur nicht über jene, die sie bei dem jeweils anderen suchen. Sex bei D’Amato kann tatsächlich, wer hätte das gedacht, so sehr und so seltsam davon abhängen, dass die Frauen und die Männer miteinander reden.
19.12.2012
Der Kommissar – Lagankes Verwandte
(Wolfgang Becker, BRD 1971) – 9/10 (22), DVD
Figuren einer Fernsehkindheit, neu gesehen: alt, schmierig, jenseitig und außerirdisch. Diesmal: Josef Meinrad. Ansonsten: Susanne Uhlen, die ewig Verstrahlte, völlig weggetreten, im Schein einer pendelnden, tief über ihrer Matratze hängenden Lampe. Und dazu der kränkliche, hysterisch lachende Ralf Schermuly, durch Schichten von Glas hindurch um seine Harmlosigkeit betrogen, und die böse, böse Rockmusik, deren Verführungskraft niemals gegen Herbert Reineckers miefige Volten verlieren könnte. Wolfgang Becker ist neben Brynych und Dietrich Haugk eindeutig der größte Meister unter den Ringelmann-Krimiregisseuren gewesen. Ich staune immer wieder darüber, dass der Mann fast ausschließlich Fernsehen gemacht hat.
18.12.2012
Die Rache der Wikinger / Gli invasori
(Mario Bava, Italien/Frankreich 1961) – 8/10 (21), DVD*
A Better Tomorrow / Ying Hung Boon Sik
(John Woo, Hongkong 1986) – 9/10 (23), DVD
17.12.2012
Asiatischer Exzess-Tag:
Im Kloster der heißen Nonnen / Shûdôjo Runa no kokuhaku
(Masaru Konuma, Japan 1976) – 9.5/10 (24), Kino (35mm)*
Kin Ping Meh – Chinesischer Liebesreigen / Kinpeibai
(Kôji Wakamatsu, Japan 1968) – 7/10 (19), Kino (35mm)*
Der Geheimbund der Todeskralle / Da Sha Si Fang
(Chang Cheh, Hongkong 1980) – 7.5/10 (20), Kino (35mm)*
Emanuela / Emmanuelle
(Just Jaeckin, Frankreich 1974) – 8/10 (20), Kino (35mm)*
16.12.2012
Haus der Sünde / L’apollonide (Souvenirs de la maison close)
(Bertrand Bonello, Frankreich 2011) – 10/10 (24), DVD
Ende 2010 habe ich im Rahmen jener abscheulichen, filmfeindlichen Veranstaltung, die da „Jahreslisten-Nachholmarathon“ genannt wird, Chang-dong Lees POETRY gesehen, geliebt und schrieb damals, dass, wenn die Worte versagen (was sie im Grunde immer tun, klar – diese Aussage selbst ist daher nicht mit Bedeutung aufgeladen), die Zahlen sprechen müssten. Dieses Jahr könnte ich an gleicher Stelle zu gleicher Zeit das Gleiche schreiben. Ein gewisser Herr unterstellt mir mit Vorliebe regelmäßig, eine Höchstwertung würde bei mir nichts mehr bedeuten. Andere Herren implizieren das zumindest. Ihnen allen sei an dieser Stelle gesagt, dass eine Höchstwertung – und überhaupt eine hohe Wertung an sich – von meiner Seite immer noch eine ernstgemeinte und daher möglicherweise auch ernstzunehmende (so ernstzunehmend, wie schnöde Zahlen oder ich eben sein können) Sache ist.
14.12.2012
Myriam – meine wilden Freuden
(Andreas Katsimitsoulias, BRD 1982) – 8/10 (19), Kino (35mm)
Nach der Sichtung wuchs der Film für eine Woche lang täglich. Dann verharrte die Wahrnehmung und begab sich in jenen ruhenden Modus, in dem Filmwahrnehmungen aufbewahrt werden, wenn ihnen von einem krankhaften Vielgucker nicht Woche um Woche eine Zelle zur Verfügung gestellt wird, um weiter Schwingungen auszusenden (was freilich später immer wieder geschieht und einen enormen Reiz hat, weil man dann nie sicher sein kann, wo diese Schwingungen, wenn man ihnen wieder einmal eine Zelle öffnet, aufprallen werden). An jener Schwelle zum ruhenden Modus, reichten die tristen und trüben Qualitäten dieses Films beinahe an die der Filme von Jürgen Enz heran. Beinahe.
Die Warriors / The Warriors
(Walter Hill, USA 1979) – 7/10 (17), Kino (35mm)*
Sehr hübsch und konzentriert, beinahe perfekt, aber letztlich genau jener Western im Neonlicht, den ich von Walter Hill erwartet, ach was, nicht erwartet sondern heimlich befürchtet hatte. Keine Überraschungen, alles schien mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit diesen spezifischen Kinogesetzen zu folgen, die ich nie ganz verstanden habe und vermutlich nie ganz verstehen werde. Das sind die Nebenwirkungen des ewig männlichen, klassischen Bartstoppelkinos, die nicht im schillernden Beipackzettel, ausgestellt von seinen ebenso leidenschaftlichen wie treuen Verfechtern, erwähnt werden. Es ist alkoholkrank und bleibt nie lange genug trocken, um sich selbst vollends zu transzendieren oder, die Atmung begünstigend, sich einer Dissoziation hinzugeben. Denke ich manchmal. Dann werde ich stets von irgendeinem generell erschütternden, partiell vielleicht, aber nicht zwingenderweise die Geschlossenheit des ewig Männlichen gegen Unschärfen, Absurditäten oder freien Fall eintauschenden Film eines Besseren belehrt. THE WARRIORS ist das nicht geglückt. Keine echte Poesie, keine Verstrahlung. Die Zielstrebigkeit (s. u.) der Warriors auf ihrem Weg nach Hause ist die Zielstrebigkeit des Films, der sich dadurch mannigfaltiger Reize beraubt. Als einer der Jungs zurückbleibt, um ein Mädchen auf einer Parkbank anzubaggern, wird er für diese Kameradenschweinerei prompt handlungsführenderweise vom Film bestraft. Wie öde. Er hätte das Mädchen auch einfach vögeln können, wäre sie keine Polizistin gewesen, oder sich mit ihr einen Kampf liefern, und danach zu seinen Kumpanen zurücktrüben können. Aber: wunderschöne Bilder von Straßen und Parks bei Nacht, vielleicht zu ausbalanciert, zu sauber, ohne jene Tiefe, die nur selbstvergessenes Starren bringen kann (und wie man sie etwa in THE DRIVER bisweilen, für einige Momente lang, findet). Das ist viel wert, ein großer, unbezwingbarer Fetisch von mir, der für Straßen und Parks bei Nacht, wurde damit gefüttert und ruhig gestellt. Wie sehr ich den Film wohl, in Verkennung meiner Dogmen wider Rezeptionsdogmen aller Art, mir selbst unterworfen haben mag? Nicht zu sehr, hoffe ich. Also: Straßen und Parks bei Nacht. Und die Erkenntnis, das der ganz junge James Remar zum Anbeißen war. Und, das Walter Hill auf der Chauvi-Skala der Bartstoppelfilmemacher vielleicht doch nur einen der mittleren Ränge belegt. Er tut, was ein Mann tun muss. Dass er dabei beharrlich Filmwelten wählt, in denen nur diese erwähnten, spezifischen Kinogesetze gelten können (möge er doch vom Glauben an das Gesetz abfallen), ist sein größter Schaden (für mich) und größter Gewinn (für viele andere). Così è la vita. Ich denke an HARD TIMES zurück, den ich mir vor einigen Monaten in einem Anfall von Todesverachtung und Selbstüberschätzung aus eigenem Antrieb, ohne das Zutun meiner Hill-begeisterten Freunde ansah. Ich hatte meinen Spaß damit, auch ein wenig mit der nur noch spielerisch widerspenstigen Reibung an dem, was mich daran noch vor zwei oder drei Jahren enerviert hätte, und habe ihn Hill überhaupt nicht übelgenommen, obwohl er, unter den erwähnten Gesichtspunkten betrachtet, sehr viel Übelnehmenswertes und Männerfilmgetue, diese gefühlige, manierierte Wortkargheit, mitbrachte. Aber ich muss nicht jeden Filmemacher (oder jeden Film, bei Hill ziehe ich es vor, vom Filmemacher selbst zu sprechen) von Herzen verstehen, oder das glauben. Wenn man sich dadurch, dass man Walter Hill-Filme nicht aufrichtig lieben kann, als Pussy ausgibt, bin ich eine Pussy.
California Split
(Robert Altman, USA 1974) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Tatsächlich hatte ich ein schönes Erlebnis mit der stark braunstichigen, beinahe gänzlich entfärbten 35mm-Kopie. Dieses Braun hatte viel Schmutzigkeit und unprätentiöse Wärme, die der Film, hoffe ich, auch in voller Farbenpracht ausgestrahlt hätte. Nicht, das Farben an sich für seine Figuren besonders wichtig wären. Besonders mochte ich, wie sich jede Situation direkt aus sich selbst zu entwickeln schien, und wie sehr der Film, wenn er denn nicht tatsächlich so ausgefuchst sein sollte, all diese Dinge tatsächlich so akribisch zu anzuordnen, bereit zu sein schien, den Situationen das zuzugestehen, darauf vertrauend, dass sie sich selbst, aus eigener Kraft, zu einem Film anordnen unter den Melancholien der jeweils einzelnen Figur, an dem Punkt, an dem sie kurz überlappen und gelegentlich eine kurze, intensive, aber, gemäß dem Gesetz des Zahnrads, vergängliche Verzahnung der einzelnen Situationen herstellen. Außerdem ist das natürlich einer der seltenen Hollywood-Filme, der ein Driften zwischen verschiedenen, hm, „Lebensmodellen“ einfach so in den Raum stellt und stehen lässt, ohne daran zielstrebig herumzudoktern oder die Überlegung, dass sich das eine Modell sich in allererster Linie von der Fremdheit des anderen angezogen fühlt, für der Weisheit letzten Schluss zu halten. Ich sollte mehr von Robert Altman sehen. Nachdem auch THE COMPANY und IMAGES mich zu faszinieren wussten, sollte ich endlich einsehen, dass seine Filme nicht so trist sind, wie ich sie mir früher stets vorgestellt hatte.
Full Contact / Haap dou ko fei
(Ringo Lam, Hongkong 1992) – 9.5/10 (24), DVD
Ich wollte zu unchristlicher Stunde, um 3 Uhr morgens, noch einen ruhigen Film, nicht notwendigerweise einen, der mich auch ruhig schlafen lässt oder beruhigt, nur einen Film, von dem ich keinen Exzess, keine aggressive Reizüberflutung zu befürchten hatte, einen Film, in dem ich wandeln konnte. Ich fühlte mich ein bisschen zu ungeschützt für Exzesse. Mein Bauch sagte reflexartig „Berliner Schule“, doch ich hatte, außer vielleicht Benjamin Heisenbergs SCHLÄFER, nichts Passendes im Haus. Ich musste pragmatisch vorgehen. Leider, und Gottseidank, lag auf dem Regal neben meinem Schreibtisch ein Stapel von Hongkong-Filmen, die mir Robert fürsorglich geborgt hatte. Ich müsste diesen Stapel auch endlich in Angriff nehmen, dachte ich, und griff, etwas unsicher, zu FULL CONTACT. In Kenntnis von PRISON ON FIRE dachte ich, einen vielleicht halbwegs nüchternen, erdigen Film erwarten zu können. Stattdessen wurde ich von einer Flutwelle des Exzesses, des Schmerzes, der Farben, des Irrsinns, der Gewalt, der Geilheit, des Zynismus, des Spieltriebs, der Sinnlichkeit, Zerrissenheit und kinematographischer Selbstgenügsamkeit der seltenen, angenehmen, den Geist umschwirrenden Art erfasst. Völlig durchgerüttelt und verwirrt kroch ich hernach ins Bett, gewiss, dass mich ein fromm herbeigewünschter Streifzug durch das Hongkong-Genrekino noch sehr viel Energie und Selbstverschwendung kosten würde.
11.12.2012
Dredd 3D
(Pete Travis, Alex Garland, GB/USA/Indien/Südafrika 2012) – 8.5/10 (21), Kino (Digital)*
Prison on Fire / Gaam yuk fung wan
(Ringo Lam, Hongkong 1987) – 9/10 (23), DVD
Flashback
(Raffaele Andreassi, Italien 1969) – 10/10 (25), DVD
Ich war fassungslos, müde und innerlich ein wenig wund, danach. Wieder so ein Film für den hohe Stapel von Filmen, über die ich irgendwann unbedingt schreiben muss, wenn ich sie ein zweites Mal sehe, wenn ich vielleicht eher in der Lage bin, sie irgendwie schriftlich zumindest für Momente zu fassen zu bekommen. Ein Film, über den zu schreiben mir ein großes Anliegen wäre, auch, um überhaupt nur auf seine Existenz hinzuweisen. Es ist allerdings womöglich besser, dass ich über diesen Film nicht schreiben konnte oder das Gefühl hatte, nicht über ihn schreiben zu können. Soviel von meiner eigenen, hoffentlich nicht zu selbstmitleidigen Traurigkeit zum Zeitpunkt der Sichtung habe ich in den Augen von Fred Robsahm gesehen, soviel von meiner eigenen Ignoranz, von meiner bisweilen tragisch widerspruchslosen Sicht auf Widersprüchliches, von meiner ganz grundsätzlichen Sehnsucht von einer bestimmten Art von Einklang mit meiner physischen Umgebung, von der ich mich frage, was sie wohl über mich aussagen könnte. Ich war etwas beunruhigt, und doch fühlte ich mich seltsam und vermutlich, leider irgendwie auch, esoterisch geborgen in diesem Film, der Ruhe – und das macht ihn so besonders traurig – als einen Zustand der Abhängigkeit kenntlich macht, der die Natur als unabhängigste aller Einheiten erfasst und das Menschliche selbst als mit dieser Einheit kaum je eine Symbiose bildende, autistische Absurdität, die wiederum nur in dieser abhängigen Ruhe eine Rechtfertigung findet. Auch die Durchsichtigkeit der Worte steht da im Raum: der Protagonist, gespielt vom Norweger Robsahm, spricht Deutsch, denkt aber auf Italienisch. Das ist nicht nur das Gesetz, dem der Film, zerrissen zwischen seiner Herkunft und seiner Prämisse, zu folgen hat. Keiner der wenigen Sätze, die Heinz, der deutsche Soldat, der sich eine Nacht nach Ende des zweiten Weltkriegs in einem menschenleeren italienischen Tal wiederfindet, spricht, ist notwendig, sagt irgendetwas aus. Jeder dieser wenigen Sätze ist nur dazu da, ihn als Menschen und somit als ein in moralische Begrifflichkeiten hineingeborenes Wesen zu kennzeichnen. Spätestens als ich das festgestellt hatte, wuchs mir der Film endgültig über den Kopf, glaube ich. Eigentlich hatte ich überhaupt nichts festgestellt. FLASHBACK ist kein Film, der sich so feststellen lässt. Und das macht ihn, beinahe, unendlich.
07.12.2012
Töte, Django / Se sei vivo spara! [2]
(Giulio Questi, Italien 1967) – 9/10 (23), Kino (35mm)* [Extrem braunstichige Kopie]
„Und der Herr sprach: Es ist ein Geschrei zu Sodom und Gomorra, das ist groß, und ihre Sünden sind sehr schwer. Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob’s nicht also sei, daß ich’s wisse. (…) Aber Abraham blieb stehen vor dem Herrn und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? (…) Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? (…) Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. (…) Aber ehe sie sich legten, kamen die Männer der Stadt Sodom und umgaben das Haus, Jung und Alt, das ganze Volk aus allen Enden, und riefen Lot und sprachen zu ihm: Wo sind die Männer, die zu dir gekommen sind diese Nacht? Führe sie heraus zu uns, dass wir uns über sie hermachen. (…) Sie aber sprachen: Weg mit dir! Und sprachen auch: Du bist der einzige Fremdling hier und willst regieren? Wohlan, wir wollen dich noch übler plagen als jene. (…) Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und vernichtete die Städte und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war.“ (1. Buch Mose, Genesis)
06.12.2012
Kino Kolossal – Maciste, Herkules & Co [2]
(Hans-Jürgen Panitz, Inga Seyric, Deutschland 2000) – 5/10 (14), DVD
05.12.2012
Träume zu verkaufen / Dreams That Money Can Buy
(Hans Richter, USA 1947) – 7.5/10 (19), Kino (16mm)
05.12.2012
Sterne an der Mütze / Csillagosok, katonák
(Miklós Jancsó, Ungarn/UDSSR 1967) – 9/10 (23), DVD
Ein (Kriegs)Massaker als schmerzhaft schweigender Film, als ebenso morbide wie zärtliche, ängstliche Verewigung des ursprünglich Menschlichen, des Moments der nicht verurteilbaren Wahrhaftigkeit zwischen den wahrhaftigeren, aber geschlosseneren Widersprüchen, der von selbigen unbehelligt und für eine kurze Ewigkeit zu bestehen vermag, und nur selten auf der Leinwand zu beobachten ist, zumal in einem so deterministischen, durchchoreografierten Film wie diesem. Glücklicherweise war ich, immer noch geschwächt und ausgelaugt vom 8. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos, nicht vollends bei mir, als ich ihn sah, sonst wäre es mir damit vielleicht schlimm ergangen und ich hätte geweint.
Negresco****
(Klaus Lemke, BRD 1968) – 9/10 (22), DVD
In diesem frühen Film des wilden Klaus zeigt sich noch das wahre Gesicht des gammelnden, passiven Lemke-Heroen (hier von Gerard Blain unvergleichlich zwischen trägem Sex-Appeal und extremem, die Filmpersona versehrendem Verzicht skizziert): er veräppelt die Frauen und ist ihnen letztlich überlegen, weil er so flink zwischen den verschiedenen Schichten des Veräppelns hüpft. Ira von Fürstenberg jedenfalls trumpft nur durch Gebahren auf, am Ende ist sie die arme Pute, die gerupft wird. Nur das geheimnisvolle Mädchen, das im Meer plantscht, ist anders, doch es geistert nur sporadisch durch die mäandernde Erzählung, in deren Rahmen Lemke sehr schön direkt sehr viele verschiedene Genre-Tableaus ausprobiert, nur um am Ende stets vor den harten Fakten zaudernd zum lässig-schläfrigen Machismo zurückzutrüben. Vielleicht findet hier auch die Ultrakunst des Drehbuchautoren Max Zihlmann zu ihrer endgültigen, wenn auch unfreiwilligen Bestimmung: statt Erfüllungsgehilfe schüchtern-lüsterner junger Männer und ihrer verkorksten Fantasien von unberechenbaren, aber dann natürlich doch ausreichend berechenbaren und erregend widerspenstigen, toughen Frauen zu sein, vermengt sich die ungeheuerliche Coolness seiner Dialoge hier mit mit zahlreiche rhythmischen und atmosphärischen Brüchen: Lemke, nachdem er sich freikämpfte – diesen Vorstoß namens 48 STUNDEN BIS ACAPULCO vermochte ich vor einem Jahr nicht recht zu lieben – und bevor er endgültig richtig Lemke wurde. Der unsicherste und schönste Lemke, und leider aber wohl auch der seltenste, elusivste, temporärste Lemke.
01. – 04. 12. 2012
8. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos unter dem Motto „Reintrüben, raustrüben“
Da ich mit den ausstehenden, jüngsten Einträgen in diesem Sehtagebuch chronisch im Verzug bin und mich von der Menge an Filmen, über die zu schreiben mir ein Anliegen wäre, erschlagen sehe, verzichte ich diesmal auf eine ausführliche Kommentierung der einzelnen Filme und verweise erleichtert und begeistert auf die wunderbaren, sehr unterschiedlichen Rückblicke von Robert, Lukas Foerster und Silvia Szymanski. Es tut mir etwas weh, denn zu gerne würde ich gerade über IL MERLO MASCHIO, A NIGHT TO DISMEMBER, über die endgültige Offenbarung von Sergio Bergonzelli als Lieblingsregisseur durch DANIELA MINI-SLIP sowie über IO, EMMANUELLE schreiben, der mich persönlich besonders getroffen und die Überlegung in mir hat reifen lassen, dass es vielleicht keine so gute Idee war, ihn ins Kongressprogramm aufzunehmen, da man sich im Zuge dieser Veranstaltung schließlich nicht in die völlige emotionale Obdachlosigkeit werfen möchte, aber ich sehe mich außer Stande, diesen Filmberg zu bewältigen. Möge das Jahr 2013 mir die Unbefangenheit und Furchtlosigkeit vor dem und die Freude am spontanen Schreiben – bzw. überhaupt die Spontaneität – zurückbringen und die Qual daran hinwegheben.
04.12.2012
The 33D Invader / Mat tou shing suk shut 33D
(Chin Man Kei, Hongkong 2011) – 9/10 (22), DVD
Provinz ohne Gesetz / Provincia violenta
(Mario Bianchi, Calogero Caruana, Italien 1978) – 8.5/10 (22), DVD*
Intime Stunden auf der Schulbank
(Jürgen Enz, TV München, BRD 1981) – 8/10 (20), VHS [um 25 Minuten gekürzt]
André schafft sie alle
(Peter Fratzscher, BRD 1985) – 3/10 (7), VHS
03.12.2012
„Ich, Emmanuelle“ / Io, Emmanuelle
(Cesare Canevari, Italien 1969) – 10/10 (24), DVD
In memoriam.
Sünde mit Rabatt
(Rudolf Lubowski, BRD 1968) – 9/10 (22), Kino (35mm)
A Night to Dismember
(Doris Wishman, USA 1983) – 9/10 (23), VHS
Die Steifeprüfung [K]
(Hans Billian, BRD 1978) – 6.5/10 (15), VHS
Diamond Connection / Diamond Connection – Diamanti che scottano
(Sergio Bergonzelli, Schweiz 1982) – 9/10 (21), VHS* [falsches Bildformat]
Lehrmädchen-Report
(Ernst Hofbauer, BRD 1972) – 9/10 (22), VHS
02.12.2012
Das nackte Cello / Il merlo maschio
(Pasquale Festa Campanile, Italien 1971) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)*
Monarch
(Johannes Flütsch, Manfred Stelzer, BRD 1980) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Der traurigste Film des 8. außerordentlichen Filmkongresses des Hofbauer-Kommandos. Danach fühlt man sich alleingelassen von der Welt, von der Gesellschaft.
Drei Schwedinnen auf der Reeperbahn
(Walter Boos, BRD 1980) – 8/10 (21), VHS [Hardcore-Fassung]
Mit Boosie hat das Hofbauer-Kommando so seine Probleme. Boosie schämt sich zu oft für den Schmier und den zotigen Humor und macht ihn dann ganz schrecklich klamottig und schrill, ohne Energie, Leidenschaft und Fantasie. Mit seinem letzten Film hat Boosie aber noch einmal etwas ganz Schönes gemacht, einen melancholisch-komischen Teenie-Film, der gelb euchtenden Jugendschmerz in graue Hamburger Tristesse bettet. Vielleicht war Boosie schon immer ein Melancholiker gewesen, und durfte das nicht zeigen, in den Sexklamotten, die er davor drehen musste. Wie schön, dass er am Ende seiner Karriere mit den wunderbaren SCHULMÄDCHEN VOM TREFFPUNKT ZOO und diesem Film noch einmal zu sich kommen durfte. Sie sind putzig, diese Filme, aber auch echt. Sie fühlen sich nicht völlig falsch an, und sie haben diese Musik von Gerhard Heinz, die vermutlich jeden Film um 90 Grad wenden könnte.
First Love [K]
(Hans Billian, BRD 1979) – 8.5/10 (20), VHS
„Bestialisch, absolut bestialisch.“
Die drei Supermänner räumen auf / I fantastici tre $upermen
(Gianfranco Parolini, Italien/BRD/Frankreich/Jugoslawien 1967) – 8/10 (21), DVD* [evtl. falsches Bildformat]
Ein Film von kindlichem Gemüt, adoleszenter Phantastik und biegsamer Albernheit, zum Gernhaben, eindeutig ein Zu-sich-kommen von Gianfranco Parolini, und mit einem phänomenal schmierigen Jochen Brockmann als kinderfressendem Bösewicht (im Vorspann der italienischen Fassung als „Jockem Brockmann“ aufgeführt). Leider musste man auch hier einsehen, dass ein kindliches Gemüt bei Weitem zu unschuldig ist, um auf einem außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos zu reüssieren.
??? / ???
(???, ??? 197?) – 1/10 (2), Kino (35mm)*
01.12.2012
Tanja – Die Nackte von der Teufelsinsel
(Julius Hofherr, BRD 1967) – 9/10 (23), Kino (35mm)
„…hat so etwas leicht Weerasethakuleskes.“ (Thomas Groh)
Mädchen in der Sauna [K]
(Gunther Wolf, BRD 1967) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Humongous
(Paul Lynch, Kanada 1982) – 7.5/10 (20), VHS*
Oculus / Daniela mini-slip
(Sergio Bergonzelli, Türkei/Italien/Spanien 1979) – 10/10 (24), VHS*
Denn das Weib ist schwach
(Wolfgang Glück, BRD 1961) – 9.5/10 (24), DVD
So ganz und gar anders als MÄDCHEN FÜR DIE MAMBO-BAR. So dunkel, so triebhaft, so ernst. Ein erwachsener deutscher Genrefilm, mitten in der Falschheit der anhaltenden Scheinsättigung des Wirschaftswunders. Ein wirklich erwachsener Genrefilm. Der weiß, dass die realen Tragödien und das reale Absurde, aus dem die folglich nie so irrealen Kinomythen wachsen, auf jedem Grund und Boden gedeihen können. Auf dem Schrottplatz am Ende, in Autoleichen und Blechhügeln, schließt sich der Kreis, trifft der Film, im eigenen Verlauf weise geworden, auf das Ende seiner eigenen Vorraussetzungen, auf die Reste derjenigen des alten deutschen Genrekinos – wie es auch Harald Reinl in seinen späten, großartig rohen, heterogenen Edgar Wallace- und Jerry Cotton-Filmen noch einmal auf Schrottplätze führte – und das des neuen, des bewussten, aber nur halb so erwachsenen, weil von den aggressiven Wurzeln des Untergangs des gesamten deutschen Kinos bereits Durchdrungenen und Geschundenen, in den späteren Filmen von Regisseuren wie Zbynek Brynych, Eckhart Schmidt, Roger Fritz, Peter Baumgartner und Jürgen Roland. Heute scheint Dominik Graf der einzige deutsche Filmemacher zu sein, der das gleiche Bewusstsein für diesen Nährboden hat – gäbe es diese Orte der unbegrenzten Möglichkeiten zur Auflösung noch, diese Schrottplätze, die heute vermutlich allen Sicherheitsvorschriften widersprächen, es hätte Graf und seine Filme sicherlich hin und wieder auch dorthin verschlagen.
Novembre
27.11.2012
Die Irrfahrten des Herkules / Goliath contro i giganti
(Guido Malatesta, Gianfranco Parolini, Italien/Spanien 1962) – 8/10 (21), DVD***
Wie IL TRIONFO DI MACISTE als Sandalentonfilm aus den 20igern zu kommen scheint, so scheint dieser sich aus den späten 40igern ins Totalscope-Bild der 60iger zu schleichen. Brad Harris ist großartig, zwar die perfekte Infusion des unbetrüblichen, hemdsärmeligen und omnipräsenten, in seiner Aura der unprätentiösen Souveränität nicht rein physischen amerikanischen Heldentypus in den Sandalenfilm, aber dem zum Trotz erhebt er wie die meisten anderen Muskelmänner Verzicht zur Königsdisziplin, lässt dabei jedoch beständig keinen Zweifel daran, dass er ja schon gerne mal bohren würde, bei all diesen schönen Frauen. Fernando Rey als tyrannischer Bösewicht, eine große Schau, mit Gusto hingeknallt. Meeresungeheuer und Gorillamonster. Martialische Flammenstöße der Musik. Imposante Massenszenen, aber Guido Malatesta scheint auch kein Regisseur dieser Zeit gewesen zu sein. Die pop-affine Handschrift von Gianfranco Parolini, der das Drehbuch schrieb und den Film übernahm, nachdem Malatesta entlassen wurde, zeichnet sich kaum ab. Stattdessen: psychologisches Mini-Monumentalkino nach amerikanischer Art, mit italienischem Sublim-Sleaze.
Einer frißt den anderen / Dog Eat Dog
(Ray Nazarro, Albert Zugsmith, Gustav Gavrin, BRD/Italien/Liechtenstein 1961) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)*
Verstrahlt über eine steinige Mittelmeerinsel plusternd und wabernd, gebärden sich Jayne Mansfield, Cameron Mitchell, Elisabeth Flickenschildt, Ivor Salter, Dodie Heath, Pinkas Braun und Werner Peters im Kampf um das große Geld abwechselnd wie patzige Kinder oder Langzeitinsassen einer Psychiatrie, zumindest aber scheint die nie untergehende Schwarzweiß-Sonne (natürliches Licht in schwarzweißen Genrefilmen der 60iger – zum Sterben schön und seltsam) in dieser ein Gefühl von Echtzeit vermittelnden Inselhatz ihnen einen gehörigen Stich verpasst zu haben, was der Film genüßlich, aber mit Dezenz, auskostet. Den schönsten aller Sätze sagt die mumienhaft in ihre schwarze Spitzenschleier aus DAS INDISCHE TUCH gehüllte Flickenschildt, als sie den hartgesottenen Gangster Mitchell (der den ganzen Film über völlig blutverkrustet bleibt) im Garten ihres Schlösschens verdattert und zartfühlend zum kleinen Jungen schrumpft, indem sie ihm seinen eigenen Revolver vorhält. „Ich liebe Pistolen – und Zärtlichkeit“, haucht sie mit ihrer unnachahmlichen Stimme. Spätestens zu diesem – im Film frühen – Zeitpunkt war meine Hose geplatzt und ich hatte mein Herz schon halb an diesen Film verloren, der glücklicherweise ohne Erfolg versucht, amerikanische B-Movie-Professionalität im wilden italienischen Süden zu etablieren. Stattdessen steht über allem unsichtbar geschrieben: Wir sind mit den verrückten Italienern auf diese kleine Insel gefahren und haben im brütenden August diesen kleinen Film gedreht, dabei haben wir uns auch viele komische und abgefahrene Sachen erlaubt, aber so, dass es keiner merkt! Täuscht euch nicht, das ist Absicht, wenn Cameron Mitchell durch den Salon des Schlösschen rennt und dabei um ein Haar diese große Vase umwirft. (Solchen schönen Irritationsmomenten wird, wie ich finde, gemeinhin viel zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt – ich erinnere mich wohlig an die, nun, „Müllsack-Szene“ aus THE INNKEEPERS, siehe Eintrag vom 31. August in meinem STB 2011.)
Ich hätte den Film vielleicht noch mehr geliebt, hätte ich nicht ständig die 35mm-Projektion überwachen müssen, die ich nur für mich selbst in tiefster Nacht in Gang gesetzt hatte. Nach dem ersten Akt riss die geschundene Kopie, das hat mir mein Filmerlebnis nicht mehr verziehen.
Ach, und dann ist da noch die Eröffnungssequenz. Jayne Mansfield badet, auf einem Bett, schäkernd in Geldscheinen. „Sie wollten es einstampfen! Das Geld! Das viele, schöne Geld!“. Eigentlich hatte ich mein Herz schon da verloren, an sie und an den Film.
24.11.2012
Maciste besiegt die Feuerteufel / Il trionfo di Maciste
(Tanio Boccia, Italien/Frankreich 1961) – 9/10 (23), DVD***
Wo der deutsche Verleih in diesem Film „Feuerteufel“ entdeckt haben mag? Gemeint ist wohl jene Sekte von „Höhlenmenschen“, der hier eine böse Königinm Jungfrauen abführt, die dann als Opfer in dem flammenden Schlund einer Götzenstatue, die in den Tiefen einer riesigen Grotte steht, geworfen werden. In den „Sigurd“-Comics von Hansrudi Wäscher, einer meiner Kindheitserinnerungen schlechthin, die mir die vermutlich intensivsten, evokativsten Erlebnisse mit Gedrucktem bescherten, die ich je gehabt habe, gibt es in den ersten Heften auch eine solche Geschichte, in der eine böse Königin ihr preußisches, mittelalterliches Volk einen solchen Götzen („Götze“, das ist sehr wichtig – ein Word, dass das Heidnische in alle Richtungen ausdünstet, ein Relikt) anbeten lässt. Sie nennt ihn, wenn mich nicht alles täuscht, „Amato“. Kirk Morris, 10 Jahre älter, hätte Sigurd sicherlich großartig verkörpert.
*****
Ich bin inzwischen reflexartig ein wenig darauf verfallen, jeden Sandalenfilm lose einem bestimmten Jahrzehnt des Zeitalters der klassischen Spektakel (welches meinem Empfinden nach – filmwissenschaftliche Betrachtungsweisen sind hier, leider oder glücklicherweise, nicht im Spiel – auch in den 60igern endete) zuzuordnen. Tanio Boccia, gemeinhin als hack verrufen (und bisher auch von mir so angesehen), gelingt hier ein Sandalone, wie er näher an den 20igern – nicht den 10er Jahren, dorthin passt dann doch keiner der pepla -nicht sein könnte. Ein knorriger Abenteuerreigen, in dem die Bewegung über das Wort triumphiert, die Stimmung über die Erzählung, in dem die Dialoge auch in Zwischentiteln stehen könnten, die Musik auch als durchgängige Partitur alles überlagern könnte. Und all das überzogen, überwachsen mit jenem aller abenteuerlichen Munterkeit zum Trotz unbestimmt düsteren, erdigen, felsigen, matten Glanz, der auch das Aufregendste und Geheimnisvoll-Unerklärlichste war an Boccias Grusel-Italowestern DIO NON PAGA IL SABATO (1967). Kirk Morris alias Adriano Bellini, hier im unglaublichen, noch sichtlich milchbärtigen Alter von 19 Jahren (!) zum ersten Mal in einem Film und als Maciste, interpretiert die Figur mit der hinreißenden Unsicherheit des unversehens zum Schauspieler Beförderten als im Grunde willensschwaches Medium, durch das hindurch die Figuren und die tyrannischen, amourösen und familiären Konstellationen erst zum Leben erweckt werden. Sie überstrahlen ihn. Er selbst könnte dabei leicht nur ein schöner Gegenstand, ein griechischer Jüngling, ein Lustknabe, sein – tatsächlich allerdings ersteht der traditionsbewusste italienische Held hier als Ketten zerreißendes und aus rebellischer Routine Felsbrocken versetzendes, formbares, mögliches Teenager-Idol. Diesen 19jährigen hat man nicht besetzt, um ein konservatives männliches Publikum zu erfreuen, nein, er dürfte nichts geringeres als der Robert Pattinson des Sandalenfilms gewesen sein (passend dazu der nie verifizierte Mythos, dass eine Produzentengattin ihn als Gondelfahrer in Venedig bemerkte). Seine latent melancholische Ausstrahlung, der stramme, nie verhüllte Körper, wie auch seine an Elvis und James Dean erinnernden Züge dürften damals jedenfalls für „feuchte Höschen“ (wie man in einer anderen Zeit vielleicht gesagt hätte) gesorgt haben, und auch ich muss gestehen, ihn zum Auffressen gern zu haben. Jedenfalls ist er von all diesen teils furchteinflößenden, muskelbewehrten Supermännern vielleicht der Zugänglichste, derjenige, dem man am ehesten zutraut, sich trotz seiner Bärenkräfte – an die zu glauben man überhaupt erst lernen muss, hier in einer dieser archetypischen Szenen, in denen Maciste mit Ketten an zwei Pferdegespannen vertäut wird. Fetischistisch schneidet Boccia während des Kraftaktes, fast wie in einer Sexszene, zwischen Großaufnahmen seiner verschiedenen Körperteile und Muskeln hin- und her, bleibt aber auffallend oft pragmatisch an seinen Füßen hängen – ohne Ego, Heldentum und Hintergedanken in die gute, kräftezehrende Sache zu stürzen, während so manchem seiner amerikanischen und britischen Bodybuilderkollegen wahlweise die schmierige Lüsternheit oder der artige Verzicht schon ins Gesicht (und ihr Gesicht ist bekanntlich das, dem neben den Muskeln die größte Bedeutung zukommt) geschrieben zu stehen scheint. Der unbesiegbare Muskelmann als sensibler Lustknabe, ein Konzept, für das man sich im Kontext dieser ursprünglichen Filmkunst besonders erwärmen kann. In Boccias hier im umfassendsten und durchdringendsten Sinne des Wortes archaischer, zerklüfteter und von feinen Anflügen kühler Romantik durchdrungener mise-en-scène jedenfalls gewinnt Morris‘ ganz eigenes Charisma und seine Physis enorm an Reiz, ganz im Gegensatz zur tristen Routinefilmerei eines MACISTE ALLA CORTE DELLO ZAR (siehe Eintrag vom 21. 10.), der Boccia und Morris dann wohl so zeigt, wie man sie gemeinhin sieht: als „hack director“ und als ausdrucksloses Muskel-Toy-boy. Ein merkwürdiger, modrig-verwitterter Film aus Gestein, Wasser, Wolken, Laub, Nebel und tiefstehender Sonne. Und mein erstes Erfolgserlebnis mit einem Sandalenfilm, den ich auf italienisch ohne die mir sonst zumeist noch zur Verfügung stehenden italienischen Gehörlosenuntertitel gesehen habe – ich konnte nahezu alles verstehen. Ob das nun der Ursprünglichkeit des Films oder einer besonders guten Tagesform geschuldet war, sei dahingestellt. Jedenfalls besteht noch Hoffnung (vor allem auch darauf, dass ich nicht allzu viele der antiquierten deutschen Synchronfassungen dieser Filme ertragen muss.)
Abschließend noch ein Song, der sich zum heimlichen Soundtrack meiner Sandalenfilm-Retrospektive gemausert hat. Warum auch immer. Ich entdeckte ihn zu richtigen Zeit und es handelt sich dabei vermutlich um das, was man als italienischen Teenie-Pop seiner Zeit bezeichnen könnte. Und er passt sehr gut zu diesem Film, auf eine gewisse Art.
23.11.2012
Der stärkste Mann der Welt / Il trionfo di Ercole
(Alberto De Martino, Italien 1964) – 9/10 (23), DVD*
Ein wirbelwindiger Riesenspaß. Alberto De Martino, in dem ich schon seit Längerem einen etwas unterschätzten Namen unter den über all die verschiedenen Wellen und Trends des italienischen Genrekinos hinweg aktiven Filmemachern vermute – seine beiden Gialli L’UOMO DAGLI OCCHI DI GHIACCIO (1971) und 7, HYDEN PARK: LA CASA MALEDETTA (1985) etwa sind überaus charmante, ernsthaft-versonnen erzählte, melodramatische Grenzgänger ihrer Gattung – amüsiert sich prächtig mit dem Genre, seinem Sinn und Unsinn, seiner natürlichen Offenheit für fremde Einflüsse und genreübergreifende Spielereien, lässt das gut gelaunte Steingesicht Dan Vadis – der eher an einen American Football-Spieler erinnert als an einen griechischen Halbgott – ein übervolles Programm absolvieren, offensichtlich stets versucht, in diesen einen Film nun wirklich alles hineinzumengen, was sich in einen Sandalone hineinmengen lässt. Am ähnlichsten ist das noch Michael Curtiz‘ verhindertem Musical THE ADVENTURES OF ROBIN HOOD (ein Sandalen-Musical, ein italienisches, das wäre in der Tat das Höchste vom Hohen), aber hier trübt auch schon der Italowestern kurz vorbei, in einer unglaublichen Sequenz, in der ein fehlgeleiteter Herkules ein ganzes Fischerdorf verwüstet und am Ende dessen Häuptling (gespielt vom ewigen italienischen Kino-Bösewicht der 60iger Jahre, Piero Lulli, in einer „guten“ Rolle), in einem Duell der Blicke gegenübersteht. Doch Herkules tötet auch seinen Freund, woraufhin ihn Zeus mit Blitz und Donner aus dem Wolkendach warnt – „Herkules! Du hast einen Unschuldigen getötet!“ – und ihm seine übermenschliche Kraft nimmt. Martialischer Ernst, wie dieser Moment ihn suggeriert, ist diesem Film hingegen völlig fremd, er delektiert sich ständig an seinem Schangel, lässt auch böse Zauberinnen in bunten Grotten mit farbigen Rauchwolken die Fäden ziehen, seinen Helden mit von spielenden Äffchen herbeigerufenen, vergoldeten Muskelmänner-Dämonen Kegel spielen und legt schließlich Marilù Tolo auf eine Waagschale, über der Eisendornen schweben – nur die gerad rechtzeitig wiederkehrende übermenschliche Körperkraft ihres geliebten Herkules vermag, das Unheil abzuwenden und das Mädchen in Bedrängnis wieder wortwörtlich ins Gleichgewicht zu stemmen.
Der Kampf um Troja / La guerra di Troia
(Giorgio Ferroni, Italien/Frankreich 1961) – 7.5/10 (21), DVD*
Ich habe es geahnt und befürchtet. Wenn ein Sandalenfilm Geld zum Ausgeben hat, dann muss er das auch herzeigen. Und dieses Herzeigen von Geld, das war in jenen Tagen eine eigene Kunst, die beherrscht sein wollte. Giorgio Ferroni, obschon weder ein Erzähler, noch ein Actionregisseur, so doch zweifellos ein Könner, beherrschte sie offensichtlich nicht. Die erste Hälfte des Films wird getragen von Ferronis eigener, schwebender Verstrahlung, von dieser extremen Stilisierung, die in ihrer bestimmten Dynamik ein bisschen an Riccardo Freda und Josef von Sternberg erinnert, aber dann auch wieder nicht. Danach allerdings, nach dieser ersten Hälfte, die auch mit ihrem unkonventionellen, trotzigen Blick auf den bekannten Stoff überrascht, bekommt der 100minütige Film alle Hände voll mit Heerscharen von Komparsen und Bergen von Schauwerten zu tun, und geht daran beinahe zugrunde. Nur am Rande noch schlägt er seltsame, geometrische Zirkel in seinem aufgebauten Troja, schimmern existenzialistische Trübnis und todesverachtender Verzicht durch die Schleier des tristen Schlachtengetümmels. Aber: Ferroni lässt Steve Reeves weinen. Und Troja unspektakulär, aber in Wolken finsteren Rauches untergehen, dem Spektakel fühlt er sich nicht völlig fremd. Und schließlich, der italienische Nationalstolz, ganz am Ende:
„In dem Flammenmeer der Stadt stirbt die Vergangenheit, aber in ihnen liegt die Zukunft. Sie werden als Verbannte an einem fremden Gestade landen, an der Küste Italiens. Und Männer aus dem Geschlecht des Aeneas werden eine Stadt gründen, die einst die Welt beherrschen wird. Troja ist untergegangen, aber Rom wird ‚die ewige Stadt‘ genannt!“
22.11.2012
Der versteinerte Wald / Il tesoro della foresta pietrificata
(Emimmo Salvi, Italien 1965) – 8.5/10 (21), VHS* [falsches Bildformat]
Richard Wagner und Gordon Mitchell, Studio-Gothik und Steinbruch-Getümmel, Mythen und Groschenromane, teutonisches Heldenpathos und italienischer Cinezauber, Kindergarten und Beerdigung, Sigismund und Sieglinde, Schrott und Poesie, Schmier und Verzicht, Walküren und Zwerge, Mario Bava und Veit Harlan, Spektakel und Langeweile, Altruismus und Gier, Mief und Camp.
Aufstand der Dinge
(Hellmuth Costard, Deutschland 1987/93) – 9/10 (22), VHS [falsches Bildformat]
Zwei verzichtende Aliens wollen nach Jahrmillionen auf der tristen, deutschen Erde, zurück nach Hause, in ihrem wunderlichen Gefährt, dass die gebündelte Kraft der Sonne benötigt. Studenten, die mit Bierdosen basteln, eilen ihnen unfreiwillig zur Hife. Das Sehnen der Aliens entfesselt die Dinge. Frech büxen sie aus und trüben davon. Nichts bleibt an seinem Platz, alles kriecht und schlängelt und rollt und stakst. Friedvolles Gewusel.
Ausnahmezustand,
Ausnahmeschauspielerin (Kyne Uhlig ♥),
Ausnahmeschangel,
Ausnahmefilm.
„Ich fühle es – der Wahnsinn greift nach mir.“
„Kommt erstmal rein! Ihr habt doch sicher Hunger? Es gibt noch Dauerwurst, wenn die sich nicht auch verpisst hat.“
„So muss es sein! Zweimal Schwachsinn ist konsequenterweise Vernunft vom Feinsten!“
„Gibt es einen besseren Grund zu feiern, als Abschied nehmen von der letzten Mark?“
„Die Küche ist geschlossen. Es tut mir schrecklich leid. Die Köche fühlten sich verfolgt vom Geschirr.“
„Schämt ihr euch nicht, die Würde dieses Mannes so zu dekorieren?“
„Oh Gott. Manche Leute brauchen nichts so sehr wie ihre Paranoia.“
„Unsinnlich wie wir sind, braucht ihr Mädchen euch vor uns nicht zu fürchten.“ – „Er meint, wir sind für manchen Unsinn auch zu haben.“
„Wir nutzten seinen Traum, um die Idee zu übermitteln.“ – „Soll das heißen, ihr habt die Fähigkeit, bei anderen Leuten aktiv mitzuträumen? Das ist ja sehr extrem. Nun weiß ich es! Ihr seid gar nicht von dieser Welt!“
„Eben hatten wir Besuch und rat mal, wer es war. Zwei Typen von ’nem anderen Stern.“
„Licht ist dem Geist viel mehr verwandt als der Materie.“
„Wie oft soll ich euch noch sagen, dass im Regie-Raum das Essen mitgebrachter Brote verboten ist?“
„Gesegnet sei der Krieg der Sterne.“
21.11.2012
Maciste, der Sohn des Herkules / Maciste nella terra dei ciclopi
(Antonio Leonviola, Italien 1961) – 9/10 (22), DVD***
Gordon Mitchell, der heimliche Melancholiker unter den Muskelmännern. Seine Kraft, sein Joch. Man glaubt, er würde lieber am Strand wie ein Wilder leben, als in der Zivilisation Menschen aus der Tyrannei retten, auch wenn er das muss und möchte. Er ist der einzige, der die Kraftanstrengung so spielt, wie man sie sich bei seinem Helden tatsächlich vorstellt: verkrampft, aber ruhig und gelassen arbeitsam, müde wie aus Routine, aber nicht nur pflichtschuldig, sondern mit der Leidenschaft eines Bauerns, der die Kälber füttert. Ein altersweiser Maciste. Er wirkt realistischer, menschlicher als die zusammengebissenen Zähne bei Kirk Morris, die Stoik von Reg Park, die Eleganz von Mark Forest, oder die hemdsärmelig geschwollene Brust bei Steve Reeves. Mitchells Muskeln sind unappetitlich, amerikanische Sandpapier-Fertigung, die Sehnen treten aus ihnen hervor wie Draht, man sieht ihnen die täglichen, endlosen Workout-Sessions an. Dieses mühselige Äußere ergänzt sich indes mit der naiven elegischen Zutraulichkeit, die er den Figuren um sich herum offenbart, und zum backfischhaften Augenaufschlag der üppigen Chelo Alonso, die zu rührend ist, um als Tyrannin zu reüssieren. Faszinierend die Zurückgenommenheit von Mitchells Spiel (wir liebten ihn bisher so), angenehm der adrette Schliff der pastellfarben schillernden Inszenierung von Antonio Leonviola, sehr bezirzend die geschmeidig-schmierigen Akzente im buhlenden Dreieck zwischen Mitchell, Alonso und Dante DiPaolo. Warum der Film nicht originalgetreu und aufregend MACISTE IM LAND DER ZYKLOPEN heißen durfte, wissen abermals nur die deutschen Verleiher.
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Zu Gast beim geheimnisvollen Filmclub Buio Omega (Gelsenkirchen, 17. und 18. November) und im Filmclub 813 (Köln, 19. November). Ein Wochenende voller unvergesslicher Begegnungen und Momenten, mit wunderbaren Menschen und mit eigenartigen Filmen. Silvia Szymanski hat darüber ein wenig geschrieben, ich fühle mich von all dem überfordert. Es war großartig.
19.11.2012
Brandmale
(George Moorse, BRD 1982) – 9.5/10 (24), Kino (35mm)
In Side Out
(George Moorse, BRD 1964) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Mädchen für die Mambo-Bar
(Wolfgang Glück, BRD 1959) – 8/10 (20), Kino (35mm)
Mir hat es immer Spaß gemacht
(Will Tremper, Horst Wendlandt, BRD/Italien 1970) – 8/10 (22), Kino (35mm)*
18.11.2012
Rockit – Final Executor / L’ultimo guerriero
(Romolo Guerrieri, Italien 1983) – 7.5/10 (20), Kino (35mm)*
Nackt auf hartem Sattel / Naked Angels
(Bruce D. Clark, USA 1969) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
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15.11.2012
Der Rächer der Meere / Il giustiziere dei mari
(Domenico Paolella, Italien/Frankreich 1961) – 10/10 (25), DVD***
Ein unfassbares Meisterwerk, eine luzide Offenbarung. Sie traf mich völlig unvorbereitet aus dem Nichts. Aus den schimmernden Reflektionen des Meereswassers, zwischen den Klippen, gegen das es schlug, hinaus, in die ewige Sonne, stieg sie auf, die endgültige Manifestation Domenico Paolellas als Ultrakunstregisseur vor meinem hingerissenen Antlitz. Ein Gedicht aus treibendem Weiß, glühendem Rot und ruhendem Blau, eine schwerelose, feine Skizze. Ich kenne keinen Film von Alexandre Astruc, aber das, was er den „Kamera-Stift“ nannte, stelle ich mir genau so vor. Er widerspräche mir sicher.
Der schönste aller Piratenfilme. Das Gesicht von Richard Harrison. Schön und sensibel, von einem starken Körper getragen, trägt es nicht die Bürde eines Charakters. Es ist nur da, das aber beständig. Die Konstante. In diesem Film, er ist abermals gekonnt und intelligent erzählt, gibt es nur die Situation selbst. Was ihr voransteht ist unbedeutend, und was ihr folgt, ebenso. Eine lichtdurchdrungene Feier des Augenblicks. Die Menschen, die um diese Küstenstreifen kämpfen (und es ist wichtig, das sie kein Gebiet, oder Besitztum, sondern nur Orte sind): frei vielleicht nicht in sich selbst, aber frei von England, frei vom Kino. Wenn sie kämpfen müssen, ändert sich das. Aber nur kurz. Paolella gelingt es, über die virtuose Erzeugung von Kampfgetümmel hinaus auch der aufgeschwemmten Verzweiflung, die darin liegt, habhaft zu werden. Jedoch, er lässt sie immer wieder ziehen, sieht nicht ein, warum er auf ihr bestehen müsste. IL GIUSTIZIERE DEI MARI: kein Märchenfilm, kein Melodram, kein Abenteuerfilm. Die Erzählung ist ein Akt der Öffnung, des Auslegens, nicht des Zusammenfügens. Ganz basal tarnt sie den Weltraum und die Schwerelosigkeit des Films. Sinnliche Texturen zeichnet er, und muss nicht demonstrieren, weshalb er darin den reduziertesten Ausdruck von Existenzialismus findet. Auch Kunststückchen vollführt er, aber wieder sind sie so, wie sie es in einem amerikanischen Genrefilm sein könnten: sich ihrer Kunststückchenhaftigkeit in einer Art erinnernd, die sie nicht nötigt, etwas erfüllen und einlösen zu müssen. Sie, die Kunststückchen, vollziehen sich mit der Dynamik verdampfenden Wassers und der Physikalität fallender Bäume-. Ein Film nah an den natürlichen Elementen. Er könnte nicht ohne sie existieren. Die Natur ist nur in unseren Köpfen die Natur. Im Kopf des Films ist sie nur einmal. Da werden die Heroine und ihre Begleiter beinahe einer riesigen fleischfressenden Pflanze geopfert. Es ist der eine, künstliche Trash-Moment des Films, auf der französischen DVD eingefügt aus einer VHS-Quelle, der sonst nur aus dem zu bestehen scheint, was an diesen Küstenstreifen geworfen wurde: Felsen, Wasser, Vegetation, Menschen.
14.11.2012
Killing Me Softly
(John Amero, Lem Amero, USA 1979) – 7.5/10 (18), VHS
„Now, I want you to make love to me, for the last time. You understand?“
Schwule beim Pornokino-Cruising werden ihrerzeit seltsam berührt gewesen sein von diesem starren Moment, in dem Jack Wrangler sich seinem Freund übergibt, ihm, dem Sexualmörder, eine letzte, aber für den Geliebten erfüllende Vereinigung fordernd, sein Leben abtritt, ihm beim Sex kurz vor dem Höhepunkt einen Jockstrap reichend, um sich, die Leere seiner urbanen Existenz beseitigend oder aber seine völlige Liebe beweisend, von diesem etwas verwahrlost und aller Virilität zum Trotz kraftlos wirkenden Mann, erdrosseln zu lassen. Inmitten dieser großen, mythischen Stadt New York, deren archetypisch abgewrackte Winkel und Ecken in diesem Film niemandem zu gehören scheinen, außer den Männern, die sich in ihnen hingeben, und sie sich vielleicht für einige Tage aneignen, nachdem ihr Geist den ermordeten, verdrehten Körper verlässt. Bis hin zum Moment ihres samenverklebten Todes dringt noch das Rauschen der sommerlichen Straßen, das Vibrieren des Verkehrs, wie aus großer Ferne, aber doch klar und insistierend, in diese Aborte der schnellen Liebe vor, in diese Baustellen, auf diese Brücken und in diese Sparwohnungen – so nah an dem, was der Puls des Lebens sein sollte, und doch einem so erstaunlich trivialen Untergang geweiht. Ich habe New York vielleicht noch nie so roh und krude benutzt gesehen wie in den Pornos der Amero-Brüder (auch in dem allerdings deutlich spannenderen, diffuseren IN SEARCH OF THE PERFECT MAN, den sie im Jahr darauf drehten), nicht einmal in den New Yorker Underground-Filmen, die ich kenne.
Diastrofes
(Yiorgos Nomikos, Griechenland 1974) – 7/10 (18), VHS
In diesem griechischen Semi-Noir kann man beobachten, dass das Übliche – etwa: eine verheiratete Frau, die mit ihrem Liebhaber und dem Geld ihres reichen Ehemannes durchbrennen will und dadurch mörderische Verwicklungen entfacht – nicht selbstverständlich sein muss. Mit großer Ehrfurcht vor dem von Fleisch befreiten Gerippe des Üblichen, mit dem man haptisch hantiert, wird unbewusst die Frage aufgeworfen, woher das Übliche eigentlich kommt, und aus welchen unmittelbaren menschlichen Bedürfnissen es üblicherweise ins Kino entspringt. Man muss etwas Geduld haben mit dieser naiven Interpretation dessen, was das Übliche bedeuten kann, denn üblicherweise bedeutet eine Interpretation des Üblichen durch Kinematografien, in denen es, das Übliche, nicht üblich ist, ein etwas ermüdendes Erklärungsgeflecht rund um das gerne unerklärte Übliche, aber ein Film, dem das Bewusstsein abzugehen scheint, was denn das Übliche eigentlich sei, der kann aus dem Üblichen Unübliches gewinnen, wenn er es ganz ungeniert auf den Klippen des Mittelmeerstrandes und in für präsentierfähig befundenen Wohnräumen seines Landes ausbreitet. Gelegentlich schweift er von dem ab, was unter einer derartigen Prämisse das Übliche wäre, und ermöglicht den unüblichen Hauch eines Gefühls dafür, wie alltäglich und bemerkenswert üblich es sein könnte, dass eine verheiratete Frau mit ihrem Liebhaber und dem Geld ihres reichen Ehemannes durchbrennen will und dadurch mörderische Verwicklungen entfacht. 65 Minuten, schwarzweiß (1974 unüblich).
13.11.2012
Attila, der Hoden Gottes / Attila
(Pietro Francisci, Italien/Frankreich 1954) – 8.5/10 (20), DVD
Einen Film, der „erregend in seiner Dramatik“ sei verspricht der sich selbst überschlagende deutsche Kinotrailer mit Schaum vor dem Mund, und hat natürlich irgendwie recht – aber auch nicht. „Dramatik“ ist das vielleicht nicht unbedingt, dieses pausenlose, besinnungslose Getöse, dass aus diesem Film auf einen hernieder schallt. Nur Kampflust, Intrigen, agressive Entladungen ursprünglicher Jagdinstinkte und Kaugummiautomaten-Pathos rumpeln über die Leinwand, schmetternde Musik, grelle Bilder von Mord, Verführung, Testosteron und Dekadenz. Aber all das weder so ironisch, noch so schwelgerisch-versponnen, wie ich mir das von Pietro Francisci vorgestellt hätte, oder so artifiziell überhöht, wie Riccardo Freda dies in seinen zeitgleich entstandenen, deutlich aufwändigeren Monumentalfilmen vollführte. Stattdessen: ein authentischer Primitivfilm, ein Holzhacker-Epos, ein barbarischer Ausstattungs-Reißer, klein im Geiste, aber großformatig gewandet. Flankiert von Anthony Quinn, dessen Attila man sich unmöglich als Heeresführer eines ganzen Volkes sondern eher als dumpfen Raufbruder auf einer Kirchweih vorstellen kann. Das daunenweiche Gegengewicht, dass beseitigt werden muss, um seinen Kampfgelüsten – er spricht nie von etwas anderem, ist wie ein Bluthund – den Weg zu bereiten, ist sein gütige Phrasen dreschender Bruder (Ettore Manni), seine Cassandra und weiblicher Gebrauchsgegenstand, wie eine transsexuelle Hexe mit ihren Spielzeugen ihn in der Mottenkistengrotte umflatternd: die wunderbare Irene Papas. Und dann die frisch entdeckte Sophia Loren, deren Figur die extremsten Klischees einer hinterlistigen Sandalenfilm-Intrigantin ständig übererfüllt und einem Katalog zu entstammen scheint, obgleich ihre Rundungen die asexuelle Kampfmaschine Attila nicht zu rechten ungeheuren Gefühlen motivieren vermögen. Dieser Hunnenkönig ist impotent, er kann nur reden, aber nicht bohren („Als Weib gefällst du mir besser als als Prophetin!“). Ich fand mich im Film gefangen wieder. Das Poltern, das Getöse, das Geknurre und Gefauche, dieses unaufhörliche Hetzen unter völligem Verzicht auf differenzierende, subtilere Accessoires und herkömmlichen Kunstsinnn vermengt sich zu einem furios angestaubten, hölzern-rabiaten Koloss des voll ausgelebten schlechten Geschmacks, wie er einem nur selten den Kopf wäscht. Ich liebe den Term „guilty pleasure“ überhaupt nicht, aber mein pleasure war hier doch etwas guilty. Und das Ende, dieses vanillesüße, sich im katholizistischen Schwulst wälzende Ende! Ein haarsträubender Film, aber man kann sich von ihm nicht abwenden.
12.11.2012
Die Farbe
(Huan Vu, Deutschland 2010) – 7.5/10 (20), Kino (Digital) [Tonstörungen]
Sehr schön, wohlfeil und zuversichtlich stimmend hinsichtlich deutscher Filmhochschul-Tristesse. Mit großem Eifer und bemerkenswertem Verzicht auf modischen Firlefanz freigesetzt, dunstet der verderbliche Gifthauch Lovecrafts hier aus einem entrückten fränkischen Tal auf, jenem nicht unähnlich, in dem ich aufgewachsen bin. Es funktioniert. Erhebliche Wackelkontakte in der Tonwiedergabe trübten die Sichtung allerdings merklich ein, daher will ich nicht ausschließen, dass der Film vielleicht sogar sehr, sehr schön hätte sein können. Immerhin, bisweilen erinnerten mich seine Bilder und ihre Stimmungen gar an Tony Richardsons zerschmetterndes Meisterwerk MADEMOISELLE, und das ist schließlich ein ungeheures Kompliment.
Maciste im Kampf mit dem Piratenkönig / Maciste contro lo sceicco
(Domenico Paolella, Italien 1962) – 9/10 (23), VHS* [falsches Bildformat]
Domenico Paolella. Dieser Name steht nun, nach diesem Film, weit oben auf meiner Liste italienischer Regisseure, denen es intensiver auf den Zahn zu fühlen gilt. Im August sah ich sein beinahe sprachlos machendes Spätwerk LA PREDA (1974). Ein lakonisch erzähltes, im Rhythmus der Wellen in einer kühlen Abenddämmerung durch still Notiz nehmende Klippen und unter Palmen hindurchgleitendes Melodram über zwei in ihren flüchtigen Ersatzleben auf einer Südseeinsel angespülte und Europäer und ein sehr ernstes eingeborenes Mädchen zwischen ihnen, das sich weigert, diesen labilen Kerlen als liebevolle Sklavin den Schierlingsbecher zu reichen, sich dann aber doch verliebt. Am Ende stehen sich die drei in einem ausgetrockneten Salzsee gegenüber, es ist eine Westernszene. Aber keine Italowesternszene. Eine US-Westernszene.
Ich hatte den ganzen Film über, wie ich ihm da so schweigend und ruhig staunend nachhing, das mal mehr, mal weniger bestimmte Gefühl, dass hier ein Filmemacher am Werk war, dem tatsächlich dieser selten zu beobachtende Spagat gelang: jene trockene, spezifisch amerikanische Konzentration des visuellen wie literarischen Erzählens, wie sie in Amerika selbst zu dieser Zeit schon beinahe am Verschwinden war, mit den emotionalen wie formalen Sensibilitäten des erstklassigen italienischen Exploitationfilms (Es gibt auch zweit- und drittklassige. Wer glaubt, Exploitation sei per se zweit- oder drittklassig oder eine schnöde Schublade, der verpisse sich aus diesem Sehtagebuch und kehre nicht wieder), wie er in dieser Ernsthaftigkeit vor allem Mitte der 70iger kurz, aber dafür beglückend intensiv fluorierte und viele seltsame Filme hervorbrachte (ich fiebere etwa Giulio Petronis LABBRA DI LURIDO BLU entgegen, mit Lisa Gastoni und Claudio Cassinelli), oft geschaffen von anerkannten Regisseuren des gehobenen kommerziellen Kinos, die umsatteln mussten. Eros hat in diesen Filmen viele Menschen leiden lassen.
Vielleicht schreibe ich an dieser Stelle auch nur Unsinn, der den Produktionskontext und die Ästhetik des Films zu fassen versucht und dabei verhüllt, dass LA PREDA schlicht ein erstaunliches, untadeliges und herzzerreißendes Stück Autorenhandwerk (= Autorenfilm eines klassischen Handwerkers – aber ach!, was sind auch das für Schubladenbegriffe) ist, welches schließlich sogar das große, politische Ganze, als feine Linie am Rande um das private „Kleine“ zieht. Ein Film, von dem man sich fragt, warum die Kunde von seiner universell erfassbaren Güte nicht auch schon in konservativere Cinephilenkreise vorgedrungen ist. Ein bischen wie ein italienischer John Huston-Film, wie eine Bastard-Schwester von THE NIGHT OF THE IGUANA (Ein Lieblingsfilm von mir, an den mich vor Kurzem Alexander S. erinnerte – ich hatte ihn einfach vergessen, diesen Film).
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Soweit dazu. Nun, da ich an dieser Stelle meinen seinerzeit, im August, ärgerlicherweise versäumten STB-Kommentar zu LA PREDA nachgeholt habe, drücke ich mich sehr schäbig und faul um einen „richtigen“ Kommentar zu MACISTE CONTRO LO SCEICCO (was es gegen „Maciste gegen den Scheich“ als Titel einzuwenden gibt, wussten nur die deutschen Verleiher) und sage: ein Piraten-Sandalenfilm, den man sehen muss, von dem Regisseur von LA PREDA! Übrigens einer von, wie es scheint, diversen (Ich zähle ganze sechs Titel) Piratenfilmen, die Paolella – gemeinhin als Peplum-Regisseur bekannt – Anfang der 60iger drehte. Mit eben jenen Tugenden. Die Poesie des naiven Spektakels, kleine, wunderbare Momente der Abschweifung, des den-Pfad-tanzend-Verlassens-und-Spielens (auch aktiv Verstrahlens, natürlich), und die bewundernswerte, gelassene und mühelose, präzise „B“-Erzählung nach amerikanischer Art vermählen sich zu einem der schönsten, interessantesten und mitreißendsten Pepla, die ich bisher gesehen habe. Man muss sich nicht völlig gehen lassen, um diesen Film ernstzunehmen, er befriedigt mannigfaltige Cine-Begierden. Nur Ed Fury ist dann doch ein arg onkeliger und nicht sehr stattlicher Maciste, aber dem leicht eingeflochtenen, jedoch schönerweise noch nicht ganz ironischen Augenzwinkern, mit dem Paolella ihn umgibt, kommt er sehr entgegen. Eine Entdeckung, unverhofft mir in den Schoß gefallen, einer gekühlten Kokosnuss gleich, bereit, genussvoll ausgeschlürft und, von der Sonne angewärmt, gekaut zu werden.
(Nachtrag: Ich hatte im August doch etwas – wenn auch nur etwas – zu LA PREDA geschrieben. Ich werde alt.)
08.11.2012
Maciste in der Hölle / Maciste all’inferno
(Guido Brignone, Italien 1926) – 9/10 (23), DVD** [gekürzte Fassung]
Auch hierhin haben mich meine derzeitigen Bohrungen in die weite Welt des italienischen Sandalenfilms dankenswerterweise geführt: weit weg von den 60igern, von italienischen Steppen und spanischen Wüsten, von Totalscope und Technicolor, von amerikanischen Muskelprotzen und erotischen italienischen Starlets, in die surreale, tollpatschige und, oja, auch das, schmierige Hölle von Guido Brignones Original (mein verehrter Riccardo Freda drehte 1962 in Farbe und mit Kirk Morris in der Titelrolle ein Remake), einem der letzten Filme der ursprünglichen Maciste-Serie, die 1915 mit MACISTE L’UOMO FORTE ihren Anfang nahm. Ein wilder Trip, ein Film nah am Gemenge und der Hysterie – der vor Entrüstung über die Entführung aus dem irdischen Dasein erbebt. Und doch ein Film vor seiner Zeit, in dieser Hölle kann man fernsehen und Speeddating machen. Wie anders doch Bartolomeo Paganos ruraler Maciste ist. Er kann nicht jede Kette brechen, ist bierbäuchig und übertrifft an wulstiger Baumstämmigkeit doch all seine Erben der 60iger Jahre. Die Hölle war der Welt nie so verbunden wie hier, so sehr ihr elender Spiegel. Sie ist nicht furchteinflößend, nur absurd. Wie traurig es doch ist, dass dies meine erste Begegnung mit einem italienischen Stummfilm war, erst jetzt, zu diesem Zeitpunkt. Ich habe mir viel entgehen lassen, das sehe ich nun ein. (Und dieses noch als Appetitanreger – man sollte nach qualitativ besseren Fassungen Ausschau halten, die sich im Umlauf befinden.)
07.11.2012
Safe in Hell
(William A. Wellman, USA 1931) – 9/10 (23), VHS
Der große Schicklichkeitserhaltungs-Inseltonfilm in verführerischem Schwarz und schillerndem Weiß! Eine Frau, die ihre Ehre auf Gedeih und vor allem Verderb verteidigt! Sehen Sie sexuell ausgehungerte, zwielichtige Männer, die nur ein Ziel vor Augen haben: die Unterröcke von Dorothy Mackaill! Ein erregender und tragischer Bewegtbild-Travelogue über ein leichtes Mädchen und seinen schweren Weg in den Anstand! Ein Erlebnis, dass so schnell nicht wiederkehren wird! Unerhört, ungeschönt und unverfroren!
06.11.2012
Herkules, Samson und Odysseus / Ercole sfida Sansone
(Pietro Francisci, Italien 1963) – 9/10 (23), VHS*
1963 muss sich bereits abgezeichnet haben, dass die Überflutung der Kontinente mit Sandalenfilmen nicht mehr für lange Zeit andauern sollte. Man hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die fantastischsten Stoffe und Motive in den Muskel- und Staubbrei hineingerührt, die gutgelaunt Felsblöcke versetzenden Helden in jeden erdenklichen Winkel der Welt und schließlich sogar ins Jenseits, die Zukunft und nach Atlantis geschickt. Der Weg zur Parodie sollte kein langer sein in diesem Genre (wie auch seinem Nachfolger, dem Italowestern), das heute instinktiv als unfreiwillig komisch empfunden wird, wann immer man seiner ansichtig wird. Pietro Francisci, der Regisseur des Urfilms LE FATICHE DI ERCOLE, wusste allerdings offensichtlich um die märchenhafte Aura des Sujets, um seine immanenten Verstrahlungen, um seine im besten Sinne reinfantilisierenden Qualitäten und folglich wusste er vielleicht auch besser andere, wie man es zu parodieren hatte.
ERCOLE SFIDA SANSONE war sein letzter Sandalenfilm, konnte es auch nur sein. Im Zusammentreffen des griechischen, längst vom Netz seiner Mythen befreiten und entfesselt durch die Welten hüpfenden griechischen Halbgott (hier angemessenerweise in seiner jungenhaftesten Reinkarnation durch Kirk Morris), und des biblischen Kraftprotzes Samson (gespielt vom iranischen Schauspieler Iloosh Khoshabe) entlädt sich nichts, gekämpft wird nicht mehr vor einem bestimmten Hintergrund. Herkules kommt als cosmopolitischer Aristokrat nach Judäa, wo er den Klassenkämpfer Samson trifft. Für eine höhere Sache scheinen sie dennoch nicht zu kämpfen, eher schon für sich selbst, gegen den impotenten Metzelkönig der Philister, der es dem Kampf vorzieht, der verruchten Delilah dabei zuzusehen, wie sie sich von seinen Soldaten die Kleider mit einer Peitsche vom Leib reißen lässt und sie als vollbusige Kampfmaschine gegen die Muskelmänner ins Feld schickt. Doch bevor es dazu kommt, müssen sich die beiden Titanen Respekt einkämpfen: im bombastischsten aller Peplum-Zweikämpfe verwüsten die beiden Platzhirsche eine ganze Ruinenstadt, schmeißen sich gegenseitig durch riesige Mauern hindurch, bewerfen einander mit Säulen und bringen krachend alles zu Fall, was ihnen im Weg steht. Die fröhlich-kindliche Grandezza dieser dekadenten Styroporschlacht könnte von der atemstockenden Andacht und archaischen Dramatik vergleichbarer Momente in LE FATICHE DI ERCOLE nicht weiter entfernt sein. Ihr Schöpfer hat gemerkt, dass die letzte Konsequenz aus dem Überfluss an Kraft, an Sensationen und bäuerlichem Ethos nur eine sein kann: die völlig Übertreibung und der Humor, nicht der, mit dem man die Übertreibung erschafft, sondern der, den die Übertreibung ganz organisch mit sich bringt.
So warten, artig aufgereiht in graziler Pose und mit Kind im Arm, schließlich auch aktiv ins Geschehen hineinbefehlend, die Gattinnen der Muskelmänner am Meeresstrand auf die Rückkehr ihrer Gatten, Odysseus (Enzo Cerusico, blutjung) ist Hercules‘ rotznäsiger Teenie-Sidekick, das isralische Volk wird drastisch geschlachtet und gefoltert, von Schergen, die sehr deutsch aussehende Stahlhelme tragen, der Film hört dennoch nie auf, zu schmunzeln, eine Art Verwechslungskomplott um die beiden Helden errichtet er (wem könnte man diese Verwechslung angesichts dieser muskulösen Uniformität verdenken? Ihr Charakter war Stärke!) und dann: Sex! Die schlangenhafte, nymphomane Delilah darf ganz ungehemmt ihre ungeheuren Gefühle über die prallen Götterkörper ausgießen, sich an sie werfen und schmiegen. Die Götter spielen allerdings lieber Lasso-Spiele mit ihr und verzichten gern, wenn sich stattdessen Hühner für den Kochtopf jagen lassen. Sie scheinen überhaupt nichts anderes im Sinn zu haben, als zu strahlen, zu siegen, zu essen und zu heben. In sehr bescheiden tuender Zurückhaltung karg in Breitwand (statt in Totalscope oder Dialyscope) angerichtet und mit besonders mottigen, leicht besiegbaren Löwen verziert, ist es dem Film nur recht, dass Herkules zumindest ein Kissen von Delilahs brünftiger Lagerstatt stiehlt, um sich damit auf einer Wiese schlafen zu legen. Auch ein Halbgott mag es weich.
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Und doch, das Herz des Märchens, vielleicht nun des Comic-Märchens, schlägt noch immer irgendwo, tief in diesen Bildern. Generalüberholt. Schwer, es zu hören. Der Film wird immer besser, je öfter ich seither an ihn denke. Ich musste festsstellen, dass ich ihn als Kind schon einmal gesehen hatte, zumindest teilweise. An die sadoerotische Szene, in der Liana Orfei lasziv-devot aufblickend Samsons stramme, phallische Beine umklammert und ihm mit all ihrer Verführungskraft flehend den Staub von den Sandalen jammert, ist mir im Gedächtnis geblieben. „Die ist ja häßlich!“ kommentierte meine Mutter das seinerzeit mit überraschter Genugtuung.
Die Verlobten / I fidanzati
(Ermanno Olmi, Italien 1962) – 10/10 (25), DVD
„Dieses Ankommen, das so gar nicht geschäftig ist. Was wirklich etwas bedeutet, ist diese ratlose, passive Bewegung, in die man sich in der Nacht nach dem Abend der Ankunft begibt. Aus dem nach Bettlaken und stillstehender Zimmerkühle riechenden, fremden und so leeren, von persönlichen Attributen freien (Hotel)Raum hinaus, in einen Ort, eine Stadt, die man nicht kennt, nicht um auszugehen, nur um sie zu fühlen. Die Nacht verleiht allem ein Geheimnis, gibt dem Würde, was am Tage banal und schäbig ist, beweist an jedem noch so fremden Ort die Gnade einer zuvorkommenden Öffnung in der Ruhe. In der Nacht ist es gleichgültig, ob man fremd ist. Die Gesetze des Tages, zu denen das Konzept von Fremdheit gehört, gelten nicht mehr.“
(Aus einem Text, von dem ich nicht glaube, dass ich ihn fertigstellen kann)
05.11.2012
Umleitung / Detour
(Edgar G. Ulmer, USA 1945) – 10/10 (24), DVD
So hochprozentig, dass ich schon nach einer halbe Stunde völlig betrunken war. Unfassbar! Der ganze Film ist völlig unfassbar! Kann nicht jemand machen, dass es solche Filme wieder gibt?
Falconhead Part II: The Maneaters
(Michael Zen, USA 1984) – 10/10 (24), DVD
„Across the darkness, and the cold pond of mirrors, between riffs of narcicissm, I have passed… and I had denied all.“
Der erste Teil stieß seine Figuren in die Hölle hinab, der zweite entfesselt sie, die Hölle, über einer Erde im Halbdunkel. Es gibt kein Entrinnen mehr. Der Sex wird all seine Persönlichkeit verlieren, niemand kann den Boten dieser Macht aufhalten: den Falken. Er sucht einen Mann in seiner New Yorker Wohnung auf und erlegt ihm auf, den Spiegel zu finden. Doch es ist nicht mehr nur ein Spiegel, der eine Spiegel, der die Männer mit dem grausamen Schicksal des Narzissmus belegt. Spiegel überall. Spiegel selbst aus Fleisch. „Since the cocks of these two young men are identical, they may find ecstasy in one another“. Spiegel in der Leere eines weißen Raumes, in dem Narziss im Liebesspiel mit sich selbst eine Rose zu Tode bringt. Spiegel auf der satt glänzenden Karosserie eines Motorrads, auf deren kalter Wölbung die Körper zu schmelzen scheinen wie Schnee. Im nebligen Tunnel des frigiden Lichts, dass diese Männer zu Gegenständen ohne eigene Textur degradiert, lacht immer noch der häßliche, alte Teufel mit seinem pockigen Gesicht, schadenfroh über diese Würmer, die sich im Erdenreich ihrer verkümmerten sexuellen Wahrnehmung krümmen, entstellter Herrscher eines Reichs, in dem die Verlorenen enden, die nicht mehr wissen, was es bedeutet, Körper zu sein und Körper zu spüren. Letztes, müdes Pathos klingt aus der raunenden Stimme, die sagt, was da getan wird, und dass du „the biggest fucking tool“ hast. Und das in ihr die Säfte steigen. Sie muss es sagen, in dieses hallende Halbdunkel hinein, denn sie fühlt es nicht. Die wahre Hölle ist diese, in der man seiner letzten sinnlichen Reflexe beraubt wird. Wie Insekten ohne Fühler kriechen und rammeln die Verlassenen weiter auf diesem großen Lumpenhaufen. Die flüsternden und raunenden Stimmen beschwören immer weiter, mechanisch, unstillbar, ununterdrückbar, die irdische, unerreichbare Geilheit. „BODYFREAK looking for young men into MIRROR TRIPS… send photo, adress, inquiry to…“, haben die Dämonen dieses Infernos ans Ende des Abspanns geschrieben. Der Alptraum reitet auf den Schwingen einer synthetischen Nacht über den Film hinaus.
Was THE DEVIL IN MISS JONES dem heterosexuellen „golden age of porn“ ist, sollte dieser Film dem schwulen sein. Ultrapornokunst, if there ever was. Goodnight, sweet beauty.
04.11.2012
Lotta & die großen Erwartungen
(Edzard Onneken, Deutschland 2012) – 3.5/10 (8), TV
Ödenwaldstetten – Ein Dorf ändert sein Gesicht
(Peter Nestler, BRD 1964) – 9/10 (22), VHS
03.11.2012
Die unglaublichen Abenteuer des Herkules / Le fatiche di Ercole
(Pietro Francisci, Italien 1958) – 9/10 (23), DVD**
Der Anfang, der noch nicht wusste, dass er einer werden sollte. Das ist wichtig. Dass er es noch nicht wusste. Der Film, der die Welle lostrat. Ob er ein Herzensprojekt seines Regisseurs war? Es scheint beinahe so. Mit versonnenem Ernst, beinahe feierlich evoziert der Film den Mythos, begreift ihn noch als solchen. Kraftproben allenthalben, doch auch Hadern mit der göttlichen Unsterblichkeit und Versuchungen. Wenn Steve Reeves strahlend im Tempel des Orakels die Götter anruft, ihm ein menschliches Herz zu schenken, begreift man, worin sich dieser Film von denen, die ihm folgten, unterschied. Nur ein Windhauch von Humor, ohne Ironie. Es sind aber bereits die gleichen Küstenstreifen, die gleichen Schluchten, die gleichen Inseln und Paläste, stilbildend sind hier, wenn überhaupt, die Einheiten, die „ready made“ waren und sind. Kamera: Mario Bava. Noch sind zukünftige Verstrahlungen fern, nur die fragil-trübe Sylva Koscina entrückt den Film, sobald sie unschuldige, aber ungeheure Gefühle in Reeves‘ breiter Brust weckt. Der Halbgott ist hier noch ein Guru, äußerlich un-, innerlich verwundbar. Dieser Film lässt ausmachen, dass der peplum der 50iger und 60iger Jahre nicht sehr lange den präzisen Gesetzen hätte folgen können, die hier noch herrschen. Francisci selbst feixte darüber in späteren Filmen. (…) Und dann ist da schließlich noch Gianna Maria Canale, die Frau und Muse von Riccardo Freda, der ätherische weibliche Star des genuinen italienischen Monumentalfilms, bevor er von den bescheideneren, weniger bombastischen Sandalenfilmen abgelöst wurde. Hier ist sie schon eine Figur am Rande des Films, die Königin der Sirenen, unglücklich über ihrer unmöglichen Liebe vertrübend. Geheimnisvolle Magie scheint hier hingegen möglich, sie schwebt über Allem. Man kann sich die Faszination(en) ausmalen, die den Bergen von Muskeln über die folgenden sechs Jahre hinweg die Macht über die Kinematographie eines gesamten Landels anvertraute(n).
02.11.2012
Die Nacht der Generäle / Night of the Generals
(Anatole Litvak, USA 1967) – 9/10 (22), DVD
Eine Abrechnung mit Nazi-Deutschland, aber eine seltsame, an Nazi-Deutschland selbst kaum Interessierte. Es ist die Idee und ihr Funke. Das Böse scheint als groteskes Monster, als arischer Jack the Ripper. Das Gute ist opportunistisch und unheroisch – So nimmt es sich heute aus, wo jedermann sich selbstgerecht entblödet, sich sein eigenes Dasein in seinem eigenen, pittoresken dritten Reich weit entfernt von jedem Opportunismus auszumalen, denn wir sind alle kleine Helden – es will sich nur selbst das nackte Leben retten, sonst nichts. Der große Schlag, der absurd-greifbare Coup, folgt am Ende des 138minütigen verkommen schillernden Regenbogens (un)menschlicher Maniküre („Dem Deutschen sei das Maschinenhafte in die Wiege gelegt“): in der Bundesrepublik der 60iger Jahre soll das Monster noch einmal als Redner auftreten, in einer großen Herrenrunde, die sich in bierseliger Nostalgie unterm Reichsadler ergeht. Da kehrt das opportunistische Gute als graues Gewissen zurück. Wie der Film zwischen den Zeiten, den Verfalls- und Aufbaustadien, den Ländern – Polen, Frankreich, Deutschland – wie auch den Perspektiven des Gewissens springt, das ist sehr eigenartig. Sehr, sehr eigenartig, wie das alles ineinander marmoriert und wie unkonzentriert es manchmal scheint, denn der Genrefilm, der Killer-Thriller scheint immer noch am Wichtigsten. Doch dann ist man sich nicht sicher. Litvak scheint zwar mit Deutschland, dass er in den 30iger Jahren selbst verließ, sein Hühnchen zu rupfen. Aber wie er das tut, das verwirrt mit diesen lässig geschmacklosen Wucherungen martialischer Galligkeit, diffusem Humor (überhaupt: die Nazis, die hier allesamt von Briten verkörpert werden, denn die sprechen eben blasierter und deutscher – nur der genießerisch die Militärobrigkeit aufwühlende Omar Sharif darf die ausländische Akzentkeule schwingen, es ist bizarr und nicht ganz koscher) und trockener, dem Trümmerromanzen-Kitsch nicht ganz entsagender Hintertreppen-Tragödie, die wie kalter Zigarettenrauch durch die so schmucke, zu dieser Zeit beinahe schon sich selbst überlebt habende, statisch-ästhetizistische Studio-Präzision trübt. Ein eigenartiger Bastard, voll von interessanten Ideen und absonderlichen Entgleisungen und Exzessen, doch man muss sich zu ihnen durchkämpfen, durch ein metallisches, transvestitisches Äußeres.
01.11.2012
Tribun und Verschwörer / Gli schiavi più forti del mondo
(Michele Lupo, Italien 1964) – 9.5/10 (23), DVD*** [falsches Bildformat]
Erzählt wie ein Comic, aber noch kein Cartoon. Die Melancholie der Comichelden, sie lebt noch. SETTE CONTRO TUTTI, das war ein Jahr später. Die Struktur ist gelöst, doch der Ernst steht wie in Stein gemeißelt, im sadistisch verbissenen Gesicht von Giacomo Rossi-Stuart, im tiefen, ehrbaren Blick des Trüblings der Trüblinge, Roger Browne, in den hündisch für Empathie werbenden, groß starrenden blauen Kulleraugen von Gordon Mitchell.
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Hierarchien aus der Außenperspektive, denn nur von dort sind sie in diesem Kino durchschaubar. Ein Joch ist ein schlichter Gegenstand, auch wenn es vor einer Kamera liegt. Hunderte von Sklaven, die nichts von der Rebellion zurückhält als eine große, schwere Kette: von dort, von außen gesehen, glaubt man das nicht. Der Film antwortet, grinsend: eben! Es stört ihn nicht, durchschaut zu werden. Transparenz ist Trumpf im spettacolo al Lupo.
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Gleaze, Gleaze, Gleaze: die Homoerotik kocht, zwischen den Sklaven, den Römern, vor allem aber über die Grenzen hinweg. Roger Browne und Gordon Mitchell: Romeo und Julius. Sehnsuchtsvoll starren sie sich zum Abschied in den Augen. Ich möchte mich am Liebsten unter meiner Mütze verstecken, so peinlich sieht das aus. Schön allerdings, dass es passiert.
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Botte, Botte, Botte II: nicht alles läuft auf Schlägereien hinaus wie in SETTE CONTRO TUTTI, aber sie sitzen überall dort, wo in einem Melodram üblicherweise die Gefühlsoffenbarungen sitzen. Also am rechten Fleck. Und alles fliegt. Junge, wie das fliegt. Die kunstvollsten aller kunstvollen Schlägereien. Schade nur, dass man Mario Novelli lediglich dann zu Gesicht bekommt, wenn er beispielsweise durch eine Grätsche in der Luft links und rechts von sich zwei Römer von der Bildfläche kickt. Immerhin, der Eifer verschwindet auch in solchen Momenten nicht aus seinem Gesicht und er hat nicht viel an – genügsam ist der Mann.
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Arnaldo Fabrizio! Unterrepräsentiert, mit einem hohlen, langen, heiseren Lulatsch als großem Sidekick-Bruder ausgestattet (obschon unfassbar ist das nicht wirklich geglückt, aber Lupos Kamera findet für alles Mittel und Wege; er wäre der bestmögliche Regisseur für eine frühe „Lucky Luke“-Realverfilmung gewesen) und mehr schlecht als recht an den Film drangetackert. Er kostet dennoch jeden seiner Momente voll aus, ob er im Alleingang einen Marktstand leerstiehlt, mit seinem geliebten Hammer botte austeilt oder von hinten so tut, als sei er eine Dame, die einen römischen General streichelnden Händchens in erotische Wallungen versetzen möchte, damit dieser auch recht viele Backpfeifen von der empörten Grazie erhalte.
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Verquere Stimmungen, immer wieder. Es scheint auch völlig gleichgültig, ob und wann hier Tag oder Nacht ist. Die Energie der starken Sieben erleuchtet immer alles. Besonders verquer jedoch: humorvolles oder romantisches Rasten an Wasserfällen und auf Wiesen, was bei Lupo wichtiger scheint als bei anderen Regisseuren, und immer etwas ganz und gar Entrücktes hat, wie Heimatfilm und Disneyland zusammen. Der auf Prügel pochende, staubige Boden der Tatsachen, er dockt immer wieder an. Jedoch: Wüsten, Wiesen, Aquädukte – Städte, Paläste, Kaschemmen, Arenen – die Wanderung ist ein Spiel, anmutig werden die Züge gemacht.
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Das Schwelgen, das Schwelgen! Ich bin mir nicht mehr sicher, ob diese Lupo-Filme über flüchtige Sklaven- und Gladiatorenbanden das Genre repräsentieren – eher nicht, fürchte ich. Egal, denn: das Schwelgen, das Schwelgen! Sicherlich werde ich auch in anderem, romantischeren Sandalenfilm-Schwelgen noch schwelgen im Schwelgen des schwelgenden Schwelgens…
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Hätte ich diesen Film zuerst gesehen – und ich glaube beinahe, er wäre nüchtern betrachtet, sofern er nicht jede Nüchternheit unmöglich machte, der bessere, der raffiniertere, der erfinderische und der reichere der beiden Filme – wäre aus dem Stand zu dem Meisterwerk erwachsen, dass mir sein Schwesterfilm SETTE CONTRO TUTTI (siehe Eintrag vom 19. 09.) gewesen ist. Der Entjungferungseffekt ist demnach bereits dahin gewesen, aber es ist den sieben munteren Gladiatoren dennoch gelungen, ihre großen Fäuste tief in mir zu versenken und mich abermals zum Schreien zu bringen.
[„Gleaze“ = Gay-Sleaze, „Botte“ = italienisch für Schläge]
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Eigentlich wollte ich zu diesem Film in hartherziger und egozentrischer Selbstbeherrschung nur einen Sparkommentar schreiben, vier oder fünf Zeilen, denn der November will in diesem Sehtagebuch nicht recht voranschreiten, bisher. Nutzlos, völlig nutzlos. Ich werde in diesem Sehtagebuch (und in diesem Leben) nicht über alle Filme etwas schreiben können, für die ich das gerne tun würde.
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In der IMDB schreibt der französische User Marek Vaygelt Wundersames, wie nur der Zufall es einem Menschen schenken kann. „As an 9 year old, I thought this was the greatest film ever. (…) I confidently stated it to be my favourite film at my interview for senior school at age 10. (…) It made me love the cinema and for that I am grateful.“ „Lasset die Kinder zu mir kommen“, sprach das Kino.
01.11.2012
„Dégustation glacée au théâtre“ zu Halloween:
Curtains – Wahn ohne Ende / Curtains
(Richard Ciupka, Peter R. Simpson, Kanada 1980/83) – 9/10 (22), VHS
Du musst die Rolle bekommen. Und wenn du dafür in diese schneebehangenen Berge fahren musst, tief in die schlafenden Wälder, ans Ende der Welt, wo dich unheimliche Puppen beobachten. Wo sie warten wie gereizte Hunde, die anderen. Alle wollen die Rolle. Besonders Samantha, der Stryker, der Regisseur, sie einst versprochen hatte, bevor er seine „leading lady“ bewusst in einem Irrenhaus zurückgelassen hatte, in dass sie sich zur Vorbereitung hatte einweisen lassen. Sie macht dir Angst. Der Regisseur macht dir Angst. Seine Gleichgültigkeit macht dir Angst. Sein gewissenloser sexueller Appetit macht dir Angst. Alle anderen machen dir Angst. Du willst die Rolle, du willst leben, du willst aus dir raus. Aber du stirbst. Im Morgengrauen, beim Schlittschuhlaufen, in Schnee und Eis. In der Abenddämmerung, nach dem Sex, im Whirlpool, der einige Zentimeter Schnee schmelzen lässt. Tief in der Nacht, im Studio, beim Tanzen. Die Rolle tötet dich. In ihrem faltigen, zerfurchten Gesicht sitzt kein Ausdruck. Sie muss dich töten, denn sie ist schon besetzt. Im Schnee sieht keiner deine Grazie, fühlt keiner dein Leid, hört dich niemand schreien. Du bist nur eine Requisite, und zwischen Requisiten wirst du abgestellt, niedergelegt, aufgehängt.
Ottobre
31.10.2012
„Dégustation de la grenouille“ zu Halloween:
The Snake Girl and the Silver-Haired Witch / Hebi musume to hakuhatsuma
(Noriaki Yuasa, Japan 1968) – 9/10 (22), DVD
Aus Japan kommen die schönsten Filme zum Kürbisfest. Triste Film-Kinder scheinen eine Meisterdisziplin des Landes der untergehenden Sonne zu sein, und in diesem Film fliegen sie sogar. „Lieber Gott, wenn dieses Glück nur ein Traum ist, bitte mach, dass ich nie wieder aufwache!“ betet tränenvoll die naturtrübe kleine Protagonistin, frisch in ein Geisterhaus hineinadoptiert, dessen gothische Wände dank der in der Metamorphose zum Schlangenmenschen befindlichen, bösen Stiefschwester bald vor Reptilien, Fröschen, Spinnen und Hexenzauber aus allen Nähten zu platzen drohen, während über allem Melodrama, Mutterliebe, Psychedelik, Nonnen, Altruismus und Verlustängste schweben, die sich unter großäugigem Rätseln und generösem Einsatz von Schangel zum tösenden Budenzauber erheben, der dem fassungslosen Zuschauer begreiflich macht, dass man die Anime-Herkunft des Stoffes sehr ernst genommen hat. Wenn man am All Hallow’s Eve schon unbedingt Horrorfilme sehen muss (ich sehe sonst gerne ständig Horrorfilme), dann sollte man zumindest Horrorfilme wie diesen sehen, die einen schwindelig und verwirrt in die Nacht entlassen.
Ein schöner, erster Schlangenfilm wäre das übrigens auch in einem Doppelprogramm mit der schmuddeligen italienischen LIBIDINE (siehe Eintrag vom 28. 09.).
Harley’s Angels
(Arch Brown, USA 1977) – 5/10 (12), VHS
Am schönsten ist das zwischen-Tür-und-Angel-Gefühl, dass die Sexszenen einleitet. Harleys Engel, das sind, natürlich, drei junge Männer, die von dem geheimnisvollen Harley, im Film nur als Lederjacke mit ordinärer Langeweile in der Stimme am Telefon präsent, als Dienstboten und Harem in einem Apartement gehalten und von Zeit zu Zeit herbeigerufen werden. Unterwegs machen sie es dann vielleicht schnell mit einem Fremden in einem dieser amerikanischen Keller mit Gitterfenster zur Straße, oder sie lassen sich von einem Freier Harleys heilige Lederhandschuhe stehlen, was einen fadenscheinigen Plot in Bewegung setzt, in dem neben vielen eher monotonen Sexszenen leider nur noch wenige der dann aber doch sehr amüsanten und erfinderischen Kleinigkeiten Platz finden. Telefone sind hier unheimlich wichtig, sie scheinen alles zu beobachten und überall dabei zu sein, ein onanierendes Telefonat in der Mitte des Films mag sein Höhepunkt sein, das schwarze Kabel kringelt und windet sich um die Körper und Genitalien, und transportiert dabei doch immer noch ein Gespräch, dass der Offensichtlichkeit der Situation zum Trotz artig weitergeführt wird. Trotz alledem, die erste Enttäuschung mit einem schwulen Erwachsenenfilm aus dem „golden age of porn“ seit Langem. Ich habe ihn überhaupt nur als Ersatz gesehen, weil ich mir die teure DVD von Browns THE NIGHT BEFORE (1973) nicht leisten kann – jener soll ein rechter Wahnsinn mit „a little Cocteau, a dash of Fellini“ sein und sieht im Trailer auf der Bijou-Homepage auch danach aus. Wie ich unmittelbar nach dem Film herausfand, ist Arch Brown vor zwei Monaten, am 3. September, gestorben. Wenn „Pornoregisseure“ sterben, geht das, leider, noch nicht einmal durchs Netz, geschweige denn die übrigen Medien.
28.10.2012
Der letzte der Gladiatoren / L’ultimo gladiatore
(Umberto Lenzi, Italien 1964) – 8.5/10 (22), DVD***
Eigentlich wollte ich zumindest versuchen, zu Beginn meines persönlichen Sandalenfilm-Rundganges bewusst an Regisseuren vorbeizugehen, die ich von ihren späteren Western sowie Kriminal-, Abenteuer und Horrorfilmen bereits besser kenne – bei Umberto Lenzi sind das in meinem Fall immerhin schon ganze 21 Filme – doch es spielen in die Ausgestaltung dieses Sandalenfilm-Rundganges angesichts der schier überwältigenden Filmmasse auch Faktoren wie Verfügbarkeit im korrekten Bildformat und dazu in italienischer Fassung eine Rolle. So kam ich also schon jetzt in den Genuss eines Peplum von Lenzi und siehe da: vielleicht steht dieses Metier ihm besser zu Gesicht als alle anderen, die er im Verlauf seiner ergiebigen Karriere versorgt hat. Angesichts späterer Präferenzen (oder Prätentionen, je nachdem) des Regisseurs interessanterweise weitgehend freigetrübt vom potenziell kopflastige, Peplum-immanenten Motiv des Klassenkampfes und von Melodrama, darf sich ein bärtiger Richard Harrison, müde-gerechte, aufregende Bauernjungen-Energie verstrahlend, als ein in die Sklaverei verschleppter Engländer zuerst gegen einen sich dümmlich kichernd an seinen Gemeinheiten ergötzenden Spielkind-Caligula mit flammend rotem Haar auflehnen. Nach dessen Tod steht er allerdings vor Messalina, in Gestalt der jungen, schlangenhaften Lisa Gastoni, die hier wie Dagmar Lassander aussieht und als kühl gleitende Kobra alle femmes fatales des Sandalen- und Monumentalfilms, die ich bisher sah, in den Schatten spielt. Gegen sie scheint kein Kraut gewachsen, nicht einmal das der Muskelkraft, und wenn sie Kleopatras Milchbad einlassen lässt, könnte auch Blut in dem Bassin wogen! Ja, die schillernden Camp-Akzente, die hier freudvoll gesetzt werden, sind reichlich und von großer Konsequenz, die holzig-pastellene Niedlichkeit der Kulissen wird ausgestellt, die Schönheit der Frauen massakriert (neben drag empress Lisa Gastoni hat es die wunderbare Marilù Tolo hier als „love interest“ besonders schwer getroffen: mit blonder Perücke und treudoofen Sätzen scheint sie auf ein erotisches Foto-Shooting der zweiten Klasse warten zu müssen), der nicht ganz so kraftstrotzende Held zum sensiblen Verzichter in der Nähe der Melancholie degradiert, das Klischee vom aristokratischen Intrigenschangel deftig gefeiert und die Kleinläufigkeit der Räume, in denen sich das brisante Treiben abspielt – Lenzi selbst würde wahrscheinlich behaupten, er habe versucht, den dank proletarischem Solidargefühl erfolgreichen Sturz eines faschistischen Regimes darzustellen – adrett ausgezirkelt. Hin und wieder rückte ich den Film, der sich für Mythologie so überhaupt nicht zu interessieren scheint, in Gedanken in die Nähe von George Sidneys THE THREE MUSKETEERS, einen der ewigen Lieblinge meiner Kindheit, dessen Zauber mir bis heute erhalten geblieben ist. In der ironischen Hingabe und dem großen Action-Eifer erinnert das allerdings auch an Paul W. S. Andersons Bearbeitung des gleichen Stoffes – Lenzi hat einen sehr modernen Sandalenfilm gemacht, zweifellos. Ich glaube, L’ULTIMO GLADIATORE, so er auch nüchtern betrachtet vielleicht kein exzentrischer Genrevertreter sein wird, wäre ein schöner Film, um Skeptikern einen schonenden, rasanten Einstieg in die Sandalenwelt anzubieten. Um es in der HK-Sprache zu sagen: ein dufter Spaß.
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Bei Gott. Ich erinnere mich in diesem Moment des morgendlichen Wegdämmerns, unter dem Heulen des Windes, der den Giebel erzittern lässt, in dem ich weile, dank Verdis „Dies irae“ zum ersten Mal in aller Klarheit und zitternden, knieweichen Wucht daran, wie ich vor vielen Jahren – so fühlt es sich an – im Winter, mit zarten 16 Jahren, Armando Crispinos DAS GEHEIMNIS DES GELBEN GRABES sah, in der schönsten und geheimnisvollsten, weil entrückt eingetrübtesten aller herrlich schmutzigen und verkratzten VHS-Fassungen, spät am Abend allein zuhause, und es eines der größten und zerschmetterndsten Filmerlebnisse meines Lebens bis dahin war, vielleicht auch bis heute. Diese Erinnerungen, die mich heute, am 07. 11. 2012 – das STB hinkt dem Leben hinterher – zum ersten Mal so schmerzhaft heimsuchen (auch der Schmerz, vielleicht keinen weiteren Film je so zu sehen), sind aufschlussreich, wichtig und bringen mich ins Träumen. So unerträglich intensiv ich Filme auch heute noch erlebe, da reicht möglicherweise nichts heran, meint mein Gefühl. Vielleicht ist es das eine, unauslöschlich erschütternde und überwältigende Filmerlebnis meiner kindlichen Jugend, dass ich bisher nie erwähnt habe, wenn die Rede auf derartige Schlüsselerlebnisse kam, habe seine Rolle in meiner Cine-Erweckung irrtümlicherweise immer Dario Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO zugeschrieben, der mich, es wird um die gleiche Zeit gewesen sein, ebenfalls zutiefst, aber nicht vergleichbar, erschütterte. Ich sollte all diese Erinnerungen aufschreiben, die vielen Verstörungen rekonstruieren. Der Film wuchert erneut in meinem Kopf, zu einem Monstrum heran. Ich begreife das nicht, denn während der schlussendlich doch noch erfolgten Zweitsichtung vor zwei Jahren ereignete sich nichts Nennenswertes, all das kam nicht zurück. Ich hatte es vielleicht vor lauter Intensität verdrängt. Bei mir ist gerade ein Groschen gefallen, ich verstehe jetzt plötzlich tatsächlich besser als bisher, warum es zwischen mir und Italien so hart kommen musste, glaube ich.
Es gibt nur ein Problem: ich muss dafür diese Toppic-Videokassette noch einmal sehen, ihren eigenen, entscheidenden Zauber (oder was ich dafür hielt – nie werde ich beschreiben können, wie ich diese Texturen und Farben damals sah, nie werde ich sie wieder so sehen), digital einfangen. Sie liegt im Regal, nur wenige Meter entfernt. Nur abspielen kann ich sie nicht. Ich habe keinen Videorekorder und keinen Fernseher. Das Leben ist genau so unbarmherzig und ungerecht, wie dieser Film es zeigt. Einmal spürt man wirkliche Energie in sich aufsteigen, die einen zum Höchsten antreibt, und genau dann wird man mit dem Gesicht in die Erde gedrückt. Schnöde Technik, Lusttöter und aufmüpfiger Sklave.
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27.10.2012
Der Passagier – Welcome to Germany
(Thomas Brasch, BRD/GB/Schweiz 1988) – 10/10 (25), VHS
Der deutsche Vergangenheitsbewältigungsfilmförderungsfilm to end all Vergangenheitsbewältigungsfilmförderungsfilme. Ich kann mich nicht erinnern, je einen Film gesehen zu haben, der die eigene Existenz und die Vertrauenswürdigkeit des Kinos radikaler und gleichzeitig unprätentiöser in Frage gestellt zu haben. Unmöglich, all das auf vereinzelte Gedanken herunterzubrechen. Den Film im Moment des Sehens nachzuvollziehen und zu spüren, seine Überlegungen und seine Stimmungsbilder zu erfassen, selbst das ist beinahe schon zuviel. Mir fehlen die Worte. Alle.
Falconhead
(Michael Zen, USA 1976) – 9/10 (23), VHS
# Ich habe das Inferno in einem Porno gesehen und sein Name war FALCONHEAD (Michael Zen, 1976).
# „He gazed into the mirror and was consumed by it.“
# Und sie wichsten, bliesen und fickten, ohne Hoffnung auf Erfüllung, schreiend und stoßend, immer tiefer in den dunklen Schlund des Nichts.
26.10.2012
Winter Kept Us Warm
(David Secter, Kanada 1965) – 8/10 (20), DVD
Der Film, der in dem jungen David Cronenberg den Wunsch weckte, Filmemacher zu werden. Unmittelbar nach der Sichtung finde ich das obskur, aber der unsentimental konkrete, schwarzweißen 16mm-Zauber ausdunstende Film, der die sentimentale, innere Erinnerungs-Ikonographie von College- und Internatsleben (ich habe selbst vier Jahre meines Lebens in einem Internat verbracht, mit so etwas kriegt man mich leicht, wenn man es richtig anstellt) an sich ist trotzdem ziemlich unverzichtbar und schenkt dem frühen schwulen, amerikanischen Kino wohl das, was Sidney J. Furies THE LEATHER BOYS dem britischen geschenkt hat.
Das Phantom der Oper / The Phantom of the Opera
(Terence Fisher, GB 1962) – 9/10 (22), DVD
Ich weiß gar nicht mehr, wie ich auf diesen Film gekommen bin. Mein erster Hammer-Film seit sehr langer Zeit. Ich habe früher, als ich mir Hammer-Filme gefühlt dutzendweise zu Gemüte führte, nie verstanden, was an Terence Fisher so bemerkenswert sein soll. Jetzt sehe ich, fasziniere ich mich und überlege. Ich muss wohl mehr sehen, auch andere Hammer-Filme, aber auch von Fisher. Ich kann das Wissende der Inszenierung, die Entspannung und Kryptik dieser Dramatik, die sich hier so gelassen in der Bühne der Studiobauten entfaltet (die martialisch-kratzige Oper, die im Film aufgeführt wird, ist bizarr, ebenso wie der ungeheuerliche Frontal-Sleaze und -Cheese von Michael Gough), und das durchdringend Perverse nicht schriftlich fassen (Heather Sears ist eine unglaubliche Christine, angelisch verschnürt, ist sie dem Film geboren, den schicklichen Schmier des Prüden zu verströhmen – nichts ist erregender als eine „Trockenpflaume“), aber ich möchte zumindest anmerken, dass Dario Argento ein ergebener Fan dieses Films sein muss, denn es ist nicht zu übersehen, welch nachhaltigen Einfluss Fishers Umsetzung des zu Tode umgesetzten Stoffes bei Argento verfangen und sich in seinem endlosen Meisterwerk IL FANTASMA DELL’OPERA niedergeschlagen hat. Eine britische, luzide-präzise Studiofilm-Blaupause für die dekadente, italienische, gothische Autorenfilm-Romantik.
23.10.2012
Where Danger Lives
(John Farrow, USA 1950) – 9/10 (22), DVD
21.10.2012
Marco, der Unbezwingbare / Maciste alla corte dello Zar
(Tanio Boccia, Italien 1964) – 6/10 (12), VHS* [falsches Bildformat]
„Da es mit den Geistesgaben dieses Fleischberges nicht weit her zu sein scheint, wollen wir sehen, wie es mit den Muskeln steht.“ knurrt der Zar Massimo Serato im Angesicht des niedlich-drallen Bubi-Bodybuilders Kirk Morris*. Und mit den Muskeln stand es gut, und so ward nicht viel mehr nötig, um einen auf die notwendigsten geistigen („Er versteht alles, was ich ihn lehre“) und körperlichen („Er ist stark wie ein Bär“) Funktionen herunterdestillierten Maciste in einer Kiste von russischen Archäologen im 19. Jahrhundert ausgraben und das stark nach Wohnzimmer-Arabien aussehende Zarenreich zu retten. Tanio Boccia, einsilbiger Meisterkoch des aufreizend kindlichen Süppchens weiß, wie man so etwas anrichtet und fügt nichts hinzu, lässt das natürliche Aroma von handgemachten Abenteuer-Spielzeug gut durchziehen und verzichtet auf jegliche komplizierte Anwandlungen von Erzählung, Psychologie und Konflikt. Es reichen Aktionen und Parolen. „Ich werde diese Frau retten!“ entrüstet sich der vor Muskelkraft so verwirrend starrende halbstarke Maciste, und die Frauen wurden gerettet, die Ketten zerissen, er selbst mit magischem Trank dem Gifttod entrissen, und wenig mehr. Ich spürte meine Gehirnzellen minütlich absterben, wie ein Schleier schwebten ihre Kadaver über Restbeständen von Reflexionsanwandlungen, die darum kreisten, dass selbstverständlich im „Peplum“, wie auch im Italowestern oder Giallo oder Poliziesco oder Film erotico verschiedenste Nuancen und Abstufungen von Sophistication und Reife, Seltsamkeit sowie Wahn- und Stumpfsinn möglich sind – wie sollte es auch anders sein, wer dachte, dass dem nicht so ist, der sollte dringend meinem Beispiel folgen und sich kopfwärts in das Muskelbad werfen – und dass eben auch das Letztere gesehen, erfahren und verarbeitet werden soll und muss. Und so war das alles wohl wahnsinniger Stumpfsinn oder stumpfsinniger Wahnsinn. Bei aller komischen Nervendehnung: ich war fasziniert. Es ist noch viel mehr möglich, und auch ein „authentischer Primitivfilm“ (für diese Umschreibung von Russ Meyers SUPERVIXENS durch einen deutschen Kritiker könnte ich mich immer wieder begeistern) will erst einmal gefunden sein! Es dauert mich, ich habe den Film nach der Sichtung sofort entsorgt. Das hätte ich nicht tun sollen, ich merke, dass er wichtiger war, als ich dachte.
(* mit den extra jungenhaften Zügen – einst war er ein bei Touristinnen mittleren Alters und Schwulen gewiss sehr beliebter Gondel-Rudermann in Venedig, dann pumpte er sich gehörig auf, um Felsblöcke in Rom zu versetzen. Der amerikanische Traum auf italienischem Boden, no less.)
20.10.2012
Der stärkste unter der Sonne / Maciste, l’eroe più grande del mondo
(Michele Lupo, Italien 1963) – 8/10 (21), DVD*
Noch hüpft Lupo ein wenig zu vorsichtig, ohne postmoderne Wucherungen und euphorische Albernheit andächtig zwischen naiver, schwebender Romantik und derbem Prügelschangel. Arnaldo Fabrizio*, der im Kommentar zu SETTE CONTRO TUTTI bereits gebührend hervorgehobene kleinwüchsige Ultrastar, wird zwar mit ausreichend Screentime bedacht, jedoch bleibt ihm ein eigener Raum, in dem er sich und seine Physis entfalten kann, verschlossen. Mark Forest strahlt als Maciste beinahe zuviel Sophistication aus, aber all dem zum Trotz: wunderschön, ein Gedicht.
*Ich echauffierte mich einmal, nach einem Film vor dem Fürther Uferpalast rauchend, Alexander S. und Sano gegenüber, dass es doch wirklich grotesk sei: in alten deutschen Synchronfassungen würden Zwerge und kleine, lustige Dicke wirklich immer von dem gleichen Sprecher gesprochen (vermutlich Gerd Duwner). Eine Sekunde später bemerkte ich, dass an uns ein Zwergen-Pärchen vorbeigegangen war. Zerknirscht sah ich sie still und schweigend um die Ecke davontrüben, gewiss, dass sie nicht genug gehört hatten, um meine Feststellung als Plädoyer gegen Stereotypisierung zu verstehen. Nachdem ich SETTE CONTRO TUTTI auf Italienisch gesehen hatte, musste ich bei diesem Film auf eine deutsche Fernsehaufnahme zurückgreifen. Mit großem Bangen sah ich dem ersten Auftritt von Arnaldo Fabrizio entgegen. Meine Befürchtung bewahrheitete sich selbstverständlich. Wieder diese Stimme. Auch er war hier der feisten Zwergenkrankheit deutscher Synchronfassungen zum Opfer gefallen. Wie skrupellos man damals in den Synchronstudios doch war.
Aufstand der Aufrechten / Comes a Horseman
(Alan J. Pakula, USA 1978) – 9/10 (22), DVD
21.10.2012
Die geschändete Rose / La rose écorchée
(Claude Mulot, Frankreich 1969) – 7/10 (18), Kino (35mm)*
Meine liebste Jahreszeit / Ma saison préférée
(André Téchiné, Frankreich 1993) – 9/10 (22), Kino (35mm)
17.10.2012
Agentenfalle Lissabon / Misión Lisboa
(Tulio Demicheli, Federico Aicardi, Spanien/Italien/Frankreich 1965) – 5/10 (14), VHS*
Ein mustergültiger Hochglanz-Eurospy-Film. Rundum rund, geradezu erstaunlich von allen Ecken, Kanten und Unwägbarkeiten mediterraner Genreausformungen befreit. So glatt und eben war dieser Film, so frei von Profil, dass ich mich bisweilen fasziniert vorfand. Wie war ein solcher Film möglich als spanisch-italienische Koproduktion zu dieser Zeit möglich? Indes, ein Wunder war er nicht. Mit Begriffen wie „Mainstream“ oder „Hochglanz“ argumentiert man, verklärenderweise, im Umgang mit diesem Kino nicht. Dieser Film ist ein 08/15-Mainstreamfilm, es gibt an ihm technisch nichts auszusetzen, er tut das, was er soll. Das ist trist, unsinnig und seltsam, nicht zuletzt, wenn man berücksichtigt dass Jess Franco an Drehbuch und Filmmusik mitarbeitete, dass die weibliche Hauptrolle von der aufregend unangepassten, widerborstigen und stets aufs Neue faszinierenden Marilu Tolo gespielt wird und dem Film mit den verwinkelten Gassen von Lissabon eine großartige, angemessen geheimnisvolle Kulisse zur Verfügung steht. Ich werde ihn so stehen lassen: als entbehrliches Phänomen, aber nichtsdestotrotz als Phänomen, eines, wie es mir in meiner langen Bekanntschaft mit diesem Kino bisher nur selten begegnet ist: der absolut korrekte Film, ohne Gesicht, der durch absolut gar nichts zu überraschen und zu erstaunen vermag. Ich liebe das italienische Genrekino (ich kann diese begriffliche Festlegung inzwischen in ihrer Schubladigkeit nicht mehr ausstehen, aber um diesen großen Klumpen aus hunderten und aberhunderten Filmen aller Art zusammenzufassen, wage ich es immer noch, sie zu missbrauchen) unter anderem deshalb, weil es nie aufgehört hat, mich immer wieder zu erstaunen und zu überraschen, aus den sich jeder cinephilen Vorstellungskraft entziehenden, verschlungenen Bewegungen und Entscheidungen heraus, weil es so unberechenbar ist, weil es seine Muster immer wieder aufzulösen bereit ist und seine Variations-, Spiel-, Bedeutungs- und Ausreißmöglichkeiten so unendlich scheinen. Dieser Film steht all dem so radikal entgegen, dass er mich erstaunt und überrascht hat, just dadurch, dass mich an ihm nichts erstaunt und überrascht hat. Ich nehme an, meine unmittelbare Reaktion auf MISIÓN LISBOA ist eines der größten Komplimente, die ich „diesem“ Kino je gemacht habe.
16.10.2012
„Liebe und Tod im Garten der Götter“ / Amore e morte nel giardino degli dei
(Sauro Scavolini, Italien 1972) – 9/10 (23), DVD***
Der Film, der vor zwei Jahren zum ersten Mal meine Aufmerksamkeit erregte, als ich zufällig darüber stolperte. Der Titel, von dem ich damals nur irgendetwas von Liebe, Tod und einem Garten verstand, zog mich an. Damals sprach ich noch nicht Italienisch, es existierte keine englisch untertitelte oder synchronisierte Fassung. Im Mai dieses Jahres fand ich, während meines Aufenthalts in Florenz, verbissen Italienisch lernend, heraus, das der Film inzwischen in Italien auf einer DVD erschienen war, in „ottima qualità“, wie ich im Internet las. Ich musste sie sofort haben. „Volevo ordinare una DVD. Il film si chiama AMORE E MORTE NEGLI GIARDINO DEGLI DEI“ (wie ich auf diesen Plual von „in“ verfallen war, weiß ich auch nicht mehr) stotterte ich an der Kasse in jener Buchhandlung, die ich aufgrund ihrer humanen Preise auserkoren hatte. Es reichte schließlich sogar für einen kurzen Schwatz mit Verkäufer, über Elio Petri. Zwei Wochen später hatte ich die DVD in Händen und musste mich zu der Erkenntnis durchringen, dass mein Italienisch noch nicht ganz ausreichte, um einen Film lediglich mit italienischen Gehörlosen-Untertiteln zu sehen. Ein Freund von mir, aus Bologna, übersetzte diese Untertitel auf Englisch. Inzwischen wagte ich nicht mehr, den Film zu sehen. Entweder, weil er in meiner Vorstellungskraft die Form eines verstörenden Koloss angenommen hatte, oder weil ich, wie so oft bei den wenigen Filmen, an die ich mit einer bestimmten Erwartungshaltung herantrete, auf den richtigen Moment warten wollte, den richtigen Abend oder die richtige Nacht, in der keine Gefahr bestand, während des Films auch nur von der leisesten Müdigkeit, der leisesten Konzentrationsschwäche überkommen zu werden. Zwischenzeitlich tauchten erste begeisterte Kommentare über den Film im Netz auf, die Giallisten begannen, den Film dank jener englischen Untertitel, die besagter Freund übersetzt hatte, zu entdecken. Wieder einmal schrieben sie alle über eine psychedelische Traumsequenz in der Mitte des Films. Es ist der Fluch dieser italienischen Filme, auf ihren Schangel und ihre formalen Schauwerte reduziert zu werden. Im Grund nimmt niemand diese Filme wirklich ernst, glaube ich manchmal. Jedenfalls schrieb man über den Film, nur ich hatte mich immer noch nicht an ihn herangewagt. Nun ist es geschehen, ich konnte nicht mehr länger auf die richtige Nacht warten und habe mir prompt die falsche Nacht erkoren, ich war nicht wach genug, um mich der Trance des Films zu ergeben, von der ich spürte, da sie da war. Und ich benötigte auch die englischen Untertitel nicht mehr, um die ich urspünglich so flehentlich gebeten hatte. Trotzdem hat mich der Film seit dieser Nacht vor einer Woche nicht mehr losgelassen. Er hat in beinahe erschreckender Weise einen bestimmten Nerv in mir getroffen, der derzeit offen liegt. Unter diesen Vorraussetzungen, und mit dieser Geschichte, die mich mit diesem so lange ersehnten Film verbindet, sollte ein Text dazu möglich sein, in Kürze. Cercherò di farlo presto.
15.10.2012
Begierde / The Hunger
(Tony Scott, GB 1983) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Die Entfesselten / L’aggression
(Gérard Pirès, Frankreich/Italien 1975) – 8/10 (22), Kino (35mm)*
13.10.2012
Der Verzichter und das kleine Glück / Die Liebe und Viktor
(Patrick Banush, Deutschland 2009) – 8/10 (20), DVD
Eine erquickende Überraschung. Tatsächlich, diese kleine 10.000 Euro-Produktion ist möglicherweise einer der ultimativen Verzichter-Filme und schaukelte mich und Marian zwar nicht immer (bisweilen geht es noch zu lebhaft zu, wird noch zuviel gesprochen und kommuniziert, manche Szene enerviert mit misslungener Dialog-Komik), aber immer wieder, in die höchsten, schönsten Sphären der Trübnis, des Verzichts und der Tristesse. Belobigenswert, in konsequenteren Ausformungen könnte Patrick Banush so in Zukunft vielleicht sogar wahre Ultratrunst und die ultimative Massenverzichtungswaffe gegen den reaktionären Mief der neuen deutschen Romantikkomödie glücken. (Wer ist “Der Verzichter”? Man beachte diesen Ausschnitt, inbesondere die Aussage bei Minute 2:04)
11.10.2012
Don’t Change Hands / Change pas de main
(Paul Vecchiali, Frankreich 1975) – 9/10 (23), DVD
Liebes Sehtagebuch,
heute war ich sehr müde und wollte mir deshalb etwas Leichtes ansehen. Du kennst mich, ich bin immer dumm genug, mir dann etwas auszusuchen, was eigentlich gar nicht leicht ist. Diesmal war es LA SPOSINA, eine erotisch-burleske-schangelige Komödie über einen Verzichter, der einen heißen Superschlitten durch den bewegten Ozean ungeheurer Gefühle in den Ehehafen steuern muss, von Sergio Bergonzelli – du weißt schon, diesem verrückten italienischen Hansdampf-Regisseur, der sich mir im August mit zwei Filmen so offenbart hat. Ich habe ja die italienischen Filme, die ich seit Florenz ohne Untertitel geguckt habe, alle gut bis sehr gut verstanden, aber die waren ja auch vorsichtig gewählt. Ausgerechnet mit Mundart und verbaler Schmierigkeit komme ich nicht zurecht, ist das nicht gemein, wo ich doch beides so gerne habe? Ich musste den Film nach 15 Minuten abbrechen. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass mich das sehr traurig gemacht hat. Ich musste mir dann schnell einen Ersatz für die angebrochene Nacht suchen und dachte, es sei mal wieder Porno-Zeit. Sehtagebuch, du kannst dir nicht vorstellen, was für einen merkwürdigen Film ich gesehen habe! Er heißt, glaube ich, „Nicht Händeschütteln“ und ist ungefähr so, wie ich mir einen Porno als Resultat einer Zusammenarbeit von Jacques Rivette, Jean-Pierre Mocky, José Bénazéraf und Claude Miller vorstelle, um mal bei französischen Filmemachern zu bleiben. Natürlich passt das wieder nicht, der Film ist noch bizarrer, wie er da so leger zwischen spröder Autorenfilm-Trivialismenverehrung (da ist auch altgewordener Früh-Godard drin – verstehst du? Also so, als hätte Godard später in seiner Karriere einen narrativen Detektivfilm im Stil seiner Mittsechziger-Sachen gedreht, vielleicht, so ein bisschen), unschuldiger, neugieriger, manchmal aber auch ganz schön schmutziger bis hin zu perverser Erotik und dem ganzen Prätentionskinoimmanenten Meta-Schangel herumosziliert. Der Film ist sowas wie eine Noir-Hommage und -parodie (die Protagonistin und Privatdetektivin mit natürlichem Lauren Bacall-Charme ist total super), deshalb gibt es nicht gar soviel Sex (den, der da ist, kann man mit Suppenlöffeln essen), aber dafür ganz viele verstrahlte Szenen mit verstrahlten Frauen, die ganz eigennützig – man weiß nur nicht, wofür, wenn nicht für sich? – für Männer kämpfen, die so ungeheuerliche Verzichter sind und so trist am Rande des Films entlangtrüben, das man gar nicht versteht, was wirklich alle antreibt? Das zentrale Innenleben des Films ist ein Enigma, das ist natürlich fast immer prima. Ich habe da so meine Theorien über diese ganze Portweinsoße, aber die behalte ich für mich, du würdest es ja doch nicht verstehen, rational wie du bist. Es ist alles todernst-feierlich-unnahbar und entfesselt-albern zugleich, die Leinwand, bzw. die Hose der Leinwand, platzt aus den gläsernen Autorenfilm-Einstellungen heraus – das Kino brennt, das Kino spritzt! Und bei aller verkorksten, anstrengend-schönen Poesie gibt es doch auch einen Hauch von Sleaze, von dem ich dir natürlich ein wenig erzählen muss, denn du willst es ja doch: unter großem Geschäker und Gequietsche schmeißen da eimal zwei kesse Nachtclubtänzerinnen (überhaupt hat der Film sehr viele sehr schöne, stilisierte Nachtclubszenen in einem Nachtclub, der sich wie eine Malerwerkstatt am frühen Morgen anfühlt. Alle müssen erst noch ihren Kaffee trinken und zu sich kommen, können aber in diesem Zustand den kühlen Katzengöttinnen beim Tanzen und Singen zuhören und -schauen.) nach Dienstschluss in dem leeren Lokal einen „Bauerntrampel“ über den Tresen und ziehen ihn unter noch größerem Geschäker und Gequietsche aus. Das ist wie eine Kissenschlacht oder Plantschen in der Badewanne! Ein verschmitztes „So einen Hammer hab ich schon lang nicht mehr gesehen! Und was für Schultern!“ (die Damen wissen, wie man kichernd Komplimente macht) leitet eine karnevaleske Sexszene ein, die ja eigentlich trüb aussehen müsste, aber völlig ausfließt und brodelnden Spaß freisetzt. Mir, liebes Sehtagebuch, hat, verkommen wie ich bin, natürlich die finale Nekrophilie-Stoßparty noch besser gefallen – da ist mir glatt das Messer in der Hose aufgegangen. Das liegt aber eher an dem ausdrucksstarken, irgendwie gegen die Anstrengung zerbrechlich wirkenden, perversen „Bösewicht“ des Films, der diese Szene bestreitet, Jean-Christophe Bouvet mit dem herzzerreißenden schwarzen Lippenbärtchen. Wie der zustößt! Vielleicht hatte der Regisseur, Paul Vecchiali, etwas mit ihm. Jedenfalls haben sie noch mehrere Filme zusammen gemacht und kaum je habe ich einen männlichen Regisseur gesehen, der in einem heterosexuellen (na gut, bisexuellen) Kunstporno einem männlichen Nebendarsteller eine so ikonische Bildtafel im Vorspann zubilligt. „Kunstporno“, das ist auch ein dummes Wort, oder? Das wird von Cineasten bestimmt längst nicht mehr ernstgenommen. „Autorenfilm“ auch nicht, aber das ist vielleicht neutraler. Also, ich möchte es es dir so sagen: CHANGE PAS DE MAIN fühlt sich an wie echter, und, bis zu einem gewissen Grad auch typischer, französischer Autorenfilm seiner Zeit, so richtig teuer und auf 35mm und in „europäischer Breitwand“ produziert. Aber er hat eben so richtiges Porno mit drin und ist auf zickige Weise völlig durchgeknallt und hochgradig intellektualradioaktiv. Schade, auf YouTube gibt es natürlich keinen Ausschnitt, ich hätte dir gerne was gezeigt. Ich glaube, du hast nicht verstanden, warum ich so verwirrt bin, oder? Tut mir leid. Der Film ist eben höchstens seine eigene Kategorie. Beim nächsten Mal gebe ich mir mehr Mühe. Übrigens ist der Film grau-blau-rot-grün und sieht aus wie mit Mehl bestäubte Götterspeise. Ist das nicht toll?
Bis bald,
dein Christoph
10.10.2012
Die Doppelgänger / Colpo maestro al servizio di sua maestà britannica
(Michele Lupo, Italien/Spanien 1967) – 9/10 (22), VHS*** [falsches Bildformat]
♥ Richard Harrison! ♥ Michele Lupo! ♥ Francesco De Masi! ♥ Margaret Lee! ♥ Eduardo Fajardo! ♥ Dufter Euro-Gangsterfilmspaß! ♥ Verschiebebahnhof-Action! ♥ Metafilm-Alberei! ♥ Italienisch! ♥ Divertimento totale! ♥ 108 Minuten lang! ♥
(Den Film gibt es um 10 Minuten gekürzt auch hier, auf Englisch und, im Vergleich zu der von mir gesichteten italienischen TV-Fassung, mit mehr Bild links und rechts – schade für mich, besser für die meisten anderen)
08.10.2012
Beastmaster – Der Befreier / The Beastmaster
(Don Coscarelli, USA 1982) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Erfrischende Trunst. Vereint leichtfüßig und mit einem besonderen Verve des Unbedarften und Schundromantischen nahezu alle Tugenden, die in italienischen CONAN-Rip-offs sowie vermutlich auch in CONAN THE BARBARIAN selbst nicht ausreichend konzentriert sind. Ich bekam in einer Szene einen lebensgefährlichen Lachanfall. Der Held, stets begleitet von tierischen Freunden (darin, aber überhaupt erinnert der Film frappierend an die Comics von Hansrudi Wäscher, nominell „Tibor“, und hat damit bei mir von vornherein gewonnen, mehr oder minder) wie einem Falken und einem schwarzen Löwen, lässt an einem Seil zwei Wiesel hinab in die Grotte der Bösewichte, um einen Unschuldigen vor der Gehirnwäsche durch den grünen Blutegel zu erretten. Unglücklich kadriert, hingen die beiden belämmert aussehenden Tierchen wurstförmig und zusammengepresst an diesem Seil von oben in den barmherzigen Bildkader. „Unfassbar, wie die so ins Bild getrübt kommen!“, meinte Marian und brachte mich damit beinahe ums Leben.
8. TODD-AO 70MM FESTIVAL, Schauburg, Karlsruhe, 05. – 07. 10. 2012.
„Es hagelte Ultrakunst.“ (Marian)
07.10.2012
Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt [2]
(Ridley Scott, USA/GB 1979) – 9/10 (22), Kino (70mm)
Völliger Trip und wirklich fies, bildet sich nichts ein und penetriert die Sinne. Erstes Viertel ganz besondere Ultrakunst.
The Master
(Paul Thomas Anderson, USA 2012) – 7/10 (19), Kino (70mm)
Völlig packend und ziemlich uninteressant, bildet sich viel ein, wichst aber zumeist nur in die hohle Hand. 1/4 allerdings Ultrakunst.
„Sovscope 70“ / ???
(???, UDSSR 195?) – 8/10 (20), Kino (70mm)
Svalbard – Arctic Seasons
(Hans Kristian Bukholm, Norwegen 1995) – 6/10 (15), Kino (70mm)
Norway
(Paul Gerber, Norwegen 198?) – 5/10 (13), Kino (70mm)
Symbiosis
(Paul Gerber, USA 1982) – 4/10 (11), Kino (70mm)
Projekt Brainstorm / Brainstorm
(Douglas Trumbull, USA 1983) – 9/10 (22), Kino (70mm)*
„Irgendwie zieht sich da so eine seltsame, existenzielle Trübnis durch den Film…“ (Andreas)
06.10.2012
West Side Story [2]
(Robert Wise, Jerome Robbins, USA 1961) – 10/10 (24), Kino (70mm)
Man spricht so oft von Gänsehaut im Kino, hat sie aber nur selten. Hier hatte ich sie. Richtig. Mehrmals. Ich hätte nicht erwartet, mich noch einmal in diesen Film zu verlieben.
Waterloo
(Sergey Bondarchuk, Italien/UDSSR 1970) – 10/10 (24), Kino (70mm)*
Keine Mythologie, kein Pathos, und doch ein Geheimnis. Die ganz große, stille Tragik. Ein bischen wie bei Robert Hossein, aber nicht wirklich. Nicht ganz so esoterisch, aber bizarrer.
Der große Wall / Shin shikôtei
(Shigeo Tanaka, Japan 1962) – 9/10 (23), Kino (70mm)*
Entrücktes Pathos, versteinerte Zeit. Die antik-staubige deutsche Synchronisation beschädigt die Grazie.
Die erste Fahrt zum Mond / First Men in the Moon
(Nathan Juran, GB 1964) – 9/10 (23), Kino (70mm)*
„Die Filme ermöglichen mir sinnliche und kindliche Freuden, ohne durch die ermüdende Plotitis und redundante Geschwätzigkeit anderer Trivialfilm-Sujets einzutrüben. Ein archaisches Sehgefühl, mit intellektuellen Untertönen.“ (Ich, jüngst auf Facebook, über mein junges Interesse Sandalenfilme)
05.10.2012
In 80 Tagen um die Welt / Around the World in 80 Days [4]
(Michael Anderson, USA 1956) – 8/10 (21), Kino (70mm)
Trotz rotstichiger Farb-Eintrübung und Exotikploitation-Schock erstanden die Cinefreuden meiner Kindheit erneut. Danke.
Big Horn – Ein Tag zum Kämpfen / Custer of the West
(Robert Siodmak, USA/GB/Spanien/Frankreich 1967) – 9/10 (23), Kino (70mm)*
Robert Shaw, der Animalische, hier ein Abgrund auf zwei Beinen. Zwischen äußerer Ekstase der Bewegung und innwändiger Hysterie der Selbsterkenntnis. Die Spur verliert sich im flirrenden Nichts.
Das war der wilde Westen / How the West Was Won
(Henry Hathaway, George Marshall, John Ford, Richard Thorpe, USA 1962) – 9/10 (22), Kino (70mm)* [falsches Bildformat]
So schmierig war der wilde Westen. „Ich werde mir immer wieder Tiere zeigen lassen“, gesteht James Stewart, denn er weiß, was ihn in den Lederleggins sticht.
01.10.2012
Total Recall – Die totale Erinnerung / Total Recall
(Paul Verhoeven, USA 1991) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Junge Mädchen liebens heiß / Little Girls Blue
(Joanna Williams, USA 1978) – 7/10 (20), Kino (35mm)*
Ein schöner Coming-of-age-Porno über Schülerinnen, die von ihren Lehrern träumen und Lehrer, die von ihren Schülerinnen träumen. Mit Zeitlupen-Wasserbällen und ganz viel glibberig-verklebten Schamhaaren. Es ist ein Geschenk, so etwas im Kino, auf 35mm, zu sehen.
Settembre
29.09.2012
Bis zur bitteren Neige
(Gerd Oswald, BRD/Österreich 1975) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Eigentlich unmöglich, etwas über diesen Film zu schreiben, diesen deutschen amerikanischen Studiofilm, in dem der Tod wohnt. Ein großartiger letzter (Kino-)Film auch, schon wieder. Sie sind ein ganz persönliches Phänomen für mich, diese letzten Filme. Wenn ich doch versuchen sollte, etwas zu schreiben, dann nur für unsere „100 Deutschen Lieblingsfilme“, denn dort gehört er hin, dieser Film mit seinen inneren Blutungen.
Feuerwerk
(Kurt Hoffmann, BRD 1954) – 10/10 (24), DVD
Eine Eric Charell-Produktion, wie auch der nur zwei Jahre zuvor entstandene IM WEISSEN RÖSSL („Ein Inferno der guten Laune“ – Robert.) Es liegen Welten zwischen diesen beiden Filmen, zwischen der alkalischen Mechanik, extraterrestrischen Mief-Infusion und aggressiven Ehestifterei des Willy Forst-Films und dem, wie ich finde, den amerikanischen Musicalkomödien jener Zeit erstaunlich nahe kommenden Hoffman-Film. Freilich wird auch hier Eheglück gestiftet, und das recht pestilent, doch unter dem quietschbunten (bisweilen durchaus psychedelischen, surrealen) Agfacolor-Exzess lauert die Sehnsucht nach einem Ausbruch, nach Abenteuer und Sex, ist die Erzählung den Aussteigern, Romy Schneider und ihrem die nymphenhafte Nichte unkeusch begehrenden Onkel Karl Schönböck, noch am nächsten. „Hier kann man ja nicht atmen, unter all diesem Muff!“, schleudert letzterer seiner wie die Spatzen auf dem Dach aufgereihten Familie entgegen. Ich war wie vom Donner gerührt. Oder auch zu abgelenkt vom zentralen Handlungsstrang durch Romy Schneiders ältere Großonkel. Angesichts der in aufreizendes, enganliegendes Purpurrot verpackten Lilli Palmer mit ihrem erregenden russischen Akzent, spürt das Trio betagter Herren unnachgiebig den Stenz unterm Rockaufschlag stechen. Wie die Kinder scharen sie sich um die sinnliche Wahlmama, lassen sich mit hervorquellenden Augen Geschichten von ihr erzählen und aus einem großen Kelch mit Bowle die Flasche geben. Ihre monströsen Gattinnen, mit gezücktem Regenschirm, sehen das gar nicht gerne: „Da gibt es überhaupt keine Diskussion! Wir verzichten!“
*****
Verzichten würde ich am Liebsten auch darauf, Kommentare wie diesen (oder den darunter) zu schreiben. Es ist dieser Wille, etwas dazu zu hinterlassen, dem Film „dienlich“ zu sein. Das ist der einzige Impuls. Aber so? Beschränktes, uninspiriertes, unsensibles Zeug ohne Tiefe, mit viel manieriertem Dekor und, wie es auch mir selbst vernichtenderweise scheint, nur interessiert am großen Bohei und dem, was man aus anderen Filmen weitergeschleppt hat. Wen sonst auch immer das erfreut – mich persönlich nicht mehr. Ich müsste wieder – oder neu – lernen, mit Geduld, Ruhe, Kopf, Experimentierfreude und Empathie zu schreiben, „in mich hineinzuhorchen“, wie Christian an anderer Stelle jüngst so bestechend (und natürlich auch wohlüberlegt) schrieb, mir selbst zumindest die Chance geben, komplexer zu sein, meinen Gedanken zu vertrauen. Oder zumindest den Widerspruch, einerseits das Gefühl zu haben, seine Faszination oder Euphorie schriftlich unterstreichen zu müssen und andererseits, in tiefster Seele, bei aller Euphorie, schlicht nichts schreiben zu wollen, stehen zu lassen („Aber dann geht dieser bestimmte Film unter!“, fängt die Stimme im Kopf dann an.) Sonst ist das alles für die Katz. Zufrieden bin ich so oder so nie, aber nichtssagend möchte ich nicht sein, auf keinen Fall. Wie auch immer. Ich lamentiere an dieser Stelle sonst nie über diese mir beim Schreiben omnipräsenten Dinge, eher noch in meinen Langtexten, die ich, anders als dieses Sehtagebuch, respektiere. Heute, wo mich der Frust so plötzlich und unerwartet überkommen hat, konnte ich nicht anders. Es wäre unehrlich gewesen, stattdessen weiter über den Film zu schreiben.
„The least energizing emotion to write out of is admiration. It is very difficult to write out of because the basic feeling that goes with admiration is a passive contemplative mood. It’s a very big emotion, but it doesn’t give you much energy. It makes you passive. If you use it for something you want to write, some strange languor creeps over you. which militates against the aggressive energy that you need to write, whereas if you write out of anger, rage, or dread, it goes faster.“ (Susan Sontag)
28.09.2012
Lust / Libidine
(Raniero di Giovanbattista, Italien 1979) – 8/10 (20), VHS***
Salvatore Bugnatellis kompromisslos trister DIABOLICAMENTE… LETIZIA (1975) ist mir nach wie vor die eindeutigste Entsprechung eines italienischen Jürgen Enz-Films, doch die konsequente Sexual- und Wohnraum-Finsternis, Gefühlsermattung und Lebensschäbigkeit in LIBIDINE bestrahlt und verzaubert mit ähnlich „trünstlerischen“ Schauwerten: wie Enz uns in seinen Filmen in gähnend leergeräumte Schlafzimmer mit braunen Gardinen und grünen Tapeten entführt, in denen schwerer Verzicht selbst beim Sexualakt geübt wird, nimmt uns der obskure Filmemacher Raniero di Giovanbattista („Jonas Rainer“ laut Vorspann) mit in eine trostlose Villa, in einem trostlosen Landstrich, bewohnt von einem „mad scientist“, der einem Menschen den Metabolismus einer Schlange einpflanzen will, um den nahezu völligen Verzicht auf Nahrung zu ermöglichen (!) – und seinen infolge der großen Ambitionen und sinnenunfreudigen Haushaltsführung enthusiastisch mitverzichtenden Angestellten sowie Gattin Marina Hedman (!). Selbige trübt sich, so gut es denn unter literweise Bourbon geht, ein wenig auf am möglicherweise eher kümmerlichen Zauberstab des deftige Ödnis ausschwitzenden, schnauzbärtigen und bierbäuchigen Chauffeurs („Ja! Jetzt fühle ich mich wieder jung!“ keucht sie, als er sie auf sich schaukeln lässt.) Wenn dieser Wonnekloß einmal nicht zur Verfügung steht, hat sie auch mit dem züngelnden farbigen Hausmädchen Ajita Wilson (!) ihr Auskommen. Gemeinsam laben sie sich an Bananen mit glitschiger Schoko-Soße und vermutlich auch anderem Obst – die Tiefe ihrer Verwurzelung in den „gloomy surroundings“ manifestiert sich in der Bedeutung, die hier dem Essen angedeiht: der Wissenschaftler, der es obsolet machen will, die Frauen, die sich damit selbst zu beglücken trachten und die eckige Dinner-Tafel, an der sich die aufgestaute Wut des Zwangsverzichts in verbalen Giftwolken ihren Weg ans dünne Licht stößt. Nur der Wanst von Chauffeur hat gut lachen, denn alle reiben sich hoffnungsvoll an ihm – er ist das kleine Glück im Hause.
Selbst Ajita Wilson lässt sich von ihm, nach anfänglichem Zieren („Man sollte Katzen nicht zuviel Milch geben, sonst bekommen sie einen dicken Bauch!“ – „Frauen bekommen davon auch einen dicken Bauch. Aber keine Negerinnen. Die hasse ich – weil sie stinken!“ – „Nazi-Schwein!“) mit etwas Backfett über die Küchenanrichte legen. Es ist ein verkrustetes, trauriges und klägliches Erdloch, in dem diese ratlosen, rastlosen Menschen sich quälen.
Inmitten all dieses vom bösen Schicksal kunstvoll und listig arrangierten, verkommenen bourgeoisen Trübsinns, begraben in dieser Unterwelt der Gefühle, fühlt sich freilich das zarte Töchterlein des Wissenschaftlers, die zauberhafte, gewagte 19 Jahre alte Anna (Cinzia de Carolis – einst als Kinderdarstellerin in Dario Argentos IL GATTO A NOVE CODE zu Ehren gekommen) freilich nicht besonders wohl. Von der Klosterschule ins Fegefeuer – welche noch so reine Maid würde diesen Wechsel ungetrübt und -befleckt überstehen? Mit gierigen Grabschefingern greifen ihre bedürftige Stiefmutter („Wir können auch Freundinnen sein, Anna.“) wie auch die Bediensteten ihres Vaters („Stell dich nicht so an! Wird dir gefallen, wirst sehen!“) nach ihr, doch der Vergewaltigungswunsch wird mit dem Tode bestraft: eine berbeigeeilte Schlange aus Vaters Labor bewahrt die holde Jungfräulichkeit, eine große Liebe ist geboren. Ihr geschmeidig gleitendes und sich wälzendes Flämmchen brennt flackernd, doch beharrlich in diesen großen, leeren, gräulich tapezierten, eisig ausgeleuchteten und oft fensterlos scheinenenden Zimmern, in denen sich welkende Frauen, in die Mitte des unerbittlich strengen Bildkaders gerückt, nur für die Kamera und für schnauzbärtige und bierbäuchige Chauffeure ausziehen müssen. Ob sie dabei spüren, dass sie leben?
Es gibt, jenseits der reptilischen Schwärmerei, keine Freude in diesem Film, nicht einmal als ferne Ahnung, die als nächtlicher Geist erscheint – selbst die Schlange scheint nicht recht zu wissen, was sie dort soll. Gelangweilt beißt und würgt sie sich durch den Haushalt. In ein besonders poetisches Bild ragen die Schuhspitzen der toten Marina Hedman: Dame, bei ihrer Badewanne zu Tode gekommen. Die Kamera gestattet der Schlange in beispielloser Selbstdisziplin und künstlerischer Reife eine Minute morbider Magie: zögerlich, geduldig und in einer symbolkräftigen Halbtotalen darf sie, bis die äußerste Spitze ihres Schwanzes um die Ecke verschwunden ist, langsam aus dem Bild trüben. She’s got the power! Auch Anna spürt das. „Ich bin die Stärkere, denn ich weiß, wie man liebt!“ lautet ihr finaler Triumph. Denn das Mädchen liebte die Schlange sehr, und deswegen mussten sie alle sterben.
Bittere Unschuld
(Dominik Graf, Deutschland 1998) – 10/10 (24), DVD
„Wenn Du weggehst, dann lässt Du mich hier alleine … mit Denen!“
27.09.2012
Mann ohne Gedächtnis
(Kurt Gloor, Schweiz/BRD 1984) – 6.5/10 (18), VHS
26.09.2012
„Die Vallanzasca-Bande“ / La banda Vallanzasca
(Mario Bianchi, Italien 1977) – 9/10 (22), DVD
Eine echte Entdeckung und sehr viel interessanter als alles, was ich Mario Bianchi bisher zugetraut hatte. Ein dezidiert asozialer „Ich mähe alles nieder, was mich zum Denken zu provozieren versucht“-Film. Sehr schön, sehr schön. Hier wird in einer authentischen B-Movie-Raserei ausschließlich und humorlos nach dem Lustprinzip gelebt und stets den unmittelbarsten Bedürfnissen Folge geleistet: wer im Weg steht, wird ungeduldig hinweggeballert, ungeheure Gefühle im Moment ihres Aufflackerns führen standepede zur Vergewaltigung der nächstbesten Frau, Appetit auf Schlaf wird auf der nächstbesten versifften Matratze gestillt und Wut am nächstbesten Opfer hinweggebrüllt und -geflucht. Der klotzige Enzo Pulcrano gibt der Hauptrolle (der Film trägt den Namen Vallanzasca übrigens nur aus etikettenschwindeligen Motiven im Titel) ein angemessen viehisches Profil, seine allem Nihilismus zum Trotz treuherzige Ungeduld und diese angespannt-biegsame, hypermaskuline und schnauzbärtige Motorradjacken-Virilität krönt ihn trotz seiner archaischen Häßlichkeit zu einer geilen Sau von potentem Superstecher, was der Film auch mit naiver Skrupellosigkeit in dem Umgang, den die pausenlos heruntergeputzten und unsanft angegrabenen Gangster-Trüblinen mit ihm pflegen, malerisch nachvollzieht.
Als krude, sichtlich am untersten Rand monetärer Professionalität mit naturalistisch verdichtetem semiprofessionellen Schauspiel auf löchrigen Landstraßen und in heruntergekommenen, tristen Altbauhäusern operierende Produktion vollzieht sich dieser kleine, dreckige, nervös rennende Film, klar und roh mit vorzugsweise geschulterter Kamera eingefangen von Maurizio Centini, dem brillanten Stamm-Kameramann von Alberto Cavallone und Angelo Pannacciò. Bianchi selbst genehmigt sich eine kleine Rolle als Killer und beeindruckt mit seinem naturtrüben Säufer-Charisma (ausgiebig zu bewundern auch in Luigi Petrinis düsterem KIDNAPPING – EIN TAG DER GEWALT, wo Bianchi als Inspektor sogar eine der Hauptrollen verkörpert). Am Ende des Films, als alle tot sind, schwadronieren zwei Kommissare inmitten einer von toten Gangstern gepflasterten Italowestern-Stadt über all diese Gräueltaten, als Spiegel der Gesellschaft, Italien wird mit Südamerika verglichen. „Unser Land entfernt sich immer weiter von Europa“, meint einer zum anderen.
24.09.2012
Hotel für Fremdenverkehr
(Alois Brummer, BRD 1975) – 6/10 (16), Kino (35mm)
Längst nicht so kess-turbulent wie ZWEI GEILE HIRSCHE AUF DER FLUCHT oder bizarr-verträumt wie FERDINAND, DER PUSSYSCHRECK, aber als Brummer-Porno mit Hang zur Fickparade immer noch von angenehm benebelnder, ordinärer und liebenswerter Schmutzigkeit, zumal in ranzig-rotstichiger 35mm-Projektion. Und der armen, garstigen Rosl Mayr bricht wieder einmal vor lauter wildem Gerammel die Decke überm Kopf zusammen. Mit Staubsalven, die sich von der Decke über ihr Bett ergießen, lässt Brummer seinen den Charme alter Schmuddelzeitschriften atmenden Film skurril austrüben.
Das Relikt / The Relic
(Peter Hyams, USA/GB/Deutschland/Japan/Neuseeland 1997) – 9/10 (22), Blu-ray
Vom klassischen „creature feature“ zu „blockbuster awesomeness“ in geschmeidiger Bewegung und inszenatorischer Grandezza, mit einem Hauch beglückend bescheuerten 90iger-Humors, einer virtuos mit trüben Weiblichkeitskonzepten jonglierenden Penelope Anne Miller, seltsamen psychosexuellen Verknotungen und viel, sehr viel gebrochenem Licht. Dieser Film ist eine Achterbahnfahrt. Ich genieße es und schäme mich zugleich dafür, wenn ich mich im Kino mit offenem Mund erwische.
Es gibt hier, in diesem letzten Film, den Hyams in Panavision drehen konnte (alle späteren Filme wurden im vielseitiger manipulierbaren und qualitativ unterlegenen Super35-Format aufgenommen), einen Moment, in dem die Hyamssche „Lens flare“-Besessenheit einen seltenen, deterministischen Zenit erreicht: eine Gruppe von hysterischen Menschen versucht, sich durch die pechschwarzen Kanäle der Kanalisation watend, vor dem im Museum wütenden Monster zu flüchten. Eine meist nur als solche auszumachende Taschenlampe führt den plätschernde Echos mit sich führenden Zug an, ihr Schein bricht sich plötzlich in Lichtkreisen im Kameraobjektiv. Diese elusiven Reflektionskristalle löschen die Sicht der Menschen, der Filmfiguren ebenso wie die unsere aus, der (gewollte) technische Artefakt der Kamera wird zum Richter über das Leben und Tod dieser von ihr ernährten, am Leben gehaltenen Figuren, er ist einen kurzen Moment lang das Einzige, was vom Filmbild übrig bleibt. Man sieht nichts anderes mehr, die virtuelle Glasscheibe zwischen Fleisch und Metall ist durchbrochen, eine wirklichkeitsübergreifende Wucherung platzt ins Dunkel und ruiniert nicht nur unsere Nachtsicht. Für eine Sekunde verschmelzen die absolute Macht und die absolute Vulnerabilität des Kinos zu einer unmöglichen Einheit. Und diese Einheit gehört einem Horrorfilm. Einem der schönsten Horrorfilme der 90iger Jahre, nebenbei bemerkt. Ein IMDB-User fragt: „Late example of a pre-irony movie?“. Freilich ist auch THE RELIC durchzogen von Ironie, die bei Hyams immer angenehm unaufgeregt vorbeischlendert, aber was dieser Satz sagen will, ist richtig. THE RELIC wird vielleicht einmal einer der letzten Filme seiner Art gewesen sein, der ohne jene hohle, kunstverachtende, nerdige Altklugheit (deren Fundament bekanntlich ein eher provinzielles Filmverständnis ist) ausgekommen ist, ohne die das Genre heutzutage nicht mehr vorstellbar zu sein scheint. Außerdem fast so schön wie TITANIC, wenn man über das Motiv „Die Schöne und die Zerstörung“ nachdenken möchte (und wer würde das nicht mögen?).
22.09.2012
Mit einer Zeitung zugedeckt / El camino de la vida
(Alfonso Corona Blake, Mexiko 1956) – 7.5/10 (20), Kino (16mm)*
Ein Straßenkinder-Melodram, mit neorealistischem Touch. Sehr anders als Corona Blakes NACHTS, WENN ANDERE SCHLAFEN. Nicht jedoch mit Blick auf die deutsche Synchronfassung: mit großen Ohren lauscht man all den kleinen, traurigen Trüblingen, die selbige aus den armen kleinen Protagonisten macht, dem teutonischen 50iger Jahre-Mief, den sie in die schwarzweißen Straßen von Mexiko City pulvert. Man muss über derartige Verzerrungen hinwegsehen, respektive -hören – die bloße Existenz dieser deutschen Fassung macht einen von hunderten und aberhunderten mexikanischen Filmen dieser Zeit für uns greifbar. Wer weiß, wieviele davon uns für immer verschlossen bleiben werden. Synchronisationen von gestern kann uns niemand mehr nehmen, Untertitel von heute sind zu kostspielig. Ein großes, zu großes Elend der Filmgeschichte.
Der Falke und der Schneemann / The Falcon And the Snowman
(John Schlesinger, USA/GB 1984) – 8/10 (20), DVD
„Auch wenn ich mich inzwischen bisweilen von der Pragmatik und der undurchbohrbaren Sachlichkeit, die sich auf dem Grund seiner Texte und seiner Herangehensweise häufig abzeichnen, abgestoßen oder zumindest irritiert vorfinde, beruhigt es mich, dass am Ende seiner Cinesinnsuche doch wieder nur Überwältigung, Verwirrung und eben Affekt zu stehen scheinen. Auch er ist dem Kino nicht gewachsen, das ist beruhigend. Dazu passt sehr gut ein Erlebnis, dass ich gerade mit THE FALCON AND THE SNOWMAN von John Schlesinger hatte. Der Film war irgendwie trist und verzichterisch, es war Arbeit, an ihn heranzukommen und als ich dann dran war, hat er mich dafür nicht belohnt, im Sinne einer Cineoffenbarung. Da waren interessante Ideen im Film, die ich zu schätzen wusste und die mir raffiniert schienen, auf die er auch hinzuarbeiten schien, dann schien er sie plötzlich für höhere philosophische Schwurbelei hinter sich zu lassen, um dann am Ende auf den Boden der Bescheidenheit zurückzurasseln und den Film mit einem Song namens „This is not America“ austrüben zu lassen, der mir wiederum signalisierte, dass ich wieder bei dem war, was ich noch relativ zu Anfang meiner „Arbeit“ in dem Film vermutete (amerikanische Bubis schnallen gar nicht, was andere Kulturen eigentlich sind und so). Unfreiwillig und en passant offenbarte sich also ein schäbiger innerer Treaze-Diskurs über die Determination von Filmrezeption und wie ungerecht es sein kann, einen Film ja zwangsläufig rezipieren zu müssen, weil man sich nicht aussuchen kann, was dabei passiert. Im Sinne von: in welchem Verhältnis Emotion und Gedankenkonstrukte zueinander finden angesichts eines Films, von dem man als Erdenbewohner nicht glaubt, dass er es wert ist, soviel Verwirrung innendrin zu stiften. Das ganze ist völlig schizophren, diese verschiedenen Ebenen und Impulse der Wahrnehmung, für einen Film, der einem nichts bedeutet. Dieser Film ist wahrlich nicht die Ultrakunst. Er ist auch nicht überdurchschnittlich interessant, eigentlich. Es ist ein willkürlicher Fall. Einer von ganz, ganz vielen. (…) Vielleicht hätte ich all das in einen STB-Kommentar zum Film verbraten sollen, auf den ich jetzt keine Lust mehr habe.“
(aus einer Email an Andreas)
21.09.2012
Südwest nach Sonora / The Appaloosa
(Sidney J. Furie, USA 1966) – 9/10 (22), DVD
Furie goes Antonioni, Brando dissolves. Review coming soon.
Morlock: Die Verflechtung
(Dominik Graf, Deutschland 1993) – 9.5/10 (23), DVD
„Wir räumen den ganzen Dreck weg und bauen was Neues auf.“
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Man schlendert, nein, stolpert durch diese in ihrem beängstigend anheimelnden Schmutz und ihrer neogothischen Tristesse so prunk- und geheimnisvolle Ex-DDR, die Graf und Rolf Basedow hier errichten, man wandert vorbei an diesen gigantischen Industriegebäuden und Plattenbauten, man liest nur ein einziges Mal am Rande das Wort „Wessi“ (aber in your face: wütend in weiß auf eine Windschutzscheibe eines Münchner Autos geschmiert), hört nur ein einziges Mal Sächsisch und versteht, dass man gar nichts versteht, von dieser Ex-DDR in diesem Film, die nur nach Außen hin ein solches Niemandsland ist. Nichts von dem, was zwischen diesen grauen Hausecken liegt. Sie lebt. Die Westler verstehen das nicht. In meinem Leben hat es viele wichtige Menschen von drüben gegeben, die Erinnerungsschicht um Erinnerungsschicht mit mir geteilt haben. Trotzdem, ich werde nicht mehr verstanden haben als andere. Dieser Film allerdings, manche Ahnung, manche Vorstellung, manche Sehnsucht und manche Überlegung bringt er für gespenstische wie auch, seltsamerweise, sentimentale Momente zurück. Wie leichtfertig man sich die Geschichte anderer manchmal aneignet. Nichtsdestotrotz, und wieder auf den Film selbst bezogen: dieser namenlose Gedanke vom Niemandsland DDR, er blättert immer weiter ab, nicht nur an den Stellen, an denen die Banalität des Sterbens zutage tritt, auf Pflastersteinen und Waldboden. Der Waldboden, die Blätterhaufen über den Vergessenen: Wenn – und vor allem: wann und wie und warum: bei Graf diese zärtliche Ahnung von Vergänglichkeit in seine Filme weht, fasse ich das immer wieder aufs Neue nicht.
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Zurück zum Gedanken vom Niemandsland DDR: Er blättert immer weiter ab, analog zur mythischen Gefahr ehemaliger ostdeutscher Großindustrieller, die an einem neuen wirtschaftlichen Imperium bauen, aus einem Winkel im Schatten heraus die Strippen ziehen, einem Winkel, der ohnehin niemanden interessiert, so heißt es gelegentlich zwischen den Zeilen. Die „normalen“ Menschen, sie sind fast unsichtbar, wie Fantome bewegen sie sich am Rande des Films. Jeder ihrer Auftritte verunsichert. Bis auf die dralle Sekretärin, die von Morlocks Assistent, einem biederen jungen Büro-Verzichter, in einem Anfall von jugendlich-professionellem Wagemut flachgelegt wird, zwecks Informationsbeschaffung. Die ist so echt, dass man nicht sofort begreift, wie echt sie ist. Trotz akutem Mangel an Pornokinos und staatlicher Anerkennung von Sexualität war die DDR war sehr sleazig, da sind sich fast all meine Freunde aus der DDR immer einig gewesen.
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Die Spur, die vom Film in die Wirklichkeit führt, verliert sich zwischen dem Genre-Mythos und dem Dreck, der Tristesse, der in einem gehobenen Restaurant verspritzten Gülle, den Stalin-Denkmälern, die beiläufig durchs Bild huschen, dem ausladenden Agentenfilm, der momentweise in den Zonenfilm hineinbricht und wieder hinaus, sie verliert sich zwischen engen, den menschlichen Ansatzpunkten an diese Situation viel zu engen Begrifflichkeiten wie „Arbeitslosigkeit“ oder „Bilanzen“, verliert sich inmitten der ranzigen Grobheit auf Sende-MAZ überspielten 16mm-Filmmaterials, zwischen der Schwärze der Kohle- und Erzberge, dem türkisen Weiß der Büroräume. Unverkennbar ist der Film ein Kind der 90iger, aber diese trüben, Müdigkeit ausseufzenden Büro- und Hotelräume, in die er sich bisweilen verkriecht (verkriecht; es treibt ihn sehr oft hinaus, in die aufpeitschende Naßkälte, die eigentlich so beruhigt), erinnern daran, dass vier Jahre keine lange Zeit sind, erst recht nach keiner Wende. Ich weiß nicht einmal, ob es (all) das ist, was mich so fasziniert hat an diesem Film. In dem die in ET-Kreisen inzwischen beinahe berühmte Sequenz, in der Götz George das Porzellan-Herz von E. T. A. Hoffmann anvertraut bekommt („Man weiß nicht, wie es dorthin gekommen war und wie es dort geschlagen hat, aber es hat geschlagen.“), nicht weiter hervorsticht, neben all dem anderen, vielen. Vielleicht doch, ja (neben den auch hier vertretenen, anderen, vielen, kleinen, eigenartigen und auf irrsinnige Weise wahrhaftigen Dingen, die man bei Graf stets versucht ist, hervorzuheben, aber dann doch dem Film selbst übriglassen möchte – für diejenigen, die ihn nach diesem Kommentar sehen): wie es Graf gelingt, ein so immer wieder ebenso vertraut fremdes wie völlig fremdes und in seinem unerklärten, selbstverständlichen Beharren auf Sein (satt Schein) verunsicherndes Deutschland zu entwerfen, ohne dabei das große, klobige und dumme Arsenal manierlicher deutscher Geschichtsaufarbeitungsfilmutensilien auch nur am Rande zu bemühen, damit wird man über die 100 Minuten des Films hinweg nicht ganz fertig. Unwirkliche Magie und die Härte von beregnetem Straßenasphalt lagen selten näher beieinander. Wie sehr und wie seltsam mich das berührt hat. Mit EINE STADT WIRD ERPRESST und DER ROTE KAKADU, Grafs anderen beiden „DDR-Filmen“, ist es mir nicht anders ergangen.
19.09.2012
Sieben gegen alle / Sette contro tutti
(Michele Lupo, Italien 1965) – 10/10 (24), DVD*** [falsches Bildformat]
Es war vielleicht doch nur eine Frage der Zeit, bis sich mir auch im Sandalenfilm die Ultrakunst aus totaler Bewegung, physischer Musikalität und männlichen Muskelbergen offenbarte. SETTE CONTRO TUTTI ist ein später Sandalenfilm, gedreht zu einem Zeitpunkt, als das Genre bereits auf dem Weg zum Schafott war, abgeschafft von Übersättigung des Marktes und steigenden Produktionskosten im eigenen Land. Deswegen haut er auf den Putz, dass es kracht. Eine pralle, brummende Henkersmahlzeit, die aus allen Nähten und Lederschurzen platzt.
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Sieben gutherzige Gladiatoren und ein lustiger Zwerg. Ich könnte nun seitenlang exklusiv über den lustigen Zwerg schwelgen, denn es handelt sich möglicherweise um den besten aller möglichen lustigen Filmzwerge (und wir wissen alle, dass Zwerge im Kino die Hohepriester des Schangels und der Burleske sind), aber das geht nicht. Es ist schwierig und fordert mich zu sehr. Man muss ihn in Aktion sehen, diesen Zwerg. Kaum je ist ein Cartoon im Filmbild wirklicher geworden, vielleicht noch in Ernst Hofbauers DREI TEUFELSKERLE MACHEN ALLES NIEDER (1978). Jedenfalls setzt sich SETTE CONTRO TUTTI aus sieben Gladiatoren und einem lustigen Zwerg zusammen, die gegen einen Tyrannen kämpfen: botte, botte, botte! Ich musste den Film auf Italienisch sehen, und das war gut so. Dieser Sonntagnachmittagsfernsehmuff, den die miefig-trockenen, die Leichtigkeit sabotierenden deutschen Synchronfassungen dieser Filme ihnen automatisch anheften, verstellt die Sicht, blockiert die Atemwege, die den zarten, betörenden Duft von Romantik und Verrücktheit absorbieren müssen.
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Warum ich erst in den letzten zwei Jahren langsam beginne, die totale Erfüllung und Cine-Transzendenz im Slapstick – den ich einst so hasste – zu entdecken, ich weiß es nicht. Ich hätte es früher sehen und spüren müssen. Wie hier geprügelt wird, man könnte auch von Tanz sprechen, so roh und viril auch zugepackt wird. Es ist alles sehr erregend. Ständig scheint der Film im Begriff, sich selbst dem totalen Gemenge orgiastisch hinzugeben. (Das heißt natürlich: so doll, wie er im Begriff zu sein scheint, könnte das kein Film schaffen, fürchte ich.)
Im Finale schmeißen zwei der Muskelberge, verkleidet in Drag, ihre Beine wie Saloon-Tänzerinnen zu einem Louisiana-Marsch und kicken dadurch links und recht die groben tunichtguten Klötze von bärtigen Bösewichtern aus dem Bild. Der Zwerg zählt die Flaschen, die auf einem Haufen gestapelt werden, und führt mit einem riesigen Kreidestück eine Strichliste. Am Rande des Geschehens, weit weg von den Muskelbergen, gibt es auch eine Frau. Sie schaut nur ängstlich schmachtend zu. Was bleibt ihr auch anderes; diese duften, markigen Typen wissen ganz genau, dass Männer es untereinander doch am Schönsten haben. Andere Frauen würden an ihrer Stelle vielleicht eher Reißaus nehmen vor dieser vergnügten, eingeölten und pausenlos strahlend, einen ewigen Spieltrieb auslebend die Muskeln im Kampf rotieren lassenden Jungens-WG aus Wald und Arena, oder sich in einem Weinkrug versenken.
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Michele Lupo, ein Regisseur, von dem ich sonst leider noch nichts kenne, war seiner Zeit voraus mit diesem Film, der fast schon in die Postmoderne gehört (denn eine Parodie ist er nicht, ist er nicht, ist er nicht!). Endlich einmal ist diese leere Floskel, von beleidigten italienischen Filmemachern dieser Ära gerne Jahre später polternd als Entschuldigung für einen Misserfolg angeführt, angemessen. Würde man diesen Film anderen, weniger filminteressierten Menschen in meinem Alter zeigen, sie verstünden vermutlich vor altkluge Überheblichkeit nicht, welchen Jux sich hier ein Regisseur ganz bewusst mit einem Genre erlaubt hat, dass sich den Jux geradezu selbst aufzwängt, aber an ihm nicht zugrunde gehen muss. Sie würden sagen, es sei Trash. Die tiefe Schönheit, die überwältigende Poesie, die entfesselte Grazie und naive Erotik dieses potenten Zauberwerks bliebe ihnen vermutlich verschlossen.
18.09.2012
Dirty Harry
(Don Siegel, USA 1971) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Über den Film möchte ich nichts schreiben. Den kennt man. Ich sah ihn zum ersten Mal. Im Kino, projiziert von einer traumhaften amerikanischen 35mm-Kopie. Die Kraft des Bildes, seine vibrierende Schärfe, die Dichte seiner Farben, die Tiefe der Panavision-Fotografie, die flutende Intensität der Nachtszenen, das Licht, die schwitzende Hitze des Tages, die Körnung, so fein, organisch und filigran (Dominik Graf nannte das einmal „Luftigkeit“), dass kein DCP ihr je hinterherkäme… dass es mit all dem, all dem, dass nur 35mm beherrscht, das Format, das über 100 Jahre Kino bedeutet hat, bevor die Schichten des Materials von Pixelzeilen abgelöst wurden, dass es also mit all dem, High-End-Kino in Perfektion und vollkommene Sinnlichkeit, dass es mit all dem in einigen Jahren vorbei sein soll, das treibt mir Tränen in die Augen. Immer wieder und immer öfter.
Nackt und kess am Königssee
(Jürgen Enz, BRD 1977) – 4.5/10 (13), VHS
Der und härteste aller Enz-Filme bisher. Bereits unsere Nummer 9. Die düstere Tristesse vermisst man hier weitgehend, sie wird gegen deutschtümelige Leblosigkeit und völlige Starre eingetauscht – der angesichts einer geradezu sadistischen Insistenz auf sich ständig, bis hin zu eitrigem Ausfluss aus Auge und Ohr, wiederholenden Gags – deren hirnaufweichende Infantilität an die Teletubbies denken lässt – kein angemessenes Gewicht in Form wahrer „Enzsetzlichkeit“ gegenübergestellt wird. Dennoch, schier endlose Passagen, in denen trunkene Bauern unverständlich Neandertalisches lallend in die immer gleichen, statischen Einstellungen des nächtlichen Dorfes hinein- und wieder hinaustrüben, schrauben sich beinahe in surrealistische Höhen, während der abermals geradezu hypnotische Einsatz monotoner Hochzeitsfeier-Alleinunterhalter-Keyboard-Spielautomaten-Ringelreigen auch hier einer gewissen Faszination nicht entbehrt. Dennoch im Rahmen unserer Enzforschung eine kleine Enttäuschung und ein brutaler, erbarmungsloser Film, nach dem das Hofbauer-Kommando sich, wie es Marian mit letzter Kraft ausdrückte, „dem Tode näher als dem Leben“ fühlte.
17.09.2012
Masks
(Andreas Marschall, Deutschland 2011) – 3/10 (11), Kino (Digital)
Es gäbe wohl wenig Betrüblicheres, äußerte ich nach der Vorstellung Andreas und Marian gegenüber, als einen fantasielosen Regisseur, der versucht, einen fantasievollen Regisseur zu imitieren. Als eine Hommage an Dario Argento kann dieser zweite Film von Andreas Marschall, dessen TEARS OF KALI ich seinerzeit eigentlich recht gern mochte, wahrlich nicht mehr gelten. Es will sich mir nicht erschließen, aus welcher persönlichen, treibenden Motivation heraus man soviel Herzblut, Geld und undankbar versickernde Zeit opfert für einen Film, wenn man damit doch nichts anderes im Sinn hat, als ein Remake seines Lieblingsfilms (SUSPIRIA) zu drehen, ohne auch nur das geringste Experiment, den geringsten Ausreißer damit zu wagen. Die Verlagerung vom Ballett auf eine transgressive „Method acting“-Schule verpsychologisiert das Sujet sogar noch soweit (entgegen des großen Vorbildes, dessen Zauber sich zu nicht unwesentlichen Teilen aus dem Verzicht auf jede Figurenpsychologie speiste; überhaupt gefällt Marschalls Film selbst noch am Ehesten in dem rustikalen Umgang mit den Figuren, insbesondere der unbedarft-trampeligen Hauptdarstellerin Susen Ermich, Typ „girl next door“, die eher „cheerleader in distress“ als, wie einst Jessica Harper, „fairy in a cage“ ist), dass dem Film gar nichts anderes übrig bleibt, als Argento auf die gleiche, langweilige Art und Weise zu begreifen, wie selbst die hinterletzten Horrornerds: als Genrefilmer, der halt heftige Morde mit coolem Licht, stylischen Kamerafahrten und geiler Musik filmt und so. Oder auch einfach: als Genrefilmer, der er eigentlich nie wirklich war (s. u. – Eintrag zu QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO vom 10. 09.) Dem Film bleibt daher nicht viel übrig, als sich genießerisch von artig rekonstruiertem Argento-Setpiece zu Argento-Setpiece zu thrillen, nebst Giallo-immanent stereotypem Musikeinsatz, ohne große Reibungen, persönliche Impulse, Risiken jenseits des vorgegebenen Kosmos bzw. ohne eine Vorstellungskraft, die ihn auch in Situationen, für die er in den Vorbildern keine Schablonen gefunden hat, retten könnte. Es ist tatsächlich das Vernichtendste, was man über den rein handwerklich und schauspielerisch sehr sauberen (zu sauberen) Film sagen kann: es ist unmöglich, über ihn zu sprechen, ohne von Argento zu sprechen, dem er in jeder Einstellung, jeder Regung der Tonspur, jedem Plotpoint (diese sind eine trübe Zugabe von Seiten des Fanboys) und jeder filmischen Geste hinterherinszeniert, mit großem Einsatz, aber minimalem Effekt. Zugegeben, vereinzelten Sequenzen gelang es, mich dennoch ein wenig zu umgarnen. Viele waren es nicht. Indes, der Film ist in jeder Hinsicht zu transparent. Fanboy-Kino kann schlimmer sein, besonders wenn es selbstreferenziell kokettiert (wie etwa Robert Rodriguez‘ PLANET TERROR) – was sich MASKS immerhin verkneift – aber echtes Fanboy-Kino ist an sich schon trist, uninteressant und überflüssig genug, um solcherlei Differenzierungen zum Luxus zu erheben. Eine gewisse Sympathie und einen gewissen Respekt vermag ich Marschall und seinem schlichten Filmträumchen entgegenzubringen – sehr viel mehr aber auch nicht. Thomas Schweer, dessen hemdsärmeligen Zugang zum italienischen Genrekino (warum, zum Teufel, hätte MASKS eigentlich nicht etwas deutscher sein dürfen? Die Dialogzeile „Ich steh‘ total auf den Geruch von Prüflingsangstschweiß!“ ist ein heimlicher Höhepunkt des Films. So etwas findet man in den Vorbildern nicht.) mit dem meinigen kaum etwas eint, schreibt in der aktuellen Ausgabe der Splatting Image, Marschall liefere „genau das ab, was Verehrer des Giallofilms erwarten. Nicht mehr und nicht weniger. Pures, ehrliches Spannungskino, das keinen Hehl daraus macht, die großen Vorbilder zu reanimieren (sic!). Das Genre wird nicht neu definiert, sondern Erwartungen werden schlichtweg erfüllt.“
Was knapp und unmissverständlich beschreibt, warum man auf MASKS verzichten kann. Oder, dass ich schlicht kein Verehrer des „Giallofilms“ mehr bin. Denn als solcher würde ich Schweer vermutlich auch zustimmen, wenn er Dario Argentos NON HO SONNO, im gleichen Text als den Film bezeichnet, mit dem Argento „zuletzt noch einen Hauch der Eleganz früher Vorzeigewerke erahnen ließ und sich dabei selbst ausgiebig zitierte (…)“
NON HO SONNO war, in meinen Augen, die nicht auf wenige, überschaubar gestreute Regiegötter angewiesen sind, eine lasche, uninspiriert und trüb als aufgeblasener Fernsehkrimi ausgeschüttete Flut von verwirrten (soll heißen: den Anspruch der Fans nicht nachvollziehen könnenden) Konzessionen an jene selbsternannten Fans, die sich selbst großzügig gestatten, beengend von „Vorzeigewerken“ zu sprechen und stur wie die Spatzenküken nach den Würmen, nach stylischen Kamerafahrten, Goblin-Musik und beeindruckenden, blutigen Mordsequenzen zu verlangen. Dieser Boomerang der Einfalt kommt heute in Form von Filmen wie MASKS zurück. Die meisten, selbsternannten Argento-Fans werden schreiben, der Film sei ja doch sehr viel besser als die jüngsten Filme des „Meisters“. Mir schlich irgendwann, MASKS hatte wohl ungefähr eine seiner zwei Stunden hinter sich gebastelt und geschwelgt, die Erinnerung an Argentos LA TERZA MADRE in den Kopf, diesem Fiasko – dessen kruder, abgeklärter Irrsinn dennoch soviel interessanter, naiver und aufregender war. Aber die Fans, sie wollen das immergleiche, denn früher war ja alles besser. Dario Argento hat seine Fans nicht verdient (und nach MASKS weiß man einmal mehr, was man an einem AMER hat.)
(Nachtrag: Mit Julia Witt hat Marschall allerdings eine ätherische Grazie gefunden, von der eine gewisse Strahlkraft ausgeht. Das männliche Pendant zur „Hexe hinter den Wänden“ wird gespielt von Norbert Losch, dem Hofbauer-Kommando als Schmierlippe par excellence aus DIE DRESSIERTE FRAU bekannt – auch das ist schön. Marschall hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, solch obskure Gestalten zurück vor die Kamera zu holen, etwa auch Pietro Martellanza – Darsteller in diversen Italowestern und deutschen Sexkomödien der 70iger – als Sektenführer in TEARS OF KALI.)
Rambo / First Blood [2]
(Ted Kotcheff, USA 1982) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
15.09.2012
Der Kommissar: Überlegungen eines Mörders
(Dietrich Haugk, BRD 1972) – 9/10 (22), DVD
Wieder eine willkürliche Wahl, ohne Blick auf die Daten. Schon die ersten Minuten sind großartig. Ein Horrorfilm im für diese Serie archetypischen Grünwalder Villenmilieu. Grit Böttcher ist die „damsel in distress“ (man sagt später von ihr, sie sei 28, was 1972 natürlich längst nicht mehr der Wahrheit entsprach. In diesen Filmen sind erschreckend viele Menschen älter, als ihnen die Drehbücher unterstellen.) Ein Schatten im Park, zwischen den Bäumen, das Rauschen des Windes, das Leuchten des Schnees, die Vorhänge, von der Zugluft bewegt, zwei Schüsse in den Spiegel. Synthesizer- und E-Gitarren-Suspense von Peter Thomas, krude unter die Bilder gemischt. Davon gibt es hier reichlich. Mit Peter Thomas kann beinahe nichts mehr schief gehen.
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Es setzt sich seltsam widerborstig und überschwenglich genre-affin fort, mit einem leichten Hauch des Absurden und Entrückten, wie man ihn diesem Ort, dieser Villa und ihren offensichtlich routiniert, weil sehr subtil biestigen Bewohnern, kaum zu vernehmen hofft. Die agile Kamera vollführt eigenartige Tänze, um sich ihnen zu nähern, ständig schweift und schwenkt sie durch die Räume, von einer Totalen der einen Frau in einen Profil-Closeup der anderen und von dort die Treppe hinauf, um dann wieder in der unscharfen Tiefe des Bildes eine Figur um eine andere im Vordergrund herumschleichen lassen. Es wird sehr viel geschlichen in diesem Film. Der Wind des Winters rauscht weiter dazu. Die Schwerelosigkeit eines aus- statt einladend komfortablen Ortes, an dem man „alles hat, was man sich nur wünschen kann, um zufrieden zu sein“, wie Harry Meyen, der Hausherr, mit Verzicht um die Hornbrillengläser, zu Beginn zum Kommissar meint. Ich rätsele, welcher Regisseur wohl dahinter stecken mag. Wer sabotierte in diesen Serien den heiligen deutschen Ernst außer Zbyněk Brynych sonst noch so? Habe ich etwa, in einem glücklichen Moment, eine Episode meines verehrten Dietrich Haugk erwischt? Es sieht danach aus, aber das wäre die Wahl eines goldenen Fingers gewesen.
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Für derartige großbürgerliche Verstrahlungsbilder braucht man neben einem Regisseur mit abstraktem filmischen Humor auch ein Ensemble, dass das Ganze nicht zum sich sorgfältig präsentierenden Westentaschen-Chabrol gerinnen lässt, sondern sich darauf versteht, der Verstrahlung den geschmackvoll schwingenden Stoß zur schwirrenden Perfektion dezenter Unfassbarkeit zu geben. Neben Grit Böttcher, die sich als Nervenbündel und blässlicher Geist durchs Geschehen stammelt und huscht, spielen mächtig auf: die große, auch hier immer noch schieren, fraulichen Sex in alle Richtungen und aufreizend süffisant gespielte Unschuld, à la „Aber was sehen Sie mich denn so an?“, verstäubende Nadja Tiller. Man muss sie lieben. „Sie war (…) tatsächlich die geilste Frau des deutschen Films.“ konstatierte Zbyněk Brynych mit gerechtfertigter Grandezza, und er muss es gewusst haben. Tatsächlich erinnert dieser Film daran, dass ihre erotische, selbstbewusste Souveränität immer auch etwas Lösliches hatte. Hinter der pastellenen Keßheit dieser Lady liegt immer ein vager Schatten von in Stimmungsmusik übersetzter Melancholie. Der Inbegriff der Leinwandgöttin also. Was das deutsche Kino so oft nicht mit ihr gemacht hat, ist eine Schande. An ihrer Seite ein gewisser Ernst Stankovski als „alter Freund der Familie“ (vor denen wimmelt es in diesen Krimis auch nur so), eine interessante Type, die diese lockere Empathie mitbringt, die in diesen Krimis ein sicheres Signal für Zwielichtigkeit ist. Ich finde diese Figuren oft nicht unsympathisch, sie leben in (vielleicht zu) stilvollen Bohème-Wohnungen und sagen als Einzige einigermaßen, was ihnen in den Sinn kommt. Panos Papadopulos, Grieche und damals Fernseh-Ausländer vom Dienst, darf diesmal einen Spanier spielen.
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Es gibt dann recht viele Momente, die schlicht verblüffende „Der Kommissar“-Entsprechungen von Hitchcock-Momenten, von Edgar Wallace- und von Giallo-Momenten sind. So etwas gibt es bei Haugk oft. Er hat einen spielenden Blick, der all das ohne sichtbare Trennlinien sowohl ins Ironische, als auch ins Sinistre reißen kann. Es bleibt seltsamerweise trotz des Kammerspiels, alles ständig in Bewegung, man fühlt sich ins Kino verpflanzt. Claudia Butenuth, die mir als christlich erzogenem Kind vor vielen Jahren in der Rolle eines „verdorbenen Mädchens“ in Massimo Dallamanos abgründigem Schulmädchen-Giallo COSA AVETE FATTO A SOLANGE?, ein gewisses Unbehagen bereitete, ist eine, die alles in Bewegung hält. Die Villa in Grünewald und das Chaos darum sind ihr gleichgültig, sie sagt aber nichts, sondern strahlt alles aus. Die Blicke, die ihre jugendliche, herbe Grazie abschießt, sind enigmatisch. Immer unbehaglich und leicht vorwurfsvoll, aber man weiß nicht, warum. Vielleicht, weil ihr das alles, was um sie herum geschieht, viel zu selbstverständlich vorkommt. Sie scheint alles zu wissen, ohne etwas zu wissen. Eine weitere tolle, verstrahlte Figur. Beim Frühstück setzt sie, bei der Morgenzigarette über den Mordanschlag auf die zweite, junge Frau ihres Vaters sinnierend, mit Blick in die Kaffeetasse, gelangweilt an: „Erika ist oben?“- „Ja.“ – Lebt also noch.“
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Am Ende eine statische Totale der Diele. Drei der verbleibenden Frauen sind darin arrangiert wie verwitterte Statuetten, es hat etwas von einer eingefrorenen Theaterbühne (ist aber tatsächlich ein gefilmtes, bewegtes, also von den Schauspielerinnen simuliertes Stillleben), das Gesehene bekommt plötzlich noch einen zusätzlichen Schalk, eine visuelle Ironie. Da stehen sie nun. Moral ist keine dabei, nur Witz. Dietrich Haugk hat seine Folgen gerne so enden lassen, alleine seine Abspänne sind meist schon überdurchschnittlich reizvoll gebrochen. Oder auch Brynych, der in einer besonders stilisierten „Derrick“-Folge, STELLEN SIE SICH VOR, MAN HAT DOKTOR PRESTEL ERSCHOSSEN (1984), eine Szene, in der Derrick die Angestellten einer Firma, deren Chef unter Mordverdacht steht, verhört, in eine bizarr stolzierende Theateraufführung verwandelt hat. Die letzte Schrifttafel von ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS: „Regie: Dietrich Haugk“. Der Zufall war mir hold.
15.09.2012
Nachts… wenn andere schlafen / Cabaret trágico
(Alfonso Corona Blake, Mexiko 1958) – 8/10 (21), Kino (35mm)*
Es sei vielleicht das letzte Mal, dass diese Kopie überhaupt zur Aufführung käme, sagte man uns. Man solle froh sein, diesen schönen, alten Film überhaupt noch einmal sehen zu können. Und froh waren wir, denn seit dem Feuer des Begehrens, das VICTIMAS DEL PECADO von Emilio Fernandez im letzten Dezember in uns entfachte, können wir zu keinem mexikanischen Melodram der 50iger mehr nein sagen, um es kompromisslos auszudrücken. Das Filmmaterial war verschlissen, verschrammt, verkratzt und von Netzmustern, die die Brüchigkeit der Beschichtung ankündigten, überzogen. Und es war gewellt. Im ersten Akt (eine Filmkopie besteht aus mehreren Akten, von Laien auch „Rollen“ genannt) zuckte das Bild in einem beständigen stroboskopisches Flackern zwischen Schärfe und Unschärfe. Die Spasmen des Materials gegen die von Lust, Leid und Passion getränkte Tragödie der Nachtclubtänzerinnen, wieder einmal. All diese Filme scheinen von Nachtclubtänzerinnen und Huren mit goldenen Herzen zu handeln, die, schwer an ihrem Kreuz tragen, einen Leidensweg durch Reihen schmieriger, scheinheiliger und verkommener Zuhälter und Verführer gehen müssen. Was dem beinahe ausschließlich in den vier Wänden des Nachtlokals spielenden CABARET TRÁGICO vom liebgewonnenen, überschäumenden Temperament seiner Kollegen etwas abging, das fegte das letzte Aufbäumen des geschundenen 35mm-Materials hinweg. So habe ich das noch nicht gesehen. So kaputt, so heruntergekommen, aber der Film läuft weiter, bis zum bitteren Ende, wie die Tänzerinnen und Dirnen in den Filmen, die entweder reinen Gewissens geklärt unter den Kugeln der schmierigen Männer sterben oder unter Chorbegleitung Absolution erlangen. Keine digitale Technik kann je so zählebig der Zeit trotzen. Unmöglich. Und solange es Kinos gibt wie das Werkstattkino in München, das Kommkino in Nürnberg, den Filmclub 813 in Köln, das Zeughauskino in Berlin, den Filmclub Buio Omega in Gelsenkirchen oder den Uferpalast in Fürth, wo diese zerschlissene, müde, aber immer noch aufrecht weiter ihren Dienst verrichtende 35mm-Kopie am gestrigen Abend ihre vielleicht letzte Aufführung, ihren letzten Moment brüchigen Glamours erlebte, solange lebt auch das Kino, solange werden Filme wie dieser überleben. Aber nur solange.
Der Kommissar: Schwarzes Dreieck
(Theodor Grädler, BRD 1973) – 5/10 (15), DVD
„78jähr. Dame, nicht ungeb., mö. dem wortkargen Einerlei einer 40jähr. Bezieh. hin u. wieder entkommen u. sich m. eloquentem Herrn passend. Alters, evtl. in ähnl. Situation, austauschen. Kein Sport, kein Sex.“
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Fasziniert und erschüttert von dem ehernen Verzicht und der harten Tristesse dieser Kontaktanzeige in einer Nürnberger Zeitung, schnitt ich sie seinerzeit aus und bewahrte sie wie einen morbiden Schatz in meinem Geldbeutel auf. Sie gibt eine treffliche Inhaltsangabe ab, dieser ebenfalls äußerst tristen, sowohl thematisch als auch inszenatorisch, Folge des häufig – wenn auch nicht immer – eher tristen Routiniers Theodor Grädler. Um mir die Qual der Wahl zu ersparen, griff ich zwischen meine „Kommissar“-DVDs und zog wahllos eine heraus, ohne zu prüfen, welche Folgen darauf enthalten waren – und welche Regisseure sie inszeniert hatten. Für mich ist das bei 70 ungesehenen Folgen, die alle hier herumliegen, nicht ganz unwichtig. Seit GELD VON TOTEN KASSIERERN (1969) von Georg Tressler, mache ich – bei aller Liebe zu so manchem seiner Spielfilme – einen großen Bogen um die verbleibenden zwei Tressler-Folgen. Es gibt noch soviel anderes. Ich schäme mich letztlich doch nicht, das mit Blick auf eine (so tolle) Fernsehserie zu sagen.
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Es geht um eine Taubenfütter- und Spaziergeh-Gemeinschaft alter, verzichtender Mütterchen, die dem wortkargen Einerlei goldener Hochzeiten mit Mord ein Ende setzen. Sehr schön, möchte man meinen. Das findet der teuflische Eheminister Herbert Reinecker natürlich nicht, denn nach dem Ableben der barschen Gatten trübt sich das leise Witwendasein in unnachahmlicher Reineckerscher Darstellung noch weiter ein. Da hilft es auch nicht mehr, in die Kirche zu gehen! In selbige tippeln die von entbehrungsreichen Jahren gestauchten Damen, um sich ein Alibi zu verschaffen. Und dem Nachbarsjungen gibt man den Wohnungsschlüssel, damit er dem mürrischen Gatten seine Sonntagszeitung heraufbringe, zum Frühstück, das schon fertig auf dem Tisch steht. Dazu gibt man ihm den Wohnungsschlüssel. Eine merkwürdige Welt muss das gewesen sein, in dieser deutschen Mief-Republik, wo man mit Wohnungsschlüsseln noch so arglos hantierte, weil man dem Mief und der quadratigen Güte der anderen vertraute. Nach der Rückkehr aus der Kirche signalisiert die unangetastet auf dem Korridortischchen liegende Zeitung, dass Holland in Not und der Angetraute verschieden ist. Der „red herring“ ist ein elektronischer Rasierapparat, der in der Badewanne liegt, obwohl sich der Tote „doch immer naß rasiert hat“.
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So war das wohl wirklich, damals. In meinem Heimatdorf im fränkischen Hinterland ist es wohl immer noch ein wenig so. Überwachungsstaat Ehe, Polizeiwache Nachbarn, Kinder-Spitzel, Rentner-Geheimdienst. Jedes Fitzelchen Leben sorgfältig katalogisiert im urteilsstarken und fantasielosen, stetig die Kanten schleifenden Wohnhausbewusstsein. Es scheint unvorstellbar, dass all diese Menschen in diesen Krimis noch all diese Geheimnisse haben konnten, die man uns präsentiert. Selbst Darmgase, die Herrn Stiefnagel aus dem dritten Stock um 23 Uhr im Treppenhaus entwichen, wären wohl von Frau Gießmeyer aus dem Erdgeschoss um Mitternacht noch erschnüffelt und notiert worden. Es wird dauernd „etwas“ angeboten und mindestens drei Mal darauf hingewiesen, wenn die Polizisten im Begriff sind, eine Tasse Kaffee oder ein Glas Bier ungeleert stehen zu lassen. Man hat sich schließlich die Mühe gemacht und meint es gut.
Dieser absurde Alptraum hat hier in seiner kärglichen, uninspirierten und -reflektierten, wahrlich biederen Umsetzung etwas genuin Enzsetzliches (Erklärung für alle, die es noch nicht wissen: an die Filme von Jürgen Enz Erinnerndes). Sie sind mir, in teils sogar weit extremerer Ausprägung, bereits in anderen Folgen aufgefallen, diese Stasi-Kontrollen anhand von alltäglichen Zeitabläufen („Er trank doch immer seinen Kaffe dort um halb vier“) oder quotidianen Objekten. Es ist der pure Terror.
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Sehr schade, dass ich nun schon zum zweiten Mal in Folge eine so triste Grädler-Folge erwischt habe. Seine Beiträge scheinen mir auch grundsätzlich diejenigen zu sein, in denen Reineckers reaktionäre Scheiße besonders ungehemmt, bzw. überhaupt erst erblüht, als sei er unter den Haus- und Hofregisseuren Helmut Ringelmanns der Reinecker-Erfüllungsgehilfe Nr. 1 gewesen. Siehe auch die verheerende Folge BLINDE SPIELE von 1972, in der Reinecker offenbart versucht hat, seine ursprüngliche, ekelhafte Vision von ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN – nachdem der große Zbyněk Brynych sie mit seinen wilden, anarchischen Exzessen „ruiniert“ hatte – zu restaurieren. (Ich will nicht nur meckern. Grädlers Derrick-Folge ANGST von 1975 etwa ist prächtig, und das nicht nur, weil Uschi Glas in den ersten Minuten in die ewigen Mief-/Jagdgründe eingeht und Heidelinde Weis die überzeugendste Kreuzung aus braver Ehefrau und schockstarrem Kaninchen darbietet, die ich je gesehen habe.)
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Immerhin, Peter Fricke ist dabei. Stefan Ertls wunderbaren Glamour Boy-Artikel über ihn in einer älteren Ausgabe von SigiGötz-Entertainment wäre vielleicht gar nicht vonnöten gewesen, um mich auf diesen Herrn und die verlässliche Intensität seiner öligen Scheinheiligkeit und entgeisterten Schmierigkeit aufmerksam zu machen. Er ist immer groß. Bemerkenswert auch als schwuler Modedesigner in Wolfgang Beckers außerirdischer „Der Alte“-Folge TOCCATA UND FUGE (siehe April) sowie in Helmut Ashleys verstrahlt schmerzender „Derrick“-Folge UNSTILLBARER HUNGER (1980), in der er als vor Gefühlskälte und Contenance geradezu sadistischer Monstergatte seiner gefühlsbedürftigen Gattin Diana Körner ein wortkarges Einerlei infernalischen Ausmaßes beschert.
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Es wird höchste Zeit für eine weitere, faszinierende und exzentrische Episode von Brynych, Dietrich Haugk, Wolfgang Becker, Jürgen Goslar oder Wolfgang Staudte, die auch wieder Lust auf mehr macht – um die Überschrift unseres aktuellen Beitrags zu zitieren: da weiß man, was man hat! Denn ich bin längst Fan. Selbst vorliegende Trübsal wusste mich mit ihrer dünnen Luft und ihrem Duft von muffigen Pelzmänteln in Oma-Schränken mit glasierten Spiegeltüren auf ihre Art zu fesseln. Purer Exotismus, das.
Sudden Death
(Peter Hyams, USA 1995) – 9.5/10 (24), DVD
SUDDEN DEATH, eine weitere Ultrakunstoffenbarung von Peter Hyams. Die establishing scene! Das Massaker zur Nationalhymne! Die Schlägerei in der Küche! Die Lens-flare-Exzesse! Die splitternde Geometrie der Montage! Die Bombentunnel! Der Ersatzspieler! „I love you“! Die Stadionkuppel! Der Hubschrauber! „You should’ve seen my dad!“! Jean-Claude Van Damme! Und überhaupt! ♥
14.09.2012
Yella [2]
(Christian Petzold, Deutschland 2007) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Eben, fünf Jahre nach dem Kinostart, nochmal YELLA im Kino gesehen. Ich habe gespürt, dass das vielleicht keine von Petzolds Sternstunden ist, dass vieles an dem Film sich lasch oder verrechnet anfühlt. Aber es ist ihm, wie auch immer, gelungen, mich völlig fertigzumachen. Ich bin immer noch zerfleddert und klein.
Was ich skandalöserweise völlig vergessen hatte: dass „Road to Cairo„, eine von vielen Großtaten aus dem gemeinsamen Schaffen von Julie Driscoll und Brian Auger, so prominent auftritt, in diesem Film.
Mädchen, die nachts Trübsal blasen / Mädchen der Straße / Trotacalles
(Matilde Landeta, Mexiko 1951) – 7/10 (20), Kino (35mm)*
11.09.2012
Flying Swords of Dragon Gate / Long men fei jia
(Hark Tsui, China 2011) – 7/10 (18), Kino (Digital, 3D)
11.09.2012
Universal Soldier: Day of Reckoning
(John Hyams, USA 2012) – 9/10 (23), Kino (Digital, 2D)
Irgendwann musste wohl ein Film kommen (oder: musste ich einen Film sehen), in dem nur noch das übrig bleibt: Fetzen von Motivation und Reaktionsfähigkeit so klein, so abstrakt, so fern von jenem Leben, das sich in diesem Film abspielt, dass ein Rachefeldzug als Actionfilm geradewegs in die völlige Dunkelheit eines schwarzen Lochs führt, in dem sich ein seiner Persönlichkeit von ewig unbekannter Hand beraubter Mensch wie ein Tier mit einer nunmehr unerklärlichen Raserei durch eine Stadt, einen Wald und ein Katakomben-Labyrinth drischt und metzelt. Das „universal“ ist wichtiger als das „soldier“. Soldaten wissen schließlich, was sie tun. Nehme ich an. Der Film lässt keinen Zweifel offen: das Konzept des Actionhelden hat in diesem Augenblick auf Augenhöhe der Zeit ebenso aufgehört, zu funktionierten, wie viele andere Konzepte jenseits des Kinos.
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Das Konzept von der Erfilmbarkeit der Bewegung ist auch in jeopardy: die Balance dieser Bilder, die auch noch in 3D aufgenommen worden sind, überwältigt die Bewegung selbst. Tiefes Dröhnen und brennendes Flackern vereinigen sich zu einem bis aufs letzte Mark, bis auf die reine Körperlichkeit, auf das reine Fühlen ohne Seele und Verstand, und den reinen Raum reduzierten, infernalischen Trip, dem an Balance nur noch die Linearität, die Austarierung des Scope-Bildes bleibt. Alles andere sind Spuren und Reste, die den Menschen als Betrachter des Films ohne helfende Hand, ohne vertraute Signale, irdische Rudimente alleine lassen in diesem rohen, sich unbeirrbar immer weiter und immer zickzackiger fortsetzenden Tunnel, in dessen schmucklosen, vibrierend gleitenden, digital abgebildeten Wänden nichts, aber auch gar nichts, Risse zu hinterlassen vermag. Einzig und alleine die Menschen (oder die Spuren davon) werden hier zerrissen, immer mehr und mehr, es ist ein Massaker, wie ich es im Kino schon sehr lange nicht mehr gesehen habe. Ein schweigend angerichtetes Blutbad an anonymen Prostituierten und Freiern in einem Bordell verkörpert die misanthropische Perversität, an die sich der in jeder Sekunde brachiale Film heranwagt. Scheuklappen hat er keine.
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Zwischen meterweise zerschmetterten muskulösen Männerkörpern, dann: „That’s what I like about you. You feel so intensely.“ Den Dialog vermeidet er jedoch, denn wie sollen Worte wirken, wo schon Kopf und Instinkt versagen. Im lakonischen Formalismus erkennt man den Regisseur als Schüler seines großen Vaters, des klassischen Kinopoeten Peter Hyams wieder, alles andere spielt sich auf der anderen Seite der Schlucht ab. Eine schmutzige Pissbude wird hier für einen Moment zur Friedhofskapelle der Mythologie – es kommt mir so vor, als hätte ich das in sovielen Filmen der letzten fünf Jahre gesehen – von Gotteslicht durchbrochen, das dem animalischen Protagonisten unbestimmte Kraft einhaucht. Hauptsache Kraft. Das Kino, aus der Perspektive dieses bestimmten Genres, ist also tot, seine Romantik, seine Mythen, seine Sinnlichkeit, sein Rhythmus, seine Selbstdarstellung. Was bleibt, sind materielle Geisterbilder im immateriellen HD-Gewand, die sich im Grunde so nicht wiederholen lassen. Sie sind Einwegbilder im bestmöglichen Sinn, überfordern das menschliche, auf Assoziationen so angwiesene Auge schon beim ersten Mal.
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UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING hat das Zeug zum vielzitierten „letzten Film“, mit dem jemand den Reset-Knopf des Kinos, zumindest in dieser bestimmten, bisher omnipräsenten Form, gedrückt zu haben scheint. Zumindest mag es wohl der erste Genrefilm des neuen Jahrzehnts sein, der sich für mich tatsächlich nach einem Genrefilm des neuen Jahrzehnts angefühlt hat. Erst nach diesem Film ist mir bewusst geworden, wie erfahrbar etwa ein THE BOURNE ULTIMATUM noch war. Der: ein Film des letzten Jahrzehnts. Seltsamer Gedanke. Das spricht für den Film und gegen all die anderen, deren schäbige und scheinheilige Versuche, alte Formeln mit synthetischer Babynahrung am Leben zu erhalten – statt ihnen entweder treu zu bleiben oder sie hinter sich zu lassen – nur noch ermüden (siehe u. a. Christopher Nolan.) Im Mainstream leben Dolph Lundgren und Jean-Claude Van Damme gerade nostalgisch auf, im B-Kino sterben sie erdig und blutdurchtränkt den würdevollsten aller Tode: beide geben sich, bzw. das Bild von sich, in UNIVERSAL SOLDIER: DAY OF RECKONING endgültig (und auch hier: eigentlich unwiderbringlich) auf und überlassen dem von jedem Affekt, jeder Emotionalität und jedem Selbstbewusstsein völlig abgenabelten „John“ (Scott Adkins) den gesamten Film.
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Die letzte Einstellung, die ankündigt, dass des aus bloßer Behauptung veranlassten Schlachtens kein Ende sein wird, wirft einen wahrlich finsteren Blick in die Zukunft dieses Kinos. Ich habe, so fremd ich mich ihm meist in jüngeren Jahren auch fühlte, immer dessen nahezu grundsätzlich sehnsüchtiges Fundament gespürt. Sehnsucht, in diesem Film: abwesend. Weiter reduzieren und die virtuelle Entmündigung der menschlichen Selbstwahrnehmung im Jahr 2012 in narrativ beeinflussten Bild und Ton konzentrieren, das ist eigentlich nicht mehr möglich. Eine dystopische Bestie und schwierige Avantgarde, dieser in sich widersprüchliche Film, alles was recht ist. Ich meine, ihn auf noch mehr Distanz, als er selbst schon anlegt, halten zu müssen. Ich glaube, er ist nicht ungefährlich.
7. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos (7. 9. – 11. 9. 2012) unter dem Motto „Sinnesglut und Reisezauber“:
11.09.2012
Mädchen mit offenen Lippen
(Erwin C. Dietrich, Schweiz 1972) – 3/10 (9), VHS
Blutnacht / Silent Night, Bloody Night
(Theodore Gershuny, USA 1974) – n/a (n/a), VHS
10.09.2012
The Tall Man
(Pascal Laugier, Kanada/Frankreich 2012) – 7.5/10 (20), Kino (Digital)
Motorway / Che sau
(Pou-Soi Cheang, Hongkong 2012) – 9/10 (23), Kino (Digital)
Autos, die durch ein stockfinsteres Parkhaus schleichen, verstohlen, ganz intim miteinander. Oder auf ländlichen Serpentinen, des Nachts, ganz erregt. Oder eine Frau umkreisen, total kirre, das. Endlich mal wieder im Kino gewesen und eine große Wucht und Kraft verspürt. Endlich mal wieder einen neuen Actionfilm lieb gehabt.
Verbotene Spiele auf der Schulbank
(Jürgen Enz, BRD 1981) – 9/10 (23), VHS
Wir hätten es nicht für möglich gehalten. Wir konnten es uns nicht ausmalen. Aber es ist dennoch wahr: Jürgen Enz ist mindestens noch ein zweites Mal in die meisterlichen, entrückten und irrsinnigen Sphären seiner von uns seit einem Jahr so glühend verehrten HERBSTROMANZE vorgestoßen. Das zweite Meisterwerk, das den Enzianischen Symmetrie- und Arrangier-Wahn, die miefige Tristesse und lobotomische Freudlosigkeit, die artig vorgelesene Diktion, das scheue Begehren „junger Menschen“ in trüben Zimmern, den ungesunden Sex auf grünen und braunen Sofapolstern mit zaghaften Anflügen naiver Poesie, einer großen, bröseligen Sehnsucht nach Jugend und fast, so beinahe, nahezu surrealen „tableaux vivants“ in Wald und Wiese vereint, heißt VERBOTENE SPIELE AUF DER SCHULBANK. Unsere bereits achte Begegnung mit dem Maître deutscher Wohnzimmer-Düsternis und entregender Unsinnlichkeit. Man fühlt sich so menschlich, wenn man seine Filme sieht. Man versteht. Und man fürchtet sich. Wir sind ihm längst mit Haut und Haaren verfallen, diesem Kenneth Howard. Vielleicht sind seine Filme doch „liebenswert“, mindestens aber findet man immer wieder zu ihnen zurück, wie in eine nach Urin und Bier riechende Gasse, in der Löwenzahn aus einer alten Plastikflasche wächst und ein Baumwollschlüpfer im Rinnstein vermodert.
Undine 74
(Rolf Thiele, BRD/Österreich 1974) – 9/10 (23), VHS
„Ich bin ein Mädchen von heut und glaube nicht mehr daran“, singt es am Ende von Rolf Thieles wundervoller anarchischer Odyssee durch wimmelnde Wälder und kichernde Wiesen, GRIMMS MÄRCHEN VON LÜSTERNEN PÄRCHEN (1969). Also musste ein Mädchen nicht von heut, sondern von irgendwann her. Das Märchen vom neugierigen Nixen-Mädchen, das aus dem Wasser mit großen Augen auf die Welt kam, um eine Menschenseele zu finden, einen Mann zu lieben und ihn zugrunde zu richten, ist in Rolf Thieles mit dauerbeschlagener, von bunten Prismen und zerbrechlichem Sommerlicht bevölkerter Linse gefilmter Inkarnation einer der allerschönsten und kompromisslosesten Filme seines Regisseurs, der mit einem aufrichtigen unschuldigen Zauber und einer wahnwitzigen Interpretation seines Zeitgeistes einen ganz und gar unwiderstehlichen, durchdringenden Zauber entfacht. Manchmal wacht man aus dieser oneironautischen Ekstase für einige Momente auf, aber selbst der etwas altherrenhafte Mief, der sonst die verspielte, lüsterne, bukolische, surreale Güte vieler anderer Thiele-Filme bisweilen ein wenig an das Lächerliche zu verraten droht, scheint so betört zu sein, das er sich auf den Wellen von Undines See, zwischen den Schilfrohren, im Licht einer ewig dämmernden Sonne, treiben lässt. Selbst wenn es roh wird, meistert der Film sich tolldreist selbst. Diese Motorradunfälle. Undines Begegnungen mit den verwirrenden deutschen 70igern. Die ständige Flucht vor den brünftigen Jungen und knickerigen deutschen AufpasserInnen. Sie muss auch zaubern und durch Waschbecken aus Hotelzimmern fliehen. Selbst das schafft der Film mit Grazie. Und dann: die „Vereinigung“ (wie Undine den Sex nennt) von Angela von Radloff und Werner Pochath auf einem rasenden Motorrad vor Sonnenaufgang könnte geradewegs aus David Lynchs WILD AT HEART stammen, was an sich schon den Atem stocken lässt. Denn diese Szene ist das Werk von Rolf Thiele, Jahrgang 1918, vormals Erfolgsregisseur des westdeutschen und österreichischen Unterhaltungsfilms der 50iger und 60iger Jahre. Als er seinen erotischen Träumen freien Lauf lassen konnte, kam er am Ende seiner Karriere und seines Lebens noch einmal völlig zu sich, als Auteur sans précédent. Die Firma Caro Film, verantwortlich auch für Zbyněk Brynychs ewige Monolithen ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN und OH HAPPY DAY, ermöglichte es ihm. Eine zweite Karriere in Italien, an der er sich versucht hatte, war vor ihrem Entstehen gescheitert. Man hatte für einen Rolf Thiele keine Verwendung im eigenen wie im Ausland. Trotzdem hat er einen Film wie diesen gemacht. Vieles ist klar, die Kenntnis einiger anderer Thiele-Filme lässt UNDINE 74 erklärlicher erscheinen. Trotzdem, schlussendlich: was ist nur geschehen, aus welchem Winkel welcher Seele heraus auf welchen Wegen und aus welchen Stimmungen heraus und gegen welche Widersprüche und Widerstände hat sich dieser Traum offenbart? Er ist eines jener deutschen Kinowunder wie auch Michael Pfleghars DIE TOTE VON BEVERLY HILLS, Roger Fritz‘ HÄSCHEN IN DER GRUBE, Ernst Ritter von Theumers DIE TOTENSCHMECKER, Peter Pewas‘ VIELE KAMEN VORBEI oder Marran Gosovs WONNEKLOSS (oder oder oder), von denen kaum jemand weiß, die wie ein wohlbehüteter Schatz in einer Höhle liegen und darauf warten, aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden, von Prinzen und Prinzessinen, die mit wachen Augen küssen.
Vier Fliegen auf grauem Samt / Quattro mosche di velluto grigio [3]
(Dario Argento, Italien/Frankreich/BRD 1972) – 9/10 (23), Blu-ray*
Endlich, nach sovielen Jahren des Sehnens, in einer erhellenden Fassung gesehen und mich frisch verliebt. Der Film, ein wenig wie eine erfrischend reduzierte, luzide Generalprobe für PROFONDO ROSSO*, zeigt, warum es nicht mehr sehr viel länger hätte weitergehen können mit Argento und straightem Genrekino. Wie sich der Film beim sich-gehen-lassen an seiner hier an sich schon ausreichend esoterisch angelegten Genreökonomie reibt, das legt die enorme intellektuelle Arbeit, die vertrackte Verflechtung und Verschachtelung filmischer Gedankengänge hinter dem Werk offen – so hat man das bei Argento vielleicht nicht noch einmal gesehen, außer vielleicht im ausreichend mit Meta-Impulsen durchsetzten Nachfolgefilm LE CINQUE GIORNATE (den leider niemand ernstzunehmen und mit wirklichem Interesse zu sehen scheint – Argento hat seine Fans nicht verdient.)
Es gelingt nicht mehr, diese Reibungen zu kaschieren oder zu verstecken wie in den beiden Vorgängern. Dieser Regisseur möchte woanders hin, auch wenn er von der Mythologie des Kriminalfilms nicht lassen kann und möchte. QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO steht in all seiner introvertierten Heterogenität völlig neben dem und abseits des expressiven italienischen Genrekinos dieser Tage. Von einigen Weitwinkeleinstellungen und Morricone-Musik lasse ich mich nicht mehr an der Nase herumführen, wie noch damals, mit 17, als ich Argento mit vor Staunen brennenden Augen für mich entdeckte und völlig benommen erstmals durch seinen Bildergarten taumelte. Heute ärgert es mich, das den Menschen zu Argentos Filmen nichts Interessanteres einzufallen scheint, als stets ohne große Fantasie, ohne persönlich eingefärbten, suchenden und neugierigen Blick über tolle Bilder und tolle Musik zu schreiben.
Ich habe seither soviel italienisches Genrekino verschlungen, aus allen Ritzen und Ecken, weit über die verzerrend-einengenden Grenzen der DVD-Verfügbarkeit hinaus, dass ich das erst jetzt erfasst und gesehen habe: dieser Film ist, ebensowenig wie eigentlich jeder andere kriminalistische Argento-Film nach ihm, kein „Giallo„, besitzt über Mitarbeiter und Darsteller hinaus kaum Berührungspunkte mit dem, was Romolo Guerrieri, Umberto Lenzi, Sergio Martino, Giuseppe Vari, Lucio Fulci, Massimo Dallamano, Ugo Liberatore, Luciano Ercoli, Aldo Lado, Luigi Bazzoni, Mario Colucci, Alfonso Brescia und wie sie auch alle heißen, zeitgleich machten. Er ist ein richtiger Autorenfilm im Sinne der ursprünglichen Konnotation des Begriffes, ist von Filmhandwerk und Filmindustrie in seinem Inneren unendlich weit entfernt. Ich meine das nicht wertend. Mein Erlebnis mit dem Film, bei dieser erneuten Begegnung, war ein sehr eigentümliches. Plötzlich schien mir das alles nach den zahllosen italienischen Filmen dieser Zeit, die ich über die letzten drei Jahre hinweg gesehen habe, so fremd, so weit weg und in völlig anderen Bewegungen fortschreitend als dieses Kino, dem er gemeinhin salopp zugerechnet wird und das ich glaube, inzwischen sehr gut zu kennen. Auch hierin liegt keine Wertung. Es ist nur eine Irritation. Eine wunderbare, allerdings auch etwas enttäuschende Irritation. Trotz schäbiger Bootleg-Kopien hatte ich eine Erinnerung an diesen Film.
Aber ich schrieb von einer Irritation. Die im Film selbst auch zu stecken scheint. Diese nachmittägliche Welt des Films, bevölkert von Charakteren, deren extreme Passivität etwas Beunruhigendes hat, angeführt von einem der unheimlichsten Argento-Protagonisten (* ein Bruder von David Hemmings‘ Marc aus PROFONDO ROSSO, ohne die Herausforderung allerdings, sich mit einer Frau arrangieren zu müssen). Ein schöner Jüngling mit langem Haar, der nur in diese Welt gesetzt worden zu scheint, damit sich in ihm eine zeitlose Gleichgültigkeit und der Schwachsinn von Urteilswillen vereinen können. Er ist wie ein Zwilling von Marlon Brandos gespenstisch-schwächlichem Fletcher Christian in der faszinierend schief skizzierten 1962iger-Verfilmung von MUTINY ON THE BOUNTY. Jener Fletcher Christian hätte vermutlich gerne nach Naivität gesucht, aber er sah diese Möglichkeit nicht. Michael Brandons Roberto könnte in QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO nach Naivität suchen, aber soweit sind Argentos Figuren hier noch nicht. Es ist der Mörder, dem hier diese Tür offensteht. In späteren Filmen werden es die Heroinen sein.
Die Szene, in der Roberto, diese ratlos machende, provozierend glatte und so regungslose Figur, in der Badewanne mit der Cousine seiner Frau schläft, ist für mich immer noch einer der seltsamsten Ausreißer und verkorkst lyrischsten Momente in Argentos Filmographie. Wenn diese Figur, wie schon oft und gerne aufgrund der optischen Ähnlichkeiten mutmaßt wurde, tatsächlich ein alter Ego sein sollte, wäre das eine Zumutung von Verführung zu peniblen Entschlüsselungen. Wie auch der ganze Film vor Ideen, Einfällen, Experimenten und mit kühner Geduld ausgespielten, da oft ganz und gar nicht einem spezifischen „Zweck“ folgenden Tableaus nur so strotzt, aber ganz ruhig. Der Kontrollfreak Argento ist hier ständig zu spüren, auch das ist ungewohnt. Er sollte später lernen, sich besser zu verstecken. Es ist eine große, sehr große Freude. Die unbeirrbare Ruhe, mit der dieser Strom fließt. Das muss auch so sein. Es ist, wieder einmal, wie so oft bei Argento, ein Film über Einsamkeit und die Angst vor deren unberechenbarem Ende, sprich: den Teufelskreis, der sich daraus ergibt.
Dazwischen einige geheimnisvolle Krümel italienischen Klamottenhumors, die alles, was so faszinierend und wunderbar ist an diesem Film, noch unterstreichen und sinnreich daran erinnern, aus welcher Realität diese Bilder und Stimmungen stammen.
Aber ich bin abgekommen, vom Wiedersehen, von der Begegnung, die so eigentümlich war. Es ist vor allem eine solche Freude, weil es ein Wiedersehen ist, das wie ein Kennenlernen scheint. Man beginnt erst zu begreifen, sieht andere Filme rückblickend neu. So glaube ich etwa, das L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO, Argentos von mir zutiefst verehrtes Debüt, vielleicht tatsächlich sein einziger richtiger Genrefilm war. Im Sinne von: das einzige Mal, dass Dario Argento einen Dario Argento-Genrefilm gemacht hat, statt einem Dario Argento-Film mit Genrefilm-Anstrich. Ich habe ungeheure Lust, mir all seine Filme wieder einmal anzusehen, sie neu zu ertasten, mit meinen neuen Augen, die seit dem letzten Mal soviel mehr vom Kino gesehen haben.
09.09.2012
Orgasmo esotico
(Joe D’Amato, Mario Siciliano, Italien 1982) – 8/10 (22), VHS*
Gespenster
(Christian Petzold, Deutschland/Frankreich 2005) – 9.5/10 (23), Kino (35mm)
Der Maler und sein Modell / El seductor
(Chano Urueta, Mexiko 1955) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)*
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An dieser Stelle ein unbedingt notwendiger Hinweis auf einen wunderbaren Text zu Dominik Grafs wahrlich nicht fassbarem DER FELSEN, den Lukas Foerster offenbar unmittelbar nach der Sichtung geschrieben hat.
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09.09.2012
Im weissen Rössl
(Willi Forst, BRD 1952) – 9/10 (5), DVD
Ich habe Extraterrestrische gesehen und sie wohnten im weißen Rössl. Die Schrecken einer vollends durchfunktionalisierten Welt, eingesperrt in einem einzigen Film. Und Johannes Heesters schmettert dazu martialisch ein Liedchen. Danach blutet einem alles, Augen, Ohren, Nase, Herz.
The Demoniacs / Les démoniaques
(Jean Rollin, Frankreich/Belgien 1973) – 9/10 (23), DVD
All you need to make a movie are two orphan girls, pirates and the French sea.
„Sind alle seine Filme so langsam?“ (Robert Wagner verzückt nach seinem ersten Rollin)
08.09.2012
Afrikanische Boulevards / Boulevards d’Afrique
(Tam-Sir Doueb, Jean Rouch, Doueb Tam Sir, Senegal/Frankreich 1989) – 9/10 (22), Kino (16mm)
Das Gasthaus zum scharfen Bock / Porno Kneipe
(Jürgen Enz, BRD 1978) – 9/10 (n/a), VHS
Nach diesem Film scheint Sex nicht mehr möglich. Man möchte zurück in den Mutterleib und ihn nie wieder verlassen. Die Trübnis, die Düsternis, das Purgatorium des Jürgen Enz, destilliert auf Küche, Klo und Kneipe. In der Hardcore-Fassung. Die Genitalien sehen aus wie Wunden. Mit Ziehharmonika-Bierzeltmusik.
Libido – Das große Lexikon der Lust / Le dieci meraviglie dell’amore
(Sergio Bergonzelli, Werner Hauff, Italien/BRD 1969) – 9/10 (23), VHS*
07.09.2012
Drive!
(Jack Deveau, USA 1974) – 9/10 (22), VHS
05.09.2012
Die Sieger [2]
(Dominik Graf, Deutschland 1994) – 10/10 (24), Kino (35mm)
„Dabei ist heute so ein schöner Tag…“
Man möchte soviel über diesen wuchtigen Film schreiben, und könnte ihn doch kaum auf Worte herunterbrechen. Es ist eine wesentliche Qualität von Grafs Filmen, das man sie selbst mit vergleichsweise geringem zeitlichen Abstand (ich sah DIE SIEGER vor einem Jahr auf DVD) erneut sehen kann, mit dem Gefühl, einen gänzlich unbekannten Film vor Augen zu haben. Dieser Film ist ein Monstrum, das einen mit langen Armen mit in einen Totentanz zieht, der freilich im Deutschland des Jahres 1995 nichts zu bewegen vermochte, der aber nun da ist und für alle Ewigkeit so verstrahlt, dunkel und trotzig, einsam in unserer Filmlandschaft stehenbleiben wird, als eines dieser Monumente, für die man nicht aufhören kann, dankbar zu sein.
04.09.2012
Das zweite Gesicht [3]
(Dominik Graf, BRD 1982) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Auch beim dritten Mal hatte ich mich mit diesem (Lieblings-)Film meine Schwierigkeiten. Immer noch ist der gothische Auftakt ein Etikettenschwindel und ein falsches Versprechen, schwankend generisch und doch ehrlich. Immer noch fragt man sich nach so manchem brillanten Moment, der fünf nicht immer brillante Minuten überstrahlt, wie sie angesichts dieses Moments überhaupt möglich sein können, diese fünf nicht immer brillanten Minuten. Es wird zuviel und zu spröde geredet, in dieser seltsam verqueren, bisweilen sogar großartigen, aber oft enervierenden New Hollywood-Modulation, es gibt immer noch diese etwas unnötige, penible erzählerische Klammer um den Vermieter des „Geisterhauses“.
Aber da ist dieses Mysterium, das ich nun zu fassen bekommen habe – so glaube ich zumindest. Warum das Girl in diesem Film so auf den Boy reagiert, als er sie mit dieser etwas schläfrigen Dringlichkeit anmacht. „Manche sagen von mir, ich sei ein Feigling und ich glaub, das stimmt, denn ich traue mich nicht, dich zu fragen, ob wir uns irgendwie kennenlernen könnten.“ An dem Tisch in diesem Restaurant sitzen zwei, die sich auf rein gar nichts verlassen können. Das ist nicht so wie etwa bei Eckhart Schmidt, an den man bisweilen denkt und der schon damals oft ein bischen Fatzke und Altherrenromantiker war, bei aller Liebe. Liebe. Liebe war das, worauf man sich bei Schmidt dann doch irgendwie, in welcher vom Selbst entäußerten Ausprägung bisweilen auch immer, verlassen konnte. Hier nicht. Der Blick auf das „zweite Gesicht“ – viele zweite Gesichter, genauer gesagt – ist ein Sprung in ein Meer aus Schlingen. Es gibt da eine Eiseskälte und fahle Schwärze in den gleichermaßen zerbrechlichen als auch stählernen „Cinema du look“-Bildern von Grafs ungeliebtem Debüt, die mir in der Vergangenheit nicht bewusst war. Der Film ist mir nun erst recht nicht mehr geheuer.
Dieses anonyme Tageslicht, das durch membranenartige Vorhänge in kantig eingerichtete, aschbraun möblierte und ausgelegte Räume eindringt – es ist wie eine fremde Macht, die daran zweifeln lässt, das dieses „Draußen“, dem die Figuren, der atemberaubende, katzengleiche Thomas Schücke mit seiner understated intensity im Blick und die atemberaubende, anemonengleiche, beinahe schon an ihrem unbewussten Dasein als Ephemere leidende Greta Scacchi (ich versuchte, mir vorzustellen, wie sich der Film verändern würde, spräche sie selbst, in gebrochenem Deutsch), zögerlich immer weiter zu entgleiten scheinen, überhaupt existiert. Vielleicht ist da nur eine strahlende, weiße Leere. Ein milchiger See. Der Wohnraum ist ein einer quadratischen Spirale ähnlich verlaufendes All, in dem diese gegen alle Grenzen der Kraftausschöpfung immer weiter und weitermachenden, laufenden, sich drehenden, so schmerzhaft drehenden Menschen benommen schweben, stets im Begriff, von jenem schneidenden Tageslicht, das den überaus nocturnen, finsteren Film letztlich klar beherrscht, zersetzt oder versteinert zu werden.
Ihre Verunsicherung sitzt tief, selbst vor dem Sex, der uns verborgen bleibt, bereiten sie sich ausdauernd und geduldig, jeder für sich, vor. Als ob sie sich morgens zur Arbeit aufmachen würden. Ihre Gesichter, in zahllosen schwelenden Closeups – ich glaube, Graf hat das so extrem nie wieder betrieben – scheinen stets aufgerieben zwischen der metallischen Nähe der Kamera und dem grellen Frosthauch dieses von der Sonne abtrünnig gewordenen Tageslichts. Nacht, das ist in dieser Hölle der Rituale – und nichts anderes ist es, aus dem die beiden verlorenen Gestalten in das schweigend ruhende, braungraublauschwarze Jugendstil-Fegefeuer des „Geisterhauses“ fliehen – etwas Tröstliches, etwas Gnädiges, das jedoch stets quälend lange auf sich warten lässt. Am Ende hat sie sich wieder ausgebreitet über dieses erstaunlich nordische, felsige, fremde, unbehauene München, das sich eher nach Berlin anfühlt. Sie leckt, soweit als möglich, die Wunden des jungen Mannes, der, nunmehr wirklich wie ein Tier schützend in einer Ecke, im Dunkel, kauert.
Man sehnt sich in diesen letzten Minuten des Films ein wahres Inferno herbei, einen das Genre mit Haut und Haaren fressenden Befreiungsschlag dieses noch etwas gehemmten, übervorsichtigen, aber bereits mit diesem so unbegreiflichen, gierigen Blick gesegneten jungen Regisseurs, dass der Wahn in einem hysterischen Exorzismus oder zumindest einer rasenden Selbstzerstörung, einem Schrei kulminieren möge. Doch so sehr es auch dauert, dass Graf nach der Hälfte des Films nicht noch einmal zu der bedrohlichen Dichte, dem melancholischen Dahintreiben der ersten vierzig bis fünfzig Minuten zurückfindet – dieser Schrei wäre ein Fremdkörper gewesen. Zu erstarrt ist diese in ihrer stillen Unruhe an Argentos TENEBRE, Polanskis LE LOCATAIRE und Zulawskis SZAMANKA erinnernde Mondlandschaft brauner Treppiche, gefließter Decken, strahlender Fenster und dunkler Altbauwohnungen und -treppenhäuser, zu erstarrt, als das ein Schrei die bleierne Schwere dieses eisigen Tageslichts, diese Isolation noch durchdringen könnte. Alles ist unter dieser Glocke, diesem angeblich so alltäglichen Bunker abgeschirmt, nur zwischen Beton und Holz lässt sich noch wählen. So liegt diesem Film letztlich ein subtiler, ein, am Ende des Reflektionstunnels genuin apokalyptischer Terror im Blut, der sich dem Horrorkino versagen muss, der nicht mehr empfunden werden kann, nur noch erspürt. Natürlich ist der Film vielleicht stellenweise wirklich ein wenig [differenzierungsfeindliches Unwort:] langweilig. Aber den eigenen Terror der bisweilen erahnbaren Endlichkeit des Charakters, der gelebten Langeweile, die alles und nichts bedeuten kann, diesen Terror erwischt, fängt, bändigt und aufspießt DAS ZWEITE GESICHT wie nur wenige andere Filme. Man fühlt sich mit dem Gesicht gegen die Stäbe des Käfigs gepresst, in dem sie kriecht, schnauft und lauert, beständig diesen kalten Tageslichthauch absondernd. Man möchte das nicht länger als 10 Minuten, dieses an-die-Stäbe-gepresst-werden. Aber man will es letztlich doch. Fühlen, das man lebt. Durch diese scharfkantige Gletscherspalte geschleift werden und wissen, dass das Tageslicht im Wohnraum einen nicht einfrieren kann.
03.09.2012
Der Müll im Garten Eden
(Fatih Akin, Deutschland 2012) – 6.5/10 (17), Kino (Digital)
02.09.2012
Die Rothaarige
(Alexander Schmidt, Deutschland 2012) – 5/10 (14), HD
Agosto
31.08.2012
Ein besonderer Tag / Una giornata particolare
(Ettore Scola, Italien/Kanada 1977) – 9/10 (23), DVD
Am Ende, als Marcello Mastroianni von den Faschisten aus dem Haus eskortiert wird, schließt Sophia Loren das Fenster, stellt die zerfledderte Ausgabe von „Die drei Musketiere“ die er ihr schenkte – für einen Moment bangt man, sie würde das Buch in den Hof werfen – zurück in die Vitrine, schaltet beflissen die Lichter in der schäbigen Wohnung aus und steigt zu ihrem Mann ins Bett, obwohl all das obsolet geworden ist, in nur diesem einen Tag. Das ist niederschmetternd, aber auch wahr – und nicht negativ. Sie war hilflos. Und aussichtslos verliebt. Vielleicht entspricht das eine dem anderen.
30.08.2012
In Search of the Perfect Man
(John Amero, USA 1980) – 8/10 (21), VHS
(…) IN SEARCH… ist ziemlich deprimierend, aber auch faszinierend – eine Art Trip in die Hölle des Narzissmus. (…) Es geht um einen Mann, der in seinem dunklen Zimmer sitzt und ein esoterisches Buch über Autoerotik liest. Plötzlich bekommt er einen Anruf von einem Fremden, der sagt, er wisse, was der Mann brauche, das er die Lösung habe für sein Problem und das er ihn am nächsten Tag dort und dort träfe. Das ereignet sich dann drei Mal. (…)
(…) Einen tollen Mann gibt es in dem Film aber doch. Er lässt sich von dem Protagonisten nehmen und hat dabei einen Blick drauf, von dem mir die Hose eng geworden ist. Das ist interessant, auch was Neues. Das liebe ich, wenn sowas passiert, während ich diese Filme gucke. (aus einer Skype-Unterhaltung mit Silvia Szymanski)
„Schweinewelt“ / Porco mondo
(Sergio Bergonzelli, Italien/Spanien 1978) – 10/10 (24), VHS***
Uff. Der Rausch dieser PORCO MONDO („Schweinewelt“) toppt, glaube ich, tatsächlich so ziemlich alles, was ich an italienischen reiche-Familien-verfallen-dem-Wahnsinn-und-der-völligen-Vertierung-Filmen gesehen habe. Als hätten sich Cesare Canevari, Ernst Hofbauer und Angelo Pannacciò zum Trio infernal vereint. Das Monstrum schreckt nicht einmal davor zurück, sich im Finale, das man allerdings nur noch ätherisiert und vom Donner gerührt aus den Augenwinkeln wahrnimmt, ohne Rücksicht auf sich selbst für entrückte Momente zum Metafilm aufzuschwingen. Angesichts seiner vorherigen Verausgabungen eine Bagatelle. Ein Film ohne Beispiel. Noch mehr, mehr, mehr bzw. zuviel, zuviel, zuviel in jeder Hinsicht. Zweifelsfrei ein sog. „letzter Film“, der letzte aller reiche-Familien-verfallen-dem-Wahnsinn-und-der-völligen-Vertierung-Filmen. Ich liege bis zum Platzen gesättigt und verklebt mit geschredderten Hosen in den Seilen und träume davon, la più grande follia possibile eines Tages in prächtiger 35mm-Abtastung (auf eine Projektion wage ich nicht zu hoffen) auf DVD zu sehen, mit Untertiteln, die mir jene 30 % übersetzen, über denen mir hier, angesichts blumigster Sprache und hysterisch geschrieener und gelachter Maschinengewehrintonation, die Ohren versagt haben. Heute ist ein Festtag, ein neuer Ultra-Lieblingsfilm – oder: präferierter Wirbelwind – ist gefunden. Schon dafür hätten sich meine drei Monate in Italien gelohnt.
29.08.2012
Das Bekenntnis der Ina Kahr
(Georg Wilhelm Pabst, BRD 1954) – 8.5/10 (21), DVD
Ich würde gerne ausholen und beschreiben, wie disparat und gleichzeitig grazil dieses im Grunde seines Wesens kühle, überlegt erzählte Melodram osziliert zwischen bundesdeutschem Nachkriegsmief, der in dieser besonderen Ausprägung, der die Regie jegliche Assistenz verweigert und der also häßlich, piefig und klein im Raum steht, nahe am Surrealismus blühen, und der inszenatorischen Sensibilität eines Regisseurs, der einem Drehbuch, das mit einigen Modifikationen auch einem Veit Harlan gut zu Gesicht gestanden hätte, ein wenig Fragilität, ein wenig Ambivalenz und ein wenig Würde zu geben sucht – es gelingt ihm, immer wieder und ständig überraschend, dann auch mal nicht (Was für ein Drehbuch aber auch! Eine Strafe, fürwahr.), aber immer dann, wenn es ihm und seiner unaufdringlichen, schlichten Gestaltung und Lyrik einmal nicht gelingt, reckt das Miefmonster seinen karierten, gardinenbewehrten Kopf und stößt delektable Misstöne aus, die ihresgleichen suchen, in dieser luziden Reduktion, dieser nüchternen Betrachtung biederen Treibens, selbst im deutschen Kino jener Tage. Ich bin begeistert und erstaunt. Wo hier Generationen deutscher Filmkritiker und -historiker einen Qualitätsverlust gegenüber dem stummen päbstlichen Frühwerk auszumachen vermeinten, ich möchte es mir nicht ausmalen. Ich würde sonst noch garstig. Hätte G. W. etwa wohl daran getan, diesen Tonfilm der 50iger Jahre so zu drehen, wie eine BÜCHSE DER PANDORA oder eine FREUDLOSE GASSE? Meine werten Herren Kritiker, welch implizite, jedoch nichtsdestotrotz mutwillige Forderungen nach willentlich geborenem Trash sind denn das! Nun, ich würde, wollte gerne ausholen. Aber ich weiß nicht recht, wie. It shows. Wer sehen möchte, wie ein dergestaltiges Suspense-Melodram in scheußlich und abstoßend aussieht, der mache sich die Finger schmutzig an Rolf Hansens rabiatem TEUFEL IN SEIDE (gleichfalls mit Curd Jürgens – er war schlicht eine der großen Ikonen des Miefs.)
„Technik einer Liebe“ / Tecnica di un amore
(Brunello Rondi, Italien 1973) – 9/10 (22), VHS***
Raubkatzen auf einer Insel. Es ist fast wie bei Antonioni, aber ohne Preziosen und viel sadistischer. Die Felsen, die sie zu erschlagen, das Meer, das sie zu verschlucken und die Ruhe, die sie zu verdampfen droht. Eine mondäne Welt von hedonistischer Gleichgültigkeit in der Art Deco-Villa, eine archaische Welt von verschwiegener Gleichgültigkeit rundherum. […] (An dieser Stelle beherrsche ich mich und nehme mir fest vor, einen längeren Text zu schreiben, wie so oft – aber Rondi ist ein Filmemacher, der mir einige Anstrengungen wert sein wird. Selbst innerhalb der italienischen Filmgeschichtsschreibung trotz seiner „respektablen“ und prominenten Anfänge nahezu vergessen oder hinwegmarginalisiert muss man ihn wieder zutage fördern. Man muss.)
28.08.2012
Wanted: Billy the Kid
(Jack Deveau, USA 1976) – 8/10 (21), VHS
„Now, you can see for yourself. As a human being, you are… well, whatever you are. It doesn’t matter. But as an object… oh man! You are the great American jerk-off fantasy! And I’m going to use your image as a totem, a ticket to some secret places in my head. It’s something you could never equal in reality. It’s much better. It’s so much better.“
27.08.2012
Ådalen ’31
(Bo Widerberg, Schweden 1969) – 9/10 (23), DVD [falsches Bildformat]
Mit Wasser in einer Schnapsflasche durch ein Fischernetz gelockt. Stechmücken, die über den Wiesen fliegen, während ich sie vor meinem Monitor in der Luft zu zerklatschen suche. Sonntagsessen. Jungen, die die Körper der Mädchen erforschen. So klein und schon von einem Flugzeug zerquetscht. Renoir. Re-noir. Die Masse ist nicht anonym, sie ist eine Persönlichkeit. Blicke, Blicke, Blicke. Der Widerbergsche Closeup: kaum zu ertragen. Ihm, der wirklich sieht, wird Wahrheit zuteil werden. Eine wahrhaft empathische Kamera ist teilnahmslos. Schweden, das wahre Abendland. Jazz im Blechorchester. Spiegelscherben gegen Uniformen. Die Seele fließt davon im Blut, das durch die Laken sickert. Kirschblüten und Gewehre. Abendsonne. Das Pfeifen der Fabrikventile, das sich in die Dämmerung über dem Tal ergießt. ELVIRA MADIGAN (1967) wird am Ende des Films von ihrem Gebliebten erschossen, in dem Moment, in dem sie einen Schmetterling fängt. ADALEN ’31 verfällt am Ende des Films in ewigen Schlaf der sich im Inneren ewig fortsetzenden Verwundung: ein kleines Mädchen versucht, Seifenblasen zu fangen. Die Kinder entdecken in ihren Zimmern den Sex, die Alten sterben auf der Straße.
Left-Handed
(Jack Deveau, USA 1972) – 10/10 (24), VHS
Hochaus, Park, Apartement, Wald, Flußufer, Garage, Klappe, Feld, Straßen, Hügel. Die Orte sind gleich, greifen in ihrer individuellen Zerklüftung geradezu apokalyptisch ineinander, ihnen allen ist die Melancholie eines auf-sich-selbst-geworfen-seins zu eigen… (Auszug aus einem kommendenden Langtext)
The Prey / La preda
(Domenico Paolella, Italien/Kolumbien 1974) – 9/10 (22), DVD***
„Plantagenarbeiterinnen rächen die Vergewaltigung eines Mädchens durch den reichen weißen Mann am Rande des Films LA PREDA, einem bemerkenswert gefassten, dezent melodramatischen, aber in der romantischen Disposition durchaus einem traurigen, langsamen Western gleichenden Inselfilm des vormaligen Sandalenfilm- und Italowestern-Regisseurs Domenico Paolella. Das ist schon so eine Sache mit diesen Inselfilmen der 70iger und frühen 80iger. Man müsste sie eigentlich einmal einer eingehenden, eigenen Betrachtung unterziehen, angesichts der großen Bandbreite und der verschiedenen, teilweise überraschenden Nuancen, die sie als Subgenre bergen. (…)“ (Auszug aus einem Kommentar, den ich demnächst vielleicht an anderer Stelle veröffentliche)
26.08.2012
Der sechste Mann / Tous peuvent me tuer
(Henri Decoin, Frankreich/Italien 1957) – 8/10 (20), DVD
25.08.2012
Cristiana monaca indemoniata
(Sergio Bergonzelli, Italien 1972) – 9/10 (22), VHS*** [falsches Bildformat]
„Willst du dich wirklich im Kloster einschließen? Der Frühling wird dein Blut nicht zugrunde richten! Der Frühling wird dein Blut nicht zugrunde richten! Eros! Eros! Eros! Er bringt das Blut zum Kochen! Zum Kochen! Zum Kochen! Es lebe die Liebe! Liebe! Liebe!“
So ruft der nackte Versucher, der lüsterne Maler, der als Jesus vom Kreuz steigt, im Traum einer Nonne, die keine sein kann, und doch eine sein zu müssen glaubt, des nachts im Kloster. Ein völlig verrückter Film, der sich nichts zuordnen lässt und seltsam parallel zum etwas abseits vom einschlägigen italienischen Filmgeschehen seiner Zeit passiert zu sein scheint, zwischen grobem Unfug in Gestalt von Beinahe-Exploitation-Camp, vollblütigem Melodram voller Pathos und inbrünstigen Selbstzerstörungsparolen, pulsierender Bewegung, immer wieder großer, kathartischer Andacht des atmosphärischen Moments, leidenschaftlicher Zu- und Abwendung… und komischer Hysterie changiert, auch bizarre Dialoge, die ein wenig danach klingen, als hätte der Film es inniglich bedauert, das die Sprache dem Gezeigten nicht hinterherkommen kann. Es ist, zu allem Überfluss, auch noch ein großer Ernst in diesem dezidiert fatalistischen, und dann doch auch die Grenze zur Burleske oft kratzenden Malstrom, der mit soviel chaotischem Temperament und beseelter Hingabe kokett um das schwarze Loch namens Existenz herumtanzt. Am Ende steht der Tod, natürlich. Eines Gottesstimme sagt, mit großer Empathie, sie sei nicht für das Höhere geboren worden, sondern für die Liebe. Es ist herzzerreißend und (schein?)moralistisch zugleich. Man sinniert kopfschüttelnd zwischen Film und Filmgeschehen hin und her. Das klingt wohl frenetischer, als es tatsächlich wirkt, im Moment, in dem diese Wellen über einen hinwegrollen. Zu einem Gesamtbild kann ich all das aber schon jetzt nicht mehr zusammenfügen. Heterogenes Kino, wie ich es liebe, rätselhaft. Sergio Bergonzelli muss einer der großen Exzentriker des italienischen B-Kinos gewesen sein, ich habe so etwas noch nicht gesehen. Mehr! (An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an Christian Keßler, dessen Bergonzelli-Artikel in einer Splatting Image-Ausgabe von 2003 mir seit drei Jahren nicht mehr aus dem Kopf wollte.)
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„A prolific share of boobies on display, as the unearthly Cristaldi wears mostly open shirts and bra-less tops, even when walking around the movie’s obviously dangerous locations. One gets the sense that director Domenico Paolella merely made the woman parade around some of the seediest fish markets and loitering holes in Brazil, allowing the mostly male, leering background „extras“ to harass at will.“
– IMDB-Kommentar zu LA PREDA (Domenico Paolella, 1974)
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23.08.2012
Die Rache einer Frau / La vengeance d’une femme
(Jacques Doillon, Frankreich 1990) – 7/10 (19), Kino (35mm)
22.08.2012
Der kleine Gangster / Le petit criminel
(Jacques Doillon, Frankreich 1990) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
21.08.2012
Shit Year
(Cam Archer, USA 2010) – 8/10 (20), Kino (Digital)
15.08.2012
17 Mädchen / 17 filles
(Delphine Coulin, Muriel Coulin, Frankeich 2011) – 9/10 (22), Kino (Digital)
Kino, das trotz Themen keine Knöpfe drückt, sondern es vorzieht, zu skizzieren. Zum Aufatmen. Außerdem ein weiterer HK-Liebling des laufenden Kinojahres. Die gelassenen Einstellungen der wartenden oder sich langweilenden Mädchen offenbaren empathische Trunst in Reinkultur und ein aufgrund der minderjährigen Schwangerschaftswelle einberufener Elternabend lässt die seligen Empörungstableaus eines Ernst Hofbauer im nonchalanten Autorenfilm-Gewand wiedererstehen.
14.08.2012
The Guard
(John Michael McDonagh, Irland 2011) – 2/10 (3), Kino (35mm)*
Und nach ZIEMLICH BESTE FREUNDE gleich noch einen DER Formel-Filme (und ergo „Publikumsfilme“) 2012. Wie man sich von so etwas nicht übertölpelt, für dumm verkauft, beschissen, beleidigt, enerviert und zu Tode gelangweilt fühlen kann, ich werde wohl nie mehr in der Lage sein, das zu begreifen.
13.08.2012
Schulmädchen-Report – Was Eltern nicht für möglich halten [4]
(Ernst Hofbauer, BRD 1970) – 9/10 (22), Kino (35mm)
„Du bist lieb.“ – „Du bist lieb.“
„Das sind zwei ganz steile Jungs, die warten nicht lange!“
„Der hätte mich sowas von sich aus nie gefragt. Ich hab mich gefühlt wie ein richtiger Sex-Brocken.“
„Dann haben es die Männer ja viel einfacher, die Beine zusammenzuhalten.“ – „Ja, das haben sie.“
„Ich finde das sehr nachdenkenswert!“
Der Kommissar: Ein Mädchen meldet sich nicht mehr
(Theodor Grädler, BRD 1969) – 5/10 (14), DVD
Eben noch eine sehr triste Episode von DER KOMMISSAR gesehen. Eine, in der Herbert Reineckers Moral- und Jugendverteufelungs-Gäule richtig mit ihm durchgegangen sind. Erik Ode, in einer „Studentenkneipe“ die zum Knuddeln aussieht (und klingt), in etwa „Anni und Bert feiern ihren Geburtstag“:
„Ja, es ist ein Jammer, dass sich die jungen Leute heutzutage nicht mehr von uns begreifen lassen wollen.“
Es wird unaufhörlich von „Marichuana“ (man versucht, es ganz exotisch und korrekt spanisch auszusprechen) gefaselt, man redet von „Rauschgiftsüchtigen“, von „Rrreefern“ und die Kiffer werden dargestellt wie Fixer, die mit irrem Blick nach „Stoff“ suchen. Unfassbar. Wenn es nicht gar so trüb wäre (eindeutig eine der schwächsten Episoden, die ich kenne, bzw. eine der wenigen, die mich bisher wirklich enttäuscht haben), hätte das fast ein deutscher REEFER MADNESS sein können.
Shocker
(Wes Craven, USA 1989) – 7/10 (18), DVD
Ein Film, der auch das Hollywood-Debüt von Joe D’Amato hätte sein können. Das ist natürlich als Kompliment zu verstehen. Eine Prävision von MY SOUL TO TAKE, keine Frage. Etwas verunglückt, aber auf die angenehme, das müde Auge umschmeichelnde Weise.
12.08.2012
Verführung auf der Schulbank 2000 – The MPG-MP3 Cluster Mashup Cut
(Jürgen Enz, Uwwwe Utorrento, BRD 1979/200?) – 9.5/10 (n/a), VHS/MPEG
Bin ich denn so kaputt, dröhnt mir so der Schädel, ist mir so flau der Magen und sind mir so rot die Augen nur, weil ich kaum 6 Stunden geschlafen habe und im Lauf der letzten 24 Stunden nur Möhren gegessen habe, oder weil wir an einem sonnigen Sonntag Morgen um 5 Uhr eine Blitz-Tagung des Hofbauer-Kommandos mit einem überaus unhygienisch, furchteinflößend finster aussehendem Rip von Jürgen Enz‘ VERFÜHRUNG AUF DER SCHULBANK beschlossen haben, dessen matschig-grüne VHS-MPEG-Pixelpampe regelmäßig vor Angst zum Standbild erfror, grüne Asche regnen ließ und über die sich, unglaublicher als alles andere, auf der spektakulär zerstörten Tonspur, elektronisch verzerrte Kuckucksuhrenrufe und 80iger-Popsongs sowie ein immer wiederkehrendes, scheinbar bei Erregung (= Sexsimulationen im Film, erregender lässt sich das bei Enz nicht formulieren) stärker ausschlagendes klackernd-ratterndes Geräusch, das bisweilen auch für Zucht und Ordnung zu sorgen schien, wenn das unanständige Treiben die Bahnen des Höflichen zu verlassen schien. Ob sich hier ein Mensch als digitaler Künstler betätigt hat oder sich eigentlich schon im Papierkorb entsorgte Dateien mit einem neuen Download überlagert und diabolisch mit perversen Soundsamples aus anderen Ordnern vermischt und schließlich über dieser bastardischen Kreuzung, mitten im Enzianischen Purgatorium, kollabiert sind, man wird es vermutlich nie erfahren. Wie katalogisiert man das? „Directed by the internet“? In jedem Fall ein avantgardistisches Enhancement der „Jurgen Enz experience“. Furiose Metamorphosen des Trüben, steife ekstatische Verformungen der Tristesse! Ein Erlebnis, das so schnell nicht wiederkehren wird! Die Akte Enz, sie wird weiter anschwellen und pittoresk vermodern.
L.S.D. / Kisss….
(Jean Levitte, Frankreich 1971) – 9/10 (22), VHS
Ein unerklärlicher, difuser und amüsierter Film, in dem alles aus- und wegzulaufen scheint, unberechenbar bisweilen jedoch auch in Momenten zittriger Ruhe verweilend, dann schluchzend, gegen und für Liebe betend, bitte Lieber Gott, mach, dass mich Johnny nie wieder küsst, mal bunt, mal düster, mit armen, keuschen Mädchen, die Baskenmützen und karierte Schuluniformen tragen, und lüsternen Bierbauch-Biedermännern, aber auch Semi-Hippies, die es für eine Konservendose machen, dealenden Priestern und vielen Menschen, deren Herkunft man sich nicht einmal in mythisch aufgeladenen Gedankengespinsten ausmalen könnte, und Verfolgungsjagden in verschiedenen An- und Entkleidungsstadien, die wie eine Lawine, wie eine Kettenreaktion, immer mehr Menschen aus Stall, Liebesspiel und Lustwandelei mitzureißen scheinen, grazil und poetisch entfaltet sich ein Gemenge, das mit dem Begriff Albernheit sowenig anfangen kann, dass es gegen sie nicht einmal ankämpfen muss, surrealer Slapstick, aber dann auch wieder nicht, Slapstick ist dann irgendwie doch noch etwas anderes, kategorisch Greifbareres. Schwer zu sagen, ist es auch melancholisch? Ich glaube schon, aber das Seelenleben dieses Films würde wohl in keinem Psychologen einen Meister finden, er springt und hüpft und tanzt und wälzt und tippelt und guckt, ist mal auteuristischer Offenbarungseid und dann plötzlich wieder Bahnhofskino, von einem geheimnisvollen Regisseur und mit geheimnisvollen Darstellern, man weiß nichts über diese schmucke Miniatur, die so gelöst plantscht und juchzt in ihren Möglichkeiten, manchmal aber auch einfach genießerisch träge treibt und geschehen lässt, ein seltener Luxus, und immer wieder das schluchzende, süße Mädchen in Wald, Stadt und Flur, dass sich so schwer tut, von der inniglich geliebten Keuschheit zu lassen und die kleinen, trotzigen Lämmchenhörner-Zöpfchen abzuschneiden. Ob das Hofbauer-Kommando mit der bisherigen, weitgehenden Vernachlässigung des französischen Kinos der 70iger, eine grobe Fahrlässigkeit begangen hat? Verführerischer Eigensinn wie dieser inspiriert.
Teufelscamp der verlorenen Frauen
(Hubert Frank, Spanien/BRD/Österreich 1978) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Ich habe mich lange gegen diesen Film gesträubt. Dem Titel habe ich geglaubt. Frauenknastfilme wecken inzwischen kaum noch meine Neugierde. Kaum je kommen sie tatsächlich über mechnisches Abspulen der immergleichen Standardsituationen hinaus, kaum je suhlen sie sich in interessantem Dreck, zu oft waren sie mir in der Vergangenheit eine Kompilation der uninteressanteren, bzw. sogar der uninteressantesten Aspekte, die man mit dem im Grunde leidigen Begriff „Exploitation“ verbindet. Nicht einmal meinem alten und beständigen Fetisch für deftigen Zickenkrieg und herbe Catfights sind diese Filme bisher ausreichend entgegengekommen, nicht einmal als die Dienstleister, als die sie sich oft, zu oft, verstanden, konnten sie sich dauerhaft bewähren. Ich sagte nach dem TEUFELSCAMP DER VERLORENEN FRAUEN allerdings zu Andreas, man solle sich von Filmen keine Dienstleistungen fordern oder es ihnen vorwerfen, wenn sie nicht so seien, wie man sie habenm wolle. Das Thema „Frauenknastfilme und ich“ ist also noch offen. Aber all das tut nichts zur Sache, denn: wie unglücklich der Etikettenschwindel, den sein Titel verbricht, diesem meinem bisher liebsten Hubert Frank-Film mitgespielt hat. Kein Frauenknast in Sicht, keine lesbischen Aufseherinnen, keine Catfights, noch nicht einmal richtige Misshandlungen, nur einige Fluchtversuche und Verzweiflung. Eine zerworfene, durchfurchte, dunkel schimmernde Insel im halbtropischen Nirgendwo, umbrandet von der See, Versteck, aber eigentlich viel mehr Zufluchtsort von vier Entführern, zwei Frauen, zwei Männern, und einem weiblichen Robinson Crusoe, den sie gefangen nehmen. Der gemeinste, virilste und erotischste unter ihnen – an der Stelle der Gestrandeten hätte ich mich ihm nicht widersetzt – nennt sie den ganzen Film über nur gelassen „Geilchen“. Statt den bequemen Weg einzuschlagen und eine Sauerei zu veranstalten, ist Hubert Frank – zum ersten Mal, das habe ich bei ihm vorher noch nicht gesehen – kantig und evoziert auf diesen schwarzen, felsigen Stränden, in den Mondlandschaften dieser Hügel und in diesem kühlen Grün des Waldes eine an Jess Franco gemahnende Quasi-Variation von Robert Hosseins existenzialistischem Entführungsdrama POINT DE CHUTE (1970), vermutlich einem meiner Lieblingsfilme schlechthin. Mit selbstverständlicher (im Folgenden werde ich vielleicht mehrmals „selbstverständlich“ schreiben und mir ein vorangestelltes „scheinbar“ – besser wäre das englische „seemingly“ – sparen. Relativität muss nicht konkret sein), schweigend hingenommener Indifferenz zwischen ängstlich brennender, minimalistischer Utopie des Moments und perseptiver Resignation im Angesicht des großen Ganzen hin- und herrutschend, scheint jeder Moment möglich zu sein, um sich für Sekunden, Minuten oder Stunden ein wenig zu verlieren. Oder zu sterben, wie die Hunde. Nein, vielleicht nicht wie die Hunde. Wie Welpen. Den Frauen hängen die blonden Haare zerzaust herab, wie Ranken einer Quecke, die begonnen hat, zu verwelken, nachdem sie lange nach Wasser geschrieen hat. Sie wirken dadurch noch jünger, sich noch mehr dieser Zeit bewusst, die dort nur ihnen gehört, der Schönheit, die darin liegen kann, das Weiblichkeit auch bedeutungslos und selbstverständlich sein kann. Vielleicht liebt man sich nicht nur zwischen den großen Blättern von Bananenpalmen, die das Licht in unordentliche Kaleidoskope verwandeln, vielleicht prügelt man sich da als Mann auch einmal vor dem, was immer noch Haus und ziviles Zentrum sein muss, lasziv umtanzt von einem der Mädchen – man mag nicht aufhören, eine solche Situation ernstzunehmen, auch wenn dieses enttäusche Mädchen in verwirrtem Schalk tanzt. Der Geruch von Waldboden, das Gefühl, auf Backsteinen zu sitzen, das Kratzen von Baumrinde auf der Haut, die erregende Kälte, wenn man von der Sonne in den Schatten tritt, Meerwasser in der Nase, das Chaos der Wahrnehmung, dem man sich nur ausliefern kann und möchte. Die Dialoge sind knapp, gebündelt, naturalistisch, nicht aber papierkantig, man muss die Psychologie dahinter selber schreiben, sich selbst ebenso sehr vertrauen wie dem Film, und wird dabei nicht von schmierigen Sprüchen abgelenkt. Die können nämlich auch stören, mitunter. Die nahezu lakonische, ohne aufgesetzte dramaturgische, verräterische Determination vollzogene Dekonstruktion der Figuren – oder vielleicht des Glaubens, den man in sie hatte – sollte vielleicht treffen wie ein Schlag, berührt aber nur. Die sporadische, aber doch auch beinahe omnipräsente Konzentration und Luzidität des Films irritiert (ich musste auch an Giuseppe Vari denken), man wähnt sich stellenweise beinahe – würde dieser Film nicht so wundersam, sich manchmal auch augenblicklich, den Moment verschiebend, selbst vergessend, nur aus Situationen, statt aus Szenen, bestehen – in einem Film von Huston oder Kazan, ein ganz klein wenig Western ist auch dabei, aber ohne klar definierte Geschlechterrollen, die hier auch wie etwas Fremdes wirken, etwas, das man aus der Welt mit auf diese Insel gebracht und halb, aber freilich nicht ganz vergessen konnte. Im krassen Widerspruch zur sonstigen Hochglanz-Schangelerotik von Frank (die ich schätze und liebe, die es mir jedoch immer an irgendetwas hat fehlen lassen, tief in mir drin) sind hier alle Körper wichtig, auch die der Männer, die zeigen, dass auch sie ganz selbstverständlich nichts anhaben können. Die Kamera bekräftigt sie. Die Selbstverständlichkeit, mit der überhaupt soviele Dinge hier geschehen, die zu einfach, zu wesentlich sind, um selbstverständlich zu sein. Der Film weist nicht auf sich, oder das, was er tut, hin. Die Organe des Films sind Haut, Ohren und Augen, in ihrer Kommunikation mit dem Licht und der Zeit. Wie auch immer. Ich fühle mich wieder einmal wie Don Quijote im Kampf gegen die Windmühlen, beim Versuch, das Besondere, das Tiefe, das Ehrliche zu fassen, dass mich dieser Film hat spüren und sehen lassen. Man lauert. Da ist ein traurig-inniger Abgrund, in den keine bundesdeutschen Sexploitation-Sprossen mehr eingemeißelt sind, in dem diese Sicherheit nicht besteht. Man fällt und guckt sich dabei nur verwundert um. Hubert Frank ist vielleicht kein Besessener und Getriebener wie Jess Franco, an dessen Sonne, Grün und Entrücktheit der Film manchmal denken lässt, aber er hatte irgendetwas vor mit diesem Film. Ich danke ihm dafür. Gäbe es diesen Film nicht, würde dem deutschen Kino etwas Entscheidendes, Wichtiges und Magisches fehlen. Ich bin immer noch verwirrt und mitgenommen. Eines meiner schönsten Kinoerlebnisse des Jahres, bisher.
11.08.2012
Macho Man [7]
(Alexander Titus Benda, BRD 1984) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Immer wieder sieht man ihn neu, stellt erstaunt fest, was alles zwischen und in den sauber aufgestellten Profi-Bildern von Klaus Werner schlummert. Das zum festlichen Anlass, bzw. der diesjährigen Aufführung in Nürnberg vollzählig versammelte Hofbauer-Kommando registrierte dieses Mal, gut ein Jahr, nachdem es das Kino des Jürgen Enz entdeckte, und sieben Monate nach seiner Begegnung mit dem „Verzichter“ in BETTGEKNISTER, SEXGEFLÜSTER (1981), mit großer Freude die mannigfaltigen Ausprägungen von Trunst und Trübnis, die insbesondere von zahlreichen Nebendarstellern und Statisten mit naturalistischer Minutiösität im Bild fixiert werden. Immer wieder – und immer mehr – die pure Ekstase: Bea Fiedler. Ich wünsche mir nun auch schon sehr lange den Soundtrack von Michael Landau auf CD, das beeindruckende Titelthema ist längst Teil meines Lebens-Soundtracks geworden, über die Jahre hinweg, wie ein roter Faden. Ein Film an dem hängt, den man liebt, den man in seine Arme schließt und der so reich ist, dass man ihn unmöglich in- und auswendig kennenlernen kann, ein Geliebter, zu dem man immer wieder zurückkehren muss. Ich wollte ihn dieses Jahr nicht sehen, dachte, ich hätte das nach sechs Sichtungen in sechs Jahren nicht nötig. Im letzten Moment überkam mich die Lust; es hatte sein sollen.
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Mir scheint bisweilen, dass ich ein besonderes Talent habe, beim vorkostenden Hineinstechen in einen Film prompt die besonders pikanten Momente zu erwischen. Es passiert mir ständig. Im Fall von Armando Bos INSACIABLE (1976), einem von augenscheinlich vielen Ultra-Melodramen, in denen seine wundervolle, anbetungswürdige, bezaubernde, monströse, überüppige und alles niederbrennende, niederverlangende, niederverführende, niederleidende und niederspielende Frau Isabel Sarli eine von tragisches Geschick heraufbeschwörender Nymphomanie gepeinigte Furie spielt, landete ich im Gewächshaus. Dort spricht man sich aus. Bo, der wieder einmal ihr Love Interest Nr. 1 spielt, sagt zu ihr, er akzeptiere keine Entschuldigung, betröge sie ihn mit einem anderen Mann. „Ich werde dir immer treu sein.“, entgegnet sie mit keuscher Sachlichkeit, was der Film schnittlings bekräftigt, indem er Aufnahmen von ihr, wie sie, mit 41 immer noch – zurecht bei soviel ewig junger Fülle – im schamlos kurzen Sommerkleid, von ihrer schwarzen Mähne umweht, auf einer Schaukel im Garten schwingend, der Kamera ihre von Schwung zu Schwung mal gespreizten, mal aufreizend verschränkten Schenkel entgegenfliegen lässt. Unfassbar, unfassbar, unfassbar! Armando Bo und Isabel Sarli waren wahrlich die Größten, die Besten, die Härtesten, die Unverfrorensten und die Liebenswertesten. Wenn nicht eines Tages doch noch einmal eine monumentale DVD-/Blu-ray-Kollektion ihres Gesamtwerkes, mit englischen Untertiteln und einem mindestens vierstündigen Sarli-Interview erscheint (bzw. gerne auch zwei – eines davon dann bitte galant von John Waters geführt, der bekanntlich ein großer Fan ist), hat die Filmwelt an diesem genialen Paar einen unverzeihlichen Frevel begangen. INSACIABLE werde ich nun sehen und einigermaßen verstehen können, mir liegt eine italienisch synchronisierte Fassung vor. Als Deutscher einen argentinischen Film auf Italienisch zu sehen, das mag wohl nach Eulenspiegelei klingen, aber das Verlangen nach mehr von Isabel und Armando (LUJURIA TROPICAL und LA TENTACIÓN DESNUDA sorgten letztes Jahr im Nürnberger Kommkino bei Andreas und mir für Tränen des Glücks) ist schlicht zu groß, eine Urgewalt, die diesen Filmen kongenial entgegenstrebt, entgegenschwimmt, entgegenfiebert. Hach.
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10.08.2012
Ziemlich beste Freunde / Intouchables
(Olivier Nakache, Eric Toledano, Frankreich 2011) – 1/10 (2), Kino (35mm)*
Kino, das die Knöpfe drückt. Und dabei das Blaue vom Himmel herunterlügt. Berechnend, schematisch, mechanisch, bieder, humorlos, schleimig, stereotyp, zynisch. Zum Kotzen.
Stirb langsam / Die Hard
(John McTiernan, USA 1988) – 9/10 (22), DVD
Kino, das Percussion spielt. Und dabei schwitzt. Blinkend, gleitend, taumelnd, fallend, erotisierend, beißend, pfeifend, duftend, staubend, flirtend. Zum Staunen.
09.08.2012
Emanuelle in America
(Joe D’Amato, Italien 1976) – 9/10 (23), DVD***
Kino, das in der Sonne schaukelt. Und dabei vor sich hin murmelt. Schwingend, hell, naiv, inspiriert, plump, konkret, anmutig, melodisch, verkommen, ambivalent. Zum Freuen.
08.08.2012
Challenge to the Devil / Katarsis – Sfida al diavolo
(Giuseppe Veggezzi, Italien 1963) – 9/10 (22), VHS
Ein Kommentar sollte sein, als Absicherung, aber ich möchte mir gleich Großes vornehmen: unter einem Langtext für dieses wabernde und gedämpft seufzende, krude hingekrakelte Fragezeichen in Filmform geht eigentlich nichts. Bei aller ewigen und aufrichtigen Liebe zur nocturnen Melodramatik von Riccardo Freda wie auch zur gothischen Romantik von Antonio Margheriti und Mario Bava – es ist doch auch sehr erfrischend, herauszufinden, dass es italienischen Gothic Horror in den 60igern nicht nur in expressionistisch-meisterhaft oder pulpig-märchenhaft, sondern auch in schief-entgleist, außerirdisch-zugedröhnt, latent wahnsinnig, trüb & trist sowie, auf vielen eigentümlichen Umwegen, geradezu modern, gegeben hat. Da musste freilich ein traditionsbewusstes Alibi ins Bild, um die eigensinnige, in ihrem Oszilieren Enzianischer Statik nach vorne und Menschen-Ragout nach hinten bisweilen nahezu hypnotische Cine-Gammelei zu kaschieren: Christopher Lee als tragisches Gespenst und Teufel, ist beinahe die einzige Brücke, die diesen ausfälligen, zotteligen und kichernd im Kreis tanzenden, die meiste Zeit aber mit gesenktem Kopf watschelnden Filmgnom mit all dem verbindet, was zu dieser Zeit in Italien sonst in Studioschlössern und -grabkammern geschah. Trotz seiner Besetzung scheint es der Film nie ins Ausland geschafft zu haben, kein Wunder. Zuschauer, deren Geist sich für gewöhnlich über Dialoge, Figurenpsychologie, Handlungselemente oder atmosphärische Kontinuität in einen Film Einlass verschafft, dürften hier gequält kreischend zu Staub zerfallen, sollte sie nicht bereits eine großartig verschämte, aufregend biedere und ergötzlich triste Tanz- und Gesangsnummer (eine falsche Fährte, die der Film zu Beginn legt, damit man ihm, der es faustdick hinter den langen Ohren hat, nicht so schnell auf die Schliche kommt) mit einem feschen Hit für die Musikbox namens „Ti hanno visto!“ („Sie haben dich gesehen!“) im ersten Filmdrittel vertrieben haben. Im Zweifelsfall sind sie wegen dem lustigen Dicken geblieben. Dem besten aller möglichen lustigen Dicken in einem Gothic Horror-Film.
07.08.2012
Minority Report
(Steven Spielberg, USA 2002) – 8.5/10 (22), DVD
01.08.2012
Queens of Evil / Le Regine
(Tonino Cervi, Italien/Frankreich 1970) – 9/10 (23), DVD***
Straßen. Feldwege. Abendsonne. Ballade. Elegie. Wald. Scheinwerferlicht. Lange Haare. Perücken. Torte. Schäkern. Motorrad. Art Deco. Ray Lovelock. Hexen. 35mm. Hängematte. Vieni! Silvia Monti. Hippie. Ritual. Haydeé Politoff. Alchemie. Ida Galli. Frauen. Jungen. Pop. 1:1,85. Sergio D’Offizi. Staub. Magie. Schuppen. Opfer. Kissen. Augen. Vieni! Angelo Francesco Lavagnino. Dämonie. Sand. Rolls Royce. Lächeln. Blätter. Klassik. Feuer. Schangel. Hemden. Kleider. Vieni! Lachen. Fische. Licht. Schatten. Träume. Ironie. Sinn. Unsinn. Märchen. Agitprop. Kommerz. Va! Gewitter. Heimatlosigkeit. Sex. Abendsonne. Straßenränder. Nacht. Melodie. Melodie. Melodie.
Unternehmen Capricorn / Capricorn One
(Peter Hyams, USA 1978) – 9/10 (22), DVD*
Peter Hyams macht es einem schwer, über die Wunder zu schreiben, die sich in kleinen Momenten am Rande bei ihm ereignen, weil die ungeheure Intimität, die er durch diese brillante, ihm eigene, zerbrechliche Distanz schafft, sich nie völlig durchsetzen kann gegen die kunstvollen Bewegungen seiner Set Pieces. Der Showdown von CAPRICORN ONE, ein seltsam schwingendes, flirrendes, summendes Ballett von Hubschrauber und Segelflieger, die ganz große, ewige Grazie, vollkommene Schönheit. Wenn das nicht mindestens genauso brillant ist wie die überzitierte Flugzeug-Szene in NORTH BY NORTHWEST, dann weiß ich auch nicht.
Luglio
29.07.2012
Night After Night / Tapage Nocturne
(Catherine Breillat, Frankreich 1979) – 7.5/10 (19), DVD
Klassischer Fall eines „Frauen und Männer reden“-Films. Von Breillat minimal erträglicher. Minimal.
28.07.2012
Super Hard Love
(Joe D’Amato, Italien 1982) – 5/10 (11), VHS
„Ich habe dann ziemlich plötzlich für eine Weile mit den Pornos aufgehört. Es war nämlich so, dass ich für jeden meiner Pornos bis dahin eine zweimonatige Haftstrafe bekommen hatte, die ich allerdings jedesmal durch Bewährung umgehen konnte. Hätte ich allerdings einen weiteren Porno gemacht, wären das insgesamt 24 Bewährungsmonate gewesen, und damit hätte ich dann ins Gefängnis gemusst“. (Joe D’Amato)
25.07.2012
Le porno killers
(Roberto Mauri, Italien 1980) – 9/10 (21), VHS ***
Fakten setzen sich so leicht in der Welt fest, und seien sie auch noch so banal. Der erste Film, den ich in meinem Leben auf italienisch ohne assistierende Untertitel zu sehen gewagt habe, wird nunmehr für immer dieser gewesen sein. Ein Text, zur Feier dieses freudig-besorgniserregenden Ereignisses, befindet sich in Arbeit.
20. – 23.07.2012
6. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos, unter dem Leitsatz: „Ich laufe gern!“
23.07.2012
Der Sex-Agent
(Günter Hendel, BRD 1978) – 10/10 (n/a), VHS
„Oh Gina, dein Busen ist wie eine schwangere Gewitterwolke, die schwer über der Bettenlandschaft hängt!“
Los Angeles Cop / Night Children
(Norbert Meisel, USA 1990) – 6/10 (17), VHS *
Gefährlicher Sex frühreifer Mädchen
(Alois Brummer, BRD 1972) – 8/10 (21), DVD
„Ich hab seit ’nem halben Jahr keinen Mann mehr gesehen, da setzt ’ne gepflegte Muschel ja Algen an!“
Prostitution heute
(Ernst Hofbauer, BRD 1970) – 9.5/10 (23), VHS
„Nun stellen Sie sich doch nicht so an! Ich hätte Sie für intelligenter gehalten. Ein berühmter deutscher Schriftsteller hat mal gesagt: was soll das für eine Ehre der Frau sein, die einen halben Zoll vom Arsch entfernt ist?“
22.07.2012
Zahltag / Payday
(Daryl Duke, USA 1973) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)
„Do you know how to cook?“
Die Straße nach Salina / Road to Salina
(Georges Lautner, Frankreich 1970) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
„Oh Billy… Es ist also… alles wieder so wie früher…“
Top Model
(Joe D’Amato, Italien 1988) – 9/10 (23), VHS*
„Ich rufe dir ein Taxi.“ – „Nicht nötig. Ich laufe gern.“
Ein langer Ritt nach Eden
(Günter Hendel, BRD 1974) – 10/10 (22), VHS
„Elmer – der Teufel greift schon nach dir!“
„Denken Sie denn nur an sich?!“ – „Ja! Ich find mich nämlich prima!“
Lorna… the Exorcist
(Jess Franco, Frankreich 1974) – 10/10 (24), DVD
21.07.2012
Sex… und noch nicht sechzehn
(Peter Baumgartner, BRD 1968) – 10/10 (24), Kino (35mm)
„Wenn ich meinen Humor nicht hätte, würd‘ ich mich glatt zu Tode lachen!“
The One-Sided Passion / Senza vergogna
(Gianni Siragusa, Italien 1986) – 8/10 (18), VHS*
„Kehre zurück in mich!“
Nackt und heiß auf Mykonos
(Claus Tinney, BRD/Griechenland 1979) – 7.5/10 (20), VHS
Kidnapping – Ein Tag der Gewalt / Operazione Kappa: sparate a vista
(Luigi Petrini, Italien 1977) – 8/10 (22), VHS*
„Hallo! Ich heiß Paolo und verdien‘ mir mit der Bumserei ein bischen Geld.“
20.07.2012
Tränen trocknet der Wind
(Heinz Georg Schier, BRD 1967) – 8/10 (19), Kino (35mm)
„Ich versuche doch nur, Ihnen klar zu machen, dass dieses Mädchen ein Flittchen ist, dass Sie in ihr Verderben reißen wird.“
18.07.2012
Halloween III – Season of the Witch
(Tommy Lee Wallace, USA 1983) – 9/10 (23), DVD
17.07.2012
Casa dell’amore… la polizia interviene
(Renato Polselli, Bruno Vani, Italien 1976) – 8/10 (21), VHS
15.07.2012
Ein Herz spielt falsch
(Rudolf Jugert, BRD 1953) – 9/10 (21), VHS
Fassungslos durchgewalzt von dieser cinemenschlichen Rückkehr ins traute Heimatdeutschland, genoß ich gestern dieses in außerirdisch schiefer Lage Menscheninnereien aufs Adenauerstaubkissen bettende Ultramelodram. Eine Erfahrung. Und eigentlich auch ein faszinierender, ein packender, ein schizophrener Film, all considered. Basierend auf dem überaus erfolgreichen Fortsetzungsroman von HÖRZU-Gründer Eduard Rhein (!), entfaltet sich im Miefbiotop namens Nachkriegsdeutschland zwischen En(z)setzlichen Rechtschaffenheitsermannungen in Curd Jürgens-Manier und irritierender Intimität zwischen den Liebenden im Angesicht des Krebstodes (die unbekannte Bedrohung – es wird da ein italienischer Arzt finanziell unterstützt, um die Forschung voranzutreiben), Ohweh Fischer (der ja schon irgendwie doch so etwas wie Sexappeal hatte, jedenfalls auf der Leinwand von fast allen deutschen Stars seiner Generation am meisten natürliches Triebbewusstsein verströmte) und Ruth Leuwerik, ein radikaler Tearjerker, vor allem aber ein besonders faszinierendes Beispiel für die aufregende und bisweilen beinahe, aber nur beinahe, rührende Schizophrenie des kommerziellen deutschen Kinos der 50iger Jahre, dass auch in seinen besten Momenten nicht wählen konnte und durfte, Erfüllungsgehilfe für Ilse Kubaschwewski und all die anderen selbsterklärten Verfechter des „Geschmacks der kleinen Leute“ oder doch etwas mehr, vielleicht ein nicht ganz gezähmter Koloss mit künstlerischem Eigenleben zu sein. In einem SGE-Artikel über Eduard Rhein schrieb der Autor, ich glaube Ulrich Mannes, Rudolf Jugert habe das Talent gehabt, solch trivialen Stoffen sehr viel Leben einzuhauchen.
14.07.2012
Count Dracula’s Great Love / El gran amore del conde Drácula
(Javier Aguirre, Spanien 1973) – 7.5/10 (20), DVD
Endlich ein mehr als nur genießbarer Vampirtrivialfilm des unermüdlichen Paul Naschy, der so stetig zwischen anmutig naiver Ultrapulpkunst und enervierend ins Wollknäuel erzählter Mottenkistentrübheit oszillierte. Angerichtet mit appetitlichen Nuancen, die mit erstaunlicher, beinahe schon italienischer Grazie den Trash umschiffen, lässt dieses angesichts seiner überaus altmodischen und traditionsbewussten Verpackung erstaunlich von seinen Ahnen entrückte Halbmärchen die verdrießliche Tristesse der NACHT DER VAMPIRE und manch anderes Naschy-Heulers engültig verzeihen. Dracula, nie bulliger, männlicher, widersprüchlicher, verletzlicher – und dann: schöner die Furien nie sich wanden im schwebenden Morgenlicht!
12.07.2012
Web of Deception / Il sorriso del ragno
(Massimo Castellano, Italien 1971) – 8/10 (20), DVD
11.07.2012
Der Alte – Erkältung im Sommer
(Alfred Vohrer, BRD 1978) – 7.5/10 (20), DVD
08.07.2012
Marilyn Monroe – Ich möchte geliebt werden
(Eckhart Schmidt, Deutschland 2010) – 5/10 (14), Kino (Digital)
Cosmopolis
(David Cronenberg, CA/PT/FR/IT 2012) – 8/10 (20), Kino (35mm)
„To me, the thing that you photograph most as a filmmaker is the human face speaking; that is to me the essence of cinema. People call it talking heads and say that it is not cinematic, but to me that’s the essence of cinema. When you have a fantastic face saying fantastic words, what could be better? It’s incredibly exciting.“ – David Cronenberg in einem Interview über A DANGEROUS METHOD
07.07.2012
The Deep Blue Sea
(Terence Davies, GB/USA 2011) – 5/10 (16), Kino (35mm)
Rat Fever / A Febre do Rato
(Cláudio Assis, Brasilien/Niederlande 2011) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Terraferma
(Emanuele Crialese, Italien/Frankreich 2011) – 6/10 (17), Kino (35mm)
06.07.2012
Dem Himmel so fern / Far From Heaven
(Todd Haynes, USA/Frankreich 2002) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Damsels in Distress
(Whit Stillman, USA 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)
Gefährliche Freundin / Something Wild
(Jonathan Demme, USA 1986) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Black’s Game / Svartur á leik
(Óskar Thór Axelsson, Island 2012) – 2/10 (4), Kino (Digital)
05.07.2012
Invasion
(Dito Tsintsadze, Deutschland/Österreich 2012) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Alms For a Blind Horse / Anhey gorhey da daan
(Gurvinder Singh, Indien 2011) – n/a, Kino (35mm)
„Rezeptions-Eintrübung“ (Andreas)
A Simple Life / Tao jie
(Ann Hui, Hongkong 2011) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Dottie Gets Spanked
(Todd Haynes, USA 1993) – 5/10 (14), Kino (Digital)
Superstar: The Karen Carpenter Story
(Todd Haynes, USA 1988) – 7/10 (18), Kino (16mm)
Assassins: A Film Concerning Rimbaud
(Todd Haynes, USA 1985) – 3/10 (7), Kino (16mm)
It Looks Pretty From a Distance / Z daleka widok jest piekny
(Anka Sasnal, Wilhelm Sasnal, Polen 2011) – 9/10 (23), Kino (35mm)
04.07.2012
In einem Jahr mit 13 Monden
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1978) – 10/10 (25), Kino (35mm)
Rabbit Horror 3D / Rabitto horâ 3D
(Takashi Shimizu, Japan/Niederlande 2011) – 6/10 (17), Kino (Digital)
The Rum Diary
(Bruce Robinson, USA 2011) – 7/10 (18), Kino (35mm)
03.07.2012
Southwest / Sudoeste
(Eduardo Nunes, Brasilien/Niederlande 2012) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)
Twixt
(Francis Ford Coppola, USA 2011) – 5/10 (14), Kino (Digital)
Lena
(Christophe Van Rompaey, Belgien/Niederlande 2011) – 6.5/10 (17), Kino (35mm)
Sturmhöhe / Wuthering Heights
(Andrea Arnold, GB 2012) – 9.5/10 (23), Kino (35mm)
02.07.2012
Future Lasts Forever / Gelecek uzun sürer
(Özcan Alper, Türkei/Deutschland/Frankreich 2011) – 5/10 (12), Kino (35mm)
Hail
(Amiel Courtin-Wilson, Australien 2011) – 7/10 (20), Kino (Digital)
Beasts Of The Southern Wild
(Benh Zeitlin, USA 2012) – 3/10 (7), Kino (Digital)
Fear X [3]
(Nicolas Winding Refn, Dänemark/Kanada/GB 2003) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Restless City
(Andrew Dosunmu, USA 2011) – 6/10 (15), Kino (Digital)
Holy Motors
(Leos Carax, Frankreich/Deutschland 2012) – 9/10 (23), Kino (Digital)
01.07.2012
People Mountain People Sea / Ren shan ren hai
(Shangjun Cai, China/Hongkong 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)
The Color Wheel
(Alex Ross Perry, USA 2011) – 9/10 (23), Kino (Digital)
Killer Joe
(William Friedkin, USA 2011) – 8.5/10 (22), Kino (Digital)
Giugnio
30.06.2012
4:44 Last Day on Earth
(Abel Ferrara, USA/Frankreich/Schweiz 2011) – 8/10 (18), Kino (Digital)
Pusher II
(Nicolas Winding Refn, Dänemark/GB 2004) – 8.5/10 (21), Kino (35mm)
Pusher [2]
(Nicolas Winding Refn, Dänemark 1996) – 8/10 (21), Kino (35mm)
From Thursday to Sunday / De jueves a domingo
(Dominga Sotomayor Castillo, Chile/Niederlande 2012) – 7/10 (17), Kino (Digital)
23.06.2012
In meinem Himmel / The Lovely Bones [2]
(Peter Jackson, USA/GB/NZL 2009) – 8.5/10 (23), DVD
Maggio
30.05.2012
When Do the Girls Show up? / Ma quando arrivano le ragazze?
(Pupi Avati, Italien 2005) – 9/10 (22), DVD***
Ein Film, der Schmerz verursacht. Ich habe mich sehr alt gefühlt, während ich ihn gesehen habe.
19.05.2012
In Love With Death / Innamorata della morte
(Roger A. Fratter, Italien 2004) – 6.5/10 (18), DVD***
12.05.2012
The Lost
(Chris Sivertson, USA 2006) – 7/10 (17), DVD
07.05.2012
Polizeiinspektion 1: Chloroform für zwei
(Zbyněk Brynych, BRD 1977) – 9/10 (22), DVD
Bayerischer Rausch + Neil Diamond, in Brynychscher Endlosschleife.
06.05.2012
Derrick: Tandem
(Zbyněk Brynych, BRD 1979) – 7.5/10 (19), DVD
02.05.2012
Der Alte: Sportpalastwalzer
(Zbyněk Brynych, BRD 1980) – 9/10 (22), DVD
01.05.2012
Tatort: Rattennest
(Günter Gräwert, BRD 1972) – 8/10 (22), VHS
Mmmh… seeeeeeedy.
Der Alte: Der Sohn
(Zbyněk Brynych, BRD 1985) – 9.5/10 (24), VHS
Abermals fieser und typischer Musikeinsatz in Zbynek Brynychs „Der Alte“-Folge DER SOHN, die das ist, was man ein finsteres Alterswerk nennen könnte. Von den 20 Ringelmann-Krimis, die ich von Brynych bisher gesehen habe, erinnert dieser am meisten an seine Barrandov-Filme, mit abgeklärten, aber brennenden Spurenelementen seiner manischen deutschen Kinofilme – vor allem ist das allerdings vielleicht der schwärzeste und grausigste dieser 20 Krimis (ein Meisterwerk, wenn ich ehrlich bin), eine infernalische, noirige und unerträglich konzentrierte Nacht, in der Menschen vom Streben nach ferner, unerreichbarer Gerechtigkeit und Eigenbalance in den Wahnsinn getrieben werden und, hungrigen Raubtieren gleich, durch dämmrige Räume und trübe Seitenstraßen schleichen. Kommissar Köster, der „Alte“, hat ohnehin einen Knacks (das macht ihn so angenehm im Vergleich zu Derrick und Harry, die so unbeknackst wirken… sollen. Man spürt immer wieder, das Altnazi Herbert Reinecker seine Finger bei DER ALTE nicht im Spiel hatte), hier haben auch alle anderen einen Knacks. Thomas Schücke, seit Dominik Grafs bezauberndem Mystikon DAS ZWEITE GESICHT ein gespenstischer, katzenhafter Siegfried, der sich unauslöschlich ins ET-Gedächtnis eingeschrieben hat, spielt eine der Hauptrollen. In dieser Szene muss er seinen Freund Dieter Schidor (der Dieter Schidor, der auch QUERELLE produziert hat) in den Händen des Sadisten Dirk Galuba zurücklassen, der auch kurz den Jack Nicholson gibt. Wie üblich in Brynychschen Schlüsselszenen mit Lampenschirm-UFOs garniert. (Und man fragt sich, wie so oft: warum konnten wir das nicht als Kinofilm bekommen?)
Aprile
30.04.2012
Derrick: Tod eines Fans
(Alfred Vohrer, BRD 1977) – 7/10 (18), DVD
29.04.2012
Derrick: Dem Mörder eine Kerze
(Dietrich Haugk, BRD 1980) – 7.5/10 (19), DVD
Der Alte: Toccata und Fuge
(Wolfgang Becker, BRD 1976) – 9/10 (23), DVD
…ist die totale Verstrahlung, eine Stunde außerirdisch abstrahierter Schickeria-Impressionen, fotografiert vom großen Franz X. Lederle. Ich rezitiere jenen Satz, den Stefan Ertl bereits in seinem „Glamour Boy“-Special über Peter Fricke in einer älteren Ausgabe von SigiGötzEntertainment zitiert hat (jener Artikel übrigens, der, viele Jahre nachdem ich jeweils die letzten 15 Minuten der „Der Kommissar“-Folge DER TENNISPLATZ und der „Derrick“-Folge DER TAG NACH DEM MORD im Fernsehen sah, meine Neugierde vor zwei Jahren reanimierte): „Es ist schön, mit mir zu schlafen.“ (Tina Colucci, gespielt von Heidelinde Weis. Etwas früher in der Episode sagt sie mehrmals, wie zugedröhnt vor sich hin starrend: „Er langweilt mich. Er langweilt mich.“). Außerdem mit Hanne Wieder, eine Charakterfrau (und eine Charakterstimme), wie man sie heute in deutschen Filmerzeugnissen nicht mehr finden würde (sie war auch groß in MELISSA und als lustige Nonne in Brynychs OH HAPPY DAY), als toughe lesbische Juwelierin: „Ich interessiere mich nicht für Männer!“. Und überhaupt: 59 Minuten voller Unfassbarkeiten. Ein Füllhorn des Wundersamen.
So stirbt hier der schwule Modedesigner: Inmitten von rosa Kissen, Schallplatten und Spiegeln, eine Blume in ihrem Garten. Blublublub.
Kurz darauf schwimmt er als Schlagzeile in einem Swimmingpool (auf dem auch ein Cocktailtablett treibt).
Das Auge des Mörders: molto gialliano.
27.04.2012
Enid Blyton Abenteuer: Der Fluss der Abenteuer /
The Enid Blyton Adventure Series: River of Adventure [2]
(Peter Rose, GB 1996) – n/a, DVD*
Enid Blyton Abenteuer: Der Zirkus der Abenteuer /
The Enid Blyton Adventure Series: Circus of Adventure [2]
(Terry Marcel, GB 1996) – n/a, DVD*
26.04.2012
Enid Blyton Abenteuer: Der Berg der Abenteuer /
The Enid Blyton Adventure Series: Mountain of Adventure [2]
(Peter Rose, GB 1996) – n/a, DVD*
25.04.2012
Enid Blyton Abenteuer: Die Insel der Abenteuer /
The Enid Blyton Adventure Series: Island of Adventure [2]
(Peter Rose, GB 1996) – n/a, DVD*
Der Alte: Tote Lumpen jagt man nicht
(Günter Gräwert, BRD 1982) – 8.5/10 (21), DVD
„Ich dachte, sie… geben mir mein Geld…“.
23.04.2012
Derrick: Pfandhaus
(Dietrich Haugk, BRD 1975) – 9/10 (23), DVD
Dietrich Haugk, nach Zbyněk Brynych vielleicht der seltsamste, exzentrischste der Ringelmann-Hausregisseure. Meine Achtung für ihn steigt von Mal zu Mal.
22.04.2012
Der Alte: Tod am Sonntag
(Zbyněk Brynych, BRD 1982) – 8.5/10 (21), DVD
Der Alte: Urlaub aus dem Knast
(Dietrich Haugk, BRD 1981) – 8/10 (21), DVD
21.04.2012
Derrick: Hoffmanns Höllenfahrt
(Theodor Grädler, BRD 1975) – 8/10 (21), DVD
The Back Row
(Jerry Douglas, USA 1973) – 9/10 (22), VHS
15.04.2012
Rosen für Afrika
(Sohrab Shahid Saless, Deutschland 1992) – 9/10 (22), Betamax
In ROSEN FÜR AFRIKA ist der Selbstmord des Protagonisten, an einem Telefon, aus dem eine Frauenstimme „Du bist ein Idiot, Waller!“ zischt, ein Happy End nach einem dreistündigen, innwändigen, taubgekratzten Inferno auf (deutschen) Erden. Ich meinte, schon vorher gewusst zu haben, warum ich diesen Film ein Jahr lang vor mir hergeschoben hatte. Er hat auf mich so zerschmetternd gewirkt, wie wohl UTOPIA auf die meisten anderen Menschen wirkt (soll heißen: auf mich nicht gewirkt hat). Ein Erfolg sozusagen, ein emotionaler, wenn schon nichts anderes. Was ist für einen Film wie diesen Erfolg? Was ist das nur für ein Mensch gewesen, der diese (beiden) Filme gemacht hat? Ich würde keine zehn Minuten in seiner Haut verbracht haben wollen. Düsterer – scheint kaum noch vorstellbar.
Schreie der Verlorenen / The Watcher in the Woods
(John Hough, GB/USA 1980) – 7.5/10 (20), DVD
14.04.2012
In the Eye of the Hurricane / El ojo del huracán
(José María Forqué, Spanien/Italien 1971) – 6/10 (18), VHS
09.04.2012
Keep My Grave Open
(S. F. Brownrigg, USA 1976) – 7/10 (20), VHS
The Trumpets of the Apocalypse / Las trompetas del apocalipsis
(Julio Buchs, Spanien/Italien 1969) – 7.5/10 (21), VHS** [falsches Bildformat]
Julio Buchs löst das Versprechen nicht ein, dass ich in ihm zu sehen glaubte. Aber er gibt immer noch mehr Versprechen. Wie sagt man so schön: Vorfreude ist die schönste Freude. Was bisweilen an deprimierender Düsternis über dem heruntergekommenen und rohen London dieses Films liegt, wie paranoid sein Zeitbild ist, wie jenseitig und beinahe meta seine möglicherweise idiotische Prämisse ist… ein Menschenfreund war Julio Buchs nicht, ein Autorenfilmer auch nicht. Vielleicht einer, der sich nach dem Tod sehnte und das in seinen stets sehr kommerziellen Filmen meist, aber nie vollkommen, zu verbergen wusste. Seine Filme faszinieren mich, aber ich könnte nicht behaupten, sie zu lieben.
08.04.2012
Hochkarätiger Einsatz / L’uomo del colpo perfetto
(Aldo Florio, Italien/Spanien 1968) – 9/10 (23), VHS [falsches Bildformat]
07.04.2012
Unser Weg ist der Beste / La meilleure façon de marcher
(Claude Miller, Frankreich 1976) – 8/10 (21), VHS
Marzo
29.03.2012
Police, Adjective / Politist, adj.
(Corneliu Porumboiu, Rumänien 2009) – 8.5/10 (22), Kino (35mm)
Mondo Cannibale / Il paese del sesse selvaggio
(Umberto Lenzi, Italien 1972) – 8/10 (19), Kino (35mm)*
28.03.2012
End of Days – Nacht ohne Morgen
(Peter Hyams, USA 1999) – 9/10 (23), DVD
Vor einer Woche: der totale Zwangsverzicht. Nach einer irrsinnig schönen, filmisch wahnsinnig aufregenden, vibrierenden, klassizistischen, schangeligen, eigensinnigen, kinetischen und durchwegs seltsamen (so ähnlich, nur mit weniger Action, hat sich vielleicht Dario Argento den urbanen Okkultismus seines „La terza madre“ vorgestellt, als man ihm noch ein Budget von 20 Millionen Dollar versprach, dachte ich mir) ersten halben Stunde von END OF DAYS hängt sich die DVD irreparabel auf, auch mit entsprechend ausgerichteter Software lässt sich nichts mehr retten. Der Amazon Marketplace-Verkäufer schrieb „Zustand akzeptabel“. Kratzer wie Sand am Meer und eine verbeulte Hülle sind nicht mehr akzeptabel. Ich hätte der Versuchung nicht erliegen dürfen, diese verschrammte DVD überhaupt ins Laufwerk zu legen. Aber ich konnte nicht anders. Die so verzaubernd und verwirrend abhebende erste Begegnung mit einem Spätwerk von Peter Hyams: Cinecoitus interruptus.
Heute: Eine totale Ultrakunst-Offenbarung: Ich bin überglücklich, das nicht nur die erste halbe Stunde von END OF DAYS so toll war. Kühl, nass, verwittert, poetisch, fragil, abgerissen, martialisch, oft purer Affekt, ultradunkel, auf morbide Weise mondän, auf ätherische Weise verwegen, auf träge Weise vom Zeitgeist seines Sujets entbunden. und doch voll drin, in den 90igern, und deren letzten klassizistischen Zuckungen. Ein Film von heute und gestern. Ein nächtliches Poem unter einem Himmel ohne Mond und Sterne, zumeist. Ein Exzess, von roher Materialität, gelegentlich. Eine organische Tragödie, oft. Ein Hyams, von oben bis unten, ständig. Ein Trost, nach den Drehbuchinduzierten Erschlaffungsmerkmalen von TIMECOP. Es gilt also auch nach dem 6. Film: ♥♥♥ PETER HYAMS! ♥♥♥
Und: Arnie cries! Den entsprechenden, ziemlich unglaublichen Screenshot habe ich leider gerade nicht parat.
27.03.2012
Hugo Cabret / Hugo
(Martin Scorsese, USA 2011) – 8/10 (21), Kino (Digital)*
Midnight Heat / Blackout
(Allan A. Goldstein, USA 1996) – 9/10 (23), VHS*
Full Moon of the Virgins / Il plenilunio delle vergine
(Luigi Batzella, Joe D’Amato, Italien 1973) – 8/10 (16), VHS
26.03.2012
Timecop
(Peter Hyams, USA 1994) – 7/10 (18), Kino (35mm)*
Mio, mein Mio / Mio min Mio
(Vladimir Grammatikov, UDSSR/Schweden/Norwegen 1987) – 5/10 (14), DVD*
The Presidio
(Peter Hyams, USA 1988) – 9/10 (23), DVD
25.03.2012
Die Rache des Herkules / La vendetta di Ercole
(Vittorio Cottafavi, Italien/Frankreich 1960) – 8/10 (21), DVD
24.03.2012
Hallo, Mr. Twen / The Young Ones
(Sidney J. Furie, GB 1961) – 6/10 (16), DVD
22.03.2012
Lederjungen / The Leather Boys
(Sidney J. Furie, GB 1963) – 9.5/10 (23), DVD
„It was the breakthrough moment for me but it wasn’t shown very widely because it had a homosexual theme to it. It was a risky part to take, but then I was very political and, although I am not gay myself, I really did care about the trouble my gay friends were having. People were being put in prison, beaten up, blackmailed, so when that job came up I thought, ‚I’m going to play it as a man who is in love, not a flapping, limp-wristed camp thing that everyone can laugh at.'“ – Dudley Sutton.
21.03.2012
Carlito’s Way
(Brian De Palma, USA 1993) – 10/10 (24), DVD
Norma Rae
(Martin Ritt, USA 1979) – 9/10 (22), DVD
20.03.2012
König des Comics
(Rosa von Praunheim, Deutschland 2012) – 9/10 (22), Kino (Digital)
Emanuela – Alle Lüste dieser Welt / Emanuelle – perché violenza alle donne?
(Joe D’Amato, Italien 1977) – 9/10 (21), VHS*
Super
(Adolf Winkelmann, BRD 1984) – 8/10 (22), DVD
19.03.2012
Schulmädchen-Report, 7. Teil – Doch das Herz muss dabei sein
(Ernst Hofbauer, BRD 1974) – 9/10 (21), DVD
Sexualrausch / The Toy Box
(Ronald Víctor García, USA 1971) – 6.5/10 (11), DVD*
18.03.2012
Des Teufels Saat / Demon Seed
(Donald Cammell, USA 1977) – 8.5/10 (22), DVD
Satan der Rache / E Dio disse a Caino
(Antonio Margheriti, Italien/BRD 1969) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
Rollerball
(John McTiernan, USA/Deutschland/Japan 2002) – 10/10 (24), DVD
Lady Sings the Blues
(Sidney J. Furie, USA 1972) – 9/10 (22), DVD
17.03.2012
Das Kartell / Clear And Present Danger
(Philip Noyce, USA 1994) – 4/10 (10), DVD
16.03.2012
Hardcore – Ein Vater sieht rot
(Paul Schrader, USA 1979) – 9.5/10 (21), DVD
Aus Mangel an Beweisen / Presumed Innocent
(Alan J. Pakula, USA 1990) – 9/10 (22), DVD
15.03.2012
Great Balls of Fire
(Jim McBride, USA 1989) – 9/10 (23), DVD
Blow Out
(Brian De Palma, USA 1981) – 10/10 (24), DVD
14.03.2012
Das Haus in der Carroll Street / The House on Carroll Street
(Peter Yates, USA 1988) – 8.5/10 (22), DVD
Ich habe gestern, inspiriert von einer Facebook-Diskussion über einen nicht so ganz tollen 80iger-US-Film (FATAL ATTRACTION; neben bei auch ziemlich der einzige nicht ganz so tolle, aber irgendwie immer noch tolle 80iger-US-Film, den ich innerhalb der letzten Monate gesehen habe), etwas getan, wozu nur noch selten Zeit und Energie da sind: ich habe mir drei Filme in einem Rutsch angesehen, drei 80iger-US-Filme. Und die Ultrakunst offenbarte sich mir, dreimal hintereinander, und ich war beschenkt.
Zuerst bei THE HOUSE ON CARROLL STREET (1988), der belegte, was ich schon längst vermutet hatte: Peter Yates ist ein Auteur, und zwar ein ganz prätentiöser (aber toll prätentiöser). Bressonianisch verbrämt und entspannt formalistisch, reduziert der Film mit sinnlicher Luzidität die klassische Charade um ein zufällig in konspirative Geheimaffären geratenes Mädchen so kühl und konzentriert auf ihren physischen Kern, in fließenden Bewegungen und fetischistischen Ellipsen, dass sich daraus in wundersamer Weise ganz understated die völlige Absurdität solcher Stoffe offenbart. Der ganz junge, babyspeckige Jeff Daniels als gebrechliches Faktotum der vollweiblichen Protagonistin ist unglaublich. Die einen werden diesen (sich übrigens kein bischen für seine 50iger-Jahre-Ausstattung oder Geschichtsromantik interessierende) Film schrecklich langweilig und bieder finden (bis auf das finale, hitchcockianische Set piece – „Das war schon geil!“), D. starrte fasziniert, feierte albern ins Fäustchen und war verzaubert davon. Ein bischen wie eines dieser französischen Altmeister-Alterswerke jüngerer Zeit, mit denen er beinahe nie etwas anfangen kann. Eindeutig ein Film, wie ihn kein amerikanischer Regisseur hätte drehen können. Außer vielleicht Joseph Losey. Aber dann wäre der Film wohl gräßlich geworden, eben wie das überhöhte, ins Unermessliche verkrampfte Zerrbild eines französischen Altmeister-Alterswerks.
Danach schloss ich, vermutlich endgültig, meinen Frieden mit dem lange ungeliebten Brian De Palma, als ich, nachdem die DVD von BLOW OUT (1981) wieder ins Menü zurücksprang, bemerkte, wie ich nur sehr langsam, geradezu unwillig, aber auch von oben bis unten in Glück getränkt, wieder aus dem Film erwachte. Der totale Rausch, kaum auszuhalten, kaum zu beenden. Eigentlich hätte D. danach dringend ins Bett gemusst, aber die Gier, der Hunger, die Gier, der Hunger! Einen genialen Fluss soll man nicht stauen.
Also noch – ich stellte es nach wenigen Minuten mit einem gewissen Ensetzen fest – den totalen Exzess zum Abschluss: Jim McBrides GREAT BALLS OF FIRE (1989, siehe Bild), der mit großer Selbstverständlichkeit Dinge tut, die heute jedes Biopic – hier kann man ohnehin nicht mehr davon sprechen – beerdigen würden, weil doch alles immer hyperrealistisch und hyperpsychologisch und hyperernsthaft sein muss. Hier regieren Hedonismus, Popirrsinn, andächtige Postmoderne und – ganz wichtig und auch in einer Musikerbiographie nicht selbstverständlich – die Musik, sowie, natürlich, ein für einen 23jährigen Jerry Lee Lewis sichtlich zu alter, aber sich völlig verschwendender Dennis Quaid. Die 50iger in diesem Film sind, vielleicht kongenial zu den 80igern, nicht trist und grau sondern bunt und wow, denn mit größtmöglicher Sleazebejahung und rebelliger Keßheit – das Jerry Lee Lewis seine 13jährige Cousine (Winona Ryder!!!!) liebt und heiratet, bereitet dem Film nicht einen Moment lang Kopfzerbrechen – verausgabt sich McBride in dem wildesten und verschwitztesten Kinosex mit Ikonographie, Mythen, Ästhetik, Kino und Proportionen der 50iger Jahre, die er, ohne so recht das, was man Nostalgie nennen würde, in etwas ganz Neues, Bizarres, Wuselndes, Überirdisches verwandelt. Also im Grunde hinsichtlich filmischer Darstellung der 50iger das positive Gegenteil des anderen Extrems, wie es THE HOUSE ON CARROLL STREET ausstellt. Am Ende nähert sich der Film natürlich kurz dem tragischen und schicksalshaften Boden der Tatsachen, aber die ernüchternde Moral bleibt aus, der Rock’n’Roll und der Sleaze siegen – die Menschen hier sind schlicht zu niedlich, um einander ewig zu grollen. Ansonsten übrigens auch mit Alec Baldwin als Bruder von Quaid und Pfarrer, der während einer gestikulierten und geschrieenen Predigt zum Hitler wird.
80iger-US-Kino? ♥ ♥ ♥
Eine verhängsnisvolle Affäre / Fatal Attraction
(Adrian Lyne, USA 1987) – 6.5/10 (18), DVD
13.03.2012
Die Unbestechlichen / All the President’s Men
(Alan J. Pakula, USA 1976) – 9/10 (23), DVD
12.03.2012
Jacob’s Ladder
(Adrian Lyne, USA 1990) – 8/10 (21), DVD
11.03.2012
Einmal Hölle und zurück / Purple Hearts
(Sidney J. Furie, USA 1984) – 8/10 (22), DVD*
09.03.2012
Schlaflos bei zunehmendem Mond / Ay büyürken uyuyamam
(Serif Gören, Türkei 2011) – 10/10 (24), Kino (35mm)
08.03.2012
Die Todesfäuste des Karatehenkers / Wu Long Dai Zhui Shai
(Shu-sheng Chang, Taiwan 1974) – 7.5/10 (20), VHS*
Derrick: Tod des Wucherers [2]
(Zbyněk Brynych, BRD 1977) – 9/10 (23), DVD
Play Motel [Softcore-Fassung]
(Mario Gariazzo, Italien 1979) – 8.5/10 (20), VHS [falsches Bildformat]
07.03.2012
Barbara
(Christian Petzold, Deutschland 2012) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Auch aus diesem Film werden mir besonders die Autofahrszenen im Gedächtnis bleiben. Ich weiß nicht, warum das immer so ist, mit Petzolds Filmen und mir. Bei YELLA und JERICHOW auch. Denke ich an die Filme, denke ich immer zuerst an die Autofahrszenen. Komisch, denn sie haben alle größere Momente. In ETWAS BESSERES ALS DEN TOD gab es nur eine richtige Autofahrszene, aber die kam am Ende, war unangenehm und ereignete sich in einem Cabriolet. Und der Film war auch unangenehm. Nach BARBARA aber schwebe ich jetzt noch immer einige Meter überm Boden, obwohl ich unmittelbar nach dem Film auf der Toilette zu spät feststellen musste, dass ich vor einem verstopften Urinal stand und etwas verschämt, den Feuerwehrschlauch in der Hand, meinen Nebenmann, der gerade fertig war, fragen musste: „Darf ich?“. Die tristen Toiletten im Nürnberger Künstlerhaus sehen irgendwie auch sehr nach Krankenhaus und 80iger aus.
07.03.2012
The Boys
(Sidney J. Furie, GB 1962) – 8/10 (21), DVD [falsches Bildformat]
06.03.2012
Haunts
(Herb Freed, USA 1977) – 6/10 (18), VHS [falsches Bildformat]
Ein kleiner Film, der die absolute Erfüllung sein könnte für einsame, männliche Enddreißiger, die sich im abendliche Gedankendunst fantasievoll über gleichfalls einsame weibliche Altersgenossinnen die Hände reiben: bestimmt sexuell total verkorkst, die Alte! (Das denkt im Film wohl auch der von Aldo Ray gespielte Sheriff), der hier eine seiner oft zum brummig Unfassbaren tendierenden 70iger-Nebenrollen austeilt)
Diesem Film kann man das freilich nicht vorwerfen, er meint es anscheinend gut und bemüht sich um Verständnis. Indes, man kann sich keine altjüngferlichere Besetzung der weiblichen Hauptrolle vorstellen als May Britt. Das ist dann doch irgendwie fies und schlägt in gewissem Sinne nach der altbewährten Formel „Frauen, die mit Gott verlobt sind = Äpfel, die am Baum vertrocknen“. Vielleicht ist das aber auch nicht so. Wie viele US-Filme dieser Art (hier: Mystery-Slasher-Countryhorror) aus dieser Zeit ist das so überaus ernsthaft, so ganz und gar auf seine Figuren gerichtet und ihnen alles andere unterordnend. Das ringt mir (der ich darauf keinen besonderen, bzw. gesonderten Wert lege), auch in eher kruden Fällen wie diesem, stets aufs Neue Respekt ab – auch wenn fahrlässig mit vertrockneten Äpfeln geworfen wird. Musik von Pino Donaggio, stilistisch noch relativ italienisch, oha.
05.03.2012
The Driver
(Walter Hill, USA 1978) – 9/10 (22), DVD
05.03.2012
Ein stahlharter Mann / Hard Times
(Walter Hill, USA 1975) – 8/10 (21), DVD
The Entity
(Sidney J. Furie, USA 1981) – 9/10 (23), DVD
02.03.2012
Die drei Tage des Condor / Three Days of the Condor
(Sidney Pollack, USA 1975) – 7/10 (18), DVD
Ein echter Verzichter-Film, schon wieder. Redford, Dunaway, von Sydow, Pollack – Sie alle sind hier artige Verzichter (im Fall von Redford und Pollack wohl der Normalzustand), nur Cliff Robertson schlägt eine stille Schneise der Aufmerksamkeit in die große Distanziertheit des Films, der dadurch, dass man selbst 10 Minuten vor Ende immer noch das Gefühl hat, auf den Anfang des Films zu warten, eine dezente Aura des Bizarren verstrahlt. Noch bizarrer: Der Film ist total 90iger – von vorne bis hinten, in Inszenierung, Struktur und Atmosphäre. Vermutlich ist er deshalb der Klassiker, der er merkwürdigerweise ist (und wird deshalb auf den dritten Programmen pausenlos durchgenudelt – zuviel 70iger-Zeitgeist kann man dem arglosen Glotzkistenjünger wohl schlicht nicht zumuten), denn man kann all das, so bizarr und formalistisch es auch ist, reichtlich trist finden und sich dankend verzichtend besseren US-Politthrillern dieser Zeit zuwenden, z. B. THE PARALLAX VIEW. Im Zweifelsfall würde ich das auch tun. Ich bin nämlich kein Verzichter.
Auf Facebook schrieb jemand, der Film sei „ein sehr okayes Spannungsmovie“. Unter einem Spannungsmovie verstehe ich dann aber doch einen Film, der mich gezielt fesselt und nicht dadurch, dass er jede Spannung, insbesondere zwischen sich und seinem Drehbuch, vermeidet und hinwegstilisiert. Der Film verflog im nu, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass meine persönlichen Eindrücke das Resultat gezielter Genreabirrungen oder kühler Reduktion, auch nicht uninspirierter Pflichterfüllung, waren. Hier hat ganz einfach jemand einen Film gemacht, ohne einen Film zu machen. Oder sich zu trauen, einen Film zu machen. Enorm eigentümlich, aber eben doch, irgendwie, spannend. Daher erstaunt mich der Kanonstatus des Films gelinde gesagt doch sehr. Oder auch nicht. Prätentiös ist der Film ja, und zwar nicht zu knapp.
01.03.2012
Driving Force
(Andrew Prowse, USA 1989) – 6.5/10 (19), VHS*
Anna – Der bumsfidele Filmstar / Racconto immorale
(Salvatore Bugnatelli, Italien 1989) – 9/10 (11), DVD*
Für Werke wie dieses wurde der Begriff „Videoknüppel“ aus der Taufe gehoben.
Febbraio
29.02.2012
Tote Zeugen singen nicht / La polizia incrimina la legge assolve [2]
(Enzo G. Castellari, Italien/Spanien 1973) – 10/10 (24), VHS*
Vor Jahren gesehen und gemocht, nur. Gestern erneut gesehen und beinahe gestorben vor Erschöpfung. Castellaris bester. Ultrakunst. Keiner seiner Filme danach hat je wieder solch ekstatische Höhen erreicht.
Diabolically… Letizia / Diabolicamente… Letizia
(Salvatore Bugnatelli, Italien 1975) – 9/10 (23), DVD
Tristesse. Wahn. Dillettantismus. Genie. Todessehnsucht. Düsternis. Gammelei. Rape. Geschlechterkampf. Generationenkampf. Trash. Okkultismus. Miniröcke. Tristesse. Wandteller. Schilfgestecke. Teufelskissen. Teufelsmädchen. Sleaze. Ehefrauen. Ehemänner. Verzichter. Verzichterinnen. Trösterinnen. Wandteller. Tristesse. Totenköpfe. LSD. Tristesse. Verzicht. Düsternis. Purgatorium. DIABOLICAMENTE… LETIZIA hat Sano und mir nach einer Woche mit Filmen unsere letzten Reservehosen platzen lassen. Als hätte Jürgen Enz einen Horrorfilm in Italien gedreht. Unfasslich, hypnotisch, hysterisch. Treazo infernal.
28.02.2012
Der Wilderer vom Silberwald
(Otto Meyer, BRD 1957) – 9.5/10 (23), DVD
Ein großartiger Film, streckenweise geradezu metareflexiv und überdeutlich als konkreter Einfluss für Antonionis BLOW-UP auszumachen. Leider sind nur wenige Heimatfilme vergleichbar von phallischer und vulvischer Bildsymbolik, von unterpresster Anzüglichkeit durchdrungen, die in ähnlicher Weise Schmerzen in Hose und Lachmuskelkammer erzeugen. Teils natürlich dated, aber aufgrund des außerordentlichen Liebreizes dieser chaotischen Mischung aus Heimatfilm noir, Miefical (= Mief-Musical), wurstigem Buddy Movie und purer, unverdünnter „alpiner Lustbarkeit“ (Zitat aus dem Film) der prallen, hervorquellenden Art einer der jenseitigsten und außerirdischsten Heimatfilme überhaupt. „The first truly sleazy Silberwald movie.“ (Das Hofbauer-Kommando)
(Mit besonderem Dank an Rajko B für die Inspirationen)
White Pop Jesus
(Luigi Petrini, Italien 1979) – 9/10 (21), VHS
Tanzender Irrsinn, Low Budget-Blockbuster, Disco-Musical, choreographisches Massaker, grotesker Slapstick, erregende Langeweile, unfreiwilliger Surrealismus, Ultra-Unfassbarkeitskunst: WHITE POP JESUS von Luigi Petrini. Mit dem sensationell durch die Decke gehenden Gianni Magni als „il commissario“ und Awana Gana (offenbar eine Art italienischer Hugo Egon Balder) als Jesus (in der italienischen Originalfassung englisch ausgesprochen). Musica di Franco Bixio e Vince Tempera. In diesem Film tanzt und singt selbst die Mafia.
27.02.2012
Viva Riva!
(Djo Tunda Wa Munga, ??? 2010) – 9/10 (22), Kino (35mm)
Stephen Kings Stark / The Dark Half
(George A. Romero, USA 1991/93) – 8/10 (21), DVD
Die Sieger / American Flyers
(John Badham, USA 1985) – 9.5/10 (23), DVD
Sano, nach dem Film: „Ich will Amerikaner werden!“
26.02.2012
Who’s That Girl?
(James Foley, USA 1987) – 9/10 (22), DVD
Nach dem Film: mit pulverisierten Hosen im Himmel überm Himmel überm Himmel auf Wolke 154.
Pretty in Pink
(Howard Deutch, USA 1986) – 9/10 (22), DVD
Nach dem Film: mit zerfetzten Hosen auf Wolke 27.
24.02.2012
Drive
(Nicolas Winding Refn, USA 2010) – 9/10 (23), Kino (35mm)
Dame, König, As, Spion / Tinker, Tailor, Soldier, Spy
(Tomas Alfredson, GB/D/F 2011) – 8.5/10 (21), Kino (35mm)
Gerade noch den Zug um 13.10 erwischt. Gerade noch einen Mitfahrplatz per Bayernticket gefunden. Nach München fahren, um TINKER, TAILOR, SOLDIER, SPY und DRIVE im OmU und vor allem auf 35mm zu sehen. Zwei Stunden, ohne Lesestoff oder Mp3-Player, da in der Eile vergessen. In München: Nochmal eine Stunde auf den ersten Film warten. Auf nüchternen Magen, da keinen Hunger. Dann, endlich, die beiden Filme, direkt hintereinander, vier Stunden Scope-Ezxess. Danach nochmal zwei Stunden Fahrt ohne Lesestoff, nur mit abgelegten „Erlanger Nachrichten“, sehr trist – aber endlich Essen. Um 22:50 endlich wieder in Nürnberg, glücklich, mit Kopfschmerzen und fertig. Wenn das nicht Cinemenschlichkeit ist, was dann?
22.02.2012
Flotte Bienen auf der Matte / Brillantina Rock
(Michele Massimo Tarantini, Italien 1979) – 7/10 (20), VHS* [falsches Bildformat]
Mädchen beim Frauenarzt
(Ernst Hofbauer, BRD 1971) – 9.5/10 (23), VHS
21.02.2012
Das Erbe des Blutes / Home From the Hill
(Vincente Minnelli, USA 1960) – 10/10 (25), Kino (35mm)
19.02.2012
The Arousers / Sweet Kill
(Curtis Hanson, USA 1973) – 6.5/10 (17), VHS [falsches Bildformat]
Dark August
(Martin Goldman, USA 1976) – 8/10 (22), VHS
Sehr hübsch, sehr seltsam. Voodoo in der Kaffeetasse.
*****
Ein Cine-Fluch verfolgt mich: Von sieben italienischen Filmen der 60iger und 70iger, die ich mir ausgucke (= nach denen ich aus diversen seltsamen Gründen ganz plötzlich wie ein Wahnsinniger suche, weil ich sie schnellstmöglich sehen will, nein, sehen muss), finde ich in der Regel etwa drei – und zwei davon sind fast grundsätzlich Scope-Filme, die vom kleidsamen Pan & Scan-Verfahren in den 80igern rücksichts- und mitleidlos in Vollbild-Filme verwandelt wurden und seither nicht wieder zurück zu altem Glanz gelangten. Wie konnte man damals nur so verachtungsvoll davon ausgehen, es sei in Ordnung, den Menschen Tausende von Filmen in derart zerschmetterter Verfassung vorzusetzen, Millionen von Gemälden in der Mitte durchzuschneiden? Angesichts dessen werde ich regelmäßig vom ganz, ganz großen Frust ergriffen – wie vor einem Jahr, als die Freude über den Fund von VALERIA DENTRO E FUORI (Brunello Rondi, 1972) nur von kurzer Dauer war. Oder wie gerade eben, als ich mich freute, doch noch TRE NOTTI VIOLENTE (Nick Nostro, 1966) gefunden zu haben. Und dann entgeistert meine Kinnlade herunterklappte angesichts der rabiat zurechtformatierten Videoabscheulichkeit.
*****
18.02.2012
Die Axt / Axe
(Frederick R. Friedel, USA 1977) – 7.5/10 (19), DVD
17.02.2012
Thief – Der Einzelgänger / Thief
(Michael Mann, USA 1982) – 9/10 (23), DVD
Leuchtreklame, über schwarzglänzende Motorhauben gleitend. Blaue Lichter in Regenpfützen. Handwerker bei Nacht, Schweißperlen schleppend. Höchste Konzentration. Frauen, die an den Haaren in ihr Glück gezerrt werden. Was Besseres kann ihnen nicht passieren, alles Mann, rundum. Zeitlupen-Shootouts. Emotionaler Minimalismus. „Männerpoesie“. Macho shit. Trotz alledem, irgendwie, doch, leider: Die Ultrakunst. Allein die Musik von Tangerine Dream ist so majestätisch, dass jeder Widerstand in den Gully purzelt.
15.02.2012
Geschichte einer Sünde / Dzieje grzechu
(Walerian Borowczyk, Polen 1974) – 9/10 (23), DVD
Endlich gewagt, GESCHICHTE EINER SÜNDE (Walerian Borowczyk, 1975) zu sehen. Die größte Angst, ihn zu sehen, bisher: 125 Minuten Borowczyk und ein Lieblingsfilm von Sano. Die größte Angst, ihn wiederzusehen, jetzt: 125 Minuten lang Leid und Begierde, pur. Trotz seiner allerorts (und nun auch von mir) kolportierten Absicht, einen „populären“ Film zu machen, ist Borowczyk auch hier ganz er selbst und ganz fies. Wie er unentwegt seine Schauspieler, vermutlich mehr als seine Figuren, sanft zum Kochen bringt, nur um sie dann ständig ungerührt und streng wieder auszubremsen, also ständig vom Kochen ins Sieden zurückversetzt, damit tue ich mich immer noch schwer. Ich glaube, ich habe es erst in der letzten Minute des Films wirklich verstanden. Dieses vom größten Wahnsinn, der größten emotionalen Sturheit, Selbstverschwendung und der roh und blutig auf Eiswürfeln dargebotenen Liebesreste umspülteste aller Happy ends, das ist zuguterletzt doch ein Bekenntnis zum Überkochen.
Schon meine zweite Ultrakunst-Offenbarung mit Borowczyk innerhalb kurzer Zeit, nach der vor zwei Monaten bewunderten und geliebten filmischen Nocturne DOCTEUR JEKYLL ET LES FEMMES (1981). Die drei davor gesehenen Filme – UNMORALISCHE GESCHICHTEN, LA BÊTE und LA MARGE – hatten mich eher indifferent und auch enerviert zurückgelassen: Intellektuelle Heterotomanie, fand ich immer. Aber ich komme wohl langsam auf den Geschmack, bzw. kuschle ich mich in die weiche Schamhaardecke (gut, das ist ungerecht – selbige glänzt in diesem bestimmten Film tatsächlich durch Abwesenheit) und sollte schnellstmöglich GOTO – INSEL DER LIEBE sehen, dessen DVD mir Sano bereits vor Jahren in einem Akt cinefreundschaftlicher Selbstaufopferung schenkte – es war seine eigene DVD, er wollte mich erleuchten.
11.02.2012
Bloodbeat – Pulsschlag des Todes / Bloodbeat
(Fabrice A. Zaphiratos, USA 1983) – 8/10 (21), VHS*
Es ist immer wieder schön, wenn ein Film, über den man rein zufällig gestolpert ist, über den man rein gar nichts weiß und den man etwas abfällig als „Absacker“ oder „Rausschmeißer“ zu später Nacht-, bzw. früher Morgenstunde zu verschwenden gedenkt, sich als bizarre Entdeckung entpuppt: Von BLOOD BEAT versprach ich mir einen wirklich ranzigen 80iger-Videoknüppel, veredelt von einer standesgemäßen deutschen Video-Pornosynchro, mit viel Idioteaze (= Idioten-Sleaze) und Cheese und überhaupt. Aber dann: Bizarres, Unerklärliches, Mysteriöses! Unendlich schäbig und eigensinnig inspiriert wabert, watschelt und schlingert dieser übernatürliche Slasher windschief durch Wald und Küche, aufgelöst zwischen unbeschreiblichen psychedelischen Blitzen, weichgezeichnetem Dämmerlicht, humpelnder Handkamera und geradezu somnambuler Kühle, zugekleistert von geil-langweilig-enervierend-aufreibend-hypnotischer Musik zwischen Synthie-Gülle und hysterischem Violinen-Gekratze, lethargisch-manischem Schauspiel, getrieben von einem spacig-blau blinkenden Killer-Samurai, wackelnden Weihnachtsbäumen, versiffter amerikanischer Provinz-Tristesse in einer Gegend, die einem träge herbeisinnierten Ende der Welt als Wiege zu dienen hat und wirklich so aussieht, als sei man auch am letzten Ende der Welt angekommen. Aber alles so unendlich feierlich, ernsthaft, jeglicher unerwünschter Ironie entbehrend, deprimierend finster und beunruhigend, völlig krude wie überaus effizient, irgendwo tanzend zwischen deliranter Größe und imponierender Lächerlichkeit, zwischen Dilettantismus und Brillanz. Unfassbar und unberechenbar, nicht wirklich beschreiblich. „This is one of those movies that is so weird I honestly wondered if the people responsible for it have spent time in a mental institution“ meint zurecht ein Amerikaner in einem Forum. Ich lese nun, dass der Schöpfer dieses Semi-Trips der Sohn eines französischen Regisseurs ist, der wiederum in den 70igern einige dieser angesagten italienisch-französischen Sitten-Melodramen drehte. In einem dieser Filme spielen Carla Romanelli und Nadja Tiller mit, Musik: Bruno Nicolai. Die Wege der Cinegötter sind wirklich seltsam.
09.02.2012
Die Mörderklinik / La lama nel corpo
(Elio Scardamaglia, Italien/Frankeich 1966) – 9/10 (23), VHS* [falsches Bildformat]
Eine einigermaßen perfekten Hochzeit von AIP-Groschenroman-Poe und der allseits geliebten italienischen Schauerromantik. Eine gewisse stilistische Verwandtschaft zu Mario Bava, vor allem jedoch Riccardo Freda, ist nicht zu leugnen, jedoch ist dieser Film letztlich weit anregender und erfreulich gefräßiger, rigider in seiner Erzählökonomie, selbstreflektierter in seinen Exploitation-Momenten und gefällt sich selbst als Genrefilm demonstrativ mehr als so mancher durch seine lähmend-mechanische Trivialität enervierende Bava-Film oder auch durch völlige Düsternis erdrückende Freda-Film.
08.02.2012
Das einzige Spiel in der Stadt / The Only Game in Town
(George Stevens, USA 1970) – 9.5/10 (23), VHS*
Warren Beatty wartet darauf, von Elizabeth Taylor geküsst zu werden in THE ONLY GAME IN TOWN (1970), dem letzten Film des von mir zunehmend faszinierter wahrgenommenen George Stevens. Ich war und bin stets ganz besonders fasziniert von den letzten Filmen großer Veteranen des alten Hollywood. Überhaupt von letzten Filmen. Es wäre eigentlich nur angemessen, einmal eine ganze Reihe von Texten nur über letzte Filme zu schreiben.
Muscle / Kurutta butokai
(Hisayasu Sato, Japan 1989) – 8.5/10 (22), VHS
07.02.2012
Scacco alla Regina
(Pasquale Festa Campanile, Italien 1971) – 9/10 (23), VHS
Eine lesbische Geschichte der O., in der unter den wachenden Augen der leider in fast all ihren Filmen sehr schattenhaften Daniela Surina eine unfassbar devote Haydée Politoff mit schweigender Beharrlichkeit um den rabiat-egozentrisch-campigen Filmstar Rosanna Schiaffino buhlt. Nach einem Drehbuch meines zutiefst geschätzten Brunello Rondi (!), unter maximalen „Art deco“- und Techniscope-Aufwendungen in etwa so (aber noch kühler, viel kühler) inszeniert, wie Radley Metzger im gleichen Jahr CAMILLE 2000 inszeniert hat, obendrein gleichfalls mit Musik des unwiderstehlichen Piero Piccioni – In (dem ursprünglichen Wortsinn entsprechend) psychedelischen Traumsequenzen veräußerlichter „Leaze“ (= lesbischer Sleaze) und letztlich natürlich ein Film über die seelische Ausbeutung durch die oberen Stände, die dem sich nach körperlicher Abhängigkeit dürstenden Mittelstand widerfahren muss, eher noch als den Gestrauchelten, deren Unabhängigkeit die Resignation zu sein hat. „Ich habe ja nichts und muss leben – aber du?“ sagt die Surina mit unergründlichem Lächeln ständig zu der zunehmend in der statuesken Verdinglichung zu sich kommenden Politoff. Ein fantastischer Film, ebenso flüchtig wie bombastisch.
Pasquale Festa Campaniles Aktien steigen im Christoph-Kurs nunmehr stetig, nachdem mich erst vor Kurzem seine hinterhältige amerikanische Cholik WENN DU KREPIERST – LEBE ICH (1977) in 35mm-Projektion außerordentlich zu begeistern wusste.
06.02.2012
Schüsse im Dreivierteltakt
(Alfred Weidenmann, BRD/Österreich/Italien 1965) – 6.5/10 (14), Kino (35mm)
05.02.2012
Der Mann ihrer Träume / Young Man With a Horn
(Michael Curtiz, USA 1950) – 9/10 (23), DVD
01.02.2012
The Roost
(Ti West, USA 2005) – 8/10 (21), DVD*
Gennaio
Aufgrund erheblicher „Ceaze“-Anwandlungen (= Abschlaffungserscheinungen) hat eine propere Berichterstattung nicht sollen sein, daher in aller Kürze aus Komplettierungsgründen: Was vom fünften, in jeder Hinsicht ganz und gar außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos (27. – 31. Januar 2012, unter dem Motto „Exzess und Verzicht“) – in extraordinärer Anwesenheit von vannorden alias Robert Wagner – übrig blieb:
31.01.2012
Die Mädchen aus der Peepshow
(Adrian Hoven, Wolfgang G. Kruse, BRD 1983) – 10/10 (17), DVD
Das Adjektiv „bestialisch“ fiel im Verlauf dieses Kongresses wiederholt, doch im Grunde gebührt es nur diesem unseren wahrhaft infernalischen Abschlussfilm, einem Werk, dass so vulgär geraten ist, dass man sich ob der fingerdicken Öl- und Schleimspur seiner viehischen Dialoge (stets übertönt von brutal stampfendem, die Obszönität ins Unermessliche steigernden Disco-Gerammel) fassungslos fragt, ob im Anschluss eine Ohrspülung vonnöten sein könnte. Zugleich auch ein reichlich wenig überzeugendes Plädoyer „Pro Peepshow“, was allerdings gleichfalls den siffgetränkten Charakter der Darbietungen verstärkt. Unglaublich, da es sich etwa zur Hälfte um die letzte Regiearbeit von Adrian Hoven handelt, die nach dessen Tod von einem gewissen Wolfgang Kruse mit Nachgedrehtem fertiggebastelt wurde. Der beispiellos räudige Film schraubte das Kommando im Morgengrauen geradewegs in die offenen Arme der völligen Hysterie, seine grenzenlos abstoßenden Texturen schillerten in den saftigsten Farben, die Verwirrung war perfekt, ein „film maudit“ war geboren, in seiner eigenen Klasse gleichfalls ein Meisterwerk und, den Kongress abschließend, zugleich auch ein Werk, in dem Exzess und Verzicht dann doch noch fröhlich kichernd und schmutzig lachend Hand in Hand gingen. Ein tösender Abgesang auf das deutsche Sexploitationkino, trübe im Bild, beißend im Klang, wieder einmal ein echtes „last movie“…
Forbidden Affairs / I fiori della passione
(Joe D’Amato, Italien 1990) – 8/10 (21), VHS*
Joe does THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (and succeeds in exceeding the original!). Noch mehr als „Das Testament der Begierde“ ein Film im Zeichen schweren Verzichts und archaischer Tristesse, jedoch in buntem Werbefilmgloss, geschmeidigem Synthie-Pop und mit viel umständlichem, unmissverständlichen Brunftgehabe zu einem unedlen, jedoch exzellenten Sud vermengt, der durch seine aufreizende, uns zu hemmungsloser Ekstase und Lachtränen hinreißenden Beschränktheit zu tiefen Gedanken über das Selbstverständnis seiner Hersteller anregte.
Mondo Candido
(Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi, Italien 1975) – 9/10 (22), DVD
Eine wirbelnde Fahrt im „Schangel-Shuttle“ (Andreas), abermals Exzess pur, aufgrund seiner ätherischen Galligkeit auch einigermaßen deprimierend, trotz der bunten Burleske und Schangel-Explosionen, die beinahe an die Werke des größten italienischen Schangleurs (= Schangel-Auteurs) Carmelo Bene heranreichen. Exzess pur #4.
30.01.2012
Heisses Pflaster Köln
(Ernst Hofbauer, BRD 1967) – 10/10 (24), Kino (35mm)
Jede Erwartungshaltung platzte ebenso wie die bereits zum Äußersten gespannten Hosen des Hofbauer-Kommandos ob dieser radikalen Selbstfindung und -verwirklichung unseres Ernst, zwischen rüdester Sittenkrimi-Kolportage und aufrechtem Neorealismus mit einem Hauch von Nouvelle Vague oszillierend (Kamera: Hans Jura!!!), aufgepeitscht von einem martialischen Beat des unbekannten Claudius Alzner (?), ein von sinnlicher Gier und unmöglichen, zwischen Straßenstrich und Hafenpier verschütteten Lebensträumen aufgeladenes Poem, geradewegs aus einer glühenden, amoralischen urbanen Nacht, von der dieser Film im Deutschland der auslaufenden Wirtschaftswunderjahre so leidenschaftlich zu träumen wagte, ja: wagte, in einem offensichtlichen Zustand freudvoller Erregung und echter Cinephilie. Fraglos DAS Meisterwerk aus Hofbauers Frühwerk, eine kleine Sensation, ein Lieblingsfilm, Exzess, purer als pur. (Nebenbei wird hier besonders offensichtlich die personelle Brücke geschlagen vom frühen deutschen Exploitationkino zum neuen deutschen Film, aber dazu vielleicht demnächst an anderer Stelle mehr)
Türkische Früchte / Turks Fruit [2]
(Paul Verhoeven, Niederlande 1973) – 10/10 (24), Kino (35mm) *
Kennt man, erleidet man, liebt man, in unserem Falle mehr denn je. Ein Präzedenzfall von Ultrakunst, sowie, erneut: Exzess pur.
Dracula jagt Frankenstein / Los monstruos del terror
(Hugo Fregonese, Tulio Demicheli, Eberhard Meichsner, BRD/Spanien 1970) – 7/10 (15), DVD* [falsches Bildformat]
Sichtlich ein Flickwerk, zusammengerührt aus allem, was der (Universal-)Kühlschrank hergab, zusammengeschmiert von einer vor abstrusem Nonsens strotzenden Brandt-Synchro und verblühter internationaler Genre-Prominenz, die dem liebenswerten Unfug mit hinreißender Andacht entgegentritt.
Dogday / Canicule
(Yves Boisset, Frankreich 1984) – 10/10 (24), DVD*
Lee Marvin, gealtert und würdevoll, als amerikanischer Gangster auf der Flucht in die inzestuösen und nymphomanen Tiefen der tristen französischen Redneck-Provinz, wo die nach „Araberschwänzen“ gierenden Frauen „Feuer unterm Hintern“ haben und die vertierten Männer „auf 200 Meter einen hochkriegen“. Schweiß, Milch, Erde, Fleisch, Samen, Blut, Kies, Honig, Staub, Stroh. Selten hat ein vormals durch politische Pamphlete auffällig gewordener Autorenfilmer so enthusiastisch seine Zähne so tief und großbudgetiert ins Exploitationkino geschlagen. Exzess pur, völlig unfassbar, ein Freudenfest des Fleischlichen, Absurden, Drastischen und der Rundum-Beleidigungen, jedoch – man kann dem Film das kaum hoch genug anrechnen – nie getrübt von tatsächlichen Zoten oder postmoderner Ironie.
29.01.2012
Gothic [2]
(Ken Russell, GB 1987) – 9/10 (22), Kino (35mm)*
Ein Film, eigentlich schon an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, ein letzter Versuch der Selbstverschwendung und Hysterie im Angesicht der großen, lähmenden Programmkino-Beruhigung, wunderschön und weit stimmiger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Wunderbare Musik auch, von Thomas Dolby.
Die Küken kommen
(Eckhart Schmidt, BRD 1985) – 7/10 (16), VHS
Taifun der Zärtlichkeit / The Story of the Dolls
(Hubert Frank, BRD/Philippinen 1984) – 7/10 (16), VHS
28.01.2012
Nightmares Come at Night / Les cauchemars naissent la nuit [2]
(Jess Franco, Frankreich/Lichtenstein/BRD 1970) – 11/10 (28), DVD
NIGHTMARES COME AT NIGHT (Jess Franco, 1970), der Eröffnungsfilm des 5. außerordentlichen Filmkongresses des Hofbauer-Kommandos, hat mich, Jahre nachdem ich ihn zum ersten Mal sah, völlig überrollt und ausgezehrt. Nur wenige Filme sind so nah an meinem persönlichen Ideal von Kino, von Filmemachen, wenige Filme halte ich für wichtiger und vollkommener wie diesen, wenige Filme, etwa auch EUGENIE DE SADE (ebenfalls 1970) können mich mit ihrer Brillanz so entkräften und hilflos dem Wunder auf der Leinwand huldigen lassen. Ultrakunst, if it ever was. Gefolgt (s. o.) von Hubert Franks TAIFUN DER ZÄRTLICHKEIT (1984) und Eckhart Schmidts DIE KÜKEN KOMMEN (1985), in dem es einen tristen Tanz in einer leeren Disco zu Modern Talkings „Cheri Cheri Lady“ zu bestaunen gibt – neben endlosen weiteren Folgen irrsinniger Momente des Unsinns, die man durchlitten haben muss, um es zu fassen.
27.01.2012
Flesh Target: Rape / Niku no hyoteki: Ubau!!
(Yukihiro Sawada, Japan 1979) – 8/10 (21), VHS [falsches Bildformat]
25.01.2012
Tang Ching – Furien am gelben Fluss / Long e jian
(Wu Ma, Hongkong 1971) – 9/10 (22), Kino (35mm)* [rotstichige Kopie]
*****
ZIEMLICH BESTE FREUNDE läuft in jenem Kino, in dem ich mich aus der Not heraus als Vorführer verhure (also natürlich nicht im Kommino Nürnberg) so berauschend, dass viele keinen Platz mehr bekommen und das Foyer vor parfümierten Menschen überquillt. Sie wollen es alle. Was für ein Run. Aber ja, da menschelt es, zwischen gelähmtem Geschäftsmann und quirligem Migranten, das ist was für’s Herz, berührend, aber auch von wunderbarer Leichtigkeit, ein wunderschöner Film für einen gemeinsamen Feierabend. Mich hingegen bringt das (der Erfolg dieser Filme noch mehr als die Filme selbst) abwechselnd zum Heulen oder zum Rasen.
*****
24.01.2012
Addio, Onkel Tom / Addio zio Tom
(Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi, Italien 1971) – 9/10 (23), Kino (35mm)*
22.01.2012
A Tale of Sorrow And Sadness / Hishu monogatari
(Seijun Suzuki, Japan 1977) – 10/10 (24), DVD
Ein Film wie ein Song von Frank Zappa. Oder wie Obstsalat mit Tollkirschen. Oder Zwerge in einer Travestieshow. Oder Teletubbies für erwachsene Zyniker. Oder wie Stanley Kubrick im Vollrausch, nachdem ihm jemand seine verdammte Nüchternheit und seine Gefühlsfeindlichkeit rausgeprügelt hat. Ein Film, der mich zu einem wahren Kopfschüttelkonzert hingerissen hat, die Ultrakunst: Eine Geschichte der Sorge und Traurigkeit von Seijun Suzuki. Ich erwartete mir davon etwas Gemäßigteres und „Braveres“ als es seine berühmteren Nikkatsu-Filme der 60iger (mit denen ich, ehrlich gesagt, nie ganz warm geworden bin) waren. Fehlanzeige: Er ist noch viel, viel, viel bizarrer, burlesker und ungezogener, wild und fies, charmant und geharnischt, plastillin und glitschig, überbordend und verdreht, aber alles auf die ganz trockene Tour, unfasslich.
The Embryo Hunts in Secret / Taiji ga mitsuryô suru toki
(Kôji Wakamatsu, Japan 1966) – 9/10 (23), DVD
21.01.2012
Gemini
(Steve Scott, USA 1977) – 9/10 (22), DVD
Blasen. Ficken. Wichsen. In pechschwarzen Hinterhöfen. In pechschwarzen Billardclubs. In pechschwarzen Schlafzimmern. Schatten, Gier, Schatten, Gier, Schatten, Gier. Ein Höllenschlund öffnet sich in dieser einsamen Sex-Odyssee durch eine uendlich schwarze, deprimierende Nacht, ohne Neon, ohne Tanzen, und droht, den von Dämonen einverleibten Jack Wrangler hinabzuziehen. Pink Floyd. „Come in, number 5“, immer wieder als eisiger Hauch über diesen trostlosen, rohen 16mm-Bildern. Verzweifelter Sex, verzweifelt und vergeblich mit letzter, brutaler Kraft um Erfüllung flehend. „Put that motherfucker right back in!“. Die Hölle ruft. Eine schwarze, gespaltene Schlangenzunge entwindet sich dem großen Schwanz des namenlosen Fickers und fährt in den Lutscher. Es ist vollbracht. Am Ende des Films zieht er einem in der – schwärzer denn je ruhenden, schweigenden – Nacht cruisenden Mann, der an einer Hintertreppe in einem pechschwarzen Hinterhof lehnt, die schwarze Lederhose herunter, erkennt auf den Backen ein beinahe vergessenes Tatoo wieder und schreit vor Entsetzen.
Woman in a Box 2 / Hako no naka no onna II
(Masaru Konuma, Japan 1986) – 8/10 (20), VHSSo ähnlich stelle ich mir einen „Roman porno“ von Lamberto Bava (den ich verehre, wirklich) vor, hätte er jemals einen gemacht. Das Licht, das Licht, die Ökonomie der Bewegung! Wie Bava jr. scheint auch Konuma zu den wenigen in den 60iger / 70iger-Jahren geschulten Genrefilmern zu gehören, die aus der allumfassenden Verbilligung und ästhetischen Umstellung von B auf C in den späten 80igern tatsächliches künstlerisches (nicht kreatives, das würde in diesem Fall etwas anderes bedeuten, klingt zu „schöpferisch“) Kapital zu schlagen wussten – das rohe Filmemacherfleisch offenbart im Fall dieser beiden Regisseure erst nach der Häutung seine feinen Fasern und sein verführerisch widersprüchliches Selbstverständnis.
Was hingegen wirklich schockiert, ist in diesem Film, bzw. der japanischen DVD-Fassung die Größe der Genitalverpixelungsflächen, die hier wie riesige, blinkende Klötzchenmonster häufig das halbe Bild bedecken, überwabern und nur noch wie Eindringlinge wirken. Dann doch lieber schwarze Riesenbalken, wie sie Tatsumi Kumashiro aus Trotz besonders hart in die Bilder von WOODS ARE WET: WOMAN’S HELL geklebt hat.
20.01.2012
Rape! 13th Hour / Reipu 25-ji: Bôkan
(Yasuharu Hasebe, Japan 1977) – 8/10 (n/a), DVD [falsches Bildformat]
Village of Doom / Ushimitsu no mura
(Noboru Tanaka, Japan 1983) – 9/10 (22), DVD
19.01.2012
I Like You, I Like You Very Much / Anata-ga suki desu, dai suki desu
(Hiroyuki Oki, Japan 1994) – 8.5/10 (22), VHS
Exzesse im Folterkeller / Dabide no hoshi: Bishôjo-gari
(Norifumi Suzuki, Japan 1979) – 9/10 (22), DVD
18.01.2012
I Want Your Love
(Travis Mathews, USA 2010) – 7/10 (16), DVD
Survey Map of a Paradise Lost / Hard focus: nusumi-giki
(Hisayasu Sato, Japan 1988) – 6.5/10 (18), DVD
17.01.2012
Woods Are Wet: Woman’s Hell / Onna jigoku: mori wa nureta
(Tatsumi Kumashiro, Japan 1974) – 9/10 (23), VHS [falsches Bildformat]
Der Film mit den schwarzen Zensurbalken. De Sades JUSTINE so, wie Jess Franco ihn verfilmen hätte sollen (aber nicht hat, leider), mit Riccardo Freda als Co-Regisseur für die Spielszenen, ein erotisches Horrormärchen:
Aschenputtel im Lustwäldchen, wo die Rapunzeln peitschen und das Gehirn von Hans im Unglück beim Ar*****ck johlend verspritzt wird und sirupartig fließend, einer großen, langsam kullernden Träne gleich, Aschenputtel zum Rotkäppchen wider Willen macht. Alles in der zweiten Hälfte des Films, einer reinen Orgie im Halbdunkel, die vom torkelnden Kameramann ruhelos durchkämmt wird, eine großartige, zielstrebige Unruhe.
So, mit 30 Minuten Sex auf 30 Minuten Prolog, lässt sich die berühmte Studio-Vorgabe von „alle 10 Minuten eine Sexszene“ also auch lösen – und das ohne Unschärfen im Intimbereich! Besonders toll ist der nervös-hektisch zitternde schwarze Punkt, der in Totalen die simulierten Blowjobs verdeckt (im direkten Vergleich zu den schwarzen Rechtecken, die für die Kaschierung der simulierten Penetrationen zuständig sind).
Der schönste Kamera-Moment: Eine improvisierte Kranfahrt, die der Kameramann vornimmt, indem er – spontan oder nur verwegen? – filmend eine Treppe besteigt, rückwärts, was auch so ersichtlich ist und diesem schlingernden Moment eine irritierende, unheimliche Grundierung verleiht. Heutzutage fehlt Filmemachern nicht nur der Mut sondern alleine schon die Fantasie, um eine derartige technische Lösung in Erwägung zu ziehen.
16.01.2012
Der Bastard / I bastardi
(Duccio Tessari, Italien/Frankreich/BRD 1968) – 10/10 (24), Kino (35mm)*
15.01.2012
Serial Rapist / Jûsan-nin renzoku bôkôma
(Kôji Wakamatsu, Japan 1978) – 8/10 (n/a), DVD
White Rose Campus – Then Everybody Gets Raped / Shirobara gakuen: Soshite zen’in okasareta
(Koyu Ohara, Japan 1982) – 9/10 (22), DVD
14.01.2012
Sadistic and Masochistic
(Hideo Nakata, Japan 2000) – 8/10 (21), DVD
Rape And Death of a Housewife / Hitozuma shudan boko chishi jiken
(Noboru Tanaka, Japan 1974) – 10/10 (24), VHS [miserable Qualität]
RAPE AND DEATH OF A HOUSEWIFE hat eine der großartigsten Sexszenen der Filmgeschichte (Ehefrau + Ehemann) und eine der scheußlichsten Vergewaltigungsszenen der Filmgeschichte (Ehefrau + 3 Teenager). Außerdem den romantischsten Sex mit einer Leiche, überhaupt (Ehefrau + Ehemann). Natürlich alles in dieser Reihenfolge. Ein sprachlos machender Film, stellenweise so brennend, dass ich mich wegdrehen wollte, verwirrend zwischen verzweifelter Ausgelassenheit und in der landschaftlichen Pfanne flirrender Hitze über Feld und Fluß ausgelassener Verzweiflung changiert, inmitten einer japanischen Vorstadt-Ödnis, zwischen endlosen Feldern, eine Pfanne, in der die jungen Männer selbstverständlich nichts anderes als Muschis und Saufen im Kopf haben können und Katastrophen so alltäglich sind, dass die Menschen um sie herum eine eigene, unsichtbare Religion geschaffen haben und darüber passiv der Vertierung anheim gefallen sind. Wäre das ein Pink-Film, würde sich der Begriff „Kitchen pink“ (vom britischen „Kitchen sink“, alias „Sozialdrama“ abgeleitet) anbieten, aber es ist keiner. Was er ist: irgendwie ein Meisterwerk. Und zwar schon beinahe das dritte, dass ich von Tanaka gesehen habe. (Die anderen beiden, beinahe: NIGHT OF THE FELINES und SECRET CHRONICLE: SHE-BEAST MARKET)
13.01.2012
Wife to Be Sacrificed / Ikenie fujin
(Masaru Konuma, Japan 1974) – 9/10 (22), DVD
Shinjuku Mad / Shinjuku maddo
(Kôji Wakamatsu, Japan 1969) – 9/10 (23), DVD
12.01.2012
Malombra
(Mario Soldati, Italien 1943) – 8.5/10 (22), DVD
11.01.2012
Tatort – Freiwild
(Wolfgang Staudte, BRD 1984) – 6.5/10 (17), VHS
In Wolfgang Staudtes letztem Tatort missbraucht ein idealistischer Arzt (Armin Mueller-Stahl) Obdachlose als medizinische Versuchskaninchen, was in einem stattlichen Bodycount und unerträglichen Bildern verwahrlosten Sterbens resultiert. Sicherlich eine TV-Arbeit, mit der sich die soziale Seele Staudte sehr identifizierte. Ein trister Film von heiligem Ernst.
10.01.2012
Treibjagd / La course du lièvre à travers les champs
(Rene Clément, Frankreich/Kanada/Italien 1974) – 9/10 (23), VHS*
09.01.2012
Veruschka – Inszenierung (m)eines Körpers
(Bernd Böhm, Paul Morrissey, Deutschland 2005) – 7.5/10 (18), Kino (35mm)
07.01.2012
Haus der Lüste / Wet Rainbow
(Duddy Kane, USA 1974) – 9/10 (23), VHS*
Die wilden Engel von Hongkong / Wu Fa Wu Tian Fei Che Dang
(Chih-Hung Kuei, Hongkong 1977) – 10/10 (25), VHS* [falsches Bildformat]
DIE WILDEN ENGEL VON HONGKONG, der Film aller Filme. Der letzte Film. Der letztmögliche Film. Ein Inferno des Kinos. Ein Inferno der Kinetik. Ein Inferno der Triebe. Ein bestialisches Werk von schmerzhafter, überwältigender Schönheit und niederstreckender Energie. Ein Rausch, der Herzflattern verursacht, völlige Erschöpfung und zerfetzte Hosen. Der CITIZEN KANE des gefühlvollen Kinos.
Wir haben trotzdem noch die Courage aufgebracht, danach noch einen Film zu sehen, der hier die Fülle der Worte erhalten soll, die mir über den wilden Engeln von Hongkong versagen würden: WET RAINBOW ist neben Wes Cravens ANGELA, THE FIREWORKS WOMAN der vielleicht schönste Porno, den ich bisher gesehen habe, eine sehr entspannte, ehrliche, erstaunlich unverkrampfte und ihre Darsteller als auch Figuren empathisch respektierende, toll geschriebene, irgendwie aber gar nicht Beziehungskistige, melancholische „Pr0n-com“ (danke an Andreas für dieses „Porno-Romantikkomödie“-Kürzel), die zuerst in die weggetretenen Gesichter und innerhalb der gesamten 70 Minuten Spielzeit nur drei oder vier Mal direkt zwischen die Beine guckt. Die Inszenierung ist überhaupt erstaunlich: Dynamisch und sich häufig unprätentiöse (bisweilen surreale) räumliche Metaphern gönnend, steht die Kamera stets in den intimsten Momenten der Sexszenen plötzlich auf Distanz still, überlässt die Menschen dem Akt, der ihnen da so wichtig ist, hält sich raus und beobachtet nur die Körper in ihrer Gesamtheit, ihrer Bewegung, ihrer Interaktion – wenig finde ich erotischer, wenig vermisse ich im Porno sonst mehr, wenig lässt mich das Aussterben der Softerotik (die uns soviel Ultrakunst bescherte, bevor sie von der harten Pornographie verdrängt wurde) mehr bedauern.
Der wahnsinnig anziehende Harry Reems (ich werde zum Fan, immer mehr, spätestens seit Mac Ahlbergs BEL AMI) und die bezaubernd greifbare Georgina Spelvin spielen ein Künstler-Ehepaar, dessen spritzige Ehe ins Kriseln gerät, weil sich beide nach einer von Reems‘ Studentinnen verzehren, deswegen aber um die Beziehung fürchten und zunächst keine Annäherungsversuche wagen. Nach schockierten (und hinreißend verunsicherten, ungelenken – zum ersten Mal weckte eine lesbische Sexszene in einem Porno mein ehrliches Interesse) homoerotischen Selbstvergessenheiten von Spelvin und einem vorsichtigen Blow job für Reems in der Dunkelkammer vereinigt man sich zu dritt in einer fiebrig-expressionistisch ausgeleuchteten Mini-Orgie. Die Ehe scheint gerettet (ein Hauch von Verzweiflung lag jedoch über diesem nächtlichen Intermezzo), das Mädchen ist out of the closet und schleicht sich im Morgengrauen heimlich davon, lässt das reife Paar in schlafender Umarmung zurück. Die aufgehende, durch die Jalousie eindringende Sonne lässt ein als Dia an die Wand geworfenes Nackfoto von ihr (dass den Film auch einleitet – die Kamera schwenkt von dieser überlebensgroßen Projektion auf das sich liebende Paar Spelvin/Reems herab) im Weiß der Tapete verschwinden, verdunsten, verflüchtigen. Ende. Großartig. Jedoch, hätte ich eine 14jährige Tochter, wäre es mir recht, wenn sie so etwas zufällig sehen würde? Nicht auszudenken.
04.01.2012
Road to Nowhere
(Monte Hellman, USA 2010) – 9/10 (22), HD
02.01.2012
Arietty – Die wundersame Welt der Borger / Karigurashi no Arietty
(Hiromasa Yonebayashi, Japan/Frankreich 2010) – 9/10 (23), DVD
Klassischer Fall eines “Frauen und Männer reden”-Films. Von Breillat minimal erträglicher. Minimal.
😀 😀 😀
Für mehr Filmkritiken, die fast nur aus adjektiven bestehen!
Das ist wohl meine Zukunft. Über die Jahre hinweg sind die Adjektive immer mehr und mehr geworden und irgendwann werden Substantive, Präposizionen und Artikel wohl endgültig verschwinden. Es ist schön und traurig zugleich.
Gedankt sei dir nochmal, für deine wohlwollende Bewertung meines kleinen gialloesken Machwerks… 🙂
Sehr schöner, einfühlsamer und evokativer Kommentar zu „Das zweite Gesicht“! muss den unbedingt auch nochmal sehen. Freue mich jetzt erstmal auf „Die Sieger“.
Ich dachte, Du mochtest Alex‘ Film sehr? Hätte da jetzt deutlich mehr als 5/10 erwartet. PS: Ein Ultratext zum zweiten Gesicht!
Gegen dich musste ich ihn natürlich etwas vehementer verteidigen.
Danke für die Blumen. Schön, dass du, da du den Film, also den Graf, inzwischen gesehen hast, auch wieder einmal etwas von mir lesen konntest.;)
Übrigens hier mein Film für alle zum (nochmal) schauen: http://www.youtube.com/watch?v=OGVpALO38Mc&feature=youtu.be
„Vielleicht sind seine Filme doch “liebenswert”, mindestens aber findet man immer wieder zu ihnen zurück, wie in eine nach Urin und Bier riechende Gasse, in der Löwenzahn aus einer alten Plastikflasche wächst und ein Baumwollschlüpfer im Rinnstein vermodert.“ 🙂
Warum keine Wertung für Silent Night, Bloody Night?
Andreas und ich haben unsere Standkraft überschätzt und sind einer müdigkeitsbedingten Eintrübung anheim gefallen. Ich zumindest hatte daher nicht das Gefühl, den Film angemessen würdigen zu können (schon toll, aber teilweise war ich wirklich nicht mehr bei der Sache). Irgendwann nochmal, in ausgeschlafenem Zustand. Sehr schade, wenn man bedenkt, dass ich mich seit einem Jahr darauf vorgefreut hatte.
Na ja, für eine Bewertung in der ofdb hat’s ja trotzdem gereicht. :-)))
Zugegeben, OFDB und ET messe ich mit zweierlei Maß.
DER KOMMISSAR: SCHWARZES DREIECK:
„Sehr schade, dass ich nun schon zum zweiten Mal in Folge eine so triste Grädler-Folge erwischt habe“…?! Nein, guck mehr davon, guck mehr! Es ist so umwerfend zutreffend, was du darüber schreibst: „Die Trübsal mit ihrer dünnen Luft und ihrem Duft von muffigen Pelzmänteln in Oma-Schränken mit glasierten Spiegeltüren. (…) Heidelinde Weis: die überzeugendste Kreuzung aus braver Ehefrau und schockstarrem Kaninchen. (…) Peter Fricke: die verlässliche Intensität seiner öligen Scheinheiligkeit und entgeisterten Schmierigkeit. (…) Überwachungsstaat Ehe, Polizeiwache Nachbarn, Kinder-Spitzel, Rentner-Geheimdienst (…) Es wird dauernd “etwas” angeboten und mindestens drei Mal darauf hingewiesen, wenn die Polizisten im Begriff sind, eine Tasse Kaffee oder ein Glas Bier ungeleert stehen zu lassen. (…) Stasi-Kontrollen anhand von alltäglichen Zeitabläufen (“Er trank doch immer seinen Kaffe dort um halb vier”)“. Man sieht alles sofort wieder vor sich und will diese Filme umgehend wieder gucken. Warum, das weiß ich nicht. Weil sie keine Gefahr mehr sind? Irgendetwas an ihrem Ambiente hat etwas Geiles, oder? Aber warum?
Ich lese auch gerne das Wort „entbehrungsreich“, das du jetzt öfter verwendest. Es ist so schön widersprüchlich. Und die Frau, die die Annonce aufgegeben hat, ist lustig. „Kein Sex, kein Sport“, nur Eloquenz. Das arme, brave, coole Ding.
Ich muss Silvia zustimmen, was den KOMMISSAR betrift.
„denn nach dem Ableben der barschen Gatten trübt sich das leise Witwendasein in unnachahmlicher Reineckerscher Darstellung noch weiter ein.“
Das gilt aber doch nur für Käthe Gold, während Angela Salloker nach dem Mord an ihrem Gespons das Leben in Freiheit genießt. (Wer die Dritte im Bunde war, hab ich jetzt vergessen.) Da sind halt zwei Damen, die trotz gemeinsamen Taubenfütterns eigentlich wenig gemeinsam haben. Salloker als die weitaus intelligentere sagt ja auch dem Kommissar schon vorher (wenn ich mich recht erinnere, mit einem Anflug von Verachtung), dass Gold ihren gierigen Söhnen (neben Fricke ist auch Karl Walter Diess sehr in seinem Element) nicht widerstehen kann und diesen Wisch unterschreiben wird. Aus dieser Konstellation würde ich jetzt nicht unbedingt eine reaktionäre Gesinnung herauslesen. Der in der Tat unerquickliche BLINDE SPIELE gibt in dieser Beziehung mehr her.
Was Tressler betrifft: GELD VON TOTEN KASSIERERN ist wirklich etwas blöd und konfus, aber wie kann man denn DIE TOTE IM DORNBUSCH nicht sehen wollen? Eine Folge mit Paul Albert Krumm und Ellen Umlauf? Auch wenn Umlauf hier nicht ganz so toll ist wie in ENDE EINES TANZVERGNÜGENS (den man ja schon allein wegen Karl Michael Voglers Jackett ansehen muss). DIE KLEINE SCHUBELIK ist auch recht ordentlich (abgesehen von einer etwas blöden Kampfsporteinlage von Grabert oder Heines), mit Erni Mangold in einer interessanten Rolle, die auch Umlauf hätte spielen können.
NACKT UND KESS AM KÖNIGSSEE hört sich ja mal wieder äußerst liebenswert an. Ich fordere Auslieferung 😀
Aber Vorsicht, Vannorden, das ist wirklich keiner seiner tristen Filme, sondern etwas Schlimmeres. Er hat so eine ironische, völlig grundlose und leere Munterkeit, die Leute sind entseelt, wie aufgezogenes Blechspielzeug und machen wirklich dauernd dasselbe. Ich hab nach der Hälfte Pause gemacht, aber es hilft ja nichts, ich werd noch mal ran müssen. Und du wirst wahrscheinlich nur immer noch neugieriger, wenn man so abfällig über den Film schreibt. Christoph hat Recht, wir sind alle verloren.
Sehr schöne Zitate vom Außenseiter hast du da hinzugefügt. Wie inzwischen gewohnt, ist deine Zitatensammlung jedes Jahr von neuem von erstaunlich scharfsichtiger und handverlesener Qualität. Und natürlich danke, dass du die Links ebenfalls bereitgestellt hast!! 🙂 Da verschmerze ich dann auch gerne das Fehlen neuer STB-Einträge. 😉
Was soll das heißen? Nur, weil ich eine Woche lang nichts geschrieben habe? Zuviele Filme, wieder einmal. Du Ungeduldiger, Unersättlicher, der du bestimmt noch nicht alle jüngsten Einträge gelesen hast!;)
@ Robert:
Silvia spricht leider die enzsetzliche Wahrheit. NACKT UND KESS AM KÖNIGSSEE lässt tatsächlich über weite Strecken schmerzlich die dumpfe Tristesse vermissen. „Er hat so eine ironische, völlig grundlose und leere Munterkeit, die Leute sind entseelt, wie aufgezogenes Blechspielzeug und machen wirklich dauernd dasselbe“, präziser kann man das kaum beschreiben. Bisweilen geht zwar auch davon an sich, in dieser enzianischen Reduktion, eine eigene Radioaktivität aus (eine humoristisch gemeinte, aber vielmehr furchteinflößende, unheilvolle und sehr schön über mindestens zehn Minuten hinweg trotz Holzhammerkomik zufriedenstellend trüb ausgebreitete Wirtshausszene besticht da durchaus mit besonders verhärteten Enz-Schlüsselreizen), im Großen und Ganzen wähnt man sich jedoch trotz gewohnt starrer und symmetrischer/mittenlastiger Kadrierung erschreckend oft in einem Lederhosen-Film von Siggi Götz. Ich empfehle dir als Begleitprogramm DREI BAYERN IN BANGKOK. Einfach aus Neugierde, weil mich interessieren würde, ob sich dir angesichts dieses Infernos mechanischer und rassistischer deutscher „Lebenslust“ gleichfalls die große Faszination oder eher die profunde Abstoßung offenbart. Selbst Andreas und mir wurde seinerzeit ganz anders.
@ Manfred Polak:
Das gilt aber doch nur für Käthe Gold, während Angela Salloker nach dem Mord an ihrem Gespons das Leben in Freiheit genießt. (Wer die Dritte im Bunde war, hab ich jetzt vergessen.) Da sind halt zwei Damen, die trotz gemeinsamen Taubenfütterns eigentlich wenig gemeinsam haben.
Das ist zwar nicht falsch, aber gerade die Figur von Angela Salloker an sich ist doch eins dieser typischen, in ihrem herrischen Weiblichkeitsverlust matronenhaften Reinecker-Drachenweiber, ein furchteinflößendes, hornhäutiges Exempel wird da statuiert. Ich bezog mich allerdings – des Bewusstseins für eheliche Tristesse, das sich in der Tat durch diese Folge zieht, selbst bewusst – eher auf diese Abhängigkeit der Ehefrauen, der da immer eine Schicksalshaftigkeit, eine Selbstverständlichkeit anhaftet, die mir seltsam scheint. Zum einen blättert Reinecker da durchaus Schichten ab, die die ersten beiden Nachkriegsgenerationen schön aufgetragen hatten, zum anderen scheint er aber zu sagen: Tja, so ist das eben, kann passieren in der Ehe, da muss man durch.
Danke aber für deine Einschätzungen der beiden anderen Tressler-Episoden. Als Fan seiner Spielfilme DIE HALBSTARKEN, NOCH MINDERJÄHRIG und insbesondere SUKKUBUS – DEN TEUFEL IM LEIB war ich sehr enttäuscht von dem überaus nichtssagenden GELD VON TOTEN KASSIERERN, der durchaus diese Art von biederem, unsinnig quasselstrippigem Fernsehkrimi verkörpert, die heute leider die Norm darstellt und die man bei „Der Kommissar“ nicht allzu oft vorfindet, zumindest nicht in der ersten Hälfte der Serie (die zweite fürchte ich ein wenig, viel mehr Grädler, kaum noch Haugk oder Becker, und – die Ringelmann-Serien entwickelten alle ihre Routine, i. d. R. liegen zwischen den frühen Derrick-Folgen und denen, die 10 Jahre später entstanden, Welten.)
Ich bin übrigens auch ein heimlicher Fan von Ellen Umlauf. Leider sieht man sie nur selten in größeren Rollen, aber auch jeder einzelne ihrer Kurzauftritte ist schweres, funkelndes Kinogold. Als Schmugglerin in DIE JUNGEN AUSREISSERINNEN – SEX-ABENTEUER DEUTSCHER MÄDCHEN IN ALLER WELT, als ordinäre Bordsteinschwalbe in ICH SCHLAFE MIT MEINEM MÖRDER („Du warst mein bester Zuhälter!“), als routinierte, geheimnisvoll-bittere und runzelige „Abgelegte“ in DIE VENUSFALLE und natürlich, nicht zu vergessen, ihre den Atem stocken lassende, lüsterne Ekstase in Brynychs bereits (immer wieder von mir) erwähntem ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN.
So so, das sind also die umstrittenen Texte der vergangenen Nacht ;-), und einer schöner als der andere. Mein besonderer Liebling ist natürlich der vom 19.09., SIEBEN GEGEN ALLE. „Eine pralle, brummende Henkersmahlzeit, die aus allen Nähten und Lederschurzen platzt…der zarte, betörende Duft von Romantik und Verrücktheit… die entfesselte Grazie und naive Erotik“…
„Am Rande des Geschehens, weit weg von den Muskelbergen, gibt es auch eine Frau. Sie schaut nur ängstlich schmachtend zu. Was bleibt ihr auch anderes; diese duften, markigen Typen wissen ganz genau, dass Männer es untereinander doch am Schönsten haben. Andere Frauen würden an ihrer Stelle vielleicht eher Reißaus nehmen vor dieser vergnügten, eingeölten und pausenlos strahlend, einen ewigen Spieltrieb auslebend die Muskeln im Kampf rotieren lassenden Jungens-WG aus Wald und Arena, oder sich in einem Weinkrug versenken“: Gut gesehen, getroffen und versenkt, na klar. Ich habe es, wie sicher auch diese Frau am Rande des Films, ausgiebig beklagt, dass wir Mädchen und die Jungs aufhörten, miteinander zu spielen, nach der Kindheit, und uns trennten. Besonders den letzten langen Sommer vor der Pubertät habe ich in Erinnerung, als wäre er wie der von dir geschilderte Film gewesen. Die gleichen Kämpfe im Wald und der Arena (einem von uns niedergemachten Kornfeld) und so. Das maskuline, mega-enthusiastische Mädchen, das dieses Riesenspiel damals organisierte, unsere Regisseurin sozusagen, schleppte uns auch immer ins Kino (Western, Abenteuer-, Kriegs-, Katastrophen- und Sandalenfilme). Und dann jaulte sie vor Freude, wie ein wilder Hund. Ehre sei ihr.
So so, das sind also die umstrittenen Texte der vergangenen Nacht 😉 , und einer schöner als der andere. Mein besonderer Liebling ist natürlich der vom 19.09., SIEBEN GEGEN ALLE. “und wir wissen alle, dass Zwerge im Kino die Hohepriester des Schangels und der Burleske sind“ 🙂
Ihr beiden seid wahrscheinlich meine ergebensten Fans. Wo wäre ich mit dem Kopf bloß ohne eure tröstenden Worte?;)
Der Zwerg in SETTE CONTRO TUTTI wird ein Lieblingsschauspieler von mir werden. Ich konnte den Namen des Darstellers noch nicht ermitteln, aber Screenshots verheißen, dass er offenbar, genauso wie anscheinend die „Sieben“, auch in anderen Filmen von Michele Lupo dabei war (was für ein Versäumnis wäre das gewesen, wenn nicht). Die muss ich jetzt alle sehen. Alle.
Silvia, dieses maskuline Mädchen klingt nach einer interessanten Persönlichkeit. Gibt es sie noch? Ist sie heute auch noch so wild?
Irene. Ich habe sie vor ein paar Jahren noch mal kurz gesehen, aber leider zu kurz, um festzustellen, ob es das wilde Mädchen noch gibt. Ich hab ihr natürlich da noch mal gesagt, wie toll es war, mit ihr zu spielen. Aber es war seltsam; dieser Beginn der Pubertät war, im Nachhinein betrachtet, wie eine dieser Wegkreuzungen im Märchen. Wir mussten uns entscheiden, was wir nach der Kindheit machen wollten. Irene stürzte sich in den Sport, ich schloss mich den Mädchen an, die nach Jungen guckten und deshalb auf der Kirmes und sozialen Veranstaltungen rumhingen. Irene war das zu langweilig, mir war Sport unmöglich, so gingen unsere Wege auseinander. Sie wurde lesbisch, und ich weiß nicht, ob das in ihrer Familie und Umgebung ein Problem war, wahrscheinlich schon; sie wohnten in einem ziemlich spießigen Viertel.
Irene ähnelte, fanden wir, „Trampas“, dem strahlenden, fairen, gradlinigen Cowboy aus der damals laufenden TV-Serie „Die Leute von der Shiloh Ranch“ („The Virginian“ im Original). Die Serie haben wir natürlich auch nachgespielt. Alle Kinder lieben Filme und spielen sie nach, darüber denke ich oft nach. Bei unserem Sommerspiel, von dem ich schrieb, hätte ich mal fast im Kampf ein Auge verloren, als sich die „feindlichen Gegenparteien“ (so hieß das Spiel) gegenüberstanden und mit Gardinenstangen nacheinander warfen. Aber wir waren heiß auf dieses Spiel. Ich hatte richtig Herzklopfen abends, wenn ich daran dachte, dass wir es am nächsten Tag wieder weiter spielen würden. Es hatte auch was Sexuelles, hatte ich dir ja schon mal kurz erzählt, weil man, wenn man einen Feind im Wald oder Feld gefunden hatte, mit ihm kämpfen und ihn niederringen musste. Wenn man fair blieb, also nur die Muskeln benutzte und nicht kratzte oder biss, verlor man dabei als Mädchen oft. So lag ich manchmal unter Irenes Bruder oder einem der Nachbarjungen, und wir wussten beide nicht, was wir da machten, sagten und fühlten. Wir hatten alle Kleider an, aber trotzdem.
Kennst du/kennt ihr das Mad-Magazin eigentlich? Das war ein angesagtes Trash-Satireblatt mit vielen Comics und der Comic-Parodie eines aktuellen Films in jeder Ausgabe. „Mad“ war wichtig und machte neugierig auf die Filme. HÖLLENFAHRT DER POSEIDON war der letzte Film, den Irene, mein Bruder und ich zusammen gesehen haben. Von Audie Murphy haben wir auch einiges gesehen; den fand sie toll, aber das hab ich nicht verstanden. Und WILLARD. Aber ich verliere mich und schäme mich, so sentimental hier zu erzählen; wir befinden uns ja nicht in meiner Privatvergangenheit, sondern im offiziellen Kommentarbereich eines Filmblogs unserer Tage! 😉
Danke Silvia, für deine sentimentalen Kindheitserinnerungen. Die sind toll. Ich hätte das ewig lesen können. Du solltest mal ein Buch schreiben 😉
(Macht mir auch Mut, für meinen nächsten Text. Da wird es davon nur wimmeln. Wollte ich fast wieder einstampfen, weil ich es auch peinlich fand. Aber jetzt…)
Ich mag es auch immer, wenn Silvia ins Erzählen versinkt. Meist weine ich dann innerlich ein wenig, weil ich solche aufregenden Gruppenspiele in diesem Alter nicht miterlebt habe. Stattdessen habe ich versucht, Inseln im Bach zu bauen oder ein Teich-Biotop. Wenn ich heute gelegentlich, bei einem Spaziergang, die überwucherten Spuren meines Wirkens betrachte, überkommt mich eine seltsame Leere. Keine dieser idealistischen Unternehmungen hat wirklich zum Erfolg geführt, das ist traurig. Aber auch das Brennen, das deine Erzählungen manchmal auslösen. Diese Abenddämmerung der Jugendzeit, wie du sie beschreibst. Wenn dieses Gefühl zurückkommt, möchte man es sowohl schnell wegwischen, als auch für unbestimmte Zeit darin verweilen.
Robert, hatte ich dir nicht eins von Silvias Büchern ausgeliehen?;) Du solltest unbedingt versuchen, die Scham zu überwinden, von der du schreibst. Ich kämpfe diesbezüglich auch immer mehr mit mir, aber es muss sein. Texte, die aus der bequemen, unpersönlichen Sicherheit filmwissenschaftlicher Muster heraus schreiben, hat die Welt schließlich genug.
Oooh, was hast du wieder schöne Filme gesehen 😀 Und diese anschaulichen, Myriaden von Geisterchen herbeirufenden Sätze über sie – da möchte man sich reinlegen, wie die Rewe-Verkäuferinnen hier sagen. Du würdest vielleicht sagen, dass sie immer noch nur einen Bruchteil wiedergeben von dem, was die Filme sind. Aber dass du erstens so überdeutlich siehst, was sie sind, und du dir zweitens buchstäblich ein Bein ausreißt, um das rüberzubringen (den potenten Superstecher in dem kleinen, dreckigen und nervös rennenden Film, die benebelnde, ordinäre, liebenswerte Schmutzigkeit, die Staubsalven, den trüben Schmuddelzeitschriftencharme…)… und auch was du über DAS RELIKT schreibst oder über DER FALKE UND DER SCHNEEMANN denkst, zu denken versuchst… irgendwie ist das wie eine Zauberanstrengung – etwas sichtbar machen, das sich sonst entzieht. Ich will das auch immer, aber du bist besser.
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Lieber Christoph,
ich hoffe, Du hast nichts dagegen, wenn ich Dir hier antworte, da ich im Moment nicht bei Filmforen unterwegs bin. 🙂
Ich danke Dir sehr für Deine/Eure Einladung und fühle mich geehrt, halte ich euch doch für eine der Speerspitzen im deutschsprachigen Internet. Eure Träume lassen den Glauben wahr werden, das Kino als Ort der Verzauberung nicht tot ist.
Zurzeit befinde ich mich jedoch in einer Neuorientierung. Ich werde Vater, werde meine Wirkstätte von Saarbrücken nach Hamburg und dann eventuell Berlin verlegen und werde mich selbständig machen, weg aus der Forschung, hin zur eigenen Praxis. Das, und meine Frau, nimmt mich im Moment sehr in Anspruch.
Trotzdem möchte ich euch danken, dass ihr der Meinung seid, dass ich es Wert bin. Das gibt mir Kraft und gibt mir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
Seid lieb gegrüßt!
Das ist natürlich kein Problem, auch wenn ich dir bei Filmforen vermutlich sogar etwas früher geantwortet hätte, da ich selbst Eskalierende Träume ebenfalls über die letzten zwei Wochen hinweg vernachlässigt habe.
Unter diesen Vorraussetzungen ist es nur verständlich, dass du nicht einfach nebenbei einen Abstecher ins ferne, ferne Nürnberg machen möchtest. Ich wünsche dir, dass deine große Verpflanzung und diese vielen extremen Veränderungen ohne allzuviele Turbulenzen über die Bühne geht (tun sie erfahrungsgemäß nie, aber ich wünsche es dir nichtsdestotrotz) – und das wir uns irgendwann vielleicht doch noch einmal in persona begegnen. Wir werden dich auf jeden Fall weiterhin einladen.
Und vielen Dank für die großen Komplimente, das haben wir alles gar nicht verdient. Welcher Weg ist schon der „richtige“? Das amüsiert mich beinahe etwas. 😉
Also wirklich, Christoph, wie kannst du nur MARCO DER UNBEZWINGBARE vernichten und dann diese reizenden, Zärtlichkeit für ihn weckenden Dinge über ihn schreiben. Es muss eine dunkle Stunde gewesen sein, in der ein böser und scheinheiliger Dämon dich ritt, einen anscheinend so niedlichen, aufreizend kindlichen, authentischen Primitivfilm 🙂 so zu behandeln. Ich hoffe, der Kleine lässt sich wiederbeleben.
Ich würde sagen, dass sich daran abzeichnet, in welchem Cine-Himmelreich ich normalerweise schwebe, dass ich einem Film, über den ich solche Dinge schreiben kann, nur 6 von 10 Punkten verpasse und ihn dann als Gehirnzellenmassenvernichtungswaffe abstrafe. Ich kann dich beim Kongress sehr gerne mit Sandalenfilmen eindecken, Sivia – mit etwas Glück habe ich bis dahin auch den unbezwingbaren Marco aus dem Mülleimer gefischt.
Schön machst du das, das Schreiben über TRIBUN UND VERSCHWÖRER. Ich bin neugierig, ob ich die Sandalen- und Muskelmannfilme auch heute noch so gern haben kann, dass ich so gut darüber schreiben kann. Bald krieg ich ja welche. Aber wahrscheinlich bist du nicht zu toppen. Deine anderen neuen Texte hab ich noch nicht gelesen. Aber bald.
@ Christoph
Ich meinte natürlich nicht DEN richtigen Weg, sondern MEINEN richtigen Weg. Der Weg, der offensichtlich für mich der richtige ist. 😉
Natürlich. Ich hatte nur einen geistesabwesenden Moment zu lange darüber nachgedacht und plötzlich lagen viele richtige Wege vor meinem geistigen Auge. 😉
Ja, wenn man jung ist hat man noch die Auswahl. Deren Zahl nimmt leider mit dem Alter ab. Bei diversen habe ich auch erkannt, dass die wohl gar nicht so richtig gewesen wären. Hinterher ist man immer schlauer. Aber was rede ich? So alt bin ich auch noch nicht. Nur faul! 🙂
Ich habe Deine Film Kritiken erst jetzt entdeckt und bin begeistert -sehr liebevoll und fachkundig -für Freaks reichlich gute Hinweise – weil objektiv-nicht wertend und sehr ambitioniert –
Vielen Dank
eckehard
Auch, wenn „objektiv-nicht wertend“ und „ambitioniert“ für mich nicht nach meinen eigenen Texten klingt – ich freue mich immer, wenn sie anregend sind. 🙂