Im Kino gewesen, geweint



 

Ein paar Betrachtungen und Hinweise zu den Filmen von Rudolf Thome

 

Rudolf Thome ist für mich der vielleicht größte deutsche Filmemacher. Nicht weil er große Filme im üblichen Sinne macht, das heißt mit viel Geld, in großen Studios mit großen Bauten, mit viel Tam Tam und überdimensioniertem Werbeaufwand. Seine Filme sind eher still, in sich gekehrt – kleine Gesten, statt viel Gerede. Präzise. Das widerspricht sich eben nicht, das Große und das Kleine, oder besser gesagt: im Unscheinbaren steckt manchmal das ganz Große, wie vielleicht Helmut Käutner es ausgedrückt hätte.


Beim letzten Film den ich von Thome gesehen habe, Pink (2008) – übrigens im Kino auf der großen Leinwand – habe ich geweint. Daher u.a. der Titel meines Beitrags. Denn entgegen der landläufigen Meinung unter Thome-Fans (von denen es übrigens viele gibt – allein in meinem Freundeskreis sind es mindestens drei), sind seine Filme nicht vorwiegend heiter und lebensbejahend, sondern oft zutiefst traurig. Lebensbejahend vielleicht im Nachhinein, im Trotzdem, in der Tatsache, dass Thome nicht aufhört, regelmäßig weiter Filme zu drehen. Doch wenn ich an Rote Sonne (1970) denke, an Detektive (1968), an System ohne Schatten (1983), Just Married (1997), oder Pink (2008), ist es tiefe Melancholie die diese Filme durchdringt. Eine Verzweiflung am Zustand der Welt, an sich, an seiner Umgebung. Existenziell könnte man das nennen. Aber diese Verzweiflung ist viel zu direkt, viel zu stark, viel zu ehrlich, um sie mit solch einem bedeutungsschwangeren Adjektiv zu beladen. Thomes Filme sind nämlich auch Märchen. Und wie im Märchen, das voller Klischees, voller Stereotypen, voller altbekannter Tricks und Wendungen steckt, geht es noch um etwas ganz anderes als die Realität. Der Schrecken des Traumes gibt Kraft für das Leben. Die Hoffnung, das ist bei Thome vielleicht das Kino, also das was die Protagonisten zu erschaffen versuchen, und das was Thome ständig erschafft. Auf der Leinwand. In der Dunkelheit. Zaubern mit Licht.

Er hat inzwischen auch einen eigenen Blog. Eigentlich nichts Neues, denn er äußert sich schon lange über das Internet: seine alte Webseite stammt noch aus den 90ern. Nur die letzten Jahre, wird es immer mehr und immer regelmäßiger. Seine Filme schreibt er zwar auch schon seit längerem selbst, aber die Leidenschaft fürs Schreiben gabs vielleicht schon vor dem Filmemachen. Früher war er ja Filmkritiker. Und ebenso leidenschaftlich wie als Filmemacher. Ein Überzeugungstäter also. Neben seiner Website, hat er aber auch einen Youtube-Kanal. Man kann also einerseits über den Entstehungsprozess seiner Filme lesen, andererseits Auschnitte, Werbematerialien und Interviews aus, für und zu seinen Filmen ansehen.

Wie man an den vielen bisherigen Links erkennen kann, war einer der Hauptgründe für diesen Text, auf Rudolf Thomes vielfältige Präsenz im Internet aufmerksam zu machen. Einen Liebesbrief gibt es später einmal. Dies soll einfach nur ein bescheidener Beitrag in Richtung größerer Wertschätzung und Wahrnehmung sein. Werbung sozusagen. Aus Überzeugung. Wer nämlich nicht das Glück hat, mehrere Filme auf DVD (inzwischen hier, hier, und hier erschienen), oder aufgenommen aus dem Fernsehen (bei mir noch auf VHS) zu besitzen, der kann sich einen Einblick über das Internet verschaffen. Und zwar einen vergleichbar umfangreichen.

Den Trailer zu meinem bisherigen Lieblingsfilm von Thome, Frau fährt, Mann schläft (2003) kann man z.B. hier betrachten. Ich liebe diesen Film, und halte ihn sogar für besser als sein Vorbild. Wie Hanellore Elsner hier spielt, wie sie sich bewegt, wie sie spricht und schreit, ist wahre Kinomagie. Thome inszeniert seine Schauspielerinnen meistens großartig, aber hier wird es fast zu enem kleinen Wunder. Des weiteren empfehle ich über seinen Kanal auch Auszüge aus seinen frühen Kurzfilmen, z.B. (was für ein großartiger Titel:) Jane erschießt John, weil er sie mit Ann betrügt. Eigentlich sollte man ihn auf großer Leinwand in der ganzen Pracht des Cinemascopebildes genießen, aber wo bekommt man heutzutage im Kino noch Kurzfilme zu Gesicht? Dennoch mekt man auch am Bild vor dem Monitor, was Thome meint, wenn er über seinen Darsteller Marquard Bohm schreibt: „Wie Marquard Bohm den Pelzmantel bezahlt, hat mir so gefallen, dass er in meinem ersten Spielfilm die Hauptrolle spielen musste.“ Aus seinen seltener und schwieriger zu sehenden Filmen aus den 70er Jahren gibt es ebenfalls Ausschnitte: Supergirl (1971), Fremde Stadt (1972), Made in Germany und USA (1974), Tagebuch (1975), Beschreibung einer Insel (1978). Diese Schaffensphase (für mich vom Gefühl her durch seine Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Karin Thome geprägt), die auch essayistisch-Dokumentarisches umfasst, ist mir noch unerschlossen. Daher bin ich umso dankbarer für die Clips. Karin Thome hat übrigens auch selbst Filme gemacht, und war vor Thome (das nur nebenbei) mit einem inzwischen in Vergessenheit geratenen Regisseur verheiratet. Wie die Werke der meisten Filmemacher weiblichen Geschlechts, sind ihre Arbeiten äußerst unbekannt.

Fast noch erfreulicher als die Ausschnitte aus seinen Filmen sind für mich jedoch die inzwischen ebenso zahlreich hochgeladenen Drehberichte zu seinem Schaffen. Ja, es gibt und gab sie wirklich. Ausführliche Dokumentationen, zum Teil in Spielfilmlänge, zu lebenden deutschen Filmkünstlern. Kaum zu glauben, oder? Ich denke, wenn heutzutage jemand versuchte etwas Vergleichbares über sagen wir mal Dominik Graf oder Angela Schanelec bei den Öffentlich-Rechtlichen finanziert zu bekommen, er würde wahrscheinlich ausgelacht… Zu sehen gibt es über Thome mehrere Reportagen und Filmsendungen sowie in vollständiger Länge ein Porträt von Stefan Dutt und Peter Hornung aus den frühen 80ern, und vor allem den großartigen Film is a Battleground (1998) von Petra Seeger über die Dreharbeiten zu Just Married und Tigerstreifenbaby sucht Tarzan (1997). Das letzte, gerade einmal vorige Woche eingestellte Video, zeigt Thome Mitte der 90er bei einem wunderbar entspannten Fernsehinterview anlässlich des 25jährigen Jubiläums von Rote Sonne.

Der Glücksfall, dass ein Filmemacher auch die Rechte an seinen Filmen besitzt, ist bei Thome durch seine Produzententätigkeit gegeben. Man kann daher wohl bei ihm persönlich anfragen, wenn es um die Verfügbarkeit der meisten Kopien geht, und könnte dadurch wohl ziemlich einfach eine Retrospektive oder zumindest eine Werkschau seiner Filme auf die Beine stellen. Wann dies in Deutschland zuletzt passiert ist weiß ich leider nicht. Ich hoffe aber sehr, dass es schon des öfteren versucht wurde. Nichtsdestotrotz wird es langsam wieder einmal Zeit dafür. Im Notfall muss man sich selbst darum kümmern. Also schreibt alle eure Kommunalen Kinos und Kinematheken an, und fordert: mehr Thome!

Im Grunde warte ich zur Zeit aber immer noch auf das erste Buch über Thome, vom Schüren Verlag schon seit einer halben Ewigkeit angekündigt, aber immer noch nicht erschienen. Wenn Klaus Lemke und Eckhart Schmidt entsprechende Würdigungen bekommen haben, sollte so ein Unterfangen ja auch bei Thome gelingen. Bis es endlich soweit ist, kann man sich zumindest mit Heft Nr.66 der Freunde der deutschen Kinemathek über Wasser halten, oder darüber sinnieren, wie eine Studie zum Münchner Filmschaffen der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts aussehen könnte. Oder einfach weiterhin Thomes Filme schauen – und natürlich seinen Blog lesen. Da erfährt man nämlich bereits alles über seinen neuesten Film.

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, März 18th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Filmschaffende, Hinweise, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Im Kino gewesen, geweint”

  1. Breuersbrock on März 18th, 2010 at 15:56

    Im Kino gewesen – geweint. Den Satz kenn´ ich von Kinobesitzern, die Thomé-Filme spielen. Sie sagen ihn beim Blick in die leeren Zuschauerreihen. – Leider, aber eine Tatsache.

  2. Tanja on März 18th, 2010 at 18:55

    Eine Liebeserklärung kommt noch? – Ich warte gespannt darauf, denn schon in diesem „Werbe-Beitrag“ schwingt ziemlich viel davon mit. Schön geschrieben, vor allem die Einleitung zur eigentlichen Werbung.
    Bis jetzt kenne ich nur deinen Liebling „Frau fährt, Mann schläft“, der auch mich absolut begeistert hat. Bei einem anderen („Das Mikroskop“) habe ich nach einer halben Stunde aufgegeben, weil ich rein gar nichts damit anfangen konnte. Aber dein Beitrag hat mich erinnert, dass ich unbedingt mehr sehen will (vor allem „Pink“ – schließlich begrüßt mich das Plakat mehrmals täglich). Mal mit Alex reden – und dann wünsch ich mir einen ausführlichen Text von dir zu „Frau fährt, Mann schläft“.

    Lieben Gruß
    Tanja

  3. Alexander Schmidt on März 19th, 2010 at 11:47

    Dein Text macht mir wirklich Lust auf mehr Thome! Ich kenne bisher nur „Rote Sonne“ und „Pink“. Beide haben mir sehr gut gefallen, aber bisher ist der zündende Funke der Totalbegeisterung, der dich und einige andere von uns entflammt hat, leider noch nicht auf mich übergesprungen… aber das kann ja (hoffentlich) noch kommen…

  4. Sano on März 23rd, 2010 at 00:21

    @Breuersbrock

    Ja, wirklich schade, dass seine Film kein größeres Pulikum anziehen. Aber das ist eben Deutschland… welcher bedeutende deutsche Filmemacher (und davon gibte es meiner Meinung nach einige) zieht hierzulande schon die Zuschauer ins Kino? Thomes 60er Jahre Filme hatten ihren Finger am Puls der Zeit, was damals aber wohl nicht sofort erkannt worden ist, und die Filme mit Hannelore Elsner (vor allem Rot und Blau, und Frau fährt, Mann schläft) hatten meiner Meinung nach ebenfalls ein Zuschauerpotential dass nicht ausgeschöpt wurde(liegts am Verleih?). Aber ich denke die Filme von Thome sind in ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit und Koketerie wohl zu anstrengend und unspektakulär für den „Durchschnittskinogänger“. Wären wir in Frankreich, hätte Thome, zumindet aufgrund seiner Produktivität, wahrscheinlich den Status der anerkannten „Nouvelle Vague“ Regisseure (denn auch da gibt es, was oft vergessen wird, Vergessene).
    Aber im Endeffekt: was sind Zuschauerzahlen schon wert? Natürlich will jeder Filmemacher ein möglichst breites Publikum. Aber lieber ein enthusiastisches kleineres Publikum als gar keines. Insofern finde ich fehlt Thome in seiner langen Karriere nur eines: der (längere) Publikumserfolg. Und dieser eine Faktor soll nun irgendeinen Wert haben? Das bestreite ich! Solange seine Filme beeindrucken und er davon Leben kann, sehe ich keine wirklichen Probleme. Und Pink war für mich der beste deutsche Film, den ich letztes Jahr sehen durfte!

    @Tanja

    Schön dass du dich hier auch mal zu Wort meldest! 🙂
    Ja, zu Thome habe ich eigentlich schon lange einiges in der Mache. Aber wie so oft bei Sachen die einem wirklich wichtig sind: Der Anspruch ist zu hoch, und ich kann es schwer vollenden. Bei den Filmemachern die ich besonders bewundere, ringe ich mich immer sehr schwer zu fertigen Texten durch. Mein kleiner Text zu Wakamatsu war ein Anfang, und dieser spontan entstandene Text ein kleiner Befreiungsschlag. Ein weiterer (und ausführlicherer) Beitrag zu Thome wird aber früher oder später sicher erscheinen. Und kürzeres sowieso. Kannst dich also in Zukunft noch über mehr zu Thome freuen.
    Und das Plakat für Pink ist wirklich schön geworden. Hätte ich nicht schon ein handsigniertes Exemplar von „Frau fährt, Mann schläft“ oder auch einfach mehr Platz, würde es sicherlich auch bei mir hängen. Bin schon etwas neidisch darauf, dass du es täglich bewundern kannst. 😉
    Zu Frau fährt, Mann schläft wird es zumindest in der deutschen Reihe einen kleinen Beitrag von mir geben – falls mir keiner von den enthusiastischen Mitautoren zuvorkommt.

    @Alex Schmidt

    Mach einfach weiter so. 😉
    Ich denke, ich habe Thome für mich einfach zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Film für mich entdeckt. Er ist aber auch einer der Regisseure, dessen Filme mit wiederholter Beschäftigung immer besser werden. Von daher bin ich zuversichtlich, dass der Funke sich weiter ausbreitet.

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