Filmfest München 2011: Listen- und Awards-Nachschlag





Zum Abschluss meinerseits noch mal eine ordentliche Extrawurst (die eigentlich nur als kleines Extrawürstchen geplant war, aber irgendwie sind die begleitenden Ausführungen dann doch wieder viel länger als gedacht geworden), nämlich ein abschließendes Ranking von allen gesehenen Filmfest-München-Filmen, womit dann auch diejenigen Filme erfasst wären, die bislang in der Vorschau und den Kurzkommentare-Beiträgen Nummer 1, Nummer 2 und Nummer 3 nicht zur Sprache kamen. Eine Wertungstabelle mit mehreren ET-Autoren wie letztes Jahr wird es diesmal dagegen nicht geben, weil leider Alex P. dieses Jahr unmittelbar vor der Anreise seine Festivalteilnahme unglücklicherweise absagen musste, und ansonsten Marian zwar noch in den ersten und letzten Tagen dabei war, jedoch nur bei vereinzelten Filmen.
Christoph wiederum hat sich zwar zusammen mit mir die komplette Woche Festivalexzess gegeben, wird aber früher oder später noch einen eigenen Festivalrückblick posten, dem er hier nicht vorgreifen will. Zudem wäre eine Wertungstabelle nur mit uns beiden eher witzlos, weil wir uns diesmal (im Gegensatz zu einigen handfesten Kontroversen letztes Jahr) dann doch in den allermeisten Fällen weitgehend oder gar gänzlich einig waren, Ausnahmen bildeten da im Wesentlichen eigentlich nur die neuen Filme von Hong Sang-soo und Álex de la Iglesia, die wir mit jeweils vertauschten Rollen doch entschieden unterschiedlich wahrnahmen, und vielleicht in geringerem Maße noch TYRANNOSAUR (wo ich die allgemeine Begeisterung nicht recht nachvollziehen kann, abgesehen davon, dass mir Figur und Milieu manchmal etwas ausgestellt schienen, fand ich die Läuterungsgeschichte arg in konventionellen dramaturgischen Strukturen verhaftet). Daher umso bedauerlicher, dass Alex P. nicht dabei sein konnte und hier vielleicht noch etwas kontroverse Würze in die ET-Filmeinschätzungen hinein gebracht hätte.

Obwohl der eher knapp kalkulierte Schlaf auch noch durch zu frühes Aufwachen an einigen Tagen reduziert wurde, hielten sich die Folgen weitgehend in Grenzen und nur bei drei Filmen fühlte ich mich durch akute Müdigkeit beeinträchtigt: bei GUILTY OF ROMANCE und MERCADO DE FUTUROS war es noch verkraftbar und schadete den Filmen lediglich gegen Ende etwas, bei TRUCE allerdings verhinderte die abgeschlaffte Verfassung dann wohl doch den Zugang zum Film, den schaue ich mir bei nächster Gelegenheit lieber nochmal komplett an.



Anknüpfend an die allgemeine Tendenz zu immer mehr Preisverleihungen (und weil man manche Dinge am besten mit ihren eigenen Mitteln schlägt bzw. sich ihrer bedient), werden zunächst noch drei Awards an jeweils drei Filme vergeben. Neben dem bereits etablierten Preis des Hofbauer-Kommandos wird mit den anderen beiden Preisen den technischen und photographischen Umwälzungen im gegenwärtigen Kino Rechnung getragen und besondere Leistungen sowohl an den Fronten des analogen als auch des digitalen Kinos gewürdigt.
Waren meine letztjährigen Filmfest- (und ebenso meine Jahreslisten-)Favoriten noch wie in den Vorjahren mit deutlicher Mehrheit analog, kommt es dieses Jahr zumindest bei mir offenkundig zum großen Digital-Take-Over: bereits bei der Berlinale war die Mehrheit meiner Favoriten digital, in München sind es nun ebenso satte 11 meiner 16 Favoriten des Festivals. Vor einem Jahr hätte ich das erschreckend genannt, mittlerweile sehe ich es entspannter, bin mir aber noch nicht ganz sicher, ob das meinerseits eher eine zuversichtliche oder resignative Haltung ist.
Auch wenn das Kino dabei viel zu verlieren hat und mir tendenziell das bewegte Filmkorn lieber als das statische Pixel, die natürlichen Filmfarben lieber als die künstlichen Digitalfarben sind, kommt es natürlich immer auf die konkrete Anwendung an, sagen technische Voraussetzungen schlichtweg erst einmal gar nichts darüber aus, ob sie mit einer spezifischen künstlerischen Vision im Einklang stehen – letztlich können aus dem theoretisch „schlechtesten“ Material die schönsten Filme entstehen und unter den besten Voraussetzungen die fadeste Totgeburt. Und letztlich sind mir ausdrückliche Digitalfarben, wie man sie gerade bei den kleineren und weitgehend unabhängig entstandenen Produktionen beim Filmfest größtenteils beobachten konnte, wiederum bei weitem lieber als das monotone Colorgrading und sonstige exzessive Nachbearbeitungen, mit denen man (nicht nur) in Hollywood, einer der letzten Hochburgen des 35mm-Filmens, dann die Vorzüge des Aufnahmeverfahrens zum Teil wieder ramponiert (der digitale IMPARDONNABLES markierte allerdings mit seinem extremen Orange-Grading dann gleich die Ausnahme von der Filmfest-Regel).
Erschreckend wiederum sind aber durchaus einzelne Tendenzen, es scheint z.B. ganz so, als ob nahezu alle Filmemacher aus dem Umfeld der „Berliner Schule“ sowie diverse andere jenseits des Kommerz- und Prestige-Kinos arbeitende deutsche Filmemacher innerhalb der letzten zwei Jahre allesamt auf einen Schlag von analog auf digital umgestiegen sind, wie sich auch daran ablesen lässt, dass bei der diesjährigen Auswahl in der Sektion Neue Deutsche Kinofilme nahezu überhaupt kein Film mehr analog gedreht war (laut Katalog bestenfalls zwei oder drei von 18 Filmen, das ist schon ziemlich extrem – bei den deutschen Fernsehfilmen waren es aufgrund des dort wiederum bislang noch recht weit verbreiteten Super16-Aufnahmeverfahrens paradoxerweise zwar einige mehr, dort jedoch durchweg digital gescreent).
Im Einzelnen ist das oft erst mal spannend, betrüblich an so einer umfassenden Wechselbewegung ist aber der Umstand, dass es sich in den meisten Fällen um einen Weg ohne Wiederkehr handelt, manchmal willentlich, manchmal aus äußeren Zwängen heraus. Das ist dann halt die traurige Seite der Medaille: anstatt die Ausdrucksmöglichkeiten des Kinos einfach zu erweitern, was uneingeschränkt zu begrüßen wäre, droht die „digitale Revolution“ durch die damit verbundenen massiven Verdrängungs- und Marktbereinigungs-Effekte (die sich natürlich extrem selbst verstärken, je mehr Filmemacher wechseln und damit die Herstellung und das Angebot von analogem Material verteuern und einschränken – eine Einbahnstraßen-Spirale, die bereits Super8 und klassisches 16mm in der Praxis gekillt hat und auch Super16 wohl mittelfristig den Garaus macht) gleichzeitig paradoxerweise leider auch zu einer nicht zu unterschätzenden Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten des Kinos zu führen. Dem unbestrittenen Gewinn auf der einen Seite steht ein zunehmend unwiederbringlich werdender, herber Verlust auf der anderen Seite gegenüber.
Eine kulturpessimistische grundsätzliche Ablehnung möchte ich daraus natürlich trotzdem nicht ableiten, sondern nur auf die Ambivalenz der Entwicklung hinweisen, der ich – etwas entspannter durch die nach einigen negativen Beobachtungen und Vorbehalten der letzten Jahre wiederum zuletzt eher positiven Erfahrungen – letztlich eben zugleich mit einen neugierigen und mit einem weinenden Auge gegenüber stehe. Konkret sehe ich derzeit trotzdem wenig Anlass zur Klage, und sollte es irgendwann doch ganz schlimm kommen, bleibt immer noch der Notausgang Richtung Vergangenheit, zu Kinematheken und Retrospektiven (jedenfalls, solange dort noch mit einem Mindestanspruch an Werktreue gearbeitet wird, was mittlerweile ja nun leider auch schon keine Selbstverständlichkeit mehr ist). Vorerst bin ich aber eher für die Flucht nach vorne, nicht zuletzt deshalb habe ich diesmal tatsächlich erstmals überhaupt bei einem Festival keinen Film in den Retrospektiven gesehen – eigentlich eine Sünde, die ich wohl tatsächlich nur durch ein nahezu jede Woche mehrfach besuchtes Retrospektiven-Programm im regulären Kinoangebot rechtfertigen kann. Aber das alles nur als abschweifend erläuternde und allgemeinere Ausführungen am Rande, und nun lieber zu den Preisverleihungen…



Verliehen werden folgende drei Awards an jeweils drei Preisträger…

Der Materialfetischisten-Award für besondere Verdienste hinsichtlich Erhalt, Umgang und Einsatz von klassischem Filmmaterial geht an:

LE HAVRE
PORFIRIO
CHANTRAPAS

Der Pixelforscher-Award für bemerkenswerte Verdienste im Umgang mit den Möglichkeiten des digitalen Filmemachens geht an:

PLAY
OCASO
HEADSHOTS

Der Weißblaue Isar-Sleazar, der Jury-Preis des Hofbauer-Kommandos für besondere Verdienste um den Erhalt von (durchaus sehr unterschiedlichen Formen des) Sleaze im zeitgenössischen Kino auf der „Isarmeile“ des Filmfestes geht an:

GUILTY OF ROMANCE
LAS MARIMBAS DEL INFIERNO
POLIZEIRUF 110: CASSANDRAS WARNUNG

Das Hofbauer-Kommando wohnte zwei der drei prämierten Filme in vollzähliger Formation bei und konnte dabei einen einstimmigen Beschluss fassen. Außerdem zeigt sich das Kommando sehr erfreut über auffallend viele weitere Filme, die in einzelnen Momenten überraschende Sleaze-Affinität bewiesen, und belobigt diese Tendenz ausdrücklich. TRUCE, BLACK BREAD, HEADSHOTS, BLACK FIELD und noch einige mehr wären hier zu erwähnen, und der unfassbar schmierige, sich auf den Saufgelagen des Gesinnungs-Nachwuchses herum treibende Neonazi-Funktionär aus KRIEGERIN ist eigentlich fast eine seperate Nennung wert.



Ansonsten zur Liste, wobei es sich von selbst verstehen sollte, dass die Auflistung keinerlei absoluten und apodiktischen Anspruch erhebt, sondern einzig meine subjektiven Einschätzungen widerspiegelt (man muss das gelegentlich erwähnen, weil Listen manchmal auf den ersten Blick so in Stein gemeißelt wirken und seltsamerweise gerade von Nicht-Listenfetischisten offenbar auch manchmal so aufgefasst werden, sehe das aber eher spielerisch und dynamisch, und bis zur Jahresliste mag es da auch nochmal Verschiebungen geben, die einen Filme eher mit der Zeit noch gewinnen, die anderen vielleicht etwas verlieren, wie es jetzt auch bereits in den Wochen seit dem unmittelbaren Sichtungseindruck gelegentlich der Fall war). Und obwohl ich aufgrund eines mittlerweile recht geübten Gespürs für versteckte Perlen gerade im Münchner Filmfest-Programm sowie dank der umfangreichen Vorab-Recherche, wie sie der Vorschau-Beitrag dokumentierte, tatsächlich vermute, zumindest relativ große Teile der bemerkenswerten und herausragenden Festivalfilme gesehen und viele mutmaßliche oder absehbare Gurken recht erfolgreich umschifft zu haben (entsprechend entdeckungsreich und positiv fällt die Liste aus), schiebt man natürlich trotzdem manches bewusst auf oder hat keine rechte Lust drauf, oder hat manches nicht auf der Rechnung oder vorab schlichtweg falsch eingeschätzt, wie sich früher oder später dann zeigt oder auch nicht…
Auch dank vereinzelten zusätzlichen Vorab- und Kabinen-Sichtungen habe ich aber doch einiges abgegrast und bin mit der Ausbeute im Ganzen auch ausgesprochen zufrieden (gerade wenn man sich anhand der Liste nochmal vor Augen führt, wieviele tolle Filme letztlich dabei waren, ist das schon ziemlich beeindruckend). Ein paar verpasste Filme folgen dann noch nach der eigentlichen Liste. Ansonsten ist die Liste jenseits der nummerierten Plätze auf den einzelnen Wertungsstufen jeweils sichtungschronologisch sortiert und orientiert sich nicht zwingend an den Originaltiteln, sondern der Einfachheit und des Wiedererkennungswertes halber an den offiziellen Filmfest-Titeln.

Favoriten:

1. Dad / Oča (Vlado Škafar)

2. Aita (José Maria de Orbe)
2. The Day He Arrives (Hong Sang-soo)
2. Polizeiruf 110: Cassandras Warnung (Dominik Graf)

5. American Translation (Pascal Arnold, Jean-Marc Barr)
6. Guilty of Romance (Sion Sono)
7. Black Field (Vardis Marinakis)
8. Headshots (Lawrence Tooley)
9. Michael (Markus Schleinzer)

10. Le Havre (Aki Kaurismäki)
11. Mercado de Futuros (Mercedes Álvarez)
12. Porfirio (Alejandro Landes)
13. Der Junge mit dem Fahrrad (Jean-Pierre & Luc Dardenne)
14. Play (Ruben Östlund)
15. Bonsái (Cristián Jiménez)
16. Die Räuberin (Markus Busch)

Muss ich nochmal sehen, auf jeden Fall sehr interessant:

Truce (Svetlana Proskurina)

Bemerkenswert / ziemlich stark:

Atmen (Karl Markovics)
Year Without a Summer (Chui Mui Tan)
Wasted Youth (Argyris Papadimitropoulos, Jan Vogel)
Arirang (Kim Ki-duk)
Ocaso (Théo Court)
The Journals of Musan (Park Jung-bum)
Lo que más quiero (Delfina Castagnino)
Unten Mitte Kinn (Nicolas Wackerbarth)
El Velador (Natalia Almada)
Jean Gentil (Israel Cárdenas, Laura Amelia Guzmán)
Chantrapas (Otar Iosseliani)
Las Marimbas del Infierno (Julio Hernandez Cordon)

Gelungen:

Caracremada (Lluís Galter)
Aardvark (Kitao Sakurai)
Black Bread (Agustí Villaronga)
Cold Weather (Aaron Katz)
Todo, en fin, el silencio lo ocupaba (Nicolás Pereda)
A Tiro de Piedra (Sebastián Hiriart)

Okay:

Blue Bird (Gust van den Berghe)
The Castle (Martina Parenti, Massimo D’Anolfi)
Post Mortem (Pablo Larraín)
Corman’s World (Alex Stapleton)
Corpo Celeste (Alice Rohrwacher)
Entrevista con la Tierra (Nicolás Pereda)

Mäßig:

Balada Triste de Trompeta (Álex de la Iglesia)
Pietro (Daniele Gaglianone)
Tyrannosaur (Paddy Considine)
Impardonnables (André Téchiné)

Schwach:

A Little Closer (Matthew Petock)
Sennentuntschi (Michael Steiner)
Kriegerin (David Falko Wnendt)

Bodenlos:

Confessions (Tetsuya Nakashima)
Frankfurt Coincidences (Enkelejd Lluca)

Schon letztes Jahr (v.a. Wien) gesehen, abwärts nach Wertschätzung sortiert:
Film Socialisme (Jean-Luc Godard), Meek’s Cutoff (Kelly Reichardt), El Sicario Room 164 (Gianfranco Rosi), The Sword and the Rose (João Nicolau), Civil War (Pedro Caldas), Verano de Goliat (Nicolás Pereda), The Forgotten Space (Allan Sekula, Noël Burch)

Einige Filme habe ich wegen baldigem Kinostart oder anderweitiger Verfügbarkeit ausgelassen (Mysteries of Lisbon, Blue Valentine, Angèle et Tony, Naokos Lächeln, Machete Maidens Unleashed!, Die Einsamkeit der Primzahlen, The Yellow Sea etc.)… oder wegen deutscher Einsprache (Mit erhobenen Händen)…

Leider verpasst (bewusst/wissentlich, unbekannterweise wohl noch ein paar mehr):
Bleak Night (Sung-Hyun Yoon)
Sodankylä Forever – The Century of the Cinema (Peter von Bagh)
Eternity (Sivaroj Kongsakul)
Gravity was everywhere back then (Brent Green)
Martha (Marcelino Islas Hernández)
Pequeñas Voces (Jairo Eduardo Carrillo, Oscar Andrade)
Un étrange équipage (Boris Nicot)
Cairo Exit (Hesham Issawi)
The Sky Above (Sérgio Borges)
Sentinels (Marcelo Lordello)
…und ein paar aus der deutschen Sektion (Jasmin; Fluss; Anna Pavlova)

Das war’s dann soweit von meiner Seite, und ich sehe erstmal Christophs Rückblick gespannt entgegen, wann auch immer er kommen wird. Vielleicht (und das ist nicht zuletzt an mich selbst gerichtet) spornen die diesjährigen recht ausführlichen Filmfest-München-Betrachtungen als kleiner Durchbruch des diesbezüglichen Fluches dann ja tatsächlich dazu an, es hier auch zukünftig häufiger mal mit Festivalberichten in der einen oder anderen Form zu probieren.

Dieser Beitrag wurde am Samstag, Juli 23rd, 2011 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Andreas, Blog, Blogautoren, Festivals, Listen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Filmfest München 2011: Listen- und Awards-Nachschlag”

  1. Sano on Juli 28th, 2011 at 23:31

    So, jetzt auch noch den letzten Erguß genossen. 🙂

    Schön die beiden Fetischisten-Preise (hoffentlich verleihst du die auch weiterhin), und wie immer erstaunlich die Übereinstimmung des Hofbauer-Kommandos in Sachen Sleaze. Aber vermutlich hätte sich das Kommando ansonsten wohl auch nie formiert.

    Ansonsten bleibt für mich (neben der Tatsache, dass ich es nach wie vor nicht verstehe, wie du es schaffst an 8 Tagen 60(!!) Filme zu schauen…) nur noch auf Christophs Rückblick zu hoffen, und mir ob des Sichtungspensums verwundert die Augen zu reiben, dass du dich während eines Filmfestivals in Filme wie SENNENTUNTSCHI und FRANKFURT COINCIDENCES gewagt hast. Du bist wahrlich furchtlos, Andi! %-)

  2. Andreas on Juli 29th, 2011 at 00:33

    Ja, habe durchaus vor, die Preise weiterhin zu vergeben, vor allem weil es ja wirklich ziemlich originäre Würdigungen für Dinge sind, die sonst trotz allem Prämierungsoverkill überhaupt nie irgendwie Erwähnung finden. Insofern m.E. durchaus eine sinnvolle Akzentsetzung, und – so kurios sie auf manche wirken mögen – zumindest für entsprechend Interessierte bzw. „Gleichgesinnte“ auch von einer gewissen Aussagekraft.
    Einen ersten Ansatz dazu gab’s ja schon in der gesammelten 2010er ET-Jahresliste, weil ich das rein vom visuellen Sichtungseindruck völlig berauschende Viennale-Erlebnis der Kopie von LA VIE AU RANCH (sowas schönes heutzutage noch zu sehen, gleicht einem Wunder, kennt man sonst eigentlich nur von Kinosichtungen alter Filme – eben Technicolor, 70mm und sonstige kläglich ausgestorbene Kinoerrungenschaften), sowie zweier wunderschöner normalformatiger 16mm-Filme (dieses Jahr dagegen noch gar keinen neuen 16mm-Film gesehen [Super16-Blow-Ups ausgeklammert], bei der Berlinale lief gerade mal noch ein einziger leider nicht in meinen Zeitplan gepasst habender Forum-Expanded-Kurzfilm in dem Format, in München sowieso traditionell nichts; man spürt förmlich, wie das Format in den letzten Zügen liegt und elendig krepiert – was für ein Jammer!), die ich dann halt einfach bei meiner 2010er-Liste gesondert hervorheben musste.
    Der Digitalpreis als Gegengewicht musste dann aber gerade angesichts des erwähnten „Take-Overs“ auch sein, zumal dort die Spannbreite zwischen durchdachtem, aufregenden Einsatz und schlampigem, halbgarem Billiggefilme bekanntlich noch viel größer als bei Filmmaterial ist. Und um Sleaze-Preise kümmert sich das Hofbauer-Kommando normalerweise ja in gemeinsamer Abstimmung, die hab ich in dem Fall vor allem mitaufgenommen, weil da – wie du ja auch festgestellt hast und den naheliegenden Grund schon benennst – der Tenor der Kommandanten so eindeutig war, dass es im Prinzip keiner weiteren Abklärungen bedurfte. In solchen Fällen, oder wenn schlichtweg nur ein einzelner aus dem Kommando den entsprechenden Film gesehen hat, ist das sicher gut vertretbar. Und selbst für gelegentliche eigenmächtige Entscheidungen ist im Zweifelsfall das gegenseitige Sleaze-Vertrauen groß genug. 😉

    Du hast dich übrigens verzählt, es waren „nur“ 50 Filmen – 60 wären tatsächlich selbst theoretisch wohl unmöglich gewesen. Außerdem genau genommen in zehn Tagen, ich schrieb ja, dass ein paar Vorabsichtungen dabei sind, außerdem ein Kurzfilm. Und dann noch drei vormittägliche Kabinensichtungen während uninteressanter Slots (wobei die Ausbeute da auch nicht so berauschend war [ich die wirklich interessanten Sachen aber natürlich auch nicht in so einer Behelfssituation, sondern lieber im Kinosaal anschauen wollte]: PIETRO, CASTLE und eben FRANKFURT, den ich in einem andächtigen Kinosaal wohl ohnehin nicht ertragen hätte; aber nachdem es mehrere andere gewünschte Sachen nicht gab, und ich dann sowieso in Schlockstimmung war, siegte dann doch die Neugier), dazu kamen noch zwei Slotpausen und ein späterer morgendlicher Beginn bei Christoph, und schon kommt man auf seine 39 Filme, die „netto“ also tatsächlich ziemlich nah an meiner Zahl lagen, weil wir überwiegend ja auch das gleiche gesehen haben. Und bei SENNENTUNTSCHI reizte eben der Vergleich zur Tressler-Umsetzung und außerdem Roxane Mesquida (verweise da auf RUBBER, dort ist sie aber auch erheblich schärfer). Über weite Strecken war der, auch wenn wenig zusammen gepasst hat, auch durchaus nicht ganz ununterhaltsam, nur die letzte halbe Stunde wurde es dann wirklich äußerst zäh. Und die meisten sonstigen schlimm aussehenden Sachen, von denen es natürlich durchaus eine ganze Reihe gab, habe ich dann ja doch lieber umgangen. Wie wir wissen, können gerade bei Festivals so richtig üble Fehltritte dann ja auch schnell böse Lust- und Motivationskiller sein, vor allem wenn man mehrere an einem Tag erwischt. Das Risiko muss man von Einzelfällen abgesehen dann wirklich nicht mutwillig eingehen, vor allem wenn es gleichzeitig so eine reiche Auswahl an Vielverspechendem gibt, dass einen dann auch motiviert über die Runden bringt und für die Strapazen entschädigt.

    (Und schon wieder so eine lange Antwort meinerseits… nachdem es dir aber nicht ausgiebig genug sein kann – während andere schnell eher abwinken -, geht das in dem Fall dann zum Glück wenigstens an den richtigen Adressaten :))

  3. Sano Cestnik on August 13th, 2011 at 07:39

    Alles klar, 50 wäre dann ja gerade noch somachbar. 😉 Das mit den Vorabsichtungen hatte ich aber vergessen. Und wenn ich deinen kommentar lese, klingt das alles nicht mehr so exzessiv sondern in etwa auch mir bekannt. Das lindert das Erstaunen dann doch. 🙂 Und die Sichtungskabinen hatte ich auch vergessen/ verdrängt. Die Qualität der Sichtungskopien ließ ja früher oft zu wünschen übrig (was aber wohl damals und zum Teil wahrscheinlich immer noch ein grundsätzliches Problem ist, das nichts mit München zu tun haben dürfte), wobei ich bei ordentlichen DVDs aber auch schon ein paar Entdeckungen gemacht habe, bei denen es mir dann leid tat, dass ich die Filme im Kinosaal verpasst hatte. Aber so ist für mich deine Sichtungsentscheidung von FRANKFURT COINCIDENCES zumindest im Ansatz nachvollziehbar – mich hat ja leider der Trailer schon vollständig ausgezuzelt.

    Zu Dupieuxs RUBBER hab ich in der vorletzten Ausgabe von CinemaScope ein interessantes Interview gelesen, dass mich vor allem auf seine übrigen Filme aufmerksam gemacht hat. Gibts auch online hier, und wäre eventuell was für dich: http://cinema-scope.com/wordpress/web-archive-2/issue-46/interview-the-important-element-of-no-reason-the-mad-world-of-quentin-dupieux%e2%80%99s-rubber/
    Roxane Mesquida wäre aber definitiv ein Grund einen Film zu anzusehen. Zuletzt erinnere ich mich an sie in KABOOM, wo sie – wie ich finde – eine großartige Nebenrolle hatte. Aber ob das bei mir für SENNENTUNTSCHI reicht – ich weiß ja nicht. 😉 Der Tressler muss jetzt aber irgendwann natürlich unbedingt sein. Ewige Prokrastination bringt dann irgendwann auch nicht mehr die wahre Erleuchtung.

    EDIT: Hab mir jetzt mal den Trailer angeschaut, und der Film sieht ja auf den ersten Blick nach einem Hofbauer-Kommando „Instant Classic“ aus! Oder sind das mal wieder die Schlock-, Sleaze-, und Trash-Highlights, die alle nur in den Trailer reingepackt wurden? http://www.sennentuntschi.com/d/trailer/

    PS: Ich glaube, ich werde meine langjährige Überlegung beim nächsten Festival einfach deine Filmauswahl mitzuschauen wohl endlich mal wahr werden lassen müssen. 🙂 Dem Christoph hat es ja anscheinend ein großartiges Filmfest beschert.

  4. Andreas on August 15th, 2011 at 02:15

    Klar, die Sichtungskabinen sind wirklich nur eine absolute Notlösung für besondere Fälle und Situationen. Und habe dort zudem nur Sachen gesehen, die im Festival ohnehin zumeist nur als DigiBeta o.ä. zu sehen waren und allesamt auch nicht auf Film gedreht waren, von daher war es noch vertretbar. Wobei ich oben was durcheinander gebracht habe: CASTLE war streng genommen noch am Vortag des Festivals, während ich EL VELADOR unterschlagen habe, bei dem sich die Behelfssichtung dann wiederum schon auf jeden Fall gelohnt hat.

    Danke für den Interview-Hinweis, schaue ich mir morgen mal an, jetzt habe ich gerade keine Lust. Stimmt, in KABOOM hat die Roxane auch eine tolle Rolle, aber ihr deutlich größerer Auftritt in RUBBER hat bei mir noch stärkeren Eindruck hinterlassen, zumal der Film beim letzten FFF so eine unverhoffte Überraschung war, weil man eigentlich nicht für möglich hält, dass dieser Film auf diese Art funktionieren kann, er aber so toll inszeniert und gespielt ist, dass er es gegen alle Unkenrufe doch tut. Und nein, bei SENNENTUNTSCHI überwog m.E. dann leider doch der Schlock- deutlich den Trash- und Sleaze-Anteil, und gerade unter letztgenanntem Gesichtspunkt gab es (auch wenn er da tatsächlich nicht ganz unergiebig war) dann wider Erwarten auch einfach einige deutlich spritzigere Filme in München zu sehen. Und ja, exploitet mich ruhig alle, dann muss ich mir wenigstens kein Gejammere anhören, wenn ihr aus übertriebener Autorentreue sehenden Auges in die falschen Filme rennt (Médem, ähem^^) – aber portugiesische Nonnen, thailändische Onkels oder koreanische Filmstudenten müssen dann halt auch in Kauf genommen werden 😉 (Aber zum Ausgleich gibt’s auch an ungewöhnlichen Stellen aufgespürte „ungeheure Gefühle“, wie Christoph überrascht feststellen durfte…)

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