Filmfest München 2011: Kurzkommentare (3)
Bevor sich die Kräfte endgültig dem Ende neigen, und um das Ganze nicht ewig aufzuschieben, hiermit also ein doch nochmal etwas längerer abschließender Kurzkommentare-Beitrag meinerseits, wobei sich nach einigen Film- und Sektions-Betrachtungen dann in den letzten Absätzen des Beitrags ebenfalls recht ausführlich einige grundsätzliche Worte zum Festival in Erwiderung eines Beitrages von Rüdiger Suchsland anschließen.
Zunächst noch zu einigen Filmen, wobei ich mich schon von dem Gedanken verabschiedet habe, jeden gesehenen Film irgendwie miteinzubeziehen. Nicht näher angesprochene Titel werden dann zumindest beim abschließenden Listen-Beitrag berücksichtigt.
Unbedingt einige Worte möchte ich zu AITA von José Maria de Orbe verlieren, der zu meinen absoluten Favoriten des Festivals gehörte. Ein Film über ein altes, leerstehendes Haus und seinen alten Wächter. Über dessen Gespräche mit einem örtlichen Priester, die viel über die Vergangenheit des Hauses und die Wahrnehmungen der beiden verraten. Vor allem ein Film über Licht, Schatten, Dunkelheit, und das Dazwischen, die Übergänge, die Zwischenzustände. Auch ein Geisterfilm, ein Film über die Geister der Vergangenheit. Jene Vergangenheit, die den Räumen eingeschrieben ist, und das Licht, dass sie erhellt: die Räume, die Vergangenheit und vor allem die Filmbilder. In den konzentrierten, präzisen Kompositionen ist es ein ungemein evokativer und architektonisch montierter Film, der gewissermaßen die Wände zum Sprechen bringt. Wundervoll auch seine Reflexion über den Wandel der Kinotechnik: selbst aus Kostengründen, aber in einer zuversichtlich stimmenden Weise auf HD gedreht (was mich hier sogar als „film stand-in“ überzeugt hat), dringen am Ende die von alten Nitrat-Filmkopien tatsächlich an die Wände projizierten Bilder auch in die Filmbilder ein. Wie ein unterdrücktes, verdrängtes Echo der Vergangenheit, das plötzlich sichtbar wird und sich in Form zerkratzter, nichtsdestoweniger wunderschöner alter Filmbilder in sie einschreibt, prallen hier zwei Bilderwelten aufeinander, werden die analogen und die digitalen Bilder in einen hochspannenden, komplexen Bezug zueinander gesetzt und dabei, sozusagen, für einmal miteinander versöhnt.
Es ist damit implizit nicht nur ein Film über ein sterbendes Haus und einen sterbenden Menschen, sondern auch über eine sterbende Kinotechnik (und natürlich auch über sterbende Vergangenheit, sterbende Erinnerungen, die „Geburt“ und Sichtbarmachung von materiellen und immateriellen Dingen durch verschiedene Arten von Licht, und noch vieles mehr; da kratze ich mit diesen paar Zeilen freilich nur an der Oberfläche). Für alle drei hat noch nicht die letzte Stunde geschlagen, das unausdrückliche „Sterben“ ist hier nicht als schlagartiges Ereignis zu begreifen, sondern als ein langsamer, schleichender Prozess, der aber mit der Anhäufung von Vergangenheit, mit dem Voranschreiten der Zeit und auch mit den umgebenden Entwicklungen zunehmend unausweichlich wird. Das alte Haus, der alte Mann, das alte Filmmaterial – ihr schleichender Untergang ist besiegelt, und AITA wird unter dem Licht, das er auf mich und ich auf ihn werfe, unter anderem zu einem wunderschönen, keineswegs wehklagenden, sondern sehr vielschichtig reflektierten Requiem darauf.
Ein allgemeines Festival-Phänomen, das häufig zur Sprache kommt, sind die Brücken und Verbindungen zwischen Filmen, die sich scheinbar eher willkürlich durch aufeinanderfolgende Sichtungen auftun. Manchmal sind es nur sich unvermutet ähnelnde Themen, Figuren oder Handlungsorte, manchmal ergeben sich aber auch frappierende Zufälle, etwa dann, wenn man unmittelbar nach AITA mit dem chilenischen OCASO gleich noch einen weiteren Geister-/Haus-/Film sieht. Der Geist scheint hier weniger die Vergangenheit zu sein, sondern eher der alternde Butler, der zunehmend unsichtbarer, geisterhafter in den dunklen Winkeln des Hauses und den nebligen Schleiern, die sich in der Umgebung des Hauses eingenistet haben, zu verschwinden und vom Lauf der Zeit als Relikt der Vergangenheit geschluckt zu werden droht. Ähnlich wie etwa der spanische CARACREMADA vor allem ein Film über das Warten, die voran kriechende Zeit und unterschwellige existenzielle Bedrohungen, dabei insgesamt nicht von vergleichbarem filmischen Reichtum wie AITA, aber phasenweise doch von einer beachtlichen, absorbierenden Dichte.
Eine eher unverhoffte Überraschung war MICHAEL von Markus Schleinzer, der gerade von der englischsprachigen Kritik in Cannes offenbar ziemlich unterschätzt wurde. Fast scheint es, als hätte sich Schleinzer mit klarem, nüchternem Stil die Vorzüge der Haneke-Schule zu Eigen gemacht, und sie gleichzeitig weitgehend von ihren Schattenseiten, von totalitärem Kontrollzwang, didaktischen Zurichtungen und einseitig verengten Aussagen, entschlackt. Denn so sehr der Film den Zuschauer gnadenlos in die unbequeme Täterperspektive eines Missbrauchsfalls drängt, so ist gleichzeitig für Widersprüche, befremdende Töne, irritierende Sprünge und Fragmentierungen hier durchaus viel Platz. Und allein die Entscheidung, mit welchem Song er dann diesen Film noch einmal wunderbar irritierend ausklingen lässt, ist nichts weniger als ein kleiner, provokanter, wirkungsvoller Geniestreich, der Respekt abnötigt.
Nachdem ich bereits in der Vorschau und im zweiten Kurzkommentare-Beitrag das Ganze recht Sektionen-orientiert anging, und dabei die Deutschen Kinofilme, der Fokus Fernost und einige Teile des Internationalen Programms bereits abgedeckt wurden, vielleicht auf die Schnelle noch zu drei der wichtigsten Sektionen.
Bei den American Independents erwiesen sich die wohltuend eigenwillige Blinden-Portrait-goes-Noir-Seltsamkeit AARDVARK und die drollige Meine-Freunde-und-ich-erleben-ein-aufregendes-Kriminal-Abenteuer-Skizze COLD WEATHER als durchaus gelungene Grenzgänger in Richtung Genre. Der belanglose und in seinem formalen Zugang mitunter geradezu automatisiert wirkende A LITTLE CLOSER wiederum war leider nicht gerade dazu angetan, bestehende Vorbehalte gegen Mumblecore und Indiewood zu revidieren, und hat damit auch gleich vor weiteren unbedachten US-Ausflügen abgehalten. Zugegeben: den tollen MEEK’S CUTOFF kannte ich bereits, und den sicherlich interessanten BLUE VALENTINE habe ich auf den baldigen regulären Start verschoben. Ein Versäumnis war wohl außerdem GRAVITY WAS EVERYWHERE BACK THEN, den ich irgendwie nicht auf der Rechnung hatte. Insofern verbietet sich ein pauschales Abwatschen der problemgeplagten Reihe natürlich von selbst.
Die Visiones Latinas waren auch diesmal meine am häufigsten besuchte Reihe, und auch wenn keine absolute Offenbarung dabei war, überzeugten reihenweise ausgesprochen sehenswerte Filme, ohne dass ein Ausfall dabei gewesen wäre. Im ersten Kurzkommentare-Beitrag wurden schon einige angesprochen, oben außerdem OCASO. Sehr schön war LO QUE MÁS QUIERO, beinahe so etwas Ähnliches wie die weibliche Variante von OLD JOY, nur eben über eine Frauenfreundschaft, aber wiederum ebenfalls von einer Frau inszeniert. Formal dann aber doch andere Wege einschlagend, mit insgesamt nur einer Handvoll Einstellungen, die durch das gänzlich improvisierte Spiel der Darsteller eine konzentriert beobachtete, auch atmosphärisch einnehmende, lebendige Dynamik entfalten. Stark auch die gespenstische, still trauernde dokumentarische Friedhof-des-Drogenkrieges-Annäherung EL VELADOR und die tragische Aussteiger-Geschichte JEAN GENTIL, interessant außerdem die angenehm seltsame Glückssucher-und-Einwanderer-Miniatur A TIRO DE PIEDRA. Peredas TODO, EN FIN, EL SILENCIO LO OCUPABA hat mich im angestrengten Kunstwillen und den theatralischen Posen seiner ersten Hälfte schwer genervt, um dann mit den völlig zurück genommenen, ruhigen Drehpausen- und Seteinrichtungs-Beobachtungen der zweiten Hälfte dann doch zu entschädigen. Eine sehr feine Überraschung war ganz zum Schluss die bizarre Musik-Mockumentary LAS MARIMBAS DEL INFIERNO, die ihre verschrobenen Figuren auf adäquat sonderbare Weise durch erfrischend seltsame Kompositionen wandeln lässt.
Beim Nouveau Cinéma Français kannte ich Godards exzellenten FILM SOCIALISME bereits, mit dem schon angesprochenen AMERICAN TRANSLATION war noch ein zweiter Hochkaräter im Rennen. ANGELE ET TONY habe ich auf den baldigen Kinostart verschoben, POLISSE lieber vorerst ganz gespart, und IMPARDONNABLES hatte immerhin ein paar schön schmierige kleine Altherren-Momente mit André Dussollier zu Beginn, danach allerdings nicht mehr viel zu bieten. Die ansatzweise durchaus reizvolle, vergleichsweise radikale digitale Fotografie ging durch die 35mm-Umkopierung auch ein wenig verloren.
Immerhin diesmal der einzige Fall, wo mir das etwas aufstieß, nachdem mich letztes Jahr eine auch noch unglücklich hintereinander erwischte Häufung von Weder-Fisch-noch-Fleisch-Umkopierungen doch erheblich verärgerte („Fake-Film“-Film, that often is). Diesmal dagegen auch sonst ungewohnte Zufriedenheit mit den Vorführungen im Allgemeinen, wo gerade das CinemaxX häufiger positiv überraschte und im Wesentlichen nur das Filmtheater Sendlinger Tor leider enttäuschte (durch meist ungleiche Schärfeverteilung im Bild, vor allem aber einen wirklich haarsträubenden Patzer bei CHANTRAPAS, wo es der Vorführer nach einem Bildstrichsprung allen Ernstes schaffte, nur den ganz oberen Bildteil der Open-Matte-Kopie sichtbar zu machen und damit die Untertitel unbemerkt minutenlang komplett aus dem sichtbaren Bildausschnitt zu verbannen – bei manchen Dingen weiß man wirklich nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll; dagegen erscheint die übliche Unachtsamkeit, dass hier trotz geeigneten anderen Sälen mal wieder ein 1,66:1-Film in ein Kino, das offenbar nur 1,85:1 spielen kann, gelegt wurde, fast wie eine vernachlässigbare Kleinigkeit; man muss wohl schon dankbar sein, wenn zukünftig wenigstens die ohnehin längst rar gewordenen 1,37:1-Filme in den wenigen dafür geeigneten Sälen laufen), und mit den digitalen Filmen im Speziellen, ob umkopiert oder nicht. Bedenklicher als der HD-to-35mm-Look war diesmal in Sachen (manchmal fragwürdiger, manchmal reizvoller) visueller Transformationen eher der 35mm-to-DCP-Look bei SENNENTUNTSCHI und vor allem MICHAEL, der in diesem Gewand sogar an seiner mutmaßlichen Filmmaterial-Herkunft zweifeln ließ, was wahrlich kaum im Sinne des Erfinders sein kann, auch wenn sich letztlich vielleicht nur der Purist daran stößt oder sich überhaupt damit auseinander setzt.
Alles in allem war es auf jeden Fall ein ausgesprochen gelungenes Filmfest, und ich wäre im Nachhinein tatsächlich geneigt, der Ankündigung des scheidenden Leiters Andreas Ströhl, dass diesmal „das beste Programm seit langem“ geboten sei, zuzustimmen. Gerade was die Bandbreite an sehenswerten Filmen anging, war es mit Sicherheit einer der stärksten Jahrgänge der letzten Jahre, auch wenn wie immer einiges an Geschick, Recherche, Gespür und Glück gefragt war, die Perlen auch tatsächlich aufzuspüren. Im Fazit muss ich daher aber dem grundsätzlich wegen seiner leidenschaftlichen und engagierten Texte sehr geschätzten Rüdiger Suchsland und seinen bei Artechock und Negativ geäußerten Kritikpunkten und Forderungen dann doch vehement widersprechen (und zur Vermeidung von Unklarheiten und Missverständnissen: auf jene beiden verlinkten, soweit ich das sehe weitgehend identischen Texte, bezieht sich ab hier mein gesamter nachfolgender Beitrag): gerade der bemängelte „Overkill“ und der „Gemischtwarenladen“-Charakter sind vermutlich genau die entscheidenden Dinge, die das Filmfest München als (jenseits der deutschen Filme zwangsläufiges) Nachspielfestival überhaupt erst so lohnenswert machen, und mit denen ganz gravierend auch eine Angebotsvielfalt abhanden käme, wenn tatsächlich die Forderung nach einer Halbierung der Filmanzahl umgesetzt würde. Denn man kann wohl mit gutem Grund annehmen, dass eine solche Umfangskürzung größtenteils genau die falsche Hälfte der Filme treffen würde. Übrig bleiben würde wohl genau jene völlig zu Recht kritisierte „Klüngelware“, unvermeidliche Produktionen von einflussreichen Sponsoren, und Previews von Verleih-Filmen, die ohnehin kurze Zeit später regulär im Kino zu sehen sind (in diesem Sinne ist der recht weitläufige „Overkill“ eben auch eine nicht zu unterschätzende Prävention gegen ein als Alternative lauerndes fades, fehlgeleitetes Profil).
Viele ästhetisch aufregende und seltener zu sehende Filme, wegen denen ich zum Filmfest gehe, laufen dort wiederum momentan mutmaßlich in erster Linie durch eine „Querfinanzierung“ und weil sie in der Masse des Programms quasi hinein geschmuggelt werden können, und genau diese Titel dürften dann nicht mehr zu halten sein. Großartige Filme wie DAD (OCA), AITA oder MERCADO DE FUTUROS liefen teilweise vor bestenfalls halbleeren Sälen, aber zumindest hatte ein kleines interessiertes Nischenpublikum die Chance, sie zu sehen, was womöglich nicht noch ein weiteres Mal auf einer deutschen Leinwand möglich sein wird. Und das sind nun mal leider auch Filme, für die man auch bei einer insgesamt stärker selektierten Programmauswahl keine größeren Zuschauerschichten begeistern wird können. Oder höchstens unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, mit der Folge, dass die meisten der auf solche Weise hinein gelockten Zuschauer die Vorstellung vorzeitig verlassen und damit letztlich nur den interessierten Teil der Zuschauer belästigen würden.
Es gibt schlichtweg Filme, die nur einem kleinen Kreis eingefleischter Cineasten vermittelbar sind. In dieser Nische bewegt sich in München sonst eigentlich beinahe nur Underdox, ein zweifellos großartig kuratiertes Festival mit starkem eigenem Profil, das aber aus diversen Gründen niemals in einer Filmfest-München-Größenordnung durchführbar wäre – so wünschenswert ich persönlich das auch sofort fände, aber das ist eben leider nur meine nicht mehrheitsfähige und gegenüber Finanzgebern und größerem Publikum nicht vermittelbare Privatmeinung – sondern schon als kleine Nischenveranstaltung bisweilen stark zu kämpfen hat (die Zahl der anwesenden Zuschauer bei Ben Russells großartigem LET EACH ONE GO WHERE HE MAY beim letztjährigen Underdox-Festival etwa möchte ich hier lieber gar nicht hinschreiben).
Mir leuchten jedoch auch sonst zwar einige Kritikpunkte an sich schon, aber die daraus abgeleitete Argumentation nicht ein. Ich war nie bei den Festivals von Hof und Saarbrücken, mag mir daher natürlich auch kein Urteil anmaßen, hatte aber zumindest aus der Ferne beim Durchstöbern der Programme nie den Eindruck, dort einen auch nur annähernd mit München vergleichbaren Einblick ins gegenwärtige Weltkino erhalten zu können. Beschränkt man den Vergleich auf die deutschen Filme, mögen die beiden besser kuratiert sein, die deutschen Reihen beim Filmfest waren aber jenseits ihres Prestigestatus in ihrer Gesamtheit nie künstlerische Aushängeschilder, nicht erst seit dem 2009er Eklat. Einige starke Filme kann man dort aber natürlich allein aufgrund des Umfangs meistens trotzdem entdecken. Auch hier sehe ich in der Überfülle wiederum eher Vorteile.
Die Kritik daran, dass bestimmte Publikums- und Gäste-Schichten die Filmvorführungen nur noch als Startrampe für anschließende Partys und Empfänge betrachten, kann ich schon sehr gut nachvollziehen und ist für sich genommen fraglos berechtigt. Nur hat das mit der Programmauswahl an sich erst einmal eher wenig zu tun. Wenn man den auch gelegentlich zu beobachtenden, peinlichen TV-Promi-Trubel und ähnliches einfach ignoriert, kann man alles in allem in München jedenfalls sehr entspannt einfach eine Woche lang intensiv Filme sehen (überhaupt empfinde ich München als ausgesprochen entspanntes Festival – wenn es das zu einem „Provinzfestival“ macht, ist das offenbar etwas begrüßenswertes). Und zwar in erster Linie abseits der Events und lokalen Premieren. Gerade der Umfang des Programms ermöglicht es eben erst, dass Gelegenheitsbesucher, Eventpublikum, Freunde von Themenkino, Starfans, Fremdspracheninteressierte und Cineasten gleichermaßen auf ihre Kosten kommen können, und sich die Wege dabei bestenfalls zufällig kreuzen, aber nicht zwanghaft zusammen geführt werden.
Insbesondere bei Filmen und Reihen, in die man sich normalerweise nicht bewusst verirrt, aus Einzelfallgründen aber doch mal begibt (bei mir z.B. die Fernsehfilmreihe, wenn ein Graf-Film läuft), bekommt man oft genug Gespräche anderer Filmfest-Besucher mit, von denen manche sich beispielsweise ausschließlich deutsche (Fernseh-)Filme anschauen, oder bildungsbürgerliches Publikum, das sich auf die französische Sektion fokussiert, oder ehemalige Austauschstudenten, die sich zur Auffrischung ihrer Sprachkenntnisse lateinamerikanische Filme ansehen, oder Fantasy-Filmfest-Stammpublikum, das sich asiatische Genrefilme ansieht, und dergleichen mehr. Auf einen Nenner und in die gleichen Vorstellungen bringt man solch unterschiedlich motivierte Publikumssegmente ohnehin nicht, aber eine breite Ausdifferenzierung des Programms ermöglicht eben, dass man viele von ihnen überhaupt erreicht. Und der cinephile und/oder fachliche Vielseher hat dabei ebenso den Vorteil, sich auch bei Marathonsichtungen mit einer abwechslungsreichen, großen Bandbreite von Filmen bei Laune halten zu können – auch das ein bestechender Vorteil des „Gemischtwarenladen“.
Das Filmfest dabei ausgerechnet gegen die Berlinale und deren ausufernde Nebenreihen ausspielen zu wollen, erscheint mir dann doch sehr absurd, zumal mit fragwürdigen, ungenauen Zahlen. Zum Einen ist die Berlinale nicht drei, sondern zwei Tage länger (einer davon zudem ermäßigter Kinotag mit reinen Wiederholungen). Zum Anderen zähle ich dort mit Blick auf das diesjährige Berlinale-Programm nicht „vier Reihen“, sondern – Retrospektive und Hommage ausgenommen – satte 13 Sektionen (!), wobei die Unter-Sektionen „Forum Special“, „Panorama Dokumente“, „Panorama Special“ und die Aufteilung von „Generation“ in „K+“ und „14+“ in jener Auflistung gar nicht berücksichtigt sind, sonst wären es sogar 17 Sektionen. Dazu kommen noch die Retrospektiven, wo sich beide Festivals längerfristig nicht viel nehmen: in München liefen diesmal vier – und nicht fünf – zudem jeweils recht kleine Retrospektiven (das Schweden-Special bezog sich rein aufs aktuelle Kino), und das ist auch eindeutig eine Ausnahme, normalerweise ist es eine Retrospektive sowie eine oder zwei kleine CineMerit-Award-Preisträger-Hommagen. Diese ungenauen Zahlen wären im Einzelnen freilich Petitessen, aber in der Summe ist es ein reichlich schiefer, zurechtgebogen wirkender Vergleich.
Auch den Vorwurf des mangelnden Profils kann ich eher nicht nachvollziehen. Auf das Festival als Gesamtkonstrukt mag das durchaus zutreffen, im Detail und in den einzelnen Sektionen sind wiederum aber durchaus sehr klare Profile zu erkennen, ebenso die gewünschte „kontinuierliche Pflege von Regisseuren und Länderkinematographien“, wie sie sich bei den Visiones Latinas oder dem Fokus Fernost schon seit längerem sehr positiv bemerkbar macht. Und das durchaus stärker als etwa bei der Berlinale, wo selbst noch innerhalb von Sektionen kaum ein Profil erkennbar ist, am eklatantesten im Panorama, das jedes Jahr aufs Neue einen recht willkürlich zusammen geworfenen Eindruck macht.
Sorge macht mir insgesamt eher die zunehmende Einführung von diversen Preisverleihungen (was irgendwann den entspannten Aspekt eines Nicht-Wettbewerbs-Festivals untergraben könnte) und der Umstand, dass offenbar einer der besten Programmer das Filmfest verlassen wird, was zeitlich mit dem Führungswechsel besonders ungünstig zusammen trifft. Man kann nur hoffen, dass hier keine falschen Weichenstellungen die Folge sind, „mehr Glamour“ als proklamierte Losung der neuen Leiterin verspricht jedenfalls nicht gerade besonderes Augenmerk auf filmkünstlerische Vielfalt und inhaltliches Profil, sondern im Gegenteil eher eine Verstärkung der von Rüdiger Suchsland zu Recht kritisierten Eventkultur, in der Filme die Zugabe und nicht der Mittelpunkt sind. Gerade deshalb kann aber ein Überangebot tendenziell nur begrüßt werden, weil dann zumindest *auch* genug Interessantes läuft, was sonst vielleicht keinen Platz finden würde. Einseitigkeit gibt es im normalen Multiplex- und Programmkino-Einerlei bereits mehr als genug. Und das ist wahrlich nicht das, was man sich von einem Festival erhofft.
Meinetwegen soll ruhig noch ein Osteuropa-, Nahost- oder Afrika-Schwerpunkt hinzukommen, oder eine erweiterte Midnight-Movies-Schiene, oder was auch immer. Hauptsache Overkill, Hauptsache Gemischtwarenladen! Das mag das eigene Wühlen durchs Programm nicht einfacher und übersichtlicher machen, aber wenigstens wird man dann auch dafür belohnt, weil es in der Masse eben auch viel Gutes zu entdecken gibt. Das ist mir jedenfalls allemal lieber, als eine größere Aufmerksamkeit für den einzelnen Film, die dann aber im Zweifelsfall schlichtweg den falschen Filmen zugutekommt, und dabei das ohnehin kaum Sichtbare gleich ganz in die Unsichtbarkeit, nämlich gänzlich aus dem Programm, verbannt. Und das wäre wahrhaftig keine in irgendeiner Weise zu wünschende Filmfestreform. Weil aber genau solche Dinge realistisch zu befürchten sind, halte ich – wohlgemerkt eben unter Berücksichtigung der Verhältnisse – die pauschale Forderung nach einer Verschlankung des Programms für die falsche Schlussfolgerung aus den im Einzelnen zumindest teilweise durchaus nachvollziehbaren Kritikpunkten.
Danke für die Gesamteinschätzung des Festivals bzw. die Suchsland-Replik. Ich kenne das Festival nur von Kurzbesuchen, aber das scheint mir alles sehr plausibel. (Auch und gerade der Vergleich mit der Berlinale.) Und angesichts der neuen Leiterin fürchte ich eigentlich das Schlimmste für die Entwicklung. Warum jemand wie Suchsland der in Teilen so ambitionierten Programmierung in den Rücken fällt, verstehe ich schlicht nicht.
Genau das verstehe ich eben auch nicht. Gerade in den letzten Jahren hat München da für meine Begriffe eine sehr positive Öffnung hin zu avancierteren filmischen Formen durchlaufen. Das ist mir in den letzten zwei Jahren besonders positiv aufgefallen, weil ich da jeweils in München und Wien war. Dass die Überschneidungen zwischen den beiden Festivals auffallend zugenommen haben, spricht eindeutig für die Münchner Entwicklung. Letztes Jahr liefen auf der Viennale mindestens zwei Dutzend Filme, die zuvor schon in München gezeigt wurden, und dieses Jahr liefen in München wiederum rund zwei Dutzend Filme, die letztes Jahr in Wien zu sehen waren. Und da war vom Essay- bis zum Genrefilm durchaus alles dabei. Gerade durch die nur auf den ersten Blick etwas ungewohnt anmutenden Münchner Sektions-Unterteilungen lassen sich da auch schnell Programmer-Handschriften ablesen. Und wenn man sich ansieht, welche Cannes-Filme jetzt in München in der Fernost- und der Lateinamerika-Sektion liefen, ist das eine ziemlich erlesene Auswahl (umgekehrt haben wiederum die französische und die US-Indie-Sektion dahingehend jeweils ziemlich daneben gelangt, wie ich schon in meiner etwas ausufernden Vorschau heraus zu arbeiten versucht habe). Natürlich kann man insgesamt sicher mindestens die Hälfte der rund 200 Münchner Filme vergessen. Aber was sich eben im Detail alles finden lässt, wenn man genauer hinschaut, ist schon sehr erfreulich. Man kann wirklich nur hoffen und bangen, dass die neue Leitung da nicht die falschen Hebel in Bewegung setzt und diese positive Entwicklung untergräbt…
Auch ich konnte mich, trotz meiner häufigen Wertschätzung von Suchslands Texten, beim Lesen seiner Anmerkungen nicht des Eindrucks erwehren, dass in dem an Starregisseuren und heiß erwarteten Arthouse-Hypes armen, äußerlich daher vielleicht desorientierenden Programm des diesjährigen Filmfest all diese obskuren Filme „unbeschriebener“ Filmemacher weitgehend an ihm vorbeigerauscht sein müssen, denn anders lassen sich seine Aussagen kaum zurückverfolgen zum eigentlichen Programm. Gerade die Tatsache, dass sich nur eine Handvoll Filme anhand bekannter Namen auswählen ließ (zumindest für den Cineasten, der an einer Sichtung von Filmen wie KLEINE WAHRE LÜGEN oder NAOKOS LÄCHELN im Rahmen des Filmfests sicherlich kein allzu großes Interesse gehabt haben dürfte) war für mich rückblickend eine enorm reizvolle und einigermaßen neue Erfahrung, die meiner persönlichen Wunschvorstellung vom Festival als „Plattform zum Entdecken“ sehr nahe kam. Und ich kann deine Sorge, Andreas, nur teilen – eine Schrumpfung des Programmumfangs würde mit großer Wahrscheinlichkeit darin resultieren, dass eben jene Filme, die ohnehin schon keinerlei reelle Chance auf einen deutschen (Winz-)Kinostart haben, endgültig außen vor bleiben würden. Vermutlich hat Lukas Foerster das Richtige getan, als er sich in Rotterdam OCA dreimal angesehen hat – seine Befürchtung, der Film würde danach auf unbestimmte Zeit verschwinden, ist sicherlich nicht übertrieben.
Mir liegt das ständige Seufzen, Ächzen, das Aufstehen und das den-Saal-verlassen immer noch in den Ohren (gerade auch bei OCA, dessen verletzliche Oberfläche in diesem Zusammenhang nochmal ein ganz eigenes Gefühl von Stärke gewann), aber wenn selbst die Festivals den Luxus aufgeben, dieser sturen Verweigerung des Publikums (ich bin gerade zu faul, das anders und weniger vierschrötig zu benennen) etwas entgegenzustellen, ist der Ofen endgültig aus, zumindest in Deutschland. Die Berlinale ist für mich nach der diesjährigen Erfahrung jedenfalls relativ gestorben und ich war so erleichtert, diesen Frust in München abwaschen zu können. Daher platschte der Suchsland-Text auch einigermaßen rabiat in meinen glückseligen Post-Filmfest-Fruchtwasserpool.
Wie dem auch sei – mein eigener Rückblick wird ja hoffentlich auch noch gedeihen und sich demnächst zu dem deinigen gesellen. Wunderbar, dass es wenigstens einmal geklappt hat bei uns, mit Texten frisch vom Festival.
Andi, hast Du da oben wirklich „Weltkino“ geschrieben? Auch wenn der Begriff mittlerweile selbst akademisch kolportiert wird (Bernd Kiefer), so ist er doch einer der diffusesten und sinnfreiesten aller modischen Kategorisierungsversuche.
Stichwort Kategorisierung: Habe Deine Filmfesttexte mit Interesse gelesen. Doch schon der Ausblick, also noch bevor Du Dich überhaupt auf den Weg nach München gemacht hast, war so durchsetzt von einengend konstruierten Abteilungen, denen Du die Filme meintest unterordnen zu müssen, dass ich wirklich mit dem Gedanken gespielt habe, die Schubladisierungsmutti Christoph kurzerhand zu entthronen. 🙂
(und das ist m.E. nur partiell mit der – klar, notwendigen – Verschaffung eines Überblicks zu erklären)
Gut, das „Weltkino“ hat mir Herr Knörer jetzt erstmal außerhalb erklärt, der Rest bleibt aber bestehen.
Ich dachte eigentlich, das bereits ausführlich genug erklärt zu haben. Ich versuch’s trotzdem nochmal, auch wenn’s vielleicht zu nichts führt und wir da möglicherweise auch aneinander vorbei reden. Jedenfalls: die Vorschau war ja schon in der Herangehensweise eine klare Reaktion auf vorgegebene Abteilungen. Ein Festival bietet Kategorisierungen an, und der Besucher reagiert mit Umsortierung in seine eigenen Kategorien. Tut jeder, behaupte ich, und sei’s unbewusst und unausdrücklich – und beileibe nicht nur bei Festivals. Niemand kann alles sehen, und darauf reagiert jeder zwangsläufig. Die durchs Ausformulieren plötzlich dastehende Transparenz solcher Vorgänge macht natürlich angreifbar, keine Frage. Zeigt andererseits aber immerhin auch eine Haltung. Bestimmte Strömungen und Bewegungen des Kinos finde ich unumwunden problematisch bis ablehnenswert, jedenfalls in der Tendenz. Das tangiert den einzelnen Film erstmal höchstens äußerlich, wie es auch Genrezuschreibungen (mit denen ich ja durchaus auch gerne hantiere, aber eben eher als spielerisches Hilfsmittel, nicht als strikte Einengung – eigentlich sollten da diverse Kommentare meinerseits in den letzten Monaten recht aufschlussreich gewesen sein) tun. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Jenseits des äußerlichen Zwangs zur sortierenden Handlungspraxis halte ich mich bei der konkreten Einzelrezeption aber möglichst an mein Credo „sei prinzipiell für alles offen, aber lass dir deshalb nicht jeden Scheiß gefallen“. Alles andere kommt davor oder danach, und dann meistens entweder aus gutem Grund, als notdürftiges Hilfsmittel oder auch mal nicht ganz bierernst gemeint (etwa meine exemplarischen „Publikumssegmente“-Aufzählungen, wobei manche Klischees halt auch nicht von ungefähr kommen). Das kann man selbstverständlich trotzdem auch mal fragwürdig oder doof finden. Dass aber gerade du, der bisweilen gerne mal ganze Kinematografien, Filmografien oder Filmgeschmäcker schubladisierst, damit plötzlich solche Probleme haben willst, finde ich schon etwas erstaunlich. Vielleicht nervt dich – Achtung: Schublade! – auch einfach nur das US-Indie-Bashing?! 😉
Dass ich mich bei den Rückblicken aufgrund des Sichtungsumfangs und den sonstigen im ersten Absatz des 2. Rückblick-Postings geschilderten Gründen häufig auf den Versuch, die Filme kurzerhand auf griffige Zuschreibungen und notgedrungene Etiketten zu bringen, beschränkt habe, ist sicher nicht unproblematisch und bestimmt auch keineswegs optimal gelöst. Der ausdrücklich deutlich gemachte Gesamtkontext dürfte meistens aber trotzdem klar machen, wie die eine oder andere Verkürzung letztlich gemeint ist.
Außerdem darf man ruhig mal ungewohnte Zugänge ausprobieren. Faszinierend jedenfalls, wie dich das wiederum in deinen eigenen Schubladisierungen von anderen/uns gründlich zu irritieren scheint 🙂
Mich irritiert gar nichts, es stört mich nur. 😀
Gegen den Vorwurf der Schubladisierung verwehre ich mich übrigens, das muss auf Ressentiments Deinerseits oder eine betrunkenen Fehleinschätzung (Kategorisierung :P) meiner Person beruhen. Schon gar nicht jedoch reibe ich mich an Deinen Abkanzelungsversuchen des US-Indiekinos, da ich bekanntlich selbst allergisch auf „Sundance-Filme“ oder zumindest „Pseudo-Indies“ und „Indie-Mainstream-Produktionen“ reagiere (jüngstes Beispiel: der recht blöde WINTER’S BONE). Ferner basieren Deine Anschuldigungen auf längst verlotterten Meriten meinerseits (p., m.), aber da ich schon Christoph nie werde überzeugen können (noch in fünf Jahren wird er megaüberrascht tun, wenn ich Film XY nicht p. oder m. oder sonstwas finde – ist halt leichter, es beim Abgespeichertem zu belassen -, und auch nicht müde werden, dies zu betonen [„dass ausgerechnet Du…“ ist ja quasi schon zur Standardfloskel bei ihm geworden, sehr zu meiner allmählichen Gelangweiltheit]), wird mir das bei Dir sicher auch nicht gelingen. Ist aber auch in Ordnung, mein lieber Weltkino-Andi. 😀
Dein Credo gefällt mir jedenfalls sehr gut. Das unterschreibe ich so.
Okay, das mit den Indies war natürlich eher Quatsch (wobei sich mir deine Begeisterung für die imho ziemlich kalkulierte Indie-Quirkiness namens (500) DAYS OF SUMMER wohl stärker eingebrannt hat als deine Skepsis gegenüber anderen „Pseudo-Indies“, zugegeben), ich kam auch mehr darauf, weil ich dort noch am ehesten deinen Kritikpunkt nachvollziehen könnte. Ansonsten bin ich den obigen Text jetzt nochmal ohne zu editieren durchgegangen und rätsele doch etwas, was genau du letztlich eigentlich meinst? Bei der Vorschau konnte ich es noch vage erahnen, aber frage mich dann doch, wo du beim Rückblick die ständigen Unterordnungen in Abteilungen siehst? Ich sehe – unter Berücksichtigung meiner Ausführungen der letzten Antwort (ich hangele mich halt auch schlichtweg an den Sektionen des Festivals entlang) – den großen Unterschied zu deinen Shorties z.B. schlichtweg nicht. Oder kann es sein, dass du neben „Weltkino“ auch hinter anderen Begriffen Kategorisierungsversuche vermutest, obwohl sie eigentlich nicht als solche gebräuchlich und gemeint sind? Hilf mir doch vielleicht einfach mal mit ein paar Beispielen auf die Sprünge. 🙂
Was meine „Anschuldigungen“ an dich angeht, hat das glaube ich weniger mit alten und eigentlich auch nicht mehr gegebenen Ressentiments zu tun. Ich meine da eher anderes, z.B. die indirekte gelegentliche Unterstellung, ich wäre vor (angeblich, so viele sind’s letztlich gar nicht) lauter Kunst- und Experimentalfilmen nicht mehr in der Lage, mit Erzählkino und Hollywood irgendwas anzufangen. Oder abkanzelnde pauschale Bemerkungen z.B. über Resnais oder Hofbauer. Oder solche kuriosen Begrifflichkeiten wie „Planifilme“. Oder allein der Umstand, dass du ET ewig lang einfach mal pauschal als „Prätentionsblog“ verlinkt hast. Das fällt mir nur mal auf die Schnelle ein, finde es aber – auch wenn natürlich das ein oder andere eher ironisch oder scherzhaft gemeint ist – schon ganz schön schubladig. Nicht falsch verstehen: auch wenn’s im Einzelnen mal nerven kann, finde ich das jetzt prinzipiell alles gar nicht weiter schlimm. Wie ich schon schrieb, schubladisiert zu einem gewissen Grad sowieso jeder, und manchmal kommt man gegen Schubladen nur mit Gegen-Schubladen an, wie ich selbst einsehen musste. Ich hab’s halt nur erwähnt, weil ich vor diesem Hintergrund deine wiederholten Kategorisierungs-Vorwürfe etwas seltsam fand.
Immerhin kommen wir beim Credo dann ja doch zusammen – jetzt musst du nur noch selbst einfach mehr „Weltkino“ gucken… 😀
Möchte dem zweiten Absatz stark widersprechen. Massivst stark! Nichts davon ist (mehr) wahr.
Bin aber grad zu faul. 😀
Mag sein, dass ich nicht mehr auf dem aktuellsten Stand bin und der Bären-Kurier manchmal einseitig filtert. (EDIT: und gerade, weil du aus momentaner Faulheit oder Diskussionsunlust gern mal Abkürzungen nimmst, kommt eben vielleicht auch deinerseits manches schubladiger rüber, als es dir bewusst oder von dir gemeint ist. Nur so nebenbei.) Ist wie gesagt eigentlich auch kaum der Rede wert. 😉
Schreib lieber was zum ersten Absatz! Sonst muss ich vermuten, dass das wiederum selbst nur auf Ressentiments und betrunkenen Fehleinschätzungen meiner Person deinerseits beruhte… 🙂
Ihr seid vermutlich einfach beide bei weitem nicht so schubladenfrei, wie ihr offenbar glaubt. 😀
Aber hackt nur auf einander rum, dann habe ich mal Pause und muss mir nicht dauernd anhören, um wieviel schubladiger als ihr beiden Unschuldslämmer ich doch angeblich wäre.
Du, Andi, hast zwar recht damit, dass man manchmal aus Bequemlichkeit und Masse zur sonst eher ungeliebten Schublade greift, aber dieses Recht hast du natürlich zum einen nicht für dich gepachtet (= Rajko darf auch, selbst wenn sich mir das bei ihm bisher nicht wissentlich offenbarte) und zum anderen musst du gelten lassen, wenn Rajko als – doch einigermaßen – Außenstehender einen anderen Eindruck von deinen Ergüssen (bzw. deiner Festival-Vorschau) gewinnt.
Es ist dufte, wenn ihr beiden diskutiert. Oder, wie einer der lüsternen Frauengefängniswärter in THE LOST EMPIRE es ausdrückte: „Es macht Spaß, zuzusehen.“
PS: Der Bärenkurier hat nur die volle Wahrheit gesprochen hinsichtlich einer noch nicht lang zurückliegenden Prätentionsvertrashung.
Was für ’ne Prätentionsvertrashung?
@Andi:
Auf den ersten Absatz kann ich nicht eingehen, denn dann würde ich Gefahr laufen, Dir zustimmen zu müssen. 😀
LOL. Sorry, aber was soll man denn mit einer Kritik anfangen bzw. wie sie „gelten lassen“ (wozu ich prinzipiell sicher bereit wäre, ich bin tendenziell durchaus eher zu sehr als zu wenig selbstkritisch), wenn sie offenbar nur einem diffusen Bauchgefühl entspringt, das sich beim genaueren Blick plötzlich in Luft auflöst?! Du bist ja lustig. Aber schön, dass wir darüber gesprochen haben. 😀
Nein, so ist es ja auch nicht, das ist alles viel komplizierter, Andi. Ansonsten: Was Christoph sagt.
😀
Tja, das macht es aber nicht weniger vage und hilft wenig dabei, es nachvollziehen zu können 😉 Wenn’s schriftlich so kompliziert ist, können wir es bei der nächsten Berlinale oder so ja mal im Gespräch probieren. Und, bevor sich der Bär zu sehr ans ruhige Zuschauen gewöhnt, muss ich ja schon sagen, dass ich apropos „Entthronung“ eigentlich meine gesamte Vorschau geradezu ausgesprochen moderat finde (awaiting konkrete Gegenbeispiele) im Vergleich zu dem, was Christoph da so nebenbei in den STB-Kommentaren mal schnell über Hong rausgehauen hat… 😉
Der Punkt ist einfach der, dass ich ja dazu nun noch mal alle drei Texte (und die Vorschau) erneut lesen und studieren müsste, was angesichts Deiner bekanntlich sehr kurzgehaltenen Ausführungen (:D) eine Aufgabe für die ganze Nacht wäre. 😉
Lieber persönlich. Ich will ja jetzt noch die Fliegen auf grauem Samt schauen, falls das meine Aufmerksamkeit noch zulässt.
Christophs Hong-Bash bleibt vorerst trotzdem das Polemik-Highlight des Monats. 😀
Amüsant war das mit Hong trotz aller eher albernen Rezeptions- und Rezipienten-Unterstellungen zweifellos schon… 🙂
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Und damit nach diesem halbprivaten Chat vielleicht auch wieder back on topic, um nach den ganzen abschweifenden Kommentaren dann andere Leser nicht davon abzuschrecken, sich einzuschalten. Gerade was die eingebaute Replik und überhaupt Gesamteinschätzungen des Festivals angeht. Da bin ich auch gerne zu weitergehenden Diskussionen bereit.
Vielleicht ergänzend nochmal kurz ein paar präzisierende Worte zu einem Punkt, weil man obigen Text womöglich auf den ersten Blick als generelles Plädoyer für Festivals als „Gemischtwarenläden“ auffassen könnte. Das meine ich durchaus nicht so, mir ist Vielfältigkeit zwar wichtig und erheblich lieber als Einseitigkeit, aber der Wahllosigkeit (die als Vorwurf in dem Begriff sicherlich mitschwingt) möchte ich damit natürlich nicht das Wort reden – weil Festivals immer eine kuratorische Angelegenheit sind und aufgrund Kapazitätsgrenzen immer Selektion erfordern, braucht es sicherlich Konturen. Das Fantasy Filmfest etwa zeigt mittlerweile leider recht anschaulich, wie durch den Wegfall von Schwerpunktsetzungen und Retrospektiven zunehmend auch ein Profil abhanden kommt, und dabei die vermeintliche Öffnung in Richtung Arthouse oft eher willkürlich anmutet und das Festival als Gesamtes eher im negativen Sinne zum Preview-„Gemischtwarenladen“ von Verleihern und DVD-Anbietern zu werden droht. Fairerweise muss man natürlich sagen, dass es ein kommerzielles Festival ist, für das natürlich noch einmal andere Maßstäbe gelten.
Gerade der Vergleich zwischen (jeweils geförderten) Wettbewerbs- und Nachspielfestivals macht es vielleicht deutlicher, daher nochmal kurz etwas genauer zu dem, was ich im Artikel teilweise oder implizit schon schrieb: Die Berlinale als Wettbewerbsfestival braucht ein Profil, ihr Problem ist aber eben gerade, dass nicht nur der Wettbewerb ein solches vermissen lässt, sondern auch die Nebensektionen (mittlerweile zunehmend sogar das Forum, dessen ursprüngliche starke Gegenpositionierung längst aufgeweicht ist). Wenn zusätzliche Sektionen aber in sich nicht schlüssig sind und jeweils nur immer aufs Neue kleine, recht willkürliche „Gemischtwarenläden“ sind, wird eine Ausdehnung der Sektionsbreite tendenziell sinnlos. Das (also die Wahllosigkeit innerhalb von Sektionen) ist dann freilich ein Problem und unbedingt zu hinterfragen. Mit Nachspielfestivals wie dem Filmfest München verhält es sich aber etwas anders: indem sie sich vorwiegend bei den Premieren anderer Festivals (Cannes, Venedig, Rotterdam, Sundance, Locarno etc.) bedienen, sind sie im Gesamten schon ihrer Natur nach „Gemischtwarenläden“. Wenn es sich wie das Filmfest München zudem ausdrücklich als Publikumsfestival versteht, ist es nicht nur Sponsoren- und Fördererinteressen, sondern auch einem saalfüllenden Publikumsgeschmack verpflichtet. Wenn man sich die gegenwärtige deutsche (auch und gerade Programm-/Arthouse-)Kino-Landschaft ansieht, werden entsprechende Notwendigkeiten und Tendenzen schnell sichtbar. Ich fürchte, eine wagemutigere Programmierung wird dann erst durch Ausdehnung und Ausdifferenzierung der gesamten Struktur des Festivals überhaupt möglich. Und gerade die auf den ersten Blick eher ungewöhnliche Münchner Sektionen-Orientierung an Ländern/Ländergruppen ermöglicht dann eben durchaus eine stärkere Profilierung, Handschrift und Fokussierung innerhalb von Sektionen, wie das erfreulicherweise zumindest in einigen Sektionen merklich umgesetzt wird. Ich komme da gerne immer wieder auf „Fokus Fernost“ und „Visiones Latinas“ zurück, weil sich das dort für meine Begriffe in den letzten Jahren besonders deutlich gezeigt hat, auch durch die kontinuierliche Pflege von eher marginalen Filmländern wie Chile oder Malaysia, oder von Regisseuren wie Nicolás Pereda, Brillante Mendoza oder Jia Zhang-ke. Und genau deswegen plädiere ich in diesem Fall für ein Filmfest München als üppigem „Gemischtwarenladen“ im Ganzen, damit darin eine Vielfalt und vor allem im Detail & einzelnen Sektionen ambitioniertere Profile gedeihen können. Die dahingehend erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre sollte daher m.E. unbedingt fortgesetzt, nicht aber in die Gegenrichtung (pauschale Verschlankung, die höchstwahrscheinlich einzelnen Profilen und Haltungen das Wasser abgräbt) umgelenkt werden. Das nur nochmal zur Klarstellung.
Nachdem ich nun auch den dritten Beitrag und die darauf folgenden Kommentare ausführlicher gelesen habe, beschleicht mich langsam die bohrende Vermutung, dieses Jahr möglicherweise das letzte Münchener Filmfest mit positiver Gesamttendenz verpasst zu haben. Nachdem ich die letzten beiden Jahre ja bereits nicht bzw. kaum noch da war, und ich (nicht zuletzt wegen deiner Berichterstattung, Andi 🙂 ) nächstes Jahr wohl doch versuchen werde das Festival als ganzes wieder einmal mitzunehmen, befürchte ich langsam mit dem Versprechen (der Drohung?) der neuen Filmleiterin nach „mehr Glamour“ und der für mich bisher einzig wirklich bedenklichen Tendenz nach mehr „Auszeichnungen“ und Preisen, für die Zukunft von München eine Ausrichtung die mir noch viel weniger schmecken könnte als der bisherige Gemischtwarenladen.
Würde mit all deinen Ausführungen zum Münchner Filmfest ziemlich übereinstimmen. Auch ich gehe lieber nach München als nach Berlin. Und lieber ein Gemischtwarenladen beim Nachspielfestival als ein solcher bei der „Berlinale“ (da treffen aber natürlich verschiedene Erwartungshaltungen aufeinander, und ein Provinzfestival im Sommer hat gegenüber der „umtrubelten“ Berlinale einen nicht zu unterschätzenden Entspannungsfaktor). Dennoch sehe ich ein Problem, das Suchsland anspricht nicht behoben: wie verhält es sich mit dem Festival im Hinblick auf die Kinobetreiber? Was lässt sich also gegenüber Festivalbetrieb und regulärer Kinopraxis sagen? Die These, dass den Münchner Kinos das jahr über nur noch merh Zuschauer (und vor allem Filme) abhanden kommen, halte ich für bedenkenswert. Überhaupt die Einbettung/Verstrickung des Festivals in sonstige Filmkulturelle und -politische Zusammenhänge. Wofür das ganze Geld denn nun draufgeht… hmm. Sicherlich werden von den (teilweise wohl sehr engagierten) Programmern auch immer wieder Sachen eingeschmuggelt, die es sonst nicht zu sehen gäbe. Aber das macht auch für mich teilweise den Eindruck von cineastischer Schadensbegrenzung.
Wie du sagst, sind die Kritikpunkte von Suchsland meist richtig, aber angesichts der (wahrscheinlich?) verschiedenartigen Einschätzung der allgemeinen Situation, bzw. unterschiedlicher Erwartungen in und an München gehen die Schlüsse wohl arg auseinander. Grundsätzlich fände ich deine Argumentation des „Einschmuggelns“ von Obskurem (und damit wie du meinst, oft der Qualität) langfristig problematisch: aber es geht um die Tendenz. Öffnet oder verschließt sich das Festival über einen längeren zeitraum bestimmten Tendenzen. Und wenn ich deiner bilanzierten Öffnung dem Marginalisierten und Kuratierten gegenüber glauben schenke 8was ich tue), so wäre eine Veränderung wohl momentan durchaus in der lage in dieser Hinsicht schaden anzurichten. Aber im Grunde scheint es mir fast ein wenig, als ob wir von München teilweise als dem kleineren Übel sprechen (setzt man die Analogie Berlin – München fort), und (noch) nicht – wie es ja Suchsland für mich imlizit fordert – von einem ernstzunehmenden Konkurrenten. Also von einer Alternative oder einem Gegenmodell.
Denn vergleicht man München als Nachspielfestival wiederum mit anderen wie Toronto oder Wien, so scheint mir vieles ähnlich dem Vergleich von Berlin als Premieren/Wettbewerbsfestival mit Cannes und Venedig gleichzukommen. Man wäre also letztendlich lieber im Ausland als hierzulande. Ob das dann wirklich unter dem Motto „überall ist es besser wo wir nicht sind“ geschieht, oder es doch was mit (allgemeiner) fehlgeleiteter deutscher Kulturpolitik im Bezug auf Filmfestivals zu tun hat, bleibt als Frage bestehen. Daher wären die von Suchsland aufgezählten (vielleicht stärker auf deutsche Filme fokussierten, aber auch kleineren) Festivals doch ein akkurates Gegenbeispiel? Eine mögliche frage wäre für mich demnach: brauchen wir ein riesiges (und wohl sauteures) Gemischtwarenfestival wie München in der Förderlandschaft Deutschland, oder wären wir stattdessen(!) mit mehreren kleineren (fokussierteren, strukturierteren?) nicht besser beraten?
Ansonsten bleibt nur noch zu sagen: Der positive Einfluss Christophs macht sich mehr und mehr bemerkbar (@ Rajko) 😉
Am unglücklichsten ist darüber hinaus eben wie gesagt auch, dass zeitgleich zum Führungswechsel nun offenbar auch einer der kundigsten und wagemutigsten Programmer das Festival verlässt. Das macht schon Sorge, denn wenn das kuratorische Team erstmal gleich bliebe, wäre es auch unter einem „mehr Glamour“-Diktum wohl möglich, dass abseits von ein bisschen Prestigegebaren dann in den Sektionen weiterhin die einzelnen Programmer ihr Ding durchziehen dürfen. Abhängig von den nun folgenden Umbesetzungen könnte es natürlich auch bei den Sektionen zu grundsätzlicheren Änderungen kommen. Sind momentan natürlich alles nur Vermutungen, und man kann hoffentlich schon darauf setzen, dass nicht ausgerechnet nächstes Jahr zum 30. Jubiläum plötzlich alles Interessante aus dem Programm verbannt wird. So schlimm wird es sicher auch nicht kommen, schon aufgrund bestimmter (halbautomatischer) Übernahme- und Abgrasungs-Mechanismen von Nachspielfestivals. Gleichzeitig sollten Tendenzen, sobald sie sich abzeichnen, natürlich auch benannt und diskutiert werden (dürfen/müssen).
Ansonsten muss ich natürlich gestehen, schon vor allem aus persönlicher Besucherperspektive argumentiert zu haben, erst nachrangig aus einer festivalpolitischen Perspektive. Zuvorderst ist für mich einfach die Frage: laufen genug interessante Filme und gibt es die Chance diejenigen zu sehen, auf die ich warte? Wenn das in ausreichendem Maße der Fall ist und ich mit etwas Umsicht und Auswahlglück eine Woche lang weitgehend starke Filme sehe, ist mir das erstmal das wichtigste. Dass den Münchner Kinos durch das Festival Filme (!) abhanden kämen, sehe ich übrigens gar nicht so. Die einen Filme laufen sowieso über kurz oder lang dann auch regulär, und die anderen Filme laufen schlichtweg gar nicht regulär bzw. erhöht eine Filmfestaufführung eher noch die Chance, dass ein Verleiher aufmerksam wird und manches vielleicht doch noch regulär ausgewertet wird. Prinzipiell sind die Kinos schlichtweg von der Verleihstruktur abhängig, einfach irgendwelche nicht regulär gestarteten Filme mal eben auf eigene Faust zu importieren, funktioniert einfach nicht (weder organisatorisch/lizenzrechtlich, noch publikumstechnisch, weil die Verleiherarbeit in Sachen Presse und Marketing empfindlich fehlen würde). Insofern sind das zu erheblichen Teilen schlicht Parallelwelten, die unter ganz anderen Prämissen funktionieren. Fernost und Lateinamerika sind hier einmal mehr gute Beispiele, die meisten Filme der beiden Sektionen tauchen hierzulande nie mehr regulär auf. Das betrifft im (wie es, ich glaube Ekkehard Knörer, so treffend nannte) „Weltkinoentwicklungsland“ Deutschland ja selbst bekanntere Namen, da gibt es ja laufend Beispiele. Oder nehmen wir einen international anerkannten, hierzulande aber weitgehend unbekannten Namen wie Hong Sang-soo, dessen jüngster Film dieses Jahr und dessen viertletzter letztes Jahr in München lief. Die beiden dazwischen (HAHAHA und OKI’S MOVIE) liefen meines Wissens bislang nirgends in Deutschland und werden es wohl vorerst auch nicht mehr. Wenn sowas nicht beim Filmfest läuft, läuft es gar nicht in München oder gar Deutschland (von Hong hatte ohnehin bislang kein einziger Film einen regulären Kinostart hierzulande). Deshalb sehe ich zumindest in diesem Segment, um das es mir in der Argumentation vorrangig geht, nicht die große Konkurrenz zwischen Festivals und Kinos, weil das zwei Welten sind. Bei Verleihfilmen, die kurz vorher beim Festival laufen, mag das nochmal anders sein, da müsste man aber auch erstmal näher untersuchen, ob da die Festivalaufführung den Kinos das Wasser abgräbt (natürlich profitiert das Festival da durchaus von der Verleiher-Werbepower, deswegen zeigen sie ja solche Filme, die dann ja auch entsprechend gut besucht sind) oder nicht eher wiederum einen zusätzlichen Werbeeffekt für den baldigen regulären Start bringt. Generell zu diesem Festival-vs.-Kinobesitzer-Thema vielleicht ein illustrierendes Beispiel: nehmen wir an gegenüber einer recht einfallslosen deutschen Gaststätte (mit überwiegend stark werbenden, festen amerikanischen und europäischen Zulieferern), zu der die Kunden mittlerweile eher aus Gewohnheit gehen, öffnet immer kurze Zeit im Jahr ein exotisches Restaurant mit Speisen aus diversen Ländern (die über etwas holprige Wege aufwändig importiert werden). Dort wird seltsamerweise mit Speisen geworben, die oft gar nicht so besonders oder unterschiedlich zum Gewohnten sind, aber wenn man genauer die Speisekarte studiert, entdeckt man ungewöhnliches, probiert ein bisschen und es öffnen sich plötzlich neue Welten. Man wundert sich zwar, dass die anderen Leute meistens nur die beworbenen Speisen probieren, aber freut sich trotzdem über die Geheimtipps der Karte. Nun will das Aufsichtsamt dieses exotische Restaurant schließen, weil es gerade in schwieriger Saison der deutschen Gaststätte zum Teil Kunden wegnimmt. Man kann nun zwar wieder die deutsche Gaststätte besuchen, aber wird dort nur gelegentlich und wenn der Koch mal einen ungewohnt guten Tag hatte mehr als einfach nur halbwegs satt. Weil man jedoch mittlerweile auf den Geschmack von abwechslungsreicherer Kost gekommen ist, wird man die ungewöhnlichen Entdeckungen der breit gefächerten Speisekarte von gegenüber trotzdem vermissen. Langer Vergleich, kurzer Sinn: es ist sicher klar, worauf ich hinaus will, das eine lässt sich hier nicht ohne weiteres mit dem anderen ersetzen…
Dass heute in manchen Segmenten vieles nur noch über Eventmagnetismus und „hauptsache dabei gewesen“-Mentalität funktioniert (man denke auch an diese Diskrepanz zwischen dem extremen Andrang auf deutsche Filme, wie man ihn letztes Jahr in Berlin etwa bei ORLY oder IM SCHATTEN beobachten konnte, während sich dann beim regulären Kinostart kaum jemand mehr dafür interessiert hat – da ist aber natürlich auch die regionale Verteilung von interessiertem Publikum relevant, das sich durch seine weite örtliche Streuung jenseits der Ballungsräume einfach strukturell nicht mehr erreichen lässt, während Festivals hier nochmal eine etwas überregionalere Anziehungskraft haben), schmeckt mir natürlich auch nicht. Auch hier aber vielleicht eine Frage des kleineren Übels: wenn dadurch immerhin die Filme laufen und gesehen werden, ist es dann nicht eher zu begrüßen, als sie andernfalls gleich ganz abzuschreiben? Da spielen natürlich viele knifflige Aspekte rein.
Was deine längerfristigen „Reinschmuggel“-Befürchtungen angeht, fürchte ich wiederum einfach, dass man bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung (und Förderumfang) bestimmte Dinge mehr oder weniger in Kauf nehmen muss. Die Ausdifferenzierung in (noch) mehr kleinere Festivals halte ich da auch nicht für die optimale Alternative, dort sind die „Mitnahmeeffekte“ bei wirklich obskureren Filmen dann noch schwächer und man hockt im schlimmsten Fall einstellig im Kino. Gleichzeitig geht es mir auch durchaus nicht nur um Obskures, und kleinere Festivals haben eben auch das Problem, dass sie an viele größere Namen und Titel erst gar nicht ran kommen. Selbst das Fantasy Filmfest klagt dieses Jahr bei Cinefacts ausgiebig, wieviele gewünschte Titel sie nicht bekommen haben. Und wenn man bedenkt, dass hierzulande selbst die Filme von Regisseuren wie Gray, Friedkin oder Kitano (um ein paar Münchner Beispiele der letzten Jahre zu nehmen) nicht mehr ins Kino kommen, betrifft das alles eben auch nicht nur obskure Titel. Da kann eben wirklich nur ein breit aufgestelltes, größeres Festival auch entsprechend agieren und rankommen, und eben auch eine gewisse Spannbreite abdecken.
Toronto oder Wien würde ich hier übrigens nicht ins Spiel bringen, mit denen kann München schon hinsichtlich Standortbedingungen nicht konkurrieren. Das sind viel größere Städte, viel größeres Einzugsgebiet, bessere filmkulturelle Basis. Und jeweils die größten Festivals ihrer Länder. Das ist nochmal eine andere Liga. Umso erfreulicher und bemerkenswerter finde ich ja wiederum dennoch die zuletzt immer zahlreicher werdenden Überschneidungen zwischen Wien und München. Und gerade Toronto funktioniert ja auch vor allem über die schiere Masse, wo dann eben alles irgendwie Platz hat – wohl mit das extremste Beispiel von „Overkill und Gemischtwarenladen“ (was ich aber auch da zumindest aus -theoretischer- Besuchersicht eher positiv finde, weil eben von Midnight-Schienen bis zu reinen Experimentalprogrammen sehr viel abgedeckt wird). Und was Berlin angeht, ist München m.E. gar nicht darauf ausgerichtet, da irgendwie zum Konkurrenten zu werden. Das traurige an der derzeitigen Berlinale ist ja wirklich, dass sie eben (im Gegensatz zu München) durch den internationalen Magneteffekt des Festivals z.B. im Forum die Chance haben, auch obskurste, radikalste und gewagteste Filme aller Art vor (fast automatisch) vollem Saal zu zeigen – dass die Freiheiten und Potenziale, die sich dadurch eigentlich ergeben, insgesamt so wenig genutzt werden, ist dann das ärgerliche. Während München bei vergleichbaren Filmen eben wirklich um Zuschauer bangen muss und jedes Mal ein Risiko eingeht.
Trotzdem hast du gerade unter film/festivalpolitischen Gesichtspunkten mit dem „kleineren Übel“ sicher tendenziell Recht. Wie ich ja schon im Artikel selbst ganz am Ende schrieb: „wohlgemerkt eben unter Berücksichtigung der Verhältnisse“ ist meine Argumentation zu verstehen, und viele von Suchslands Kritikpunkten teile ich ja auch ganz ausdrücklich und finde es prinzipiell gut, dass er sie so offen anspricht. Wir leben, gerade was Förderungsapparat und Kulturpolitik betrifft, eben leider in einer sehr vertrackten und alles andere als perfekten Welt. Da bin ich wohl auch ein Stück weit resignativer (oder realistischer? pessimistischer?) als Suchsland. Aber wenn man zu blindwütig und pauschal auf eine scheinbare Verbesserung hinaus will, verrennt man sich eben m.E. auch leicht aus durchaus plausiblen Gründen in problematische Schlussfolgerungen und übersieht, dass man damit womöglich das Gegenteil des eigentlich Gewünschten herbei zu reden droht, siehe auch das gestern in einer anderen Antwort von mir schon erwähnte Lemke-Förderabschaffungs-Manifest.
Danke übrigens für deine Überlegungen, die mich, wie du siehst, auch zu einer entsprechend umfangreichen Antwort und weiteren Präzisierungen inspiriert haben. (EDIT: und hab noch eine ganze Weile rumeditiert, jetzt sieht die Antwort aber endlich halbwegs aus, wie sie aussehen sollte.)
Ansonsten bleibt nur noch zu sagen: Der positive Einfluss Christophs macht sich mehr und mehr bemerkbar (@ Rajko)
¿Wie meinen?
@Andreas
Hmm, danke nochmal für die weitere Mühe und die lange Antwort. Habe dem jetzt ertsmal nichts hinzuzufügen, und stimme wohl weitgehend (wie ja auch schon zum Vergleich Eingangsartikel – Suchslandtext) mit dir überein. Das Restaurant-beispiel ist wirklich großartig (LOL), und in seiner passenden Präzision irgendwie auch bestechend. Bei allen Schlussfolgerungen sit letztendlich eben eine gewaltige Portion Spekulation dabei.
Ansonsten: abwarten und dranbleiben. Und München wird wie gesagt für mich wohl trotz aller Differenzierungen dennoch auf absehbare Zeit die befriedigerende Alternative zu Berlin bleiben. Zumindest was die Vielzahl der Filmangebote bei deutschen Festivals angeht.
@Christoph
Das darfst du dir aussuchen, wie du das lesen willst. 🙂
Wobei man beim Restaurant-Beispiel fairerweise natürlich schon anfügen müsste, dass der Wirt der deutschen Gaststätte (oder jedenfalls manche Wirte) sich schon gelegentlich auch mal um ungewöhnliche oder importierte Zutaten und Gewürze bemüht, aber leider das gewaltige Problem hat, dass seine Stammgäste eben doch lieber jeden Sonntag ihren vertrauten Schweinebraten mit Sauerkraut-Til und Ketchup-Tom essen, anstatt häufiger mal was neues zu probieren. Dagegen ist leider kaum anzukommen…
Beim Schnitt gab es kürzlich auch noch einen Rückblick, der leider ebenfalls den Eindruck machte, dass der Autor die interessanten Sachen einfach überwiegend nicht gesehen hat. Natürlich ist es generell schwierig, bei 200 Filmen überhaupt irgendeine Form von Überblick zu bekommen und sich irgendwelche Gesamt-Aussagen anzumaßen. Gleichzeitig zeigt es, wie toll und praktisch Listen sind – weil sie schnell Transparenz und Übersicht über die Grundlagen eines Fazits verschaffen, während man bei solchen Texten anhand einer Handvoll erwähnter Titel nur grob erahnen kann, auf welche insgesamt gesehenen Filme sich denn die Bilanz nun letztlich genau stützt.
Und hier noch etwas eher trostloses: während letztes Jahr vor allem dank eines einmalig dazu gestoßenen Kinos und einer „Best-of der 2000er Jahre“-Reihe bei den sog. „Münchner Filmkunstwochen“ dem Namen gerecht werdend tatsächlich Filme wie WHAT TIME IS IT THERE?, YI YI oder DER SAMMLER UND DIE SAMMLERIN jeweils in OmU auf 35mm zu sehen waren (was gleichzeitig schmerzhaft vor Augen führte, dass solche Titel Anfang des letzten Jahrzehnts noch einen veritablen regulären Kinostart erhielten, seit dem Niedergang der damals selbst einen Brocken wie EUREKA verleihenden Kinowelt hat sich da manches nochmal gewandelt), aber man da teilweise halt auch nur mit einer Handvoll Leuten im Saal saß, ist dieses Jahr im Grunde fast nur das übliche Programmkino-Einerlei (was den ein oder anderen guten Film natürlich einschließt, aber es geht halt um die hier schon andernorts beklagte grundsätzliche „Arthaus“-Problematik) und dann auch noch überwiegend in deutscher Fassung geboten. Es ist schon traurig, wie offenbar jedes Wagnis abgestraft wird, und wie dann die Konsequenzen aussehen.