Enter the Void (2009)
Obwohl ich darauf vorbeitet war, Schwerverdauliches in mich aufzunehmen, war die Sichtung von ENTER THE VOID in erster Linie eines: unheimlich anstrengend. Das ständige Geflirre und Geblinke in allen Farben und Nichtfarben und vor allem am Anfang die torkelnde Handkamera, später dann die dauernd über dem Geschehen kreisenden und in diesen oder jenen Hundenapf eintauchenden Kranfahrten verursachten mir geradezu physischen Schwindel und sogar leichte Übelkeit, so dass ich während der immerhin 162 Minuten mehrmals die Augen schließen und langsam bis 10 zählen musste, um den Film überhaupt weitersehen zu können, ohne meinen Mageninhalt über der zum Glück leeren Sitzreihe vor mir zu vergießen. Doch manche Filme dürfen eben anstrengend sein, für das große Kino nimmt eine echter Cineast jederzeit auch körperliches Unwohlsein in Kauf, Kunst ist in dieser Hinsicht wie Liebe: sie darf auch mal weh tun.
Ob Gaspar Noés dritter Langspielfilm, jedoch Kunst genug ist, um das visuell erzeugte Schleudertrauma zu rechtfertigen, muss sich jeder selbst beantworten – ich zumindest kann auch nachdem ich einmal drüber geschlafen habe, zu keiner abschließenden Bewertung kommen. Aber gerade das ist wohl symptomatisch für diesen Film, wie überhaupt für Noés Kino und macht es trotz aller zwiespältigen Gefühle, die es bei mir weckt, letztlich doch zu einem Faszinosum. Ich gebe es hiermit unumwunden zu: irgendwo tief in mir hegte ich ja die Hoffnung, ENTER THE VOID könnte Noés erstes richtiges Meisterwerk sein, schon die lange Schaffenspause – zwischen IRRÈVERSIBLE (2002) und ENTER THE VOID liegen 7 Jahre, in denen Noé nur zwei Kurzfilme gedreht hat – aber durchaus auch die Presse und der Trailer ließen mich insgeheim auf wahrhaft Großes hoffen.
Tatsächlich gehört die Grundidee des Films, die dem Regisseur angeblich schon vor Jahren beim Anschauen des berühmten First-Person-Perspective-Noir LADY IN THE LAKE (1947) unter Einfluss von Psychedelika gekommen ist, zu den interessantesten und originellsten seit langem: konsequent zeigt uns der Film die Welt aus der Innenperspektive eines jungen Eurpäers namens Oscar, der mit seiner Schwester Linda in Tokyo lebt, jedoch – Achtung Spoiler! – nach den ersten 20 Minuten des Films erschossen wird, nur um dann als körperlose Seele abwechselnd durch wabernde Lichtmassen zu reisen, durchs nächtliche Tokyo zu flirren und aus der Vogelperspektive die Schicksale seiner Schwester, sowie seiner früheren Freunde und Feinde zu beobachten, unterbrochen von assoziativ montierten Erinnerungsflashbacks, welche dem Zuschauer praktischerweise gleich die Lebensgeschichte der beiden Geschwister nachliefern, die sich nach dem Verlust ihrer Eltern in einem tragischen Unfall, herzzerreißenderweise geschworen haben, immer bei einander zu bleiben, selbst nach dem Tod.
Als kulturell-mystischen Hintergrund für Noés hochambitionierten Versuch, das Sterben und die Reise durchs Jenseits als „ultimativen Trip“ (Zitat aus dem Film) zu inszenieren hat dieser sich offensichtlich das mehrfach im Film vorkommende Tibetische Totenbuch ausgewählt, das schon in den 60ern von begeisterten LSD-Konsumenten und Freizeitpropheten wie John Lennon und Timothy Leary zu dem Kultbuch aller Bewusstseinserweiterungsjünger erhoben wurde. Die psychedelische Prämisse des Films gab Noés CGI-Team immerhin den Anlass, einige der sicherlich schönsten Bildschirmschoner aller Zeiten zu kreieren. So kann man sich denn ganz legal und ohne Drogen im Kinosessel dem reizvollen Licht- und Farbenrausch ergeben, für den das neonblinkende nächtliche Tokyo die schmucke Kulisse abgibt.
Natürlich bemüht sich der Film nebenbei auch um emotionale Tiefe, doch wie bei Noé üblich versucht er diese vor allem dadurch herzustellen, dass er alles so schockierend und drastisch wie nur möglich inszeniert. Daher dürfen wir sozusagen hautnah an Oscars inzestuösen Phantasien teilhaben, gleich mehrmals den traumatisierenden Unfall der Eltern rekapitulieren, in einen abgetriebenen Fötus eintauchen und einem Geschlechtsverkehr zur Abwechslung mal aus der Perspektive der Vagina beiwohnen. Noé wirkt dadurch leider ein bißchen, wie ein leicht überspanntes Hundeherrchen, das sein Haustier, den Zuschauer, ununterbrochen mit der Schnauze in die Scheiße drückt, um ihm mal zu zeigen, wie krass und vor allem wie mies die Welt doch eigentlich ist. „Le temps detruit tous“ – „Die Zeit zerstört alles“ wurde schon in IRRÈVERSIBLE immer mal wieder zwischendurch eingeblendet, offensichtlich Noés tiefsinnige Lebensweisheit, die er auch in ENTER THE VOID mit wiedermal durchaus virtuoser Handhabung der Kamera und betont unkonventionellen Erzählweisen in Szene setzt.
Nur wird dieser Grundpessimismus hier eben ins Buddhistische gewendet. In einem Interview erklärt Gaspar Noé allerdings, dass er die Beschreibungen der Seelenreise im Jenseits aus dem Tibetischen Totenbuch nur im Sinne eines reizvollen Gedankenspiels adaptiert hat, selbst aber keine Bohne daran glaubt. Das ist dann irgendwie doch etwas beruhigend, zumal der Film manchmal hart an der Grenze zum New-Age-Trash vorbeischrammt, und vor allem gegen Ende stellenweise ins unfreiwillig Komische abdriftet, etwa wenn in einer schwebenden Kamerafahrt durch ein Bordell die Genitalien der auf mannigfache Weise Kopulierenden eine Art leuchtenden Nebel zu verstömen scheinen. Allerdings stellt sich damit auch die Frage wie ernst man den Film überhaupt nehmen kann. Vielleicht sollte man an ENTER THE VOID aber gar nicht den Anspruch stellen, tiefgründige philosophische Reflexionen über den Tod in Gang zu setzen, sondern ihn einfach von vornherein als schicken Transgressionreigen im Neongewand rezipieren, als agnostische Spititualität, dargereicht in zeitgerechter Form von Leuchtreklame. ENTER THE VOID wäre somit als Manifestation eines neuen, zugleich ins digitale wie ins post-religiöse Zeitalter eingetretenen Cinéma du Look zu betrachten. Möglicherweise ist dies sogar die adäquaste Art die religiösen Bedürfnisse unserer Generation darzustellen: es geht hier nämlich längst nicht mehr um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, sondern wenn überhaupt um die Hoffnung darauf, dass dieses, falls es denn tatsächlich eines gibt, möglichst stilvoll aussieht und interessante Features wie Umherfliegen und In-Menschen-Eintauchen bietet.
Enter the Void – F/BRD/I 2009 – 162 Minuten – Regie: Gaspar Noé – Buch: Lucile Hadzihalilovic, Gaspar Noé – Produktion: Pierre Buffin, Olivier Delbosc, Vincent Maravl, Marc Missonier, Gaspar Noé – Kamera: Benoît Debie – Schnitt: Marc Boucrot, Gaspar Noé – Musik: Thomas Bangalter – Darsteller: Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy, Olly Alexander, Masato Tanno u.a.
(…) Die psychedelische Prämisse des Films gab Noés CGI-Team immerhin den Anlass, einige der sicherlich schönsten Bildschirmschoner aller Zeiten zu kreieren. (…)
(…) Noé wirkt dadurch leider ein bißchen, wie ein leicht überspanntes Hundeherrchen, das sein Haustier, den Zuschauer, ununterbrochen mit der Schnauze in die Scheiße drückt, um ihm mal zu zeigen, wie krass und vor allem wie mies die Welt doch eigentlich ist. (…)
(…) agnostische Spititualität, dargereicht in zeitgerechter Form von Leuchtreklame.
Und der letzte Satz über die „Features“ des Jenseits…!
Groß, Alex, ganz groß. Ich würde sagen, dass du dein polemisches Potenzial viel zu selten so richtig anspannst – wunderbar präziser (und schangeliger!) Text, dessen Schlüsse aus Noés Status im, hm, „post-postmodernen“ bzw. New-Age-Kino ich in Kenntnis seiner beiden vorherigen Spielfilme und in Unkenntnis (noch) von ENTER THE VOID weitgehend sofort unterschreiben würde. So griffig und schmissig war bisher, glaube ich, keiner deiner Texte und nachdem ich dich ja in der Vergangenheit schon einige Male mit brutaler, bäriger und hoffnungslos anmaßender Schelte überhäuft habe, möchte ich dir sagen, dass dieser Text nach DER FLUCH nun schon der zweite, für mich vollkommen sättigende Erguss aus deiner Feder innerhalb von kurzer Zeit ist. Fazit: Du musst unbedingt mehr schreiben in Zukunft! Wer weiß, in welche ungeahnten, transzendenten Sphären du dich noch aufschwingst und uns am Ende alle ausstichst.;-)
Wie schon zuvor erwähnt stehen allerdings die eher Allgemeinplätze belegenden ersten beiden Absätze in etwas unglücklichem Kontrast zum originären Rest, aber man kennt das ja: Schließlich will man nicht vorraussetzen, dass jeder ganz genau weiß, über welchen Film man da schreibt und was für Vorzeichen sich dieser Film bereits erkämpft hat. Außerdem bin ich ja generell eigentlich doch ein glühender Verfechter persönlicher Filmtexte („Kritiken“ ist an sich eigentlich schon so unpersönlich konnotiert), daher kannst du das auch als eine meiner üblichen Widersprüchlichkeiten ignorieren.:-) Jedenfalls hat mich dein Text, glaube ich, hervorragend vorbereitet auf den Film, dem ich mich bisher eher mit einer regelrechten Abscheu entgegensorgte, jetzt aber eher entspannt entgegensehe – du erinnerst dich ja sicherlich noch an unsere ausführlichen Noé-Diskussionen.
PS: Die meisten deiner Argumente für das Trash-Potenzial des Films klingen übrigens nach exakt den Gründen, aufgrund derer das >>halb-intellektuelle, semi-alternative, neo-philosophische Pseudo-Anti-Mainstreampublikum<< ENTER THE VOID höchstwahrscheinlich zum Überfilm stilisieren wird. Das sollte zwar nicht in die Rezeption einfließen und eine gewisse Arroganz ist sicherlich für derartige Gedanken erforderlich, aber was man derzeit in diversen Foren zu lesen bekommt, lässt einem dann doch irgendwie vor fasziniertem Entsetzen die Hose platzen. Aber wie du schon schreibst - vielleicht sollte man das gesamte "Phänomen" als bunten Schangelreigen mit Neotrash-Aura rezipieren und lieber nicht zuviel darüber grübeln...
@Christoph:
Vielen Dank für dieses dicke Lob!
Gerade die polemischen Teile des Textes gingen am leichtesten von der Hand, weil sich mir die von dir zitierten Vergleiche beim Schauen geradezu aufgedrängt haben. Dennoch war meine Rezeption ja nicht ganz frei von Faszination und bleibt somit im Ganzen ambivalent. Mein Vorschlag zur Neotrash / Farbrausch-Rezeption am Ende ist also zur Hälfte auch ernst gemeint, denn ich gehöre ja wie so einige von uns zu den Film-Hedonisten, die einen Film immer gerne so rezipieren wollen, wie sie ihm am meisten abgewinnen können.
Dazu gehört für mich dann allerdings auch die wonnevolle Polemik, denn es geht doch nichts darüber, sich über einen Film mal so richtig aufzuregen… 😉
Wenn du dich noch mehr aufgeregt hättest, wäre es noch schöner gewesen.^^
Eine Tages wirst du mich vielleicht ja noch einmal mit einem hinreißenden Verriss irgendeines antimystischen, antischangeligen Kinderfilms wie E.T. oder DIE UNENDLICHE GESCHICHTE bezaubern. Bisher habe ich dich kaum über einen Film so in Rage geraten sehen wie über letzteren und FREE RAINER. Ein Schelm, wer dabei Arges übers deutsche Filmschaffen denkt. Aber es ist auch wirklich zu bemerkenswert – ich glaube, unter meinen persönlichen Hassfilmen sind auch verhältnismäßig viele deutsche Exemplare.
Habe den Text jetzt endlich auch mal in seiner Gänze gelesen, inklusive Abstecher zum Trailer, den ich nun schon fast zu oft gesehen habe.
Ich muss sagen, finde deinen Text gar nicht so polemisch (wie Christoph), sondern wie du selbst auch anmerkst eher ausgewogen, und aus einem Guss. Dass du aber bei den Gedankenexperimenten und spitzzüngigen Kommentaren in deinem Element bist, und UNBEDINGT mehr (solches) schreiben solltest, steht auch für mich außer Frage.
Für mich persönlich ist Enter the Void definitiv DAS Filmereignis des Jahres, und obwohl ich es inzwischen wohl überwunden habe, dass ich ihn wohl nicht auf großer Leinwand in 35mm und in OmU genießen werde dürfen (alternative: schnöde DVD), habe ich die Hoffnung doch noch nicht ganz aufgegeben.
Der Trailer verspricht (für jemanden wie mich) vielleicht zuviel, aber dein Text hat mir noch einmal zusätzlich Lust auf den Film gemacht. Kenne von Noé zwar immer noch nichts, und du weißt wie lange es manchmal dauern kann, bis ich mir manche heißersehnten Filme dann ansehe (Irréversible hab ich schließlich schon 7 Jahre in meinem Besitz), aber dennoch gehöre ich immer noch in deinen Kreis von Film-Hedonisten, und freue mich bei Enter the Void auf ein immersives Spektakel. Noé sieht in diesem Fall tatsächlich nach einem späten Cinema du look- Epigonen aus, und wer sagt überhaupt, dass das französische „Cinema du look“ nicht erweiterbar ist (für mich umspannt es inzwischen schon die Jahre 76-88). Vielleicht hat es nie aufgehört zu existieren (in dieser Hinsicht, würden mich die im Cargo-Webmagazin zuletzt erwähnten Kriminalfilme von Olivier Marchal sehr interessieren.
Um es nochmal kurz zu fassen: als bewunderer der 80er Jahre (persönliches Zitat: bestes Filmjahrzehnt), und glühender Verehrer nicht nur des Cinéma du look sondern auch des französischen formal-intellektuellen Schangels, bin ich immer noch total heiß auf ENTER THE VOID, und hätte den Film liebend gerne neben dir im Kinosessel genossen (man bin ich grad neidisch!). Die 162 Minuten klingen hierbei wie ein Versprechen (noch meeehr! ;-)).
Mal schauen wie bei mir die Eso-Schiene wegkommt, aber ich denke von uns allen konnte ich bisher ja noch am Meisten damit anfangen (obwohl ich inzwischen die Vermutung hege, dass mich Andi überholt hat: siehe „Uncle Boonmee…“). Dein letzter Absatz ist zum Schluß aber wirklich wunderbar zum Niederknien: „möglichst stilvoll aussieht und interessante Features wie Umherfliegen und In-Menschen-Eintauchen bietet.“ Lol. Es scheint ja tatsächlich so zu sein, dass viele Leute den momentanen Zustand von Videospiel und Social Networking als ironiefreie schöne neue Welt betrachten. Da hoffe ich doch lieber auf Noés Höllenvision, und versuche meine alltägliche Übelkeit im Zaum zu halten…
Kann mich nur anschließen: toller Text, der auch mir trotz der genüßlichen Seitenhiebe den Film durchaus sehr schmackhaft macht und letztlich eigentlich ziemlich genau das beschreibt, was ich mir von dem Film erhoffe – bei aller Herausarbeitung der zwiespältigen Aspekte ist eben auch durchaus eine starke Faszination im Text zu spüren. Nehme an, du hast in Berlin die 35mm-OV gesehen (OmU gibt es übrigens gar nicht, Sano, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch von Noé, der Untertitel offenbar als Ablenkung von seinen ästhetischen Strategien versteht und deshalb den Film nur in OV oder Synchro gezeigt wissen möchte)? Leider gibt es gerade mal eine einzige OV-Filmkopie im deutschen Verleih, die bisher nur in Berlin und Hamburg zu sehen war. Eine ziemliche Schnapsidee von Capelight, die OV beim FFF nur in besagten beiden Städten zu zeigen und die anderen Städte dann regulär mit digitaler Version und Synchro abzuspeisen. Aber ganz habe ich die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben, dass man ihn auch in provinzielleren Regionen noch in adäquater Form zu sehen bekommt. Einen offenkundig derart von seiner eigenen visuellen Gestaltung besessenen Film (mit allen mutmaßlich zwiespältigen, aber gerade darin auch reizvollen Nebenwirkungen) würde ich dann halt doch gerne im Kino sehen, zumal er trotz aller offenkundigen digitalen Nachbearbeitung eben letztlich auf Film gedreht wurde, und wie Sano würde ich ihn dann eben auch gerne so sehen. (Zumal die DCP-Version in dem Fall auch noch ein anderes – vielleicht nicht extrem gravierendes, sondern eher kurioses – Problem hat, wie man hier in ausgiebiger Erörterung nachlesen kann.)
@Sano
Naja, ob „Uncle Boonmee“ wirklich als Eso-Indikator taugt? Ich glaube mir gefällt der Film dann im Wesentlichen doch aus ganz anderen Gründen… 😉 Bin mal gespannt, was Alex S. dazu meint, der im OmU/OV-Paradies Berlin (bei meinem letzten München-Abstecher lief „Bal“ z.B. bereits nach kürzester Zeit nicht einmal mehr dort in OmU, das ist schon ärgerlich) ja offenbar sowieso wieder häufiger aktuelle Filme im Kino sieht. Rechne aber mittlerweile schon gar eher nicht mehr wirklich damit, dass sich auf ET noch jemand auf meine Seite schlägt…
Oje, das sieht ja gar nicht gut aus. 2 Kinofassungen? Hoffe das ist nicht wieder so ne Festivalgeschichte, wo der Regisseur nach der Premiere nochmal Hand anlegt (hat mich zuletzt bei Jud Süß nachträglich schon sehr geärgert, dass ich den nicht auf der Berlinale geguckt habe!) Bitte klär mich auf Andi, falls du weiterführende Infos besitzt… :-/
Zwei Kinofassungen gibt’s nur in England, wo man bei der rund 20 Minuten kürzeren Fassung offenbar einfach den siebten Akt der Kopie weggelassen hat – warum auch immer (dem Vernehmen nach scheint der Film ja durchaus Kürzungen zu vertragen, aber das klingt doch etwas arg nach völlig willkürlicher Längenreduktion statt überlegter Verdichtung). In Deutschland gibt’s nur die Langfassung, Längenunterschiede kommen halt durch die 24 B/s (DCP & 35mm) bzw. 25 B/s (PAL-DVD & beschleunigtes 35mm) zustande, worüber im verlinkten Thread ja ausführlich debattiert wurde. Das ist eigentlich schon alles. Wurde bei „Jud Süß“ denn nach der Berlinale noch etwas geändert? Hatte ich gar nicht mitbekommen, und den Film jetzt im Kino wohl sowieso bereits verpasst…
Ja Sano, das würde mich auch interessieren, wo du die Info zu FILM OHNE GEWISSEN her hast, ich konnte dazu bisher nichts im Netz finden. Der Film läuft übrigens noch in Nürnberg in einer wunderschönen, ihm auch angemessenen Digitalprojektion (kann ihn mir ehrlich gesagt nicht in 35mm vorstellen, obwohl er darauf anscheinend gedreht wurde?) , allerdings wie ich gerade sehe nur noch zu höchst cinemenschen-unfreundlichen Zeiten…^^
Ich finde es übrigens interessant, dass Noé Untertitel für ENTER THE VOID abgelehnt hat und somit auch ein bisschen an dem Sakrileg kratzt, Untertitel wären ein geringerer Eingriff in einen Film als eine Synchronisation.
Hatte nach dem ganzen Berlinale-Rummel in ein paar Aussagen Roehlers zu verstehen geglaubt, dass er den Film wohl noch ein bisschen abändert. Ob das nun ganze Szene oder nur einzelne Schnitte (hier mal ein bisschen weniger Musik, da mal schneller weggeschnitten, etc.) betrifft, weiß ich nicht. Vielleicht ist auch nichts geändert worden, und ich bin mal wieder paranoid 😉 – würde mich interessieren, was jemand meint, der „beide“ versionen gesehen hat (sprich, auf der Berlinale und noch nachträglich im Kino war). Direkte Äußerungen von Roehler habe ich jetzt aber im Netz auch nicht (wieder)gefunden. Womöglich auch nur die übliche Legendenbildung? Mal schauen…
Auf 35mm ist er aber wohl gedreht. Hab ihn uch so gesehen, und obwohl ich mir hier (außnahmsweise) auch eine gute Digitalprojektion durchaus vorstellen kann, stand im das Analoge gut zu Gesicht.
Das mit den Untertiteln ist ja immer so eine Sache. Ich denke schon, dass es Filmemacher gibt, die eine Synchronisation der Untertitelung vorziehen, und nicht nur wegen schlecht gemachten Untertiteln oder beim Standardargument vieler Zuschauer, dass der (übermäßige) Text zu sehr vom Bild ablenken würde. Betreffende Regisseure kommen aber meiner Erfahrung nach hauptsächlich aus Ländern in denen Synchronisation eine jahrzentelange Tradition besitzt (z.B. Frankreich oder Deutschland). Wäre aber sicher interessant dazu mal mehr Meinungen von Filmemachern zu lesen. Kennt ihr da noch konkrete Fälle? Mir würden bei den Synchrophilen jetzt spontan nur Godard und Marker einfallen.
Ein Grund dafür, dass man im Netz nichts findet könnte natürlich auch sein, dass ein Großteil der deutschen Filmkritik es offenbar zu mühsam findet, sich ausgiebig mit einem solchen „Schmuddelfilm“ zu beschäftigen, geschweige denn ihn ein zweites Mal zu sehen. Da wird man wohl noch lange warten können oder auf eine Klärung seitens Roehlers hoffen. Wobei ich mir sicher bin – wenn Roehler noch etwas nachträglich geändert hätte, wäre das mit großem Rauschen durch den deutschen Blätterwald geweht – Stichwort „Skandalfilm“ und so.
Das Digitale stand dem Film wirklich gut zu Gesicht. Nicht nur weil es den Bruch in der Ästhetik zu den meisten vorherigen deutschen Nazi-Historienschinken nochmal betonte, sondern auch weil das Abweichen vom Originalformat gut zur anti-cineastischen Stimmung des Films passte.
Hätte wohl frühestens im November Zeit für den „Film ohne Gewissen“, aber bis dahin wird er vermutlich auch in Nürnberg nicht mehr laufen und vermutlich sogar in München nicht mehr. Und wieder mal bezeichnend, dass offenbar nirgends genauere Informationen zum Aufnahmeformat zu finden sind. Eigentlich (in einer interessierteren, transparenteren Cine-Welt) sollte das fester Bestandteil der üblichen Credit-Angaben sein, direkt neben Länge und Sprache, dann könnte man sich ausgehend davon wenigstens bewusst entscheiden, ob man eine analoge oder digitale Projektion sehen möchte. Zumindest die Imdb gibt zwar 35mm an, aber ohne weitere Angaben und daher wohl nicht wirklich gesichert. Trailer und Szenenfotos sahen mir in den entsättigten Farben, den Weißflächen und hellen Überstrahlungen hingegen eher digital aus, aber gut möglich, dass da einfach im Nachhinein stark an den Reglern gedreht wurde.
Das Synchronisations-Thema ist interessant, aber mir fallen gerade wenig Beispiele dazu ein. Da wäre wohl Christoph gefragt. Die deutsche Fassung von Markers „Sans soleil“ etwa ist aber in der Tat ein gutes Beispiel für eine exzellente und autorisierte Synchronisation. Es fällt mir aber wiederum kaum kein deutscher Regisseur ein, der in ähnlicher Weise z.B. eine englische oder französische Synchronisation seines Films mitverantwortet hat. Umgekehrt scheinen mir fremdsprachig gedrehte Filme deutschsprachiger Regisseure wiederum seltsamerweise oft eher schlampig deutsch synchronisiert (was wohl auch damit zu tun hat, dass diejenigen mitunter einfach kein großes Interesse oder Bezug zum deutschen Markt haben), so jedenfalls mein jetzt nicht genauer überprüfter Spontaneindruck, der aber auch dadurch auf sehr wackligen Beinen steht, dass ich mir neuere Filme fast nie synchronisiert anschaue. Wobei es natürlich auffällige Gegenbeispiele wie Hanekes „Klavierspielerin“ gibt, weiß aber nicht, inwieweit Haneke da letztlich involviert war.
filmportal.de gibt auch 35mm als Format an. Dass, falls das stimmt, der Film stark nachbearbeitet und/oder viel mit Filtern gearbeitet wurde, steht außer Frage. Digital nachbearbeitet sind in jedem Fall die Originalaufnahmen aus JUD SÜSS, in die z.T. die heutigen Darsteller reinkopiert wurden. Was dann im Film einen durchaus spannenden Kontrast gibt, weil trotzdem gerade diese Szenen in ihrer Körnigkeit sehr materiell wirken, während der Rest des Films sich zumindest in der digitalen Projektion eigenartig verflüchtigt.
Filmportal gibt aber bei den digital gedrehten „Orly“ oder „Im Schatten“ auch 35mm an, von daher bezieht sich das wohl eher aufs Wiedergabeformat (andererseits steht bei „Lourdes“ wiederum richtigerweise „HD – überspielt auf 35mm“, scheint also jeweils von der „offiziellen“ Informationslage abzuhängen und ist dementsprechend unzuverlässig). Klingt jedenfalls tatsächlich nach einem ganz spannenden Kontrast, der wohl noch dadurch verstärkt wird, dass das Material aus dem alten „Jud Süß“ vermutlich nicht aus einem gut erhaltenen Negativ stammt, sondern aus irgendeiner Umkopierung. Jedenfalls spannender als das meiste, was ich sonst nebenbei von dem Film aufgeschnappt habe oder sich im nicht nur musikalisch ziemlich abschreckenden Trailer erahnen ließ.
Vielen Dank für das viele Lob, freut mich, dass euch der Text gefällt und auch, dass er Lust auf den Film macht, denn bei aller Polemik ist ENTER THE VOID doch ein Film, wie man ihn nicht alle Tage zu sehen bekommt und steht in angenehmem Gegensatz zum Wohlfühl- und Fliessband-Arthouse gegen den Sano hier ja schonmal so schön gewettert hat.
Ich binjedenfalls gespannt, was ihr zu dem Film sagen werdet, wenn ihr ihn gesehen habt. Ich kam hier in der Tat in den Genuss der Originalversion (und ich nehme an, es war auch eine 35mm-Projektion) und man sollte den Film definitv im Kino sehen um seine optische und akustische Wucht voll erleben zu können, wie immer man dann dazu steht. Ich hoffe also, die OV kommt auch noch nach Nürnberg oder München.
PS: JUD SUESS – FILM OHNE GEWISSEN werde ich mir wohl sparen. Obwohl ich ja Roehlers Frühwerk immer noch vertedige und vor allem DER ALTE AFFE ANGST für einen großen Film halte, fürchte ich, dass er nach ELEMENTARTEILCHEN nun endgültig zum Deutschschlocker geworden ist. LULU UND JIMI würde mich aber doch interessieren. Hat den eigentlich jemand von euch gesehen?
Oskar Roehler finde ich inzwischen sehr interessant, kenne von ihm aber erst 3 Filme. Aber davon auch LULU UND JIMI, der ebenso wie JUD SUESS – FILM OHNE GEWISSEN wahrscheinlich noch auf meiner Jahresendliste auftaucht. Wollte eigentlich auch einen Kurzkommentar in meinem Sehtagebuch zu schreiben… aber dann verlier ich eben an dieser Stelle ein paar Worte zu.
Fand den Film sehr gelungen. Eine deutsches Remake von WILD AT HEART mit einem Schuss NATURAL BORN KILLERS und einem Löffel DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS. Andererseits ein etwas unnötiger Film, wie ich finde. Mir hat sich danach die Frage gestellt: Warum macht man ein Remake von WILD AT HEART? Was möchte man damit ausdrücken? Roehler verpackt zwar auch viel eigenes in den Film, kopiert aber auch Reihenweise unter dem Niveau des zugegebenermaßen für mich fast perfektesten Lynchfilms (der seit einiger Zeit auch mein persönlicher Favorit aus Lynchs Schaffen ist).
Etwas schade also, und für mich auch etwas unverständlich warum Roehler das Bedürfnis hatte dieses Remake zu machen, denn aus dem Film wird es für mich nicht ersichtlich. Ansonsten fand ich den gesamten FIlm ganz vorzüglich. Aber ich würde halt jedem empfehlen sich WILD AT HEART anzuschauen. Als Double-Feature aber eben auch nicht zu empfehlen, da Roehler im Vergleich schon deutlich einbüßt, und ja auch ein paar „eigenständigere Ansätze“ hat. Ohne Kontextualisierung aber im Grunde ein rundum gelungener und für mich im positiven Sinne sehr deutscher Film.
Zum Glück hat er die männliche Nebenrolle „einem Schwarzen Darsteller gegeben“, wie er sagt. Laut einem Interview, wollte er nämlich viel lieber Til Schweiger als Hauptdarsteller, was meiner Meinung nach mit die größten Qualitäten des Films zunichte gemacht hätte. Nicht weil ich Til Schweiger als Schauspieler nicht schätze (was ich tatsächlich tue), oder weil er nicht gepasst hätte (er hätte perfekt gepasst), sondern weil ich die Aspekte die durch einen dunkelhäutigen Ami im Deutschland der 50er eingeführt werden wirklich klasse fand.
Da der Film schönerweise immer noch durch Deutschland tourt, und ihn ein paar Eskalierende Träumer mehr wohl bald sehen werden, habe ich glücklicherweise noch einen schönen Linkhinweis für einen Clip vom diesjährigen Fantasy Film Fest bekommen.
Gaspar Noé stellt seinen Film vor, und erweist sich als sehr sympathisch. Wenn ich der Selbstdarstellung glauben schenken darf, so ist das zumindest ein Film der nach meinem Geschmack konzipiert worden ist! 🙂
http://www.youtube.com/watch?v=tQ7y8KVeu14
Noé wirkt da in der Tat recht sympathisch und wie ein Typ, mit dem gerne mal ein Bier trinken und am liebsten gleich noch nen Joint rauchen würde. Ist bestimmt witzig mit dem auf Drogen durch den (Großstadt-)Dschungel zu gurken. Allerdings bestätigt er damit auch genau meine Einschätzung des Films. Er will uns halt einfach mal auf nen Trip mitnehmen, richtig bunt und richtig abgefahren. Ist ja nicht unbedingt das Schlechteste, aber wesentlich mehr als eye-candy deluxe (um nicht Schangel zu sagen) gibt der Film halt trotzdem nicht her, auch wenn er das suggeriert. Wie nennt man das nochmal, wenn ein Film mehr Tiefe vorgibt, als er hat? Da gabs doch ein Wort für… 😉
Ja, wie war das nochmal mit diesem Wort? Irgendwas mit „p“, glaube ich.
Auf jeden Fall ist ENTER THE VOID genau das. Sehr schade – man wünscht sich den enormen Aufwand, der in dem Film und seinem bunten Flirren steckt, und das, was er vorgibt zu sein, wirklich nicht selten in den Händen eines anderen Regisseurs, der damit auch wirklich etwas anstellt. Na ja. Mir ist der Film jetzt, zwei Tage danach, schon ziemlich egal und Banane. Komisch, das ausgerechnet du dich nicht wirklich über den nervigen narrativen Schangel auslässt, der sich nach den noch einigermaßen diffusen ersten 30 Minuten plötzlich offenbart und den Film ziemlich mit der Nase in den Staub drückt. Ich habe kürzlich gelesen, woher das Wort „Psychedelia“ tatsächlich kommt, bzw. aus welchen griechischen Wörtern es sich zusammensetzt. Mit dieser Übersetzung („Die Seele offenbarend“) hat ENTER THE VOID leider nichts zu tun.
Enter the Void ist einer der wenigen Filme, dem auch sämtlicher visueller Schangel nicht mehr helfen kann. Während des Films überkam mich gähnend repetitive Langeweile durch die episodische Ausbreitung von Überflüssigem und die Hintergrundgeschichte ist schon arg plakativ.
Aber zwei gute Seiten hat der Film dann doch – der Übergang zum Hotel am Ende ist meisterhaft inszeniert und der Vorspann ist wirklich atemberaubend 😉
Alex: Magst du vielleicht ein Review zu „Free Rainer“ schreiben?
Ich weiß nicht ob ich jetzt hierzu auch noch viel schreiben soll. Anscheinend war von allen von uns die den Film inzwischen gesehen haben, bei Eskalieren Träume nur Alex S. von ENTER THE VOID angetan.
Ich fand lediglich den Vorspann atemberaubend, und hätte mir in diesem Stil auch den rerstlichen Film gewünscht. Leider war es für mich kein Rauscherlebnis wie von Noé angekündigt, sondern nur die ultimative Hetero-Phantasie, was zwar prinzipiell auch seine Reize hat, aber an dieser Stelle so unschmierig und „ohne Eier“ umgesetzt wurde, dass es mich in seiner Vorhersehbarkeit gar nicht mehr interessiert hat. Wenn das das persönliche Filmgeständnis von Noé sein soll (was ich vermute), dann wünsche ich mir in Zukunft eher Unpersönliches von ihm.
Und der Trailer gefällt mir in diesem Fall tatsächlich besser als der Film. 😉
Ja, ja, der gute Gaspar… ich fand schon immer, dass der Mann eigentlich nur Arthaus-Exploitation gemacht hat… der Unterschied zur guten alten Exploitation besteht bloß darin, dass sich Noe verdammt ernst nimmt und so tut, als hätte er was zu sagen. Okay, er hat ja was zu sagen, aber ich brauche keinen Gaspar Noe um mir klarzumachen, dass die doofe Zeit ehe alles kaputtmacht.
Ist man heutzutage automatisch ein Genie, weil man offene Türen einrennt, und tote Kühe schlachtet- nur eben auf eine „kompromisslose“ Art und Weise?
Den meisten Rezensenten (Alexander S. ausgenommen) scheint es irgendwie egal zu sein, WAS er zu sagen hat, solange er IRGENDWAS zu sagen hat- denn dann ist es plötzlich philosophisch…
Noe ist für mich ein Scharlatan, der mit ENTER THE VOID endgültig bewiesen hat, worum es ihm eigentlich geht: T&A, Drogen, Blut, Freud, Screensaver-Esoterik, und geile Titelsequenzen.
Manche mögen das Transgressives Kino nennen… aber das heißt nicht viel. Wenn ich über die Straße gehe, bin ich auch transgressiv.
Werde mir den Film mit den leuchtenden Gliedern und dampfenden Lustgrotten nächste Woche noch einmal bei einer open-air Projektion zu Gemüte führen. Ich denke eine Sichtung brauche ich noch um vollends mein Urteil fällen zu können. Ayahuasca-Freilicht-Porno – mal sehen!