Ein Loblied auf Yasuzô Masumura…
…und „Akumyo: shima arashi“ (1974) im Speziellen.
Die sich schleichend entwickelnde Tragödie des wandernden Hahnenkämpfers Asakichi, der völlig ohne Absichten durch seine Liebe zu der Geisha Kotoito in den Machtkreis der Yakuza gerät, beschreibt Yasuzo Masumura über weite Strecken nüchtern ohne die expressive Schwerblütigkeit seiner frühen Melodramen. Die Welt, von der Asakichi und der sich ihm anfangs noch enthusiastisch anschließende junge Ex-Yakuza Sada absorbiert werden, wird von starren männlichen Verhaltenskodizes beherrscht, von ehrenhaften Selbstopfern und einem undurchdringlichen Zyklus formell-traditioneller Gesten, deren Macht Asakichi widerstandslos die unerwünschte Position als Yakuza-Hauptmann akzeptieren lassen und an der die Frauen um ihn und Sada zugrunde gehen, da sie nicht in der Lage sind, sich diesem ewigen Spiel aus Abhängigkeiten und maskulinen Ritualen weit genug anzupassen, in dem die Kette fallender Dominosteine nie zuende geht. Gewaltsam zu Ende gebracht wird sie schließlich, wie so oft bei Masumura, durch die mit japanischer Konsequenz und Determiniertheit ohne Selbstzweifel gewählte letzte Option des Suizids, der hier, anders als in seinen Melodramen, nicht einmal mehr aktiv verübt wird. Das System, welchem sich Asakichi und Sada unterworfen haben, will sie vernichten – und vernichten lassen sich beide willenlos, Sada von den Yakuza und Asakichi von einer Gesellschaft, deren Werte sich so eindeutig in ihrer Unterwelt widerspiegeln, dass für ihn keine Hoffnung mehr besteht, den Rest an Liebe, der ihm geblieben ist, in das befreiende Ideal zurückzuverwandeln, als das er ihm, dem von seiner Familie vor Jahren Geächteten, zu Beginn des Films stillschweigend und ohne Erwartungen erschienen ist. Masumuras Figuren sehnen sich bis zur völligen Selbstaufgabe danach zu leben, doch sie schreien erst dann mit einer alles verzehrenden Verzweiflung danach, steigern sich erst dann in den ihnen zustehenden emotionalen und sinnlichen Exzess, wenn sie sich in einem rituellen Todeskampf noch einmal ekstatisch aufbäumen. Das hat dieser, in seinen intimen Momenten mit observierender Distanz und in seinen zahlreichen Kampfszenen betont physisch, trocken brutal aber auch bewusst undynamisch inszenierte, stählerne Film mit den düsteren, erdrückenden und leidenschaftlichen Melodramen gemein, die Masumura in den 60iger Jahren mit seiner Muse Ayako Wakao in der Hauptrolle drehte. Ein Gangster-Film, der keiner ist, weil die Gangster zwar zentrales Motiv sind, allerdings ihrer verqueren Moral enteignet werden. Vielleicht hätte sich Francis Ford Coppola mit seinem THE GODFATHER PART II unangenehm berührt gefühlt, wenn er diesen Film gesehen hätte. Ihm wäre dann vielleicht bewusst geworden, dass man die Hölle eines Systems nur dann wirklich als solche in Szene setzen kann, wenn man sie selbst mit voller Intensität fühlt.
Es hat auf mich langsam den Anschein, als würde im kommerziellen japanischen Kino (respektive Mainstream) wesentlich unmittelbarer auf die Enge und die Kompromisslosigkeit, die emotionale wie sexuelle Repression und perfide Konsequenz des eigenen Kulturkreises reagiert als im Amerikanischen, wo eine konkrete Reaktion oft erst mit einer Distanz in der Perspektive einhergeht – zumindest ist das ein Gedanke, der mir bei meinen jüngsten Begnungen mit den Filmen Yasujiro Ozus (den ich nicht sonderlich schätze, obwohl er das Übel mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versucht), Nagisa Oshimas (bei dem der intellektuelle Verarbeitungsprozess sofort auf den Impuls folgt) und eben Masumuras gekommen ist. Masumura allerdings lässt den Impuls einfach schwingen, solange, bis aus den kleinen Wellen eine schaumgekrönte, wogende Wasserwand erwachsen ist, die tosend in sich zusammenfällt und den Versuch des Begreifens ertränkt. Masumuras Filme erlangen Transzendenz durch Exzess. Das teilen sie mit anderen aggressiv existenzialistischen Regisseuren wie Andrzej Zulawski, Douglas Sirk oder Paul Verhoeven, die zu meinen engsten Lieblingsregisseuren gehören, deren Kreis Yasuzo Masumura nun, nach nur sechs Filmen, mit AKUMYO: SHIMA ARASHI offiziell beigetreten ist. Seit langem hat mich kein Filmemacher mehr so nachhaltend und umfassend inspiriert, stimuliert, berührt und vor allem zutiefst verstört. Diese Filme sind ein Geschenk, für das man sich nicht oft genug bedanken kann. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, mehr und schlüssiger über sie zu schreiben. Doch Filme wie diese kann zumindest ich unmöglich adäquat in Worte fassen. Man muss sie in erster Linie spüren.
5 Masumura-Filme, 5 neue Lieblingsfilme: MANJI – DIE LIEBENDEN* (1964), SEISAKU’S WIFE ** (1965), RED ANGEL* (1966) , DIE BLINDE BESTIE * (1969) , AKUMYO: NOTORIOUS DRAGON (1974)
* Auf DVD in England von Yume Pictures und den USA von Fantoma erhältlich. In Deutschland sind bei Rapid Eye Movies „Die blinde Bestie“ und „Irezumi“ (1966) erschienen.
** In Frankreich auf DVD erhältlich von Ciné Malta, leider nur mit französischen Untertiteln und in mäßiger Bildqualität.
Anmerkung: Offenbar handelt es sich bei AKUMYO: SHIMA ARASHI um den letzten Teil einer ganzen Serie von Filmen um den von Shintaro „Zatoichi“ Katsu gespielten Hahnenkämpfer Asakichi. Davon habe zumindest ich beim Ansehen nichts bemerkt; der Film wirkt in sich abgeschlossen, auch wenn Kenner der übrigen Filme den Protagonisten vielleicht weniger enigmatisch empfinden dürften als ich.
Abschließend noch ein Zitat von Masumura, auf dass ich in der IMDb gestoßen bin:
„My goal is to create an exaggerated depiction featuring only the ideas and passions of living human beings. In Japanese society, which is essentially regimented, freedom and the individual do not exist. The theme of Japanese film is the emotions of the Japanese people, who have no choice but to live according to the norms of that society . . . After experiencing Europe for two years *, I wanted to portray the type of beautifully vital, strong people I came to know there.”
* Masumura studierte Anfang der 50iger Jahre Film am “Centro Sperimentale Cinematografico“ in Rom.
Links:
http://www.chicagoreader.com/chicago/tales-of-ordinary-madness/Content?oid=896201
http://somedirtylaundry.blogspot.com/search/label/Masumura
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0401/feuilleton/0036/index.html
http://www.independentcinemaoffice.org.uk/masumura.htm
http://en.wikipedia.org/wiki/Yasuzo_Masumura
http://www.dvd-forum.at/5/special.htm
Und als negatives Fundstück ein in meinen Augen zumindest äußerlich (es handelt sich allerdings nur um einen Hinweis auf eine Masumura-Reihe im Arsenal-Kino Berlin) ausgesprochen engstirniger Kurztext, der eindimensional am Geist von Masumuras Werk vorbeischreibt, da er nicht der durchaus fließenden Entwicklung des Regisseurs nachspürt sondern sein Schaffen in handelsübliche Kategorien handelsüblichen Kritiker-Jargons einbettet und ihm im Vergleich mit Nagisa Oshima (der selbst zu Masumuras Anhängern zählte) auch flugs noch unterstellt, weniger radikal gewesen zu sein:
http://www.critic.de/aktuelles/kalendarium/detail/artikel/filme-von-yasuzo-masumura-im-kino-arsenal-1900.html
Könntest Du eventuell noch einmal ausführen, warum genau mein verlinkter Kurztext „engstirnig“ sein soll? Lese ihn bei der Gelegenheit vielleicht noch einmal etwas genauer, dann wirst Du zB feststellen, dass ich Masumura „unterstelle“, im Vergleich zu Oshima lediglich in FORMALER Hinsicht weniger radikal gewesen zu sein (und „radikal“ ist btw kein Werturteil). Wenn Du dann einen Masumura-Film findest, der in dieser Hinsicht mit zB Oshimas Three Resurrected Drunkards oder Sing a Song of Sex auch nur vergleichbar ist, dann würde ich den sehr gerne sehen. Wie ich natürlich überhaupt Masumura immer sehr gern sehe und auf Akumyo nach Deinem Text sehr gespannt bin.
Noch etwas: Wenn Du meinst, ich hätte die „fließende Entwicklung“ des Regisseurs nicht beachtet, Du aber gleichzeitig die frühen Filme, über die ich schreibe, gar nicht kennst, wie geht das zusammen?
Warum ich diesen Text hier verteidige? Nicht aus verletzter Eitelkeit, auch nicht, weil ich ihn besonders schätze, ganz im Gegenteil scheint er auch mir etwas allzu routiniert heruntergeschrieben, die journalistisch hinweisende kurze Form liegt mir vermutlich einfach nicht besonders (wobei ich inhaltlich immer noch voll dahinter stehe, ja: auch zur „sozialen Realität“, schaue Dir einmal Kisses und vor allem meinen Lieblings-Masumura A False Student an; das ist schon was anderes als Blind Beast oder Manji, die ich beide auch sehr schätze). Aber ich möchte doch darum bitten, auch derartige Texte vor dem Verriss wenigstens gründlich zu lesen.
Interessanter Text zu einem mir sträflicherweise bisher nicht besonders vertrautem Regisseur (kenne nur GIANTS AND TOYS).
Was mich aber sehr oft stört bei Dir, Christoph, ist das generelle, ständige, nachdrückliche Querschießen gegen eine angeblich falsche Rezeption diesen und jenes Films und/oder Regisseurs, weil das deine störende Kanon/Konsens-Ablehnung zumeist unvorteilhaft gegen die persönliche Euphorie auszuspielen droht. Das gibt deiner leidenschaftlichen Filmentdeckerei einen mehr als fahlen Beigeschmack, zumal es oft besserwisserisch anmutet.
Lukas, ich bitte um Entschuldigung für die sehr späte Antwort, aber ich war seit Donnerstag mehr oder minder verhindert und wollte mir auch Zeit hierfür nehmen.
Engstirnig habe ich den Text (um nach deiner Aussage über dessen Form, der ich bei Erinnerung an die mir bekannten Splatting Image-Kritiken von dir nur beipflichten kann, kein Missverständnis hinsichtlich der generellen, nennen wir es mal ganz schlicht, Qualität deiner Texte zu kreieren) vor allem wegen stark kategorisierender und potentiell durchaus diskursfeindlicher Aussagen wie „Viele seiner Werke sind den in den sechziger und siebziger Jahren boomenden Exploitationfilmgenres zuzurechnen“ oder „Zu Beginn seiner Karriere orientierten sich die Filme stärker an der sozialen Realität und behandelten teilweise explizit politische Themen.“ empfunden.
Für mich persönlich beißen sich der Begriff „Exploitation“ und eine intellektuelle Filmrezeption in keinster Weise aber ich bin mir darüber im Klaren, damit leider eher zu einer Minderheit zu gehören. Das nur nebenbei. Generell nimmt sich eine solche Zuordnung im Kontext eines solchen Textes, in dem zugleich eben von den frühen Filmen die „aber noch nicht so waren“ (so steht es für mich zwischen den Zeilen) aber sehr unglücklich aus und die Hervorhebung von GIANTS AND TOYS und KISSES (den ich übrigens gesehen habe – er ist nur oben nicht genannt, weil er im Gegensatz zu den anderen fünf Filmen eben kein neuer Liebling geworden ist. GIANTS und STUDENT sind bereits queued.) als „politisch / sozial“ konkreterer Filme verdoppelt diesen Effekt noch. Das empfinde ich rein persönlich dann auch wieder als äußerst zwiespältig, denn auch wenn Masumuras spätere Melodramen bzw. Genrefilme extrem stilisiert sind, dreht sich doch alles um den sehr wahrhaftigen, bitteren Kern – Gesellschaft als Käfig mit Zahlenschloss, dessen Code die Figuren durcheinander bringen. Wie ich inzwischen herausgefunden habe, schätzt du offenbar SEISAKU’S WIFE sehr, der m. E. ganz klar trotz seiner grellen Inszenierung die Qualitäten mitbringt, die du in deinem Text an KISSES und GIANTS lobst, ebenso wie das auch RED ANGEL und, in einem abstrakteren Sinn, AKUMYO tun. Letzteren habe ich instinktiv ohnehin als hochgradig politischen Film empfunden aber da ich, anders als du, über praktisch kein Hintergrundwissen verfüge und meine Auseinandersetzung mit dem japanischen Kino bislang eher flüchtiger Natur war, habe ich das in obigem Text bewusst ausgespart.
Überhaupt weiß ich nicht, ob ich dieser Konfrontation gewachsen bin: Bisher war mir nicht voll bewusst, dass das japanische Kino eines deiner bevorzugten Felder ist – ich muss beispielsweise gestehen, bislang nur drei Filme von Oshima gesehen zu haben.
Du stellst berechtigtermaßen fest, dass „radikal“ zunächst ein wertfreies Adjektiv ist (trotzdem: experimentell *oder* formal radikal…? Ist Masumura nicht vielleicht in erzählerischer / moralischer Hinsicht radikaler?) – in gleicher Weise ereifere ich persönlich mich oft darüber, dass man nichts mehr als Kunst bezeichnen kann ohne damit gleich unfreiwillig ein Qualitätsurteil ausgesprochen zu haben – so, als sei etwas automatisch wertvoll, nur weil man es Kunst schimpft.
Trotzdem – wie ich eben schon angedeutet habe, ergibt sich das Werturteil ganz klar aus dem Kontext. Man kann nicht in einem Satz von radikaleren (und zudem auch noch bislang anerkannteren) Kollegen und von der Treue Masumuras zum kommerziellen Studiosystem (an sich zweifellos eine korrekte Feststellung) sprechen, ohne dabei beides gegeneinander auszuspielen. Und ich halte dich für ausreichend geistig befähigt um beim Schreiben eine solche Reaktion abschätzen zu können.
Hier möchte ich vorerst schließen, wir wollen ja nicht über Geschmack streiten. Denn meinem eigenen zufolge finde ich den in erzählerischer und moralischer Hinsicht überaus radikalen, stilisierten Existenzialismus der späteren Masumuras wesentlich interesssanter und stimulierender als die naturalistische Rohheit von KISSES (der aber auch sehr toll ist und natürlich einen vortrefflichen Schwesterfilm zu Oshimas NACKTE JUGEND abgeben würde) – aber das bin ja nur ich. Das ist immer wieder eine fiese Stolperfalle, in die ich leider im Eifer des Gefechts oft stolpere wie von Rajko oben auch kritisiert.
(@ Rajko: Auch wenn du es besser wissen solltest, mein Lieber – mit Diskussionen über Geschmacksfaschismus haben wir uns weiß Gott schon zahlreiche Nächte um die Ohren geschlagen und eigentlich hatte ich den Eindruck dass wir die Schallmauer durchbrochen hatten… Aber du hast recht, ich sollte die Energie meines Enthusiasmus nicht so oft mit kleinlichem Gemecker verwässern.)
PS: Was ich ganz vergessen hatte: Du ziehst im Vergleich ja Nicholas Ray und Samuel Fuller heran. Ersterer wird ja schon auf dem Cover der KISSES-DVD genannt und liegt auf der Hand, den Vergleich mit zweiterem finde ich hervorragend, denn Fuller hat sie auch Zeit seiner Karriere kultiviert, die turbulente Liebschaft von hartem Sozialkolorit und melodramatischem Eskapismus. Und wie Masumura war auch Fuller ein politischer Regisseur, doch zumeist handeln seine Filme von menschlichen und nicht politischen Konflikten (dazwischen muss zumindest in meinen Augen unterschieden werden). Beide resignierten gegen Ende ihrer Karriere in gewisser Weise – Masumura beispielsweise in AKUMYO und Fuller in dem sehr unterschätzten STREET OF NO RETURN. Ein kongenialer, fruchtbarer Vergleich – war mir bisher nicht in den Sinn gekommen.
falls meine erste Replik zu scharf war, entschuldige ich mich gerne, sie war wirklich nicht böse gemeint… es scheint ja zum Teil um terminologische (ich würde aber schon sagen:) Missverständnisse zu gehen. Beziehungsweise darum, dass Du „Kategorien“ ziemlich grundlegend abzulehnen scheinst, ich hingegen nur dann, wenn nicht deutlich wird, dass sie etwas dem Gegenstand Äußerliches bleiben und ihm deshalb nicht etwas wegzunehmen drohen. Was bei Kurztexten natürlich eine Gefahr ist, aber eigentlich nur dann, wenn man sie als letztes Wort zum Thema versteht. Und das tue ich nicht, weder als Autor, noch als Leser. Vielleicht bist Du auch einfach auteuristischer als ich, wobei ich durchaus auch Auteurist bin, aber es inzwischen oft interessanter finde, die Differenzen und Varianten innerhalb eines Werks zu untersuchen als einen roten Faden zu behaupten.
Ansonsten und nur um das klarzustellen: Auch ich bin sehr dafür, Exploitation intellektuell, ästhetisch, politisch und in jeder möglichen anderen Hinsicht ernst zu nehmen, auch für mich sind neorealistische Jugenddramen nicht per se politischer, „moralischer“ (oder auch nur realistischer) als pinku eigas. Aber ich halte es doch immer für sinnvoll, sich anzuschauen, in welchem sowohl zeitgeschichtlichen als auch filmindustriellen Kontext Filme entstehen und etwaige Unterschiede dann auch zu benennen. „Exploitation“ steht ja nicht nur für einen ästhetischen Modus, sondern auch für ein sehr spezifisches Segment der Kulturindustrie, für eine sehr spezifische Form des soziokulturellen Diskurses, der einige Türen öffnet, andere aber auch verschließt.
btw: A False Student scheint, wie leider immer noch viele andere Masumuras, schwer greifbar zu sein, eine vernünftige DVD-Edition mit englischen UT gibt es soweit ich sehe nicht, wobei irgendwo mal ein Bootleg herumgeschwirrt ist. Aber selbst das finde ich inzwischen nicht mehr im Internet. Der Film ist eine ziemlich großartige Auseinandersetzung mit den Studentenprotesten 1959 / 60 in Japan (und einer der ganz großen Filme über Revolution und Moral) und er nimmt viel von dem vorweg, was Wakamatsus (da hätten wir einen Exploitationfilmer, auf den ich aber wirklich gar nichts kommen lasse… sein neuer Film Caterpillar ist schon jetzt einer der Filme des Jahres) United Red Army vor ein paar Jahren in eine etwas andere Richtung ausgearbeitet hat.
Naja, jedenfalls nichts für ungut… Eure Seite gefällt mir sehr und ich warte schon auf eine Fortsetzung der Deutsche Filme Serie…
Das ist ja wirklich spannend hier mal wieder auf ausführlichere Diskussionen zu stoßen. War ich anfangs etwas befremdet, finde ich euren Dialog inzwischen spannender als den Beitrag (nichts für ungut, Christoph 😉 ).
Masumura muss ich auch noch für mich entdecken. Zwar bin ich hier auf dem Blog wohl der erfahrenste was Japan und seine Filmgeschichte angeht, aber was heißt das schon – nicht nur bei einem Land, dass in den 50ern zeitweise eine größere Filmproduktion als die USA hervorgebracht hat, sondern im Grunde bei jedem Land. Nicht viel.
Aber es ist schön, dass dein Entdeckergeist endlich auch in Japan so richtig Fuß gefasst hast, bzw. du mit den japanischen Filmerzeugnissen langsam warm wirst, Christoph. 🙂
Ich habe ja immer noch lediglich den ziemlich großartigen „Afraid to Die“ (1960), mit dem überragend aufspielenden Yukio Mishima in der Hauptrolle zu Gesicht bekommen. Und das ist inzwischen schon über 3 Jahre her. Also höchste Zeit deinen momentanen Enthusiasmus bezüglich Masumura aufzusaugen, und mir mehr von ihm anzuschauen. Ich denke Wakamatsu, Fukasaku und Suzuki wären noch drei japanische Filmemacher, die dich bei Ansicht mehrerer Filme in vergleichbarer Weise ansprechen könnten wie Masumura.
Und ich brauche Nicholas Ray Filme von dir!! 😉
@ Lukas:
Nein, zu scharf auf keinen Fall. Ich würde sehr wahrscheinlich ähnlich auf eine derartige Kritik an einem meiner Texte reagieren (seltsamerweise hat sich bisher noch niemand so an meinen zahlreichen alten, unmöglichen Texten in der OFDb vergangen). Die Attribute, die ich verwendet habe, sind schließlich nicht gerade das, was man als Überzeugungstäter gerne von sich liest.
Im Bezug auf Kategorien hast du ins Schwarze getroffen; gerade weil die wenigsten zwischen funktionellem Gebrauch solcher Begriffe wie „Exploitation“ oder „Genrekino“ und der häufig schmähenden Konnotation dieser Begriffe differenzieren, bemühe ich persönlich mich inzwischen darum, sie zu vermeiden, bzw. (und ob das so ideal ist, weiß ich nicht) meine Attitüde bei ihrem Gebrauch zu erklären, um keine Missverständnisse zuzulassen (eben weil ich mir nie sicher genug bin, dass die Oberflächlichkeit solcher Kategorisierungen oder auch nur Scheinkategorisierung von jedem so begriffen wird. Nur hier misstraue ich dem Leser oft gänzlich was kein angenehmes Gefühl ist). Gerade den Begriff „Genrekino“ benutze ich ausgesprochen häufig, bin aber nie ganz glücklich damit, da ich die ewige Unterscheidung zwischen Genre- und Autorenkino (oder, um es noch ein wenig auf die Spitze zu treiben, Genre- und Arthousekino) für eine kunstfeindliche Todsünde halte. Andererseits kann man mit dem Begriff auch spielen und den Leser von vornherein in eine bestimmte Richtung lenken aber das ist dann eben auch meist ein Spiel mit heißen Steinen.
Mit Auteurismus hat das eigentlich eher wenig zu tun, vielmehr steht in solchen Fällen mehr der Wunsch im Vordergrund, ein geschätzter Filmemacher würde mehr Respekt und intellektuelle Zuwendung (nicht nur von der Filmkritik) erhalten – egal aus welchen Gründen, Hauptsache Respekt. In deiner Aussage
„wobei ich durchaus auch Auteurist bin, aber es inzwischen oft interessanter finde, die Differenzen und Varianten innerhalb eines Werks zu untersuchen als einen roten Faden zu behaupten.“
entdecke ich durchaus mein eigenes Hauptinteresse wieder. Ich finde nichts öder als einschlägige Publikationen zu einem an sich wandelbaren Filmemacher, in denen auf Biegen und Brechen versucht wird, ein Netz aus thematischen und stilistischen Eckpunkten um ein unebenes Werk zu spannen – eben einen roten Faden zu ziehen. Das ist nicht nur stur sondern auch kontraproduktiv, weil man sich bei der Rezeption der Filme Gewalt antun muss, um im eigenen Rahmen zu bleiben. Leider ist dieser Ansatz aber relativ populär, sonst müsste man sich nicht in schöner Regelmäßigkeit dafür verteidigen, den wenig geschätzten und verrissenen weil „aus der Reihe tanzenden“ Film X des eigentlich beliebten und anerkannten Regisseurs Y zu verehren.
Ich hoffe, dass du beim Lesen des Masumura-Textes nicht den Eindruck bekommen hast, ich würde mich mit Gewalt um eine Brücke bemühen zwischen „Akumyo“ und den früheren Masumuras. Vielleicht fehlen einfach ein paar mehr Ausführungen zu dem „neuen“ Masumura, der in diesem Film durchscheint, der moralisch in ein anderes Stadium und in einer faszinierenden, großartigen ästhetischen Plan- und Ziellosigkeit angekommen ist (die zumindest ich so in seinen doch ausgesprochen homogenen frühen Filmen noch nicht entdeckt habe). Die Veränderung, den Wandel anhand der wenigen verbleibenden Kontinuitäten und ihrer perspektivischen Verschiebung, ihrer Umbettung herauszuarbeiten, ist auch eine Kunst und wenn der Versuch misslingt, kommt es sehr leicht zu Missverständnissen wie dem aktuellen zwischen dir und mir.
Ansonsten und nur um das klarzustellen: Auch ich bin sehr dafür, Exploitation intellektuell, ästhetisch, politisch und in jeder möglichen anderen Hinsicht ernst zu nehmen, auch für mich sind neorealistische Jugenddramen nicht per se politischer, “moralischer” (oder auch nur realistischer) als pinku eigas. Aber ich halte es doch immer für sinnvoll, sich anzuschauen, in welchem sowohl zeitgeschichtlichen als auch filmindustriellen Kontext Filme entstehen und etwaige Unterschiede dann auch zu benennen. “Exploitation” steht ja nicht nur für einen ästhetischen Modus, sondern auch für ein sehr spezifisches Segment der Kulturindustrie, für eine sehr spezifische Form des soziokulturellen Diskurses, der einige Türen öffnet, andere aber auch verschließt.
Sehe ich alles sehr, sehr ähnlich wobei „Exploitation“ für mich vielleicht doch zu größeren Teilen ein ästhetischer (und auch dramaturgischer, manipulativer) Modus ist als ein industrielles. Das Erscheinunsbild von Exploitation in verschiedenen Kinokulturen sagt oft eine Menge über die Kultur des jeweiligen Kinolandes im Allgemeinen aus, auch wenn man mit solch gröben Rückschlüssen sicherlich vorsichtig hantieren muss und sich nicht darauf allein stützen kann. Natürlich ist der Begriff „Exploitation“ in diesem Fall weiter gefasst und beinhaltet nicht nur die schmuddelig-gewalttätig-erotische Exploitation nach üblichem Verständnis, sondern auch die Exploitation eines Douglas Sirk, die sich so sehr ähnlich bei Masumura wiederfindet.
Allerdings verschließt sich, plakativ gesprochen, das Arthousekino (jetzt geht’s los!) durch seine tedenziell stärkere Konkretisierung seiner Themen oft mehr Türen als das Genrekino (…), wo zunächst nur profan oder esoterisch motivierte Bewegungen, Reaktionen, Provokationen und Spekulationen behauptet werden und alles andere zumindest äußerlich an zweiter Stelle steht. Dadurch kollidieren manchmal mehr verschiedene Faktoren und die Reibung ist stärker. Und das führt mich dann schlussendlich dazu, „Seisaku’s Wife“ mehr zu mögen als „Kisses“, obwohl sich beide zahlreiche erzählerische Impulse teilen.
Glücklicherweise habe ich „A False Student“ schon aufgetrieben, allerdings ist die Bildqualität zum Heulen. Aber für seine Kinogötter bringt man ja so manches Opfer – wie auch kürzlich bei dem großartigen „Arcana“ (das könnte übrigens ein Film für dich sein, wenn ich mir den 60iger / 70iger-Abschnitt deiner Jahrhundert-Bestenliste ansehe) den auch endlich mal jemand herausbringen sollte (genauso wie mehr von Masumura und auch dem von dir erwähnten Wakamatsu, von dem ich bislang nur die vier Filme auf der Berlinale 2008 gesehen und weitgehend [abgesehen von dem doch sehr extremen „Ecstasy of the Angels“] sehr genossen habe. Wakamatsu ist auch der angenehme Fall eines Filmemachers, der anscheinend Exploitation gar nicht so sehr als Limitierung sondern viel mehr als politische Provokation genießt was nicht immer ganz einfach, aber immer interessant und ergiebig ist. Leider musste ich die Berlinale dieses Jahr auslassen und somit ist mir auch „Caterpillar“ entgangen.)
Ich würde jetzt den Absatz über deinen Text gerne aus dem Post editieren, aber das würde dieser Diskussion ihren Ausgangspunkt nehmen, daher lasse ich es widerwillig drin.
@ Sano:
Nur kurz, weil wir das meiste ja schon ausführlich besprochen haben. Mein Beitrag ist natürlich „nur“ ungefilterte Euphorie – daher ist diese Diskussion eine gesunde Ergänzung.
Wir sollten demnächst mal zusammen einen Masumura gucken – oder vielleicht auch einen Ozu, eventuell gelingt es dir dann ja, mich mit deinem Enthusiasmus für diesen von mir mit Skepsis betrachteten Regisseur anzustecken. („Afraid to Die“ wird auch demnächst gesichtet…8-) Jetzt müsste ich nur noch DER GARTEN EDEN, seinen italienischen Film von 1980 finden – gerade der spitzt mich natürlich extrem an – mein japanischer Lieblingsregisseur in meinem Lieblingsfilmland…)
Leider ist mein Entdeckergeist hinsichtlich des japanischen Kinos immer noch sehr beschränkt und ich bin wohl immer noch recht ignorant aber nachdem ich mich in den letzten Jahren mit diversen amerikanischen, britischen und italienischen Regisseuren ausführlich beschäftigt habe, ist meine junge Masumura-Obsession vielleicht der erste Schritt in eine neue Richtung. Leider fühle ich mich gerade bei Filmen, die explizit japanische Themen behandeln, ein wenig außen vor, da mir die Kultur / Mentalität immer noch sehr fremd ist und ich über das politische Geschehen und die Geschichte des Landes kaum etwas weiß.
Fukasaku harrt noch einer wirklichen Begutachtung meinerseits, da ich momentan nur (Überraschung…) BATTLE ROYALE kenne. Zwei seiner Yakuza-Filme liegen hier aber auch schon herum und warten auf die richtige Zeit und Stimmung.
Suzuki ist mir nach nur zwei Filmen schon sehr spanisch. Während BRANDED TO KILL sicherlich auf seine Weise großartig ist (müsste mir aber endlich mal meine ungesichtete Rapid Eye-DVD ansehen nachdem ich den Film im Kino zweimal mit vertauschtem 3. und 4. Akt gesehen habe), hat mir TOYKO DRIFTER, wie du weißt, fast nichts gegeben (obwohl er so schön verspielt, psychedelisch und surreal ist – und so etwas mag ich grundsätzlich ja sehr).
Von Nicholas Ray hast du ja jetzt eine kleine, aber feine Auswahl zusammen. Ich muss wohl nicht betonen, wie sehr ich mich über das ein oder andere Review von dir freuen würde. BIGGER THAN LIFE sollten wir aber wirklich zusammen gucken. Besonders gespannt bin ich auf jeden Fall auf deine Gedanken zu KING OF KINGS, einem im wortwörtlichsten Sinne monumental gescheiterten Filmexperiment, dessen theoretische / filmische Reize allerdings beachtlich sind.
Hmm, bin zufällig wieder über deinen (inzwischen schon etwas älteren Masumura-Artikel gestolpert 😉 ), und habe vor allem die Kommentare teilweise noch einmal gelesen. Inzwischen haben wir uns ja schon ein paar Masumuras mehr zu Gemüte geführt, und obwohl ich ihm bei weitem nicht so viel abgewinnen konnte wie du, habe ich spätestens seit „Naomi, die Unersättliche“ das Gefühl, endlich für ihn warm zu werden – etwas was ich mir ja schon immer gewünscht hatte, und was sich zunächst mit meiner übergroßen Begeisterung für „Kisses“ auch zu manifestieren schien. Hätte also große Lust, demnächst mal mit dir (bei mir auf meinem miesen Fernseher) den zweiten Hanzo-Film zu schauen. Den haben wir ja bei unseren Sichtungen damals leider ausgelassen (und ich glaube mich zu erinnern, dass du den ersten Film der Reihe bereits kennst und schätzt).
Mit Ray bin ich wie du vielleicht denken kannst nicht viel weiter gekommen – aber zumindest mit genügend Filmen und Büchern bin ich inzwischen eingedeckt. „Bigger than Life“ schaue ich mir aber doch lieber alleine an. Denke da werde ich einiges zu verdauen haben. Und so richtig traue ich mich an dieses bonbonbunte Familienroulette einfach nicht heran.
Bei Suzuki ist bei mir inzwischen eingetreten, was ich als angehender Verehrer seiner Leinwandkunst nicht erwartet hätte: „Tokyo Drifter“ gefällt mir inzwischen besser als „Branded to Kill“. Vielleicht kann ich ja dein gewecktes Interesse am japanischen Film mit einer gemeinsamen Sichtung von Suzukis „Story of a Prostitute“ weiter verstärken. Ein Vergleich mit Masumuras „Red Angel“ drängt sich dabei auf, und ich wäre auf eine Diskussion darüber sehr erpicht!
Von Fukasaku kenne ich übrigens genau wie du auch nur „Battle Royale“. Aber was für ein Abschied von der Leinwand!! Ich glaube ja, dass der Film mit zunehmendem Alter mehr geschätzt werden wird. Weiß aber nicht so recht, was ich von der kürzlich in Japan gestarteten 3D-Verwurstung halten soll…
:P…
…
???!?!?…
… 😆
Doch doch, das war schon so gemeint. 🙂
Nein, ich habe mich nur über diesen plötzlichen „Überfall“ gewundert. 😉
Ich bin gespannt, ob Suzuki auch noch ein Lieblingsregisseur von mir wird. Ich liebe zwar BRANDED TO KILL, aber mit TOKYO DRIFTER konnte ich ja, entgegen meiner Liebe für Schangel, kaum etwas anfangen.
Da bin ich ziemlich zuversichtlich. Und falls nicht, warten dennoch unzählige „unfassbar“-Ausrufe auf dich. 😉
EDIT: Ich war aber auch mal wieder am spekulieren, was wohl aus unserem Masumuratext werden wird…
Hm, was wird wohl aus unserem Masumura-Text werden? Es kommt anscheinend so, wie es kommen muss: Den sich jeden Zugang zu ordentlichem, formschönen Filmgeschreibsel verschangelnden ET-Autoren werden die Tore zu den Bächen der Printmedien auf ewig verschlossen bleiben und nie wird sich unsere eigene Ultrakunst in Form gedruckter Seiten materialisieren und dem papierfetischistischen Cinesnob offenbaren!
Es ist ein Jammer. Mögen die Götter des Cinelymp mit uns sein.
„Unfassbar“ klingt gut. Ich erwarte jetzt von Suzuki natürlich nichts geringeres als den totalen Sleaze, bzw. „P.leaze“.
Meinen Informationen zufolge soll das Heft noch kommen. Also: durchhalten und optimistisch bleiben! 😉
Angesichts des epischen Aufwands, der in den episch ausufernden Text geflossen ist, und der epischen Wartezeit, fällt der Optimismus schwer, doch wir werden versuchen, standhaft zu bleiben. 😛
Die Hoffnung stirbt bekanntlich – auch bei uns – zuletzt…