Dietrich Schubert – Die Stilistik des Erinnerns: Kriegsjahre in der Eifel (1989)
Aufblende – ein Auto wühlt sich einsam durch die verschneiten Straßen Rescheids, nie versiegende Verwehungen lassen den Blick durch die Frontscheibe ins Ungewisse drängen, es plärrt eine alte Rede, der Sprechern des dritten Reiches so eigene, auch Panzerglas zerschneidende Duktus von der Leinwand. Ist sie Erinnerung, dröhnt sie aus dem Autoradio oder einem fernen Volksempfänger? Allein die Akkustik lässt keine Antwort zu. Man ahnt es schon, Brüche und Kontinuitäten werden es sein, die in „Kriegsjahre in der Eifel“ auf den Tisch kommen. So scheint es.
Diese Radiohalodries hätte sein Vater eh nie ernstnehmen können, so hält es ein Zeitzeuge fest, eingefangen am schmucklosen Küchentisch mit seiner Gattin. Doch auch „’ne Uniform gab’s ja bei uns nicht, obwohl wir schon gerne eine gehabt hätten.“ Kinderohren hören solche Dinge eben immer ein wenig anders. Das Radio, seine durchschaubare Überhöhung, auch aber seine Verführungskraft auf Menschen fernab der wirklich „großen Ereignisse“ der Jahre 1933 – 1945 – diese Dinge nehmen eine zentrale Rolle ein in Dietrich Schuberts Film, der sie als mehr als bloße tote Historie verstehend einflicht in einen bemerkenswerten Diskurs.
Einen Diskurs über das Reden, Hören, gehört werden und ungehört verweilen. Seinen Interviews mit Zeitzeugen gegenüberstellt finden sich stilisierte, gleichsam durch die Aufsetzung beinahe identischer statischer Kameraaufnahmen dasselbe Gefühl der vermeintlichen Authenzität vermittelnde Vorträge aus der Schulchronik der dunklen Jahre. Unseren Blick schärfend gehen sie so eine Symbiose ein, ordnen sie Worte aus mannigfaltigen Kontexten, diverse sprachliche Aspekte überspannend in ein größeres Model, eine Chronistik des Sprechens – passend zur Chronistik der Zeit quasi – ein. Gemachte Erfahrungen, vage Erinnerungen an nichts Großes, kleine Akte der Widerspenstigkeit, kleine Akte des Opportunismus ergeben in ihrer Zusammensetzung ein präzises Abbild der sie hervorgebracht habenden Gesellschaft – exakt wie die alten Radioaufnahmen, die Chronik reflektiert durch die Augen und Ohren Nachgeborener. Das Unanfechtbare, vorgeblich Faktische ausgespielt gegen das Ungewisse, Menschliche. Eine Chronistik des Weitertragens eben dieses Menschlichen, das die Welt nur in Verbindung mit dem Faktischen abschließend zu erklären vermag. Kein abgefilmtes Geschichtsbuch, eine Sammlung vom Vergessen bedrohter Lebensgeschichten.
Mal um Mal zurückkehrend die Bilder des Auftaktes, in Variation, wechselnder Intonation nicht allein des Gesprochenen, sondern der still begleitenden Bilder. Im Gegensatz zu den Erzählungen der Altvorderen wird Beweismaterial gerne in Bewegung eingebettet. Menschen, die mit ihrem Zeigefinger eingefrorenen Fotodokumenten zu neuem Leben verhelfen, vermessende Kamerafahrten, der Fluß der Gezeiten. Zwei Male fährt die Kamera an den Panzersperren des Westwalles entlang, einmal von rechts, einmal von links, im Frühling, dann im Schnee des Winters. Bei der zweiten Fahrt evident: Der Blick aus größerer Distanz und ein auf diese Weise freigelegter Stacheldrahtzaun. Wie in den Autofahrten, die Dietrich so oft unternimmt, schält die abermalige Konfrontation neue Implikationen aus als bereits bekannt Angesehenem hervor. Gleich dem sich zurückziehenden Zoom, der das gesamte Ausmaß einer Gedenktafel erkennen lässt, setzt sie die Weichen für das Erkennen eines größeren Bildes.
Und immer wieder das Radio. Als in den Erinnerungen der Krieg erneut ausbrechen darf, stoppt es im Laufe eines abermalig motorisierten Ausfluges abprupt. Der Versuch den Kriegsbeginn nachzufahren ist zum Scheitern verurteilt, allein, ohne Zeitzeugen an der Seite, dafür Jahrzehnten an zeitlicher Entfernung an der Backe. Geschichte setzt sich aus dem überliefert Gebliebenen zusammen, erfahrenes Leid, mitangesehenes Leid, im Guten wie im Schlechten, alles eins. Kaum ein deutscher Film dürfte dies so deutlich aussprechen wie dieser. Schuberts neutraler Ton lässt die Menschen alles erzählen, was ihnen einfällt. Der auf der Flucht notgedrungen zurückgelassene Hund, die plötzlich aus der Schule verschwundenen, aber unbedarft durch umso mehr Rosenkränze gekonterten Kreuze und die Juden aus den Nachbarorten, denen es ebenso erging, deren Verbannung aus der Wahrnehmung man allerdings kein Behelf entgegensetzen, im besten Falle nur ein reibungsloseres Untertauchen angliedern konnte – nie fällt die Artikulation und filmische Rezeption dieser Gedanken ins Rührselige. Leise abbildend fängt „Kriegsjahre in der Eifel“ viel mehr diesen speziellen Redefluss der Alten und Ungehörten ein, der mir selbst als Eifelkind allzu vertraut erscheint. Später wird Schubert die begleitende Schulchronik langsam, dennoch merklich zu Gunsten größerer, tiefgreifenderer Erinnerungen ausschleichen, dieser Stimulation durch Reden, durch Zuhören somit auch inszenatorisch Rechnung tragen.
Die ratlose Bewegung seiner Ausflüge reduzierend lagert der Fokus dieser zweiten Hälfte des Filmes mehr auf Reanactments: Menschen in Kellern und anderen Erinnerungsorten eingepfercht, in ihren Erzählungen von der nun Enge, nicht mehr die Velorenheit der Weite einfangenden Kadrage eingerahmt. Die Einrichtungen karg, die Haltungen seriös, leicht eingefroren – sich Erinnern ist nicht immer schön. Dennoch werden die Geschichten persönlicher, lustiger, aber auch betrüblicher – die Tode von Bekannten, Freunden gar durch ungeräumt verbliebenes Sprenggut illustrieren den Übergang von der relativen Isolation der Eifel zum Kriegsschauplatz der letzten Jahre. Solche Übertragungen, Spiegelungen zwischen den Methodiken beider Hälften zeigen Schubert als das, was er ist: Ein meisterlicher Stilist des Dokumentarfilmes, dessen Blick für Bewegungen und das sie Auslösende den Zuschauer vor der Leinwand zum Nachdenken anregt, ihn erinnert daran, den Erfahrungsschatz seiner Eltern und Großeltern nicht achtlos vermodern zu lassen. Ganz ohne dabei jemals auch nur eine einzige sozialdidaktische Forderung aussprechen zu müssen, was seinem Werk insbesondere auch heute, in einem Jahrzehnt, das Deutschland nicht zuletzt abermals im großen Stile Fluchtbewegungen kennenlernen lässt, eine zeitlich ungebundene Dringlichkeit verleiht.
Gegen Ende von Film und gespannten Zeitrahmen gleichermaßen versucht sich der behutsam vorbeitrottende Seitenblick des Kameraauges auf saftige Weiden noch einmal an der Nachempfindung eben jenes Blickes, den die noch an herumliegende Minen und plötzlich aus dem Leben gerissene Nachbarn gewohnten Eifeler einst innegehabt haben müssen. Es hilft alles nichts, die durch die Distanz postkartentauglich gewordenen Krematorien aus Alain Resnais „Nuit et brouillard“ (1956) schleichen sich plötzlich in die eigene Wahrnehmung. Es ist die Schlussmontage, die diese Ambivalenzen abschließend verdichtet. Kinder auf auf Inlineskates rollen eine Straßenkreuzung im heutigen Rescheid herunter, ein Traktor auf dem Weg zu seinem Einsatzort, auf der Tonspur stellt der Erzähler fest, die Alten, sie hätten den Pfarrer Meurer noch gekannt, der sie zu Wiederaufbau und Reflexion ermutigte. Dann Bilder der längst aus der Wahrnehumg verwehten Zerstörung, ein Kriegerdenkmal, Abblende des vielleicht ehrlichsten Films über das Spannungsfeld zwischen nicht sehen können und wollen.
Kriegsjahre in der Eifel – BRD 1989 – 116 Minuten – Regie: Dietrich Schubert – Produktion: Dietrich Schubert – Kamera: Serge Roman – Schnitt: Brigitte Schröder-Zimmermann
[…] „Kriegsjahre in der Eifel“, ein Dokumentarfilm von Dietrich Schubert von 1989 kannte ich bisher nicht. Durch André Malbergs […]