Die Porno-Killer (1980)



oder: das beste aller möglichen Sprungbretter ins kalte Wasser

Das wird nie wieder weggehen. Das wird nun immer so bleiben. Ein Fakt setzt sich so leicht in die Welt. Der erste Film, den ich nach drei lernintensiven Monaten Anfang dieses Jahres in Florenz auf Italienisch, ohne hilfreiche italienische Untertitel – die hier ohnehin nicht zur Verfügung standen – zu sehen gewagt habe, wird nun immer Roberto Mauris LE PORNO KILLERS gewesen sein. Man will sich schließlich nicht überfordern und das Wagnis mit Spaß kompensieren, dachte ich.




Roberto Mauri. Ich mochte schon seinen spartanischen, rohen Italowestern LA VENDETTA È IL MIO PERDONO (1968) sehr und freue seit geraumer Zeit seinem auf den ersten Blick enorm seltsam anmutenden übernatürlichen Thriller MADELEINE ANATOMIA DI UN INCUBO (1972) entgegen.
Roberto Mauri. Vormals also Regisseur von Sandalenfilmen, Abenteuerfilmen, Horrorfilmen und diversen teils ihrer Reputation nach berüchtigt schundigen Italowestern, war 56 Jahre alt, als er mit dieser schmuddeligen und gewiss sehr günstig produzierten Miniatur seine Karriere beschloss. Ob er sich schon längst zur Ruhe setzen und sich lediglich seinen Lebensabend versüßen wollte oder ob ihn die Schrumpfung der italienischen Filmindustrie, deren langer, qualvoller Tod wenig später seinen Lauf nehmen sollte, von der Bildfläche entfernte – man wird es vermutlich nie erfahren. Das ist aber auch egal. Es ist aufregender, nichts darüber zu wissen. LE PORNO KILLERS ist so oder so ein denkbar schönes und illustres Ende für eine solche B-Karriere, meine ich. Vielleicht exaltiere ich dieses „B“ in meiner Vorstellung zu sehr. Die dreckige Schönheit meiner schäbigen Kopie – die qualitativ grauenvolle Digitalisierung einer halb geschredderten Videokassette, die ihrerseits offensichtlich von einer schwer mitgenommenen 35mm-Kopie abgefilmt wurde – lässt rationales ästhetisches Empfinden nicht zu. Man wälzt sich lustvoll in rustikalem Bilderbrei und Schmutz, lässt den „Videoknüppel“ genießerisch geschehen.






Der Knüppel erzählt von Virgina und Elisabeth, zwei amerikanischen Auftragskillerinnen (!), die in aller Welt für eine ominöse Geheimorganisation, die von einer nach italienischer Vorstellung sehr trocken Teutalienisch (= teutonisches Italienisch) sprechenden, maskulinen deutschen Dame namens Middleton (?) geleitet wird, die Kartoffeln aus dem Feuer holen, während ihre Klassetypen, bzw. ihre Freunde sich im trauten Bungalow als Hausmänner langweilen (!) und sich nach der körperlichen Präsenz ihrer kessen Bienen und Brötchenverdiener sehnen. Fürwahr, hier wird ein noch nie dagewesener feministischer Diskurs eröffnet! Ihr jüngster Auftrag führt die beiden nach Rom, wo sie einen Millionendieb erlegen sollen. Da sie das Opfer jedoch nicht zuhause antreffen, beschließen sie kurzerhand, ein wenig Ferien in Rom zu machen…






Man staunt. Die rührend hausgemachte Prämisse klammert den Film nur ein, so umfassend allerdings immerhin, dass man nie die Profession der beiden üppigen Sexbomben vergisst. Das erhöht den Spaß. Da wird nicht nur um Millionen von Dollar sondern auch immer wieder um die Ehre der Frau gekämpft. Man holt ausgeraubten Tankwärterinnen mit Karate ihr Geld zurück, nimmt ein Trio mächtig dufter italienischer Typen und Bagger-Spezialisten gehörig auf die Schippe, befreit verprügelte Freudenmädchen aus den Klauen ihrer schmierigen Zuhälter und und und.





Bezeichnend dafür, wie sehr sich der Film dieses edle Ansinnen zur Brust nimmt, ist vielleicht eine Passage, in der die beiden Busenwunder („Tettona“ sagt man dazu in Süditalien) spontan in einem See ein Bad nehmen – es soll nicht das letzte sein – und zufällig Italiens Porno-Schnurrbart Numero 1, Mark Shannon, mit Muskelprotzkumpel, vorbeigejoggt kommt. Es wird jedoch nicht sofort gebaggert (dazu sagt man auf Italienisch „provarci“, was ich auch sehr schön finde) – vielmehr in Hörweite der Damen mit abfälligem Eifer über den verdammten Feminismus diskutiert, darüber, dass Männer eben dafür gemacht sind, der Boss zu sein und dass das immer so sein wird. Man ist sich einig, jaja, wenn man es mal so richtig konsequent bis zum Ende durchdenkt, sind Frauen, auch intelligente, doch eigentlich dann am Sinnvollsten platziert, wenn sie nackig unter der Bettdecke warten! Dafür setzt es zwar Dresche von den Amazonen, aber nach erfolgter Abreibung werden für die begossenen Pudel dann doch noch gnädig Pforten zum Paradies geöffnet, denn, wie die Russo zum von den Hieben noch keuchenden Mark Shannon meint: „Obwohl du ein niederes Wesen bist, machen wir jetzt da oben Liebe. Keine Angst. Ich bin kein Monster, sondern eine Frau – und du ein fescher Mann!“







In der kessen Unverblümtheit, mit der hier die heißen Eisen in den Dialog geknallt werden und sich der Konflikt unvermittelt fröhlich im Sex auflöst, gemahnt diese denkwürdige Sequenz in verblüffender Weise an die schönsten Momente der unbedarften und jenseits aller Vorstellungen von Fragwürdigkeit blühenden Geschwätzigkeit des einige Jahre zuvor fluorierenden bundesdeutschen Sexploitationkinos.
Glaube ich, spüre ich. Denn: nicht jedes Detail – und in Fällen wie diesem sind die kleinen Details im Dialog nicht selten die Grundierung des Vergnügens – ist bis in meinen Kopf vorgedrungen, nicht jeden Satz konnte ich verstehen. Irgendwann haben wir Cineasten sicherlich alle einmal angefangen, englischsprachige Filme ohne Untertitel zu sehen, auf Festivals, auf DVD-Importen, wie, wo und warum auch immer. Das war am Anfang sicherlich nie leicht. Eben jene frustrierende Erfahrung meiner Jugend ist nun zu mir zurückgekehrt. Nicht alles verstehen zu können, auf unbekanntes Vokabular oder Umgangssprache zu stoßen, vielleicht auch lediglich bekannte Verben aufgrund nie zuvor gehörter Konjugationen nicht wiederzuerkennen, manche Dialoge beinahe durchgängig zu verstehen, aus anderen zumindest den sinngemäßen Kern herauszuhören und aus wieder anderen, gerne besonders rasanten oder vor geräuschvoller Kulisse ausgetragenen, nur einzelne Wörter. Ich könnte wohl behaupten, insgesamt etwa 70 Prozent der Dialoge wirklich verstanden zu haben. Möglicherweise auch mehr. Im Gehirn eines Perfektionisten wuchern Mängel und Lücken nachträglich ins Unermessliche. Während man einen Film sieht, möchte man jedoch keine technische Arbeit verrichten oder mit gezücktem Wörterbuch den Fluss der Bilder stauen. So ergiebig diese Arbeit vielleicht auch sein könnte:





Andere Filme hätten es mir leichter gemacht. Ich weiß das. Vor einer Woche sah ich IL SORRISO DEL RAGNO, eine Eurospy-Spätlese von Massimo Castellani, mit englischen Untertiteln. Trotzdem war ich versucht, ständig mein Auge von selbigen abzuwenden, so mühelos schien der italienische Text, abgesehen von bisweilen unvermeidlich unbekanntem Vokabular, meinen Kopf zu erreichen.
An dieser Stelle möchte ich jeden italophilen Cineasten, der schon einmal darüber nachgedacht hat, die schönste aller europäischen Sprachen zu erlernen, ausdrücklich ermutigen: an den Filmen soll es nicht schweitern! (Ein Tippfehler, gemeint war freilich „scheitern“. Thomas Groh, Berlin, wollte es genauer wissen: „(…) Das klingt wie eine HK-Verschmelzung von Schwanz und scheitern. Nur was könnte damit gemeint sein? Ist ’schweitern‘ etwa, wenn der Film den Lümmel nicht in den gewünschten Winkel bringt?“) Bis in die frühen 90iger hinein wurden italienische Filme, bis auf einige von mir vermutete Ausnahmen, stumm gedreht und anschließend nachsynchronisiert. Dies erfolgte gerade im Fall der Genrefilme – Dialekte, Nuscheln und ähnlich realismusfördernde Schikanen waren dem allerdings stets gleichfalls nachsynchronisierten Autorenkino vorbehalten – beinahe grundsätzlich auf „Hochitalienisch“, in meist glasklarer Aussprache, mit weit weniger vertrackten Pronomen als natürlich sowie artiger und korrekter Grammatik – so, wie man das als Ausländer lernt. Diese Filme machen es einem so einfach wie nur möglich. In den Synchronisationen sagen die Menschen etwa auch ständig germanophil „tu“ (du) oder „io“ (ich), obwohl ein Italiener das beinahe nie tut. Alles andere, sprich: alles, was man trotzdem nicht versteht, ist im Grunde lediglich eine Frage von Praxis, Vokabular und Einfühlungsvermögen für die Sprache, der Unwägbarkeiten sind, jenseits freilich der erfinderischen Vulgarismen, die in Italien eine eigene Kunstform darstellen, wenige.
Ist es also nicht wunderbar, sich selbst Hausaufgaben dieser Art zu geben? Üben mit den Pornokillern. Warum der Titel sie so nennt, es erschließt sich einem nicht. LE PORNO KILLERS ist, natürlich, wie scheinbar beinahe alle Filme mit „Porno“ im Titel, kein Porno*.





Gebumst wird trotzdem reichlich und zu großartiger, kurvender Musik. Die beiden Agentinnen, obwohl der Film suggeriert, dass sie ja eigentlich mit allen Wassern gewaschen und auch mit der bei den Männchen so unpopulären Intelligenz gesegnet sind, also nicht nur mit den Waffen der Frauen ins Manöver ziehen, scheinen jedenfalls nichts als Sex, Verführen, Spaß und Ausziehen im Sinn zu haben. Wo auch immer sie an einem Fluss oder See vorbeikommen, plantschen und spritzen sie alsbald lauthals schäkernd durchs kühle Nass oder verdrehen aufreizend tanzend vorbeilaufenden Männchen den Kopf. Eine gewaltige Dauerbrunst, die aber wohl schlicht sein muss, wenn zwei so beeindruckende Busen im Spiel sind. Carmen Russo, das Rasseweib, angeblich auf diesen Film nicht gut zu sprechen, erfreut sich heute trotz einer überschaubaren Filmographie unter einschlägig Geneigten einer großen Fangemeinde – keine Frage, so wie es bei ihr wippt, hüpft und schwingt. Das kann auch meinem schwulen Selbst nicht entgehen.





Wenn man von Atombusen spricht, muss man auch von Russ Meyer sprechen, zumindest kurz. Mauri dürfte dessen Filme gesehen haben, denn immer wieder tauchen aus dem anziehend rotzigen Bilderstrom ikonische Tableaus auf, in denen die Russo und die Lodetti als Satansweiber von Tittfield arrangiert werden. Auch das ist seltsam; bei aller italienischen Verehrung für „le curve“ kann ich mich nicht erinnern, das je sonst so gesehen zu haben. Vielleicht wusste Mauri doch sehr genau was er tat, vielleicht ist es sogar ein ironischer Scherz, dass Carmen Russo nach einem Dreier mit dem Typen, den sie eigentlich liquidieren sollte, in hausfraulicher Fürsorge in der Küche ein Tablett mit Käse, Brot und Wein anrichtet, für einen „Snack danach“. Bisweilen meint man, einen französischen Hauch im lockeren Genrefilmhüpfen zu vernehmen. Ein wenig „B“ nach Nouvelle Vague-Verständnis, vielleicht.





Am Ende bleibt eine tiefe, anhaltende und nicht vollends bis in ihre Wurzeln zurückverfolgbare Freude darüber, wie dieser beglückend und erfrischend sinnentleerte Strom banaler Ereignisse so überaus spritzig und grundsätzlich unberechenbar von der ersten bis zur fünfundsiebzigsten Minute blubbert, ohne in die trübe Redundanz erklärender Dialoge oder ermüdend ausgewalzten Matratzensport zu verfallen. Ich habe viel beschrieben, und doch ist da noch mehr, wo eigentlich nichts ist. Vielleicht hätte das einer von Jess Francos poppigeren Filmen sein können (Franco drehte ein Jahr später einen Film, der den vielsagenden englischen Titel TWO FEMALE SPIES WITH FLOWERED PANTIES trägt – das hätte LE PORNO KILLERS auch gut zu Gesicht gestanden), doch Roberto Mauri war kein erotomaner Filmpoet sondern nur ein Handwerker, zumindest offiziell. Man verspürt in diesem entwaffnend naiven Film eigentlich keine Routine. Irgendwo in diesen schmutzigen, rohen, unbehauenen und schön schlichten Bildern muss ein Hauch von Verrücktheit, Frische und Extravaganz stecken. Irgendwo.

Da ich beim Verfassen dieses Textes sehr oft an sie gedacht habe, möchte ich ihn Silvia Szymanski widmen.

LE PORNO KILLERS – Italien 1980 – 76 Minuten, Farbe, 1:1,85
Regie und Buch: Roberto Mauri – Kamera: Cosimo Spagnolo – Schnitt: Roberto Mauri (als Giuseppe Tagliavia) – Musik: Paolo Ormi
Darsteller: Carmen Russo, Cintia Lodetti, Vassili Karis, Mario Cutini, Mark Shannon u. a.

(* Anmerkung: Der Film wurde „soft“ gedreht, jedoch später, wie so oft zu jener Zeit, nachträglich mit Hardcore-Inserts versehen, an denen die Hauptdarstellerinnen allerdings nicht mitwirkten. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die ursprüngliche Softcore-Fassung zu sehen.)


Mehr Bilder. Trotz dieser Qualität. Ich habe versucht, mich zu mäßigen. Non ci sono riuscito.

























Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Juli 29th, 2012 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Das Hofbauer-Kommando, Filmbesprechungen, Verschiedenes veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Die Porno-Killer (1980)”

  1. vannorden on Juli 30th, 2012 at 15:40

    Ultrabilder! Videoknüppel for life! 🙂

  2. Christoph on Juli 30th, 2012 at 18:50

    Ich verzehre mich gerade danach, weitere Filme dieser Art zu finden – es scheint, als hätte ich mich ein wenig in diesen hier verschossen.

  3. Silvia Szymanski on Juli 31st, 2012 at 12:17

    Das scheint aber auch wirklich ein besonders lebenslustiger zu sein 🙂 Ich mag das sehr, das viele prickelnde Wasser in dem Text und Film. Und wie du das schreibst, ist nicht zu toppen. Du glaubst das ja oft nicht. Man kann auch schlecht etwas herausgreifen und analysieren oder erklären, warum diese Fülle stimmungsaufhellender Sätze in diesem so bunt fließenden Text mit den zerknitterten Bildern dermaßen multipel lebendig und facettenreich glitzernd rüber kommt. Oder runter, um in Thomas Grohs Bild aus seinem Facebookkommentar zu bleiben („Wie immer möchte man sich mit Deinen Texten unter der Dusche einreiben“…). 🙂 Fuuh, manchmal möchte ich meinen Kopf verstecken und verschwinden, wenn ich deine Sachen lese. Sie sind eigentlich zu viel für mich. Sollte dir das Lob zu dicke sein, dann nimm das als meine Rache dafür.

  4. Marian on August 15th, 2012 at 12:39

    Die Anfangssequenz, in deren Genuss Christoph mich neulich im Zuge einer Filmnacht brachte, war ebenfalls höchst appetitanregend. Ich glaube, diesen Sommer-Sonne-Knüppel werde ich mir in Kürze mal aufs Auge drücken! Hm… das sieht schon SEHR dufte aus 🙂

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