Das Joch cineastischer Selbstdisziplin…



… spontan untersucht am Beispiel von CAPOTE (2005).

Capote1

Es funktioniert eben doch so gut wie nie. Das mit dem „einen Film absichtlich schlecht finden“. Jedenfalls nicht mehr bei mir. So gut wie nie mehr. Mit eiserner Disziplin habe ich für zwei Jahre versucht, eine Technik zu entwickeln, die es mir erlaubt, alle eventuell vorgefassten Meinungen, Vorurteile, Erwartungshaltungen, Prinzipien zur Beurteilung filmischer Qualität, naheliegende Vergleiche, aus denen sich Erwartungshaltungen speisen könnten und eben all diese ganzen schönen Bretter vor dem Kopf mit Aufblenden des Projektors oder Drücken der „Play“-Taste über Bord zu werfen und mich völlig in die Hände des jeweiligen Filmes zu begeben, um ihm die Chance zu lassen meine Gedanken zu formen und nicht umgekehrt. Gelegentlich bezeichne ich mich daher auch scherzhaft als „Film-Hure“, die alles nimmt. Bisherige Versuche, dieses „Prinzip gegen Rezeptionsprinzipien“ anderen Cineasten zu erklären, schlugen weitgehend fehl und ich möchte mich damit hier auch gar nicht aufhalten (viel zu kompliziert!), denn es wurde mir sogar schon vorgeworfen, mich von der Filmrezeption auf die Rezeptions-Rezeption zu verlagern und manchmal kann man einfach nicht anders, als die Lästermäuler durch Schweigen zum Schweigen zu bringen. Und manchmal, trotz all der wundersamen Überraschungen und der grenzenlosen Freiheit von Gedanken und Assoziationen die dieser sich inzwischen gänzlich in einer diffus blubbernden Gedankensuppe verselbstständigte Rezeptions-Ansatz mir gebracht hat und mit der sich meine Sicht aufs Kino radikal verändert hat (sowas klingt immer schön und flach weswegen man beim dreschen derartiger Phrasen immer gerne darauf hinweist, dass man sie nur bei genuinen Anlässen drischt), verwünsche ich ihn fast.

Denn wo ist sie nur hin, die geliebte einstige Selbstdisziplin, mit der ich meine, nennen wir es mal ganz profan „Meinungsbildung“, lenken und manchmal auch geradezu domptieren konnte? Was, wenn meine Rezeption tatsächlich, wie auch schon unterstellt, ein wenig zu beliebig, zu wohlwollend, zu unkritisch, zu diffus geworden ist?

Zu meiner eigenen Genugtuung überwiegt die meiste Zeit die Erleichterung darüber, dass ich mich von oben beschriebenem Ballast befreien konnte, der exzessive Genuss der Vorzüge und die geheime Sehnsucht, dass dieses Rezeptions-Modell unter Cineasten vielleicht mal mehr in Mode kommen könnte als es jetzt der Fall ist. Nicht mit mir als Missionar, oh nein! Lediglich, um Filmen mehr Spielraum zu gewähren, die ihn unter den üblichen Vorraussetzungen nicht bekommen. Und da will ich auch gar nicht zu schrill sein sondern mir beispielsweise nur wünschen, dass ein paar mehr Leute Jess Franco gelegentlich auch als ernstzunehmenden Künstler in Betracht ziehen denn angeblich einige nerdige französische Filmkritiker (diese ominösen französischen Filmkritiker sind schon beinahe ein mystisches Klischee für sich, dass man immer nach Belieben zitieren kann, ohne konkret zu werden, nicht wahr, lieber Filmdienst?). Warum schreibe ich all das mit „Capote“ als Beispiel, einem Film der von vorne bis hinten gängigen Vorstellungen von anspruchsvollem Qualitäts-Kino entspricht?

Gerade deswegen eben! Hat mich diese Öffnung – mit der ich nach eigener Einschätzung noch bei weitem nicht an meine Grenzen gestoßen bin da ich mich regelmäßig dabei ertappe, beispielsweise über einen meiner werten Mitautoren hier zu schmunzeln, wenn er in Unverständnis über die Reputation eines durchweg anerkannten Klassikers die Stirn runzelt oder einen obskuren Hongkong-Actionfilm aus den 70igern mit Eisenstein vergleicht – vielleicht verletzlicher gemacht für Manipulation, den segensreichen Fluch des Kinos, den wir ebenso faszinierend wie, in Cineastenkreisen zumindest, auch gelegentlich beängstigend finden? Bin ich am Ende dank dieser Veränderung meiner Rezeptionshaltung wieder genau in dem Stadium angekommen, dessen Kreation ich noch vor etwas mehr als drei Jahren so lautstark als die Todsünde des Hollywood-Kinos beschimpfte, im Zustand williger Manipulierbarkeit für gefälligen Eskapismus und emotionale Prostitution?

Mit Hollywood-Kino beziehe ich mich hier, natürlich, primär auf die letzten 20 bis 30 Jahre, größtenteils. Auch ein springfreudiger Cineast, der zwischen den Dekaden, zwischen Ton- und Stumm-, Farb- und Schwarzweiß-, Vollbild- und Breitwandfilm nach Herzenslust hin- und herhüpft, ist doch ein Stück weit als Filmgucker in seiner eigenen Zeit verankert (wäre es erschreckend oder vorteilhaft, wenn nicht? Das wäre eine andere interessante Frage, die man beliebig erweitern und hypothetisch auseinandernehmen könnte).

Es wäre verführerisch ersteres Kino („gefälliger Eskapismus“) ins Feld zu führen, beispielsweise mit dem von mir kürzlich gesichteten und (vielleicht, aber nicht notwendigerweise dank akutem Filmentzug für Wochen) erheblich genossenem „V for Vendetta“.

Daher widme ich mich hiermit ganz und gar spontan einem Film zweiterer Gattung, der „emotionalen Prostitution“ (im Gespräch über das alte Hollywood würde man, je nach Film, vielleicht von einem Melodram sprechen). CAPOTE. Im August dieses Jahre, übrigens in eben jener Phase akuten Filmentzugs, sah ich Douglas MacGraths INFAMOUS, einen Film, der sich mit Truman Capote in den Jahren der Enstehung seines dokumentarischen Romans „In Cold Blood“ beschäftigt – auf eigenwillige, aber auch doch recht anschmiegsame weil kurzweilige Weise, nicht typisch Hollywood, aber eben doch ein wenig. Angeregt zu diesem Film wurde ich durch die Verfilmung eben jenes Romans „In Cold Blood“ von Richard Brooks aus dem Jahr 1967, einer filmischen Offenbarung, die sich mir im Mai dieses Jahres erschlossen hatte und der nur deshalb nicht die Lektüre des Romans folgte, weil mich dieser in seiner englischen Wortwahl überforderte. Nach sieben Monaten England sollte ich es beizeiten noch einmal versuchen.

Capote2

Wie auch immer, im Zuge meiner rein filmischen und somit wahrscheinlich gänzlich inadäquat ausgelebten neuen Faszination für diesen Stoff musste natürlich CAPOTE ebenfalls her, auch wenn mir ein wenig davor graute. Da waren doch im Trailer schon wieder diese graugrünen Bilder, die immer „Ich bin authentisch, realistisch und ernst“ schreien. Und dieses technische Schauspiel von Philip Seymour Hoffman, das sich in meinen Augen in keinster Weise mit dem Truman Capote deckte, dem ich lange in Interviews auf YouTube (ja, dafür ist das mittlerweile auch immer nützlicher) lauschte. Nicht der erschreckend überzeugende Toby Jones. Und überhaupt – dass sah einfach mehr nach Hollywood aus, auch wenn INFAMOUS, der m. E. immer noch unangepasstere, intellektuell interessantere, aber anscheinend auch teurere Film war. Aber was sagen Budgets schon über Filme aus – einiges, wie ich so gerne denke, aber weiß, dass ich es trotz der gigantischen Versuchung nicht zur Faustregel machen sollte.

INFAMOUS ist ein schillernder, bunter, schriller und exaltierter Film, der all die Entertainer-Qualitäten besitzt, bzw. besitzen will und größtenteils vereinnahmt, die der öffentliche Truman Capote selbst besaß. Er bemüht sich somit mehr oder minder, ein Porträt des Mannes mit den Mitteln zu zeichnen, die er für dessen eigene hält. Das ist heikel aber sicherlich von Außen betrachtet weit interessanter als der erzkonventionelle Ansatz, den CAPOTE wählt, nämlich der, alles schön nüchtern mit erdigen Farben und den sanften Major 7-Pärt-Klavierakkorden (die immer so subtil und unverbindlich sein sollen aber natürlich dadurch schon ihr eigenes, unsubtiles und verbindliches Klischee geworden sind) und dem schweren Gewicht auf Darstellern und Ausstattung straightforward zu erzählen, ausgerichtet auf den großen emotionalen Moment (letzteres macht INFAMOUS auch, aber das verrate ich lieber nicht…). Zu allem Unglück macht er das auch noch mit äußerst fadenscheinigen, braven filmischen Mitteln denn auch wenn Kritik, Publikum und Academy gleichermaßen begeistert waren, bin ich der Meinung, dass man CAPOTE durchaus anmerkt, dass er ein Debütfilm ist und filmisch größtenteils ein ziemlicher Streber, der fast immer die Lösung wählt, die am wenigsten Risiko bedeutet (und genau da setzt INFAMOUS seinen Fuß in die… Ach, Verdammt!). Und dann diese rücksichtsvollen Auslassungen, Capotes Homosexualität betreffend und dieses publikumsfreundliche, kurze Schneiden auf das sprudelnde Blut in der finalen Rückblende (wenn schon, denn schon – Gore kann eine echt ehrliche Angelegenheit sein) – kurz genug, um subtil zu sein, aber lang genug, um zu befriedigen. Und wo ist überhaupt der sexuelle Subtext zwischen Perry Smith und Capote hin? Und das darf doch nicht wahr sein, dass der Film genauso graugrün-beige-braunblau aussieht, wie befürchtet. Oh Hollywood…

Doch Oh Schreck, ich werde mein eigenes Opfer, denn während ich mich über alle das ärgere und den Film für seine graubraune Gefälligkeit in anheimelnd-schicker Düsternis verdamme, spüre ich, wie ich ihm Stück für Stück erliege – und dafür bringt er (der Film, natürlich) nicht einmal perfide Verführungs- und Manipulationstaktiken sondern nur die ältesten der alten Techniken ins Spiel. Ich bin verwirrt. Ist denn keinerlei Widerstand mehr da, keine Resistenz? Nein, ich will nicht den Atem mit Capote anhalten, als er Perry Smith das erste Mal zum Greifen nahe in diesem Käfig vor sich hat. Und ich will ihn ganz bestimmt nicht anhalten, wenn die Kamera, am Ende, kurz vor der Hinrichtung, auf Philipp Seymour Hoffmans sich verkrampfendem Gesicht ruht um ihm den Hauptdarsteller-Oscar mit fünf Minuten Heulkrampf in einer statischen Einstellung zu erfilmen. Und überhaupt wäre es absolut nicht fair, diesen Film zu genießen, nachdem INFAMOUS mit seinem Ansatz – und nun ja, bei derartiger thematischer Übereinstimmung kann ich mir einige Vergleiche doch erlauben (oder etwa nicht?) – mich so vortrefflich und stimulierend erfrischte. Feigheit muss bestraft werden und CAPOTE ist feige.

Capote3

Aber Ach! Wenn es nur funktionieren würde. Der Geist gibt nach, das Bewusstsein über das Nachgeben verschwindet und der Atem stockt, genau da wo er es sehr wahrscheinlich nach Meinung von Regisseur, Autor und auch Produzenten soll. Es läuft alles nach Plan. Ich bin gefesselt und außerstande, mich über stupide, Beifall heischende Gimmicks, wie den Schnitt auf einen Close up von Perrys Gesicht zu dem Geräusch eines fallenden Körpers im benachbarten Exekutionsgebäude, aufzuregen. In Momenten des Verharrens, den sogenannten ungeliebten „Füllmomenten“, die meist nur in solchen Filmen existieren weil sie etwas füllen müssen (merke: Ich verströme hier generelle Vorurteile die erst nach dem Film zum Zuge kommen!), ercheinen letzte, verzweifelte intellektuelle Spasmen die versuchen, mich auf die Seite des Guten, des überlegenen Selbstbewusstseins und der cineastischen Vernunft zurückzuziehen. Aber es ist alles umsonst und alles zu spät, der Abspann setzt ein mit den abgedroschenen Klavierakkorden und unausweichlichen Schrifttafeln was mit dem Charakter denn später noch so passiert ist und ich bin ergriffen. Wie peinlich. Wie kann ich mich dafür vor intellektuellen Mit-Cineasten verantworten? Es passt doch einfach nicht in das Bild, dass ich von mir gezeichnet wissen möchte. Es ist doch nicht eitel, das zu wollen. Das ist alles reine Selbstbestätigung und Kompensierung intellektueller (jetzt reicht es aber!) Minderwertigkeitskomplexe, sonst nichts.

Hach, guter Rat ist teuer. Warum musste mich jetzt schon wieder so ein Film erwischen? Warum kann ich in meiner rezeptorischen Ziellosigkeit nicht rein zufällig endlich einmal wieder in den Hafen wüster, feindseliger Ablehnung einlaufen, damit sich meine aufgewühlten Nerven wieder beruhigen und ich der Ausrichtung meines cineastischen Schicksals wieder vertrauen kann? Warum muss das nur ständig passieren? Bin ich im Nachteil aufgrund meiner Rezeptionshaltung? Bin ich nicht selektiv, nicht wählerisch genug? Muss die Co-Existenz von Intellekt und Emotion in meiner Rezeption denn wirklich von Regeln bestimmt sein, um friedlich zu bleiben? Ist seelische Anarchie tatsächlich unmöglich? Ist tatsächlich all das elitäre und grundsätzliche Theater, das andere Cinemenschen aufführen, so schlecht? Oh je. All das bringt mich glatt an den Rand des cineastischen Selbstmordes. Da hilft nur eins: Schreiben und den Dämon vorerst schlafen legen, bis zum nächsten Hollywood-Tränendrüsen-Stimulantium. Schreiben ohne Rücksicht auf Eigenverluste – und lieber nicht daran denken, dass man vielleicht später irgendwann einen adäquateren, komplexeren und reicheren Text über dieses Trauma schreiben könnte, einen, den andere Menschen außer mir vielleicht sogar verstehen könnten. Verstehen und verstehen lernen, darum geht es hier doch.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, November 25th, 2009 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

9 Antworten zu “Das Joch cineastischer Selbstdisziplin…”

  1. Mr. Vincent Vega on November 26th, 2009 at 15:24

    „denn es wurde mir sogar schon vorgeworfen, mich von der Filmrezeption auf die Rezeptions-Rezeption zu verlagern und manchmal kann man einfach nicht anders, als die Lästermäuler durch Schweigen zum Schweigen zu bringen.“

    🙂

  2. Christoph on November 26th, 2009 at 21:53

    Wenn man den richtigen Köder (sprich: es zitiert) auslegt, ist es gar nicht so schwer, ein Rajko zu fangen.^^

    Eigentlich hatte ich auf einen richtigen Kommentar von dir gehofft aber das war wohl utopisch.;-)

  3. Sarge on Januar 14th, 2010 at 15:24

    Ein bisschen zu selbstverkopft, am Stoff vorbeigeschrieben, könnte man meinen, hätte man Dich nicht auch schon an anderer Stelle gelesen. Ich fand den Film, so rezipiert, ohne Vorüberlegungen, Vorurteile, ohne mich vorher mit dem Thema beschäftigt zu haben, jedenfalls ziemlich gut.

    Aber: kein sexueller Subtext zwischen Capote und Perry? Capotes Homosexualität ausgelassen? Ich meine, Hoffmans komplettes Spiel ist ja schon ein homosexueller Subtext für sich, wenn man’s überhaupt noch sub nennen kann. Doch nähmen wir an, in der Zelle hätte Capote Perry einmal mit schmachtvollem Blick zart übers Wänglein gestreichelt, wären wir dann zufrieden? Ich für meine Teil nicht, ich mag an dem Film gerade das Unnahbare und Vage. Hier wird mir nicht alles vorgesetzt, was ich über diesen Mann zu denken habe. Aus welcher Zusammensetzung, welchem Verhältnis sind Capotes Oscar-Tränen am Ende? Aus geheucheltem oder ehrlichem Mitleid? Kann ich für mich nicht eindeutig beantworten…

    Das Klavier hat mir aber auch gefallen.

  4. Christoph on Januar 26th, 2010 at 05:40

    Entschuldige die sehr späte Antwort, leider lag ich für einige Tage flach mit einer bombastischen Erkältung und danach war ich für einige weitere Tage im Stress und verplant usw. – du kennst das ja von mir.

    Du hast den Text leider missverstanden (ja, Scheiß-Intentionalismus!). Das soll kein Review zu CAPOTE sein, sondern eben genau so ein selbstverkopftes Unding, dass den Film nur für seine Zwecke missbraucht. Ursprünglich wollte ich ihn sogar noch allgemeiner halten und andere Beispiele als nur CAPOTE / INFAMOUS (hast du den denn eigentlich gesehen? Wenn nicht, ab in die Videothek!) anführen aber aus Bequemlich- und Übersichtlichkeitsgründen bin ich konkreter und exklusiv auf diesen Film eingegangen. Hat offensichtlich nichts gebracht, eine Leserin meinte, sie hätte nichts verstanden. Tja, wenn ich nur die Zeit zurückdrehen und wieder so allgemeinverständlich, schlicht und kondensiert schreiben könnte wie noch vor zwei oder drei Jahren.

    Ich fand den Film ja auch gut.;-) Nur hat mir das eben nicht gepasst, dass ich ihn gut fand weil ich ihn zugleich unglaublich anbiedernd und feige empfand. Es stimmt natürlich, dass da noch ein sexueller Subtext zwischen Capote und Smith ist aber es wäre schließlich auch grotesk, diesen zu eliminieren. Der Film ist aber in seiner jetzigen Form nicht sehr weit davon entfernt, weil er sich immer bedeckt genug hält, um dem heteronormativen Mainstream-Publikum auch auf keinen Fall wehzutun und mit unbequemem schwulen Gefühlschaos zu nerven. Vielleicht geht INFAMOUS, wo die sexuelle Spannung zwischen Capote und Smith mit breiten Strichen über die Leinwand gemalt wird und sich die beiden sogar physisch näherkommen, hier wieder ein wenig zu weit, denn in beiden Fälle wird das meiste zusammenspekuliert, aber INFAMOUS ist in jeder Hinsicht der mutigere Film der darüber hinaus Capotes Persönlichkeit, wie ich sie in Interviews spüre, höre und sehe, wesentlich mehr entspricht, filmisch wie erzählerisch (von Toby Jones ganz zu schweigen, bei dessen Verkörperung einem ganz mulmig wird, so nah ist sie am „Original“ dran), als die dramaturgisch sorgfältig und streberhaft zusammengebastelte Kunstfigur von Seymour Hoffman, inklusive seines manieristischen method actings.

    Vielleicht würde dir gerade deswegen INFAMOUS überhaupt nicht gefallen, denn der ist extrem schrill, ich persönlich bin allerdings der Ansicht, dass CAPOTE dermaßen aufdringlich nach einer synthetischen Subtilität hascht mit all seinem andächtigen Schweigen, dass er mit seinem Holzfäller-Spielberg-Levinson-Oscar-Drehbuch nur scheitern kann. Nein nein, wir können diese Diskussion gerne noch einmal reanimieren, aber vorher musst du dir schon noch INFAMOUS sehen – und am besten gleich noch das abolute Ober-Über-Megameisterwerk IN COLD BLOOD (der sowieso beide Filme in die Tasche steckt) dazu.

    Mist, jetzt habe ich mich von dir zu einer Filmdiskussion hinreißen lassen – und die war ja eben überhaupt nicht Sinn und Zweck dieses Textes, in dem es um etwas ganz anderes, viel essentielleres geht. Na ja. Du bist eben trotz deines Intellekts ein Mainstream-Ewok.;-) Wem dieses üble, seichte, einer emotionalen Vergewaltigung nahekommende 08/15-Geklimper a là Arvo Pärt (ohne so gut zu sein) oder John Williams (ohne so campig zu sein) oder Hans Zimmer (ohne gar so ekelhaft zu sein, dass man sich wieder schön darüber ärgern könnte) gefällt – Filme, die auf der Tonspur mit solchen abgedroschenen Kamellen (ich erinnere mich gerade an den Soundtrack von THE READER – brrrrrrrr…) aufwarten, sind bei mir eigentlich von vornherein durch und CAPOTE beginnt gleich mit diesen laut Bennett Miller angeblich subtilen Akkorden – dafür war ich eigentlich sehr gnädig mit ihm und habe eine Ausnahme gemacht von meiner ungeschriebenen Regel, von daher…

  5. Sarge on Januar 26th, 2010 at 13:02

    Danke für die ausführliche Antwort!
    Habe mich da ein bisschen schlecht ausgedrückt mit dem „am Stoff vorbeigeschrieben“. Warum und wie Du den Text angegangen bist, wirst Du natürlich schon wissen. Dennoch, auch wenn das hier wie eine Art, so nenne ich es mal, Selbsttherapie scheint, interessiert der Gegenstand natürlich auch (auf einer Meta-Metaebene ist der Text in seiner Zerrissenheit dem Gegenstand vielleicht gar nicht mal so entfernt, für den objektiven Leser aber eben schon schwer nachvollziehbar, zu esoterisch, mystisch…). Und seine OFDb-Verlinkung, über die ich, wie an anderer Stelle schon geschrieben, neuerlich zum Text fand, sollte eine Filmdiskussion in Ansätzen ja durchaus rechtfertigen.

    Meinerseits in Ansätzen, da mir „Infamous“ wie auch „In Cold Blood“ als essentielle Grundlagen, wie von Dir ganz richtig angenommen, leider fehlen. Ich werde mir vornehmen, das nachzuholen. Wie sich das mit den Vorhaben allerdings verhält – manchmal vertagen sie sich auf einige Tage, manchmal auf Jahre – ich glaube mich zu erinnern, dass Du erwähntest, es ginge Dir da ja nicht anders…

    Ich würde „Capote“ schon auch als das beschreiben, was semantisch dem Begriff der „Attitüde“ negativ anhaftet, der Vorwurf der genäselten, gestelzten Synthetik hat seine Berechtigung. Darin Anbiederung zu sehen, kann ich nachvollziehen. In irgendeiner Rezension las ich auch von der widerlichsten, je gezeigten Filmfigur. Mal abgesehen davon, dass es für mich nach Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ nie mehr Ekeligeres als gleichnamige Figur geben wird, konnte ich das allerdings nicht verstehen. Auch wenn das Sexualleben mitunter nicht extrovertiert wird, spielt Hofman – für mich – keine reine Kunstfigur. Denn Kunstfigur bedeutete nur eine falsche Schlange auf zwei Beinen, eine Maskerade, eine gefühllose Menschenhülle. Hier, ich kann mich leider nur wiederholen, weißt der Film in meinen Augen eine großartige, ambivalente Lesbarkeit (und Mystik ;)) auf. Aber ich merke schon, ich sollte „Infamous“ ganz unbedingt nicht auf Jahre vertagen, denn ohne dessen Ansatz komme ich aus dieser Grube, in der ich mich festgefahren habe, nicht wieder raus.

    Vom Klavier, vor allem dem gedankenverlorenen und melancholischen, muss ich gestehen, lasse ich mich oft viel zu leicht einlullen. Kann’s leider aber nicht abstellen. Auch der Mainstream-Ewok werde ich wohl auf immer bleiben. Hans Zimmer (gerade den der letzten fünf, zehn Jahre) aber finde ich oft ganz schlimm. Hier als immerhin Konsens 😉

  6. Sano on Februar 4th, 2010 at 01:31

    Wollte jetzt eigentlich, um diese Uhrzeit, gar nicht mehr auf deinen Text antworten (den ich jetzt endlich, endlich mal gelesen habe), da er eigentlich einer sehr langen und ausführlichen Replik Bedarf – denn: er ist wirklich brillant, ja dieses Wort benutze ich jetzt wirklich – habe es aber doch gewagt.

    Also, kurz und bündig. Eine längere Diskussion können wir ja immer noch lostreten.
    Was du ansprichst ist das alte Cienastenproblem: Veränderung der eigenen Wahrnehmung mit dem verstreichen der Zeit und der generellen Veränderung der Persönlichkeit oder dem Umgang mit ihr. Wie soll ich es sagen: Ich finde deinen Text wunderbar eloquent, sehr persönlich, und geradezu in idealer Weise deine eigenen Manierismen spiegelnd, ohne sich in ihnen zu suhlen. Ganz präzise eigentlich auch. Ich weiß nicht, ob sich dass für einen Außenstehenden (sprich, jemanden der dich nicht als Freund kennt), genauso liest, kann mir aber vorstellen, dass zumindest die für Cinemenschen universelle Thematik in Kombination mit einem persönlichen Zugang (und einem wie ich finde wunderbar zu lesenden Schreibstil – aber das weißt du ja schon) doch auf viel Gegenlibeb stoßen müsste.

    Zum Gegenstand selbst gibt es viel zu sagen. Ich identifiziere mich auch voll und ganz mit deiner Position. Doch ich sage erst einmal nur eines. Ich denke es ist kein Widerspruch, sondern oberste Priorität, Dinge in unterschiedlichen Kontexten wahrzunehmen. Sprich: der Film kann einem Gefallen, sein Ursprung oder seine Herstellungsweise nicht, die Kontexte seiner Vermarktung noch viel weniger, die Schauspieler dann wieder doch sehr, ihre Schauspielleistungen aber überhaupt nicht, und so weiter, und so führt. Heute gefällt einem ein FIlm – Morgen nicht.
    (Selbst)analyse ist genau das: Analyse. Es ist ein weitverbreitetes Fehlurteil, dass eine Analyse immer eine Schlußfolgerung nach sich ziehen müsste, und dass das Resultat (welches auch noch immer das Ziel jeder Anstrengung sein sollte – hach, wie lächerlich und hochmütig) als logische Konsequenz daraus folgen würde. Ein Ergebnis kann aber auch kein Ergebnis sein. Und sind die vielschichtigsten Erlebnisse nicht immer auch die undurchschaubarsten?

  7. Christoph on Februar 7th, 2010 at 22:48

    Du bringst mich wieder einmal in angenehme Verlegenheit mit deinem Lob, Sano. Deine überschwänglichen Komplimente retten mich immer wieder über die härtesten Durststrecken, in denen ich am wenigsten Selbstvertrauen zum Schreiben aufbringe.

    Es ist vor allem schön, dass du dir den Text noch vorgenommen hast, weil ich mich beim Schreiben mehrmals an unsere vielen, teilweise auch erhitzten Diskussionen zu Rezeption, Wahrnehmung, Verarbeitung von Filmerlebnissen, Gewichtung bestimmter Aspekte, ect. erinnert fühlte. Ich meinte ja auch kürzlich noch zu dir, dass dieser Text möglicherweise meine persönliche Rezeptionshaltung relativ gut beschreiben würde.

    Interessant, dass du von der stetigen Veränderung der Wahrnehmung als Ansatzpunkt des Textes sprichst: Obwohl diese natürlich einer der Hauptgründe für das Problem ist, um das ich hier kreise, Dieses Problem, nämlich die eigene Rezeption über ein gesundes, natürliches oder erstrebenswertes weil ehrliches Maß hinaus manipulieren zu wollen, kann zugleich auch die Wahrnehmungsveränderung ausbremsen, je nach Grad. Glücklicherweise misslingt es mir meist, meine eigene Rezeption zu manipulieren, denn nichts scheint mir erschreckender und langweiliger als die Vorstellung, auf der Stelle zu treten. Womit natürlich nicht die kleinen, nenne wir sie mal „geschmackliche Präferenzen“, gemeint sind. Meine Perspektive aufs italienische Genrekino, mit dem ich mich seit 5 Jahren beschäftigte und momentan wieder besonders intensiv, ist inzwischen eine völlig andere als noch vor z. B. drei Jahren, auch wenn ich im wesentlichen diesem Kino immer noch mit der gleichen Leidenschaft verbunden bin.

    Ich persönlich misstraue ja stets einem Ansatz, der Emotion und Intellekt seperiert (deswegen ist für mich ein besonders emotionales Filmerlebnis in den meisten Fällen auch ein besonders tolles Filmerlebnis), allerdings wäre die Frage nach der Symbiose zwischen Leidenschaft und Rezeptionshaltung insofern interessant, weil sich letztere nicht zwangsläufig aus ersterer nach Außen öffnen muss während es umgekehrt in schöner Regelmäßigkeit passiert (Ergibt das jetzt Sinn? Frag einfach nochmal nach, falls es zu konfus klingt^^)

    Im Falle des Hollywood-Kinos (im Grunde ist es sowieso idiotisch, von Mainstream- und Genre-Kino zu sprechen, denn eigentlich ist das Mainstream-Kino um ein vielfaches mehr „Genre“-Kino als das, was man gemeinhin als solches bezeichnet. Diese ganzen Begrifflichkeiten sind leider viel zu oft Bretter vor den Köpfen in solchen Auseinandersetzungen, zumindest m. E. in der Filmkritik), dass in aller Regel doch auf die Manipulation unserer Rezeptionshaltung abzielt, erwächst natürlich beim tendenziell verkopften Cineasten besonders schnell ein Wiederstand.

    Dem dritten Absatz deines Posts stimme ich voll und ganz zu (habe mich quasi „ertappt“ gefühlt), allerdings verstehe ich das mit dem Widerspruch und der Priorität nicht ganz – was erscheint im Text als Widerspruch, was du als Priorität ansiehst? Der Kontext von CAPOTE, der mir nicht passt und der Film selbst, der mir schlussendlich irgendwie doch gepasst hat?;-) Und die Analyse, die immer zu einer Schlussfolgerung führen muss – ja, das ist in der Tat eine sehr ärgerliche Sackgasse, genauso wie der Unwille, Widersprüche als solche stehen zu lassen und als willkommene Stimuli zu wertschätzen. Ich schrieb ja schon, dass ein besonders emotionales Filmerlebnis für mich in der Regel auch ein besonders tolles sei – hierbei müsste ich theoretisch (in der Praxis ist das schwer, man hat eben seine Schwächen…) auch solche Erlebnisse wie unsere denkwürdige ONE PLUS ONE-Sichtung vor einem Jahr mit anschließendem Quasi-Wutanfall meinerseits miteinschließen.

    Und noch kurz zum Stil (vielen Dank für die Blumen – was für eine Schmeichelei): Kurz nach dem Einstellen fühlte ich mich ein wenig entblößt und hätte den Text um ein Haar wieder entfernt, allerdings bin ich schlussendlich ganz glücklich, dass ich ihn so geschrieben habe (ganz spontan – das führt ja ohnehin immer zu den besten Resultaten). Ich würde mir generell viel mehr viel persönlichere Filmessays und -kritiken wünschen (es gibt ohnehin viel zuwenige Kritiker / Filmwissenschaftler, die öfter mal „Ich“ schreiben) und zu diesem von mir als solchem empfunden Mangel nicht weiter beizutragen sondern das eigene Ideal auch von mir selbst zu fordern, ist sicherlich nicht die schlechteste Idee.;-) Allerdings ergibt sich das in diesem Fall aus dem Thema das Textes natürlich erzwungenermaßen von selbst.

    Das war schon wieder ziemlich viel – aber das ist auch einfach ein Thema, das unsereins überdurchschnittlich stark beschäftigt.

  8. Sano on Februar 8th, 2010 at 16:21

    Ja, ich denke auch, dass das Persönliche und Subjektive beim Schreiben über Film oft vernachlässigt oder nicht genügend herausgestellt wird. Bei akademischer Beschäftigung nimmt diese sogenannte „wissenschaftliche“ Konzeption der subjektfreien Zone manchmal lächerliche Ausmaße an. Dabei finde ich es meist sehr interessant und aufschlußreich. Bin daher immer wieder froh, ween wir so einen Text auf unserem Blog haben.

    Veränderung ist denke ich das Hauptkriterium von Wahrnehmung. Ich habe ja schon oft gesagt, dass man jeden Film mehrmals sehen müsste, am Besten übers ganze Leben verteilt. Das fällt natürlich schwer, bei der Fülle an Sehenswertem. Aber das wesentliche erscheint mir, dass man Unterschiede, Neues, Veränderungen, bei der eneuten Sichtung von FIlmen wahrnimmt. Das Schauen von Filmen um die einmal entdeckte Sichtweise zu bestätigen oder zu vertiefen finde ich eher langweilig. Das nudelt sich dann aus – wie ein Lied das man zu oft gehört hat. Das „zu oft“ entsteht dann meiner Meinung nach dadurch, dass man nicht mehr richtig hinhören/hinsehen kann. Das heißt mit offenen Sinnen. Ideal ist dabei natürlich, dass man sich selbst verändert. Der Film bleibt ja bekanntlich immer gleich (obwohl das natürlich auch nicht ganz stimmt), aber unser Blick ist immer wieder ein Anderer.

    Natürlich sind alle Kategorisierungen wenn man sie ernst nimmt Bretter vor dem Kopf. Aber nützlich sind sie dennoch, und man kann so schwer ohne sie. Ich hatte mir vor Jahren, als ichg anfing über Filme zu schreiben mal geschworen nie den Begriff Genrefilm in den Mund zu nehmen, da das meiner Meinung nach eine Erfindung von Leuten war, die Filme nicht aus sich selbst wirken lassen konnten. Tja, lang ists her, und ich bin nur bequemer geworden. Ich denke, dass man oft viel präziser mit Formulierungen und Begrifflichkeiten sein sollte (ich bin da sehr lax, und benutze inzwischen alles Mögliche wenn es mir spontan in den Sinn kommt), um sie im Endeffekt aber auch fallen lassen zu können.

    Emotion und Intellekt kann man schwer separieren. Sehe auch nicht genau worin der Zweck liegen soll. Aber über das was man emotional bzw. intelektuell aufnimmt und von sich gibt zu reflektieren kann nicht schaden. Da kann mich ein Film emotional bewegen, und gleichzeitig finde ich das trotzdem langweilig. Oder er stimuliert mich intelektuell, ohne dass es ein Mehrwert wäre. Ich denke, dass wir Menschen ebenso wie andere Lebewesen auf viele einprogrammierte oder erlernte Reize reagieren, aber dennoch die Möglichkeit haben uns dessen bewusst zu sein: dass das manchmal eben nur „automatische“ Reaktionen sind.

    Seit ich Filme nicht mehr bewerte, habe ich zumindest einen positiven Nebeneffekt dabei entdeckt. Manchmal gefällt mir ein Film während der Sichtung nicht besonders, und ein paar Wochen oder Monate später bin ich völlig hingerissen. Man lebt ja mit seinen Erlebnissen ständig weiter und sie transformieren sich, bzw. einen selber. Das klappt für mich viel freier, wenn ich die Filme einfach sein lasse, und nicht versuche sie ständig in (m)ein Konzept von Film/Leben/Wahrheit, etc. einzuzwengen. Man macht das ja sowieso immer, Dinge einordnen. Da muss man es ja nicht noch zusätzlich forcieren.

    Widersprüche gabs in deinem Text sehr viele. Aber du weißt ja, dass ich denke: Widersprüche benennen den Kern. Was ich meinte war aber einfach Dinge in unterschiedlichen Kontexten wahrzunehmen sei kein Widerspruch – im Sinne einer Unvereinbarkeit. Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich den Regisseur nicht ausstehen kann, den Film aber wunderbar finde, etc. Ging also in diesem Abschnitt nicht (nur) um deinen Text.

    Dass es oft am Besten ist einen Text in einem Rutsch runterzuschreiben, im Idealfall noch spontan, kenne ich von früher, als ich Gedichte schrieb. Wenn es mich gepackt hat, habe ich auch schon mal auf der Autobahn auf dem Randstreifen geparkt und die Worte fließen lassen. Das ist es wohl, was man Inspiration nennt. Redigieren kann man später ja immer noch.

  9. Alexander Schmidt on Februar 11th, 2010 at 13:46

    So Christoph, jetzt habe ich endlich mal deine lang vorgenommenen Rezeptions-Selbstoffenbarung zur Gänze gelesen (ich war schon mal bei der Hälfte und wurde irgendwie gestört, ohne es seitdem geschafft zu haben)….

    …und kann dir ebenfalls nur gratulieren, zu einem der besten (vermutlich weil persönlichsten) Texte, die ich bisher von dir gelesen habe (was allerdings zugegebenermaßen bisher noch nicht so viele waren)!

    Natürlich – und das schreibst du ja selbst – ist dieser Text auch ein Stück weit aus deinem in jeder Zeile (positiv) spürbaren Wunsch, verstanden zu werden, dich mit deiner Rezeptionshaltung solchen Pappnasen wie mir verständlich zu machen entsprungen und daher fühle ich mich als einer der vielen von deiner Rezeptions-Rezeption betroffenen („no offence“ ;-)) hier geradezu genötigt auch ein Stück weit meiner Rezeptionshaltung zu offenbaren (ein bißchen wie der Zwang beim Poker auch die eigenen Karten auf den Tisch zu legen…), was glaube ich auch in deinem Sinn ist…

    Es fällt mir allerdings zugegebenermaßen schwer, mich derart zu erklären, vielleicht da es mir vor dem Hintergrund der vielen und anhaltenden Diskussionen und leidenschaftlichen Mails zwischen uns, oft so scheint, als müsste ich mich für bestimmte Meinungen über Filme rechtfertigen…

    Dabei stimme ich dir (und Sano) ja im Grunde vollkommen zu, was das Ideal einer komplexen, veränderlichen, vorurteilslosen, im postitivsten Sinne prinzipienlosen und daher geistig freien und anarchischen Rezeption (von Filmen, wie auch anderen Kunstwerken) angeht!!!

    In den zwischen uns bisher stattgefundenen Diskussionen über meine Rezeption von Filmen, gingst du (und gehst wohl immer noch) davon aus, ich würde eindeutig zu Jenen gehören, welche sich – zudem ein ganz besonders rigides – Joch der Selbstdisziplin auferlegen, bzw. aufgrund von in deinen Augen „typisch bildungsbürgerlich-intellektuellen“ Vorurteilen nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Filmschaffens überhaupt wertschätzen können.

    Sicherlich ist einiges daran richtig, dass meine Filmrezeption bzw. überhaupt mein ganzes Interesse an Filmen sich ursprünglich (d.h. vor einigen Jahren) auf einen relativ schmalen Bereich bzw. einige Typen von Film beschränkte. Das hat auch damit zu tun, dass – wie ich dir mal privat geschrieben hatte – mein Interesse an Film zunächst ein sekundäres war, d. h. mich interessierten z. B. surreealistische Bilder und phantastische Literatur etc. und irgendwann merkte ich, ach!, sowas gibts ja auch im Film… Ich glaube zwar, dass es in gewisser Weise bei jedem Cineasten so anfängt, dass er erstmal eine kleine Anzahl bestimmter Filme toll findet, weil er darin irgendetwas aus seinem Leben, seinen persönlichen Phantasien oder seinen Interessen wiederfindet, aber das scheint mir im Zusammenhang gerade einer zeitlichen Entwicklung von Rezeption doch eine Rolle zu spielen…

    Erst später kam bei mir das Interesse für die Ausdrucksmöglichkeiten des Films im Allgemeinen hinzu und ein Grund für die Missverständnisse, die es zwischen uns bezüglich unserer Rezeptionsweisen gab und leider immer noch gibt, ist sicherlich, dass obwohl Filme für mich sicherlich eine extrem wichtige Rolle im Leben spielen und sich Film als solches zu einem meiner Hauptinteressen entwickelt hat, er doch nicht die zentrale Position einnimmt, die er für dich (und andere in unserem kleinen cinemenschlichen Freundeskreis) einnimmt…

    Dein zentrales Interesse vor allen anderen gilt eben dem Film in all seiner Mannigfaltigkeit, seinen unendlichen Ausdrucksformen, während bei mir dieses durchaus vorhandene Interesse immer von etwa gleichgewichtigen Interessen begleitet und teils überlagert wird… Dadurch ergibt sich für mich natürlich das Problem, dass ich meist mehr von Filmen begeistert bin, die rein filmisch brilliant / interessant sind, gleichzeitig aber auch ein oder mehrere meiner anderen Interessen ansprechen und mich so gewissermaßen doppelt befriedigen. ^^

    Mein Problem ist im Grunde die Kehrseite des Deinigen: wo du versuchst einen Film absichtlich schlecht zu finden und es dir nicht gelingt, weil du ihm doch erliegst (was ja letztenendes eben doch kein Problem, sondern gerade ein Gewinn ist!) habe ich vielleicht manchmal das Problem, dass ich einen Film wriklich GUT finden will, aber er mich einfach nicht vom Hocker reißt. Die Gründe, die du dahinter vermutest sind allerdings entweder extrem verzerrt oder (meist) schlichtweg falsch. Beispielsweise unterstellst du mir immer eine von vornherein „analytische“, distanzierte und Emotionen abwehrende Rezeptionshaltung, die mir während des Filmschauens jedoch völlig fremd ist. Höchstens, dass ich anschließend darüber nachdenke, warum ein Film welchen Eindruck bei mir hinterlassen hat… was wiederum…

    Ach ja… anstrengend sowas…Fortsetzung folgt! 😉

Kommentar hinzufügen