14. Hofbauer-Kongress, Aufriss #9
„Die Siebziger begannen Ende der Sechziger“. Das stellte Markus Caspers in seinem famosen Buch „70er – einmal Zukunft und zurück“ fest. Und „Dekaden halten nicht immer 10 Jahre und schon gar nicht, was sie versprechen“. Ab 1974 ging es schon wieder bergab. Die regressive Desillusionierungsmaschinerie startete, man flüchtete in Bekanntes und Bewährtes. Folgerichtig, dass schon 1971 die ersten Memoiren Rosemarie Heinikels erschienen, die nicht erst durch ihren Auftritt in Peter Baumgartners …UND NOCH NICHT SECHZEHN zu einem leuchtenden Stern im HK-Kosmos wurde. „Rosy Rosy“ ist eine Gehirnsynapsen sprengende Radikalperformance in
Worten, ein einzigartiges Zeitmonument, das von Seite zu Seite wilder und delirierender, schöner und wahrhaftiger wird. Ein Buch, das lebt.
Von 1969 bis 1971 war in München noch jeder Nerv in fiebriger Erregung. Die Realität lief der Fantasie davon. Und hatte einen großen Vorsprung. Es war ein Schlaraffenland der pikanten Genüsslichkeiten. Ein hedonistisches Karussell der allgegenwärtigen Verlockungen. Frechen Küken und hungrigen Seejungfrauen strömte es heiß durch Mark und Bein, die Luft vibrierte vor Euphorie. Schwabing schien das Zentrum des Universums zu sein. Hübsche Mädchen hießen Hasen. Die Playboys, „Münchner Raben“ genannt, gingen ihnen gerne zur Hand, mehr smart als hart. Noblesse oblige. Schließlich liebte man die Frauen. Und nicht nur eine. München war die Stadt mit offener Bluse und ohne BH. „Was nutzt die schönste Frau, wenn es die eigene ist?” fragte seinerzeit Klatschkönig Michael Graeter, und das nicht zu selten, denn er wusste alles über eine Gesellschaft, „die sich die Hand im fremden Schritt gibt.“
„A bissl was geht immer.“ war schon damals das Motto. Das dachte sich wohl auch Wolfgang Becker, als ihm Wolf C. Hartwig und Ludwig Spitaler den charismatischen, aber auch etwas hüftsteifen Harald Leipnitz als „Raben“ vor die Kamera stellten. Es ging noch viel mehr. Selten war Leipnitz so erfüllt von bubihafter Lässigkeit und nachtwacher Dynamik. Ein Liebling der Frauen, der von seiner reichen nymphomanischen Ehefrau gekauft und zum menschlichen Sexspielzeug degradiert wurde. Ruth-Maria Kubitschek gibt diese als vor Whiskey triefende, dämonisch-verruchte Femme Fatale. Ihre bizarr-verstrahlte Erscheinung wird noch verstärkt durch die von Eberhard Schröder mit großer Liebe zum Detail gestalteten Wohnlandschaften. Avantgardistische Sphären der Kolorierungen und Formen, blendend und einbrennend. Eine der unglaublichsten Szenen gehört Ellen Umlauf, einem weiteren HK-Liebling, die einen wahrlich Hose sprengenden, lasziv-resoluten Auftritt als ehemaliges Freudenmädchen hinlegt und Leipnitz verächtlich „seine schmuddelige Vergangenheit ins Hosenbein kriechen lässt“.
Kurz vor seinem endgültigen Wechsel ins seriöse Fach hat Wolfgang Becker noch einmal sinnenfreudig die Schmierlunte gezündet. Und die Explosion wird am Montag 5.1.2015 um 21:15 Uhr im Rahmen unseres kleinen Schwerpunktes „München im HK-relevanten Film 1969-1971“ in farbenfrohem Orwocolor erstrahlen.
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