100 Deutsche Lieblingsfilme #43: Die Katze (1988)



Es gibt ein deutsches Kino vor Die Katze und nach Die Katze. Die Filmgeschichte ist voller solcher Werke. Zäsuren, Unikate, Momente in denen der Film eine Neugeburt erfährt, indem jemand mit ihm etwas macht, was so noch nicht da gewesen ist. Dazu braucht es gar nicht viel. Was es aber auf jeden Fall braucht ist einen Regisseur, der weiß was er will und sich auch etwas traut. Das ist dann wie ein gewagtes akrobatisches Kunststück, dieser eine Augenblick, in dem das Publikum die Luft anhält und sich fragt ob es tatsächlich gelingt. Danach orientieren sich alle daran, müssen es zwangsläufig, oder versuchen es zumindest – eine Weile lang. Wenn es weiteren Personen glückt, normalisiert sich wieder alles, und der Alltag nimmt seinen Lauf. Vor dem Ereignis ist nach dem Ereignis, und Vieles was vorher wunderbar klang wird nachher selbstverständlich. Wem Die Katze während dem Ansehen ganz alltäglich erscheint, der hat etwas vergessen: Dass es keinen Fortschritt gibt, und die Illusion einer neuen Hürde die es nun zu bewältigen gilt, im Grunde immer noch und immer wieder die alte bleibt. In der Kunst ist nichts wiederholbar. Zeiten vergehen, Geschmäcker ändern sich, und das bemühte Etikett des „Zeitlosen“ ist ein Spiegelbild vergeblicher Hybris. Denn Kunstwerke sprechen ihre eigene Sprache. Dominik Grafs Die Katze ist so ein Film, ein Film bei dem man meint, es permanent raunen zu hören, ein Monument. Wenn zukünftige Generationen ihn betrachten werden, stehen sie vielleicht vor ihm, staunend wie Kubricks Affen vor dem Monolithen. Nur dass der Monolith in diesem Fall eigentlich Dominik Graf ist.

Das erstaunliche an dem Film ist die Dreiecksgeschichte, die seinen Kern bildet. Ihrer eigenen Logik folgend, ist sie das bestimmende Grundgerüst, an dem ersichtlich wird, was der Film daraufhin auszuformulieren sucht: Dass jeder der Drei alles tun würde, um sein Ziel zu erreichen. Der Reigen dieser drei großartig widerwärtigen Arschlöcher setzt sich bei den übrigen Figuren fort, manifestiert sich in konzentrischen Kreisen von Aktion und Reaktion, bei denen jeder Beteiligte versucht die entscheidenden Fäden zu ziehen. Die alte Geschichte von Opfern und Tätern, von Schein und Sein, bei der Grenzen fließend sind, Gegensätze einander aufheben können, und man im Spiegel immer auch den Anderen erblicken kann. Dominik Graf zeigt uns, dass wir im Grunde alle Spieler sind. Verlierer werden zu Gewinnern und Gewinner zu Verlierern. Ambition ist Kompensation. Und im Krieg und in der Liebe ist bekanntlich alles erlaubt. Die Titelsequenz und das Ende bilden dabei eine Klammer, die den zentralen Konflikt, den entscheidenden Twist in dieser Geschichte voller Twists, noch einmal verdeutlicht, an einem Ende, das auf den Anfang verweist und nur durch ihn seine Berechtigung erhält. Das eigentliche Thema verbirgt sich hinter der Oberfläche, die Psychologisierung verwandelt sich in Aktion, das Beziehungsdrama wird in einen Actionfilm übersetzt – und die Reflexion über das Leben ist auch eine Reflexion über das Kino.

Wie Hitchcock, Welles, Bergman und die übrigen Götter ganzer Generationen von Filmverehrern, ist Graf ein Genie, ein Phänomen, eben das, was man eine Ausnahmeerscheinung nennt. Einen Graf-Film erkennt man sofort. Und ich höre schon die kommenden Generationen sagen: Wenn ich groß bin, möchte ich Filme machen wie Dominik Graf. Ihm selbst ist das natürlich egal, für ihn mag das ganz normal sein, ganz alltäglich. Denn es scheint auch was Graf geschafft hat, haben viele nach ihm genauso hinbekommen, manche sogar besser. Und ohne ihn hätten sie es sicher auch geschafft. So scheint es. Tatsächlich ist es jedoch vielmehr so, dass bisher keiner, nicht hierzulande, aber auch nicht im Ausland, die Hürde genommen hat, den Weg gegangen ist, den Graf geebnet hat. Nicht weil sie es nicht wollten, oder nicht konnten, sondern vermutlich weil Film auch ein Glücksspiel ist, und nur die geübten Zocker wirklich weiter kommen. Zur nächsten Runde, in der sie wieder alles setzen können, wenn sie wollen. Nur die wenigsten haben die Kraft, die Ausdauer, und den langen Atem, den es braucht, immer wieder von Neuem aufs Ganze zu gehen, und alles zu setzen. Nur die wenigsten schaffen es, etwas zu wiederholen ohne sich zu wiederholen. Im Grunde ist es eine Handschrift die immer schon da war, die jedoch variiert gehört, geübt werden muss, um sich zu verändern ohne ihre Charakteristik einzubüßen. Dominik Grafs Filme handeln oft vom Scheitern. Aber dabei immer auch vom Sieg im Scheitern. Der Sieg ist der Film, der davon erzählen kann – die Utopie Kino. Die Katze erzählt viel. Erzählt vom Kino, erzählt von seinen Machern, und immer auch ein wenig davon was nicht ist, welche Filme es nicht gibt, weil man sieht, dass es sie nur hier gibt. In dieser Welt. In den Filmen von Dominik Graf.

Die Katze – BRD 1988 – 118 Minuten – Regie: Dominik Graf – Drehbuch: Christoph Fromm, Uwe Erichsen (nach einer Vorlage von Uwe Erichsen) – Produktion: Georg Feil, Günter Rohrbach – Kamera: Martin Schäfer – Schnitt: Christel Suckow – Musik: Andreas Koebner, Eric Burdon (Titelsong „Good Times“) – Darsteller: Götz George, Gudrun Landgrebe, Joachim Kemmer, Heinz Hoenig, Ralf Richter, Ulrich Gebauer, Sabine Kaack, Iris Disse, Erich Will, Heinrich Schafmeister, Uli Krohm, Claus-Dieter Reents, Bernd Hoffmann, Walter Gontermann, Josef Millo, Gabriele Ausböck, Helmut Holzner, Klaus Maas, Ernst Petry, Erika Skrotzki

Dieser Beitrag wurde am Freitag, Oktober 5th, 2012 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Deutsche Lieblingsfilme, Filmbesprechungen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “100 Deutsche Lieblingsfilme #43: Die Katze (1988)”

  1. Mr. Vincent Vega on Oktober 5th, 2012 at 14:18

    Schöner Text. Bisschen viel Überschwang. Aber schön.

  2. Sano Cestnik on Oktober 9th, 2012 at 09:53

    Ich kann nichts dafür – der Überschwang ergibt sich aus dem Film. 🙂

    Du willst gar nicht wissen, wieviel davon ich aus der ursprünglichen Textfassung herausgekürzt habe, damit das hier keine allzu überzogene Lobpreisung von Dominik Graf wird…

    Ich glaube, ich brauche erst einmal wieder ein paar Monate Abstand von der weiteren unmittelbaren Begegnung mit Filmen von Dominik Graf. Ich bin es ja eigentlich nicht gewohnt so vieleArbeiten eines Regisseurs in so kurzen Abständen zu sehen, und ich fühle mich dieses Jahr von seinen Wunderwerken fast schon dominiert. Ich denke meine letzte Sichtung eines seiner Filme (DAS ZWEITE GESICHT zum zweiten mal auf 35mm bei der Werkschau im Zeughauskino Berlin) war jetzt erst mal ein schöner Abschluss, und ich werde versuchen lieber weitere Texte zu schreiben und vielleicht höchstens noch weiter in seinem Buch zu stöbern.

    Ehrlich gesagt weiß ich aber langsam nicht mehr was ich schreiben soll. War auch mit Christophs STB-Eintrag zum ZWEITEN GESICHT überhaupt nicht zufrieden, und wir haben uns ein wenig gezofft, weil er ihn eigentlich auch in die deutsche Reihe stellen wollte. Du und Lukas wart ja nach der Sichtung jetzt nicht so angetan, aber ich glaube, dass dieser Film einfach perfekt ist. Also so vollkommen wie ein Film eben sein kann. Habe mir heute die zwei Alben von Glenn Branca und Brian Eno auf CD bestellt die Musikstücke aus dem Film enthalten. Da ich die vermutlich bis zum Ende des Jahres dann in Dauerschleife hören werde, putzen sie vielleicht wieder meine Gehirngänge frei (also die Musik verdrängt dann die Bilder, und so). Wir könnten aber mal über Grafs Filme per Skype oder Telefon quatschen, wenn du Lust hast. 🙂

  3. ScreamQueen on November 6th, 2016 at 11:54

    Glücklich ein Land, in dem man einen hack wie Graf – allen Ernstes und ohne Scheiß – für ein „Genie“ vom Format eines „Hitchcock, Welles oder Bergman“, ein „Phänomen“ gar, eine „Ausnahmeerscheinung“ hält. Warum glücklich? Weil es ganz und gar einzig ist auf dieser Welt.

  4. Christoph on November 9th, 2016 at 11:38

    Das ist aber doch eine leicht überspannte Darstellung der Gegebenheiten. Wäre es so, wie Sie schreiben, dann wäre in Deutschland ja bereits ein gewisser Idealzustand erreicht. Leider sieht die Praxis dann aber doch anders aus – Hitchcock, Welles und Bergman werden immer noch erschreckend oft über Graf gestellt – sodass die von ihnen kritisierte Aussage leider noch sehr viel häufiger gefällt werden muss.

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