100 Deutsche Lieblingsfilme #35: Pink (2008)
Pink ist Thomes bisher letzter auf 35mm gedrehter Film, und einer derjenigen, die am ehesten einer Poesie des Lichts, das sich ins Filmmaterial einschreibt, verhaftet sind. Einer Poesie des Moments und des bewussten Verharrens, die so charakteristisch für eines seiner großen Vorbilder, Yasujiro Ozu, ist. Und auch diesmal geht es um die Entwicklung hin zu einem Möglichen, zu einem Ziel der filmisch erdachten und erwünschten Utopie, und ihre Befragung und Reflexion durch das Medium selbst. Der Film ist aber nicht so sehr Entwicklungsroman als vielmehr Fabel, denn die Stationen, die die Hauptfigur durchläuft, sind wie in vielen Märchen nur ein Vorwand, um zum eigentlichen Wesen der Parabel vorzudringen. Der Reihe nach darf sich unsere Heldin für einen von drei Wünschen entscheiden, welche sie zur Verfügung gestellt bekommt: Mann Nummer 1, Nummer 2, und schließlich Nummer 3. Die Veränderung der Hauptfigur ergibt sich dabei automatisch aus dem Zusammenleben mit bzw. dem Durchleben des jeweiligen Wunsches. Daher geht es wie bei der Anprobe eines Kleides, dem Ausprobieren eines Ganges oder dem Erlernen einer Melodie vor allem um die Erkundung des Moments, in dem die Transformation stattzufinden hat. Daraus ergeben sich für Thome teilweise eher untypische Tableaus (die aber durchaus auch in manchen früheren Filmen wie z.B. Die Sonnengöttin (1992) bereits zu finden waren), was vor allem gegen Ende der letzten Episode eine völlige Entdramatisierung des Geschehens bewirkt, da es für die Figuren nur noch um das pure Sein, die Gegenwart, das Auskosten des Erreichten geht. Das Glück (oder Unglück) ist daher nicht, wie in vielen anderen Filmen Thomes, als Resultat des Prozesses der Geschichte oder als ein möglicher Ausblick am Ende des Films angesiedelt – bspw. in System ohne Schatten (1983), Frau fährt, Mann schläft (2003), Rauchzeichen (2005) oder Das rote Zimmer (2010) -, sondern wird bereits vorzeitig im Film selbst erreicht. Pink ist ein düsterer Film. Aber auch ein magischer. Vor allem in Szenen des vermeintlichen Stillstands der Handlung, die auch immer eine extradiegetische Befragung (auch der eigenen Filmographie) darstellen, kommt die Kameraarbeit von Ute Freund zur Entfaltung, indem sie die von mir anfangs beschriebenen poetischen Qualitäten des Moments durch eine grandiose Lichtregie zur Geltung bringt, und die Segnungen des 35mm-Filmmaterials großzügig auskostet. Ein Wunder ist das oft, ein Staunen über die Welt, aber auch ein Fixieren, ein umbarmherziges Aushalten. Die berühmten Pillow Shots Ozus werden – durch den abwechselnd melancholischen und euphorischen visuellen Kommentar der nun wenigstens für kurze Zeit sprechenden vernachlässigten Marginalien – zu bewohnbaren und transzendentalen Orten umgewandelt, deren Erfahrung ein permanentes Glücksversprechen evoziert. Die Zeichen sprechen, untereinander aber auch mit dem Zuschauer, und die Kamera bringt sie zum tanzen und zum vibrieren. Am deutlichsten wird dies in der Südseeepisode, die einen Vorgeschmack auf das irdische Paradies liefert, den Garten Eden, in dem sich die Protagonistin und ihr dritter Ehemann dann am Ende des Films auch tatsächlich befinden werden. Dieser liegt jedoch nicht wie vom Zuschauer vielleicht vermutet in der Ferne, im Außen, sondern im Inneren der Figuren, und spiegelt sich schlussendlich auf dem ländlichen Besitz des Ehemanns. Wenn Thomes Filme meist Versuchsanordnungen und Reflektionen mit ungewissem, erhofftem oder vergangenem Ausgang sind, ist bei Pink im Grunde schon alles von Anfang an klar. Eine sonderbare Mischung aus Jacques Doillon und Eric Rohmer, aus Neugier und Abgeklärtheit, improvisierter Nähe und bewusst inszenierter Distanz. Das schmerzliche Unverstehen der Figuren in Rohmers Universum, in dem Liebe und Zuwendung etwas ewig Unerreichbares, gar eine menschliche Illusion darstellen, die sich nur durch einen Trick der gegenseitigen Selbsttäuschung für einen flüchtigen Moment einzustellen vermag (ich höre Rohmer immer raunen: Das Leben ist nichtig), trifft auf die leidenschaftliche Suche des idealistischen Kerns eines jeden Menschen bei Doillon, bei dem es immer heißt: Finde das Leben, dann findest du zu dir selbst. Das Leben als geheimnisvoller Feind oder als gefährlicher Gefährte. Bei Thome scheint es meist auf eine Mischung beider hinauszulaufen, wobei er in den von mir bevorzugten Filmen eher die Neugierde und Entdeckerlust Doillons als den klassizistischen Reigen Rohmers walten lässt. Thome gehört demnach zwar zu den französischsten aller deutschen Filmemacher, wenn es immer wieder heißt: cherchez l‘amour, aber es geht ihm nicht um Analysen und Lösungen, sondern um Träume und Utopien, während die grundsätzliche Verkopftheit des deutschen Films der Sinnlichkeit eines Verzichts auf den Intellekt und dem Vertrauen auf den Instinkt weicht.
Pink – Deutschland 2008 – 82 Minuten – 35mm – Regie, Drehbuch, Produktion: Rudolf Thome – Kamera: Ute Freund – Schnitt: Dörte Völz Mammarella – Musik: Katia Tchemberdji – Darsteller: Hannah Herzsprung, Guntram Brattia, Florian Panzner, Cornelius Schwalm, Radhe Schiff, Anna Kubin, Christina Hecke, Rosa Enkat, Anja Karminski, Christine Knispel, Seld Kaya, Janko Kahle, Frieder Venus, Nike Fuhrmann, Hubertus Hiess, Tonio Arango, Dirk Wager, Yvette Richter, Julia Mitrici
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