Zeitnah gesehen: Der goldene Handschuh (2019)





Kasperljagd auf St. Pauli

Man kann es diesem Film wahrlich nicht vorhalten – er ist eine grundehrliche Haut, präsentiert bereits in den ersten Einstellungen freimütig, was ihn fortan immerzu plagen wird. Fritz Honka (Jonas Dassler) säuft und mordet in seinen beschaulichen vier Wänden, eingepflanzt wie lediglich halb vom Gewebe angenommen inmitten der kulissenhaften Raumgestaltung einer beliebigen Bühneninszenierung. Das ist es, was Fatih Akins in der Essenz stets bleibt – abgefilmtes Theater, dem zu den Möglichkeiten einer Kinokamera zuverlässig bloß Halbtotalen und Nahaufnahmen mit abgespreiztem Finger einfallen, manchmal ein wenig näher, dann ein wenig weiter in der Ferne, von der Freddy Quinn vom Plattenteller aus singt. Weitestgehend zentriert auf oder knapp unterhalb der Augenhöhe vor den Tristtischen, von denen der Frühstückskorn gleich als veritabler Wasserfall strömt. Ein wenig erinnert das an Peter Steiners Theaterstadl, den ich als junger Bub so genoß – keine schöner Erinnerung, denn nicht einmal die wenigen, rein ausschnittsweise das Räumliche durchziehenden Schwenks schaffen Filmisches, folgen allein den Figuren auf ihren Wegen von einem Schnapsschrank zum nächsten. Wie die Augen der Zuschauerschaft den Darbietenden auf den geweihten Brettern. Rein deskriptiv, selbst in diesen mobilen Momenten beinahe noch narrativ, am übermächtigen Text festklebend. Und lugt das Kamerauge den ihm anvertrauten Figuren einmal über die Schultern statt auf dieselbigen, so geschieht dies allein, um einen weiteren Menschen ganzheitlich, als verkleinertes Insekt unterm Lupenglas in der Kadrage gefangen zunehmen. Etwas, das die Räume selbst niemals zu leisten im Stande wären: Zwei, drei prominente Blickwinkel werden ihnen zugestanden, ganz als hätte man versäumt, die restlichen Ecken großzügig mit hübschen, letztlich jedoch rein zweckmäßigen Memorabilia aus dem „Westdeutschland in den Siebzigern“-Katalog vollzuschmeißen. Unvollständig bleibt sie so, die penible Wiederauferstehung des damaligen St. Paulis. Bloße, an allen Ecken und Enden offene Simulation. Die im digital-schwarzen Einheitsbrei ertrinkenden Innenhöfe, durch die Honka bisweilen irrt – überall auf der Welt könnten sie gelegen sein. Aber ich weiß schon, bestimmt auch nur eine Schlagerreminiszenz, denn: „Jede Nacht gehen Träume verloren, jeden Tag werden Wünsche neu geboren.“

Was sich an den Tischen dieser Taschenrepublik um die Ohren gehauen wird, tönt kaum weniger gestelzt – einjeder schwatzt so, wie es hoffentlich niemand jemals tat. „Ich könnt‘ schon wieder Fotzen fressen wie Kartoffelsalat!“, klunkern die Säcke der Kneipenbrüder aus ihren Hälsen – „Sie ist rundlich, mit samtener Haut.“, preist die abgearbeitete Dame, die kurzzeitig als Putzsklavin den Honkaschen Haushalt führen darf, diesem einmal die Vorzüge ihrer Tochter an. Zuvor hatte er, der, muss er mal seinen Mann stehen, fimschige Lüstling ihr schon eine prall Bockwurst aus dem Glase seines Wabbelschwanzes statt zwischen die Schenkel geschoben. Selbst bereits einen Bissen getan, zeigt er sich ein einzig Mal generös: „Hier, der Rest ist für dich!“ Doch was schamlos klingen soll, womöglich gar schlicht aus der (mir leider unbekannten) Strunkschen Vorlage entlehnt ist, bleibt neben die hausbackene Inszenierung gestellt rein juveniles Jungsgeprotze. Versagend ausgerechnet dort, wo es drauf ankommt, geht Akin auch in den mit Getöse FSK18-prämierten Tötungs- wie Schändungsszenen den Weg der halben architektonischen Obstruktion – ein Auge gebannt auf die Ranztapete neben dem nie durchschrittenen Türrahmen, das andere verstohlen auf das blutige Treiben lugend. Hey, immerhin wird hier einer alten Lustsklavin ein Küchenlöffel in den aufgedunsenen Leib geschoben! Nichts weiß er mit diesen Gewalttätigkeiten anzufangen – kein Mitleid erzeugen sie, auch keine zu brechende oder riskant zu wahrende Lust, da ist rein gar nichts Tiefergehendes, irgendwas, das bleibt. Es ist halt ein Serienmörderfilm – da muss man doch ranklotzen! Auskosten des Ekels bei vorgeschobener Scheindemut – etwas, das überdies im plötzlich begierigen Aufsaugen der Kotze aus einer Vielzahl an Leibern und einem fulciesken Madenschauer am Esstisch winken darf.

Diese schwiemelige Haltung passt wie die Faust aufs Auge zum feixenden Gusto, mit dem sich in der ausgestellten, weitestgehend nur dezent nachgebesserten, ergo für diese Verhältnisse geradewegs unsimulierten Hässlichkeit (die im Grunde bloße Verlebtheit ist) seiner Prostituiertenriegen suhlt, sie frech einem knackigen Jüngling in vergnügt artifizieller Maske (die im Grunde bloße Lächerlichkeit ist) gegenüberstellt und das als Sozialrealismus verkauft. Denn gibt es eines, das alle Anstrengungen nie verschleiern können, so ist es folgendes: Für den immerhin nach Kräften aufspielenden Jonas Dassler wird es immer ein Erwachen nach dem Make-Up Department geben. Die Damen der titelspendenden Kneipe hingegen sind auf der Leinwand gefangen als bizarre Freakshow inmitten – mit Macken anstelle als solche wahrgenommenen optischen Makeln behangen – annähernd altersehrwürdiger Herren. Ein wenig erinnert „Der goldene Handschuh“ in seiner Haltung an jenen venezianischen Commissario aus Nic Roegs „Don’t Look Now“ (1973), der unbeirrt zum Besten gibt: „Age makes women grow to look more like each other. Don’t you find that? Old men decay and each becomes quite distinct. Women seem to converge, huh?“, und man sollte ihm ja nicht abkaufen, diese Wahrnehmung würde allein die seines Hauptcharakters spiegeln. Dafür ist er zu sehr vernarrt in die Oberfläche aus sorgsamer Distanz gemeißelter Büsten, seine bevorzugt in eine einziges Bild gequetschte Fratzenparade, die verschenkte Greta Sophie Schmidt, deren Figur allein einer cleveren Überleitung zum Abspannlied, der eingeworfenen Flucht aus dem nun mehr zu engen Puppenhaus zu Diensten sein darf. Keine Bruchstelle im noblen Marmor, nirgendwo. Wo Rainer Werner Fassbinder, den – zahlreiche Referenzen hier und anderswo verraten es schnell – Akin eingehend studiert haben dürfte, in den rundlichen Gesichtern seiner Hausfrauen Sanftmut, Würde, eigenwillige Schönheit gar zu Tage förderte, vermag der Schüler allein Hässlichkeit zu finden. Ein Rocco Granata macht noch keine vier Jahreszeiten. Auch hier mehr als augenscheinlich: Kein Close Up darf je einmal Zeugnis von in Trümmern liegenden Innenleben ablegen – jedwede Erklärung obliegt allein dem Dialogskript. Die Psyche eines Serienmörders, Hamburg, vermessener die BRD in den 1970ern, in flüchtigen Auszügen gar das Familienleben griechischer Gastarbeiter – es gibt vieles, das „Der goldene Handschuh“ offenkundig gern ergründet hätte. Leider kommt alles bereits in seinen bloßen Ansätzen zum Erliegen, scheut er doch schon vorm Subjekt selbst. Verständlich, es könnte ihm ja den Lack von der Nase bröseln.


Der goldene Handschuh – Deutschland 2019 – 115 Minuten – Regie: Fatih Akin – Produktion: Fatih Akin, Nurhan Sekerci-Porst – Drehbuch: Fatih Akin, nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk – Kamera: Rainer Klausmann – Schnitt: Andrew Bird, Franziska Schmidt-Kärner – Musik: FM Einheit, Adamo, Rocco Granata, Heintje, Freddy Quinn u.v.a. – Darsteller: Jonas Dassler, Margarete Tiesel, Marc Hosemann, Katja Studt, Greta Sophie Schmidt u.v.a.

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Mai 28th, 2019 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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