Zeitnah gesehen: Acid Babylon (2020)





Gemeinhin sollte man annehmen, dass Filme, die derart huldigend von einem bekannten Schauplatz zum nächsten eilen, wie Cosmotropia de Xams jüngst im Würgegriff der Coronakrise gänzlich digital uraufgeführter „Acid Babylon“ es handhabt, unwillkürlich zur reinen Fanrevue verkommen müssten. „Build on the cosmic spirit of these places“, heißt es im Abspann über ihn selbst sowie seine durch „Lucifer Rising“ (Kenneth Anger, 1980), „Phenomena“ (Dario Argento, 1985) oder „Malpertuis“ (Harry Kümel, 1971) in nicht unbeträchtlichen Teilen des filmkulturellen Gedächtnisses abgelegten Schauplätze. Ein guter Leitfaden für diese strukturell überwältigende, narrativ oder gar didaktisch jedoch schweigsame Versuchsanordnung. Hier werden sie noch einmal ganz neu angelegt, diese Gedächtnisorte des Abseitigen.

„Acid Babylon“, das ist räumliche Überschreitung, die Verdichtung zu einem Universum, einem Universum zusammengestückelt aus vielen separaten; kein Fanfilm mehr, vielmehr einer, der das Fortfühlen und Leben in wie von Filmen am eindringlichsten vermittelt. Sehen, Wiedersehen, Neusehen mehrfach gebrochen. Figuren, die angestrengt in an mehreren Stellen durchlässige Käfigrechtecke starren, wie auf der Suche nach Antworten. Plötzlich im wilden Übergang Raumvermessungen in fischaugenhafter Verzerrung hinter der Geistesbarriere. Wechsel in die Subjektive erscheinen von größter Bedeutung in einem Film durchsetzt von improvisierten Laternae Magicae und Avataren; immer wieder Totenschädel geheimnisvoll vor Gesichter gehalten, ihre leeren Augen die Höhlen für das Projektorenlicht des Kinos. Sie scheinen durch Interaktion die Seelenreise anzustoßen. Stromernd hinter den Figuren her, wie selbst erlebt, als kalter Hauch im Nacken. Dieselben Menschen ganz winzig an den Böden riesenhaft eingefangener Architekturpanoramen, wie gefangen im eigenen, geheimen Traume von Kino und Abenteuer. Drehungen um die eigene Achse, wohin den Blick wenden? Dann macht die Kamera es ihnen nach. Anstoßen und angestoßen werden. „Acid Babylon“ ist ein Film wie ein strammer Windzug, es braucht keine Flügel mehr zum Fliegen, bloß die singuläre Agilität von Cosmotropia de Xams Smartphonekamera sowie die zu einem Rauschen zusammengeschrumpfte Expressivität des Soundtracks.

Ein vom Windzug partiell durchgeblätterter Flug durch das Gros der von Räumlichkeit besessenen Offenbarungen 17:1 bis 17:18 auch, die über das Geschehen gelegt mit den unheiligeren Messen und Seancen im Hintergrund gemeinsam einen Umbruch einleiten. Etwa die zweite Hälfte der knapp 60 Minuten spielt sich in dem ab, was durch die Meditationen der ersten zu erreichen war. Mit vagen Zuschreibungen wie „The other side of the sky“ oder „Exit“ werden Orte überschrieben, die teils bekannt, teils unbekannt, teils anderweitig bekannt, nie jedoch dergestalt bekannt waren. Umkopierte, umgefärbte Wirklichkeit, Farbfilm mit den ineinanderfließenden, nie jedoch sich vermischenden Primärfarben Rot und Blau neu viragiert. Eine Umdeutung des Festgehaltenen so alt wie 35mm-Kopien, von denen „Acid Babylon“ nicht weiter entfernt sein könnte. Die in „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (Werner Herzog, 1979) ausgiebigst vermessene Partnachklamm als comichafte Grotte neuerkundet, als Tropfsteinhöhle mit satt heruntersickernden Farbsträngen als händig auseinanderdifferenzierter Felsstruktur. Monochrome Konkurrenzmalereien wogendenden Meeres und doch ist es der gleich alte Strand aus Jean Rollins „Les démoniaques“ (1974), an dem schon Joëlle Cœur masturbierte – Wasser der Grundort, so scheint es, des Malkastens, allen Seins hier. Vor wie nach der Wende.

„The essence of life seemed bodily motion.“, schrieb Nella Larsen einmal über den Moment des Tanzens („Quicksand“, 1928), ein treffende Umschreibung wäre dies auch für das Kino und was es mit uns anzustellen im Stande ist. Bewegungen, bestimmte Schritte über Sand, Stein und Strom, die man nie vergisst. „Acid Babylon“ erinnert an sie, deutet sie um als endloses Wandern ohne Geist, Reproduktion, willenloses Verfolgen von auf wie jenseits der Leinwand geflüsterter Eingebungen, das Stolpern und anschließende Verlieren im Sumpf der Erinnerung, abschließend die Neuzusammensetzung aus vertraut erscheinenden Fragmenten. Film erleben, nicht bloß den vor den Augen, sondern viele weitere noch dazu, im Idealfall – der Kenntnis seiner Vorbilder – interaktiv eigene Erinnerungen und Gefühle abrufend. Ein endloses Prisma, Durchsickerung, nein, unwiderrufliche Einsickerung des Blutes im Gehirn – der Komafilm eines Cinephilen.


Acid Babylon – Deutschland, Belgien 2020 – ~60 Minuten – Regie: Cosmotropia de Xam – Produktion: LSD 2020 Inc., Cosmotropia de Xam – Drehbuch: Cosmotropia de Xam, nach einer Vorlage von Sue R. Lizm – Kamera: Cosmotropia de Xam – Schnitt: Cosmotropia de Xam – Musik: Mater Suspiria Vision – Darsteller: Aura, Lala Charlett, Juju Christian sowie Shazzula Vultura

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, April 5th, 2020 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Zeitnah gesehen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Zeitnah gesehen: Acid Babylon (2020)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (06-04-20) on April 6th, 2020 at 18:03

    […] Ehrlich gesagt, habe ich bei André Malbergs Vorstellung von Cosmotropia de Xams „Acid Babylon“ auf Eskalierende Träume nicht ganz verstanden, was das überhaupt für ein Film ist, worum es geht […]

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