In den Randbezirken der Lohnarbeit – The Bowler and the Bunnet (1967)




    New system, patent coupling, no welding, two boats and a sealing ring. Annual saving: 4.000 pounds.
    Well, that should appeal to the Scot in everyone.

    (Sean Connery lockert eine Präsentation auf)

Nominell die einzige, bescheiden gut versteckte Fernsehregiearbeit eines der mit absoluter Bestimmtheit größten Filmstars des vergangenen Jahrhunderts – eine Dokumentation über schottische Werftarbeiter, ihre Brotarbeit und Brötchengeber, die doch mit etwas ganz anderem beginnt: Dem Megastar selbst. Sean Connery inmitten der Schönheit des Landes, Sean Connery urlaubsromantisch auf den Straßen, Sean Connery am Steuer seines eleganten Sportwagens. Allzeit zuverlässig wird er die eine Konstante bleiben, plötzlich heraustretend aus Hauseingängen, die zuvor noch den vereinsamten Schalk der Arbeiter auffingen, auf deren Flankenlinien oder mit dezentem Schwenk nach links hinter passierenden Managern hervorgekehrt. Omnipräsent sogar in trügerischer Abwesenheit, gleich einer wachenden Instanz, ein Schutzengel, aber schmunzelnd-spöttisches Lachen in die Züge gemeißelt – ganz verkörperlichte, understatete Eleganz, dennoch auch: Cut vom oberen Frontfenster eines Doppeldeckerbuses, vor dem Connery die Aussicht genießend Platz genommen hat auf ebenjenes Fenster von außen, nun aus der ehrfürchtigen Froschperspektive statt auf Augenhöhe, dann ein rasanter Zoom rückwärts und schon sind wir es, die verdattert gleich neben dem vergnügten Connery den Beifahrersitz in Beschlag nehmen.

Obwohl seine Präsenz im Film die eines bloß eingesprochenen Promikommentars beispielsweise weit überschreitet, haftet ihm etwas Verspieltes, dezidiert nicht Selbstgefälliges an, das die schwere, jedes ehrenwerte Anliegen überschattende Presentereleganz umschifft. In seinem sprunghaften Erscheinen, dem Teleportieren aus und in das filmische Nichts hinein steckt völlige Entkörperlichung, die Auflösung der Person, der Star als waberndes Gespenst. Nicht weniger ist es ein reflektiertes Spiel mit Status, dem eigenen, dem der anderen, dem erreichten, wie dem angestrebten. Die möglicherweise schönste Fahrradfahrt des Kinos, ein eigenwillig isolierter Ruhepol innerhalb gesellschaftlicher Relevanz, zeigt Connery zumeist ganz winzig im Slalom, dann kerzengerade, mal fern, mal derart aufgeregt nah wie allein ein Amateur der Kameralinse kommt und zwischen immensen, längst ausgeleerten Hallen zu den Klängen der Elgarschen „Pomp and Circumstance“-Märsche motorisiert tänzelnd. Der Körper, seine Haltung, seine Zuckungen geben mehr preis als das Gesprochene. Hinter zerborstener Scheibe manifestieren sich wenig später in den gleichen Hallen schemenhaft einkopierte Arbeiter beim Fußballspiel, während er, der als Stimmungsheber gerade noch von dessen Vorzügen schwärmte, sehnsüchtig wie das Kind am heiligen Abend vor der verschlossenen Wohnzimmertüre harren muss. Das ist die Kehrseite der Allgegenwart, seltenst kommt es zur Zusammenkunft im Bildraum, in Freuden wie in Leiden. Dafür – immer wieder Perspektivverzerrungen, die Connery plastischen Einfluss geben, viel öfter jedoch nehmen.

Wie kaum ein anderer Problemfilm für weit mehr als ihren Einsatz bekannter Aktivisten addressiert „The Bowler and the Bunnet“ jederzeit klar und deutlich, dass er – einer der vermögendsten Schauspieler seiner Generation – längst nicht mehr der Milchmann und Maurer der jugendlichen Lehrjahre war. Neben vielen weitgefassteren Dingen ist er stets auch der Filmes eines Menschen, der die angewachsene Distanz zu den Wurzeln geradezu körperlich spüren kann – da vermag selbst das klare Kopfbedeckungsbekenntnis zur einen Hälfte des Filmtitels nicht mehr zu helfen. Es ist Wunsch, nicht Realität. Nie steht er über jenen, denen sein Blick gilt, nie in falscher, scheinheiliger Bescheidenheit unter ihnen, dafür stets neben ihnen – James Bond am Rande der Action ausnahmsweise mal. Aufnahmen harter körperlicher Arbeit – sie sind die einzigen, die seine Gegenwart wohlweislich aussparen. An anderer Stelle präsentiert er im Gegenzug als Vorführer und eifrigster Zuschauer in Personalunion mit verschmitzter Mine Produkte des Fairfield Experiments, doch ist die erläuternde Stimme ausnahmsweise nicht das seine unverkennbare Organ. Schulterzucken, exaltierte Überrumpelung wie in einem Stummfilm. Die Stimmlosigkeit des Arbeiters? Die Entfremdung des getarnten Wohlsituierten vom Arbeitsprodukt, das nie den eigenen Händen entstammte? Möglich, aber nageln Sie ihn nicht darauf fest. Mehr als schwermütiger Pessimismus aus der Warte des letzten Endes Überlegenen ist „The Bowler and the Bunnet“ ein heiter-experimentelles und gerade in der relativen Losgelöstheit von gängigen salonlinken Narrativen überraschend langfristig klarsichtiges Vexierspiel der Identitäten vor wie hinter der Mattscheibe, Avantgarde zwischen Direct Cinema und Cinéma vérité, eine Erinnerung daran, was das Dokumentarformat selbst im schottischen Nationalfernsehen noch bestenfalls alles zu sein vermag. Dass der Schauspieler sich des Gefilmtwerdens anders innewird als die Mitwirkenden eines Dokumentarfilmes manifestiert sich in den an den Schluss gestellten, diesen Themenkomplex humorvoll abrundenden Credits. Scheinbar gedankenlos an den Namen der auf der Außenhaut eines Schiffes verewigten Crewmitglieder vorüberflanierend wird Connery mehrmals von einer Schiffstaufe verfehlt, deren Sektflasche sich schaumig mit den Kreideschriften vermählt. Bis sein eigener Name an der Reihe ist, er die Flasche aus dem Abseits zurückeilend losschneidet und selig wie der sich ob des sozial bedeutsamen Arbeitserfolges selbst auf die Schultern Klopfende von dannen zieht.

Feiner Spott der Mise en Scène, des nimmermüden Glanzkörpers gegen die Nüchternheit der dokumentarischen Stimme, des bloßen wohlfeilen Kommentars. Kaum verständlich selbst für des Englischen kundige Ohren hat das ungehemmt hervorbollernde, mehr an Arbeitsgerät denn dessen Halter gemahnende Schottisch der eingeschnittenen Arbeitereinwürfe nie eine Chance gegen die wohldurchdachten wie -formulierten Ausführungen der knapp anportraitierten Rangoberen im gehobenen, vermehrt spürbar landes(teil)fremden Zungenschlage. Ein zweischneidiges Schwert weit abseits simpel exkludierender Schottland-den-Schotten-Romantik: Dies ist auch der ungleich weniger artifizielle Film, der Connerys charakteristischen Duktus, das unverkennbare /s/ zumindest für ortsfremde Ohren erstmals und nachhaltig als singuläre Eigenart bis Fabrikation erkennbar werden lässt. Riskante Tapser am schmalen Grade der übermäßigen, gleichsam auch unzulässigen Identifikation. Nüchtern erklärend findet sich Sean strategisch vor dem platziert wieder, was man unbedingt für das den Sturz ins ordinär Aufrührerische vorgebende C (wie im Nachnamen des Abdeckers) an dritter Stelle zwischen den aufreizenden Buchstaben F, U und K halten muss. Erst Minuten versetzt werden wir der gleichen bekritzelten Außenhüllensektion erneut ansichtig – in einer Totalen am Transportkrahne baumelnd gelangt es zur Sichtbarkeit, das vorgeblich so provokative Graffiti. Es lautet: FUNK. Gerade noch einmal ausgebremst.

Körperliche An- und Abwesenheiten arbeiten wie die angehäuften Gewichte einer altertümlichen Apothekerwaage, sie sind ein Reigen, ein Conneryreigen, der den Film verbindet, seine einzelnen Beleuchtungsfragmente zu unterschiedlichen Aspekten ordnet, als wären sie einer einzigen Flussgabelung entspringend. Uneitel auf ungewöhnlichst imaginierbare Weise, als Zaungast, möglicherweise auch nur anthropomorphes Straßenschild. Alpha wie Omega sind Connery – aus der Vogelperspektive als Gesicht in der Menge unter den Statuen der weit wichtigeren Vorväter, identitätsloser Wanderer im Stahlbeton der Werften, allmählich verschwindender Punkt an den oberen Randbegrenzungen der Kadrierung oder ganz trefflich auf einem kleinen, steinunterlegten Brette im wasserumrankten Schutt – kippelnd, jede Bewegung ausgleichend, ganz wie sein Film die Richtungsschläge der Wahrnehmung vorgebend. Der Exponierte einmal als Motor, das Salz der Erde als Exponat. Einmal wird er doch Teil eines Bolzplatzvergnügens sein, einzig durch die athletischen Leistungen, den wohldefinierten, hochgewachsenen Körper sticht er im ersten Moment aus der Masse heraus. Ganz so wie er es wohl einst im Leben tat. A body in the crowd – in Augenblicken wie diesen ist der Film, ist das Konstrukt Star ganz Schmuggelware.


The Bowler and the Bunnet – Schottland 1967 – 37 Minuten – Regie: Sean Connery – Produktion: Sean Connery, Bryan Izzard – Drehbuch: Cliff Hanley – Kamera: Bill Scott, Mario Ford – Schnitt: Leonard Trumm – Musik: Len Southam, Sir Edward Elgar – Mitwirkende: Sean Connery, Sir Iain Stewart („Occupation: boss“), Alec McGinnis, Oliver Blandford, zahlreiche unidentifizierte Arbeiter u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Dienstag, März 10th, 2020 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Filmbesprechungen, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “In den Randbezirken der Lohnarbeit – The Bowler and the Bunnet (1967)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (16-03-20) on März 16th, 2020 at 18:20

    […] Oha, es gibt eine Regiearbeit von Sean Connery? Und dann noch ein Dokumentarfilm über schottische Werftarbeiter? Jetzt bin ich aber neugierig. […]

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