Filme, an denen ich schriftlich scheitere, Teil 1: THE APPALOOSA (1966)
Wo beginnen, wie beginnen, was herausstellen, wie die Gedanken so ordnen, dass zumindest einige der weniger interessanten übrig bleiben? Rhetorische Fragen. Es bleibt übrig, was den harten, steinigen und gefährlichen Weg vom Kopf zur Hand überlebt. Ich werde nicht gefragt, was überleben soll und sehe mich gegen meinen Willen zur Naivität verdonnert, meinem letzten Asyl. Was bleibt ist der Versuch, das Strandgut so zu arrangieren, dass es gut aussieht, mit schönen Worten und schönen Bildern. Bedeutung hat es da längst keine mehr.
*****Nach THE IPCRESS FILE, diesem erstaunlicherweise so erfolgreichen Fiebergesang aus wie erkalteter Rauch schwebenden Ellipsen, nach Hollywood importiert, arbeitet Furie hier mit unendlicher, bis zum Äußersten gespannter Ruhe an seinem eigenen Versuch einer Western-Auflösung. Wie eine Brausetablette in den letzten Zügen verdunsten hier Schemen und Texturen, lassen nur noch die letzte mögliche Form von Ambient-Existanzialismus zu. In einem einladend leeren Niemandsland an der Grenze zwischen den USA und Mexiko will sich der verlorene und ergraute Gringo-Junge Marlon Brando bei seinem mexikanischen Bruder zur Ruhe setzen.
„I’ve done a lot of killin‘. I’ve killed a lot of men and sinned with a lot of women. But the men I killed needed killin‘ and the women wanted sinnin‘ and I never was one much to argue.“
Das Gefühl der Benommenheit, die einer Rückkehr nach langer Zeit innewohnt, ist übermächtig und beschwichtigend, wie die schläfrige Lust eines Spätsommerabends. Ein zerbrochenes Lächeln huscht dem schratig zerzausten Mann über das Gesicht, als er aus der Ferne die Kinder seines Bruders beobachtet, wie sie sich über seine Ankündigung, bei ihnen zu bleiben, freuen. Er ist scheinbar gereinigt für diese Bilder. Denkt er und denken für einen Moment auch wir. Man sieht und hört und spürt, dass sich dieses Lächeln in seiner Ehrlichkeit nicht noch einmal wiederholen lassen wird.
Ein mexikanischer Viehzüchter stiehlt ihm seinen Schimmel mit dem braunen Kopf, seinen Appaloosa. Er will ihn zurückholen, notfalls mit Gewalt. Das Pferd allerdings, wie auch seine Ehre sind, glaube ich, nicht wichtig. Der Titel des Films ist, indirekt, seine Tragödie. Weiterlesen…
Pferde reiten über die Leinwand, Galopp, ein Mann allein, in der nächsten Einstellung die Verfolger, er wird gejagt, er ist auf der Flucht. Weshalb? Wovor? Wohin? Als ich ins Kino komme, läuft der Film bereits. Die Kopie ist wunderbar, 16mm, wenn ich es nicht wüsste, würde ich auf 35 tippen. Alles erscheint klar, man sieht den aufgewirbelten Staub in der Luft, die Gesichter der Männer, grimmig und entschlossen auf der einen Seite, gehetzt auf der anderen. Meine erste Begegnung mit Frank Borzage. Ich komme zu spät. Alles was folgen wird, muss ich mir nun erschließen. Jemand ist tot. Vermutlich erschossen. Soviel scheint ersichtlich. Der Verfolgte wird wohl des Mordes bezichtigt. Ob er schuldig ist? Ich werde es auch am Ende nicht wissen. Doch das ist mir bereits egal. Die Frage der Schuld, zumindest im klassischen Sinn, den ein Western mit dieser Exposition auwerfen könnte, bedeutet mir nichts. Ich erkenne schon während der Verfolgungsjagd, dass der potentielle Mörder mein Mitleid verdient, dass ich hoffe, dass er nicht geschnappt wird. Ein Verdienst von Borzages Inszenierung.
Überhaupt erweist sich der ganze Film als ein Showcase für Borzages Regiekunst. Obwohl ich vermute, dass es eines seiner ersten Werke sein müsste, ist hier nichts Versuch, nichts Experiment, ist kein Suchen nach einer Form zu spüren. Zu Hause lese ich dann: Er hat schon 1913 Regie geführt und bis 1917 bereits über 20 Filme inszeniert. Das erklärt einiges. In diesem Film sitzt nämlich alles perfekt, er zeigt kinematographische Vollendung, einen bezwingenden Stil, einen Willen der auf die Realisierung des Erdachten aus ist. Die Handlung scheint mir nach Ansicht des Film bereits vor dem Dreh im Kopf Borzages Gestalt angenommen zu haben, auch die Perspektiven und Einstellungen, alles bereits erwogen oder zumindest erahnt, die Möglichkeiten die sich einem vor Ort bieten könnten. Until They Get Me ist nicht im Studio gedreht. Die meisten Aufnahmen spielen bei Tageslicht in den Weiten der wechselnden Landschaften. Eine Choreographie der Wege, der Entfernungen, der Stationen, denen wir in diesem frühen Roadmovie in repetitiven Einstellungsfolgen immer wieder begegnen werden, und auf die die Komposition der Geschichte fixiert ist. Weiterlesen…
Rund ein halbes Dutzend Western hat Budd Boetticher in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in den USA gedreht. B-Movies, die aus heutiger Sicht jedoch eher als A-Pictures auftreten, weil sie dem mäanderndem Austattungsfilm das Bestimmte entgegensetzen, dem Ausschweifenden das Komprimierte, dem Überfluss die Klarheit. Eine Bescheidenheit, die die meist auf Überwältigung setzenden Melodramen, Komödien und Kostümfilme im amerikanischen Attraktionskino der 50er Jahre an Größe glatt übertrifft. Ein weiteres Merkmal ist jedoch die Farbe. Von Seven Men from Now (1956) bis Comanche Station (1959) sind diese Western allesamt in Farbe gedreht, entsprechen dadurch weniger dem Klischee der „typischen“ B-Western der damaligen Zeit, und orientieren sich in ihrer formalen Gestaltung eher an Shane (1952), als an Forty Guns (1957). Das Breitbildformat verhindert bei Boetticher nicht die Intimität.
Der Nähe zu seinen Protagonisten zum Trotz, hat Boetticher ein wunderbares Gefühl für den Raum, für Landschaften in die die Figuren eingebettet sind, und für die Umgebung in der sie sich zurechtfinden müssen. Scheinbar klassisch gefilmt, kommt Comanche Sation mit wenig Nahaufnahmen aus. Boetticher bevorzugt die Totale, was seinen intimen Charakterstudien etwas monumentales verleiht, dass diese sehr zeitverhafteten Filme für mich äußerst modern erscheinen lässt. Ein progressiver Filmemacher, filmt traditionelle Westerngeschichten auf eine formal so schlichte und reduzierte Art, dass die Figuren bereits im Wilden Westen aus der Zeit gefallen wirken. Vielleicht macht dass die Kollaborationen von Randolph Scott und Boetticher auch emotional so effektiv. Die melancholischen Helden leben in einer Zeit, die ihre Auffassung von Moral und Gerechtigkeit nicht teilt. Aber Gut und Böse gibt es trotzdem nicht. Der einsame Protagonist lebt unter Menschen – unter Seinesgleichen.
Was heute veraltet wirkt sind die Holywoodkonventionen die dennoch bestand haben, und dadurch den Unterschied und Zwiespalt zwischen Boetticher und dem Studiosystem noch betonen. Boettichers Qualitäten liegen im Beobachten, im beinahe improvisierten dahingleiten der Momente zwischen den sogenannten Ereignissen. Wenn er der Handlung nicht direkt folgt, treten seine Qualitäten als Filmemacher am stärksten zu Tage. Daher auch die wunderbaren Vorspänne, in denen der Protagonist in den Film hineinreitet, und genauso zufällig auf die Story stößt wie Boetticher selbst. Die Ereignisse kommen von allein. Dennoch beweist er gegen Ende seiner Karriere, (denn trotz seiner knapp 40 Jahre, hat Boetticher über die 50er hinaus nur noch eine Hand voll Projekte verwirklichen können), auch große Geschicklichkeit als Erzähler. Waren z.B. bei Behind Locked Doors (1948) die beiden Hälften des Films für mein Verständnis noch etwas auseinander gefallen – nachdem die brillante Einführung der Figuren den Regeln des B-Films gemäß zugunsten eines konventionellen Kriminalplots zum Abschluß gebracht werden musste – bringt er die Dynamik von Stillstand und Bewegung, Charakterstudie und Aktionskino, in Comanche Station zu einer vollkommenen Symbiose. Dass man nichts forcieren muss, weil alles schon da ist, das ist die Weisheit der ganz großen Stilisten. Es ist wirklich verblüffend mit welcher Souveränität und Beiläufigkeit die komplexesten Sachverhalte komprimiert zu Füßen des Zuschauers gelegt werden. Alles liegt offen zu Tage. Nichts bleibt verborgen. Und doch behalten die Filme ihre Würde und ihr Geheimnis. Wie die Verkörperungen von Randolph Scott, bleiben diese Filme auf ihre Art autonom und unantastbar. Erwachsen.