100 deutsche Lieblingsfilme #8: L’amour, l’argent, l’amour (2000)
Marie und David. Zwei Außenseiter. Berlin. Er trifft sie auf der Straße. Zufall. Beide sind Anfang 20. Beide haben nen scheiß Job. Sie kommen zusammen, irgendwie, und machen sich auf die Reise. Raus aus Berlin. Raus aus der Welt, aus dem Leben, oder auch rein in die Welt, in eine neue Welt, in ein neues Leben. Versuche, Neuanfänge, Abbrüche. Die Suche.
Der Titel fasst es zusammen: Es geht um Liebe, es geht um Geld. Wie finanziert man den Ausbruch aus dem Jetzt? Sie ist Prostituierte, er Bauarbeiter. Die Arbeiterklasse verdient ihr Geld durch körperliche Arbeit, und dieser ist schwer zu entkommen. Macht man sich selbständig, wird man Unternehmer, ändert sich das Selbstverständnis. Geld ist Fetisch, Geld macht unabhängig, Geld macht frei. Was machen da Gefühle?
Der Film gehört Philip Gröning. Wie er ihn gedreht hat, wie er es geschafft hat, Menschen, Gesichter, Landschaft, die Luft, Bewegung, den Atem, die Stadt, den Zwang, die Freiheit, die Liebe sogar – dies alles in Zusammenhänge zu betten. Wie beiläufig eingefangen und doch präzise. Der Film gehört aber auch Sophie Maintigneux, Florian Stetter und Sabine Timoteo. Vielleicht ist es diese Intimität, oder das Gefühl davon, mit kleiner Crew quer durch Deutschland, das den Film so einzigartig macht. Die Reduktion auf zwei Charaktere im Road Movie ist häufig und immer wieder effektiv. Als Spiegelung, Bespiegelung. Depardieu und Dewaere, Bridges und Eastwood – die 70er Jahre leben in diesem Film etwas auf. Aber die 70er sind längst vorbei, und so toll waren sie auch nicht. Zumindest wissen wir aus all den Filmen und Figuren die damals unterwegs waren, dass die Träume von Freiheit eben oft nur Träume waren. Denn Ankommen wollten die Meisten ja nicht so wirklich. Es ging eher um das Wegkommen, die Flucht. Sich dem Alltäglichen, dem Festgefahrenen zu entreißen. Und meist mit dem Auto.
Das Interessante an Grönings Film ist, dass er der oberflächlichen Sorglosigkeit vieler früherer Filme die oberflächliche Last der Sorgen gegenüberstellt, und dem außergewöhnlichen der Bewegung ihre Gewöhnlichkeit. Routine stellt sich überall ein. Gefühle nutzen sich ab wenn man nichts mit ihnen anzufangen weiß.
Es ist ein Märchen, ein Dokument, ein Film über das Filmemachen geworden. Und ein Geschenk an den Zuschauer, der vor allem das Zusehen genießen kann, wie damals in deutschen Filmen schon lange nicht mehr. Die Bewegungen der beiden Hauptdarsteller, ihre Manierismen, ihr Sprachduktus, ihr Lebensrhythmus, ihre Formulierung der Figuren. Ein Film den man bewohnen kann, episch in seinem DA SEIN. Ein Vielleicht auf den Lippen, in den Gesichtern, im Film. Und das Trotzdem. Ein Versuch, immer und immer wieder.
Was Gröning zeigt und erkennt, den Zuschauer erkennen lässt, ist die Gleichzeitigkeit von Banalem und Sublimem. Diese Einsicht durchströmt den ganzen Film, bildet seinen eigentlichen Reichtum. Der Augenblick, in all seiner Beiläufigkeit und Fülle. Eine Gabe. Ein Versprechen.
L’amour, l’argent, l’amour – Deutschland, Schweiz, Frankreich 2000 – 134 Minuten – Regie: Philip Gröning – Produktion: Philip Gröning, Dieter Fahrer, Res Balzli, Françoise Gazid – Drehbuch: Philip Gröning, Michael A. Busch – Kamera: Philip Gröning, Sophie Maintigneux, Max Jonathan Silberstein, André Bonzel – Schnitt: Philip Gröning, Valdís Óskarsdóttir, Max Jonathan Silberstein – Darsteller: Sabine Timoteo, Florian Stetter, Michael Schech, Dierk Prawdzik, Gerhard Fries, Marquard Bohm, Thomas Gimbel, Julia Lindig, Heiner Stadelmann, Helmut Rühl, Meral Perin, Lothar Kompenhans, Mia Moser