Einige Betrachtungen zur allgemeinen Wahrnehmung von Filmemachern
am Beispiel von William Castle.
Ursprünglich sollte dieser Text eine längere Abhandlung zu William Castle werden, die sich auf Grundlage von Robert Zions Buch (zugegebenermaßen etwas polemisch) mit der Problematik der Autorenfrage befassen sollte. Wie so manches, blieb es im Ansatz stecken. Da William Castle aber für mich DIE Entdeckung des letzten Jahres darstellte (u.a. hier zu erkennen), und ich ihn einerseits auf dem Blog nicht einfach vollständig unter den Tisch fallen lassen möchte, andererseits aber zur Zeit mit anderen Filmemachern beschäftigt bin, habe ich mich entschlossen, diesen alten Text in etwas bearbeiteter Form als Fragment zu veröffentlichen. Ich hoffe, dass er, wie so mancher nur in Bruchteilen erhaltene Film, zum Phantasieren und Weiterspinnen einlädt, und der Leser die fehlenden Abschnitte mit seinen eigenen Ideen füllt. Ich erinnere mich an dieser Stelle an Ausschnitte aus Max Linders Be My Wife, die es auf einer DVD-Kompilation zu bewundern gab, und die mir trotz der großartigen vollständig zur Verfügung gestellten übrigen Filme am Besten gefallen haben. Zwar bin ich leider nicht Max Linder, aber ich hoffe, dass mancher der diese Zeilen liest, vielleicht im Mindesten ein Interesse am Fragmentarischen für sich entdeckt.
„Sicherlich war William Castle kein großer Regisseur, erst recht kein intellektueller Filmemacher, dem die Kritikerzunft lange Studien hätte widmen können – alles in allem sind seine Mise-en-scène, Schauspielerführung und Montage bestenfalls als routiniertes Handwerk zu bezeichnen.“
Hiert irrt Robert Zion, wenn er trotz großem Enthusiasmus für Castle und der im Buch angelegten versuchten Ehrenrettung seiner Person und seines Werks, seine Leistungen als Regisseur nicht betonen will. Castle als bloßen Handwerker hinzustellen, hieße einen der talentiertesten und raffiniertesten amerikanischen Filmemacher zu verkennen. Wie viele legendäre in Hollywood tätige Filmemacher sahen sich als bloße Handwerker? Alfred Hitchcock, Raoul Walsh, John Ford, und nicht zuletzt Charles Chaplin wären da zu nennen. Aber lediglich von der Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung eines Künstlers auszugehen, ist ein fataler Fehler, der nicht zuletzt in der Geschichte der Bildenden Künste zu maßlosen Überschätzungen einerseits, und völliger Unkenntnis andererseits geführt hat. Die Proportionen zu wahren, die Verhältnismäßigkeit im Urteil, war schon immer ein Problem von Kunstkritik – nicht zuletzt diejenigen zwischen verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten. Genau das ist nämlich das Problem der etablierten Kritikerzunft, und der in diesem Zitat Robert Zions implizit angelegten höheren Einschätzung sogenannter „intellektueller“ Filmemacher.
Ich wünschte es gäbe eine Studie zu Norman Taurog und seiner Zusammenarbeit mit Elvis Presley mehr, und eine zu Ingmar Bergman weniger. Das wäre eine gerechtere und und auch weitsichtigere (Film-)Welt als all die Lobhudeleien und Thronerhebungen der sogenannten „seriösen“ Filmkritik, und eine seit Einführung der Auteur-Theory dringend benötigte Korrekturmaßnahme und Öffnung der Filmemachergeschichtsschreibung. Der immer noch gegenwärtige Tunnelblick weiter Kreise der Filmwissenschaften, was die Vielfalt der zu untersuchenden Gegenstände angeht, hängt natürlich mit einem in den letzten Jahrzehnten in großem Ausmaß geschwundenen Selbstbewusstsein von Filmliebhabern und ihrem Vertrauen auf die persönlichen Seherfahrungen zusammen, welches wohl im Zuge der Akademisierung und Verwissenschaftlichung von filmtheoretischen- und historischen Erkenntnissen aufgetreten ist, und auch zu einer vermehrten Zersplitterung der Filmkunst in „kommerzielle“, der „bloßen“ Unterhaltung dienende „Massenware“ einerseits und „persönlichen“, als „künstlerisch wertvoll“ erachteten „Individualwerken“ andererseits geführt hat.
Wenn sich Zion jedoch in einem anderen Abschnitt seines Buches für Bill Castle eine „hochtrabende, geschwätzige Abhandlung in Cahiers du Cinéma“ wünscht, dann liegt er mit seiner Einschätzung nicht nur näher an den Möglichkeiten die zu Castles Lebzeiten herrschten, sondern verweist auch auf die im Gegensatz zu den späteren Manifestationen stehenden ersten Entwicklungslinien der politique des auteurs. Denn was anderes haben die jungen Wilden von Godard, über Truffaut, und Chabrol, damals in den 50er Jahren gemacht, als das Abseitige, Verdrängte und Marginale zu bejubeln? Dabei ging es eben nicht darum, zu beweisen, dass ein Vertragsregisseur wichtigere Filme gemacht haben könnte als ein bis dato anerkannter Künstler, sondern vielmehr um die Parteinahme für persönliche Vorlieben.
Ein so „unwissenschaftliches“ Vorgehen scheint heutzutage in der publizistischen Landschaft weitestgehend als anstößig zu gelten und mit dem Bann der Nichtbeachtung belegt zu werden. Und so frönen die meisten Filmbuchautoren ihren persönlichen Leidenschaften wohl eher außerhalb von Veröffentlichungen im stillen Kämmerlein oder im Kreise von eingeweihten Gleichgesinnten – so sie denn überhaupt über den Tellerrand ihrer meist stark mittelbaren Filmerfahrungen hinaus zu blicken interessiert sind. Daher kann der Enthusiasmus und Verve den alten Cahiers-Kritikern, denen Robert Zion in seinem Buch an manchen Stellen auf erfrischende Weise Nahe kommt, zunächst einmal gar nicht hoch genug angerechnet werden. Die Problematik die sich daraus ergeben kann, besteht aber in einer neuen Absolutheit, die in den folgenden Jahren auch aufgetreten ist, und ihrerseits in den 60ern wiederum vieles verdrängt hat. In der deutschen Filmgeschichtsschreibung vielleicht stärker als in der französischen doch international sicher mit am stärksten zu beobachten in der fast völligen Missachtung des reichhaltigen italienischen Filmerbes vor dem Aufkommen des Neorealismus. Wenn Bazin wüsste, was sich unter anderem als Folge seiner Lobpreisungen von ihm bewunderter italienischer Filme im Nachhinein entwickelt hat, würde er sich im Grabe umdrehen!
Das Alte ist tot, es lebe das Neue! – seit der Erfindung des Films hat sich dieser Satz nie so falsch angehört wie in der heutigen Zeit. Das filmhistorische Gedächtnis scheint trotz immer größerer Materialfülle und Zugänglichkeit von Generation zu Generation verkrüppelter zu werden, und tot geglaubte Phantome gewinnen mit der Zeit wieder an Einfluß. Erhebt man ausgewählte Regisseure zu Aristokraten, so läuft man Gefahr den Pöbel zu erschaffen. Und um eine solche Entwicklung in der Betrachtung von Filmemachern abzulehnen, muss man beileibe kein Gegner der Autorentheorie sein. Denn wo immer einem heute ein Hauch von „Kultur“ um die Nase geweht wird, stinkt es meist ebenso wie in den Fernsehprogrammen der „Privaten“ gar fürchterlich.
Castles Mise-en-scène hat in den meiner Meinung nach gelungensten Momenten, und nach denen richte ich mich wie bei den meisten anderen Filmemachern auch (denn was ebenfalls oft vergessen wird: Ein Film besteht aus einer Aneinanderreihung unzähliger Momente, die durch ihr ständiges Ineinandergreifen immerfort eine unendliche Anzahl von Erfahrungspunkten erzeugen), eine immense Ausdruckskraft. In diesen Momenten, die einen packen, aufwühlen, oder irritieren, steht Castle keinem einzigen anerkannten Filmemacher in irgendeiner Weise nach. Er erschafft seine eigene Welt, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und eigenen Regeln. Das Problem ist daher wieder einmal dasjenige des sogenannten „Gesamtwerks“. Der fehlgeleiteten, aber immer noch nicht minder beliebten Behauptung, aus dem Stil eines Regisseurs EINEN und nur EINEN Stil herausdefinieren zu müssen, um dann seine anderen Werke bestenfalls verwerfen oder im schlimmsten Fall die gelungenen als Ausnahme oder Zufälle der (sozialen, ökonomischen) Umstände abstempeln zu können. Und welcher Kritiker hat überhaupt alle Filme jedes von ihm beurteilten Regisseurs gesehen? Heutzutage, im Zeitalter der kostengünstigen Reproduzierbarkeit auf unzähligen Trägermedien, wäre es eine Frechheit über einen Filmemacher Endgültiges aussagen zu wollen, ohne zumindest alle seine erhaltenen Filme in der ein oder anderen Form mehrmals untersucht zu haben – auch wenn man nicht, wie ich, die Annahme teilt, dass ein solches Unterfangen in jedem Falle eine Unverschämtheit bedeutet.
Bis in die späten 70er Jahre war so etwas jedoch Gang und Gebe. Wer hatte schon das Glück, eine vollständige Retrospektive eines Regisseurs auf einem Festival oder in der Kinemathek bestaunen zu können, wenn damals oft nicht einmal die Organisatoren von Festivals und die Betreiber von Kinematheken selbst alle Werke der als bedeutend eingestuften Filmemacher ausfindig machen konnten? Aus der Erinnerung heraus wurde geurteilt, ganze Szenen und Sequenzen wurden aus dem Gedächtnis herbeizitiert. Daran ist natürlich grundsätzlich nichts Falsches. Jedoch haben sich über die Jahrzehnte, nicht zuletzt durch massenhaftes Abschreiben und „Zitieren“ innerhalb von Fachkreisen, Vorstellungen und Ideen festgesetzt, die inzwischen nicht mehr so ohne weiteres aus den zahlreichen Filmgeschichtsschreibungen wegzudenken sind. Die mühselige Kleinstarbeit, sich im Laufe eines Cineastenlebens alle Filme eines Regisseurs anzusehen, kann hierbei auch nicht entschädigen. Schließlich ist auf die eigene Meinung von vor 10 Jahren schon kein Verlass – geschweige denn von 40 oder 50! Und über die Kritiker die ihre persönliche Einschätzung zu einem einmal gesehen Film auch noch nach Jahren unabhängig von der damaligen Rezeptionshaltung als zeitlos relevant darzustellen im Stande sind, möchte ich gar nicht erst viele Worte verlieren. Mitleid zu solch einer Person ist vielleicht noch das edelste, was sich da aufbringen lässt.
Wer kennt das nicht: „Ja, als Kind mochte ich Filme, von denen ich später herausfand dass sie doch nicht so toll waren.“ Herausfand… Mit 15, mit 20? Mit 30? Mit 40?
Wann ist das sagenumwobene Reifestadium der Erkenntnis denn erreicht, ab dem einem alles klar wird? Wohl dem, der kurz nach solcher Illusionsfindung von uns scheidet, um nicht seine Ansichten über die Welt wieder einmal neu überdenken zu müssen.
Alle Filme sind relevant, sind Kunst, sind genial und großartig. Es hängt nur davon ab, wer sie als solche wahrnimmt und in welchen Kontext sie gestellt werden. Eine Binsenweisheit, die für alle Bereiche des Lebens gilt, bei manch einem aber scheinbar nie ankommen wird. Wessen Ego die Welt umspannt, der erblickt nur sich: Unwandelbar, in Stein gehauen – was symbolisch mit dem Tod und der Mumifizierung gleichgesetzt, eigentlich Adjektive wie unseriös, irrelevant und unbedeutend hervorbringen müsste. Stattdessen werden Denkmäler im Wechsel errichtet und niedergerissen. An Vergänglichem, der Zeit verhaftetem, besteht nur im negativen Sinne museales Interesse.
Wenn Begriffe wie Schock, grell, Exploitation und Horror, weniger Wert sind als Intellekt, subtil, Einfühlungsvermögen und Humanismus, gerät man in die Falle der überwiegenden westlichen Sichtweisen innerhalb der Auseinandersetzungen mit Kunst während der letzten Jahrhunderte. Zumindest im Bereich der Bildenden Künste muss es aber wiederum in Grundzügen eine Gegenbewegung zu dieser heuchlerischen Auseinandersetzung gegeben haben, bedenkt man z.B. die Impressionisten, Futuristen, Dadaisten, Surrealisten oder die Pop-Art in der Einschätzung der Kritik. Neben dem Kategorisierungswahn scheint ein Problem jedoch immer noch unsere Welt in ihren Klauen gefangen zu halten: Das der Absicht des Künstlers und seiner intendierten Bedeutung des Werkes.
Hätte William Castle seinen billigen Filmen längere kunsttheoretische Abhandlungen folgen lassen, so wären sie zwar nicht erfolgreicher beim Publikum, aber sicherlich bei so einigen selbsternannten Filmexperten geworden. Denn auch wenn heutzutage einer auf die Leinwand kackt, muss er immer noch einen triftigen Grund dafür angeben oder zumindest etwas Großspuriges behaupten können. Einfach kacken geht nicht. „Ich musste halt mal“, oder „Ich liebe Scheiße auf weißer Leinwand“ ist immer noch nicht „in“. Nein, es muss ein kleiner Zettel daran kleben: „Kritik an der bürgerlichen Welt“ oder „Anti-Kunst“, denn simple Scheiße versteht unsereins eben nicht. Da muss es schon was Größeres sein. Das Problem unserer Zeit. Was hätte Diogenes wohl dazu gesagt…
Wenn Joe Dante sich erinnert, „Die 50er und 60er Jahre waren für mich ein Goldenes Zeitalter… Es war eine unschuldige Ära, und ich denke dabei an Roger Corman und William Castle, an Exploitation, an sehr billige und interaktive Filme“, so spricht er wahrscheinlich von seiner Wahrnehmung als Kind. Denn unschuldig war dieses Zeitalter ebenso wenig wie alle Anderen der Menschheitsgeschichte zuvor. Die Unschuld. Hach, was ist nicht schon alles mit ihr in Verbindung gebracht worden… Eine Fehleinschätzung, die sich zunächst auf die Anfänge der Filmgeschichte, und später auf Dokumentar, Trick- oder Experimentalfilme verlagerte, um heutzutage beim sogenannten „Trashfilm“ ihre Heimat zu finden. Dinge aufgrund von Äußerlichkeiten zu verurteilen liegt wohl in der Natur des Menschen. Um es mit den Worten der Aufklärung zu umschreiben: Wege aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit sind eben hart und steinig.
Das trotz mancher Schwächen dennoch äußerst lesenswerte Buch ist erstmals im Corian-Verlag im November 2000 in deutscher Sprache erschienen. Ich möchte es an dieser Stelle nochmals JEDEM Filmliebhaber aufs nachdrücklichste empfehlen, und spreche Robert Zion meinen tiefen Dank aus, mich auf sehr unterhaltsame und persönliche Art William Castle und seinen Filmen näher gebracht zu haben. Und dem Corian-Verlag, das Buch überhaupt veröffentlicht zu haben. Meinem Wissen nach ist es immer noch das weltweit einzige umfangreichere Buch eines Filmenthusiasten über William Castle – seine eigenen biografischen Veröffentlichungen nicht miteinbezogen.