Bericht vom 2. Festival des 35mm-Films in Ljubljana, 18.-21. Juni

Vorrede

Wer heutzutage ein „Festival des 35mm-Films“ organisiert, der trifft im Vorfeld zwei Entscheidungen: Die eine – er wird keine (von wenigen Ausnahmen abgesehen) in den letzten Jahren entstandenen Filme zeigen, die andere – er wird eine Position beziehen, gegen die Brutalität der großen Filmstudios und –verleiher, gegen die Ignoranz des breiten Kinopublikums, sich von einer x-beliebigen Vorführungsform berieseln zu lassen.
Die Slowenische Kinemathek (im Folgenden: Slovenska kinoteka) in Ljubljana hat vom 17. bis 21. Juni ein „Festival des 35mm-Films“ organisiert, die 2. Ausgabe nach 2013. Es wurden mehrere Kinematheken eingeladen, um in Cartes blanches Archivschätze zu präsentieren und einzuführen, namentlich: Cinémathèque française, Anthology Film Archive, Österreichisches Filmmuseum. Schon vor Monaten hatte ich mir eine Reise nach Ljubljana aus diesem Anlass vorgenommen.

Weiterlesen…

Hinweise: Michael Snow (München) & Kô Nakahira (Frankfurt)

Bevor der Sommer richtig los legt und nicht zuletzt die Fußball-WM einmal mehr die Kinosäle leer fegt (anschließend werden sie Ende Juli beim 13. Hofbauer-Kongress hoffentlich wieder gut gefüllt – mehr Infos dazu bald hier und auf Facebook), gibt es diese und nächste Woche noch zwei unbedingt empfehlenswerte Cine-Veranstaltungen: Die UNDERDOX-Halbzeit im Münchner Filmmuseum widmet sich von Mittwoch 21.5. bis Samstag 24.5. an vier Abenden dem kanadischen Avantgarde-Filmemacher Michael Snow, der auch persönlich anwesend sein wird. Zu sehen sind sechs zentrale Arbeiten seines Schaffens, die (mit Ausnahme der Videoarbeit *Corpus Callosum) allesamt in den ursprünglichen 16mm-Filmkopien präsentiert werden. Eine seltene Gelegenheit, das Werk von Snow im Kino zu erleben, das in seiner radikalen Durchmessung von Bildern und Räumen wohl wie kaum ein anderes erst dort wirklich erfahrbar ist. Eine Woche später präsentiert die Retrospektive der NIPPON CONNECTION im Frankfurter Filmmuseum von Freitag 30.5. bis Sonntag 1.6. kompakt in drei Tagen unter dem Titel The Wild Child Of The Sixties eine Auswahl aus dem Werk des hierzulande fast gänzlich unbekannten japanischen Regisseurs Kō Nakahira. Zu sehen sind neun Werke aus den 1950er und 60er Jahren, allesamt in 35mm und in OmeU – höchstwahrscheinlich in neu gezogenen Kopien aus Japan, einem der wenigen verbliebenen Länder, wo der leider längst verzerrend von den Marketing-Abteilungen okkupierte Begriff „Restaurierung“ noch beim Wort genommen wird und man sich nicht zu schade ist, die Filme auch wirklich im ursprünglichen Format und Medium wiederherzustellen (während dieser Tage aus Cannes von der hochgradig überflüssigen Classics-Sektion, die dort längst eine ernstzunehmende Retrospektive ersetzt hat, die triste Meldung zu vernehmen ist: „For the first time no 35mm print will be screened at Cannes Classics with regret for some or with celebration for others“).

Aus den Veranstaltungsankündigungen: Weiterlesen…

Pacific 231 (1949)

… oder Neues vom Hofbauer-Kommando.

 

Neulich auf der Herrentoilette.

Sano: Gestern habe ich einen erstaunlichen Film gesehen. Pacific 231 von Jean Mitry.

Andreas: Ah ja, ich erinnere mich. Von dem hat Ernst Hofbauer zu Beginn seiner Karriere oft gesprochen.

Sano: Wirklich? Ernst Hofbauer, der Schmuddelfilmer der Schulmädchenreihe hat sich in seiner Jugend für die filmische Avantgarde zu begeistern gewusst? Ich hätte nicht gedacht, dass so jemanden die Werke der Franzosen interessiert haben könnten.

Andreas: Was heißt interessiert? Das waren die Grundlagen von denen aus Hofbauer seine eigene Sicht auf die Welt, seinen eigenen Stil entwickelt hat. Die Schulmädchenreportfilme waren damals inhaltlich wie formal bahnbrechend, und haben die Möglichkeiten der Filmsprache in eine neue Hemisphäre dringen lassen. Ein Präzedenzfall der Filmgeschichte, dass die kommerziell erfolgreichste Filmreihe auch vom – neben Adrian Hoven – wichtigsten und unterschätztesten deutschen Nachkriegsregisseur hervorgebracht wurde. Pacific 231 ist dafür als Schlüsselfilm zu betrachten, der Samen aus dem dann später die Frucht hervorging.

Sano: Sie scherzen. Was hat denn der deutsche Kommerzfilm mit den französischen Theoriediskursen der 40er Jahre zu tun? Das sind doch zwei völlig unterschiedliche Welten.

Andreas: Das meinen Sie. Ein klassisches Fehlurteil. Nehmen wir uns beide. Vorhin saßen Sie in der Kabine neben mir. Und da haben Sie einen ganz schönen Haufen hingelegt, wenn ich das so sagen darf.

Sano: Woher wissen Sie denn das?

Andreas: Ihr Gestöhne war ja nicht zu überhören. Und dann die vielen Spritzgeräusche. Der Dampf der frischen Scheiße drang durch alle Ritzen und war sogar bis zur Decke zu sehen – so sehr hatten Sie mit sich zu kämpfen. Und als Ihr Schweißgeruch sich mit dem Duft der Scheiße vermischte…

Sano: Na hören Sie mal! Was hat das alles überhaupt mit Kino zu tun?

Andreas: Na, Sie haben etwas hervorgebracht. Und während Sie wahrscheinlich so dasaßen, sich nach getaner Arbeit den Hintern abwischten, und vielleicht auch Ihr Werk genauer ins Auge fassten, es mit anderen Ihnen bekannten Errungenschaften verglichen, benutzte ich meine Phantasie und ließ mich inspirieren. Die Scheiße, die ich mir vor meinem inneren Auge ausmalte war mit Sicherheit um einiges prachtvoller, als alles was Sie bis dahin in der Schüssel erblicken konnten. Wir hätten uns aus der Toilette begeben können ohne uns überhaupt zu begegnen. Und doch hätten Sie einen entscheidenden Einfluss auf mich ausgeübt.

Sano: Aber ich bitte Sie, das sind doch Verirrungen des Geistes. Wirre Assoziationen, aus einem unbedeutenden Moment geboren. Ich verstehe ja Ihren Gedankengang von Scheiße zu Hofbauer, auch angesichts der Tatsache, dass sich in den 70ern auf der Herrentoilette kulturgeschichtlich bedeutendes abgespielt hat, während im Sexfilm nur Prüderie und reaktionäres Heterogehabe zu sehen war. Aber um zu Mitry zurückzukehren: Der Dampf des Zuges ist eben nicht der Dampf der Scheiße. Er ist geboren aus dem Feuer der Revolution, dem Triumph des Geistes über die Materie, durch den Siegeszug des Kinos, der vollkommensten aller Künste, die uns aber erst der technische Fortschritt ermöglicht hat.

Andreas: Werter Kollege, lassen Sie es mich erklären. Pacific 231 ist der ultimative Geschwindigkeitsfilm. Von den Einstellungen her betrachtet, selbst vom Schnitt, haben den alle kopiert. Vor allem in Hollywood, Frankenheimer und so. Aber zur Vollendung, zur Applikation im Sinne des Erfinders wenn man so will, kam es erst bei Hofbauer, im Sexfilm. Die Körpermechanik, das Ächzen der Leiber, das Schnaufen und Stöhnen, vom langsamen Beginn bis zum drastischen Höhepunkt, konnte Hofbauer im Sinnesrausch der Lust seinem eigentlichen Bestimmungsziel zuführen. Seien wir mal ehrlich, Mitry hat keinen Sexfilm gedreht, weil das damals nicht erlaubt war. Auch nicht in der sogenannten Avantgarde. Hofbauer ging dann den erforderlichen Schritt weiter.

Sano: Aber meinen Sie nicht auch, dass Mitry sich von den Sowjets hat inspirieren lassen, von den Montagetheorien der 20er und 30er? Wenn man Pacific 231 zum ersten Mal ansieht, könnte man auch denken, dass Vertov oder Pudowkin, oder einer ihrer Schüler, den Film gedreht hätten. Für 1949 scheint er doch etwas veraltet. Eine Hommage, eine Fingerübung, die ich persönlich eher in die Debatten der damaligen Zeit, zum Glauben an „Bild“ oder „Realität“, zuordnen würde. Mitry also als Gegner der Mise-en-scène von Bazin. Er war ja 14 Jahre älter, wird in den 20ern mit Sicherheit vom sowjetischen Kino begeistert gewesen sein, und später auch von den Möglichkeiten des Tonfilms, wie sie Vertovs Entuziazm (1930) oder Pudowkins Dezertir (1933) entspringen. Bazin war da ja fast noch ein Kind, der dann später mit den klassischen Montagemodellen nichts mehr anzufangen wusste. Wenn ich mir überlege, was Bazin bei ähnlicher Thematik wahrscheinlich gedreht hätte …

Andreas: Papperlapapp! Diese ganze französische Kleingeisterei führt doch am Thema vorbei. Die eigentlichen Grundlagen sind doch schon viel früher, bei den Futuristen zu finden. Die haben die Neuerungen der im Grunde noch kleinbürgerlichen Impressionisten zu nutzen gewusst, und den Kern der innovativen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts hervorgeholt. Der Mensch als Maschine, die Welt als Fabrik. Das amorphe, wandelbare der Natur findet seine Fortsetzung in der menschlichen Kulturleistung. Und wo hat diese ihren Ursprung? Hofbauer wusste es. Im Geschlechtsakt kommt alles zusammen. Die Reibung der Körper erzeugt einen Druck der sich in kreativer Energie entlädt, wobei die Erfahrung von geistiger, körperlicher und seelischer Einheit auch das Bewusstsein der Zusammenhänge dieser Welt erzeugt. Das ist keine Theorie, das ist Praxis. Und Mitry muss das, wenn schon nicht verstanden, so zumindest gespürt haben. Abgestandene Thesen von Theoretikerdisputen und den Intentionen des Autors haben da doch keinen Platz. Hier geht es um Wesentlicheres. Und das erkennt man bei Hofbauer. Das Leid an der Unzulänglichkeit der bürgerlichen Sexualität im Angesicht der technischen Errungenschaften. Man müsste ficken wie ein Auto, eine Schreibmaschine oder eben ein Zug. Diese existentielle Krise, in die der Mensch infolge der Industrialisierung geraten ist, bildet Hofbauer ab. Mitry schuf mit seiner Bebilderung von Honeggers Musik nur die formalen Grundlagen dafür. Wenn Elisabeth Volkmann nach dem Koitus erschöpfte Zischlaute von sich gibt, ist die Analogie zur letzten Einstellung in Pacific 231 deutlich. Während Mitry dabei aber die Erhabenheit des Zuges filmt, wird bei Hofbauer die Verzweiflung des Menschen in den Vordergrund gerückt. Der Mensch will Zug werden, kann aber nicht.


Odds & Ends (1959)

„I just got high and put it together.“


Anscheinend als Parodie auf amerikanische Experimentalfilme der 50er Jahre entstanden, ist Odds & Ends selbst ein Vertreter dieser Richtung.
Experimentalfilm – Für mich heißt das immer, dass ein Filmemacher auf die Suche nach etwas geht, etwas versucht, einen Anfang macht. Kein Statement, sondern ein Experiment. Natürlich ist der Begriff im späteren Kontext auch etwas unsinning. Alles was scheinbar nicht narrativ motiviert sein soll, und etwas schwer verständlich ist (sprich: Fragen aufwirft), wird gemeinhin als „Experimentalfilm“ bezeichnet. Eine Restkategorie für auf der Strecke gebliebenes. In diesem Fall erscheint diese fragwürdige Zuordnung jedoch ganz passend.

Odds & Ends ist ein wildes Durcheinander an Bildern und Farben, Stills und Bewegungsabläufen, begleitet von Musik und einer Stimme aus dem Off: Nonsensical Narration. Was parodiert werden soll ist nicht ganz klar, bzw. überdeutlich. Für mich funktionierte der Film aber als Experimentalfilm par excellence. Ein visueller Stimulus, der vor Einfällen und Phantasie überquillt, und auf eine Art geschnitten ist, dass man in die Knie gehen möchte. Der Kommentar und die Musik sind das akustische Hintergrundgeplätscher, welches jede Art von akustischer Untermalung ad absurdum führt. Das Gesehene spricht für sich – also auch ein genuiner Stummfilm. Die Parodie entspringt deshalb aus der Verbindung von Ton und Bild.

Bei mir löste alles einen Rausch aus, der meinen ganzen Körper ergriff und mein Herz schneller schlagen ließ. Wenn es auf der Seite der National Film Preservation Foundation heißt, die Regisseurin Jane Conger Belson Shimane [was] considered the “most gifted talent” of the “new San Francisco group,”, so glaube ich das aufs Wort. An instant classic.




Odds & Ends – USA, 1959 – 4 Minuten – Regie: Jane Conger Belson Shimane – Sprecher: Henry Jacobs – 16mm, Farbe