Filmvorschau #20
Top Model
Joe D’Amato Italien 1987
Top Model
Joe D’Amato Italien 1987
Sano: Die ursprüngliche Idee, die wir beide zunächst hatten, war ja ausgehend von der sogenannten „Cinema Trilogy“, also den 3 Realfilmen „The Red Spectacles“ (Jigoku no banken: akai megane / 1987), „Stray Dog“ (Jigoku no banken: kerubersu / 1991), und Talking Head (1992), über sein gesamtes Werk – beziehungsweise das, was wir bisher von ihm kennen – und seine Idee von Kino, sowie unsere Faszination für seine Filme, zu schreiben. „Red Spectacles“ haben wir jetzt gemeinsam zum zweiten mal gesehen, und ich glaube, wir haben jetzt auch einen besseren Einstiegspunkt gefunden. Beim ersten Sehen war ich persönlich im Grunde noch etwas überfordert. Von dem Film, von seiner Ästhetik – von einem Filmentwurf, der für mich noch einmal anders war, als alles bis dahin von Oshii gekannte. Um mal zunächst etwas Inventur zu führen: Bei mir waren und sind das außer „Red Spectacles“ noch „Dallos“ (Darosu / 1983), „Angel’s Egg“ (Tenshi no tamago / 1985), „Patlabor: The Movie“ (Kidô keisatsu patorebâ: Gekijô-ban / 1989), „Ghost in the Shell“ (Kôkaku kidôtai / 1995), Avalon (2001), „Innocence“ (Inosensu / 2004) und „The Sky Crawlers“ (Sukai kurora / 2008).
Das sind fast nur Animes, und es wird ja allgemein auch oft vergessen, dass Oshii nicht nur Animationsfilmer ist, sondern inzwischen auch eine große Anzahl von Realfilmen inszeniert hat. Wobei bei ihm diese Klassifikation aber sowieso etwas hinfällig ist – dazu jedoch lieber später mehr. Jedenfalls hat mich „Red Spectacles“ bei der ersten Sichtung sehr überrascht, um nicht zu sagen überrumpelt, da ich trotz davor bereits gesehener Ausschnitte aus dem Film, einfach nicht mit etwas derartigem gerechnet hatte. Ein scheinbar in alle Richtungen ausbrechendes Filmmonstrum das gängige Konventionen mit Füßen tritt. Für mich war es sicherlich eines meiner verstörendsten Filmerlebnisse überhaupt, denn so wirklich fiel mir kein historisches Vorbild innerhalb der Filmgeschichte ein. Ein Unikum, ein Präzedenzfall, sozusagen eine neuartige Filmkonzeption. Das klingt angesichts der 80er und dem endgültigen Durchbruch der Postmoderne im Kino in diesem für mich ungeheuer innovativen Filmjahrzehnt vielleicht arg übertrieben, trifft meine Empfindungen während der ersten Begegnung mit „Red Spectacles“ aber ziemlich genau. Beim zweiten Sehen wurde für mich dann vieles klarer, und der ganze Film ist inzwischen nicht nur in seinen Grundzügen nachvollziehbar geworden. Dennoch schien mir auch jetzt noch ein Attribut wie absurd immer noch zu ausdruckslos um den Film zu beschreiben. Bizarr wäre vielleicht der treffendere Ausdruck.
Alex: Ja, bizarr charakterisiert die Grundstimmung des Films recht präzise. Mir ging es nach unserer ersten Sichtung vor fast einem Jahr ganz ähnlich, dass ich nämlich einfach etwas überfordert, ja geradezu geplättet von „Red Spectacles“ war, vielleicht auch weil es sich hier trotz vieler ruhiger Momente und obwohl es ja in fast allen anderen Oshii-Filmen auch schnelle Action-Szenen gibt, um Oshiis frenetischstes oder besser fiebrigstes Werk handelt. Das natürlich im Vergleich zu den anderen Werken, die ich kenne, welche da sind: „Angel’s Egg“ (Tenshi no tamago / 1985), die Patlabor–Serie (Kidô keisatsu patorebâ / 88), „Patlabor: The Movie“ (Kidô keisatsu patorebâ: Gekijô-ban / 1989), „Patlabor 2: The Movie“ (Kidô keisatsu patorebâ: The Movie 2 / 1993), „Ghost in the Shell“ (Kôkaku kidôtai / 1995), Avalon (2001), „Innocence“ (Inosensu / 2004), „Open Your Mind“ (Mezame no hakobune / 2005) und „The Sky Crawlers“ (Sukai kurora / 2008), also im Wesentlichen die gleichen Werke wie du.
Dass die „Cinema Trilogy“, von der wir ja als Basis ausgehen, so verhältnismäßig unbekannt ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da ich mich erinnere, irgendwo gelesen zu haben, dass Oshii die Kerberos-Saga als sein wichtigstes Werk betrachtet. Und diese ist den meisten euopäischen Zuschauern wahrscheinlich eher aus „Jin-Roh“ (Jin-Rô / 1998) bekannt, einem Anime zu dem Oshii ja bekanntlich das Drehbuch geschrieben, bei dem er aber nicht selbst Regie geführt hat. Aber ganz unabhängig davon, welche Stellung der Regisseur seiner „Cinema Trilogy“ nun einräumt, waren wir uns ja beide einig, dass „Red Spectacles“ sicherlich ein sehr persönlicher Film Oshiis ist. Er arbeitet ja hier mit einer ganz hermetischen, privaten Symbolsprache, wie schon in „Angel’s Egg“. Aber wo dort noch die christliche Ikonographie als Referenzfolie vorlag, löst er sich in „Red Spectacles“ fast ganz davon, nur die Fische im Pissoir erinnern dumpf an den nunmehr abgelegten Erlöser.
Vielleicht sollte man hier für Oshii-Unkundige anfügen, dass der Regisseur in „Angel’s Egg“ seinen Verlust des katholischen Glaubens, zugleich aber eine Hinwendung zu einer neuartigen Form der Spiritualiät in kryptischen Bildern von unheimlicher Schönheit umgesetzt hat. Das scheint mir als Hintergrund doch sehr hilfreich für das Verständnis von „Red Spectacles“, der im Grunde da ansetzt, wo „Angel’s Egg“ aufhört, nämlich, mal salopp gesagt, bei der Frage, was zur Hölle die Realität ist, wenn es keinen Himmel gibt. Weiterlesen “Das Kino des Mamoru Oshii – Teil 1: The Red Spectacles (1987)” »
Sunset
Blake Edwards USA 1988
Kalt wie Eis
Carl Schenkel BRD 1981
Ginga-tetsudo no yoru
Gisaburo Sugii Japan 1985
Es gibt ein deutsches Kino vor Die Katze und nach Die Katze. Die Filmgeschichte ist voller solcher Werke. Zäsuren, Unikate, Momente in denen der Film eine Neugeburt erfährt, indem jemand mit ihm etwas macht, was so noch nicht da gewesen ist. Dazu braucht es gar nicht viel. Was es aber auf jeden Fall braucht ist einen Regisseur, der weiß was er will und sich auch etwas traut. Das ist dann wie ein gewagtes akrobatisches Kunststück, dieser eine Augenblick, in dem das Publikum die Luft anhält und sich fragt ob es tatsächlich gelingt. Danach orientieren sich alle daran, müssen es zwangsläufig, oder versuchen es zumindest – eine Weile lang. Wenn es weiteren Personen glückt, normalisiert sich wieder alles, und der Alltag nimmt seinen Lauf. Vor dem Ereignis ist nach dem Ereignis, und Vieles was vorher wunderbar klang wird nachher selbstverständlich. Wem Die Katze während dem Ansehen ganz alltäglich erscheint, der hat etwas vergessen: Dass es keinen Fortschritt gibt, und die Illusion einer neuen Hürde die es nun zu bewältigen gilt, im Grunde immer noch und immer wieder die alte bleibt. In der Kunst ist nichts wiederholbar. Zeiten vergehen, Geschmäcker ändern sich, und das bemühte Etikett des „Zeitlosen“ ist ein Spiegelbild vergeblicher Hybris. Denn Kunstwerke sprechen ihre eigene Sprache. Dominik Grafs Die Katze ist so ein Film, ein Film bei dem man meint, es permanent raunen zu hören, ein Monument. Wenn zukünftige Generationen ihn betrachten werden, stehen sie vielleicht vor ihm, staunend wie Kubricks Affen vor dem Monolithen. Nur dass der Monolith in diesem Fall eigentlich Dominik Graf ist. Weiterlesen “100 Deutsche Lieblingsfilme #43: Die Katze (1988)” »
Phantasie der Entspannung
Die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen tanzen auf dem 5-Meter-Turm. Immer wieder ist dieses Bild zu sehen. Jedenfalls am Anfang. Vom sanften Wogen dieser gleißenden Wärme geht eine ungemeine Ruhe aus, ob sie nun auf dem Turm, auf den Gesichtern oder auf den Körpern tanzt. Das Schwimmbad Neukölln ist geradezu ein Hort von meditativer Sicherheit… zumindest aus der Sicht von Herrmann Ort. Als seine Mutter in Rente geht, wird ihm das BAföG aufgrund fehlender Unterlagen gestrichen und er nimmt einen Job in besagter Schwimmanstalt an. Es ist nicht übermäßig schön, modern, sauber oder perfekt, aber hier findet er seinen Frieden mit der Welt.
Kaum etwas passiert, wenn er in der ersten Hälfte des Films durch die Anlage schlendert. Doch wer sich darauf einlassen kann, findet in Aquaplaning das, was Herrmann in seinem Schwimmbad erblickt. Es ist kaum mehr als ein Aufatmen. Ein befreites Aufatmen, nachdem all die Last, welche Filme oft niederdrückt, verschwunden ist. Vielleicht wird dieser Ballast auch erst bewusst, wenn sich die Schultern plötzlich so frei anfühlen. Und in Aquaplaning schaffte es Eva Hiller, ungekünstelt einen Mann durch ein Schwimmbad schlendern zu lassen, ihn aufatmen zu lassen und mit ihm den Zuschauer. Voller Selbstvertrauen umgeht sie blendende Dramatisierungen. Ihr Film ist einfach nur und kümmert sich nicht zwanghaft um Dramaturgie oder Aufbau einer Handlung. Um Action oder Pointen. Nirgends gibt es groß angelegte Kunstgriffe, die Aussagen oder Gefühle verdeutlichen. Auch lange Einstellungen, Montage oder ähnliche Kunstgriffe, welche dem Zuschauer mitunter nichts anderes vermitteln wollen, als dass sie sich ein sehr ernst zu nehmendes Kunstwerk ansehen, gibt es nicht. Kurz, sie verzichtet auf jeden Tand um ihren Film denkwürdig zu machen. Weiterlesen “100 Deutsche Lieblingsfilme #40: Aquaplaning (1987)” »
oder: das beste aller möglichen Sprungbretter ins kalte Wasser
Das wird nie wieder weggehen. Das wird nun immer so bleiben. Ein Fakt setzt sich so leicht in die Welt. Der erste Film, den ich nach drei lernintensiven Monaten Anfang dieses Jahres in Florenz auf Italienisch, ohne hilfreiche italienische Untertitel – die hier ohnehin nicht zur Verfügung standen – zu sehen gewagt habe, wird nun immer Roberto Mauris LE PORNO KILLERS gewesen sein. Man will sich schließlich nicht überfordern und das Wagnis mit Spaß kompensieren, dachte ich.

Roberto Mauri. Ich mochte schon seinen spartanischen, rohen Italowestern LA VENDETTA È IL MIO PERDONO (1968) sehr und freue seit geraumer Zeit seinem auf den ersten Blick enorm seltsam anmutenden übernatürlichen Thriller MADELEINE ANATOMIA DI UN INCUBO (1972) entgegen.
Roberto Mauri. Vormals also Regisseur von Sandalenfilmen, Abenteuerfilmen, Horrorfilmen und diversen teils ihrer Reputation nach berüchtigt schundigen Italowestern, war 56 Jahre alt, als er mit dieser schmuddeligen und gewiss sehr günstig produzierten Miniatur seine Karriere beschloss. Ob er sich schon längst zur Ruhe setzen und sich lediglich seinen Lebensabend versüßen wollte oder ob ihn die Schrumpfung der italienischen Filmindustrie, deren langer, qualvoller Tod wenig später seinen Lauf nehmen sollte, von der Bildfläche entfernte – man wird es vermutlich nie erfahren. Das ist aber auch egal. Es ist aufregender, nichts darüber zu wissen. LE PORNO KILLERS ist so oder so ein denkbar schönes und illustres Ende für eine solche B-Karriere, meine ich. Vielleicht exaltiere ich dieses „B“ in meiner Vorstellung zu sehr. Die dreckige Schönheit meiner schäbigen Kopie – die qualitativ grauenvolle Digitalisierung einer halb geschredderten Videokassette, die ihrerseits offensichtlich von einer schwer mitgenommenen 35mm-Kopie abgefilmt wurde – lässt rationales ästhetisches Empfinden nicht zu. Man wälzt sich lustvoll in rustikalem Bilderbrei und Schmutz, lässt den „Videoknüppel“ genießerisch geschehen.
Weiterlesen “Die Porno-Killer (1980)” »
und der immer noch weiterschwingenden Euphorie des Erlebnisses des 6. außerordentlichen Hofbauer-Kongresses, der von Freitag dem 20. bis Montag dem 23. Juli in Nürnberg stattfand, der Hinweis auf einen der Höhepunkte des Wochenendes und meinen sowie Simon Frauendorfers eindeutigen Favoriten der vielschichtigen Filmauswahl: Top Model von Joe D’Amato aus dem Jahre 1987. Dies war zwar erst mein dritter Film von D’Amato den ich bisher begutachten durfte, aber ich befinde mich nun endgültig im Bann des Meisters. Nach dem hypnotischen Antropophagus (1980) und dem nicht minder sogkräftigen und düsteren Pomeriggio caldo (1987) war ich bereits vor der Sichtung voller Vorfreude auf eine weitere Begegnung mit dem reichhaltigen Oevre des unverständlicherweise nach wie vor vielgeschmähten Italieners, doch was ich zu sehen bekam übertraf in gewisser Weise alle meine Erwartungen und Top Model überrollte mich mit der Kraft einer Dampfwalze. Weiterlesen “Aus aktuellem Anlass” »
Angefangen hat er als begnadeter Stand-Up Comedian, der seine geniale Soloshow „Delirious“ (1983) mit gerade mal 21 Jahren abgeliefert hat. Seine unglaubliche Energie, sein perfektes Timing, sein hintergründiger Witz, sein virtuoses Fluchen, ist auch heute noch eine Bombe von ungeahnter Sprengkraft. Sein Spott kannte keine Grenzen und schon gar keine Rassenschranken. Egal ob es um Weiße, Schwarze, Asiaten, Frauen, Männer, Fernsehpersönlichkeiten oder die eigene Verwandtschaft ging. Vor seinem Sarkasmus waren sie alle gleich.
Rasch folgte der kometenhafte Aufstieg in Filmen wie „48 Hrs“, Trading Places“ und „Beverly Hills Cop“. Er war der Außenseiter aus der Gosse, der sich mit Witz und Mut gegen eine korrupte und zynische Umwelt stellte. Für den Zuschauer hingegen ist er nie Außenseiter gewesen. Eddie Murphy war schon immer einfach da. Er ist unmittelbar präsent, und er wirkt. Ein Schnellzug, der durchs Zelluloid fegt. Sein Grinsen: sardonisch und schelmisch zugleich. Sein Gesicht: ausdrucksstärker als das Spiel so manchen gefeierten Schauspielers. Sein Wesen: eitel und doch selbstironisch. Weiterlesen “„There’s no place like Harlem“ </br>oder Eddie Murphys Schwanengesang” »