Deutschland im Film: Vulkan der höllischen Triebe (1968)





Auch Gangster haben klein angefangen

Drei Jungs hocken in einer Kneipe, hecken was aus, isoliert von den Tanzenden, Singenden, vom Leben, auf einer Eckcouch – gelangweilt vom großmännischen Gebrabbel brüllt anderswo einer, man solle doch endlich die Musik lauter machen. Aber die Drei, deren Eskapaden wir nun begleiten dürfen, geben nichts drauf, verweilen lieber in ihrer eigenen Welt und die schaut folgendermaßen aus: Zur Kohlegewinnung veranstaltet man eine rauschende Party auf dem Landsitz eines verreisten Bekannten (oder war es gar die Familie?), junge Mädchen sollen Lustgreise aufreißen und mit kompromittierenden Fotos will man dann zum monetären Aderlass bitten.
Unter den auserkorenen Damen ist die blonde Karin am wichtigsten, die im Angesicht des in Aussicht gestellten Abenteuers freudig ihren Büstenhalter in die Ecke schmeißt – wo es nun für sie hingeht, da wird er nicht benötigt, es locken Freiheit und Rebellion, zumindest scheint sie sich das einzureden. Aber ist dem tatsächlich so?

Die große Fete jedenfalls erinnert schrecklich an das, was Nachgeborene aus dem elterlichen Anekdotenfundus kennen: Als Sitzgelegenheit dient einer dieser unglaublichen Sattelstühle – für die echten Cowboys eben, die kindlich strahlend prompt aufsitzen – die Tänze lassen einen unwillkürlich an das hübsche Wort „abhotten“ denken und die Gegenwart zweier geradezu steinalter Geschäftsmänner – die designierten Opfer – ist derart anachronistisch, dass man es sofort merkt: Wer mit solchen Menschen abhängt, und sei es nur zur persönlichen Bereicherung, der kann nicht cool sein.
Überhaupt scheinen die gänzlich unbekannten Filmemacher (nach Meinung einiger Fachmänner sehr junge Menschen, möglicherweise Filmstudenten. Ein Eindruck, dem auch ich mich nicht verwehren kann) nur allzu genau gewusst zu haben, welche Höhepunkte zeitgenössischer Jugendkultur bereits in wenigen Jahren zwangsläufig lächerlich wirken müssen und gerade diese setzt man hier prominent in Szene. Bestens ins Bild passt da die größte Blöße, die man harten Kerlen in einem Gangsterfilm geben kann. Kommt die Musik in vergleichbaren Partyszenen von einem Musiker – dem zugedröhnten Bongospieler in Ernst Hofbauers Schwarzer Markt der Liebe (1966) beispielsweise – oder ist sie sogar häufiger noch eine gesichts- wie körperlose Deus ex Machina, die stets untrennbar mit dem Aufkreuzen harter Jungs verbunden scheint, hat sie hier eine andere Quelle: Schon beim ersten Betreten des Landhauses erblicken wir ein Tonbandgerät, es wird umgehend eingeschaltet, im Laufe der Zeit immer und immer wieder.

Der Soundtrack des Lebens, hier ist er unoriginär, affektiert, ein Fake, wenn man so will, wie die feschen, offen getragenen Hemden, die tiefdunklen Sonnenbrillen und die am amerikanischen Kino geschulten Profanitäten, die man sich immerfort an den Kopf wirft. Wunderbar vergleichen könnte man das alles mit Rainer Werner Fassbinders ein Jahr später entstandenem Liebe ist kälter als der Tod – ebenfalls ein Film über Außenseiter beim Versuch, das Leben aus ihren Lieblingsfilmen zu imitieren. Aber was der ungleich berühmtere Regisseur erst einige Zeit später kultivieren sollte, das gibt es hier bereits in höchster Vollendung: einen ausgeprägten Sinn für das Melodramatische. Kameramann Ferenc Vass fängt das Geschehen so ein, wie man es auch bei Fassbinders soon-to-be hero Douglas Sirk erwarten würde. Nicht die Menschen sind wichtig, sondern vielmehr die Lokalitäten und die Art, auf die man sich in ihnen bewegt.
Und obwohl in feinstem Scope gedreht, gibt es nichts Bombastisches zu bestaunen: Das wunderschöne Haus, es wirkt in der Breite leer und trist, freigefegt von Lebendigkeit, wie unzählige andere Haushalte der Zeit eben auch. Die handelnden Personen, oft (wie in der bereits erwähnten Kneipenszene) sind sie an den Rand gedrängt, abgesondert von ihren Mitmenschen und der Umwelt – wie auch die Autos, in denen man in der nächtlichen Eröffnungssequenz des Films einsam durch das Labyrinth der Großstadt irrte. Deutlicher wird es noch, nachdem die Geschichte weiter Fahrt aufgenommen hat: Über Karin, die die Nacht mit dem Geschäftsmann Schulz verbrachte, bekommt man Wind von einem Geldtransport, überfällt ihn und droht in Intrigen zu versinken. Als einer der Halbstarken mit der Beute verduften will, nimmt man prompt die Verfolgung über einen schmalen Feldweg auf. Von oben sehen wir die Autos an beidseitig begrenzenden Zäunen entlangschießen. Ein Netz, ein doppelter Boden, die Freiheit ist eine imaginäre, und echte Gefahr droht nie – auch nicht in der Schlucht, die den Kulminationspunkt der Hatz bildet. Durch ein röhrenartiges Felsensystem stellt man sich nach, eröffnet das Feuer aufeinander, verfehlt doch beständig – ein wenig erinnert das an die Cowboy- und Indianer-Spiele der Kindheit. Dass man sich, nachdem man sich erfolgreich gestellt hat, nicht gegenseitig ausschaltet, ja sogar wieder teilen möchte – es überrascht niemanden.

Heimwärts geht es stattdessen – das Feriendomizil, nun vollständig zur Ruhe gekommen, mittlerweile ist es kaum noch zu unterscheiden von den Heimstätten der Altvorderen; die Mädchen, sie zwängen ihre Brüste wieder in die Büstenhalter, nur Karin nicht, hatte sie diese Maske der Bürgerlichkeit doch voreilig entsorgt. Eine Rückkehr zur Normalität hält das strafende Leben für Karin nicht mehr bereit, nur den Tod im Wasser, hineingestoßen von einem ihrer übereifrigen Freunde. Ein veritabler Schock für den sich in Sicherheit wiegenden Zuschauer aber auch die Protagonisten. Er besiegelt die Umkehr, das Geld zurücklassend wie das Gangsterdasein. Zuletzt sehen wir sie auf dem Feld eines kleinen Bauernhofes, fein säuberlich aufgereiht, einem Bewerbungsfoto gleich, ein güllespeiender Traktor fährt vorbei, die Sonne scheint – eines der betörendsten Bilder im deutschen Kino. Was sie dort tun, ich habe keine Erklärung. Ob sie eine haben?

Eines steht fest – die Sommerferien, die sind vorbei.


Vulkan der höllischen Triebe – BRD 1968 – 89 Minuten – Regie: Peter Hauser – Produktion: Ferenc Vass – Drehbuch: Peter Hauser – Kamera: Ferenc Vass – Schnitt: ??? – Musik: Thomas Birth – Darsteller: Nora Richardson, Albert Hehn, Matthias Pernes, Georg Böjer, Annemarie Dick u.v.a.

[Titelbild von Thilo Gosejohann]

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, September 21st, 2017 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Deutschland im Film, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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