Pandemisches Flackern – The Inferno Index (2021)

Anscheinend das, was einem blüht, stolpert man berauscht vom Gesehenen aus dem Kino heraus. Exakt so jedenfalls beginnt diese Abwärtsreise durch spätnachts zusammenimaginierte Zelluloidvisionen, mit dem Düsseldorfer Savoy Theater als realem, rückverfolgbarem, nicht verfremdetem Bezugsort. Eher die Ausnahme in den kraft Ungewissheit erdrückenden Betonlandschaften, welche Cosmotropia de Xams Werk mehrheitlich beheimaten und auch hier ein zunehmendes mentales Abdriften markieren. Versunkene Industriebrückenpoesie wie unmittelbar aus Jean Rollins „La Nuit des Traquées“ (1980) entflohen begrenzt eine nächtliche Verfolgungsjagd minus das Tempo, welches der zweite Wortteil impliziert. Nur wer oder was schleicht hier überhaupt hinter wem her? Eine Unbekannte stellt einer Unbekannten nach – was suchen die Menschen ineinander, schwarzmagisch aufgeladenen Überschreitungen des persönlichen Raumes, davon erzählen viele Filme des iPhone-Poeten. Weiterlesen…

Alles fluid – Liebesdings (2022)

So leere Augen, und alles reflektiert an ihnen vorbei. Zweifach – einmal auf den getönten Scheiben des Luxuswagens, dann auf der Sonnenbrille. Die Ikonographie von Anika Deckers nunmehr dritter eigener Regiearbeit nach einer Karriere als einsame Spitzenautorin der deutschen Filmkomödie ist schnell aufgebaut und bedarf keiner der schlagfertigen Worte, für die sie über Nacht berühmt wurde. Elyas M’Barek ist nicht Elyas M’Barek und doch der größte Star des deutschen Kinos. Marvin Bosch heißt er hier und stiert, nimmt man ihm die Gläser einmal ab, trüb vor sich her. Vom Tropenflair aus „Türkisch für Anfänger“, dem Kinodurchbruch des einen, ist im Leben des anderen nur mehr ein fades Abziehbildchen im Toilettenwagen geblieben. Zu groß, zu hübsch zum Aufgeben, zu desplatziert zum Losziehen. Diese durchsichtige Intertextualität – man merkt es schon, so geht „8½“ auf Neudeutsch und im Jahre 15 nach Schweiger. Weiterlesen…

Immer nur dabei gewesen – Roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten (2022)

    Roger Fritz, fotografiert von Herbert List

    Um meine Gedanken nicht zu verraten, nehme ich sofort die Kamera in die Hand.
    Wenn ich den Apparat vor das Auge halte, ist er wie ein Schutzschild.

Immer nur dabei gewesen – diesen Eindruck kann man rasch gewinnen, liest man allzu oberflächlich durch den „Boulevard der Eitelkeiten“ quer, der einige Monate nach seinem Tod im einmal mehr coronabedingt vom regen Treiben menschlicher Geselligkeit bereinigten Spätherbst 2021 das Vermächtnis des Fotografen, Filmemachers, Gastronomen, an erster Stelle jedoch immer Lebemannes Roger Fritz darstellt. Unwissend wohl auch im Spätherbst des Lebens begonnen, jedoch erst unter dem Eindruck des eigenen Todes erschienen und von anderen weiter redigiert, beschreitet es einen dem plötzlichen Gefühlsumschlag zugetanen Pfad zwischen Feier des Lebens und Andacht. Vorrangig beiläufige Anekdoten, flüchtige Begegnungen von anhaltendem Eindruck verdichtet Roger Fritz – alle Fallstricke selbstgefälliger Memoiren umschiffend – zu einem plastischen Eindruck von seiner langen Zeit ganz nah am Zentrum der Aufmerksamkeit. Die saftigen Geheimnisse des Promijournalismus hiergegen nimmt er weise mit ins Grab. Sie wären fehl am Platze, denn er, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alles gesehen hat, erdet die kommentierte Führung durch 79 Berühmtheiten und eine große Liebe seiner Lebensjahre durch den untrüglichen Blick für das Besondere im Alltäglichen. Wie immer es auch ausfallen mag. Da kennt er nichts. Weiterlesen…

Die 5 und das (musikalische) Übermaß der Liebe in Paul Thomas Andersons Phantom Thread und Licorice Pizza

 

Konsekutive Filme eines Regisseurs zu einem gleichen oder ähnlichen Thema sind immer eine spannende Sache. Der Blick auf die Frau, die in zwei verschiedenen historischen Sphären Konzepte von Weiblichkeit verhandelt in Paul Verhoevens ELLE (2016) und BENEDETTA (2021); David Cronenbergs in direkter Folge entwickelte Studien über Gewalt und Intimität in den Mikrokosmen des organisierten Verbrechens in A HISTORY OF VIOLENCE (2005) und EASTERN PROMISES (2007) – oder jetzt der neue Film von Paul Thomas Anderson, der sich im Zusammenspiel mit PHANTOM THREAD (2017) zu einem Liebes- und Beziehungsfilm-Diptychon fügt, welches sich trotz sehr unterschiedlicher atmosphärischer Dispositionen und Stimmungslagen im Kern als Doppelstudie über Paar-Beziehungen am Rande gesellschaftlicher Norm entpuppt. Auf der einen Seite die neurotische amour fou zwischen autistischem Modedesigner des britischen Hochadels der 50er und seiner ihn gerissen sabotierenden Geliebten aus dem aristokratiefernen Milieu – auf der anderen Seite der hochstapelnde, schauspielende Minderjährige, der im aufgeputschten Kalifornien der 70er Jahre alles auf eine Karte setzt, und sich an die Fersen einer 10 Jahre älteren Schüler-Fotografin hängt. Weiterlesen…

Wehmut im Gegenschnitt – Die Rettung der uns bekannten Welt (2021)

Einige bleiben stehen, die andern gehen, bewegen sich über einsam zurückgelassene Blicke hinweg von ihnen fort – diesen traurigen wie profanen Vorgang des Zwischenmenschlichen würde Til Schweigers großgestig, im Kleinen jedoch letztlich subtil betitelter “Die Rettung der uns bekannten Welt” regelrecht zelebrieren, wenn er ihn nicht als so grausam, wahrlich welterschütternd empfände. Die Kunst des Hinterherstarrens auf verlorenem Posten, die Wehmut im Gegenschnitt; manchmal im Fortgang, manchmal gefroren, stets besonders im eigenen Kopfe: die geliebten, aber ob der überhandnehmenden Seltsamkeiten entfremdeten Halbgeschwister, die tote Frau als Rat stiftende Apparition, das durch allerhand externe Partymanöver belebte Grab der Mutter. Die das Leben des manisch-depressiven Paul (Emilio Sakraya), seines überforderten Vaters (Til Schweiger) sowie der zwei jüngeren Geschwister einschneidenden Beziehungseckpfeiler sind visuell rascher etabliert, als die Worte aus irgendwem hervorbrechen. Weiterlesen…

Round ’n‘ round the boogeyman goes – Halloween Kills (2021)

„Halloween Kills“, der immerhin schon zwölfte Teil der langlebigen Reihe um den lahmbeinigen Bürgerschreck Michael Myers, zweite Fortsatz eines zweiten Reboots und Mittelteil einer neuen Trilogie beginnt, wie in Zukunft idealerweise jedes Franchise seine bloß vordergründig endenden Bahnen ziehen sollte. Als Fußreise, als Fahrt aufnehmende Geisterbahnfahrt durch den Ort, an dem alles anfing und zahllose Male wiederbegann, kommentiert von Figuren, die ursprünglich nie dort waren. Als Remix. Zwei weitere Verkettungen nach wie neben dem Rückblick und schon befindet man sich mittendrin in zweifacher, dreifacher, mannigfacher Hinsicht – ungefragt tief ins filmische Universum, seinen Kanon, die irrelevanteren Teile seiner Hintergründe verfrachtet, als Fremde, als Reihennerds direkt neben der von einem anderen Werk her ausblutenden Jamie Lee Curtis auf der Ladefläche eines rasenden Pick-ups in Richtung bloß weg in die Nacht; kurz: im strammen Tempo der Inszenierung, die keine Fragen aufwirft, jedoch alle beantwortet. Das Alte und die Gegenwart eben auch des Franchisekinos so unmittelbar nebeneinander zu schachteln, ist ein simpler Trick mit großer kinetischer Freude. Weiterlesen…

100 deutsche Lieblingsfilme #75: Es ist nur eine Phase, Hase (2021)

Kommt man später einmal in schlimmstenfalls eingeweihten, scheußlich cinephilen Kreisen, bestenfalls aber breitem rezeptionsgeschichtlichem Konsens auf das deutsche Populärkino der Wechseljahre hin zu den neuen wilden Zwanzigern zu sprechen, so wird man sich hoffentlich erinnern an das, was heute noch als künstlerisch tadelhaft gilt: Jene bemerkenswerte Auffächerung, die die vorwiegend romantische Komödie nach Schweigerschem Patentrezept ungefähr zehn Jahre nach ihrem gemeinhin verhassten Urknall hinlegte. Originär filmisch heraussezierte Weisheiten hinterm literarischen Niveau davonflatternder Kalendersprüche bei Florian David Fitz, das ungezwungen Emanzipatorische bei Anika Decker und Karoline Herfurth, der messerscharfe Blick aus leichter Hand Bora Dağtekins – jetzt: Florian Gallenberger, der schon mit seinem letzten Kinofilm eine pilcherwürdige Altersabschiedsreise ins Sublime überführte und nun ansetzt, das Stiefkind des teutonischen Gegenwartskinos mit internationalem Arthouse auszusöhnen. Vermutlich abermals abseits des Blickes all jener, die die Offenheit neuer Konzepte stets lautstark einfordern, ihnen dann aber selbst nie mit ebensolcher begegnen wollen. Die Reifephase dann eben ohne sie. Weiterlesen…

Reibungsenergien ‘31: Ein Kurzkommentar zu „Fabian, oder der Gang vor die Hunde“ (2021)

Dominik Grafs neuer Film ist ein ganz schöner Brocken, ein dreistündiges Gesellschaftsporträt der frühen 30er Jahre in Berlin, angesiedelt im Auge des Sturms, am Kulminations- und Siedepunkt verschiedener konträrer gesellschaftlicher Tendenzen und Kräfte, die zum letztendlichen Zerreißen der Weimarer Republik und damit zum Aufstieg des Nationalsozialismus geführt haben. Graf inszeniert seinen Film folgerichtig als gewaltigen Strudel der Bilder und Eindrücke, der Gelüste, Bestrebungen und Emotionen – und auch wenn ich nicht jedes der vielen verschiedenen disparaten Elemente, die der Film zur Auserzählung seines komplexen Kräftespiels nutzt, als gelungen eingebunden betrachten würde (mit dem Split-Screen treibt man es zuweilen etwas zu weit), so hat sich der Film dennoch festgesetzt in mir, und lässt mir auch zwei Wochen nach der Sichtung keine Ruhe. Immer wieder zurückdenken muss ich dabei ausgerechnet an den leisesten Abschnitt des Films, an die feine Kontrastdramaturgie, die Graf in der letzten halben Stunde fährt, wenn er von der lauten, unübersichtlichen Vorkriegshölle Berlins in Fabians ländliche Heimat nahe Dresden wechselt, und den Protagonisten dort ein wenig Stille und innere Einkehr finden lässt (wunderschön vertont vom „Adagio Religioso“ aus Béla Bartóks drittem Klavierkonzert). Die Vergeistigung und Entrückung dieses letzten Akts deutet sich natürlich schon vorher an, in Fabians Tendenz, der Welt mit einem gewissen Ekel zu begegnen (exemplarisch die Szene, in der er seinem Verleger einen eitrigen Verband wechseln muss), und der manchmal fast etwas passiven Art, sich von den politisch-moralischen Kräften seiner Zeit zerreiben zu lassen. Inmitten all dieser Dynamiken wirkt Fabian zugleich beteiligt wie unbeteiligt, dürstend sowohl nach Bindung als auch nach (moralischer) Distanz, ein Teilchen im Sturm, das sich ausprobiert und sondiert, am Ende aber im Kräftesturm zerfällt. Weiterlesen…

Peter Thomas und das Erwachen der Avantgarde bei Alfred Vohrer – Eine freudige Erinnerung zum Jahresende

    Peter Thomas (r.) am Klavier

Zwei stilistische Fortentwicklungen eng verzahnt: Den oft feixend an den Randfasern des im deutschen Kino so wichtigen heiligen Ernstes bei der Inszenierung auch heiterer Kost operierenden Regisseur Alfred Vohrer (1914 – 1986) und den alle Bemühungen der Regie stets in angemessene Entsprechung kleidenden Filmkomponisten Peter Thomas (1925 – 2020) verband 1966 bereits eine stolze Reihe von sechs Kollaborationen in jeweils weniger als zehn Jahren beim Kino, als ersterer zweiteren endlich auch bei dem wohl größten Prestigeprojekt seiner Gesamtlaufbahn zur Seite gestellt bekam. Die Karl-May-Filme der Rialto Film gingen mit “Winnetou und sein Freund Old Firehand” in die nächste Runde, wurden jedoch zuvor im Boxenstopp merklich verjüngt. Lex Barker sowie Stewart Granger, die alternden Allzuverlässigkeiten deutscher Populärkultur, wichen von der Reihe, der attraktive Italiener Rik Battaglia wurde nach seinem reichlich Liebespost kostenden Ikonenmord im Abschluss der Winnetou-Trilogie zur heißblütigeren Version eines Westhelden befördert. Die Schurken machte man in Abweichung zum Gros der übrigen Filme zu aus schierer Bereicherungslust mordenden Desperados, rachegetriebenen Soziopathen und sogar vergnüglich-einnehmenden Antischurken. Weiterlesen…

Tonale Bewegungen und Gegenbewegungen in Jesús Francos „Killer Barbys“ (1996)

    I’ll remember it forever
    The old shop near home
    Jack „King“ Kirby drove me crazy
    And I want you today

    Comic books showed me the way
    Silver Surfer, Iron Man
    The Thing and Spider-Man

    (Killer Barbies – Comic Books)

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